VERÖFFENTLICHUNGEN DES INSTITUTS FÜR
OSTBAIRISCHE HEIMATFORSCHUNG IN PASSAU
Herausgegeben von Prof. Dr. M. Heuwieser
Nr. 2i
SPÄTGOTISCHE
KIRCHENBAUTEN
IN OSTBAYERN
bearbeitet ri
Dr. FRANZ DAMBECK
KOMMISSIONSVERLAG PAUL EGGER PASSAU
Dr. FRANZ DAMBECK
SPÄTGOTISCHE
KIRCHENBAUTEN
IN OSTBAYERN
1940
KOMMISSIONSVERLAG PAUL EGGER PASSAU
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Gedruckt bei der Buchdruckerei AG Passavia Passau
Klischees vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege
Einbandentwurf von R. H. Stöcker
INHALTSVERZEICHNIS
Literaturangaben................................................. . 7
Einleitung ............................................... ...... 11
Erster Teil: SYSTEMATISCHE BESCHREIBUNG DER TYPEN
A. Innenraum
I. Allgemeine raumbestimmende Elemente:
1. Gewölbeform........................................... 20
2. Gewölbefiguration..................................... 21
3. Rippe............................................... 28
4. Wandgliederung........................................ 29
5. Westempore.......................................... . 33
6. Lichtführung.......................................... 37
II. Grundrisse und Aufrisse:
1. Der einschiffige Grundriß............................. 38
2. Die dreischiffige Hallenkirche ............ 41
3. Die zweischiffige Hallenkirche........................ 49
4. Der zentrale Grundriß...................................56
B. Außenbau
1. Die Komposition der Gebäudemassen..................... .59
2. Die Vertikalgliederung .................................62
3. Die Horizontalgliederung.............................. 63
4. Das Portal..............................................64
5. Die Portalvorhalle.................................... .64
6. Die Fenster.............................................65
7. Der Turm................................................66
Zweiter Teil: VERSUCH EINER GRUPPIERUNG DER BAUTEN
Vorbemerkung...................................................... 81
1. Die Passauer Meister.............................. . 82
2. Kößlarn und Rotthalmünster..............................87
3. Die Werke Sallingers................................. .92
4. Meister Thaman aus Braunau............................ .96
5. Die geknickte Reihung..................................101
6. Der Taubenbacher Meister............................. 104
7. Hans Wechselberger................................... 106
8. Der Meister von Aigen-Pfarrkirche.................. . 110
9. Der Meister von Wolfakirchen......................... 113
10. Der Staudacher Meister..................................116
11. Der Meister von Hofkirchen . ............ .121
12. Die einfachen Figurationen.......................... 121
13. Das sechzehnte Jahrhundert.................... 122
Schluß: EINBAU IN DIE KULTURGESCHICHTE . . , .124
Ortsverzeichnis............................................127
LITERATUR AN GAB EN
I. Mittelalterliche Architekturgeschichte
Dehio u. Bezold: Die kirchliche Baukunst des Abendlandes, II. Bd. Stuttgart 1901.
Dehio, Gg.: Geschichte der deutschen Kunst. II. Bd. Leipzig 1921.
Enlart, C.: Le style flamboyant. (A. Michel, Histoire etc. III, 1) Paris 1907.
Frankl, Paul: Die Baukunst des Mittelalters, Berlin 1916 f.
Gerstenberg, K. Kurt: Deutsche Sondergotik, München 1913.
Haenel, E.: Spätgotik und Renaissance, Stuttgart 1899.
Krautheimer, R.: Die Kirchen der Bettelorden in Deutschland. Köln 1935.
Mohrmann-Ungewitter: Lehrbuch der gotischen Konstruktionen. Leipzig 1890/92.
Neuwirth, ].: Geschichte der bildenden Kunst in Böhmen. I. Bd. Wien 1893.
Niemayer, W.: Der Formenwandel der Spätgotik als das Werden der Renaissance.
Leipziger Diss. 1904.
Otte, H.: Handbuch der kirchlichen Kunstarcheologie. 5. Aufl. Leipzig 1883/85.
Sauer, Jos.: Symbolik des Kirchengebäudes u. s. Ausstattung. Freiburg (2.) 1924.
Schmarsow, A.: Kompositionsgesetze in der deutschen Kunst des Mittelalters.
II. Bd. Bonn 1920.
Secker, F.: Die frühen Bauformen der Gotik in Schwaben. Straßburg 1911. (Studien
z. d. Kunstgesch.)
II. Geschichte und Topographie
Huber, /. G. B.: Geschichte der Stadt Burghausen. 1862.
Huber ]., Baugeschichte der Wallfahrts- u. Pfarrkirche Kößlarn. Passau 1930.
Riemer, F. X.: Handbuch des Bistums Passau. Passau 1932.
Rohm: Das historische Alter der Diözese Passau in ihrem gegenwärtigen Umfang.
Passau 1880.
Merian, Matthäus: Topographia Bavariae, Frankfurt a. M. 1644, Anhang 1656.
III. Inventare
Die Kunstdenkmäler des Königreichs Bayern.
I. Kreis Oberbayern, von Gust. v. Bezold & B. Riehl. Münch. 1892 ff.
IV. Kreis Niederbayern. Felix Mader. München 1920 ff.
II. Kreis Oberpfalz u. Regensburg. Gg. Hager. München 1918 ff.
Österreichische amtliche Kunsttopographie.
Bd. 9. Kirchl. Denkmäler in Salzburg (Hans Tietze 1912).
Bd. 21. Schärding,
Bd. 2. Braunau.
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kgr. Sachsen.
1882 ff. Steche R. & Gurlitt C.
7
Die Kunst- und Altertumsdenkmale des Kgr. Württemberg hsg. von E. Paulus.
1890 ff.
Die Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden. Freiburg 1887 ff. F. X. Kraus.
IV. Einzeluntersuchungen
Buchowiecki, Walter: Wultinger und der gotische Kirchenbau im oberösterr. Atter-
gau. (Wiener Jahrb. f. K. G. IX. 1937).
Graf, H.: Altbayerische Frühgotik, München 1908.
Guby, Rud.: Die Kunstdenkmäler des oberösterr. Innviertels. Wien 1921.
Endres, J. A.: Beiträge zur Kunstgeschichte des mittelalterl. Regensburg. Regensburg
(ohne Jahresz.).
Haack, Fried.: Die gotische Architektur und Plastik der Stadt Landshut. München
1894.
Hager, Gg.: Baugeschichtliche Forschungen in Altbayern. Beilage zur Allgemeinen
Zeitung 1899, Nr. 71—73.
Hager, Gg.: Mittelalterliche Kirchhofkapellen in Altbayern. Ztschr. f. ehr. Kunst,
München 1899.
Hanfstaengl, Eberhard: Hans Stethaimer, Eine Studie zur spätgotischen Architektur
Altbayerns. Leipzig 1911.
Hartig, M.: Bestehende mittelalterliche Kirchen Münchens. Augsburg 1928.
Kappel, ]. E.: Der Dom des hl. Stephan in Passau. Regensburg 1912.
Karlinger, Hans: Studien zur Entwicklungsgeschichte des spätgotischen Kirchenbaues
im Münchner Gebiet. Münchner Diss. 1908.
Karlinger, Hans: Bay. Kunstgeschichte. 1. Teil: Altbayern und bay. Schwaben.
München 1928.
Niedermayer, And.: Zur Kunstgeschichte Niederbayerns. „Augsburger Postzeitung“
Beilage 1855.
Pückler-Limburg, Siegfr. Graf v.: Die Spätgotik im Inn- und Alztal. Hirschen-
hausen 1932.
Schmid, W. M.: Zur ostbayerischen Kunstgeschichte. „Die ostbayerischen Grenz-
marken“. Passau 1928 f„ S. 233 ff.
Schmid, W. M.: Die Burghauser Steinmetzhütte und -Bruderschaft von 1459. „Mo-
natss. der ostb. Grenzmarken. X. Bd.“, S. 142 ff.
Sighart, ].: Geschichte der bildenden Künste in Bayern. 3 Tie. München 1863.
Sighart, Die mittelalterliche Kunst in der Erzdiözese München-Freising. Mün-
chen 1855.
Zoder, Max: Studien zur Entwicklung des mittelalterlichen Backstein r o h baues in
Niederbayern. Passau 1929.
EINLEITUNG
I
„Die Spätgotik erfüllt erst die in der Gotik latenten Tendenzen,
sie ist die eigentliche Gotik“. Dieser Satz Paul Frankls bedeutet eine
Revolution in der Auffassung der Spätgotik, eine Revolution, die zwar
nicht von Frankl eingeleitet, aber von ihm rational begründet und kon-
sequent durchdacht wurde. Vorbereitet war eine solche Wandlung der
Auffassung schon durch Kurt Gerstenberg, dem das Verdienst zufällt,
in den Sammelbegriff „Spätgotik“ eine eminent wichtige Unterschei-
dung und Klärung gebracht zu haben: die Unterscheidung zwischen
„style flamboyant“ und eigentlicher Spätgotik. Wohl sind von der
Fiochgotik aus gesehen beide Stiläußerungen „spät“ im temporären
Sinn, aber das Beiwort „spät“ bedeutet auch eine gewisse Qualifikation,
oder besser gesagt Disqualifikation, welche die „eigentliche Spätgotik“
zu Unrecht trifft; infolgedessen hat Gerstenberg den Vorschlag
gemacht, die Bezeichnung „eigentliche Gotik“ zu wählen. Denn die
Spätgotik ist nicht wie der style flamboyant ein kraftloses Spätpro-
dukt, sondern „Erfüllung“ von Tendenzen, die in der Fiochgotik noch
latent geblieben sind. Es sind dies die Raumtendenzen. Die Fiochgotik
hat den eigentlichen gotischen Raum noch nicht gestaltet, sondern hat
im allgemeinen den „additiven“ romanischen Raum übernommen —
um mit der nunmehr gebräuchlichen Terminologie Frankls zu reden —.
Der romanische Raum ist „Glied für Glied“ gedacht. Die einzelnen
Glieder stehen zwar in engster Beziehung zueinander, so daß keines
herausgenommen werden kann ohne eine Lücke zu lassen, aber sie
bewahren ihre Selbständigkeit. Joche und Schiffe verfließen nicht mit-
einander, sondern erhalten sich trotz ihrer Bezogenheit ein gewisses
Eigenleben. Die ganze Hochgotik und auch die französische Spätgotik
benützt noch den von der Romanik ererbten Raum. Die Hochgotik
wirkt sich also nur in dem einen Element der Architekturgestaltung
aus: im Körper. Die Division des Körpers geht von Anfang an mit
dem gotischen System Hand in Hand. Später tritt dazu die Auflösung
der Wand. Die Hochgotik bringt in dieser Hinsicht bereits die „Erfül-
lung“. Die Spätgotik vermag hiezu nichts wesentlich Neues mehr zu
bieten; denn es ist der Punkt erreicht, über den hinauszugehen, die
Gesetze der Statik verbieten. Möglich ist lediglich noch eine Berei-
cherung der Formen der Zahl nach, also eine quantitative Leistung, oder
eine Komplizierung der Formen, also eine artistische Leistung. „Späte
Hochgotik“ wurde als Bezeichnung des genannten Wollens vor-
geschlagen.
Die „eigentliche Spätgotik“ aber bringt die „Erfüllung“ im
anderen Moment der Architekturgestaltung: im Raum* Sie erstellt den
„divisiven“ gotischen Raum. Dem großen Mittelraum sind die Neben-
räume je nach dem Stande der Entwicklung mehr oder weniger innig
verchmolzen.
Allerdings in Bezug auf die Gestaltung des Körpers wächst die
Spätgotik aus der Hochgotik heraus zu etwas Neuem, was scheinbar
im Gegensatz zu der Hochgotik steht, — das ist die Schließung der
Wand. Jedoch ist es nicht die massige, starre romanische oder vor-
romanische Mauer, zu der die Spätgotik zurückkehrt, sondern es ist
eine der Gotik nicht wesensfremde elastische Geschlossenheit des
Körpers.
Nachdem infolge der angedeuteten Wandlung der Auffassungen
der künstlerische Eigenwert der Spätgotik in das Licht gerückt wurde
und die ihr bisher anhaftende Makel, als sei sie eine Epigonenkunst,
verschwand, wendet sich das Interesse der Kunstwissenschaft in steigen-
dem Maße der Spätgotik zu. Dazu kommt, daß in Deutschland die
erdrückende Mehrzahl der gotischen Baudenkmäler der Spätgotik
angehört. So ist die Behauptung Gerstenbergs: „Die Geschichte der
Spätgotik ist die Geschichte der deutschen Gotik“, nicht ohne alle
Berechtigung.
Es läßt sich nun allerdings nicht wahrnehmen, daß die Erforschung
der deutschen Spätgotik im Verhältnis zu der erwähnten höheren
Wertschätzung stünde. Wohl sind Ausgangspunkt (hl. Kreuzkirche in
Schwäbisch-Gmünd und die Parierschule) als auch Endpunkt (die ober-
sächsischen Kirchen in Annaberg, Pirna, Freiberg, Schneeberg, Zwickau)
hinlänglich bekannt, auch einige Etappen am Wege in Schwaben,
Bayern und Franken blieben nicht unbeachtet, aber die genetische Ent-
wicklung der einzelnen Formelemente ist so gut wie unbekannt.
Und doch dürfte diese Entwicklung das allgemeine Interesse bean-
spruchen, denn es ist die Spätgotik die erste Gelegenheit, wo Deutsch-
land (wenigstens der Süden) ganz selbständig Stil schafft, während
man sich bei früheren Stilperioden immer mit „individueller Verarbei-
tung des Übernommenen“ trösten muß.
Soweit sich die Lage bisher überblicken läßt, bildet die spätgotische
Kirchenbaukunst Altbayerns ein wichtiges Glied der Entwicklung.
„Altbayern“ deckt sich nicht mit der heutigen politischen Landesbezeichnung
„Bayern“. In das heutige „Bayern“ wurden fränkische (Ober-, Mittel- und
Unterfranken), schwäbische (Schwaben-Neuburg) und pfälzische (bay. Pfalz)
Bezirke einbezogen. Altbayern umfaßt lediglich Oberbayern, Niederbayern
und den südlichen Teil der sog. Oberpfalz, früher Nordmark genannt. (Siehe
die Karte auf der nächsten Seite!)
Als der hervorragendste Repräsentant der altbayerischen Spät-
gotik gilt Hans Stethaimer aus Landshut in Niederbayern. Doch läßt
sich mit dem Werk Stethaimers nicht die gesamte altbayerische Spät-
gotik identifizieren. Bedenkt man nämlich, daß Stethaimer von den
Hunderten der erhaltenen spätgotischen Kirchen ganze 7 gebaut hat,
daß er keines seiner Werke ganz vollendete, daß also Gewölbe, Figu-
rationen, Dachkonstruktionen und Türme später und von anderer
Hand entworfen wurden, und endlich, daß Stethaimer nach den For-
schungen Hanfstängls keinen einzigen Schüler im üblichen Sinne hatte,
dann leuchtet ein, daß Stethaimer nur einen Teil der altbayerischen
Spätgotik charakterisiert.
Neben Stethaimer steht eine große Zahl minder berühmter
Meister, denen keine so monumentale Aufträge gegönnt waren wie
Stethaimer, die aber nach durchaus eigenen künstlerischen Ideen arbei-
teten und Beachtliches schufen. Zu ihrer Beurteilung mag man auch
daran denken, daß es Altbayern waren, welche die letzte Hand an
größte deutsche Dome anlegten, z. B. Jakob von Landshut in Straßburg
und Bernhard Winkler von Rosenheim in Ulm — Meister, die in
ihrer Heimat namenlos sind, weil sie vor der Masse der übrigen keinen
Vorsprung gewannen.
Ebensowenig wie über die gesamtdeutsche ist über die altbayerische
Spätgotik ein abschließendes Urteil möglich, da ihre Erforschung erst
auf halbem Wege steht. Auch die vorliegende Arbeit schließt die
Lücken noch nicht.
Altbayern läßt sich für den Zweck der spätgotischen Erforschung
in folgende 4 Teile einteilen, die sich jedoch mit der seinerzeitigen
politischen Einteilung nicht decken. Jene wechselte mehrfach und
wurde daher für die Kunstgeographie nicht maßgeblich.
13
ABB. i. ÜBERSICHTSKARTE VON ALTBAYERN
1. Der nördliche Teil: das Regensburger Gebiet. (Bisher unbearbeitet.)
2. Der südwestliche Teil: das Münchner-Gebiet. (Bearbeitet von Hans
Karlinger in den „Studien zur Entwicklungsgeschichte des gotischen
Kirchenbaues im Münchner Gebiet“.
3. Der südöstliche Teil: ostbayerisches Gebiet (das in vorliegender
Arbeit untersucht wird. Für den südlichen Teil dieses Gebietes hat
Siegfried Graf Pückler-Limburg in „Spätgotik im Inn- und Alz-
tal“ eine Gruppierung der bedeutenderen Bauten versucht.)
x4
4. Das zwischen den ersten drei gelegene Landshuter Gebiet, das der
Verfasser im Anschluß an diese Arbeit bearbeiten wird, nachdem
er bereits umfangreiche Vorarbeiten gemacht hat.
Zur Kennzeichnung des hier behandelten Gebietes wurde das Wort
„Ostbayern“ gewählt, da sich der unten genauer umschriebene Bezirk
mit dem Kreis Niederbayern nicht deckt und weil keine Stadt dem
Gebiet das künstlerische Gepräge gibt, wie das beispielsweise in Lands-
hut der Fall ist. Daher mußte eine allgemeinere Bezeichnung bevor-
zugt werden.
Die geographische Abgrenzung des zu behandelnden Gebietes lag
zu Beginn der Arbeit noch nicht evident vor. Nur die Grenzen im
Norden und Süden waren mit Sicherheit zu erchließen. Im Norden
wird Altbayern eingesäumt von dem damals noch unbewohnten, brei-
ten Gürtel der Bayer- und Böhmerwaldsberge, der in geographischer,
völkischer und sprachlicher Hinsicht eine absolute Scheidung bedeutet.
Da sich schon im sog. Vorwald keine Kirche von künstlerischer Bedeu-
tung mehr findet, ergab sich die Grenze von selbst. Daß ferner im
Süden an den Alpen und bereits im dünnbesiedelten Alpenvorland der
Strom der bayerischen Kultur des Mittelalters versandet, war ebenfalls
bekannt. Schwieriger war es, die Westgrenze abzutasten. Nicht im
südlichen Teil derselben, denn sie war durch die Arbeit Karlingers im
allgemeinen festgelegt, wenn auch zwischen beiden eine schmale „neu-
trale“ Zone bedeutungsloser Werke liegt; im nördlichen Teil der
Westgrenze jedoch lag die Schwierigkeit darin, daß der Begriff der
„Landshuter Schule“ noch nicht klar festgelegt war. Er mußte erst
durch viele Vergleiche gewonnen werden, bis die enge Verzahnung
zwischen Landshuter Schule und östlichen Schulen gelöst werden
konnte.
Die östliche Grenze ist zunächst vorläufig gewählt und läuft der ehe-
maligen Reichsgrenze an Salzach und Inn entlang. Wohl bedeuten die
beiden Flüsse mit ihren schwerbefahrbaren, reißenden Wassern eine kul-
turelle und dialektliche Scheide, aber es kann nicht übersehen werden,
daß das Innviertel bis zum Abschluß des bayerischen Erbfolgekrieges, bis
zum Frieden von Teschen (1779), politisch zu Bayern gehörte und daß
Braunau, aus dem so viele Anregungen nach Bayern kamen, schon
jenseits des Inn liegt. Dennoch wurde die Inngrenze gewählt; denn das
Innviertel ist selbst ein Gebiet von der Größe des hier behandelten und
somit eine eigene Untersuchung wert, zumal die dortigen Werke —
15
wie eine Durchsicht des Inventars erkennen ließ — sehr unhomogen
sind. Vor allem aber verboten die politischen Verhältnisse der vergan-
genen Jahre von selbst ein Hinübergreifen über diese Grenze, denn sie
machten dem Verfasser eine persönliche Inaugenscheinnahme unmög-
lich. Eine gewissenhafte und gründliche Behandlung wäre lediglich
auf Grund der summarischen Inventarangaben nicht möglich.
Das durch die angegebenen Grenzen umschriebene Gebiet ist dem
Verfasser nicht nur aus dem Inventar bekannt, sondern jede der
besprochenen Kirchen wurde von ihm besichtigt und photographiert.
Allerdings konnte das interessante Bildmaterial in vorliegender Ver-
öffentlichung nicht zum Abdruck gebracht werden.
Das Ziel der Arbeit ist zunächst eine systematische Darstellung der
vorkommenden Formen. Auf annähernde Vollständigkeit wurde des-
halb Bedacht genommen, weil den Bearbeitern angrenzender Gebiete
zuverlässige Vergleichsmöglichkeiten geboten werden sollen. Wo irgend-
wie möglich, wurde jedoch nicht rein statistisch vorgegangen, sondern
die historische Abfolge ev. auch mit Datierung herausgestellt. Auf diese
Weise werden feste Punkte für die Entwicklungslinie geschaffen, die
schließlich nach der systematischen Darstellung aller in Frage stehen-
den Gebiete gefunden werden soll. An mehreren Stellen wird auf die
Stellung der lokalen Entwicklung zur (bisher bekannten) Gesamt-
entwicklung Bezug genommen.
Auf die Herkunft der einzelnen Stilelemente wird entgegen der
ursprünglichen Absicht nicht öfters eingegangen, um die Arbeit nicht
mit Hypothesen zu belasten, die nur in zufälligen Einzelerscheinungen
ihre schwache Stütze hätten. Erst nach Kenntnis des Gesamtwerkes der
altbayerischen Spätgotik wird man an dieses Problem herangehen
können, wobei allerdings Voraussetzung ist, daß die vermutlichen
Ursprungsländer der Formelemente ebenfalls genauer erforscht sind
als gegenwärtig.
Das zweite Ziel ist der Versuch einer Gruppierung der Bauten.
Dabei wurde neben den Proportionen den Wölbungssystemen mit Vor-
bedacht eine große Beachtung geschenkt, da das baukünstlerische Bei-
werk — wie auch Buchowiecki letzthin wieder festgestellt hat — im
15. Jahrhundert noch keine klare Entwicklung aufzeigt und also kein
Gruppierungsbehelf ist.
