264 Viertes Kapitel Die Übergangszeit in Österreich und Deutschland § 32. Die Ausweisung aus Wien und die Rückkehr der Finanzmänner (1670-17UO) Der zahlenmäßigen Stärke ihrer jüdischen Bevölkerung nach ran gierte die österreichische Monarchie unmittelbar hinter Polen. Sowohl in den halbslawischen Ländern Böhmen, Mähren und Schlesien als auch in Ungarn, dem Lande der Magnaten und leibeigenen Bauern, hatten sich nach und nach dicht gedrängte jüdische Massen angesam melt. In allen diesen Provinzen bildete die handelstüchtige jüdische Bevölkerung das Element, das durch die Bande des wirtschaftlichen Verkehrs Prag mit Krakau, Nikolsburg und Preßburg mit Lemberg, Breslau mit Posen verknüpfte. So stellte denn die Judenheit Öster reichs gleichsam ein nach Westeuropa hineinragendes jüdisches Polen dar. Auch in der Reichshauptstadt Wien war die während des Drei ßigjährigen Krieges restaurierte jüdische Gemeinde in raschem Auf stieg begriffen. Der den Krieg beschließende Westfälische Friede (i648) fiel bekanntlich mit dem Ausbruch der Katastrophe in der polnischen Ukraine zusammen, und so wandten sich Tausende von jüdischen Flüchtlingen aus Polen nach den österreichischen Ländern. Österreich, das ehedem den Überschuß seiner jüdischen Bevöl kerung an den Osten abzugeben pflegte und die innerhalb seiner Grenzen ansässigen Juden nur wider Willen duldete, glaubte sich nun durch die von Polen hereinbrechende Flüchtlingsflut aufs schwerste bedroht. Von neuem wurde für die Regierung und die autonomen Städte die „jüdische Frage“ in ihrer altherge brachten Form akut: welche Maßnahmen galt es zu ergreifen,