§ 55. Ferdinand und Isabella. Die Inquisition
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ihn alle Grenzen zwischen Mystik und Mystifikation und er war nahe
daran, den einst von Abraham Abulafia (oben, § 18) beschrittenen Weg
einzuschlagen, indem er sich in irgendein messianisches Abenteuer in
Kastilien mithineinziehen ließ. Sein Ende ist in Dunkel gehüllt.
Aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts scheinen auch
jene zwei „Geheimschriften“ oder kabbalistischen Apokryphen: „Sefer
ha’kana“ und „Ha’pelia“ zu stammen, deren Verfasser sich unter
den Namen der Geisteshelden der Vorzeit verbirgt. Seine mystischen
Träumereien gab er für unmittelbar von dem Propheten Elias emp
fangene Offenbarungen aus und weissagte allen Ernstes, daß der
Messias noch im Jahre i4qo erscheinen werde, zwei Jahre also vor
dem endgültigen Zusammenbruch der spanischen Judenheit. Bezeich
nend ist es, daß der anonyme Mystiker zur Zielscheibe seiner Polemik
nicht die Philosophen, sondern die Talmudgelehrten wählte, denen er
zum Vorwurf machte, daß sie ausschließlich die „geoffenbarte
Thora“ mit ihren unzähligen Gesetzesbestimmungen und die Aus
legungen dieser Gesetze studierten, ohne sich um die „Geheimnisse
der Thora“ auch nur im geringsten zu kümmern. Die Befolgung der
Bräuche ohne Eindringen in ihren verborgenen symbolischen Sinn
sei, so meinte er, völlig wertlos, den Schlüssel zu dieser Symbolik
gebe aber allein die Kabbala. In den beiden Apokryphen tritt uns eine
so hemmungslose Kritik des Talmud und des Rabbinismus entgegen,
daß sich unwillkürlich der Zweifel regt, ob in einer aus dem XV.
Jahrhundert stammenden Schrift solche Wendungen überhaupt ge
braucht werden konnten. Sollten sie aber dennoch echt sein, so wäre
daraus zu schließen, daß sich in den Kreisen der Mystiker schon da
mals jene Opposition gegen den Rabbinismus und alle trockene Bü
cherweisheit geltend zu machen begann, die später in den mystischen
Strömungen der folgenden Jahrhunderte, namentlich im Chassidis
mus, zu voller Reife gelangten 1 ).
§ 55. Ferdinand und Isabella. Die Inquisition
Eine neue Ära brach für Spanien mit der Vereinigung Aragoniens
und Kastiliens zu einem Reiche an, die eine Folge der Vermählung
des aragonischen Thronfolgers, späteren Königs Ferdinand des Ka-
t) Die Bücher „Ha’kana“ und „Ha’pelia“ sind zum erstenmal gegen Ende
des XVIII. Jahrhunderts, und zwar in chassidischen Druckereien, gedruckt wor
den (Koretz u. Porjetzk, 1784)*
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