ERSTER TEIL
SYSTEMATISCHE BESCHREIBUNG DER TYPEN
DER INNENRAUM
Mit Absicht wird bei der Beschreibung der einzelnen Typen der
Bauten vom Raum ausgegangen. Denn die Raumtendenzen sind es, die
das spätgotische Wollen zum Ausdruck bringen. Das Endziel der
Spätgotik ist der gänzlich vereinheitlichte Raum. Um das Ergebnis der
Untersuchung gleich vorauszunehmen: das Endziel wurde im östlichen
Altbayern nirgends vollkommen erreicht, trotzdem der Weg nicht
mehr weit gewesen wäre. Der konservative Geist der Bevölkerung
mag daran die Schuld getragen haben, denn an Vorbildern hätte es
nicht gefehlt. In dieses eine Urteil ist aber nicht das andere eingeschlos-
sen, daß die Werke als künstlerische Leistung geringwertig seien. Im
Gegenteil: sie zeichnen sich durch eine nicht leicht wieder anzutreffende
Sicherheit in den Proportionen aus. Da nun der Innenraum eines
Baues nicht etwas aus sich und in sich selbst Bestehendes ist, sondern
durch die ihn begrenzenden Flächen und Körper eindeutig bestimmt
wird, ist es notwendig, deren Beschaffenheit und Proportionen zu
untersuchen.
I. RAUMBESTIMMENDE ELEMENTE
Neben den Grundriß- und Aufrißproportionen sind es einige all-
gemeine Elemente, die für den Raumeindruck verantwortlich sind.
Dazu sind zu rechnen: die Gewölbeform, die Figuration und die Wand-
gliederung. Sie seien zunächst besprochen.
2*
19
i. Die Gewölbe form
Am Anfang der Entwicklung steht das gotische Kreuztonnen-
gewölbe, wie es uns in der (basilikalen) hochgotischen Hl. Grabkirche
in Deggendorf noch erhalten ist. Es ist weniger durch seine technische
Konstruktion jochtrennend — trotz der meist verwendeten Gurtbogen
— als vielmehr durch seine Lichtwirkung, falls die Quertonnen über-
haupt infolge von Fenstern lichtführend sind. Die Quertonnen führen
das durch die Fenster eindringende Licht bis in die Mitte des Gewölbes
und betonen in grellen Lichtern gegenüber dunklen Schatten die Joche.
Die große Neuerung, zu der die Passauer um 1400 zuerst den
Mut fanden, war die Senkung der Scheitellinien der Quertonnen, wo-
durch die Längstonne einen ununterbrochenen Zusammenhang und
einen bedeutenden Zuwachs an Fläche gewann. Schon diese ersten Ton-
nengewölbe haben im Schnitt die Form einer Parabel. Von unten
gesehen gewähren sie aber den Eindruck einer Rundtonne. Wie weit
man mit der Senkung der Quertonne schließlich geht, zeigt das
Gewölbe von Oberdietfurt.
Die Längstonne entwickelt sich gegen Ende des Jahrhunderts in
doppelter, sich widersprechender Richtung. Bald wird sie so breit
gerundet, daß man von unten nahezu den Eindruck einer gedrückten
Rundbogentonne gewinnt, bald wird sie in der Scheitellinie geknickt,
so daß sie dem Auge stark verengt erscheint.
Beide Lösungen erfreuen sich einer weichen, „elastischen“ Beleuch-
tung, trotzdem die einem Fenster sich zuwendenden Quertonnenstücke
fühlbarer in die Längstonne einreißen als die einer geschlossenen Wand
sich zuwendenden. Die Stichkappen der Quertonnen verletzen eben die
Kontinuität der Längstonne nur mehr am äußeren Rand.
Neben der besprochenen Entwicklung läuft jedoch noch eine
andere, die der Rundtonne feindlich ist. Sie will den romanischen
Raumgedanken nicht vergessen und gibt deshalb den einzelnen Jochen
eine leicht kuppelige Wölbung. Da diese Busungen auf komplizierten
Figurationen konstruiert sind (auf der „geknickten Reihung“ und auf
der „Wechselbergerfiguration“), setzen sie ein außerordentliches tech-
nisches Können voraus. Es scheint, als ob Krumenauer Ahnherr dieser
Schöpfungen wäre, denn die Braunauer bedienen sich ihrer mit Vor-
liebe und sind gar nicht gewillt, ihre Errungenschaft dem spätgotischen
Fortschritt zu opfern. Noch um die Jahrhundertwende wird Aunham,
20
Bez. Griesbach, so gewölbt, allerdings schon so verflacht, daß es sich
nur mehr dem aufmerksamen Auge verrät, während vor den zoiger
Jahren der Eindruck noch ausgesprochen kuppelig ist (Triftern, Lang-
haus).
2. Die Gewölbefigurationen
Die Herrschaft der Kreuzrippen geht um 1440 endgültig zu Ende.
In diesem Jahre wurde die kleine Kirche in Neukirchen bei Arnstorf
geweiht und wohl sicher auch eingewölbt (Abb. 2). Während das drei-
jochige Langhaus noch in Kreuztonne gewölbt ist, tritt im Chor bereits
eine neue Figuration auf: durch den Kreuzungspunkt der Rippen wird
in der in der Längsrichtung und in der Querrichtung je eine Rippe
noi 5 iO/m
ABB. 2
NEUKIRCHEN BEI ARNSTORF
gelegt, wodurch ein achtstrahliger Stern entsteht. Schon Stethaimer
dürfte diese Figuration entworfen haben. (Hanfstängl spricht zwar in
seiner Stethaimermonographie die Vermutung aus, von Stethaimer
stamme kein einziges Gewölbe, aber für Neuötting-Chor und Wasser-
burg-Langhaus sprechen die Archivalien eher gegen als für diese Ver-
mutung und gerade da treffen wir den achtstrahligen Stern.)
Schon vor 1440 halten die typisch spätgotischen Figurationen
ihren Einzug in Altbayern. Ihr Kompositionselement ist nicht die Dia-
gonalrippe, sondern die Raute.
Es wird hier der Versuch unternommen, die in unserer Gegend
vorkommenden Figurationen nicht nur aufzuzählen, sondern sie auch
genetisch zu erklären. Für einige wird auch ein Name in Vorschlag
gebracht.
Die Rautensterngewölbe. Type I. „Vierteiliger Rautenstern<c
(Abb. 3) Es handelt sich hierbei um Rauten, die
einen Stern bilden, nicht wie bei der Figuration
in Neukirchen um Strahlen (-rippen). Die Rau-
tensternfigurationen sind nur zwei. Das kann
nicht Wunder nehmen; denn das Sternschema
lebt von der Eigenständigkeit der Joche, die zu
überwinden, das unablässige Bestreben der Spät-
gotik war.
Die Entstehungsart dieses Typs ist folgende: Da Längstonne und
Quertonnen nicht mehr die gleiche Scheitelhöhe haben, stößt die tiefer
liegende Quertonne, die übrigens in der ersten Zeit sehr spitz gestaltet
wird, nur mehr Stichkappen aus der Längstonne, deren Grate sich
nicht mehr berühren. Die Ecken der (a) Spitzkappen werden durch
eine Rippe verbunden, durch den Jochmittelpunkt wird parallel zu den
Stichkappengraten ein Rippenpaar gezogen (b) und bis zur Gurtrippe
fortgeführt (c). Das Ergebnis sind vier Rauten, die sich sternartig um
einen Mittelpunkt lagern.
22
Der Typ I begegnet uns zum ersten Male in dem kleinen Chor der
Herrenkapelle in Passau, der 1414 vollendet wurde.
Ende des Jahrhunderts und noch im 16. Jahrhundert ist dieser
Typ die Dutzendware der unbegabten Meister, die sich nicht scheuen,
in nahezu der Hälfte der Fälle zwischen die Joche Gurtrippen ein-
zuziehen, um die schon die durch Figuration begünstigte Jochtrennung
noch zu unterstreichen.
Typ. II „Sechsteiliger Rautenstern”
(Abb. 4) Er ist ein Abkömmling des
ersten. Auch er betont als Sternfiguration
selbstverständlich das Joch. Aber zwei
Momente wirken jochverbindend: erstens
verschwindet die Gurtrippe vollständig,
indem sie unter entsprechender Abfla-
chung des Grates durch zwei ungleich-
seitige Rauten ersetzt wird (AA), zwei-
tens wird der Winkel <?, den die Paral-
lelrichtung zu den Stichkappen ergab, bedeutend zugespitzt, wodurch
sich in einer fortlaufenden Rautenkette an der Scheitellinie wenigstens
der Ansatz zu einer Längsverbindung ergab.
Am Wiener Stephansdom wurde der sechsteilige Rautenstern in
kleinen Gewölbefeldern im Westbau angebracht. Dies dürfte vor 1430
geschehen sein. Andere Daten sind: Wonneberg, Bez. Laufen 1424,
Heiligkreuz bei Traunstein 1434, Eggenfelden, Kapelle am nördlichen
Seitenschiff um 1460.
Weil die Sternfigurationen der spätgotischen Baugesinnung wenig
konform sind, erfuhren sie im Gegensatz zu den Rautennetzfigura-
tionen keine weitere Ausgestaltung. Die Rautennetzfigurationen sind
nämlich überraschend vielgestaltig. Trotzdem herrscht in ihnen durch-
aus keine blinde Willkür, sondern ein verblüffend folgerichtiger
Gestaltungswille, der allmählich im Laufe eines halben Jahrhunderts
folgende Typen geschaffen hat.
23
1
Rautennetzfigurationen. Typ III
Im Mittelpunkt des „Typ“ liegt kein Rippenschnittpunkt, sondern
eine Raute ist um ihn gezogen. Ihre Ecken berühren die Spitzen der
Stichkappen und die Gurtrippen.
(Abb. 5) Dieser Typ ist die bescheidenste
Form der Netzfiguration und infolge der
Gurtrippe und einem weiteren Querrip-
penstück von stark retardierendem Cha-
rakter. Nachdem aber die große Raute
zwei Joche umspannt und die benachbar-
ten in sie übergreifen, tritt eine merkliche
Verkettung des Gewölbes ein. Das mag
der Grund dafür sein, daß man sich auch
im 16. Jahrhundert dieses Typs nicht schämte (Postmünster-Chor um
1500 und Obergrasensee um 1540?). Die ersten Beispiele scheinen in
Oberteisendorf, Bez. Laufen (1429) und in Sankt Achatz-Hals, Bez.
Passau (später verändert) erhalten zu sein.
Die Aufgabe, die störende Gurtrippe zu durchbrechen, wenn auch
nur an einer kurzen Strecke, und so in das nächstfolgende Joch vor-
zustoßen, übernahm die
Typ. IV. „Zweiparallelrippenfiguration“
(Abb. 6) Wird nämlich die Quertonne
etwas höher gelegt, dann stechen die
Stichkappen tiefer in die Längstonne.
Die zwischen den Spitzen der Stich-
kappen liegenden Rauten werden klei-
ner, berühren nicht mehr die Gurt-
linie und geben so zwischen sich einer
weiteren Raute Platz. Da bei dieser
Figuration je zwei Rippen parallel
laufen, sei sie „Zweiparallelrippenfiguration“ bezeichnet. Die Figura-
tion vereinheitlicht wohl den Raum, aber sie ist etwas nüchtern und
die ausnahmslos queroblongen Rauten lassen in die Gewölbefelder
keine Bewegung kommen.
Das 2. Drittel des 15. Jahrhunderts bringt die Figuration in unsere
Gegend (Truchtlaching, Bez. Traunstein 1432).
Noch um die Jahrhundertwende schmückt sie in der Vilsgegend
einige Bauten. Der Typ IV ist die Vorstufe einer Figuration, die als
eine der Endstufen in der Entwicklung der spätgotischen Figurationen
angesehen werden darf: der „Dreiparallelrippenfiguration“.
Typ V. ,,Dreiparallelrippenfiguration£'
(Abb. 7) Werden innerhalb eines Jo-
ches nicht nur je zwei, sondern je drei
Rippen parallel geführt, dann ergibt
sieh eine solch verwirrende Fülle von
sich überschneidenden Schrägrippen
und eine solche Fülle von kleinen Rau-
ten, daß das Auge die Einzelheiten
verliert und den Eindruck einer mäch-
tigen Bewegung über alle Joche hin gewinnt. Die vollständige Ver-
einheitlichung der Gewölbezone ist erreicht. Um 1430 wölbt Konrad
Pürkhel von Burghausen das Mittelschiff von Seeon in „Dreiparallel-
rippenfiguration“. Aber nur im Traunsteiner Bezirk findet er ver-
einzelt Nachahmer; in Niederbayern bemächtigen sich ihrer mit
sicherem Instinkt die Landshuter.
Dem Typ IV nicht unähnlich ist eine andere Figuration, die mit
Erfolg den Versuch aufnimmt, den starren, geometrischen Eindruck,
den die Zweiparallelrippenfiguration macht, zu mildern und die Joch-
grenzen, die bei Typ IV immer noch durch Gurtrippenreste markiert
sind, weiter zu verwischen.
Es ist dies der Typ VII. „Geknickte Reihung“.
Die Rippen müssen infolge der stumpferen Stichkappenwinkel
geknickt werden; dadurch nähert sich die je zwei Joche umfassende
Linienführung einem Kreis und die Kreise sind wie die Glieder einer
Kette ineinandergehängt. Pückler-Limburg hat für diese Figuration
den treffenden Namen „Geknickte Reihung“ vorgeschlagen.
25
ABB, 8 u. 9
GEKNICKTE
REIHUNG
Die „geknickte Reihung“ kam wohl aus Wien zu uns. Die 1433
schon vollendete Seitenschiffwölbung des Stephansdomes (siehe Grund-
riß bei Dehio, Geschichte d. d. K. Bd. II, Seite 58) stammt vielleicht
von Krumenauer. Triftern-Langhaus und Unterdietfurt-Mittelschiff
wurden vielleicht kurz vor Krumenauers Tod (1461) eingewölbt.
Eine Abart der „geknickten Reihung“ entstand um die Jahrhun-
dertwende dadurch, daß zwischen die großen Rauten in der Scheitel-
höhe statt einer zwei kleine Rauten eingezeichnet wurden. (Abb. 9).
Im wesentlichen bleibt der Eindruck der gleiche wie beim einfacheren
Typ.
Eine Reihe weiterer Figurationstypen entstand dadurch, daß ver-
sucht wurde, die alten Sternfigurationen durch Einziehung von Rauten
zu verjüngen. Wenn auch die Erkenntnis, daß Rauten sehr geeignete
Mittel zur Verkettung der Gewölbefelder seien, richtig ist, so waren
doch die Erfolge dieser „Verjüngung“ nicht gerade gut. Denn
diese Typen haben nicht die Klarheit und Wüchsigkeit der oben
Besprochenen.
Typ VIII. „Wechselberger Figuration“
(Abb. 10) Wird der Schnittpunkt der Rip-
pen in der Figuration dss Types II heraus-
genommen und wird an seine Stelle eine
kleine Raute gesetzt, dann ergibt sich der
Typ, den Hans Wechselberger vor 1477 in
Heiligkreuz bei Burghausen verwendet hat.
Da Wechselberger der einzige ist, dem die
Figuration auf Grund ardiivalischer Nach-
2 6
richten zugeeignet werden kann, sei sie im Folgenden mit seinem
Namen bezeichnet, wodurch natürlich nicht gesagt sein soll, daß
Wechselberger die Figuration erdacht oder ausschließlich angewendet
habe.
Typ IX.
(Abb. n) Wird bei Typ II der Stern,
in dem sich die Rippen schneiden, wie-
der durch eine kleine rechtwinklige
Raute ersetzt und werden die vom
Mittelpunkt abgedrängten Rauten der
neueingesetzten in der Form angepaßt,
dann ist das Resultat eine hübsche
aber seltene Figuration (nur in Ehol-
fing, Bez. Passau).
Dem Typ II entstammt auch noch eine andere Lösung, nämlich
Typ X.
(Abb. 12) Bei diesem Typ ist ebenfalls in den
Jochmittelpunkt eine Raute gelegt und um die-
selbe sind vier ganz unregelmäßige Rauten
herumgelegt, ähnlich wie bei der Wechselber-
ger Figuration. Aber an der (unmarkierten)
Gurtlinie wird zum Zwecke der Jochverbin-
dung noch eine Raute eingeschoben. (Aigen,
Pfarrk.) Dieser Typ unterscheidet sich nur
durch die Unregelmäßigkeit der Rauten vom
Typ XI.
In demselben sind alle Rauten gleichseitig oder — was auf das
Gleiche hinauskommt — alle den Scheitelpunkt überquerenden Rippen
parallelisiert. Ein anderer Endpunkt der Entwicklung ist erreicht.
Auch die Dreiparallelrippenfiguration wurde ein Endpunkt
genannt. Eine breite und mächtige Bewegung zieht durch den Gewölbe-
raum. Bei Typ XI ist die Bewegung nicht so breit, die Einheitlichkeit
nicht ganz so groß. Aber die Bewegung ist durch ein wohlberechnetes
Mittel an Heftigkeit gesteigert: die kleinen Rauten sind nämlich
27
ABB. 13 „FLIESSENDE RAUTEN
längsoblong gedrückt und schießen wie
Pfeilspitzen durch den Raum. Die von der
Gewölbestütze ausstrahlenden vier Rippen
wirken wie eine Uferböschung am reißen-
den Fluß.
In Frauenchiemsee hat Hans Stauffer von Landshut im Jahre 1476
das Langhaus mit dem „fließenden Rautenmuster£< gewölbt. Dem ging
aber die gleiche Wölbung von Michelsbach, Bez. Vilsbiburg, schon vor-
aus (1466). In Ostbayern besitzt Hofkirchen a. D. eine kleine Variante
dieser Figuration.
95% aller vorkommenden Figurationen sind durch die vor-
stehende Typisierung erfaßt. Der kleine Rest besteht zum Teil aus
eigenwilligen Leistungen bedeutenderer Meister, zum andern Teil aus
willkürlichen Konstruktionen eigensinniger Epigonen. Auf sie wird
im zweiten Teil bei der „Gruppierung der Bauten“ eingegangen
werden.
j. Die Rippe
Für den Eindruck eines Gewölbes ist die Art der Rippenbildung
einigermaßen mitbestimmend, weniger allerdings das Profil der Rippe
als deren Stärke.
Die früh- und auch die hochgotische Rippe ist derb und wulstig
und wühlt das Gewölbe stürmisch auf. Je mehr nun die weiche, flache
Gewölberundung das Ideal wird, desto schmäler und kleiner werden
die Rippen geschnitten.
Im 15. Jahrhundert bewegen sich die Maße für die Breite zwischen
9 und 16 cm, für die Höhe zwischen 15 und 28 cm. Im 16. Jahrhundert
wird die Grenze gelegentlich unterschritten. Jedoch ist der Eindruck
solcher Rippen fad und kraftlos. Man glaubt ihnen (mit Recht) nicht
mehr, daß sie noch Mitträger der Gewölbespannung seien. Faktisch
sind sie es auch nicht mehr, denn sie sind lediglich aufgeklebt. Dazu
tritt die Tücke des Materials. Waren die Rippen des 15. Jahrhunderts
28
restlos aus Naturstein (Tuff!) oder Ziegelformstein, so sind die kraft-
losen Spätlinge aus Gips oder gar Holz. Das minderwertige Material
verrät sich und rächt sich am Gesamteindruck, weil jedes Material seine
ihm eigenen Formgesetze hat.
Da die kleinen Profilunterschiede der Rippen für den Raumeindruck
bedeutungslos sind, genügt die Aufzählung der einzelnen Rippen-
profile. Dies um so mehr als sich keine klare Entwicklung in der Aus-
wahl der Profile feststellen lies. Wohl werden in den ersten beiden
Dritteln des Jahrhunderts birnstabförmige Profilierungen bevorzugt
und späterhin einfache oder doppelte Kehlungen, aber es finden sich
in den einzelnen Jahrzehnten alle Maße und Profile.
Alle Rippen sind aus einem stehenden Rechteck gearbeitet, von
dem das der Mauer anliegende Drittel unberührt bleibt, während die
übrigen zwei Drittel in folgenden Arten profiliert werden:
a) Rundstab mit Blättchenvorlage, z. B. Neukirchen b. A. 1440;
b) Birnstabprofil, z. B: Hofkirchen 1490;
c) Einfache Kehlung, z. B. Karpfham 1470;
d) Doppelte Kehlung, z. B. Walchsing 1475;
e) Kehlung mit zweiseitiger Vorlage, z. B. Frontenhausen;
f) Kehlung mit dreiseitiger Vorlage, z. B. Hainberg um 1450.
4. Die Wandgliederung
Die Bezeichnung Wandgliederung ist eine sehr äußerliche. Es han-
delt sich bei dem Problem, das damit bezeichnet wird, um mehr als um
die Gliederung der Wand. Der durch die Seitenwände umfaßte Raum
soll mit dem Gewölberaum verschmolzen werden. Das Problem war
schon in der Hochgotik befriedigend gelöst: die Rippen, die als Dienste
vom Boden aufstiegen, klammerten beide Räume zusammen. Mit der
in der Spätgotik gegebenen Komplizierung der Rippensysteme einer-
seits und dem Bestreben, die Wand möglichst zu schließen, andererseits
verlangte jedoch das Problem nach einer neuen Lösung.
Die erste der beiden Lösungen ist vollkommen unbefriedigend.
Es wurde nämlich einfach in den wandmäßig geschlossenen Aufbau das
Gewölbe auf Konsolen eingehängt. Ein weicher, raffiniert gegliederter
Gewölberaum steht einem starren, flächigen und mürrischen Wand-
raum gegenüber. Ein schreiender Gegensatz an Stelle einer Verschmel-
zung! Bis zur Jahrhundertmitte findet sich diese Lösung sogar häufig
und noch bis zum Ende des Jahrhunderts greift man vereinzelt darauf
zurück. (Bez. Griesbach: Aunham, Weng, Rotthof, Griesbach-Sankt
Michael.) Siehe Abb. 2.
Die zweite Lösung ist sympathischer.
Die Gewölberippen werden auf Dienste gesetzt, die vom Boden
auf steigen. Die 3, 4 oder 5 Rippen, die — je nach der Figuration —
an einer Jochgrenze Zusammentreffen, bohren sich in gleicher Höhe in
den Körper des Dienstes und verschmelzen unmerklich mit ihm.
Für die Wirkung ist es gleichgültig, ob die Dienste halbrund oder
(wie am häufigsten) halboktogonal sind.
Die Verschmelzung der Dienste mit den Rippen wäre ideal zu
nennen, wenn sie nicht nachträglich dadurch wieder paralysiert würde,
daß in das obere Dienststück eine trennende Kapitellzone eingelegt
wurde.
Bedeuteten auch die Dienste einen Fortschritt in der Vereinheit-
lichung des Raumes, so waren sie doch infolge ihres geringen Volumens
(kaum 20 cm Durchmesser) für die ihnen zugedachte Funktion zu
schwach.
Erst die eingezogenen Strebepfeiler, die sog. Wandpfeiler, besaßen
die erforderliche Kraft.
Der Wandpfeiler wurde, soweit sich nach den vorhandenen Resten
die Lage überblicken läßt, zum erstenmal in Eggenfelden eingezogen
und zwar im Chor. Der Chor dürfte allerdings erst nach der Ein-
weihung (1444) vollendet worden sein. Möglicherweise kann aber auch
der Krumenauerbau in Braunau (Stadtpfarrkirche), dessen Grundstein
1439 gelegt wurde, die Priorität beanspruchen. Eine genaue Unter-
suchung ergab, daß bereits von der Mitte des Jahrhunderts ab der
Wandpfeiler sehr häufig im gesamten Ostbayern Verwendung findet.
