396 Seekrieg Ehe nun an die Schilderung der weiteren Begebenheiten geschritten wird, mögen die Aufgaben der türkis scheu Flotte und der ihr zugewiesene Seekriegs-- schau platz näher beleuchtet werden: Die Aufgabe der türkischen Flotte be-- schränkte sich bei dem zu Kriegsausbruch besiehenden Schwäche- Verhältnis gegenüber den Entente-Flotten, auf die Ans-- Übung der Seeherrschaft im Schwarzen Meere sowie auf die möglichste Unterstützung der Bosporus-- und Dardanellenverteidigung. Erster« Notwendigkeit sind die Osmanen zur See, dank der Verstärkung ihrer Seestreitkräfte um die ehemals beut- schen Einheiten „Sultan Z) avuz" und „M i d i l l i" in der vollkommensten Weife nachgekommen, indem sie die russische Schwarze Meer-Flotte wiederholt an-- griffen, zurückschlugen, verjagten und die russischen Seehäfen beschossen, wobei die Moskowiter jeder Entscheidungsschlacht ausgewichen sind. Die türkische Marine hat hiebet durch chr ganzes Verhalten bewiesen, daß sie sich ihrer Pflichten voll be- wüßt sei, und Wachsamkeit mit Schlagfertigkeit und Angriffs- lnst zu verbinden verstehe, wodurch dem Halbmond zur See neue Kriegsehren in reichem Maße erkämpft werden konnten. Der Kriegsschauplatz der Osmanischen Flotte umfaßt bei obigen Aufgaben das Schwarze Meer und die Dardanellen. Das seiner vielen Stürme wegen als „s ch w a r z" be- zeichnete Binnenmeer weist vorwiegend tiefe Ufergewässer auf. Als Flottenstützpunkte kommen nur die B o s p o r u s-Ein- fahrt, die Bucht von E r e g l i und der Hafen von S i n o p e im Osten, die Reede von M i d i a im Westen in Betracht. Arm an Ressourcen aller Art, selbst an ausmündenden Wasser-- läusen, bietet der Uferrand im türkischen Bereiche wohl nirgends eine Unterstützung der Verteidigung. Die Dardanellen und der Bosporus dagegen besitzen nicht bloß als Verkehrswege vomSchwarzen zum Ä g ä i sch e u Meer, sondern auch als Brückenpunkte des südöstlichen Europas gegenüber Kl e i n a si e n eine große strate- gische Wichtigkeit. Als Handels- und einziger Exportweg der Pontusgebiete kommt dieser Wasserstraße ein geradzn un- schätzbarer Wert zu. Im einzelnen setzt sich diese Meerenge aus drei Teilen zusammen: dem Bosporus, dem M a r m a r a m e e r und den Dardanellen. Der Bosporus ist ein flußartiges Gebilde mit einer lebhaften Strömung, die an der Oberfläche vomSchwarzen Meer aus nach K o n st a n t i n o p e l setzt und es mit sich bringen kann, daß Minen, die am Ausgang des S ch w a r- zen Meeres ausgesetzt werden, zur Hauptstadt des türkischen Reiches treiben können. Diese Strömungen sind für die militärischen Operationen höchst wichtig, sie bereiten dem Angreifer große Schwierigkeiten und erleichtern die Verteidigung. Alle Waren, die an der Küste Rumäniens und R n ß- lands im Schwarzen Meere aufgestapelt werden, müssen zum Export den B o s p o r n s passieren. So stehen E o n st a n z a und Odessa im innigsten Kontakte mit der Straße des Bos p o rus und mit Konstantinopel. Auf der anderen Seite, in der Ägäis, sind Saloniki »nd S m y r n a in jüngster Zeit wichtige Konkurrenzhäfen geworden. Die politische Bedeutung von Bosporus und den Dardanellen wird dadurch bestimmt, daß diese Wasier- straße zwischen zwei großen Meeresbecken gelegen ist und letzten Endes in ihrer Verwendbarkeit von den wichtigen Flottenstützpunkten Aden und dem S n e z k a n a l, sowie von Gibraltar unabhängig bleibt. In jüngster