§ 55. Ferdinand und Isabella. Die Inquisition 887 ihn alle Grenzen zwischen Mystik und Mystifikation und er war nahe daran, den einst von Abraham Abulafia (oben, § 18) beschrittenen Weg einzuschlagen, indem er sich in irgendein messianisches Abenteuer in Kastilien mithineinziehen ließ. Sein Ende ist in Dunkel gehüllt. Aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts scheinen auch jene zwei „Geheimschriften“ oder kabbalistischen Apokryphen: „Sefer ha’kana“ und „Ha’pelia“ zu stammen, deren Verfasser sich unter den Namen der Geisteshelden der Vorzeit verbirgt. Seine mystischen Träumereien gab er für unmittelbar von dem Propheten Elias emp fangene Offenbarungen aus und weissagte allen Ernstes, daß der Messias noch im Jahre i4qo erscheinen werde, zwei Jahre also vor dem endgültigen Zusammenbruch der spanischen Judenheit. Bezeich nend ist es, daß der anonyme Mystiker zur Zielscheibe seiner Polemik nicht die Philosophen, sondern die Talmudgelehrten wählte, denen er zum Vorwurf machte, daß sie ausschließlich die „geoffenbarte Thora“ mit ihren unzähligen Gesetzesbestimmungen und die Aus legungen dieser Gesetze studierten, ohne sich um die „Geheimnisse der Thora“ auch nur im geringsten zu kümmern. Die Befolgung der Bräuche ohne Eindringen in ihren verborgenen symbolischen Sinn sei, so meinte er, völlig wertlos, den Schlüssel zu dieser Symbolik gebe aber allein die Kabbala. In den beiden Apokryphen tritt uns eine so hemmungslose Kritik des Talmud und des Rabbinismus entgegen, daß sich unwillkürlich der Zweifel regt, ob in einer aus dem XV. Jahrhundert stammenden Schrift solche Wendungen überhaupt ge braucht werden konnten. Sollten sie aber dennoch echt sein, so wäre daraus zu schließen, daß sich in den Kreisen der Mystiker schon da mals jene Opposition gegen den Rabbinismus und alle trockene Bü cherweisheit geltend zu machen begann, die später in den mystischen Strömungen der folgenden Jahrhunderte, namentlich im Chassidis mus, zu voller Reife gelangten 1 ). § 55. Ferdinand und Isabella. Die Inquisition Eine neue Ära brach für Spanien mit der Vereinigung Aragoniens und Kastiliens zu einem Reiche an, die eine Folge der Vermählung des aragonischen Thronfolgers, späteren Königs Ferdinand des Ka- t) Die Bücher „Ha’kana“ und „Ha’pelia“ sind zum erstenmal gegen Ende des XVIII. Jahrhunderts, und zwar in chassidischen Druckereien, gedruckt wor den (Koretz u. Porjetzk, 1784)* 25*