Ein Großteil der Baumeister empfand die künstlerische Bedeutung
desselben, wenn auch mindestens ein ebenso großer Teil ihn ablehnte.
30
Der Wandpfeiler war anfänglich nicht tief eingezogen, sodaß seine
Breite die Tiefe um das 3fache übertraf. Niemals wird — was in der
Spätgotik auch gar nicht anders zu erwarten ist — der Wandpfeiler
mit eckiger Kante belassen. Er wird abgefast und im letzten Viertel des
Jahrhunderts auch gekehlt. Daneben steht noch eine sonderbare Art der
Kantenbehandlung, die seit Eggenfelden ausgedehnte Nachahmung
findet: jede Kante erhält einen Rundstab, der zwischen Kehlen ein-
gebettet wird. Dieses bei Portalgewänden und Fensterleibungen oft
verwendete dekorative Motiv würde man im Innenbau nicht suchen,
am wenigsten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, das die
Körper möglichst zu schließen sucht und alle Verzahnung von Raum
und Körper verhindern möchte — ganz im Gegensatz zur Hochgotik,
die dem Raum gerne gestattet, sich in die Kehlen der Pfeiler hineinzu-
fressen, daß man beide nicht auseinanderreißen könne „ohne daß Blut
flösse“ (Wölflin).
Dem Wandpfeiler werden zur Aufnahme der Rippen regelmäßig
Dienste vorgelegt. Nur wenige Ausnahmen konnten festgestellt werden:
Wolfakirchen, Berg, Kirchberg. Alle drei sind im Bez. Griesbach gelegen
und wohl vom gleichen (Landshuter) Meister gebaut. Auch der dem
Landshuter Kreis angehörige Chor von Vilsbiburg und die Rundkirche
von Hausbach, Bez. Vilshofen, haben lediglich Konsolen (Abb. 25).
Nur selten werden Dienste mit fünf Achteckseiten vorgelegt: in
Obertrennbach (1500), Aigen-St. Leonhard (1460), Kirn (1468).
Die Regel bildet der Halbrunddienst.
Um 1500 werden die Wandpfeiler gelegentlich sehr tief eingezogen
(z. B. Neukirchen i. Inn. Abb. 15).
Es ergeben sich sonach folgende Typen der Wandgliederung:
a) Halbrunddienst auf der Wand (Abb. 39),
b) Dienst mit fünf Achteckseiten auf der Wand,
c) Halbrunddienst auf gefaster Strebe (Abb. 53),
d) Oktogondienst auf gefaster Strebe,
e) Halbrunddienst auf gekehlter Strebe (Abb. 63),
f) Oktogondienst auf gekehlter Strebe (Abb. 70),
g) Halbrunddienst auf Strebe mit Kehlen und Rundstäben (Abb. 47),
h) Runddienst auf gekehlter und gefaster Strebe (nur in Gergweis und
in Walchsing) (Abb. 50 u. Abb. 54).
31
Kapitelle und Konsolen
Die Formen der Kapitelle und Konsolen sind sehr mannigfaltig.
An Fiunderten von Bauten sind kaum zwei zu treffen, die vollständig
gleich wären.
a) Kopfkapitelle und -Konsolen.
Obwohl die Kopfkonsole schon in der romanischen Zeit bei uns
nicht unbekannt war, wie die Reste in St. Emmeran-Regensburg und in
Burgkirchen v. W. (Obb.) beweisen, dürfte die Ansicht Pinders, daß
der schwäbische Kunstkreis wie im übrigen so auch hier neu anregend
gewirkt habe, richtig sein (Pinder, Deutsche Plastik I. Bd., S. 147).
Sowohl die Landshuter als auch die Braunauer Schule baut Kopf-
konsolen ein. Daß der Typ mit einem von zwei Händen gehaltenen
Schriftband eine spezielle Landshuter Art sei — wie oft behauptet
wird —, ist nicht richtig. Die gleiche Art verwenden die Braunauer.
Allerdings sind in unserer Gegend die Kopfkapitelle nicht so
häufig wie im Landshuter Bereich. In Braunau haben sie die Pfarr-
kirche und die hl. Geistkirche. Im Bezirk Pfarrkirchen haben 4, im
Bezirk Eggenfelden 3 und im Bezirk Griesbach ebenfalls 3 Kirchen
Kopfkapitelle.
b) Profilierte Halbrund- und Halboktogonkapitelle.
Diese am meisten verwendeten Formen sind in der Regel in einige
Stäbe mit Plättchen und mehrere Kehlen gegliedert. Reichere Formen
mit konkav eingezogenen Seiten und reichen, ausladenden Profilen las-
sen sich suchen. (Abb. 39, 58, 63, 53, 70).
c) Neben den erwähnten Kapitellen finden sich ausnahmsweise auch
noch folgende:
Tierkopfkapitelle in Kirchdorf,
Fratzenkapitell in Aigen a. I. und Staudach,
Kapitelle mit Symbolen in Edenstetten (Sonne, Mond, Schwurhand,
Lamm Gottes, Pelikan),
Laubkapitelle in Neumarkt-St. Johann,
Bandkapitelle in Griesbach-St. Michael,
Ringkapitelle in Obertrennbach,
Wulstkapitelle in Kellberg-Chor und Sulzbach Chor (beide vor 1450).
32
Alle diese Kapitelle haben in Altbayern zu dieser Zeit nur als
Raritäten eine Bedeutung, aber sie sind insofern interessant, als sie
beweisen, daß die Baumeister nicht nur bis zum Zaun gesehen haben,
sondern auch einen Blick in die Welt taten und Anregungen schöpften.
— Die Basen sind ausnahmslos sehr einfach profiliert (Abb. 63).
d) Konsolen
Von den Kopfkonsolen war schon im Zusammenhang mit den
Kopfkapitellen die Rede.
Die in Oberbayern sehr häufigen Schildkonsolen (noch im Bez.
Mühldorf 7!) sind in Ostbayern fast unbekannt. Nur in Neukirchen
bei Arnstorf (vor 1440) tauchen sie einmal auf. Die Schildform ist teils
spitz (wie im Münchener Gebiet bis 1430) teils rund (Abb. 2).
Die Herrschaft hat die zugespitzte Profilkonsole von der ein-
fachsten bis zur reichsten Profilierung (Abb. 68).
j. Die Westempore
Der Westwand wenden die Meister die wenigste künstlerische
Sorge zu. Ihre Funktion ist es, den Raum einfach abzuriegeln. Gilt
dies uneingeschränkt von der Außenseite, so steht es bei der Innenseite
der Westwand nicht viel besser. Bei 2/3 der Bauten ist sie eine fenster-
lose, nackte und ungegliederte Wand. Genauer gesagt: sie war es. Denn
man hat es nicht Jahrhunderte lang fertig gebracht, an dieser grauen
Wand vorbeizugehen, und hat deshalb in allen Fällen nachträglich
Emporen eingebaut. Wenn es die barocke Zeit, die ja auf die Aus-
gestaltung der Westwand ein großes Gewicht legte, nicht tat, dann tat
es das letzte Jahrhundert. Neben den künstlerischen Rücksichten haben
natürlich auch praktische Erwägungen den Bau von Westemporen
befürwortet. Die spätgotische Westempore, die in unserem Gebiet in
allen Fällen in Stein ausgeführt wurde, gab den Meistern Gelegenheit,
ihre reiche Erfindungsgabe auszunützen. Tatsächlich gleicht keine
Empore der anderen, trotzdem ein einheitliches Schema gewahrt wird.
Dieses Schema fordert: Die Empore muß langhausbreit (bei dreischif-
figen Kirchen mittelschiffbreit) sein. Sie muß unterwölbt sein. Der
überwölbte Raum öffnet sich in drei Arkadenbögen zum Kirchen-
raum. Über die Arkaden wird eine Brüstung aufgemauert.
3
33
ERTF7
Pfeiler im Portal i. d. Vorhalle Ansicht d.Vorhalle
ABB. 15 NEUKIRCHEN AM INN
Anfänglich waren die Emporenschauseiten noch sehr wandmäßig
ausgebildet. Die Arkaden sind aus der Wand geschnitten, die Ecken
abgefast, die Brüstung ohne Maßwerk. Besonders am Inn fällt diese
Form auf. Ein charakteristisches Beispiel hiefür ist N e u k i r ch e n
a. Inn (Abb. 15).
Auch die Emporen von Steinkirchen und G e r g w e i s
sind wandmäßig durchgebildet. Thaman von Braunau dürfte ihr Mei-
ster sein (Abb. 49 u. 50).
Bei dem vermutlich letzten Werk Thamans, bei der Empore in
Wolfakirchen, sind die Pfeiler nicht mehr aus der Wand geschnit-
ten sondern mehr säulenmäßig gerundet. Eigentümlich ist aber auch
diesem Werke der einfache spitze Bogen der Arkaden. Von Meister
Thaman könnte auch die Empore von W a 1 ch s i n g entworfen sein,
die allerdings einen reicher profilierten Arkadenbogen hat als Wolfa-
kirchen; zudem ist der Spitzbogen von einem Kielbogen umrahmt
(Abb. 54).
Die Empore von G e r g w e i s, das dem Dorfe Walchsing benach-
bart ist, gleicht wieder mehr der Empore von Neukirchen (Abb. 50).
Einen gewissen Fortschritt stellt die Empore von Höhenstadt
dar; denn die Brüstungswand wird mit einem großgemusterten, plasti-
schen Maßwerk belebt (Abb. 40).
Die wandmäßige Gestaltung der Emporenfront wirkt raum-
trennend. In das Langhaus ist eine Kleinarchitektur hineingestellt und
steht räumlich selbständig da. Die fortschreitende Spätgotik mit ihren
Raumvereinheitlichungstendenzen kann eine solche Lösung nicht dul-
den. Der Langhausraum durfte nicht wie durch eine Kaimauer gestaut
werden, sondern mußte unter die Empore eindringen dürfen.
Das Eindringen ermöglichte ihm die Säule.
In Reutern wird sie noch in geringer Höhe und schüchtern
angewendet. In E r i n g dringt der Raum schon intensiver ein; noch
bleibt jedoch die einfach profilierte Spitzbogenarkade. In der weiteren
Entwicklung wird die Säule immer dünner und höher. Der Arkaden-
bogen wird verschiedenartig geformt und reich profiliert. Der Spitz-
bogen wird von einem Kielbogen umrahmt wie in Grongörgen und
Neuötting oder der Rundbogen(!) wird von einem Kielbogen über-
spannt wie in Karpfham (Abb. 47) und Triftern.
Reine Kielbogenarkaden hat Trostberg.
3*
35
Eine sehr interessante Empore besitzt Erlach. Sie hat die übliche
Wandform der älteren Zeit, ist aber zweimal, und zwar in den Pfeiler-
linien, geknickt. Nur der schmälere Mittelteil läuft parallel zur West-
wand, die Seitenteile wenden sich jedoch etwas der Chorseite zu. Das
künstlerische Bedürfnis, der Westwand wie der Ostwand einen poly-
gonalen, elastischen Abschluß zu geben und das Gerade und Harte der
Westwand zu mildern, mag hiebei mitgesprochen haben. Leider wurde
auf dieser Linie nicht weitergefahren. Erst das Barock nahm den
Gedanken wieder auf.
Alle Emporen waren nur ein Joch tief. Wo sie heute tiefer sind
wie in Trostberg und Frauenchiemsee, handelt es sich um Anbauten.
Interessant ist auch, daß bei einem Teil der Emporen heute noch
die Altarmensa vorhanden ist, die seinerzeit bei allen Emporen ein-
gebaut wurde. Da bei den einschiffigen Kirchen keine Gelegenheit zur
Anbringung eines Nebenaltars bestand, wurde zu dieser sehr befrem-
denden Lösung gegriffen.
Über die Herkunft der Westempore ist noch kein klares Bild zu
gewännen.
Im Westen, in der Landshuter Gegend, ist sie sehr selten. Ebenso
in der Münchener Gegend. Sie scheint aus Süden, aus der Salzburger
Gegend, hier eingewandert zu sein. So sind im Bezirk Laufen 8, im
Bezirk Traunstein ca. io, im Bezirk Mühldorf ebenfalls ca. io. In
Ostbayern sind Westemporen im Bezirk Pfarrkirchen: in Dietersburg,
Ering, Erlach, Gambach, Obergrasensee, Postmünster, Prienbach und
Triftern;
im Bezirk Griesbach: Aigen-St. Leonhard, Berg, Grongörgen, Hart-
kirchen, Karpfham (Abb. 47), Kößlarn, Mittich, Oberindling, Pöcking,
Reutern, Rotthof, Wolfakirchen, St. Wolfgang;
im Bezirk Passau: Eholfing, Engertsham, Höhenstadt, Neukirchen
und Sulzbach;
im Bezirk Vilshofen: in Walchsing, Gergweis und Hofkirchen
(Abb. 70).
Mit dem Westemporenbau hat die altbayerische Spätgotik dem
zeitgemäßen Horizontalismus auch einen kleinen Tribut gezollt, wäh-
rend die fränkische Spätgotik nicht nur die Westwand sondern auch
die Seitenwände diesem Prinzip opferte. (Nürnberg-St. Lorenz, Am-
berg-St. Martin.)
36
Auch die malerische Wirkung der Westemporen liegt im Sinne der
Spätgotik: die weichen Schatten des überwölbten Raumes stehen im
wohltuenden Gegensatz zu hellen Lichtern der bunt gemalten Empo-
renbrüstung.
6. Die Lichtführung
Stethaimer hatte im Chor von Salzburg (Franziskanerkirche) ein
Meisterstück der Lichtführung geschaffen. Das helle, aber blendfreie
— weil indirekte — Licht hätte den Meistern eine Anregung sein kön-
nen, war es aber nicht; denn alle 3 Oktogonseiten haben in allen Fällen
Fenster. Da die erhaltenen Reste von Glasmalereien beweisen, daß
nur kleine Stücke der Fenster mit Malereien verziert waren, muß
die Wirkung der drei Fenster in Blickrichtung unangenehm gewesen
sein. Dies um so mehr, als die Fenster im Osten liegen und die Gottes-
dienste am Morgen abgehalten werden. Allerdings kann man sich heute
keine rechte Vorstellung mehr davon machen, da die barocken und neu-
gotischen Altarbauten meist alle drei Fenster verstellen.
Die Form der Fenster war ursprünglich (bis 1450) sehr schmal
und schloß oben in sehr spitzem Bogen ab („lanzettförmig“). Auch eine
der Chorseiten hat Fenster.
Als später nicht nur die Breite der Fenster zunahm, sondern auch
die ganzen Chöre gegenüber dem Langhaus bedeutend überhöht wur-
den, wuchs die Licht zuführende Wandzone, was sich natürlich zugun-
sten der Chorhelligkeit auswirkte.
Das Langhaus hat eine ausreichende, aber ruhigere Beleuchtung.
Die Fenster beginnen über dem unteren Drittel der Wandhöhe und
ziehen sich fast bis zum Schildbogenscheitel. Ihre Breite mißt ein Drittel
der Jochbreite.
II. DIE GRUNDRISSE
Am meisten hängt der Eindruck eines Raumes von der Gestaltung
und den Proportionen des Grundrisses und Aufrisses ab. Die spät-
gotischen Kirchen Altbayerns haben einschiffigen und dreischiffigen,
vereinzelt auch zweischiffigen und zentralen Grundriß.
37
i. Der einschiffige Grundriß
In der romanischen Epoche schloß sich an das saalmäßige, von
vier einfachen Wänden umfaßte Langhaus ein schmaler und niedriger
Chor an, der anscheinend quadratischen Grundriß hatte, wie der Chor
in Döttenberg bei Arnstorf vermuten läßt. Die Frühgotik brachte den
gewölbten Polygonchor.
Er fand solchen Anklang, daß die quadratischen Chöre fast restlos
durch ihn ersetzt wurden, während die Langhäuser viel länger in ihrer
ursprünglichen Form bestehen blieben.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurden die Ausmaße des Chores
beträchtlich vergrößert, aber nur Stethaimer entwickelte sie vorerst bis
zur vollen Langhaushöhe und -breite. Wie in anderen Lösungen fand
er auch hierin keine unmittelbare Nachahmer.
Auffallend stark eingezogen und niedrig sind die Chöre am unteren
Inn gegen Passau zu, in Neukirchen, Höhenstadt (Abb. 40), Engerts-
ham und Eholfing. Das liegt wohl daran, daß bei diesen Kirchen Chöre
und Langhäuser nicht aus der gleichen Zeit stammen dürften. Alle diese
Kirchen haben nämlich den typischen Passauer Chor aus der Mitte des
15. Jahrhunderts, von dem später noch die Rede sein wird. Als man
dann in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auch die Langhäuser neu
baute, beließ man die Chöre, trotzdem sie sich mit dem neuen Stil-
gefühl nicht vereinigen ließen.
Aus der Annahme zweier Bauperioden läßt sich auch die auffal-
lende Tatsache erklären, daß bei Engertsham und Höhenstadt die
Mittelachse des Chores mit der des Langhauses nicht zusammenfällt
sondern einen halben Meter auseinander liegt.
Die Wechselbergerbauten Münchham und Ering sind um 2 Mauer-
breiten eingezogen, aber schon langhaushoch. Sonst ist um 1470 der
Chor nur mehr um eine Mauerbreite schmäler als das Langhaus. Die
vorkommenden Abweichungen sind wohl aus Umbauten zu erklären.
Unter dem Einfluß der fortschrittlichen Landshuter wird schließ-
lich der Chor nur mehr um halbe Mauerbreite eingerückt. (Tauben-
bach u. a.)
Im Innern der Kirchen hat man allerdings den Eindruck, als ob
die Chöre mehr als Mauerbreite eingezogen wären, da ein wieder in
Mauerbreite vorgelegter Chorbogen die Raumzäsur vertieft.
38
Bis zur vollständig einheitlichen Mauerflucht von Langhaus und
Chor kommt es, abgesehen von einigen kleineren Bauten (z. B. Burg-
kapelle von Burghausen), in Ostbayern nicht im Gegensatz zu Lands-
hut, das aber auch nie auf den Chorbogen verzichtet. Der Chorbogen
wird übrigens mit großer Liebe behandelt. Die Bogenstücke werden
von der Kämpferhöhe ab sehr reich mit Kehlen und Rundstäben pro-
filiert, der untere Teil wird gefast. Dem die Raumgrenzen markieren-
den Chorbogen entspricht auf dem Boden eine zum Chor aufsteigende
Stufe.
Waren vor der Jahrhundertmitte die Chöre häufig niedriger als
das Langhaus, so wurde gegen Ende des Jahrhunderts oft der Chor
gegenüber dem Langhaus überhöht. Das hing damit zusammen, daß
um diese Zeit die einheitliche Dachform erreicht war und daß der
schmälere Chor in die Dachmasse tiefer bzw. höher „eindringen“
konnte als das breitere Langhaus. Der Einfluß auf die Helligkeit des
Chorraumes wurde schon erwähnt (Abb. 71).
Daß der Chor als Priesterraum mit dem Langhaus als Laienraum
nicht ganz verschmelzen dürfe, das war eine so eingewachsene Auffas-
sung, daß man sie der Spätgotik nicht opfern wollte. Sie kommt in
einer von Sighart (Mittelalterliche Kunst usw., Seite 127) veröffent-
lichten Chorinschrift (aus Oberbayern) zum Ausdruck:
Hic locus est proprius clero, sacrumque ministro;
Ordine qui sacer est, ingredietur eum;
Hinc cedat laicus, limen non panditur ipsi
Vestibulum trepidet tangere calce vaga.
Über die Chöre der Hallenkirchen wird unten die Rede sein.
Die aus zwei oder drei Jochen sich zusammensetzenden Chöre sind
mit 3 Seiten des regelmäßigen Achtecks geschlossen. Wenn nur 3 Seiten
als Abschluß genommen werden, ist der Abschluß mit Oktogonseiten
der günstigste. Er ist weich und elastisch. Der Schluß in Sechseckseiten
ist, da die Schrägseiten in beträchtlicher Verkürzung erscheinen, viel
härter. Trotzdem kommt er sporadisch vor (Tillykapelle in Altötting,
Neukirchen bei Arnstorf, Kühnham im Rottal, Vornbach). Auf weitere
Experimente haben sich die Ostbayern nicht eingelassen, abgesehen von
der bizarren Burghauser Burgkapelle, die in jeder Hinsicht eine insuläre
Erscheinung ist. Die Landshuter dagegen versuchen es mit 3 Siebeneck-
seiten in Oberganghofen, mit 3 Sechzehneckseiten in Rengersdorf und
Usterling u. a., mit Halbrundabschluß in Ebering (Bez. Erding).
39
ABB. 16
EGGENFELDEN
40
2. Die dreischifjige Hallenkirche
Wenn man die überragenden Schöpfungen Hans Stethaimers, die
in den ersten 3 Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts entstanden sind, mit
den etwa zwei Dutzend Hallenkirchen Ostbayerns vergleicht, die nur
wenige Jahrzehnte später gebaut wurden, so läßt sich ein bedeutender
Unterschied der Gestaltung feststellen. Der großartige Gedanke der
Herumführung der Seitenschiffe um den Chor wurde nur ein einziges
Mal wieder aufgegriffen. Die steilen, in die Höhe reißenden Propor-
tionen der Schiffe machen einer behäbigen Breite Platz.
a) Die Proportionen.
aa) Das Verhältnis von Mittels chiffbreite zui
Mittels chiffhöhe.
In Landshut:St. Martin verhält sich die Mittelschiffbreite zur
-höhe wie 1:23/4 (Stethaimerbau!)
In Eggenfelden, das 1444 vorläufig konsekriert wurde und, wenn
auch nicht vollendet, so doch in den Proportionen festgelegt war, nur
mehr wie 1:2 (Abb. 16).
In Keilberg, Bez. Passau, das ungefähr gleichzeitig mit Eggen-
felden entstand, verringert sich das Verhältnis auf 1:1,5.
Ähnliche Verhältnisse haben noch Staudach und Rotthalmünster.
(Auch die einschiffigen Kirchen haben nahezu ausnahmslos diese Pro-
portionen.) Abb. 41 u. 67.
Bei den letzten Bauten in Hallenform, in Oberdietfurt und schon
vorher in Unterdietfurt, ist das Verhältnis von 1:1 erreicht. Abb. 45
u. 68. Diese Zahlen verdienen um so mehr Beachtung, als in Obersachsen
das Verhältnis von 1:2 nur in Zwickau und Plauen unterschritten
wurde, während Annaberg und Pirna noch 1 \z aufweisen. Die west-
fälischen Hallenkirchen verwenden regelmäßig die Proportion 1:2.
Infolge der Reduktion der Aufwärtsbewegung würde eine drük-
kende Breite der Verhältnisse entstehen, wenn die Grundrißpropor-
tionen nicht einen Ausgleich schüfen.
bb) Verhältnis zwischen Jo ch länge und Joch breite
im Mittels chiff.
