630 A«! Man drückt uns das Schwert in die Hand. Ich hoffe, daß, wenn es nicht in letzter Stunde Meinen Bemühungen gelingt, die Gegner zum Einsehen zu bringen und den Frieden zu erhalten, wir das Schwert mit Gottes Hilfe so führen werden, daß wir es mit Ehren wieder in die Scheide stecken können. Enorme Opfer an Gut und Blut würde ein Krieg vom deutschen Volke erfordern, den Gegnern aber würden wir zeigen, was es heißt, Deutschland anzugreifen. Und nun empfehle ich Euch Gott; jetzt geht in die Kirche, kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer." •k -k Ansprache Bethmann Hollwegs an die Berliner Bevölkerung. In ernster Stunde sind Sie, um Ihrem vaterländischen Empfinden Ausdruck zu geben, vor dem Hause Bis-- m a r ck s erschienen, Bismarcks, der uns mit Kaiser Wilhelm dem Großen und dem Feldmarschall Moltke das Deutsche Reich schmiedete. Wir wollten in dem Reiche, das wir in ^jähriger Friedens^ arbeit ausgebaut haben, auch ferner in Frieden leben; das ganze Wirken des Kaisers war der Erhaltung des Friedens gewidmet. Bis in die letzten Stunden wirkte der Kaiser für den Frieden Europas und er wirkt noch für ihn. Sollte all sein Bemühen vergeblich sein, sollte uns das Schwert in die Hand gezwungen werden, so werden wir ins Feld ziehen mit gutem Gewissen und dem Bewußtsein, daß nicht wir den Krieg wollten. Wir werden dann den Kampf um unsere Existenz und unsere nationale Ehre mit der Einsetzung unseres letzten Blutstropfens führen. Im Ernste dieser Stunde erinnere ich Sie an das Wort, das einst Prinz Friedrich Karl den Brandenburgern zurief: „Laßt eure Herzen schlagen zu Gott, eure Fäuste auf den Feind!" 8j Telegrammwechselzwischen Kaiser Wilhelm und dem Zaren. Kaiser Wilhelm telegraphiert an den Zaren (28. Juli 10.45 p.m.): Mit der größten Beun- ruhigung höre Ich von dem Eindruck, den Österreich-Ungarns Vorgehen gegen Serbien in Deinem Reiche hervorruft. Die skrupellose Agitation, die seit Jahren in Serbien getrieben worden ist, hat zu dem empörenden Verbrechen geführt, dessen Opfer Erzherzog Franz Ferdinand geworden ist. Der Geist, der die Serben ihren eigenen König und seine Ge- mahlin morden ließ, herrscht heute noch in jenem Lande. Zweifellos wirst Du mit Mir darin übereinstimmen, daß wir beide, Du und Ich sowohl als alle Souveräne ein ge- meinfames Interesse daran haben, darauf zu bestehen, daß alle diejenigen, die für den scheußlichen Mord moralisch ver- antwortlich stnd, ihre verdiente Strafe erleiden. Andererseits übersehe Ich keineswegs, wie schwierig es für Dich und Deine Regierung ist, den Strömungen der öffentlichen Meinung entgegenzutreten. Eingedenk der herz- lichen Freundschaft, die Uns beide seit langer Zeit mit festem Band verbindet, setze Ich daher meinen ganzen Einfluß ein, um Osterreich-Ungarn dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du Mich in Meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen können, zu beseitigen, unterstützen wirst. Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter gez. Wilhelm. Der Zar telegraphiert an Kaiser Wilhelm: Peterhof. Palais, 29. Juli 1 p. m. Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist. In diesem ernsten Augenblick bitte Ich Dich inständig Mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches Land erklärt worden, die Entrüstung hierüber, die Ich völlig teile, ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß Ich sehr bald dem Druck, der auf Mich ausgeübt wird, nicht mehr werde widerstehen können und gezwungen sein werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte Ich Dich im Namen unserer alten Freund- schast, alles Dir mögliche zu tun, um Deinen Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu weit zu gehen. gez. Nikolaus. Kaiser Wilhelm telegraphiert an den Zaren: 29. Juli 6.30 p. m. Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann Ich — wie Ich Dir in meinem ersten Telegramm sagte — Österreich-Ungarns Vorgehen nicht als „schmählichen Krieg" betrachten. Osterreich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen, wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind. Meiner Ansicht nach ist Österreich-Ungarns Vorgehen als ein Versuch zu betrachten, volle Garantie dafür zu erhalten, daß Serbiens Ver- sprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden. In dieser Ansicht werde Ich bestärkt durch die Erklärung des öster- reichischen Kabinetts, daß^Osterreich-Ungarn keine territorialen Eroberungen auf Kosten" Serbiens beabsichtigte. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus möglich ist, dem öster- reichisch-serbischen Krieg gegenüber in der Rolle des Zu- schauers zu verharren, ohne Europa in den schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat/ Ich glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die — wie ich Dir schon telegraphierte — Meine Regierung mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich würden mili- tärifche Maßnahmen Rußlands, welche Osterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück beschleunigen, das Wir beide zu vermeiden wünschen, und würden auch Meine Stellung als Vermittler, die Ich — auf Deinen Appell an Meine Freundschaft und Hilfe — bereitwillig angenommen habe, untergraben. gez. Wilhelm. Kaiser Wilhelm telegraphiert an den Zaren: 30. Juli 1 p. m. Mein Botschafter ist angewiesen. Deine Regierung auf die Gefahren und schweren Konsequenzen einer Mobilisation hinzuweisen; das gleiche habe Ich Dir in Meinem letzten Telegramm gesagt. Osterreich-Ungarn hat nur gegen Serbien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mitteilung der Fall ist, gegen Osterreich-Ungarn mobil macht, so wird die Vermittlerrolle, mit der Du Mich in freundfchaft- licher Weise betrautest und die Ich auf Deine ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet, wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verantwortung für Krieg oder Frieden zu tragen. gez. Wilhelm. Der Zar telegraphiert an Kaiser Wilhelm: Peterhof, den 30, Juli 1914, 1.20 p. m. Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich entsende heute Abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen beschlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen die Vor-