276 Fünfzehntes Kapitel. sein Vergnügen zu haben, gefährdete Plätze ziehen ihn besonders an, man möchte fast glauben, daß er den Tod sucht. DaS wäre ein schöner Abschluß eines glänzenden Lebenslaufs. Aber die Kugeln weichen ihm aus, während sie die, die in seiner Nähe sind, nicht schonen. Ja, er¬ geht so weit, daß er sich bis an die Schützengräben heranschleicht, sich dort niederlegt und mit den Soldaten scherzt. Natürlich wirkt seine Gegenwart auf sie im höchsten Grad anfeuernd. Eines Tags ging er in Begleitung eines Soldaten bis an einen feindlichen Schützengraben heran, der freilich lange still gelegen hatte, von dem man aber doch nicht wissen konnte, ob er Besatzung enthielt oder nicht. Glücklicherweise war er leer. Als Exzellenz zurückkehrte, machten wir ihm Vorwürfe wegen seiner Unvorsichtigkeit. ,Abcr es war ja niemand drin', ant¬ wortete er ganz ruhig. — ,Aber es hätten sich doch Schützen versteckt halten können/ — ,Freilich; dann wäre ich wahrscheinlich nicht hin¬ gegangen/" Wie wir gerade von Exzellenz von der Goltz sprachen, trat er selbst aus seinem Zimmer heraus und forderte mich auf, ihm zu folgen. Ich kannte ihn von der Berliner Deutsch-Asiatischen Gesellschaft her, wo ich unter seinem Vorsitz über meine letzte Reise gesprochen hatte. Er emp¬ fing mich auch wie einen alten Bekannten. Der Gcncralgouverneur von Belgien, Feldmarschall Freiherr von der Goltz, seinerzeit Pascha in türkischen Diensten und jetzt wieder von seinem Kaiser dem Sultan zur Verfügung gestellt, steht im zwciuud- siebzigstcn Lebensjahr, hat aber noch Tatkraft und Energie wie ein junger Mann und fühlt sich im Felde so recht in seinem Element. Kräftig gebaut und stämmig, ist er klein von Gestalt, hat freundliche und lustig blinzelnde Augen hinter einer Brille und erinnert mehr an einen Professor als an einen General. Tatsächlich ist er auch ein sehr- gelehrter Mann, der viele kriegsgcschichtliche Arbeiten von großem Wert herausgegeben hat, nicht zum wenigsten über den Deutsch-Französischen Krieg, an dem er teilnahm. Als wir allein waren, berichtete er mir die große Neuigkeit, daß Antwerpen am selben Tag gefallen und die deutschen Truppen nach¬ mittag 3 Uhr eingezogen seien! Kein Wunder also, daß wir bei Waterloo nichts von einer Kanonade gehört hatten. Ich nahm mir sofort die