In Eggenfelden verhält sich in den Mittelschiffjochen die Länge
zur Breite wie 1:1,5, in allen übrigen Fällen aber wie 1:2. Das ergibt
4i
im Verhältnis zum breiten Raum eine rasche Pfeilerabfolge. Die steilen
Proportionen zwischen den Pfeilern retten den Vertikalismus. (Eggen-
felden, Abb. 17, Oberdietfurt, Abb. 68.)
cc) Verhältnis des Mittels chiffes zu den Seiten-
s ch i f f e n.
In Eggenfelden hat das Mittelschiff die doppelte Seitenschiff-
breite (Abb. 17), wie in Schwäbisch-Gmünd die hl. Kreuzkirche, wie in
Landshut St. Martin, in Straubing St. Jakob und in München die
Frauenkirche, wie auch die Hallenkirchen in Westfalen. Das gleiche
Verhältnis wahren auch alle übrigen Kirchen Ostbayerns mit Aus-
nahme von Staudach und Oberdietfurt. Bei diesen beiden — wie die
Gewölbe ausweisen — vom gleichen Meister geschaffenen Kirchen ver-
halten sich die rechten Seitenschiffe zum Mittelschiff wie 1:3 (Abb. 68
und Abb. 67). Dies ist deshalb besonders auffallend, weil die allgemeine
Entwicklung der Spätgotik in entgegengesetzter Richtung verläuft,
d. h. die Seitenschiffe immer mehr verbreitert. So verhält sich das
Seitenschiff zu Mittelschiff in Nürnberg-St. Lorenz, in Dinkelsbühl, in
Stuttgart-Stiftskirche und in Ingolstadt-Liebfrauen wie 1:1,5. Anna-
berg, Pirna, Schneeberg und Freiberg haben noch breitere Seitenschiffe,
bis endlich Zwickau das Verhältnis von 1:1 erreicht.
Der spätgotische Einraum ist auch in Altbayern erreicht wie in
Obersachsen, aber auf einem dem obersächsischen genau entgegengesetz-
ten Wege. Es ließe sich streiten, welche Lösung die künstlerisch wert-
vollere ist. Jedenfalls schließt sich der barocke Einraum an die alt-
bayerische Lösung an.
Es versteht sich von selbst, daß Räume wie in Oberdietfurt und
Staudach (Abb. 67) nahezu alle Longitudinalbewegung eingebüßt haben.
Der Langhausgrundriß ist breiter als lang.
dd) Verhältnis von Langhaus und Chor.
Nur eine einzige Kirche (die Stiftskirche in Altötting) führt die
Seitenschiffe um den Chorschluß herum (der Chor ist in 6 Zwölfecks-
seiten geschlossen), allerdings nur scheinbar. Konstruktiv werden alle
drei Schiffe bis zum Osten durchgeführt und der Abschluß über die
drei Schiffe wird gemeinsam gelegt. Nicht nur die Sargwände sondern
auch die Wölbung lassen das erkennen.
42
■ -rT
Alle anderen Chöre sind einschiffig und schließen in drei Achteck-
seiten.
Die Breite des Chores wird durch die Breite des Mittelschiffes
bestimmt. Nur in Eggenfelden (Abb. 17) und Kellberg (Abb. 39) ist
der Chor um Mauerstärke breiter als das Mittelschiff. Wären nicht die
übrigen Proportionen und die künstlerischen Qualitäten der beiden
Werke, an denen gleichzeitig gebaut wurde, so verschieden, wäre man
bei einer so auffälligen Einzelheit versucht, Abhängigkeit zu vermuten.
Auch die Höhe des Chores ist ungefähr durch die des Mittel-
schiffes bestimmt.
Trotz der gleichen Höhe und Breite von Chor und Mittelschiff
kommt es zu keiner vollständigen Verschmelzung der beiden; denn
abgesehen von den durch die Pfeiler deutlich sichtbaren, den Raum wie
eine Zange einzwängenden Seitenchiff-Ostwänden zerreißt ein Chor-
bogen in allen Fällen den einheitlichen Raumfluß zwischen Mittelschiff
und Chor. In Oberdietfurt zieht man unbegreiflicherweise den Chor-
bogen 1,70 m auf jeder Seite ein, so daß aller Organismus verloren geht.
b) Die Pfeilergestaltung
Stethaimer verwendet in seinen Bauten teils unregelmäßige Acht-
eckpfeiler, deren Längsseiten mit der Richtung des Schiffes parallel
laufen, teils Rundpfeiler. Den Rundpfeiler hat Stethaimer von den
Parlern mitgebracht.
Die Gewölbe von Eggenfelden ruhen auf Rundpfeilern. Die gleich-
zeitige Hallenkirche in Kellberg hat viereckige Pfeiler, denen auf jeder
Seite ein dreieckiger Dienst vorgelagert ist, so daß der Schnitt durch den
Pfeiler einen achteckigen Stern ergibt (Abb. 39).
Die nächstfolgenden Kirchen von Braunau und Rotthalmünster
verwenden den Achteckpfeiler, jedoch keinen säulenhaften, sondern
aus der Wand geschnittenen, von dem das Gleiche gilt, was oben von
den achteckigen Westemporenpfeilern gesagt wurde.
Den körperhaften Rundpfeiler finden wir erst wieder in Unter-
dietfurt, Staudach, Trostberg, Rechtmehring, Englberg. Alle diese Orte
liegen im Südwesten unseres Gebietes. In das Passauer Gebiet ist der
Rundpfeiler nicht vorgedrungen, denn dort herrscht seit der Herren-
kapelle (14. Jahrh., Abb. 18) unumschränkt der Oktogonpfeiler. Den-
44
45
selben haben im westlichen Gebiet nur Altötting-Stiftskirche und Ober-
dietfurt (aus der Wand geschnitten!). Der Achteckpfeiler mit konkaven
Seiten sowie die gewundenen Muster sind gänzlich unbekannt.
c) Die Gewölbe
Die reine Hallenkirche westfälischen Types ist in Altbayern nicht
unbekannt geblieben. Die Pfarrkirche in Laufen (14. Jhrh.) ist eine
Hallenkirche mit drei gleichhohen und gleichbreiten Schiffen. Das
Werk ist wohl von fremden Meistern unter Zisterzienser-Einfluß
gebaut worden. Auch die sog. Herrenkapelle in Passau (14. Jhrh.) hat
drei gleichhohe Schiffe (Abb. 18).
Das sind die ersten und letzten Beispiele von reinen Hallenkirchen
im östlichen Bayern.
Alle übrigen Hallenkirchen sind von der Art der sog. unreinen
Halle (treppenförmige Halle). Abb. 45, 67, 68.
In dieser schwäbischen Form der Hallenkirche ist immer noch ein
basilikales Moment latent: die Erhöhung des Mittelschiffes. Ursprüng-
lich finden sich noch beachtliche Reste der Obergadenwand. Allmählich
jedoch verfließen Scheidebogen und Schildbogen immer mehr, bis sie
endlich konform sind. So ist die Entwicklung unserer Hallenkirchen
charakterisiert durch das „Hineinwachsen“ der Arkadenbogen in die
Deckenzone.
In Eggenfelden erreicht der Arkadenbogen nur zwei Drittel der
Gesamthöhe. In dem gleichzeitigen Kellberg steigt er bis zu drei Viertel
der Jochhöhe empor. Rotthalmünster bedeutet nochmals einen Rück-
schritt und zwar einen, der über Eggenfelden zurückgeht. Der Arka-
denbogen erhebt sich nicht einmal bis zu zwei Drittel. Diese sonderbare
Erscheinung erklärt sich wohl durch die Annahme, daß Rotthalmünster
nicht als dreischiffige Halle ursprünglich geplant war, sondern daß erst
nachträglich die Seitenmauern einer einschiffigen Kirche durchbrochen
wurden. Dafür spricht auch der aus der Wand geschnittene Achteck-
pfeiler. Der Erweiterungsbau dürfte in den achtziger Jahren des
15. Jhrh. geschehen sein, da die Gewölbefiguration der eines Lands-
huters ähnelt, welcher um diese Zeit hier tätig war. — Die weiteren
Bauten in Ganacker, Winhöring, Braunau und Unterdietfurt holen
wieder auf, kommen aber über die drei Viertel wenig hinauf.
46
Staudach fällt sogar um 1480 noch einmal unter die zwei Drittel
zurück und das vom gleichen Meister gebaute Oberdietfurt ebenfalls.
(Staudach, Abb. 67.)
Um die gleiche Zeit aber haben die Meister von Rechtmehring
und, — wenn die Gewölbe wirklich ursprünglich sind — von Englberg
das Hallenproblem erfaßt und Scheidbogen und Schildbogen in eins
zusammengeschmolzen. Bei ihnen mag Jörg Perger, der Schöpfer der
Altöttinger Stiftskirche, Anregung geschöpft haben, wenn auch die
Stethaimerbauten einen noch größeren Einfluß auf sein Werk erken-
nen lassen.
Immerhin ist noch nicht die volle Einheitlichkeit der Mittelschiff-
und Seitenschiffgewölbe erreicht, denn der Scheidbogen bleibt. Wenn
er auch trotz seiner kräftigen Profilierung nicht mehr Zaun des Mittel-
schiffgewölbes ist, so bleibt er doch dessen Saum.
Erst ein Vierteljahrhundert später hat Obersachsen auch den
Scheidbogen überwunden.
d) Die Seitenschiffkapellen
Die Seitenschiffkapellen hat Stethaimer bis zu einem Drittel der
Seitenschiffhöhe zwischen die Strebepfeiler eingezogen. Auch der Meister
von Eggenfelden hat sich ihrer zur Raumerweiterung bedient. Das völlig
Neue aber an seiner Gestaltung ist, daß er die Kapellen zu zwei Drittel
der Seitenschiff höhe hinauf führt. (Abb. 19). Die Wirkung dieser Maß-
nahme war gewaltig. Die Zweistöckigkeit der Wand, die zusammen
mit einem über die Kapellenscheidbögen sich hinziehenden Fries dem
Vertikalismus der hohen und enggestellten Pfeiler einen wohltuen-
den Horizontalismus entgegenstellte, verschwand, und die vorher nur
„addierten“ Kleinräume öffneten sich, um am Gesamtraum teilzu-
nehmen. Ein einziges, langes Fenster erhellt das Joch. Gleichzeitig mit
Eggenfelden findet sich die gleiche Lösung an der Stadtpfarrkirche in
Braunau, deren Grundstein am 26. Oktober 1439 gelegt wurde und
deren Meister Stephan Krumenauer war. Wenn man also Sallinger
nicht als den Meister des Grund- und Aufrisses in Eggenfelden
annehmen will, wird man an einen Braunauer Meister denken dürfen.
e) Lichtführung,
Es versteht sich von selbst, daß die Seitenschiffe die meiste Hellig-
keit besitzen. Bis das Licht in das Mittelschiff vordringt, ist ihm alle
grelle Wirkung genommen. Nur mehr ein weiches, diffuses Licht erreicht
den Hauptraum. Den tief herabgezogenen Scheidbogen kommt für
diese ruhige und trotzdem kontrastierende Beleuchtung ein großes
Verdienst zu. Vielleicht ist dies der Grund, daß man sich in Altbayern
so schwer entschließen konnte, die Arkadenbögen bis zur Gewölbehöhe
zu steigern. Künstlerisch sind die Wandzwickel zwischen Scheid- und
Schildbögen unbefriedigend, aber ob die durch sie erzielte Lichtwirkung
nicht feierlicher und einem gottesdienstlichen Raum angemessener ist
als die künstlerisch wertvollere Lösung, das mag dahingestellt bleiben.
Ein Vergleich zwischen dem Eggenfeldener Bau und dem Altöttinger
läßt den weit profaneren Charakter des letzteren nicht übersehen.
j. Die zweischiffige Hallenkirche
Unter der Bezeichnung „zweischiffige Hallenkirche“ werden zweier-
lei Typen von Kirchen zusammengefaßt, die im Grunde doch recht ver-
schieden sind. Einmal werden darunter verstanden die Kirchen, die
durch eine Anzahl von Säulen, die in der Mittelachse stehen, in zwei
Schiffe zerteilt werden. Sodann werden mit dem gleichen Namen
bedacht die Kirchen mit einem Mittelpfeiler.
Gegen die Bezeichnung „zweischiffig“ läßt sich bei den letzteren
eine Anzahl von Bedenken Vorbringen.
Die „Kunstdenkmäler Oberbayerns“ vertreten die Theorie, daß
die Kirchen mit Mittelpfeiler aus einem gleichseitigen Sechseck kon-
struiert seien, dessen zwei östliche Ecken die Chorbogenpfeiler, dessen
zwei westliche Ecken die Emporenpfeiler und dessen südliche und
nördliche Ecken die Wandpfeiler markieren. (Kunstd. Obby. S. 1706.)
Guby stimmt dem zu und nimmt als Ausgangspunkt dieses Typs in
Altbayern die in den Jahren 1417 bis 1430 erbaute Spitalkirche von
Braunau an.
Dem widerspricht Pückler-Limpurg und legt das gleichseitige
Dreieck als geometrische Urform zugrunde. „Der Mittelpfeiler und die
beiden Pfeiler des Triumphbogens sind die Ecken eines gleichseitigen
4
49
Dreiecks, ebenso der Mittelpfeiler und die beiden Westpfeiler. Nun
ergeben der Mittelpfeiler und je einer der vier Punkte mit dem Punkte,
wo eine Senkrechte vom Mittelpfeiler die Nord- bzw. die Südwand
trifft, ebenfalls ein gleichseitiges Dreieck und diese sechs Dreiecke
zusammen ein Sechseck“. (Die Spätgotik usw., S. 7.)
(Abb. 20) Auch lehnt er die Spitalkirche
in Braunau als Ausgangspunkt ab und
entscheidet sich für Schnaitsee (1431).
Die Differenz der beiden Ansichten ist
gering; zudem kommen sie schließlich auf
das Gleiche hinaus. Was die Spitalkirche
von Braunau betrifft, so nimmt sie sich
tatsächlich als Ausgangspunkt der Mittel-
säulenkirchen sonderbar aus, denn sie hat
gar keinen Mittelpfeiler und hatte nie
einen. Die Kirche von Schnaitsee hatte
einen Mittelpfeiler; derselbe wurde aber
1664 entfernt, da „er den Blick zum
Altar behinderte“.
Betrachtet man das Problem der Kirchen mit Mittelsäule vom
raumkritischen Standpunkt aus, dann ist zu sagen: diese Räume haben
nichts „Schiffiges“ an sich. Der Begriff des Schiffes impliziert eine
Longitudinalbewegung; der Raum dieser Kirchen aber legt sich um den
Körper des Mittelpfeilers herum. Freilich ist die Zentrierung noch nicht
rein. Auf halbem Wege ist man stehen geblieben. Konsequent wäre es
gewesen, hätte man den Altar am Mittelpfeiler aufgestellt. Doch das
Empfinden, daß sich das heilige Geschehen nicht im Laienraum abspielen
dürfe, war zu stark, um eine derartige Lösung zu erlauben. So fügte
man dem Zentralraum einen Chor an und fing den ursprünglich rich-
tungslos gedachten Raum nachträglich wieder in eine Longitudinal-
bewegung ein.
Von der eben besprochenen Art ist bei uns nur mehr Obernbuch
erhalten. Dieses Werk scheint ein Derivat von Schnaitsee zu sein und
Pückler-Limpurg schreibt es mit guten Gründen der Pürkel-Schule zu.
Ein höchst merkwürdiger Bau ist die Kirche von Tettenweis. Die
Kirche ist in ihrer heutigen Gestalt abwechselnd zweischiffig und drei-
50
ABB. 2i TETTENWEIS
ABB. 22 TETTENWEIS
schiffig. Die Schiffzahl
wechselt je nach ein und
einhalb Jochen. (Auch
die Kirche in Schnaitsee
hatte die Pfeiler in iV2
Jochabständen!) Die
Kirche ist jedoch in
ihrer heutigen Erschei-
nung das Produkt eines
Anbaues. Ein Blick auf
den Grundriß (Abb. 21),
in dem die neuen Teile
schraffiert sind, zeigt,
daß die Kirche aus dem
Sechseck konstruiert ist
und wahrscheinlich eine
1V2 Joch tiefe West-
empore besaß. Die Joch-
länge zur Jochbreite
steht im Verhältnis von
114. Dem entspricht na-
türlich eine einzigartige,
rasche Abfolge von Stre-
bepfeilern im Außen-
bau. — Ausgesprochen
zweischiffig sind die
Kirchen von Aigen-St.
Leonhard und Heilig-
kreuz, Bez. Traunstein.
(Grundriß von Aigen-
St. Leonhard: Abb. 23.
Beide Werke bewei-
sen, daß man mit
dem Problem der zwei-
schiffigen Kirche nicht
recht fertig wurde. Die
Schwierigkeit bestand
in der Überführung der
beiden Schiffe in einen Chor, denn auf den Chor wollte man keines-
falls verzichten. Man entschloß sich in Aigen zu einem zweischiffigen,
zweijochigen Chor, der einen einheitlichen 3/8-Schluß über beide Schiffe
erhalten sollte. Aber noch vor Vollendung desselben änderte man den
Entschluß ab und setzte dem zweischiffigen Chor noch einen einschif-
figen Chor voraus, der in seiner Überhöhung und Helligkeit im
angenehmen Kontrast zu dem schweren und tief herabgezogenen Lang-
hausgewölbe steht. So entstand ein eingezogener, durch zwei Triumph-
bogen markierter Vorchor und ein abermals eingezogener einschiffiger
Hauptchor.
Ähnlich liegen die Chöre in Heiligkreuz. Der Vorchor, der iV2 Joche
umfaßt und von 2 gefasten Triumphbögen eingeleitet wird, wird durch
einen abermaligen Chorbogen in den stark eingezogenen Hauptchor
übergeführt.
Nur die hl. Geistspitalkirche in Passau führt den Raum ohne
Zwischenglied in den Hauptchor über.
Eine ursprünglich zweischiffige Anlage hatte die Johannisspital-
kirche in Passau. Sie ist die erste zweischiffige Lösung in Ostbayern,
ähnelt aber sehr den Profanräumen (14. Jahrh.). Heute ist sie drei-
schiffig. Der Chor fehlt (Abb. 24).
Daß der zweischiffige Grundriß, dessen Wiege in der profanen
Baukunst stand, in die kirchliche Architektur herübergenommen wurde,
bleibt unverständlich. Eine katholische Kirche, die einen vor Aller
Augen liegenden kultischen Mittelpunkt haben muß, verlangt bei
Längsräumen eine blickfreie Mittelachse. Eben diese Achse wird aber
von den Pfeilern verstellt. Die Blicke werden „in die Diagonalrichtung
gezwungen“ (Frankl). Das heilige Geschehen kann nicht unmittelbar
mit dem vor dem Volke stehenden Priester mitgewirkt werden, son-
dern kann nur mit suchendem Blick erhaschend geschaut werden.
Verwunderlich bleibt auch die verhältnismäßig große Verbreitung,
die die zweischiffigen Kirchen gefunden haben. Schon im 13. Jahr-
hundert bauen die Dominikaner in Frankreich zweischiffige Kirchen
(Jakobinerkirchen in Agen und Toulouse). Im südöstlichen deutschen
Raum treten sie seit dem 14. Jahrhundert auf: in Steiermark, Ober-
österreich, Niederösterreich, Südböhmen (z. B. Goyau) und Altbayern.
Aber auch im Nordwesten des deutschen Sprachgebietes sind sie nicht
unbekannt (s. H. Reiners, Kunstdenkmäler von Eupen und Malmedy).
54
4. Der zentrale Grundriß.
Schnitt
Unser Gebiet besitzt einen einzigen spätgotischen Rundbau: die
Kirche in Hausbach, Bez. Vilshofen. Die Ausmaße sind allerdings recht
bescheiden (14,70 m im Durchmesser). Die Mauer ist rund geführt. Auf
Konsolen, die an tief eingezogenen Wandpfeilern angebracht sind, ruht
ein achtteiliges Sternrippengewölbe, das von einem Mittelpfeiler gestützt
wird (Abb. 25).
Im Inventarisations-
werk ist die Vermutung
ausgesprochen, die Kir-
che könne auf älterem
Grundriß erbaut sein.
Doch fehlt hiefür ein
zwingender Grund. Der
Gedanke des Zentral-
baues beschäftigte da-
mals die Geister. Die
Kirchen mit Mittelpfei-
ler sind hiefür Beweis.
Freilich hat sonst keiner
eine solch kühne Lösung
gewagt wie der Meister
von Hausbach. Er dürf-
te übrigens — den Stil-
merkmalen zufolge —
in Landshut zu suchen
sein (siehe unten). Ob
der Altar ursprünglich
vor dem Mittelpfeiler
gestanden hat, läßt sich
nicht mehr feststellen.
Heute steht er in der
dem Turm gegenüber-
liegenden Nische. Für
den tatsächlichen Zen-
tralismus des Baues ist
natürlich der Standort des Altares am Mittelpfeiler sehr wesentlich.
ABB. 25
HAUSBACH
ABB. 26
HAUSBACH
57
§yi
ST. SALVATOR
58
Kein Zentralbau ist dagegen die Kirche in Passau-St. Salvator.
Weil sie dem flüchtigen Blick ihren Richtungssinn nicht verrät, wird sie
oft als Zentralbau bezeichnet. Aber der Bau ist ausgestattet mit Chor,
Langhaus und Westempore. Da jedoch das Langhaus und der okto-
gonale Chor ohne jede Markierung ineinander verfließen und außer-
dem insgesamt ungefähr so lang wie breit sind, wird die Longitudinal-
richtung unmerklich. Diese sonderbaren Proportionen wurden durch
den beschränkten Bauplatz bestimmt. Das Felsmassiv des Oberhaus-
Berges einerseits und das Flußbett der Ilz andererseits verhinderten
eine größere Längsausdehnung. — Die Strebepfeiler sind vollständig
eingezogen. Die so entstehenden tiefen Nischen sind durch eine Galerie
in zwei Stockwerke geteilt. Auf der Westseite übernimmt eine Empore
die Florizontalgliederung. Die Galerien sind in Altbayern etwas ganz
Unbekanntes, so daß man einen fremden Meister, wahrscheinlich einen
fränkischen, vermuten muß. Die Kirche wurde um 1480 gebaut. Zu
dieser Zeit zog der Passauer Dombau viele auswärtige Meister an;
möglicherweise wurde einem von diesen der Bau von St. Salvator
übertragen (Abb. 27).
DER AUSSENBAU
1. Die Komposition der Gebäudemassen
Drei Gebäudeorgane galt es zu einem Organismus zu verschmelzen:
den Chor, das Langhaus und den Turm.
Da die Anordnung von Chor und Langhaus natürlich festlag, so
vereinfachte sich das Problem — soweit es den Grundriß betraf — auf
die Anordnung des Turmes. Unter den sich bietenden Möglichkeiten
gewannen nur zwei eine Bedeutung: der Turm in der Mittelachse im
Westen oder seitlich vom Chor.
