§ 66. Das neue Zentrum in der Türkei des Aufrufs sollten wohl dazu dienen, die Auswanderung nach der Türkei besonders verlockend erscheinen zu lassen. Viele beeilten sich auch in der Tat, dem ergangenen Rufe Folge zu leisten. In der zwei ten Hälfte des XV. Jahrhunderts erstand in Konstantinopel neben der alteingesessenen jüdischen Gemeinde eine Kolonie der aus Deutsch land und Österreich neu zugewanderten „Aschkenasim“. Das Haupt aller jüdischen Gemeinden in der Türkei war der er wähnte Moses Kapsali, der das Rabbineramt in Konstantinopel schon vor der Einnahme der Stadt durch die Türken innehatte und dann vom Sultan Mohammed II. zum Großrabbiner aller türkischen Ge meinden ernannt wurde. Es war dies der erste „Chacham-Baschi“ in der Türkei, der die Amtsobliegenheiten der ehemaligen morgenlän dischen Exilarchen versah und in seiner Würde dem christlichen Patriarchen ebenbürtig war. Der für den pünktlichen Eingang der den Juden auf erlegten Steuern vor dem Sultan verantwortliche Moses Kapsali verfügte in den inneren Gemeindeangelegenheiten über eine uneingeschränkte Gewalt. Ihm stand das Recht zu, die Rabbiner zu ernennen, in den wichtigsten Gerichtssachen zu entscheiden und auch Strafmaßnahmen anzuordnen. Aus den Berichten eines seiner Nach kommen, des bereits zitierten Chronisten des XVI. Jahrhunderts, ist zu ersehen, daß er vom Sultan manchmal auch in Staatsangelegen heiten zu Rate gezogen wurde. Eines Tages fragte der Sultan den Rabbiner, was zur Bekämpfung der in Konstantinopel ausgebrocher nen Pest zu geschehen habe, worauf Kapsali erwiderte, daß die Seuche eine Strafe Gottes für die in der Hauptstadt sich breitmachende Un zucht sei. Der Sultan befahl nun, alle stadtbekannten Wüstlinge aus findig zu machen und sie der Strafe zuzuführen und übertrug die Ausführung der Säuberungsaktion, soweit sie die jüdische Gemeinde betraf, dem Großrabbiner. Bald wurden auf Verfügung des Moses Kapsali eine Anzahl jüdischer junger Leute, die sich in Gesellschaft der zügellosen Janitscharen (der Sultangarde) Ausschweifungen hin zugeben pflegten, verhaftet und mit Stockhieben gezüchtigt. Die er bosten Janitscharen schworen, die ihren Freunden zugefügte Schmach an dem Rabbiner zu rächen. Während der von ihnen nach dem Tode des Sultans Mohammed (i48i) angezettelten Unruhen drangen sie in das Haus des Kapsali ein, um ihn niederzumachen, doch wurde $r von seinen türkischen Nachbarn noch rechtzeitig gewarnt und ent ging so dem sicheren Tode. — Infolge seines loyalen Verhaltens der .31 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. V 481