2 Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
End« gnni. Lage auch schwierig war, solange vollauf behaupten werde, erschien sicher.
Sorgen aber bereitete der Gedanke, daß mangelnde Zuversicht und Zeichen
von Schwäche in der Heimat und bei den Bundesgenossen den vielleicht
bald erlahmenden Kriegswillen der Gegner neu beleben könnten.
In einer Mitteilung über die Lage vom 2S. Juni, die außer
für militärische Dienststellen auch für das Auswärtige Amt zur Verwendung
bei den diplomatischen Vertretern im Auslande bestimmt war, legte Ge¬
neral Ludendorff die Auffassung der Obersten Heeresleitung wie folgt fest1):
„... Neue große Kämpfe an der englischen Front und an der Küste
stehen bevor. England braucht rasche Erfolge. Denn der U-Boot-Krieg
wirkt auf seine Seewirtschaft weiter. Schon kann der Schiffsraum nicht
mehr befördern, was für den Krieg nicht unbedingt erforderlich ist. Die
Einschränkung der Saloniki-Expedition ist die eingestandene Folge. Aber
auch in der für den Kampf notwendigen Rohstofszufuhr wird die Ein¬
schränkung fühlbar. Holzmangel herrscht in England, Kohlenmangel in
Italien und Frankreich. Ganz offensichtlich verfügen unsere Gegner nicht
mehr über die Munitionsmengen wie an der Somme. Ein Nachlassen in
der Munitionserzeugung und im Munitionsnachschub zur Westfront macht
sich bemerkbar. Frankreich ist gewillt, auch neue Blutopfer zu zollen
trotz der schlechten Stimmung, die durch die Frühjahrsfehlschläge mit ihren
gewaltigen Verlusten im Lande herrscht und die in dem Wechsel im Ober¬
kommando Ausdruck findet. Wir haben vollgültige, noch nicht veröffent¬
lichte Beweise, daß die Indisziplin im französischen Heere immer mehr
überhand nimmt2). In Rußland schreitet die Zersetzung fort. Die mit
allen Mitteln betriebene englisch-französische Einwirkung, die in der
starken Angrifsspropaganda Kerenskis ihren Ausdruck fand, läßt den Ver¬
such eines russischen Angriffs möglich erscheinen. Uns ist er erwünscht,
denn er wird endlich Klarheit bringen. Der Ausgang ist nicht zweifelhaft.
Zweifelhaft ist, ob die russische Infanterie bei ihrem Friedenswillen unter
unserem Artilleriefeuer in vollem Umfange vorzubringen sein wird.
Aus ein vollwertiges Rußland kann mithin die Entente nicht mehr
rechnen. Um so mehr sucht sie ihre Völker auf Amerikas Hilfe zu ver¬
trösten, die aber selbst Churchill nicht vor 1918 erwartet. Die Über¬
führung eines amerikanischen Heeres von einer halben Million Mann mit
dazugehörigem Kriegsgerät erfordert 3y2 bis 4 Millionen Tonnen Schiffs¬
raum, seine Versorgung beansprucht dauernd 1V2 Millionen Tonnen.
Als „Auffassung über die Lage" ausgearbeitet von der Politischen Abteilung. Vgl.
die entsprechenden Mitteilungen vom 12. u. 25. Mai Sb. XII, S. 575 f. u. 576. — Sper¬
rungen seitens der Forsch.Anst.
2) Bd. XII, S. 562s.