Der Westturm besaß den Vorzug der aus der romanischen Zeit
sich herleitenden Tradition und den künstlerischen Vorzug, daß er der
unfreundlichen, hausmäßigen Westwand eine Gliederung gab. Sein
künstlerischer Nachteil ist, daß er nur auf der einen Seite der Gebäude-
massen ohne jedes Gegengewicht aufragt, und so einen harten, irgend-
59
wie unbefriedigt lassenden Eindruck hervorbringt, den gleichen Ein-
druck, den wir haben, wenn wir ein rechtwinkeliges Dreieck auf einer
den rechten Winkel berührenden Seite stehen sehen. Freilich fällt solche
Wirkung nur bei freistehenden und in Quersicht stehenden Bauten ins
Gewicht.
Befriedigender ist die Turmanordnung seitlich des Chores. Die
Verteilung der Baumassen ist ausgeglichener. Sie ähnelt dem Eindruck
eines annähernd gleichschenkligen Dreiecks, das auch Maler und Bild-
hauer ihren Gruppierungen gerne zugrunde legen. Zugleich hat die
seitliche Anordnung des Turmes den Vorteil, daß eine recht lästige
ABB. 28
UNTERDIETFURT
60
Nebenarchitektur eingespart wird, die Sakristei, da das Turmunter-
geschoß Raum hiefür bietet.
In der Passauer Gegend ist der Turm an der südlichen oder auch
nördlichen Chorseite die Regel, z. B. Neukirchen, Engertsham, Sulz-
bach, Würding, Mittich, Karpfham. Trotzdem in Braunau selbst der
Turm am Chore steht, haben anscheinend die Braunauer Meister in der
Regel Westtürme gebaut. Immerhin finden sich auch in der Passauer
Gegend Westtürme, z. B. Keilberg und Höhenstadt.
Wie die Passauer so bevorzugen auch die Landshuter den Chor-
turm. Im Landshuter Bezirk haben ihn 30 Kirchen, dagegen nur 7 den
Westturm. Im Bezirk Ebersberg sind ausnahmslos Chortürme. Selbst
im Bezirk Wasserburg überwiegt noch der Chorturm. Dagegen sind im
Bezirk Laufen (25:2) und Mühldorf die Westtürme in der Überzahl.
Es scheint also, daß der seit der Jahrhundertmitte sehr häufig anzutref-
fende Westturm von südlichen Bezirken übernommen wurde. Die Burg-
hauser scheinen sich besonders für ihn eingesetzt zu haben.
Für die Aufrißkomposition spielte die Dachgestaltung eine wich-
tige Rolle. Die Proportionen des Daches sind ungewöhnlich steil. Im
allgemeinen ist die Firsthöhe gleich der doppelten Langhausmauerhöhe.
Vor der Mitte des Jahrhunderts waren Chorfirst und Langhaus-
first nicht in gleicher Höhe. Eine sehr unschöne Giebelmausr kletterte
vom Chordach zum Langhausdach empor. Später wächst der Chorfirst
zum Langhausfirst empor und ermöglicht damit das kolossale einheit-
liche Dach der Spätgotik. Allerdings bleiben gelegentlich noch Reste der
Stirnwand (Abb. 28). Im Osten schließt das Dach den Chorseiten
entsprechend polygonal.
Die Nebenarchitekturen waren den Spätgotikern deshalb sehr
unerwünscht, weil sie die leidenschaftlich erstrebte Einheitlichkeit und
kubische Geschlossenheit zu zerstören drohten. Aber bei den Bauten
mit Westturm war ein Sakristeianbau nicht zu umgehen. (Das mag mit
ein Grund gewesen sein, warum die stilsicheren Landshuter den West-
turm vermieden.) War also eine Sakristei anzufügen, so half man sich
nicht ungeschickt dadurch, daß man das Chordach im unveränderten
Neigungswinkel bis über den Sakristeibau herunterzog.
Was der Sakristei noch glückte — unter die einheitliche Baumasse
unterzuschlüpfen — blieb der Vorhallenarchitektur meist versagt. So
erfreulich die Schöpfungen dieser Kleinarchitekturen an sich sind, so
61
unerfreulich „angeklebt“ erscheinen sie meist bei der Betrachtung der
Gesamtkomposition. Immerhin trifft man auch bei Vorhallenanbauten
gelegentlich günstige Anordnungen z. B. in Münchham.
2. Die Vertikalgliederung (Das Strebewerk.)
Als die Gotik hier einzog, brachte sie den ungegliederten recht-
eckigen Strebepfeiler mit abgeschrägter Abdecke mit. Dieser Art sind
die Streben in Hölzlberg bei Birnbach (geweiht 1287), in Neuburg a. D.
(14. Jhrh.) u. a. Da bei den Chören (vor allem bei kleinen Bauten) der
Strebepfeiler durchaus kein konstruktives Bedürfnis ist, haben eine
Anzahl von Chören aus den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts
keine Streben, z. B. Eholfing (vor 1448) und Göpping (vor 1450).
Einen Fortschritt gegenüber dem plumpen und ungegliederten Pfeiler
bedeutete es, wenn schon im 14. Jahrhundert bei etwas größeren Bauten
die Streben ein oder mehrere Male abgesetzt, d. h. stockwerkweise ver-
jüngt wurden. Einmal abgesetzt sind die Streben in Tiefenbach und
Zimmern (14. Jhrh.), zweimal abgesetzt die Streben in Weihmörting
und Thanndorf.
Niemals wurde der Strebepfeiler mit einer Blende geschmückt.
Diese sinnlose Anordnung blieb erst den neugotischen Anbauten Vor-
behalten.
Um das Eiarte und Kantige, das der Rechteckpfeiler trotz der
Gliederung bewahrte, zu mildern, wurden schon vor 1450 einzelne
Geschosse „über Eck“ gestellt. Genau genommen ist es kein Übereck-
stellen eines ganzen Geschosses, sondern ein so ausgiebiges Abfasen der
Kanten, daß in der Mitte nur mehr ein Grat überbleibt. Am häufigsten
wird das mittlere von 3 Geschossen über Eck gestellt, z. B. in Sulzbach,
Rotthalmünster, Wittibreuth.
In Eggenfelden-Chor werden die zwei mittleren von 4 über Eck
gestellt (Abb. 32), in Arnstorf das obere allein.
Wie sehr man sich in Ostbayern mit dem Problem der Streben
beschäftigte und das der Spätgotik Widersprechende der schweren
Strebepfeiler fühlte, beweist der Umstand, daß schon vor 1450, also
wahrscheinlich schon vor Landshut, Dreieckstreben auftauchen. So an
der Spitalkirche in Pfarrkirchen und an den Chören von Kühbach bei
62
Arnstorf und Neukirchen bei Arnstorf. So auch noch später in Kema-
then, Eichendorf, Heissprechting, Gern, Waldhof, Diepoltskirchen und
Weinberg bei Peterskirchen. Allerdings steht ein Teil der letztgenannten
Orte unter Landshuter Einfluß, die in der zweiten Hälfte des 15. Jhrh.
die Dreieckstrebe ausgiebig verwenden. Auch in Tirol hat eine Gruppe
von Chören die Dreieckstrebe (K. Atz, Kunstgeschichte von Tirol.
1885. Seite 301).
Eine sonderbare Anordnung haben zwei benachbarte Bauten,
Gerbersdorf und Johanniskirchen. Dort sind die dreieckigen Streben
auf flache Strebepfeiler aufgelegt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Ostbayern dem Strebe-
pfeiler viel freundlicher gegenübersteht als die umliegenden Gebiete.
Schon im Mühldorf er Bezirk hat der größte Teil der Bauten keine
Strebepfeiler.
Mit dem Einziehen der Strebepfeiler in den Innenraum als Wand-
pfeiler wurde begonnen bei dem Bau in Braunau (1440—50) und in
Eggenfelden. Bei beiden ist er bereits vollkommen eingezogen. Es folgen
Triftern, Postmünster, Unterzeitlarn und einige wenige andere.
j. Horizontalgliederung
Die Horizontalgliederung war eine besondere Angelegenheit der
späten Gotik. Die Burghauser, Braunauer und Passauer blieben jedoch
von diesen Sorgen unberührt. Die außerordentlich breiten Proportio-
nen ihrer Werke bedurften keiner besonderen Horizontalgliederung.
Ein massiver Sockel unterstreicht die breite Lagerung. Das einzige, was
zur Horizontalgliederung verwendet wird, ist ein Kaffgesims, das
sich in der Höhe der Fensterbank um den ganzen Bau zieht. Teils
werden die Strebepfeiler durchstoßen (Engertsham-Chor um 1450),
teils wird das Gesims gebrochen und um den Pfeiler gelegt. Dort, wo
weit heruntergezogene Fenster oder weit hinaufreichende Portale das
Gesims durchbrechen würden, wird es um die einstoßende Öffnung
rechtwinkelig herumgeführt.
Die Landshuter gingen in der Horizontalgliederung einen Schritt
weiter. Sie legten unter den Dachansatz um den ganzen Bau einen
Fries, der durch Maßwerkmalereien belebt wurde (Huldsessen). Das
Motiv überspringt Ostbayern und taucht im Innviertel (Oberöster-
reich) wieder auf.
4' Das Portal
Der Eingang ist nicht wie bei den alten romanischen Kirchen im
Westen, sondern immer auf der Seite, und zwar bei den in der Regel
vierjochigen Langhäusern im dritten Joch.
Die unfeierliche Art, die sich darin ausdrückt, daß ein ganz auf
Längsrichtung und Symmetrie abgestimmter Raum von der Seite
betreten wird, ist spätgotisches Gemeingut; es entsprach aber so sehr
dem bayerischen Volkscharakter, daß auch die barocken Kirchen neben
einem Hauptportal im Westbau noch Portale an den Seiten haben
mußten.
Als Portalform findet sich sowohl die reichere mit Türsturz und
Tympanon, als auch die einfachere in gewöhnlichem Bogen. Das Tym-
panon wurde mit einem Fresko geschmückt, das aber nur mehr in
seltenen Fällen erhalten ist. Der Türsturz ruht auf Kragsteinen; beide
sind seit der Jahrhundertmitte mit sich überschneidendem Stab werk
versehen, (z. B. Karpfham, Abb. 47).
Das Gewände wird in der Schräge angelegt. Das flächige Stab-
gewände, das in Obersachsen und Oberösterreich und anderswo für die
Spätgotik charakteristisch ist, ist hier gänzlich unbekannt. Die Pro-
filierung beginnt über einem Sockel und besteht in Birnstäben und
Rundstäben zwischen Kehlungen (Abb. 47).
Die Profilierung ist aus der Mauer geschnitten, nie aufgelegt. So
belebt sich das tote, massige Material und grüßt den Eintretenden.
Das einfache Bogenportal macht selbstverständlich alle Wandlungen
mit, die der wechselnde Geschmack der Bogenführung gab: Spitzbogen
(z. B. Karpfham, Abb. 47), Spitzbogen mit Kielbogen (z. B. Münch-
ham), ausschließlich Kielbogen (z. B. Aigen) und am Schluß auch noch
der gebrochene Bogen in Hofkirchen (Abb. 70). Eggenfelden hat Kiel-
bögen über einem Rundbogen.
In Neukirchen am Inn ist das einzige Rundbogenportal (Abb. 15).
7. Die Portalvorhalle
Die Vorhalle war wohl anfänglich ein massiver, rechteckiger An-
bau, der sich mit einer Längsseite an das Gotteshaus anlehnte und nur
ein großes, spitzbogiges Portal an der anderen Längsseite besaß. So
6 4
finden wir sie noch in Münchham und Steinkirchen. Später scheint
man auch an den Schmalseiten kleinere Portale ausgespart zu
haben (Engertsham, Neukirchen am Inn, Erlach). Damit aber ja der
wandmäßige Charakter nicht verloren geht, hat man über die Ecken
Strebepfeiler gesetzt, die bei den kleinen Gewölben der Decken, welche
nie fehlen, keine konstruktive Notwendigkeit varen. (Abb. 15). Erst
gegen 1500 wird auf das Mauerwerk verzichtet und das Gewölbe auf
Säulen gestellt, so daß der Freiraum die Kleinarchitektur durchflutet.
Der in Oberbayern häufig neben der Vorhalle anzutreffende
„Seelenkerker“ oder „Totenkerker“ (= Beinhaus) ist hier nicht ganz
unbekannt. In Münchham und Neukirchen am Inn schließt sich der
Vorhalle im Westen ein niedriger, gewölbter Raum an, der wohl als
„Seelenkerker“ gedacht war.
Das Problem der Vorhalle wurde wie anderswo so auch in Eggen-
felden am günstigsten dadurch gelöst, daß die Vorhalle zwischen zwei
tief eingezogene Strebepfeiler gelegt wurde. Da in Eggenfclden die
Seitenkapellen zwischen den Strebepfeilern bis zur Seitenschiffhöhe
hochgezogen wurden, so gab man auch der Vorhalle diese Flöhe.
Die Vorhallen sind im allgemeinen dort anzutreffen, wo auch die
Westemporen zu finden sind: dem Inn und der Salzach entlang. Im
Landshuter Bezirk sind an 12 Kirchen Portalvorhallen. Aber in den
zwischen den beiden Flüssen und Landshut liegenden Bezirken sind sie
sehr selten. Vorhallen und Westemporen setzen eine Vorliebe für
Kleinarchitekturen voraus, die eben nicht in allen Gegenden gleich
groß war.
6. Die Fenster
Das Fenster nahm — wie oben erwähnt — im Laufe der Jahr-
zehnte an Breite zu, aber es blieb Längsfenster und überschritt nie die
Dreiteiligkeit. Die Leibung war bis 1450 (und gelegentlich auch später)
mäßig geschrägt, dann wird sie breit gekehlt und mit Rundstab oder
Birnstab profiliert. In der Spätzeit wird die Leibung ausschließlich
gekehlt.
Von dem ursprünglichen Maßwerk ist leider nicht mehr viel erhal-
ten. Der Tuffstein, der vielfach verwendet wurde, zerbröckelte im
Laufe der Jahrhunderte. Die Erneuerung lehnte sich an den neu-
gotischen Formenkanon an. Das Erhaltene vermag kein ganz klares
Bild der Entwicklung zu geben. Den sehr einfachen nur aus „Nasen“
gebildeten Maßwerken, folgen im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts
reichere Dreipaß-, Vierpaß- und Fischblasenmuster (Abb. 47), die dann
nach der Jahrhundertwende durch sich überschneidende geometrische
Bogen- und Linienmuster abgelöst werden (Abb. 65 u. 71).
7. Der Turm
Die Gestaltung der spätgotischen Türme ist in Altbayern durch-
aus nicht so einheitlich wie in anderen Gauen. Man trifft die mannig-
faltigsten Formen. Nur wenige Türme weisen eine gewisse Vollendung
im Sinne der Spätgotik auf.
Die verschiedenen Arten der Türme lassen sich auf folgende
Typen zusammenfassen:
a) Der gänzlich ungegliederte Viere ck türm.
Abb. 29. Er kennt keine Rücksicht
auf künstlerische Momente. Seine
Funktion ist es, stark und hoch zu
sein. Der wehrtechnische Zweck
steht im Vordergrund. Da der
Turm in der spätgotischen Zeit
seine militärische Rolle noch nicht
ausgespielt hat, wird noch da und
dort der ganz nüchterne Viereck-
turm gebaut, wie ihn die romanische
und vorromanische Zeit baute (Re-
ste in Triftern, Münchham, Erlach
und vielen anderen Orten). Aller-
dings sind manche derartige Türme
später umgebaut worden (Julbach, Eholfing, Engertsham, Neukirchen
v. W.), aber einige haben noch die ursprüngliche Form: Heißprechting
(Bez. Eggenfelden), Hals, Hutthurm (1483) und Oberdietfurt.
66
b) Der Turm mit Gesimsgliederung ohne Verjüngung
Sein Grundriß ist, wie der des vorhin Erwähnten, quadratisch. Ein
gotisches Element ist, abgesehen von der steilen Bekrönung, an ihm
nicht zu entdecken. Er steckt noch in der romanischen Formwelt. Die
Gesimse schneiden den Turmkörper in annähernd würfelförmige Stücke.
Dieser wenig schöne und oft infolge der geringen Grundrißmaße
etwas kraftlos wirkende Typ erfreut sich im Oberbayerischen weitester
Verbreitung. Ostbayern hat ihm nur in seinen westlichen Bezirken Ein-
laß gewährt: in Eggstetten, Eichhornseck, Gehersdorf, Huldsessen, Zell,
Seibersdorf und Eiberg (Abb. 29).
ln Edermannig wird die Stockwerksmarkierung nicht durch Gesimse,
sondern Lisenen besorgt. Die unter a) und b) aufgeführten Typen
besitzen noch nicht das gotische Moment der Verjüngung der Massen.
Erst die nun folgenden bemühen sich um die eigentliche gotische Turm-
lösung. Die beiden nächsten Typen schaffen die Verjüngung auf
anspruchslose Weise dadurch, daß sie einem quadratischen, unverjüng-
ten Unterbau in 2/3 oder 3/4 Höhe ein Oktogon aufpfropfen.
c) Ungegliederter Unterbau mit Oktogon.
Abb. 30. In Egglham, Erlach, Kirch-
berg, Münchham, Neuhofen, Hei-
ligenstatt, Unterdietfurt, Berg,
Prienbach, Triftern. Bei einigen der
aufgeführten Bauten wurde ein
älterer Unterbau verwendet (Trif-
tern, Münchham, Erlach), andere
aber scheinen erst in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts von
Grund auf in dieser Form gebaut
worden zu sein. Einige Bauten in
der Gegend der Rottmündung fal-
len durch ungeschickte und schwäch-
liche Proportionen auf (Karpfham,
Würding, Prienbach). Vielleicht ist
es ein Schärdinger Stadtbaumeister,
TÜRME MIT OKTOGONAUFSATZ der daran die Schuld trägt.
67
d) Oktogon auf quadratischem Unterbau mit
Gesimsgliederung.
Die Gesimse gliedern den unverjüngten quadratischen Unterbau
wie in Typ b), ungefähr würfelförmig. Hieher zählen die Türme in
Ering, Kirchdorf, Hirschbach, Malgersdorf, Martinskirchen, Zimmern
und viele andere. Seit welcher Zeit die
Türme in Altbayern mit Oktogonaufsät-
zen versehen werden, ist deshalb schwer
zu sagen, weil an den Türmen oft lange
nach Vollendung der Kirche noch gebaut
wurde, so daß das Jahr der Vollendung
der Kirche noch nichts aussagt über den
Turmbau. Es scheint jedoch, daß an den
Landkirchen erst um 1460 das Oktogon
gebräuchlich wurde.
e) Oktogon auf breiten Stock-
werken mit Verjüngung.
Die Typen c) und d) ließen immer noch
den Unterbau starr und unorganisch als
einen Kubus bis zu 3/4 der Turmhöhe an-
steigen. Das konnte tüchtige Meister nicht
ruhen lassen. Sie griffen nun aber zu
einem sehr eigenartigen Mittel, um
den Unterbau in den
aufstrebenden
Organismus hineinzubeziehen: sie bildeten die Stockwerke nicht mehr
würfelförmig (also Höhe zur Breite = 1:1), sondern verminderten die
Stockwerkhöhe auf die Hälfte der -Breite (Höhe zur Breite = 1:2).
Diese im Sinne des spätgotischen Horizontalismus liegende Propor-
tionsverschiebung wäre jedoch für den erwünschten Zweck noch nicht
ausreichend gewesen, daher wurden die Stockwerke ein wenig, aber
doch merklich verjüngt. Durch diese Maßnahmen gewann der Turm
einen organischen und wuchtigen Charakter, ohne jedoch schwer und
lastend zu werden. Das prachtvollste Beispiel dieser Art ist der Turm
von Rogglfing, Bez. Eggenfelden (Abb. 31).
f) Oktogon auf breiten Stock werken mit Strebe-
pfeilerverjüngung.
Das Motiv der Strebepfeilerverjüngung findet sich in der ganzen
deutschen Früh- und Hochgotik. Es wird besonders im schwäbisch-ale-
mannischen Kreis bevorzugt. Dabei werden alo nicht die einzelnen
Stockwerke, nicht der Turmkörper verjüngt, sondern nur die Strebe-
pfeiler, die an den Viereckkanten (entweder einzeln und über Eck
gestellt oder paarweise und im rechten Winkel zueinander gestellt)
angebracht sind. Von welcher Seite man auch den Turm betrachtet, es
besteht der Eindruck, daß der Turm als solcher sich verjünge.
Stockwerkweise Strebepfeilerverjüngung verwendete schon Stet-
haimer an seinen Türmen in Landshut und Neuötting. Allerdings
waren die Stockwerke noch höher als breit. Stethaimer fand hierin
zunächst keine Nachahmer. Der Meister der Eggenfeldener Kirche greift
das Motiv etwa zwischen 1430 und 1440 auf, aber sehr schüchtern.
Die über Eck gestellten Streben, welche drei Stockwerke begleiten, sind
an der Masse des Turmes gemessen schwächlich. Die Stockwerke sind
noch würfelförmig (Abb. 32). — Der Turm im benachbarten Hirsch-
horn hat ähnliche Proportionen und Streben, so daß eine Abhängigkeit
von Eggenfelden sehr wahrscheinlich ist. Ähnlich sind auch die Türme
von Oberindling (Abb. 33) und Höhenstadt (um 1490). Es ist auf-
fallend, daß diese beiden Türme um 1490 noch in Würfelstockwerken
gebaut sind, nachdem bereits vor 1470 die erwähnte Verschiebung der
Stockwerkproportionen eingetreten war. Breite Stockwerke mit Strebe-
pfeilerverjüngung haben die Türme von Aigen-Pfarrkirche (vielleicht
69
ABB. 32 EGGENFELDEN
um 1470), Grongörgen (1468, Inschrift am 2. Turmgeschoß), Aigen
am Inn-St. Leonhard (um 1500), Taubenbach und Schildthurn (beide
um 1530).
70
Die drei letztge-
nannten sind die
reichsten und bemer-
kenswertestenTurm-
sdiöpfungen unserer
Gegend, denen even-
tuell noch die von
Neuötting zugezählt
werden könnte, die
nur in den 2 unte-
ren Stockwerken ein
Werk Stethaimers ist,
während der Ausbau
sich bis an das Ende
des 15. Jahrhunderts
hinzog. Immerhin
hat es den Anschein,
als ob auch die obe-
ren Stockwerke nach
dem Plan Stethai-
mers gebaut seien, da
die Proportionen un-
verändert bleiben.
(Höhe: Breite der
Stockwerke = 1,5:1).
Typische Vertreter
der Spätzeit sind
aber die anderen 3
Türme. Breite Stock-
werke (1:2) u. Stre-
bepfeilerverjüngung
charakterisieren sie,
Die Türme von Tau-
benbach und Schild- ABB OBERINDLING
thurn sind von ein
und demselben Baumeister. Dies anzunehmen, berechtigt die in die
Augen fallende Ähnlichkeit der Entwürfe wie auch die nachweislich
gleiche Zeit der Ausführung. Auch der Umstand, daß die beiden außer-
7»
ordentlichen Arbeiten nur io km voneinander entfernt liegen, erhärtet
die Annahme.
