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Drittes Kapitel
Die geistigen Strömungen in Spanien und
Frankreich im XIII. Jahrhundert
§ 1U. Die Maimonisten und ihre Gegner
In den beiden Hegemoniezentren des Judentums, in Spanien und
Frankreich, war das XIII. Jahrhundert trotz des zunehmenden kirch
lichen Druckes eine Periode regsten geistigen Lebens. In Spanien war
dies eine Folge der in der vorangegangenen arabischen Epoche er
blühten literarischen Renaissance, die in der großartigen Synthese des
Maimonides ihren Höhepunkt erreichte; in Nordfrankreich wirkte da
gegen noch immer der Einfluß der von Raschi und den Tossafisten
begründeten talmudischen Schule nach. Zwischen den beiden Ländern
lag aber, politisch und kulturell aufs engste mit ihnen verbunden, die
Provence mit ihren alten jüdischen Zentren, wo Elemente französi
scher und arabisch-spanischer Kultur unmerklich ineinander übergin
gen und wo der Kampf des konservativen Rabbinismus gegen das
Freidenkertum gleichsam eine Parallele zu dem Kampf der Kirche
gegen das Schisma der Albigenser bildete. Die umgebende geistige
Atmosphäre blieb eben nicht ohne Einfluß auf die Gestaltung der
geistigen Rewegungen innerhalb des Judentums selbst. In denselben
Jahren, da der Papst Innocenz III. und die unter seinem Segen ge
stifteten Mönchsorden eine alleuropäische klerikale Organisation zur
Unterdrückung der die Kirchenautorität gefährdenden Glaubensströ
mungen schufen, verschärften sich die konservativ-orthodoxen Ten
denzen auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Die Wächter der
Kirche ließen zu beiden Seiten der Pyrenäen Inquisitionstribunale zur
Aburteilung der Freidenker erstehen; die Eiferer der Synagoge fahn
deten ihrerseits nach der Ketzerei in ihrer eigenen Mitte und erblick
ten sie in der sich frei entfaltenden Religionsphilosophie, die in dem