Die Auswertung der inneren Linie im Dreifronten¬ krieg Mai—Juli 1915 Von General d. R. Ing. Emil Ratzenhofer Mit Tafel XII EINLEITUNG Zu den gewaltigen Ausdehnungen der Gefechtslinien seit Beginn des Grabenkampfes gesellte sich im Frühjahr 1915 mit dem Eintritt Italiens in die Reihen unserer Feinde der Mehrfrontenkrieg gegen Gro߬ mächte, mit Schauplätzen, die 1000 km und weiter voneinander entfernt waren. Damit erlangten die Raumverhältnisse erhöhte Bedeutung und mit ihnen die Möglichkeit, die weiten Distanzen zu überwinden. Hiefür kamen fast ausschließlich die Vollbahnen in Betracht. Die Auswertung der inneren Linien im Dreifrontenkrieg brachte ihnen erhöhte Bedeutung und neue Aufgaben. Die im Frieden festgelegten „konkreten Kriegs vor sorgen"1) dienten vornehmlich ehester Vollendung der Mobilisierung und raschem Auf¬ marsch unter Ausnützung der technisch möglichen Höchstleistung der Bahnen. Die Arbeitstechnik der Militär- und Bahnbehörden war auf dieses Ziel zugeschnitten und trug dabei der militärischen Forderung nach Ge¬ heimhaltung Rechnung. Die Schulung der erst mit Mobilisierungsbeginn aufgestellten Feld¬ eisenbahnbehörden und höheren Kommanden der Armee im Felde und ihr Zusammenspiel reichte in iden ersten Kriegswocheii noch nicht aus, alle Möglichkeiten, die das verzweigte, relativ engmaschige und leistungsfähige Auslauf netz im Nordosten bot, für Aufmarsch und Einleitung der ersten Operationen ganz zu nützen. So mancher Fußmarsch in der Augusthitze wäre bei innigerem Kontakt zwischen Armeekommanden und Feldtrans¬ portleitungen durch Verlegung der Ausladestellen vermeidbar gewesen. Der Chef des Generalstabes hatte außer der konkreten Instradie¬ rung der A- und B-Staffel2) für alle Heereskörper, Truppen und An¬ stalten, deren Einsatz im Frieden noch nicht festgelegt war, Transport- *) Siehe Ratzenhofer : „Das Kriegseisenbahnwesen'4, Mil. wiss. u. techn. Mitt. 1928, Heft 1/2, Seite 56 ff., und Heft 3/4, Seite 149 ff., und Kiszling: „Österr.-Ungarns Kriegsvorbereitungen" ebendort 1922, 7. Heft, Seite 273 ff. 2) „Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914—1918", I. Band, Seite 6 ff.