Der ältere ist fraglos der Turm von Aigen (Abb. 34). Neu an ihm
ist das Verhältnis des quadratischen Unterbaues zum Oktogon. Wäh-
rend sich bisher die Unterbauhöhe zur Oktogonhöhe wie 3:1 ver-
hielt, ist in diesem Turm das Verhältnis wie 1:1. Dennoch ist der
wuchtige Eindruck nicht vermindert, was wohl der Gesimsgliederung
ABB. 34 AIGEN ST. LEONHARD
72
im Oktogon zu verdanken ist. Neu ist auch die Lösung, wie das Qua-
drat in das Oktogon übergeführt wird. Die nüchterne Zwickelböschung
wird von einem Strebepfeiler überklettert, der aus der Doppelstrebe
der Untergeschosse aufsteigt und seine Wanderung bis zur Turmgalerie
fortsetzt. Neu ist auch
die Turmgalerie, die nir-
gends anderswo in Ost-
bayern anzutreffen ist.
Der Turm von Tauben-
bach ist allem Anschein
nach von Aigen abhängig.
Die Stockwerke sind noch
um eine Kleinigkeit breiter
gelagert und das Verhält-
nis von Oberbau und Un-
terbau ist wieder merklich
zu Gunsten des letzteren
verschoben. Seine Eigenart
liegt vor allem in der ge-
häuften V erwendung rund-
bogiger Blendarkaden. Die
spitzbogigen Blenden des
Oktogons sind mit
einem Kleeblattmaßwerk
geschmückt.
Die letzte Stufe der
Entwicklung bedeutet der
Turm von Schildthurn
(Abb. 36). Oberbau und
Unterbau verhalten sich
wie i: i. Drei Stockwerke
des Unterbaues werden
von Blendarkaden belebt.
Der Eindruck der Schwere
wird durch den Vertikalis-
mus der schmalen, genau ABB. 35 TAUBENBACH
73
übereinanderstehenden Blenden und der sie trennenden Mauerstückc
vermieden.
74
ABB. 37
WOLFAKIRCHEN
g) Türme mit vorgelegtem Stabwerk.
Daß dieses hochgotische Motiv von den der Dekoration so feind-
lich gesinnten Ostbayern Ende des 15. Jahrhunderts noch übernommen
wurde, bleibt merkwürdig.
Rohere Arbeiten dieser Art sind in Burghausen und Wasserburg
(1470 bis 1478 von Wolfgang Wieser erbaut), feinere Arbeiten in
Margarethenberg und Braunau. Es ist auffällig, daß diese vier Orte in
der Nähe des Inn liegen.
Seine Eigenart liegt in den großen Spitzbogenblenden, die meist
zu Arkaden zusammengefaßt sind. Der Einfluß der Landshuter Manier
auf die Türme in Taubenbach und Schildthurn ist unverkennbar. Der
Turm von Wolfakirchen (Abb. 37), der sich im Herzen unseres Gebietes
befindet und ausgesprochen Landshuter Prägung trägt, ist — wie sich
aus anderen Umständen schließen läßt — von einem Landshuter
erbaut. Die übrigen Landshuter Türme sind im Westen: in Arnstorf,
Staudach, Unterdietfurt; also in dem Gebiet, das unmittelbar an das
Landshuter angrenzt.
Aus der Übergangszeit von der Romanik zur Gotik finden sich
im Pfarrkirchener Gebiet eine Anzahl von Türmen (Pfarrkirchen,
Neukirchen, Wittibreuth, Walburgskirchen (Abb. 38) u. a., die mit
ABB. 38 WALBURGSKIRCHEN
76
ihren Lisenen und Stelzbogenfriesen den Landshuter Türmen nicht
unähnlich sind. Es ist auffallend, daß diese Entwicklungslinie verlassen
wurde und der Turmkubus nur mehr in Ausnahmefällen dekorativ
belebt wurde.
Die kolossalen Türme von Aigen, Taubenbach und Schildthurn
stehen in der süddeutschen Kunstgeschichte des 16. Jahrhunderts einzig
da; denn der Zug der Zeit war den schweren Türmen feindlich. Die
meisten Spätbauten hatten nur dachreiterartige Aufsätze. In Ostbayern
hat diese Richtung — abgesehen von kleineren Kapellen — ihre Ver-
treter gefunden in den Türmen der äußeren Burgkapelle von Burg-
hausen und der vermutlich davon abhängigen, aber nahezu ein halbes
Jahrhundert jüngeren Kirche von St. Anna (Abb. 66).
Ein feiner, schmaler, mit drei Oktogonseiten in das Langhaus ein-
gezogener Achteckturm krönt den ansehnlichen Kirchenbau.
Vielgestaltig wie die Turmaufbauten sind auch die Turmbekrö-
nungen. Wohl gibt manche Turmform ein unlösbares Rätsel insofern
auf, als die Dachkonstruktion offenbar neu ist und schwer zu ent-
scheiden ist, ob eine Rekonstruktion oder Neukonstruktion vorliegt.
Neben dem Sattelturm, der in der Landshuter und Münchner Gegend
eine viel größere Rolle spielt als in Ostbayern (Landshut n, Landau 15,
Mühldorf nur mehr 6, Griesbach o Satteltürme!), und den — vielleicht
aus späterer Zeit stammenden — Viereckhelmen in Hals bei Passau
und Kemathen bei Arnstorf beherrscht der achteckige Spitzhelm das
ganze Gebiet. Auf die Verbindung des Achteckhelmes mit dem Turm-
aufbau verwenden die Meister besondere Sorgfalt. Auf den quadra-
tischen Turm wird der Achteckhelm aufgeführt entweder über vier
gewalmte Giebeln (Eiberg, Sulzbach, Wolfakirchen u. a.) oder zwischen
4 Dreieckszinnen (Taufkirchen) oder 4 Spitzgiebeln (Heiligkreuz). Auf
das Oktogon wird der Achteckhelm selten über Giebeln gesetzt (Unter-
dietfurt, Abb. 28), sondern ohne Verzahnung angebracht. Dabei werden
meist kurz über dem Ansatz die Kegelflächen etwas einwärts geknickt,
um dem Kegel die lineare Starre zu nehmen. Bei Taubenbach und
Schildthurn werden die Kegelgrate leicht gewunden und verstärken so
unbemerkt den Eindruck einer mächtigen Höhenbewegung.
Nur ein einziger Turm kann einem bestimmten Meister zuge-
schrieben werden: der von Grongörgen. Ihn hat laut Inschrift „Meister
Thaman (Thomas) von Braunau“ gebaut.
77
ZWEITER TEIL
VERSUCH EINER GRUPPIERUNG DER BAUTEN
VORBEMERKUNG
Das Unternehmen, die Bauten zu gruppieren, muß als ein Versuch
bezeichnet werden; denn es baut sich auf der stilistischen Verwandt-
schaft der einzelnen Werke auf. Nun ist es eine bekannte Tatsache, daß
Gruppierungen auf Grund von Stilverwandtschaft oft durch nachträg-
liche archivalische Funde als unrichtig erwiesen werden. Die Stilwand-
lungen der Meister sind mitunter unglaublich groß.
Eine ganz sichere Gruppierung ließe sich nur auf Grund schrift-
licher Quellen bewerkstelligen. Gerade die fehlen aber nahezu voll-
ständig. Kein Hüttenbuch wurde bis jetzt gefunden. Das Mitgliedsver-
zeichnis der Burghauser Steinmetzhütte aus dem Jahre 1459, das von
W. M. Schmid veröffentlicht wurde und die Namen von je zwei Burg-
hausener, Schärdinger und Neuöttinger und einem Braunauer Meister
enthält, bedeutet nichts, da es sich hierbei um Stadtmaurermeister
handelt, die sich von den wandernden Kirchenmaurermeistern unter-
scheiden, und da zudem kein einziges Werk der genannten Mitglieder
angegeben wird.
Kein Bauvertrag ist erhalten. Es hat vielleicht im schreibscheuen
Altbayern nie solche gegeben. In kaum fünf Fällen geben Reste von
Kirchenrechnungen brauchbare Hinweise.
Bisweilen nur gibt eine Jahreszahl am Chorbogen ein sicheres
Datum. Nur an vier Gebäuden konnten Steinmetzzeichen entdeckt
werden: in Münchham das Zeichen, 4(1491), in Heiligkreuz bei Burg-
hausen dasselbe Zeichen aber umgekehrt (nachweislich das Zeichen Hans
81
6
Wechselbergers), ferner in Malching das Zeichen /F und das näm-
liche Zeichen im benachbarten Ering.
Die in Topographien vermerkten Baudaten unbekannter Her-
kunft haben in vielen Fällen die Schwierigkeiten vermehrt, da sich
nicht selten durch Vergleiche herausstellte, daß sie irrig waren.
So war man bei der Gruppierung der Bauten fast ausschließlich
auf den Denkmälerbefund angewiesen. Aber auch dieser bereitete nicht
wenig Schwierigkeiten. Ein großer Teil des ursprünglichen Denkmäler-
bestandes wurde später durch Abbruch entfernt, um Neubauten Platz
zu machen. Ein Drittel des noch erhalten Gebliebenen wurde durch
Umbauten verändert.
Häufig waren an einem Bau mehrere Meister sukzessive tätig —
was bei der gemächlichen Bauweise seiner Zeit begreiflich ist —, so galt
es oft das Werk der einzelnen Meister auseinanderzuhalten.
Der Versuch, durch Backsteinmaße die Bauten zu gruppieren,
wurde nicht unternommen, nachdem Zoder (Studien zur Entwicklung
des Backstein roh baues in Niederbayern) nachgewiesen hat, daß diese
Maße wegen ihrer regellosen Variabilität zur Gruppierung und Datie-
rung in Niederbayern ungeeignet seien.
Der Gruppierung der Bauten wurde die Verschiedenheit der Ge-
wölbe- und Stützsysteme und deren Proportionen zu Grunde gelegt.
Auch die nebensächlichen Bauglieder (Rippenprofile, Kapitelle, Maß-
werk, Fenster- und Portalprofilierungen) von ca. 200 Bauten wurden
in den Einzelheiten durch einen statistischen Apparat erfaßt in der
Hoffnung, darin einen Gruppierungsbehelf zu finden. Der Ertrag
dieses Apparates stand im umgekehrten Verhältnis zur aufgewandten
Mühe. Es ließ sich lediglich feststellen, daß die mannigfaltigen Einzel-
formen in allen in Frage stehenden Jahrzehnten und von den verschie-
densten Meistern angewendet werden.
1. Die Vassauer Meister (1400—1450)
In den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts herrschte in Pas-
sau eine rege Bautätigkeit. Die Bischofsstadt baute ihren zweiten
gotischen Dom. Hans Krumenauer (wohl aus der böhmischen Stadt
Krumau gebürtig) begann den heute noch im Außenbau erhaltenen
82
Chor. Vollenden konnte er ihn nicht, vielleicht auch sein Nachfolger
Ulrich Seidenschwanz noch nicht. Jedenfalls war der Chor 1444 noch
im Bau. Inwieweit der Domchor in seiner heutigen Gestaltung von dem
Plane Krumenauers bestimmt ist und was auf das Konto seiner Nach-
folger zu schreiben ist, ist schwer zu sagen. Es ist auch noch nicht
geklärt, aus welchem Kunstkreis Hans Krumenauer stammte, da es an
überzeugenden Vergleichsobjekten bisher fehlt. "Wie sich auch dieses
Rätsel einmal lösen mag, für die vorliegende Arbeit hat es keine Bedeu-
tung; denn es läßt sich feststellen, daß der Passauer Domchor für die
Entwicklung der Spätgotik in Altbayern nicht den geringsten Einfluß
gehabt hat. Krumenauer fußt noch zu sehr im hochgotischen Empfin-
den (Querschiff und Vierungsturm!) und steht in seiner Entwicklung
weit hinter Stethaimer, der im Jahre 1407 schon den Plan zur hl. Geist-
kirche in Landshut entworfen hatte. Der dekorative Zug, der sich am
Passauer Domchor offenbart, ist der altbayerischen Spätgotik ganz
fremd.
Um die Zeit, da die Bischofsstadt den Kathedralchor baute, wurden
auch die Pfarrdörfer in der Umgebung Passaus vom Baueifer erfaßt
und bauten neue Chöre.
Gemeinsam ist allen diesen Chören die Gewölbe-Figuration. Der
„vierteilige Rautenstern“ taucht zum erstenmal auf am Gewölbe der
Herrenkapelle in PASS AU. Dieser kleine im Jahre 1414 vollendete
Chor ist rechteckig und insofern einzigartig in unserer Gegend. Ob
noch romanische Reminiszenzen nachwirkten, ob die Platzfrage bestim-
mend war oder ob fremde Einflüsse (Burgund oder Oberrhein?) wirk-
sam waren, läßt sich nicht entscheiden.
Nun liegt es nahe, daß Krumenauer, der kaum einen Steinwurf
von der Herrenkapelle entfernt zu gleicher Zeit am Domchor schaffte,
auch den Chor der Herrenkapelle entwarf und die neue Figuration
einführte, die er wahrscheinlich auf einer seiner vielen Reisen kennen
gelernt hatte.
Die Neuerung machte Schule in der ganzen Umgebung.
Da die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Bauten nicht feststell-
bar ist, seien sie in geographischer Ordnung von Norden nach Süden
aufgezählt.
6*
83
84
i ->M h
Die schon mehrfach erwähnte Hallenkirche von KELLBERG
(Abb. 39) hat als Chor- und Langhausfiguration den Rautenstern mit
Gurtrippen. Die leicht gebusten Gewölbejoche ruhen im Chor auf
Kalbrunddiensten, die vom Boden auf niedriger Basis aufsteigen. In
PASSAU wird die Figuration der Herrenkapelle wiederholt in der
Innstadtkirche, die um die Jahrhundertmitte entstanden ist, und im
nördlichen Seitenschiff der hl. Geistspitalkirche (1442). Es folgt NEU-
KIRCHEN am Inn (Abb. 15). Das Gewölbe des dreijochigen Chores
ruht wie in Kellberg auf Halbrunddiensten, die aber im Gegensatz zu
denen in Kellberg keine Basen und Kämpfer aufweisen. Ferner fehlen
die Gurtrippen. Dem Chor wurde um 1480 ein neues Langhaus ange-
fügt, das infolge seiner Höhe und Breite und der dadurch bedingten
großflächigen Reduktionsmauer sich schlecht dem Chore anpaßt. Das
HÖHENSTADT
85
ABB. 40 a
5ffwa4u~i '14'^T'iTEfrüi
1 ............................................................................................................................................................................................................L' ■
Gewölbe gehört vermutlich erst dem 16. Jahrhundert an. Jedenfalls ist
die Figuration die einzige ihrer Art.
Der Chor von HÖHENSTADT unterscheidet sich von dem in
Neukirchen durch seine breiteren Proportionen (1:3) und durch Ver-
wendung von profilierten Kämpfern an den Halbrunddiensten. Gurt-
rippen fehlen auch hier (Abb. 40).
Der Chor in ENGERTSHAM fällt insofern etwas aus der Reihe,
als er achteckige Dienste hat, die nur am Choroktogon vom Boden auf-
steigen. Es ist aber nicht unmöglich, daß auch an den Längsseiten die
Dienste vom Boden ausgingen und später wegen der Chorstühle abge-
schlagen wurden. Die Jochproportionen sind 1:2. Der kleine Bau in
EHOLFING, dessen Gewölbe auf kämpferlosen Halbrunddiensten
ruhen, verzichtet wohl wegen seiner geringen Ausmaße auf Strebe-
pfeiler, wie das auch bei anderen Kleinkirchen vorkommt. Das ori-
ginelle Gewölbe des Langhauses ist viel später eingezogen worden. Die
Langhausmauern sind möglicherweise noch romanischer Herkunft.
ABB. 40 b
HÖHENSTADT
Der Chor von WÜRDING hat kämpferlose Halboktogondienste,
Egglfing dagegen wieder Halbrunddienste.
Der vierteilige Rautenstern bedeutete gegenüber dem Kreuzrip-
pengewölbe einen wesentlichen Fortschritt und den Beginn des spät-
gotischen Gewölbes. Die Passauer haben sich durch den vierteiligen
Rautenstern ein Verdienst erworben, denn sie sind die ersten in Alt-
bayern, die ihn verwenden. Die Burghauser folgen erst 1435 mit dem
Gewölbe von TRUCHTLACHING, einem Werke Konrad Pürkhels
aus Burghausen. Auch dort findet sich der kämpferlose Halbrunddienst.
Die Passauer scheinen auf ihren Lorbeeren ausgeruht zu haben,
denn nach der Jahrhundertmitte ist um Passau keine typische Neue-
rung mehr zu lokalisieren, wenn man ihnen nicht die Figuration der
„zwei Parallelrippen“ zuschreiben will, die kurz nach der Jahrhundert-
mitte in ENGERTSHAM-Marienkapelle, EGGLFING-Schiff und
WÜRDING-Schiff auftaucht und erst um die Jahrhundertwende in
der Vilsgegend nochmals ersteht. Die Priorität in der Verwendung der
„Zwei Parallelrippen“ besitzt jedoch TRUCHTLACHING (1435).
2. Kößlarn und Rotthalmünster
Die Kirche von ROTTHALMÜNSTER trägt über dem Chor-
bogen die Jahreszahl 1452 (jetzt übertüncht). Von Kößlarn berichtet
eine zuverlässige Quelle, daß dort im Jahre 1452 eine Kirche kon-
sekriert wurde (Urkunden d. Klosters Aldersbach F. 58 nr. 898 im
Bay. Hauptstaatsarchiv München.) Nachdem beide Orte nur 7 km von-
einander entfernt sind und zudem Kößlarn damals zur Pfarrei Rott-
thalmünster gehörte, liegt die Vermutung nahe, daß an beiden Bauten
der gleiche Meister gearbeitet hat. Bei einer Betrachtung der Kirchen
ist jedoch von einer Ähnlichkeit, die ein und derselbe Meister kaum
hätte verbergen können, nichts zu merken.
Der Bau in Rotthalmünster ist, abgesehen von den Gewölben, von
denen unten die Rede sein wird, um 1452 möglich. Die großen Mauer-
zwickeln über den Arkadenbögen und die aus der Mauer geschnittenen
Pfeiler machen die Jahrhundertmitte wahrscheinlich (Abb. 42).
87
An der Kirche in KÖSSLARN ist jedoch nichts zu entdecken, was
um die Jahrhundertmitte entstanden sein könnte. Das gilt vor allem
von den eingezogenen Wandpfeilern. Eine genaue Untersuchung ergab,
daß der Wandpfeiler zum ersten Male in Eggenfelden eingezogen wurde
und zwar wahrscheinlich erst von Sallinger, der um 1460 den Chor
gebaut haben dürfte. Dort sind aber die Strebepfeiler erst um ein Drit-
tel ihrer Breite eingezogen. So weit wie in Kößlarn wurden sie erst
10 bis 15 Jahre später eingezogen. Das Mittelschiff von Kößlarn
stammt also aus ca. 1470. Diese Datierung findet eine weitere Stütze
in der Art der Figuration. Wenn auch die „drei Parallelrippen“ schon
im Jahre 1451 in ISCHL Vorkommen (einSchlußstein trägt die Jahres-
zahl), so ist zu beachten, daß Kößlarn das Kennzeichen der älteren
Figurationen dieser Art, die Gurtrippenverstärkung, nicht mehr besitzt,
ABB. 41 RpTTHALMÜNSTER
88
ROTTHALMÜNSTER
ABB. 42
sondern, daß die Arbeit ganz der von Taubenbach (1473) gleicht
(Abb. 43 u. 44).
Nun ist urkundlich festgestellt, daß in Kößlarn in den Jahren um
1471 der Meister Sallinger aus Pfarrkirchen gearbeitet hat. Da einer-
seits bis zu diesen Jahren in unserer Gegend kein so reiches Gewölbe
zu finden ist und andererseits Sallinger ein Meister der Wölbung war,
besitzt die Annahme, Sallinger habe das Kößlarner Mittelschiffgewölbe
geschaffen, große Wahrscheinlichkeit.
Die ganz eigenartigen Gewölbe von Rotthalmünster sind kaum
von Sallinger. Die Mittelschiffiguration ist der „Wechselbergerfigura-
tion“ etwas ähnlich, aber doch aus einem anderen Kreis hervorgegangen.
Die Chorfiguration deutet auf Landshuter Einfluß, ebenso die asym-
metrische Sechsrautensternfiguration des rechten Seitenschiffes. Es ist
also anzunehmen, daß die Rotthalmünsterer Gewölbe nach 1480 von
einem Landshuter eingezogen wurden.
90
KÖSSLARN
ABB. 44
j. Die Werke Sallingers
Im Jahre 1474 fand in München ein Baumeisterkongreß statt, der
sich mit der Frage der Einwölbung der Frauenkirche beschäftigte. Es
fanden sich vier Baumeister ein, die als „Gewölbespezialisten“ galten.
Neben dem Ulmer Meister Moritz Ensinger, dem Nürnberger Konrad
Roritzer und dem Ingolstädter Friedrich war auch der Pfarrkirchner
92
Michael Sallinger zugegen. Während die beiden ersten einen guten
Namen in der deutschen Kunstgeschichte haben und auch der dritte
nicht unbekannt ist, liegt die Persönlichkeit des letzten noch ganz im
Dunkeln. Immerhin gibt es zu denken, wenn er mit den berühmtesten
Meistern der süddeutschen Baukunst der damaligen Zeit in einem Atem
genannt wird.
Kein einziger Bau ist ihm jedoch auf Grund archivalischer Quel-
len sicher zuweisbar. Fest steht lediglich auf Grund von Kirchenrech-
nungen, daß Sallinger in den Jahren 1462, 1468, 1469 und 1472 bis
1474 in Kößlarn gearbeitet hat. Nur im Jahre 1462 ist von der Kirche
Schnitt
93
die Rede, in den übrigen Jahren von Profanbauten. Zu beachten ist,
daß die einzelnen Kirchenrechnungen nicht mehr vollständig sind und
somit die ausgesprochene Vermutung, Sallinger habe um 1470 das Köß-
larner Langhaus gewölbt, durch das Nichterwähntwerden in den nur
bruchstückweise vorhandenen Kirchenrechnungen nicht widerlegt ist.
Im Inventarisierungswerk von Niederbayern wird die Hypothese
vorgelegt, daß Sallinger als der Meister der Eggenfeldener Kirche anzu-
nehmen sei. Die Hypothese gründet sich auf das Argument, daß für
das außerordentliche Werk in EGGENFELDEN auch ein außerordent-
licher Baumeister anzunehmen sei und der fände sich um diese Zeit in
Sallinger aus dem Eggenfelden benachbarten Pfarrkirchen.