Zeit haben daher die Engländer ein neues Gibraltar im Mittelmeer zu schaffen versucht, indem sie die Insel T e n e d o s besetzten, von der die Einfahrt in die Dardanellen militärisch voll- kommen beherrscht werden kann. Diese Festsetzung erklärt den Standpunkt Englands gegenüber den russischen Dardanellenaspirationen. Denn falls die Russen auch in den Besitz der Dardanellen gelangen würden, so bliebe England durch Gibraltar, Aden, Suezkanal und Tenedos noch immer der Beherrscher und Gebieter des Mittelmeeres. Die Dardanellenbefestigungen sind übrigens nicht nur zahlreich, sondern auch sehr stark; namentlich die Außenforts an der Pforte vom Ägäischen Meer sind äußerst Widerstands- fähig. Diese Befestigungen sind übrigens nicht die allersiärksten Werke der Dardanellenverteidigung. Dennoch haben sie einer so langen und so heftigen Beschießung Widerstand geleistet. Auf die weiteren gewaltigen Verteidigungsmittel der Dardanellensperre einzugehen, erübrigt sich im heutigen Zeitpunkt. Ein wirksamer Angriff auf die Dardanellen durch eine Flotte ist auf verschiedene Weise denkbar: und zwar entweder durch kühne Forcierung oder durch einen be- lagerungsmäßigen Angriff. Bei der For- cierung wird eine angreifende Flotte mit höchster Geschwindig- keit die Straße zu passieren versuchen. Eine Geschwindigkeit von 18 Seemeilen über Grund angenommen, müßte eine Flotte über zwei Stunden im Feuerbereich der türkischen Geschütze bleiben. Leichtgepanzerte Schiffe werden daher kaum eine Aussicht haben durchzukommen; das kann nur ganz schwergepanzerten Einheiten gelingen. Aber auch diese werden durch die Küstenartillerie ungeheuere Verluste er- leiden, ganz abgesehen von dem zu erwartenden Schaden beim Passieren der Minenfelder. Um eine Forcierung über- Haupt möglich zu machen, ist der Einsatz einer ganz gewaltigen Flotte nötig. Sie muß so stark sein, daß der Rest nicht nur die ihm zugedachten Aufgaben im M a r m a r a m e,e r lösen, sondern auch noch aus den Dardanellen zurückkehren kann. Denn bei der Rückfahrt sind dieselben Befestigungen zu passieren, wie bei der Hinfahrt, somit auch ungefähr die- selben Verluste zu erwarten. Der Zweck einer Dardanellen- forcierung kann nur ein Angriff aus Konstantinopel sein. Mit einer Flotte allein ist aber dort nichts aus- zurichten. Schrecken kann verbreitet, Schaden gestiftet werden, nicht mehr. Nach einiger Zeit muß aber die Flotte wieder zurück oder auch noch den Bosporus durchfahren. Diese Meerenge ist 28,? Kilometer lang, vielfach gewunden und nur 660 bis 3300Meter breit. Eine Strömung von etwa zwei Seemeilen stündlichen Geschwindigkeit setzt gegen das Marmarameer. Häufige Nebel und plötzlich auf- tretende, rasch wechselnde Winde machen die Navigation mit- unter recht schwierig. Auch der Bosporus ist mit Be- festigungen und Sperranlagen reichlich geschützt. Die geringe Breite verbürgt den an Land aufgestellten Geschützen nahezu Treffsicherheit. So gestaltet sich die Aufgabe der Forcierung des Bosporus noch schwieriger, als jene der Dardanellen. Gelingt sie, so muß ein ungeheuerer Preis dafür gezahlt werden. Für den Kriegszweck dürfte der unerläßliche Ein- fatz mit dem erreichbaren Ziel: zeitweilig den Ver- kehr zwischen Europa und Kleinasien zu unterbinden, in einem allzu ungünstigen Verhältnis stehen. Will man aber die Meerengen tatsächlich in seinen Besitz bringen, so muß zu einem systematischen