§ 18. Kabbala und messianische Schwärmerei
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begab sich nach Perpignan, wo sie unter dem Schutze des Königs von
Mallorca Sicherheit und Erwerbsmöglichkeit zu finden hofften, wäh
rend die anderen, auf die Hilfe Gottes bauend, in der Provence ob
dachlos umherirrten. Ich selbst übersiedelte zuerst aus der Provence
nach der Stadt Arles, um diese später zu verlassen und von neuem
nach Perpignan zu ziehen, wo ich am ersten Tage des Monats Schebat,
des sechsten Monats seit unserer Vertreibung, anlangte“. Ein großer
Teil der Verbannten hat sich somit in den unter der Gewalt des „Kö
nigs von Mallorca“, d. i. Aragoniens, verbliebenen französischen Be
sitzungen niederlassen können. Des weiteren berichtet Abba-Mari, die
Freidenker hätten ihn und seine Gesinnungsgenossen unter den Ver
triebenen auch in seinem neuen Wohnorte nicht unbehelligt gelassen,
indem sie mit Hilfe der königlichen Beamten seine Niederlassung in
Perpignan zu hintertreiben gesucht hätten, doch seien die Orthodoxen
von einigen Mitgliedern der dortigen Gemeinde in Schutz genommen
worden. In der ersten Zeit vermochte also nicht einmal das gemein
same Unglück die Gegner auszusöhnen; allmählich sollte indessen
der Kulturkampf erlöschen. Die Vernichtung des französischen Zen
trums versetzte alle ohne Unterschied der Parteistellung in größte Be
stürzung. Als die Vertriebenen dann im Jahre i3i5 in ihre alte Hei
mat wieder zurückkehren durften, hatten sie an ganz anderes als an
innere Kulturkämpfe zu denken: standen sie doch vor einem erbitter
ten Kampf ums bloße Dasein, der bis zum Ende des unheilvollen
XIV. Jahrhunderts unausgesetzt fortdauern sollte.
§18. Mystische Theosophie, Kabbala und messianische Schwärmerei
Wenn der Rabbinismus in seinem hundertjährigen Kampfe mit
der Aufklärungsphilosophie schließlich doch die Oberhand behielt,
so verdankte er seinen Sieg nicht zuletzt jener mystischen Nebenströ
mung, die im XIII. Jahrhundert unter den spanischen und provenzali-
schen Juden immer weitere Kreise zog. Der Rationalismus des Mai-
monides und seiner radikaleren Anhänger vermochte das religiöse Ge
wissen derjenigen, die während jener düsteren Epoche im Judaismus
Nahrung fürs Herz, nicht für den Verstand, Selbstvergessenheit, nicht
Selbsterkenntnis suchten, in keiner Weise zu befriedigen. Mystisch
gestimmte Menschen konnten sich mit der von den Philosophen auf-
gestellten Doktrin des gesunden Menschenverstandes, die die Religion