Es sei gegen die Argumentation nichts eingewendet, aber die im
Jahre 1444 eingeweihten Bauteile dürften nicht von Sallinger stammen,
denn wenn Huber auf Grund der Kößlarner Kirchenrechnungen das
Geburtsjahr Sallingers überzeugend auf ca. 1410 ansetzen konnte,
dann wäre Sallinger schon in seinen zwanziger Jahren Meister der
Eggenfeldener Kirche gewesen. Das wäre aber nicht nur gegen allen
Brauch der damaligen Zeit, sondern auch gegen die Tatsache, daß Sal-
linger viele Anregungen verwertet, die er in Altbayern nicht sehen
konnte, sondern aus anderen Kunstkreisen aufnahm. Man muß also in
seinem Lebenslauf längere Wanderjahre unterbringen.
In Eggenfelden wurden in den Jahren 1447, 1452, 1456 und 1469
Meßstiftungen für Seitenaltäre erwähnt. Erst in diesen Jahren dürfte
also das Langhaus seine heutige Gestaltung erfahren haben. Erst um
1470 dürften die Gewölbe eingespannt worden sein, die den Ruhm
Sallingers in Süddeutschland begründeten. Sowohl Langhaus- wie
Chorfiguration sind in Ostbayern in der gleichen Art nicht mehr anzu-
treffen. Die Langhausfiguration betont die Jochgrenzen ziemlich stark
(Abb. 16). In ihrer Form erinnert sie an den schwäbischen Kunstkreis.
Die Chorfiguration dehnt sich netzartig in teils parallelen, teils geknick-
ten Rippen über die Joche hin. Sie läßt an Krumenauer denken. — Eine
besondere Bedeutung gewinnt das Eggenfeldener Werk dadurch, daß
die Seitenschiffkapellen, die noch Stethaimer nur bis zu einem Drittel
der Schiffhöhe emporgeführt hat, bis zu 3/4 der Schiffshöhe angewach-
sen sind und damit das letzte Stadium im Ringen um den divisiven
spätgotischen Einraum vorstellen. In der Frauenkirche in München
wurde durch Jörg Ganghofer das Motiv übernommen; später ging es
94
in die obersächsische Spätgotik über. Sallinger ist jedoch kaum der erste
gewesen, der die Seitenschiffkapellen hochzog; vor ihm scheint Meister
Krumenauer zu stehen.
Zwei Wegestunden von Eggenfelden entfernt liegt UNTERDIET-
FURT, dessen Pfarrkirche ebenfalls nach Vermutung des Inventar^
95
von Sallinger gebaut sein könnte. Die prächtige Hallenkirche fordert
die Annahme eines tüchtigen Meisters. Die Zeit des Baues (ca. 1460 bis
1470) wie auch die Gewölbe und Rundpfeiler legen es nahe, an den
Eggenfeldener Meister zu denken. Vor allem auffallend ist das Chor-
gewölbe. Es gleicht nahezu vollständig dem Chorgewölbe von Mittel-
zell auf der Insel Reichenau, das 1447 vollendet wurde. Diese Tatsache
ist insofern sehr interessant, als sie einen Hinweis darauf gibt, aus
welchem Kunstkreis Sallinger seine Anregungen schöpfte (Abb. 45).
Die „geknickte Reihung“ des Langhauses zeigt eine kleine Unregel-
mäßigkeit, die von Joch zu Joch ihren Richtungssinn ändert. Die
symmetrische „geknickte Reihung“ wird von dieser Figuration als gene-
tische Grundlage vorausgesetzt. Sallinger scheint sie von (seinem Lehrer)
Krumenauer übernommen und modifiziert zu haben.
Die gleiche Chorfiguration wie in Unterdietfurt treffen wir noch-
mals in KARPFHAM (Abb. 46). Allem Anschein nach sind beide von
der gleichen Hand. Die im Chor und im Schiff um ein Drittel ihrer
Breite eingezogenen Wandpfeiler lassen an den Eggenfeldener Meister
denken. Karpfham liegt sogar zeitlich vor Unterdietfurt; denn an der
Chormauer (nicht an den Gewölben!) finden sich die Jahreszahlen 1456
und 1457. Die Profilierung der Chorwandpfeiler und des Chorbogens
gleicht der von Unterdietfurt. Das Langhausgewölbe mit „Wechsel-
bergerfiguration“ findet sich auch in Eggenfelden über der zweiten
Seitenschiffkapelle (rechts) (Abb. 16). Wechselberger hat die Figuration
w^ohl von Sallinger übernommen.
Sallinger scheint um 1480 gestorben zu sein.
4. Meister Thaman aus Braunau
An der Wallfahrtskirche zum hl. Gregor dem Großen in GRON-
GÖRGEN ist an der östlichen Außenwand des Sakristeivorraumes die
Inschrift angebracht: „Anno di M CCCC LX (1460) in die bartho-
lomay an gehebt chor chirchn turn czu ent pracht Maister Thamann zu
prawnaw LXXII (72) mardini.“ 12 Jahre wurde also an der Kirche
gebaut, trotzdem sie ein einheitlicher Bau ist, da Chor, Kirche und
Turm gleichzeitig begonnen wurden, wie die Inschrift besagt.
Die Wölbung von Grongörgen zeigt im Chor „geknickte Reihung“,
also die Figuration, welche Thaman in seiner Heimat Braunau bei
96
Krumenauer gesehen haben kann. Merkwürdig ist die Figuration des
Langhauses. Sie findet sich nur bei einem kleinen Kreis von nicht all-
zuweit voneinander entfernt liegenden Bauten, die man daher mit dem
Namen Thamans in Beziehung bringen darf (Abb. 48).
98
Dienste 'i Chor Turm fTurmfries
OBERUTTLAU ist im Chor und Langhaus genau so figuriert
wie Grongörgen. Die Wölbung war im Jahre 1476 fertig (Jahreszahl
am Gewölbe). Der Chor ist um halbe Mauerbreite eingezogen, während
er in Grongörgen noch um 2 Mauerbreiten eingezogen war. Meister
Thaman hatte also in den dazwischen liegenden Jahren „spätgotischer
denken“ gelernt. —Oberuttlau gehörte übrigens wie Grongörgen zum
Prämonstratenserkloster St. Salvator. Auch das unterstützt in etwa die
Vermutung, daß an beiden Orten der gleiche Meister tätig war.
In DIETERSBURG wurden vorhandene Langhausmauern benützt
und die Strebepfeiler in den Innenraum als Wandpfeiler eingezogen —
eine Braunauer Praxis, die dem Meister Thaman natürlich nicht un-
bekannt war. — Die Zweiparallelrippenfiguration im Chor unter-
scheidet sich nur wenig von der „geknickten Reihung“ in Oberuttlau,
die Chorwandpfeiler sind denen im Schiff von Oberuttlau gleich,
ABB. 50 GERGWEIS
99
ebenso die Emporenfiguration der Vorhallenfiguration von Ober-
uttlau. Es kann kein Zweifel über den Meister von Dietersburg bestehen.
STEINKIRCHEN (Bez. Vilshofen) (Abb. 49) verwendet die
charakteristische Figuration nicht nur im Langhaus sondern auch im
Chor. Der Chor ist wie in Oberuttlau um halbe Mauerbreite ein-
gezogen. Das weist auf spätere Zeit im Wirken Thamans hin. Tat-
sächlich berichtet die Diözesanstatistik von einer Konsekration im
Jahre 1478.
ln GERGWEIS scheint Meister Thaman nur den Chor und die
Westempore eingewölbt zu haben. Das Übrige, wahrscheinlich auch der
Grundriß, rührt von anderen Händen her (Abb. 50).
Noch ein letztes Mal glaubt man die Spur Thamans entdecken zu
können und zwar in WOLFAKIRCHEN, das ursprünglich zu Ober-
uttlau gehörte. Das dortige Chorgewölbe verrät den Meister. Es dürfte
um 1480 entstanden sein. Der Meister scheint über der Arbeit gestorben
oder weggezogen zu sein; denn Langhaus und Turm sind Zeugen einer
ganz anders gearteten Formenwelt. Ein Landshuter hat den Bau voll-
endet (siehe unten).
ABB. 51 WOLFAKIRCHEN
100
j\ Die geknickte Reihung
War die eben besprochene Gruppe zeitlich und räumlich eng um-
grenzt und mit einem bestimmten Namen zu versehen, so ist dies leider
bei dieser Gruppe nicht der Fall.
Wahrscheinlich ist lediglich, daß die geknickte Reihung von Kru-
menauer ausgeht, der für kurvige Verkettungen eine Vorliebe hat.
Ferner sind die Meister, die bei uns die geknickte Reihung zuerst
anwenden, in Beziehung zu Krumenauer. Meister Thaman, der did
geknickte Reihung in Grongörgen und Oberuttlau ausführt, ist aus
Braunau, dem Wirkungsgebiet Krumenauers. Auch bei Sallinger ist ein
Schulverhältnis zu Krumenauer schon oben als wahrscheinlich bezeich-
net worden. Sallinger war eine Generation jünger als Krumenauer.
Krumenauer wird schon im Jahre 1427 als fertiger Meister urkundlich
bestätigt (Wiener Dombau). Um diese Zeit war Sallinger kaum zwan-
zig Jahre alt. Am 26. Oktober 1439 war die Grundsteinlegung der
Braunauer Stadtpfarrkirche. Vielleicht trat um diese Zeit Sallinger in
die Lehre; denn Pfarrkirchen liegt nur ca. 20 km von Braunau entfernt.
Freilich beweisen die Werke Sallingers, daß er mehr gesehen hat als
101
Krumenauers Werke; aber Krumenauersche Einflüsse sind bei Sallinger
unverkennbar.
Die geknickte Reihung im Chor der Pfarrkirche TRIFTERN ist
wohl älter als die im Langhaus; denn die Kopfkapitelle entsprechen im
Langhaus einem älteren Stil als die im Chor. Das Langhaus mag in den
Jahren 1460—1470 von Sallinger, sicher von einem Braunauer, gebaut
worden sein, denn an das Langhaus waren hochgezogene Seitenkapellen
angefügt, wie sich aus dem nun durch Anbau von Seitenschiffen ver-
änderten Mauerwerk noch deutlich erkennen läßt. Im dritten Joch
waren an Stelle der Seitenkapellen Portalvorhallen eingezogen. Das ist
alo die gleiche Lösung am einschiffigen Bau, wie wir sie in Eggenfelden
am dreischiffigen finden.
In den Jahren 1480 bis 1490 haben unbekannte Meister aus
Braunau eine Anzahl von Kirchen des Rottals mit der geknickten
Reihung figuriert, nämlich: KIRCHBERG-Chor (Bez. Eggenfelden),
PÖCKING, ROTTHOF (1484), NÖHAM und GAMBACH,
SCHREIHOF, POSTMÜNSTER und wahrscheinlich auch ORTEN-
BURG (die überlieferte Datierung von 1518 ist sicher irrig!) (Abb. 53).
102
*■? -i
Das Langhaus der Kirche von WALCHSING könnte Meister
Thaman gewölbt haben, als er im nahen Gergweis tätig war (Abb. 54).
Ein Teil der letztgenannten Kirchen ist jedoch nicht mehr auf der
Figuration gewölbt, wie das in Triftern so meisterhaft geschehen ist,
sondern die Figuration ist lediglich auf die Flachtonne aufgeklebt.
Die geknickte
Reihung ist außer-
halb unseres Ge-
bietes selten, aber
doch gegen das
Ende des Jahrhun-
derts gelegentlich
anzutreffen. So
wurde das Mittel-
schiff der schönen
Hallenkirche in
PILSTING da-
mit geschmückt
(1491), ferner EL-
SENBACH im
Bezirk Mühldorf,
BURGKIRCHEN
im Bezirk Altöt-
ting und endlich
HOFKIRCHEN
im Bezirk Vilsho-
fen. Um 1500
wird die Figura-
tion um eine klei-
ne Raute in der
Scheitellinie be-
reichert (Abb. 9)
und in HÖHEN-
STADT, WALD
(Bez. Pfarrkirchen), ARNSTORF und HARTKIRCHEN ange-
bracht. Jörg Perger und Ulrich Häntler bedienen sich ihrer bei der
ALTÖTTINGER STIFTSKIRCHE.
ABB. 54
WALCHSING
103
6. Der Taubenbacher Meister
Zwischen dem oberen Rottal und dem Inntal ist eine kleine
Gruppe von Kirchen, die eine auffallende Ähnlichkeit besitzen.
Die bedeutendste hievon ist TAUBENBACH. Das Langhaus, des-
sen Streben eingezogen sind, ist mit einer Figuration ausgestattet, für
die oben der Name ,,Dreiparallelrippenfiguration“ vorgeschlagen
wurde (Abb. 7). Der Chor hat „sechsteiligen Rautenstern“ (Abb. 4). Die
Wandpfeiler sind mit Kehle und Rundstab profiliert. Über dem Chor-
bogen findet sich aq. der Westseite die Jahreszahl 1473. Die ganz
gleichen Gewölbe in Chor und Langhaus haben die Kirchen in
GLHERSDORF, GUMPERSDORF und REUT. Sie sind ungefähr
gleichzeitig mit Taubenbach entstanden und liegen nur einige Kilo-
meter voneinander entfernt.
WALBURGSKIRCHEN und ZEILARN haben ebenfalls im
Langhaus „drei Parallelrippen“, während der Chor im vierteiligen
Rautenstern figuriert ist. Alle Chöre sind höchstens um Mauerbreite
eingezogen. Vom gleichen Meister dürfte auch MARTINSKIRCHEN
stammen. Der „sechsteilige Rautenstern“ ist in Chor und Langhaus
über breite, kurze Joche gespannt. Die Proportionen der Joche sind die
gleichen wie in Taubenbach (Jochlänge zur Jochbreite = 1:2,5); auch
die Pfeiler sind wie dort mit Kehle und Rundstab profiliert. Die näm-
lichen Proportionen, Figurationen und Wandpfeiler hat das Langhaus
von ZIMMERN, Der Chor des nahegelegenen EICHHORNSECK
verrät den gleichen Meister. Eventuell dürfte man auch beim Chor in
PISCHELSBERG und dem Langhaus von NEUHOFEN an ihn
denken. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Taubenbacher Meister aus
Landshut kam. Der Fries am Chor von Eichhornseck und die Vorliebe
für Backsteinrohbau und insbesondere die Figurationen sprechen dafür.
Die Dreiparallelrippenfiguration findet sich in Ostbayern nur mehr in
KÖSSLARN (vermutlich ein Werk Sallingers) und in JOHANNIS-
KIRCHEN. Johanniskirchen hat allerdings keine ganz parallele Rip-
penführung und dürfte also zu der hier besprochenen Gruppe nicht
gerechnet werden. Das Inventar datiert den Bau auf Grund einer archi-
valischen Angabe auf 1530. Eine so späte Bauzeit ist jedoch für diese
Kirche ausgeschlossen.
Der Taubenbacher Meister bringt kein großes Vermögen mit: drei
Figurationen und festliegende breite Proportionen; aber er wirtschaftet
mit seinen Mitteln sehr geschickt.
7. Hans Wechselberger
Hans Wechselberger scheint aus der Burghauser Gegend zu stam-
men. Dort gibt es einen Ort Wechselberg, der ihm hätte den Namen
geben können. Sein erstes bekanntes Werk liegt nun auch in der Gegend
von Burghausen, in HEILIGENKREUZ. 1477 soll es beendigt worden
sein. Als Charakteristika seiner Werke sind im oberbayerischen Inven-
tar auf geführt: Flankensäulchen an den Portalen, fialenartige Aufsätze
an den Strebepfeilern und die Gewölbefiguration. Diese Eigenarten
wurden auf Grund zweier oberbayerischer Werke auf gestellt. HAI-
106
MINGund das er-
wähnte Heiligen-
kreuz haben nach-
weislich. H. Wech-
selberger zumMei-
ster. Während
die Gewölbefigu-
ration von Heili-
genkreuz auch in
Niederbay. wie-
der zu finden ist,
kommen die an-
deren beiden Cha-
rakteristika selbst
bei den nachweis-
lich von Wechsel-
berger entworfe-
nen Bauten nicht
mehr vor. Die für
Wechselberger ty-
pische Figuration
ist nicht seine Er-
findung. Sallin-
ger verwendet sie
schon um 1470 in
Karpfham. Viel-
leicht war Wechselberger dabei als Geselle tätig. — Sollte das Gewölbe
von Asten im Bezirk Laufen wirklich aus dem Jahre 1461 stammen,
dann wäre das ein Beweis für die Beziehungen Sallingers zum Salz-
burger Kunstkreis, die ja durch seinen Lehrer Krumenauer an sich
nahe gelegt waren.
ABB.
js
ERING
Wenn nun auch Wechselberger die Priorität in der Verwendung
der erwähnten Figuration nicht zuzuerkennen ist, so ist doch er es, dem
die Verwendung allein zuverlässig nachgewiesen werden konnte (Hei-
ligenkreuz vor 1477). So mag es seine Berechtigung haben, wenn die
Figuration nach seinem Namen benannt würde. Vielleicht war Wechsel-
berger auch bei der Einwölbung von Frauenchiemsee (Chor) mittätig.
Diese Arbeit dürfte vor 1476 liegen, denn in diesem Jahre hat Lauffer
von Landshut das Schiff mit „fließenden Rauten“ eingewölbt.
Kurz nach 1480 ist Wechselberger in ERING und wölbt dort das
Langhaus ein, dessen Grundriß von einem anderen Meister festgelegt
war (Abb. 58).
Schon in Ering zeigt sich eine Neigung für kurvige Rippenführung
(Seitenkapelle rechts). Infolgedessen darf Wechselberger auch als der
Meister der Kirche von KIRCHDORF angesehen werden (Abb. 59).
Kirchdorf hat die gleichen Figurationen wie Ering, nur sind die
Muster zwischen Chor und Langhaus vertauscht. Auch die Strebe-
pfeiler sind weit eingezogen. Ebenso zieht Wechselberger den Chor-
bogen (nicht den Chor selber!) kräftig ein.
ABB. 59
KIRCHDORF
In BRAUNAU dürfte er nach dem Einsturz der Krumenauer-
schen Gewölbe im Jahre i486 das Langhausgewölbe in seiner Figura-
tion wiederhergestellt haben.
Das auf Konsolen in einem älteren Unterbau eingehängte Gewölbe
von Aunham hat ebenfalls Wechselbergerfiguration.
In MÜNCHHAM (1491) macht ihm der Innenraum wenig Ehre.
Er ist möglicherweise von einem anderen Meister; denn die ungeschickte
Ausführung der „geknickten Reihung“ ist für Wechselberger kaum
denkbar. Aber der Außenbau zeigt die Spuren seiner Hand: fialen-
artige Aufsätze an den Chor- und Turmoktogonstreben und Flanken-
säulchen am Portal.
Ob Wechselberger selbst das Langhaus in REUTERN gebaut hat
oder ein Schüler von ihm, ist nicht zu entscheiden. Jedenfalls stimmt
das vordere Joch des Langhauses in Reutern mit den Chor jochen in
Kirchdorf ganz überein. Das zweite Joch aber zeigt Überschneidungen,
wie sie uns ähnlich in dem 1518 gebauten Chor von Kößlarn wieder
begegnen, der wohl sicher das Werk eines Wechselbergerschülers ist.
Wechselberger, dessen Lebenszeit zwischen 1430 und 1500 angesetzt
werden kann, war ausschließlich in Ostbayern tätig. Daher dürften die
l
gleichzeitig im Landshuter Kreis zu findenden „Wechselbergerfigura-
tionencc nicht von ihm sein. Da — wie oben gesagt — die Figuration
vermutlich durch Sallinger in Altbayern eingeführt wurde und Sallinger
auch zur Landshuter Schule Beziehungen unterhielt, ist es gut möglich,
daß sich auch die Landshuter dieser Figuration bemächtigten. Im
Landshuter Kreis konnte die Figuration gefunden werden im Bezirk
Vilsbiburg in NIKLASHAAG, FRONTENHAUSEN und VILS-
BIBURG; im Bezirk Dingolfing in REISBACH.
Von dort drang sie auch in den Westen unseres Gebietes nach
ARNSTORF und nach STAUDACH (um 1480), das unmöglich eine
Arbeit Wechselbergers sein kann, sondern alle Merkmale einer Lands-
huter Arbeit an sich trägt (Abb. 67).
8. Der Meister von Aigen-Pfarrkirche
Der Chor der Pfarrkirche von AIGEN am Inn ist durch eine ganz
seltene Figuration bemerkenswert. Sie konnte nur im Langhaus von
PISCHELSBERG im Bezirk Eggenfelden nochmals entdeckt werden
(Abb. 62). Eine ähnliche, aber durchaus nicht gleiche Figuration hat
noch ST. BARBARA in Vilshofen (1480 bis 1490) (Abb. 63).
ABB. 61 AIGEN AM INN / PFARRKIRC H|E
l TO
Abgesehen vom sechsteiligen Rautenstern, der in Aigen im Lang-
haus und in Pischelsberg im Chor angebracht ist, konnte keine weitere
Beziehung zwischen beiden Werken festgestellt werden. Dennoch wird
der gleiche Meister in Frage kommen. Pischelsberg ist vielleicht eine
Etappe von Landshut her. Dafür würde auch der sechsteilige Rauten-
stern sprechen, der in Ostbayern für Schiff- und Chorwölbung nur in
einer Gruppe von Bauten noch Verwendung findet, die von Aigen
nicht allzuweit abliegen, während er in Landshut sehr beliebt ist.
Die Gruppe umfaßt die Kirchen von MITTICH (Langhaus),
SULZBACH (Langhaus), ENGERTSHAM (Langhaus), ORTEN-
BURG (Langhaus) (Abb. 53), HADER (Chor) u. REUTERN (Chor).
IT 1
Nun gehen aber die Datierungen der Bauten weit auseinander. Sulz-
bach soll schon vor 1461 vollendet gewesen sein (unter Abt Theodorich
gebaut, der in diesem Jahre starb), während Ortenburg erst 1518 ent-
standen sein soll. Untersucht man die einzelnen Denkmäler, so kann
12
man bei den Langhauswölbungen überall die gleichen Proportionen
feststellen, außerdem die gleichen Wandpfeilerprofile: in Sulzbach,
Engertsham, Aigen und Ortenburg gefast, nur in Mittich gekehlt. Sie
dürften daher gleiche Bauzeit haben (ca. 1489). Die beiden Chöre von
Hader und Reutern fallen allerdings aus der Regel. Sie sind auf Wand-
pfeilern mit Kehlen und Rundstab gewölbt und haben an allen Schnitt-
punkten kleine Schlußsteine. Die beiden Chöre sind wohl später ent-
standen und Schülerarbeit.
Daß Ortenburg nicht erst im Jahre 1518 gebaut worden sein
kann, wurde oben schon erwähnt.
