Die Wehrmacht Italiens. 209 samtbevölkernng, 32,29%), sind Analphabeten! Nicht einmal in Hinsicht auf die Sprache kann von einem geeinten Italien gesprochen werden, denn die Idiome und Dialekte des Jtalie- nischen — weite Landesteile absolut beherrschend — sind von so eigensinniger Besonderheit, daß man sie fast als ver- schiedene Sprachen, zumindest als recht weit auseinander- strebende Zweige des gemeinsamen Sprachstammes ansehen kann. Der Fischer in Neapel versteht seinen venetianischen Berufsgenossen nicht, und die Sprache der Sizilianer ist ihnen beiden ein Buch mit sieben Siegeln. Dem tiefen Stand der Volksbildung entspricht die Hoch- ziffer der Kriminalität im Lande. Es bietet noch heute den fruchtbarsten Boden für Räuberei mit und ohne Romantik. Maffia, „schwarze Hand", die Kriegserklärung vom Pfingst- sonntag 1915, Cammorra und dergl., das sind Erscheinungen, wie sie im Europa des 20. Jahr- Hunderts wohl nur italienische Erde zeitigen konnte. Kennzeichnend für das auf ihr heimische Briganten- tum ist dessen Durchsetzung mit einer Art primitiver, abergläubischer Fröm- inigkeit. Der italienische Strolch betet zur Madonna um das Gelingen seiner Absicht, ehe er dem Wanderer „Geld oder Leben" zu nehmen sich anschickt. Und kennzeichnend ist auch die ritter- liche Gebärde seiner Räuberschaft. Man findet diese Gebärde wieder, so- wohl in den wunderlichen moralischen Posen der Regierung Sonnino- Salandra, als auch auf allen Blät- tern des grellbunten politischen Bil- derbuchs, mit dem sie einem kindlichen Publikum den Kriegs-Muß anschau- lich zu machen suchte. Betrug, für den des Himmels Segen herabgefleht und der, durch reichliche Behängung mit stolzen Worten und Gebärden, den romantischen Bedürfnissen der Plebs angepaßt wurde: so spiegelte sich, er- höht und stilisiert, aber die innere Verwandtschaft unabweislich ver- ratend, das Wesen des uralten italienischen brigantaggio im Wesen der allerneuesten italienischen Staatskunst wieder. — Die Italiener sind ein überaus begabtes und im Kern gut- mütiges, bescheidenes Volk. Musikalisches und insbesondere schauspielerisches Talent liegt ihnen im Blute. Der Proletarier noch trägt seine Lumpen mit einer malerischen Bettel-Würde, von der mancher Königsdarsteller auf deutschen Bühnen einiges abgucken könnte. Musik und Schauspielkunst stehen im heutigen Italien auf sehr hoher Stufe, auch die moderne Literatur des Königreichs schneidet im Wettbewerb mit jenen der anderen Kulturländer nicht übel ab. In der bildenden Kunst, also gerade in einem Kulturbezirk, in dem sie Erben der erhabensten Hinterlassenschaften, zeigen sich die Italiener merk- würdigerweise als ziemlich kraftlose Epigonen. Vielleicht ist die Tradition hier zu gewaltig und erstickt das Leben. Jeden- falls macht ein Volk, das in Rom, inmitten der großartigsten Zeugen antiker und mittelalterlicher Monumentalität, einen so lächerlich-protzigen Kasten wie das Viktor Emanuel-Denkmal hinstellen konnte, seinen Kunstsinn recht sehr verdächtig. Auch das Feld, auf das sich Italien nunmehr gewagt hat, Geschichte des Weltkrieges. II. General Luigi Graf Cadorna, der italienische Ober befehlshaber und Generalstabschef. das Feld der Ehre, ist nicht gerade ein Terrain, auf dein es Ruhm zu ernten pflegt. Den Lorbeer, der so überreichlich in Italien wächst, haben meistens fremde Heere gepflückt. Bei Magenta und Solferino waren die Franzosen per procura der italienischen Fahne siegreich, und den Landzuwachs vom Jahre 1866 erstritten ihx preußische Waffen im Böhmerland. Wo im vorigen Jahrhundert italienische Heere selbständig auf den Plan traten, wurden sie geschlagen. Die Namen Mortara, Novara, Lissa und Eustozza sind symbolisch für den Ausgang, den italienisch-österreichische Feldzüge zu nehmen pflegen. In jüngere Zeit fällt die vernichtende Niederlage der italie- nischen Streitkräfte bei Adua, und ihr Triumph in Lydien, gegen ein desorganisiertes, schwaches, vom Mutterland ab- geschnittenes Türkenheer und gegen halbnackte, speerbewass- nete Araber erfochten, und genau so weit reichend, wie die italienischen Schiffsgeschütze trugen. Seit dem Frieden von Lausanne hat Italien an der Erneuerung und Verstärkung seiner Wehrmacht emsig gearbeitet. Fast ein Fünftel der ge- samten Ausgaben des Königreichs schluckte in den letzten zehn Jahren das Heeresbudget. Und zwei Kriegs- minister waren nach kurzer Amtszeit parlamentarisch verbraucht, da ihnen die gewaltigen, für eine umfassende Heeresretablierung nötigen Mittel von der Kammer verweigert wurden. Erst dem dritten Leiter der obersten italienischen Militärbehörde, Zupelli, bewilligte man die gewünschte Summe, vorläufig eine Milliarde. Zupelli, in der Armee als tapferer Soldat geschätzt und auf lybifchem Boden auch als Truppensührer be- währt, war dem politischen Italien doch eine völlig unbekannte Größe, als er im September 1914 die Sena- torenwürde und das Kriegsporte- feuille erhielt. Als seine beste Empfehlung galt, daß er zu Eapo- distria, also auf irredentistischer Erde, geboren. Er hat während seiner bisherigen kurzen Amtszeit wichtige Reformen im italienischen Heerwesen durchgeführt, so ins- besondere die Friedensstände, deren große Schwäche von jeher der Hauptmangel der italienischen Mobilmachungen war, durch sukzessive Einberufungen bedeutend verstärkt. Auch die geplante Vermehrung der Gebirgsartillerie von 36auf 46 Batterien, die der Feldartillerie von 24 auf 36Regi¬ menter dürfte von ihm bereits durchgeführt worden sein. 14 121 Offiziere, 250 000Mann, 55 727 Dienstpferde betrug für das Jahr 1913/14 die Friedensstärke des italie- nischen Heeres. Sie wird budgetmäßig festgestellt, indes das Rekrutenkontingent nach Bedarf wechselt. (1912 wurden etwa 130 000 Mann in die Armee eingereiht.) An ausgebildeten Soldaten verfügte Italien in eben diesem Jahr über 3 442150 Mann. Die Kriegsstärke des italienischen Landheeres macht zirka 3 % der Bevölkerung aus, also etwa 1100 ovo Mann. Das ist aber, wie die Sportslente sagen, reine „Papierform". Im Notfall wird Italien bei äußerster An- strengung auch ein stärkeres Heer unter die Waffen rufen können. Ziffernmäßig stärker, heißt das. Der Italiener ist i-i