Erstes Kapitel Die Katastrophe in Polen und die allnationale messianische Bewegung (1648—1675) § 2. Die wirtschaftlichen und nationalen Gegensätze in der Ukraine Gleichwie einstmals im Zeitalter der Kreuzzüge die Krise innerhalb der westeuropäischen Judenheit eine Folgeerscheinung der gesamt europäischen Krise war, so sollte auch in Polen der durch die Er hebung der russischen Bauernmassen herauf beschworene innere Kreuz zug auf das Los des großen jüdischen Zentrums unmittelbar zurück wirken. Dank der zahlenmäßigen Stärke der von ihm zusammenge faßten Massen sowie seiner autonomen Organisation schien dieses Zentrum bis um die Mitte des XVII. Jahrhunderts der einzige uner schütterliche Rückhalt des zerstreuten Volkes zu sein, der rechtmäßige Erbe der sich von West nach Ost verschiebenden nationalen Hege monie. Im Jahre 1648 wurde indessen die scheinbar so sichere Zu fluchtsstätte von einem Sturm heimgesucht, der den Ostjuden ins Be wußtsein rief, daß auch ihnen derselbe dornenvolle Weg beschieden sei, den ihre westlichen Brüder einst im Mittelalter zurücklegen muß ten. Die Krise ging in erster Linie auf die Verschärfung des wirt schaftlichen Kampfes zurück, der auch die nationalen und religiösen Gegensätze besonders zuspitzte und mit dem Auftauchen einer in der jüdischen Geschichte bis dahin unbekannten finsteren Macht zusam menhing: des sich in der Ukraine gegen „Panen und Juden“ erheben den orthodoxen russischen Bauerntums. In den polnischen Stammlanden war für die Lage der Juden, wie erinnerlich (Band VI, § 33 ff.), die Rivalität der ständischen, wirt schaftlichen und religiösen Mächte bestimmend, und so hing diese 16