312
Der Krieg zur Luft.
Sommer und
Herbst 1917.
hatte dieser Angriff den Engländern gezeigt, daß ihre Hauptstadt jederzeit
durch deutsche Geschwaderangrisfe ernstlich bedroht mar1). Bei Flügen, die
London nicht erreichten, wurden Ziele an der Küste bombardiert, so Dover
und Häsen an der Themse-Mündung durch elf Flugzeuge am 22. August.
Dabei gingen drei Flugzeuge verloren. Der Angriff hatte aber gezeigt,
daß Flüge weit über feindliches Gebiet am Tage nur noch schwer durchzu¬
führen waren. Man ging daher auch gegen England künftig zu Nachtflügen
über, die weniger Opfer forderten.
Nachtangriffe über den Kanal wurden nunmehr sowohl vom
Bombengeschwader 3 als auch, unabhängig davon, wie bisher schon von
Luftschiffen der Marine ausgeführt. So griffen acht Marine-Luftschiffe
in der Nacht zum 22. August, elf in der zum 25. September und 13 in
der zum 20. Oktober Industriegebiete der englischen Ostküste, bei der
letzten Fahrt auch London selbst an. Bei dieser führten aber die Witterungs-
Verhältnisse — vier Luftschiffe wurden nach Frankreich, eines bis nach
Mitteldeutschland abgetrieben — zu so schweren Verlusten, daß man von
weiteren Unternehmungen mit Luftschiffen Abstand nahm2). Die Nacht¬
slüge des Bombengeschwaders 3 hatten inzwischen in der Nacht zum 3. Sep¬
tember begonnen, es folgten in demselben Monat weitere sechs, im Oktober
vier, im November einer, im Dezember drei. London wurde dabei trotz
guter Abblendung am Themse-Lauf leicht ausgemacht und achtmal erreicht.
Die in einer Nacht abgeworfene Last an Spreng- und Brandbomben
schwankte zwischen 400 und 4000 Kilogramm.
Für die Landkriegführung lag die Bedeutung der Angriffe auf Eng¬
land darin, daß ein großes Aufgebot von Abwehrkräften auf der Insel
festgehalten und damit der Front in Frankreich entzogen wurde, die aus
Flandern sogar eine größere Anzahl von Jagdfliegern abgeben mußte,
für die deutschen Flieger eine nicht zu unterschätzende Entlastung. Auch
bedeutende Munitionsmengen wurden durch die Abwehr im englischen
Heimatland verbraucht; mehr als 20000 Schuß wurden gelegentlich eines
einzigen deutschen Angriffs verfeuert. Ein wesentliches weiteres Ergebnis
war die oft stundenlange Unterbrechung der Arbeit und damit Verzögerung
in der Erzeugung wichtigsten Kriegsbedarfs, nicht nur in dem angegriffenen
*) Engl. amtl. Werk, „The War in the Air“, V, S. 38: „Dieser zweite kühne Angriff
auf das Herz von London schaffte eine gespannte Atmosphäre... Der Feind war un¬
gehindert am hellen Tage zum zweitenmal in wenigen Wochen quer über England geflogen,
und dafür konnte die englische Öffentlichkeit keine Entschuldigungen finden."
2) Im übrigen waren im Oktober Marine-Luftschiffe an der Eroberung der Baltischen
Inseln beteiligt (S. 201). Eine für damalige Verhältnisse fahrtechnische Leistung erster
Ordnung vollbrachte im November L/59, das von Mazedonien den Weg zum oberen Nil
und zurück (zusammen gegen 7000 Kilometer) ohne Zwischenlandung machte (S. 459).