— 91 —. Es war zehn Uhr geworden, als er von Westminster nach seiner Wohnung am Regents Park zurückkehrte. Er war jetzt schon sehr besorgt um mich und durch die sichtliche Tragweite dieser Ereignisse ganz verstört. Es wandelte ihn die Lust an, sich in seinen Gedanken mit kriegerischen Einzelheiten zu be schäftigen, genau so wie auch ich. mich am Samstag damit be schäftigt hatte. Er dachte an alle jene in erwartungsvoller Ruhe harrenden Geschütze, an jenen plötzlich in einen Nomaden bezirk verwandelten Landstrich. Er bemühte sich, hundert Fuß hohe „Kessel auf Stelzen" sich vorzustellen. Einige Karren, besetzt von Flüchtlingen, fuhren die Oxford street entlang, manche auch in der Marylebonestraße. Aber so langsam verbreiteten sich die Nachrichten, daß die Regent straße und die Portlandstraße von jenen Leuten, die gewöhnlich Sonntag nachts dort lustwandeln, voll waren. Wohl standen auch Gruppen lebhaft sich besprechender Menschen umher. Aber am Rande des Regents Parkes ergingen sich so viele stille Pärchen im Lichte der spärlichen Gaslampen, wie man sie nur immer gewohnt war, dort zu. sehen. Die Nacht war still und warm, fast ein wenig drückend; gelegentlich scholl der Lärm der Geschütze herüber, und nach Mitternacht bemerkte man ein Wetterleuchten gegen Süden. Mein Bruder las immer wieder das Zeitungsblatt und fürchtete schon, daß mir das Schlimmste zugestoßen sei. Er war rastlos und nach dem Abendbrot ging er wieder aus und trieb sich ziellos umher. Dann kehrte er zurück und versuchte, seine nagenden Gedanken durch seine Prüfungsschriften zu ver scheuchen. Bald nach Mitternacht ging er zu Bett, wurde aber in den ersten Morgenstunden des Montags durch den Schall von Türklopfern, Füßegetrappel auf den Straßen, Getrommel und Glockenläuten aus einem düsteren Traum geschreckt. Ein roter Widerschein spielte auf der Decke. Einen Augenblick blieb er betäubt liegen und fragte sich, ob der Tag schon angebrochen, oder die Welt verrückt geworden sei. Dann sprang er aus dem Bett und eilte ans Fenster.