9. Der Meister von Wolfakireben
In WOLFAKIRCHEN bricht die Tätigkeit des Meisters Tha-
man plötzlich ab und ein Meister aus einem fremden Kunstkreis voll-
endet das Werk. Wo der neue Meister seine künstlerische Heimat hat,
verrät der Turm, der ganz Landshuter Gepräge trägt. Vom neuen
Meister ist sicher auch das Langhaus geschaffen. Die Figuration ist der
von St. ANNA-Langhaus ganz ähnlich (Abb. 65). Wir finden sie —
und damit die Spur des Wolfakirchener Meisters — wieder im nahen
BERG. Nur durch eine Rippenknickung ist die Figuration modifiziert.
Die Wolfakirchener Arbeit ist kurz nach 1480 anzusetzen, die Kirche
in Berg war nachweislich um 1485 vollendet. Auch in KIRCHBERG
bei Birnbach ist der Einfluß des Wolfakirchener Meisters an den gefas-
ten Wandpfeilern ohne Dienstvorlage festzustellen. Diese sonderbare
Gestaltung der Wandpfeiler ist nur noch in der Rundkirche von HAUS-
BACH zu treffen, die deshalb auch mit dem Wolfakirchener Meister in
Beziehung gebracht werden darf.
Die Fährte, auf der unser Meister nach Ostbayern kam, läßt sich
wahrnehmen in NEUHOFEN (Chor), Bez. Pfarrkirchen und weiter
zurück nochmals in der Kirche in MARKLKOFEN, Bez. Dingolfing,
wo die beiden östlichen Mittelschiff joche die bewußte Figuration haben,
und endlich im Bezirk Landshut selber: in PÖRNDORF. Möglich wäre
es auch, daß der Meister von Wolfakirchen die Kirche in ROTTHAL-
MÜNSTER eingewölbt hat, denn erstens würde die Zeit passen, zwei-
tens läßt die asymmetrische Seitenschiffiguration auf einen Landshuter
Meister schließen (vgl. Frontenhausen und Velden), drittens ist die
8 113
1111 IIMI——
Figuration der Chorjoche in Rotthalmünster gleich derjenigen der west-
lichen Mittelschiffjoche in Marklkofen. Kleine Abweichungen
brauchen bei diesem Meister nicht in die Waagschale gelegt werden,
weil er in Berg gezeigt hat, daß er Experimenten nicht abgeneigt ist.
ABB. 66
8*
ST. ANNA
1 T S
ABB. 67
STAUDACH
10. Der Staudacher Meister
Daß STAUDACH von einem Landshuter gebaut ist, läßt sich
schon am Außenbau, besonders am Turm, mühelos erkennen. Daß dies
nicht der gleiche ist wie der in Wolfakirchen, unterliegt auch keinem
116
Zweifel. Er ist zwischen 1480 und 1490 tätig. — Staudach ist ein
Hallenbau von breiten Proportionen und schweren Säulen (Abb. 67).
Die Schiffe sind insgesamt breiter als lang. Das südliche Seitenschiff ist
schmäler als das nördliche.
Während der Chor in der „Wechselberger Figuration“ gewölbt
ist, hat das Langhaus eine Figuration wie sie nur noch in dem Staudach
117
benachbarten OBERDIETFURT vorkommt. Gehäufte Querrippen
säumen eine Reihe von Scheitelrauten (Abb. 69).
Oberdietfurt hat die gleiche Entstehungszeit wie Staudach. Daß
beide Werke dem nämlichen Meister zuzuschreiben sind, ist mehr als
wahrscheinlich, wenn auch Oberdietfurt Achteckpfeiler, ungegliederten
OBERDIETFURT
Turm und strebenlosen Chor hat. Oberdietfurt hat dieselben breiten
Proportionen wie Staudach, hat auch ein schmäleres südliches Seiten-
schiff und hat schwere Pfeiler (Abb. 68).
Die Staudacher Figuration konnte im Landshuter Bereich fest-
gestellt werden in VELDEN und JOHANNISKIRCHEN (beide Bez.
Vilsbiburg) und in ERDING (nach dem Rekonstruktionsplan von
1666). Eine gewisse Ähnlichkeit damit hat auch die Figuration der
Laurentiuskapelle im STRASSBURGER Münster, die von Jakob von
Landshut in den Jahren 1494—1505 geschaffen wurde.
ABB. 71
HOFKIRCHEN
120
ii. Der Meister von Hofkirchen
Der Bau von HOFKIRCHEN entzog sich allen Versuchen, ihn in
eine Gruppierung einzubeziehen.
Der Chor hat geknickte Reihung, die Empore die Figuration des
Langhauses in Berg, das Langhaus „fließ ende Rauten“ (etwas einfacher
als die bekannten Landshuter) und die Sakristei die Figuration von
Staudach (Abb. 71).
Ist schon die Zusammensetzung der Figurationen gesucht, so ent-
fernt sich die dekorative Verschnörkelung, mit der er die Figurationen
versieht, noch mehr von aller ostbayerischen Gewohnheit. Diese Ver-
schnörkelung setzt sich fort bis in die Einzelheiten, wie Maßv/erk, Por-
talgewände usw.
Es läßt sich keine Vermutung aussprechen, welchem Meister oder
welcher Gruppe die Kirche zuzuzählen sei, da alle Vergleichsobjekte
fehlen.
Die Bauzeit liegt nach archivalischen Angaben um 1490.
12. Die einfachen Figurationen
Neben den besprochenen eine gewisse Individualität verratenden
Figurationen gibt es noch zwei einfache, die im letzten Drittel des Jahr-
hunderts wohl nur talentlosen Meistern zuzueignen sind. Die bessere
von beiden ist die der „zwei Parallelrippen“ (Abb. 6). Sie
ist im ganzen altbayerischen Gebiet anzutreffen. Konrad Pürkhel hatte
sie zum ersten Male in TRUCHTLACHING im Jahre 1435 gebraucht,
die LANDSHUTER St. Martins-Kirche wurde um 1440 damit gewölbt.
Bei uns kommt sie vor in EGGLHAM, DIETERSBURG, GERBERS-
DORF, UNTERZEITLARN, DÖRNACH, MITTICH, AIGEN
am Inn-St. Leonhard und KRIESTORF. Dem Ulrich Häntler ist sie
noch im Jahre 1512 für die BURGHAUSER Spitalkirche gut genug.
Noch häufiger ist der „vierteilige Rautenstern“, der
in der ersten Jahrhunderthälfte die große Neuerung der Passauer
bedeutete. Später wird er zur Dutzendware unter den Figurationen.
Selbst die findigen Landshuter verachten ihn nicht. (Bez. Landshut 9,
Bez. Landau 8).
12 1
In unseren Bezirken sieht man ihn u. a. in PFARRKIRCHEN,
PETERSKIRCHEN, WALD, ZIMMERN, WALBURGSKIRCHEN,
TETTENWEIS, BIRNBACH, MALCHING, ROTTHOF, GERG-
WEIS, EICHENDORF; teilweise sind an den Jochgrenzen Gurtrippen
in der Stärke der anderen Rippen eingezogen.
ij. Das sechzehnte ]ahrhundert
Mit der Jahrhundertwende erlahmt der Baueifer, der 50 Jahre in
einer unerhörten Intensität angehalten hatte. Die Gegend war mit Neu-
bauten angefüllt. Selbst in vergessenen Weilern standen stattliche Kir-
chen. Die Grenze der Kapazität war erreicht. Der Stil des 16. Jahr-
hunderts mit seinen dünnen Rippen und Überschneidungen tut sich
daher nur in einem einzigen vollständigen Werk kund, in ST. ANNA
bei Ering, eine im Aussenbau sehr beachtliche Arbeit, im Innern aber
ein kraftloses Zierstück. Der Meister — wohl ein Schüler Wechsel-
bergers — dürfte mit dem identisch sein, der 1518 den Chor in KÖSS-
LARN vollendet hat. 1520 wurde — laut Inschrift am Strebepfeiler
östlich des Südportals — der Bau begonnen (Abb. 65 u. 43).
122
Dem gleichen Meister könnte man möglicherweise die Seitenkapel-
len in der VILSHOFENER Stadtpfarrkirche zuteilen, die 1513 im
Bau waren und eine typische Leistung des 16. Jahrhunderts sind. Mit
den beiden Türmen in SCHILDTHURN und TAUBENBACH, die
beide um 1530 vollendet waren, schließt der spätgotische Stil in Ost-
bayern ab.
EINBAU IN DIE KULTURGESCHICHTE
Karlinger hat in seiner Arbeit über den spätgotischen Kirchenbau
mit Recht hingewiesen auf die fundamentalen Änderungen, die sich in
sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht in Altbayern im
Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts vollzogen. Sie waren die Vor-
bedingung für das Erwachen des Bauwillens. Die Städte und vor allem
die vielen Märkte entwickelten sich, gewannen zunehmend Privilegien
und Freiheiten, sammelten einen wohlhabenden und intelligenten Bür-
gerstand in ihren Mauern und traten auch in kultureller Hinsicht in
Wettbewerb mit Klöstern und Stiften. Auch der Umstand, daß es in
dem kleinen altbayerischen Gebiet vier Regierungssitze gab, die von
Ambitionen um die größte Glanzentfaltung geplagt wurden, ist nicht
ohne Bedeutung. Selbst auf dem flachen Land ist ein Wachsen des
Kunstbedürfnisses zu konstatieren. Die rein technische Seite der Bau-
kunst, das Maurerhandwerk, wurde durch die in diesen Jahren zahl-
reich errichteten Befestigungen und Burgen einem größeren Kreis von
Arbeitern vertraut.
Alle diese Momente haben gewiß eine große Bedeutung für die
Realisierung des Bauwillens.
Dennoch vermögen sie nicht die Tatsache zu erklären, daß sich die
schlechthin staunenswerte Regsamkeit fast ausschließlich auf dem Gebiete
des Kirchenbaues betätigt, wenigstens soweit es sich um die zweite
Hälfte des 15. Jahrhunderts handelt. Der neu erworbene Wohlstand
hätte sich auch in Rathäusern, in prachtvollen Bürgershäusern, in Brun-
nen und Brücken zeigen können. Von all dem besitzt Altbayern fast
nichts aus der Zeit des 15. Jahrhunderts. Dagegen zeugen prächtige
Kirchenbauten an abgelegenen Orten wie Grongörgen, Staudach, Sankt
Anna, St. Wolf gang u. a. von einem nahezu unerschöpflichen Eifer,
gerade Gotteshäuser zu bauen.
Die Erklärung hiefür bietet allein die Tatsache, daß das altbaye-
rische Volk im 15. Jahrhundert in einer religiösen Ergriffenheit war,
wie sie niemals später, auch in der Barockzeit nicht, wiederkehrte.
Es war nicht nur der einfache kirchliche Glaube, der das Volk
damals erfüllte, nicht nur die gewöhnliche moralische Pflicht, die sein
Handeln bestimmte, es war vielmehr ein mystisches Erleben, ein sich
124
Einbezogenfühlen in den Strom des göttlichen Lebens, das damals das
breite Volk erfaßte.
Es sind vor allem die Werke der darstellenden Kunst, die uns
einen Einblick in die Gesinnungen des Volkes gewähren. Es werden
gerade die Themen bevorzugt, die die allerhöchsten Anforderungen an
die Feinfühligkeit des religiösen Empfindens stellen. Hieher zählen die
zahlreichen aus dem 15. Jahrhundert stammenden ,,ölbergecc, die den
blutschwitzenden Heiland neben den drei schlafenden Jüngern dar-
stellen, die zahlreichen überlebensgroßen Holzskulpturen „Christi an
der Geißelsäule“, die noch heute Gegenstand der Verehrung sind, und
die zahlreichen Darstellungen des „verborgenen Leidens Jesu“, die
Christus im Kerker, an Händen und Füßen gefesselt, zeigen. Hieher
zählen auch die zahlreichen Darstellungen des „Schmerzensmannes“,
der auf seine Seitenwunde deutet, deren eucharistisch-mystische Sym-
bolik R. Bauerreiß nachgewiesen hat (Pie Jesu, München 1931),
Eine ähnliche Seite des religiösen Empfindens äußert sich im Hei-
ligenblutkult, der meist im Zusammenhang mit einer Hostienfrevel-
legende steht. An diesem Kult hat Altbayern einen wesentlichen Anteil.
Wir begegnen ihm in unserer Gegend in Heiligenstatt (Kirche geweiht
1373), in Passau-St. Salvator (Kirchenbau 1480), in der „Gnad“ in
Deggendorf (Kirchenbau Ende des 14. Jahrh.) und in St. Salvator.
Wenn man sich auch über die skrupellose „Entlehnung“ der Hostien-
frevellegende bei Gründung der einzelnen Wallfahrten seine Gedanken
machen kann, so können doch die religiösen Werte einer so allgemeinen
und jahrzehntelangen Sühne für sporadische Verunehrung des Sakra-
mentes gar nicht hoch genug angeschlagen werden. Nur ein tiefreligiöses
und feinempfindendes Volk konnte ein so inniges Mit-leiden mit dem
Gottmenschen und dem eucharistischen Gott aufbringen.
In den spärlichen literarischen Resten, die uns aus jener Zeit in
Altbayern erhalten sind, finden wir denn auch die beredte Interpreta-
tion der auf geführten Tatsachen. Besonders in den Passionspredigten
des Dr. Paul Wann, gehalten im Passauer Dom im Jahre 1460, spiegelt
sich die religiöse Wärme und Inbrunst des Zeitalters. (Passauer Passio-
nale, herausgegeben von F. X. Zacher, Augsburg, ohne Jahreszahl.)
Daß eine Generation von so zartem religiösen Gemüt auch die
Gottesmutter verehrte, kann nicht wundernehmen. Daß aber in dem
verhältnismäßig kleinen Gebiet 15 Marienwallfahrten entstanden, oder
I25
sich aus früheren bescheidenen Anfängen zur Bedeutung entwickelten,
übersteigt doch alle Erwartung. Es sind dies die Orte: Aicha v. W., Alt-
ötting (mächtiger Aufschwung, Stiftskirchenbau), Ammersdorf (Maria
Rast), Feichten (Kirchenbau 1502), Frauenberg in Hengersberg,
Frauentödling, Guteneck, Höhenstadt (Maria im Turm), Kirchdorf
im Wald, Marienberg bei Raitenhaslach, Maria Wald bei Nöham,
Niedergottsau, Waldhof. (Vergl. Christian Schreiber, Wallfahrten
durchs deutsche Land, Berlin 1928.)
Neben den Marienwallfahrten steht aber noch eine ebenso große
Anzahl von Heiligen-Wallfahrten, nämlich zum hl. Leonhard (Aigen
am Inn und Asenham), zur hl. Anna (St. Anna bei Ering, Unterkreuz-
berg, Hainberg), zum hl. Achatius (Hals), zur hl. Korona (Elandlab,
Staudach, St. Korona bei Tiefenbach), zum hl. Erasmus (Heiligenberg),
zum hl. Georg (Hölzlberg), zum hl. Gregor dem Großen (Grongörgen),
zum hl. Oswald (St. Oswald), zum hl. Egidius (Schildthurn), zum hl.
Alban (Taubenbach) und zum hl. Wolfgang (St. Wolfgang). Das Vor-
handensein und der Bestand so zahlreicher Wallfahrtsorte sind bedingt
durch ungezählte öffentliche Wallfahrten sowohl wie private und
durch eine Unsumme religiöser Impulse.
Dieser religiöse Hochsinn des Volkes, an dem der Klerus wie es
scheint, nur geringen Anteil hatte, brach im 16. Jahrhundert jäh ab,
um der erschreckenden religiösen Gleichgültigkeit Platz zu machen,
wovon der Bericht einer Visitation, die der Herzog im Jahre 15 57 in
sämtlichen bayerischen Pfarreien vornehmen ließ, ein trauriges Bild
gibt. Diese Zeit konnte keine Kirchen bauen. Am Regensburger Dom-
turm wurde im Jahre 1524 die Arbeit eingestellt, kurze Zeit darauf
wurde am Turm von Schildthurn der letzte Stein der ostbayerischen
Spätgotik gesetzt.
126
ORTSVERZEICHNIS
(fette Ziffern beziehen sich auf die Abbildungen!)
Aicha v. W. 126
Aigen a. Inn 27, 3 if, 36, 55/, 64, 69^
72, 77, 440, m, 121, 126
Altötting 39, 42f, 46f, 49, 103, 126
Amberg 3 6
Ammersdorf 126
Anna St. 77, 113, 444, 445, 122, 124,
126
Annaberg 12, 4if
Arnstorf 62, 63, 76
Asenham 126
Asten 107
Aunham 20, 30, 109
Berg 31, 36, 67, 113, 115, 121
Birnbach 122
Braunau 15, 20, 30, 32, 44, 46f, 49f,
61, 63, 75, 77, 96, 101, 109
Burghausen 39, 61, 75, 77, 81, 87, 106,
121
Burgkirchen 32, 103
Deggendorf 20, 125
Diepoltskirchen 6 3
Dietersburg 36, 99, 121
Dinkelsbühl 42
Dörnach 121
Döttenberg 38
Ebering 39
Ebersberg 61
Edermannmg 67
Edenstetten 32
EggenKlden 10, 40, 41 f- 45, 44, 46f,
48, 49, 62 f, 65, 69, 70, 88, 94, 102
Egglfing 87
Egglham 67, 121
Eggstetten 67
Eholfing 27, 36, 38, 62, 66 86
Eiberg 67. 77
E chendorf 6t,, 122
Eichhornseck 67, 105
Ei.senbach 103
Engertsham 36, 38, 61, 6jf, 86, mff
En gib erg 44, 47
Erding 119
Ering 3^, 36, 38, 68, 82, 407, 108
Erlach 36, 65 ff
Feichten 126
Frauenchiemsee 28, 36, 107
Frauentödling 126
Freiberg 12, 42
Frontenhausen 29, 110, 113
Gambach 36, 102
Ganacker 46
Gehersdorf 67, 104
Gerbersdorf 63, 121
Gergweis 31, 35^ 99> I00> 122
Gern 63
Göpping 62
Goyau 54
Griesbach 30, 32
Grongörgen 35, 36, 70, 77, 96, 97,
.101, 124, 126
Gumpersdorf 104
Guteneck 126
Hader m
Haiming 106
Hainberg 29, 126
Hals 24, 66, 77, 126
Handlab 126
Hartkirchen 36, 103
Hausbach 31, 56, 56, 5J, 113
Heiiigenberg 126
Heiligenstatt 67, 125
Heiligkreuz 23, 53f, 77
Heißprechting 63, 66
Hengersberg 126
Hirschbach 68
Flirschhorn 69
Hofkirchen 29, 36, 64, 103, 449, 420,
121.
Höhenstadt 35, 36, 38, 61, 69, 85, 86,
103, 126
Hölzlberg 62, 126
Huldsessen 67
Hutthurm 66
Johanniskirchen Bez. Eggenfelden 63,
io5
Johanniskirchen Bez. Vilsbiburg 119
Ingolstadt 42, 92
Hehl 88
Karpfham 29, 3 5 f, 61, 64, 67, $5, 95f,
107
Kematen 63, 77
Keilberg 32, 41, 44, 46. 61, 84, 85
Kirchberg 31, 67, 102, 113
Kirchdorf a. Inn 32 68, 408f
Kirchdorf i. W. 126
K irn 31
Korona St. 126
Kößlarn 36, 87^ $0, 94, 93, 105, 122
Kriestorf 121
Kühbach 62
Kiihnham 39
Landshut 12, 15, 4if, 69, 75, 83, 108,
119, 121
Laufen 36, 46
Malching 82, 122
Malgersdorf 68
Margaretenberg 75
Marienberg 126
Marklkofen 113f
Martinskirchen 68, 104
Michelsbach 28
Mittich 36. 61, mf, 121
Mühldorf 33, 61
Münchham 38, 62, 64ff, 81, 109
München 42, 92, 94
Neuburg 62
Neuhofen 67, 105. 113
Neukirchen am Inn 31, 54, 35f, 38,
61. 65, 85
Neukirchen bei Arnstorf 21, 24, 29, 33,
39> 63
Neuk.rchen bei Pfarrkirchen 76
Neumarkt 32
Neuötting 22, 35, 69, 71
N'eder gottsau 126
Niklashaag 110
Nöham 102, 126
Nürnberg 36, 42, 92
Oberdietfurt 41, 44, 46f, 66, 447f
Oberganghofen 39
Obergrasensee 24, 36
Oberindling 36, 69, 74
Obernbuch so
Oberteisendorf 24
Obertrennbach ^if
Oberuttlau 99ff
Ortenburg 102, 402, mff
Oswald St. 126
Passau 44, 45, 46, 54, 55, 58, 59, 82f5
I2?
Peterskirchen 122
Pfarrkirchen 62, 76, 92, 122
Pilsting 103
P:rna 12, 41
P’schelsberg 105, 110, 444
Plauen 41
Pöcking 36, 102
Pörndorf 113
Postmünster 24, 36, 63, 102
Prienbach 36, 67
Rechtmehring 44, 47
Regensburg 32
Reichenau 96
Reisbach 110
Rengersdorf 39
Reut 104
Reutern 35P 109, m
Rogglfing 68, 69
Rotthalmünster 41, 44, 46, 87, 88, 89>
113
Rotthof 30, 36, 102, 122
Salvator St. 99, 125
Salzburg 37
Schärd ng 67, 81
Schildthurn 7off, 74, 77, 123, 126
Schnaitsee 50, 53
Schneeberg 12, 42
Schreihof 102
Schwäbisch Gmünd 12, 42
Seeon 25
Seibersdorf 67
Staudach 32, 4if, 44, 47, 76, 110, 446,
121, 124, 126
Steinkirchen 35, 65, 98, 100
Straßburg 13, 119
Straubing 42
Stuttgart 42
Sulzbach 32, 36, 61, 77, m
Thanndorf 62
Taubenbach 38. 7off, 75, 77, 90, 104,
405, 123, 126
Taufkirchen 77
Tettenwe's 50, 54, 52, 53, 122
Tiefenbach 62
Traunste n 25
Triftern 21, 26, 3 5f, 63, 66f, 102
Trostberg 3 5 f, 44
Truchtlaching 25, 87, 121
Ulm 13, 92
Unterd etfurt 26, 41, 44, 46, 60, 67,
7Öf 92, 95f
Unterkreuzberg 126
Unterzeitlarn 63, 121
Usterling 39
Velden 113, 119
Vilsb bürg 31, 110
Vilshofen 110, 442, 123
Vornbach 39
Walburgskirchen 76, 104, 122
Walchsing 29, 31, 3$f, 103, 405
Wald 103, 122, 126
Waldhof 63, 126
Wasserburg 22, 61, 75
Wechselberg 106
Weihmörting 62
Weinberg bei Peterskirchen 63
Weng 30
Wien 26. 101
Winhöring 46
W'.ttibreuth 62, 76
Wolfakirchen 31 35f, 75, 77, 400, 113
Wolfgang St. 36, 124, 126
Wonneberg 23
Würd'ng 61, 67, 87
Zeilarn 104
Zell 67
Zimmern 62, 68, 105, 122
Zwickau 12, 4if
128
Imprimatur: Passau, den 9. Februar 1940. Dr. Riemer, Generalvikar.
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