Die Wucherfreiheit, ein „Segen" der Reformation. Die Kirche verurtheilte den Zinswucher als eine besondere Form des Raubes, weil sie die Arbeit allein für wertschaffend, das Geld für unfruchtbar erklärte. Der Grundsatz des heiligen Ambrosius: „Hniäczniä sorbi aeosäib, nsurg, S8t", wurde allgemein durchgeführt. Alles, was über die Dar lehenshöhe hinaus genommen wurde, war Wucher und musste restituiert werden. Diese Gesetzgebung fand in den germanischen Ländern umso leichter Eingang, als bei den Deutschen die Zinsforderung überhaupt unbekannt war, wie Tacitus (Llsrin., o. 26) bezeugt. Nur den Juden wurde das Privilegium eingeräumt, wuchern zu dürfen, da sie außer halb des Gesetzes der christlichen Vollkommenheit standen. Dies war die einheitliche Anschauung und Gesetzgebung aller christlichen Völker bis ins 16. Jahrhundert hinein. Erst mit der Kirchenspaltung trat auch in der Zins- und Wucher frage eine Trennung und Sonderstellung ein. Zwar Luther hielt am alten Zinsverbot fest, erklärte sogar den Rentenkauf für wucherisch und beschuldigte die Vertheidiger desselben als Knechte der Geldmächte, der „Fuggerei". Aber Calvin und sein Anhang traten kühn für die Be seitigung des Zinsverbotes auf, allen voran Dumoulin (Molinäus), welcher zuerst den Grundsatz aufstellte, dass bei Darlehen zu gewinn bringenden Unternehmungen Zins erlaubt sei. Diese Anschauung wurde bald auch von Bacon und Hugo Grotius, von Salmasius und Besold vertreten. (Ratzinger, „Staats-Lexikon", V. 1142 ff.)* Die alte canonistische Lehre vom Eigenthum und dessen Erwerbung durch wertschasfende Arbeit, von der Würde und Weihe dieser Arbeit, * Das August-Heft der „Oesterreichischen Monatsschrift für christlicheSocial- reform", 1887, bringt 393—406 unter dem Titel „Beiträge zur Wucherfrage" von Dr. Sch eich er, die noch heute geltenden kirchlichen Grundsätze über diese Frage. (Vergleiche über den „Wucher": „Die socialen Lehren des Freiherrn ».Vogelfang", S. 574 ff.. Dieselbe Zeitschrift bringt im Juli-Hest, 1886, aus der Feder Vogelfangs die Abhandlung: „Die Wucherfrage nach lutherischer Auffassung", 369—385. Freiherr ».Vogelfang erwähnt, dass Luther in drei Schriften mit „wach sender Entschiedenheit, am meisten in seiner letzten Schrift von 1540, über diesen Gegenstand sich gegen den Wucher äußert. Ohne Zweifel hatte die Revo lution gegen die kirchliche Autorität, hatte das Verbrennen der kirchlichen Canones auf dem Marktplatze zu Wittenberg schon solche Früchte getragen, dass die Verletzung des kirchlichen Wuchcrverbotes schon damals erschreckende Dimensionen an nehmen konnte."