140
Die Grundprobleme des Krieges.
sagt, was man am nächsten Tage von ihr haben will, dann wird sie am
Morgen bereit sein. Doch bei uns sollten die Angriffe immer sofort be¬
ginnen, niemals blieb Zeit, um über eine Vorbereitung auch nur nachzudenken.
Diese Art von Erwägungen war uns vollkommen fremd.
Unsere Angriffe waren so angelegt, daß sie von vornherein eine ein¬
heitliche Artilleriewirkung unmöglich machten. In breiter Front griffen alle
Truppen gleichzeitig an, überall war der Angriff gleich schwer, überall die
feindliche Artilleriewirkung gleich heftig. So war auch der Bedarf nach
Artillerieunterstützung überall gleich groß. Genau so wie die Infanterie war
auch die Artillerie in breiter Front verteilt. Eine Feuervereinigung konnte
höchstens partiell in geringem Ausmaße zustande kommen. Kaum hatte eine
kleine Zusammenfassung des Feuers Platz gegriffen, so riefen schon alle
anderen Teile um Unterstützung. Es war ein ewiges Hin und Her, in dem
es zu einer einheitlichen und planvollen Wirkung nicht kommen konnte.
Solange im Infanteriekampfe der Gedanke an den Stoß vorgeherrscht
hatte, war bezüglich der Artillerie das Streben nach Feuervereinigung im
Übergewichte geblieben. Der Gedanke an den Stoß verblaßte, und die
Artilleriewirkung verlor sich in einer an Zersplitterung grenzenden Feuerver¬
teilung.
Der Krieg zeigte, daß zwischen beiden Extremen: Feuervereinigung und
Feuerverteilung erstere wichtiger ist.
Die Kampffiihrung des Feindes.
Die militärischen Gedankengänge sind in den verschiedenen Heeren zu¬
meist ähnlich, weil sie doch alle auf den Ergebnissen der letzten Kriege und
Schlachten fußen. Doch ergeben sich stets gewisse Unterschiede, die haupt¬
sächlich davon herrühren, ob Erfahrungen selbst gemacht oder von auswärts
übernommen wurden.
Die bösen Lehren von Königgrätz hatten bei uns vielleicht noch mehr
als anderswo dazu geführt, den Gedanken an den Stoß auszuschalten. Und
vielleicht noch williger als andere Heere waren wir den Lehrmeinungen, die
von St. Privat und Sedan ausgingen, gefolgt. Die Russen hatten in den
letzten 40 Jahren zwei große Kriege geführt. Schon die Erscheinungen
1877/78 standen in einem gewissen Widerspruche zu jenen von Metz. Es
hatte keine Umfassungen, sondern nur ein mühevolles, verlustreiches Ab¬
ringen gegeben. Der Glaube an Umfassungen war dadurch in den anderen
Heeren nicht wankend geworden. Denn wenn Umfassungen am Balkan
nicht zustande gekommen waren, so wurde dies hauptsächlich auf die Beson¬
derheiten des Kriegsschauplatzes zurückgeführt. Weiters wurden die Kämpfe
um Plewna mit jenen von Metz in Vergleich gestellt und man meinte, daß,
wenn die Russen nicht so sehr losgestürmt, sondern sich mit Feuer langsam
vorgearbeitet hätten, die Angriffe wahrscheinlich gelungen wären. Ähnlich
war dies auch mit dem Kriege gegen die Japaner gewesen. Wieder machten
die Russen die Erfahrung frontaler Kämpfe, während die anderen haupt-