Osteuropa und der jüdische Orient 462 mobilien Geld ausleihen durften. Hierbei wurde auch die gehässige Begründung des Wißlitzer Landtags.in einer noch schärferen Form mitübernommen. Zu derselben Zeit, da in Polen die katholische Reaktion merk liche Fortschritte machte, blieb das mit ihm durch die gemeinsame Dynastie verbundene, sich jedoch der Autonomie erfreuende Litauen von diesen verderblichen Einflüssen unberührt. In dem erst vor kur zem in die Gemeinschaft der christlichen Völker Europas eingetrete nen Lande herrschte die patriarchalische Lebensordnung, die in Po len bereits ihrer Auflösung entgegenging, noch unerschüttert. Noch vermochte die mittelalterliche Kultur die Urwaldbewohner an den Ufern des Njemen und der Wilija nicht in ihren Bannkreis zu zie hen, und so konnten sich die Juden hier ohne Furcht vor Verfolgung und Bedrückung niederlassen. Wann die ersten jüdischen Siedlun gen in Litauen entstanden sind, ist schwer mit Sicherheit zu bestim men; fest steht nur, daß gegen Ende des XIV. Jahrhunderts bereits alle bedeutenderen Städte des litauischen Fürstentums sowie des mit ihm verbundenen Wolhynien: Brest, Grodno, Troki, Luzk und Wla dimir jüdische Kolonien aufwiesen. Um die gleiche Zeit mochte auch die jüdische Kolonie in dem von den Tataren an Litauen abgetretenen alten Kiew zu neuem Leben erstanden sein. Der erste, der diese Ge meinden in aller Form legitimierte, war der Großfürst Witold oder Witowt (i388—i43o), der Litauen bald aus eigener Machtvollkom menheit, bald im Namen seines Vetters, des polnischen Königs Ja- gello regierte. Im Jahre i388 verlieh Witold den Juden von Brest und anderen litauischen Städten einen sich in den wesentlichsten Punk ten an die Statute Boleslaws von Kalisch und Kasimirs des Großen anlehnenden Freibrief, auf den ein Jahr später ein besonderes Pri vileg für die Juden von Grodno folgte. Diese Gesetzgebungsakte zeu gen davon, daß der litauische Fürst in seiner staatsmännischen Be sorgtheit um das friedliche Dasein der Juden inmitten der Christen sowie um die innere Organisation der jüdischen Gemeinden einem Kasimir dem Großen durchaus nicht nachstand. Während jedoch die erste dieser Urkunden nur die allgemein gehaltenen Formulierungen der polnischen Privilegien wiederholt („nach Lemberger Vorbild“), gewährt uns der von der üblichen Form abweichende, den Juden von Grodno ausgestellte Freibrief einen Einblick in die konkreten Le bensverhältnisse der litauischen Juden. Aus dieser Urkunde ist zu