Der Antisemitismus in Deutschland 4o Demagogie und ihr Liebäugeln mit den proletarischen Massen stießen jedoch die Konservativen von ihren Verbündeten ab, zumal die von diesen angezettelten Ausschreitungen bei den Großagrariern die Be fürchtung aufkommen ließen, daß die Unruhen von der Stadt auf das flache Land übergreifen könnten. Aus all diesen Gründen wie auch infolge von Unstimmigkeiten bei der Ernennung von Wahlkandidaten ging nun der Block der Konservativen und Antisemiten bald in die Brüche, und beide Parteien erlitten bei den Wahlen eine schwere Nie derlage. Die Konservativen verloren viele Reichstagssitze an die Libe ralen und Fortschrittlichen, deren Fraktionen nunmehr acht jüdische Abgeordnete angehörten (außer Lasker und Bamberger der Heraus geber der „Frankfurter Zeitung“ Leopold Sonnemann, der National ökonom Max Hirsch u. a.). Von den antisemitischen Wahlkandidaten kam lediglich Stöcker zu einem Mandat. Von den Wahlergebnissen aufs schwerste enttäuscht und dadurch zu der Überzeugung gelangt, daß die Antisemiten im Kampfe gegen den Liberalismus und Sozialis mus eine wenig verläßliche Stütze seien, zögerte Bismarck nicht, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Fortan waren alle Bemühungen der Antisemiten darauf gerichtet, ihre Positionen außerhalb des Parla ments auszubauen und in erster Linie eine internationale Organisation zur Bekämpfung des Judentums zu schaffen. § 4. Die Kongresse der Antisemiten und das Erstarken ihrer Organisation (1882—1890) Im September 1882 trat in Dresden ein „internationaler“ Anti- semiten-Kongreß zusammen, auf dem jedoch, von einigen Gästen aus Rußland abgesehen, nur zwei Staaten, Deutschland und Österreich- Ungarn, mit etwa 3oo Delegierten vertreten waren. Besonders ge feiert wurden auf dem Kongreß die Häuptlinge der ungarischen Anti semiten, die um diese Zeit im Zusammenhang mit der Ritualmord affäre von Tisza-Eszlar (unten, § 10) in ihrer Heimat eine juden feindliche Schreckensherrschaft aufgerichtet hatten. Das Präsidium des Kongresses ließ im Sitzungssaal ein Bild des Opfers des angeb lichen Ritualverbrechens anbringen, und unter diesem blutigen Wahr zeichen des Mittelalters berieten die würdigen Jünger des Capistranus (vgl. Band V, § 47) über neue Mittel und Wege zur Ausrottung des Judentums . . . Bei dem zu Ehren der Kongreßteilnehmer veranstal