Anschauungen stufenweise zu vollziehen, denn es ist leicht einzu¬ sehen, daß derartige allmählich erfolgende Umbiegungen vom Bewußtsein der Masse eher angenommen und verarbeitet werden als völlig neue Ideen¬ komplexe, die den althergebrachten diametral gegenüberstehen. Bei einem solchen stufenweisen Fortschreiten greifen die Propaganda und, um auf unseren Sonderfall zurückzukommen, in ihr das meinungshaltige Bild gern auf das Symbol zurück, um anzudeuten, was im Bewußtsein der Masse des Publikums bereits vorhanden ist. So erklärt es sich, daß die meisten Tendenzbilder des Weltkriegs, vor allem die satirischen, heute nur dann ganz verständlich werden, wenn man sich mit den geschicht¬ lichen Gegebenheiten und der geistigen Atmosphäre der Zeit ihres Ent¬ stehens vertraut gemacht hat. So erklärt es sich weiterhin, daß manche Bilder, und zwar gerade die bedeutendsten, in ihrer Beischrift eine Kürze aufweisen, die lebhaft an das Schlagwort als wortpropagandistisches Wirkungsmittel erinnert. Ohne ein Fundament vorhandener Bewußtseinsinhalte, auf dem der Künstler-Propagandist auf¬ bauen kann, wäre dies alles nicht möglich. Tritt nun der Fall ein, daß die besonders gelungene Zeichnung eines Künstlers oder ihre glücklich formulierte Idee von einem zweiten Künstler, sei es zur werbenden oder agitierenden Variierung, sei es nur zur humorvollen Umdeutung übernommen wird, so ist damit die Wir¬ kung des ersten Bildes erwiesen, da es ja als Verständnisgrund- läge aller weiteren dient, die auf seiner Idee auf gebaut sind. Mit anderen Worten: Ein Zeichner, der nachweislich die Idee des ersten Bildes zum Gegenstand einer neuen Zeichnung macht, ist sich der Verbreitung dieser Idee in den Köpfen seines Publikums bewußt, da er ja andernfalls mit völliger Verständnislosigkeit für sein eigenes Werk rechnen müßte. So¬ mit ist der Beweis für die erfolgte Wirkung des „Urbildes“ um so über¬ zeugender, je mehr „Abwandlungsbilder“ einwandfrei nachgewiesen wer¬ den können. Diesen Nachweis für Forains «Pourvu qu’ils tiennent» zu führen, ist die Aufgabe des folgenden Abschnitts 340. Am 9. Januar 1915 erschien Forains Zeichnung zum erstenmal als großes Doppelblatt in der OPINION. Vom Verlag dieser Zeitschrift als Einblattdruck herausgebracht, hing sie bald in den Fenstern der Kunst¬ handlungen. Viele Zeitungen und Zeitschriften druckten das Bild als Zitat ab; seine Beischrift galt als das neueste geistreiche «Mot» des berühmten Zeichner-Philosophen. Das teils zweifelnde, teils ironische, teils auch er¬ munternde „Wenn sie nur durchhalten! ...“ wurde zum geflügelten Wort; im Scherz und im Ernst wandte man es auf die verschiedensten Situ¬ ationen an. In der Bildpropaganda tauchte es wenige Monate später in einer Zeichnung Sems auf341. Diesmal sind es die Alliierten, ein Eng¬ länder und ein Franzose, die sich unterhalten: 116