3 .77 § 54. Der Untergang der geistigen Kultur in Spanien ten daher Rettung in der Flucht, und unter den Flüchtlingen befand sich auch Isaak Abravanel, der von seinen Verehrern gerade in dem Augenblick vor der drohenden Gefahr gewarnt wurde, als er im Be griffe war, sich auf Aufforderung des Königs hin nach dessen Resi denz zu begeben. Trotz der Verfolgung durch die vom König ausge sandten Häscher gelang es Abravanel, die portugiesische Grenze zu überschreiten und nach Kastilien zu entkommen. Seine Flucht schien den vom König gegen ihn gehegten Verdacht endgültig zu bestätigen, weshalb denn auch Juan II. sein ganzes Vermögen kurzerhand kon fiszierte. Im Jahre i483 ließ sich Abravanel in Toledo nieder und hier sollte es ihm beschieden sein, den Schlußakt der Tragödie der spanischen Judenheit persönlich mitzuerleben. § 54. Der Untergang der geistigen Kultur in Spanien Die sturmbewegte Zeit der Verfolgungen des Judaismus mußte der jüdischen Literatur in Spanien unausbleiblich ihren Stempel auf- drücken. Als hervorstechendster Zug des Schrifttums dieser Epoche erscheint die geistige Selbstwehr. Die scharfe Abgrenzung des Judais mus als einer religiösen und philosophischen Weltanschauung von allen sonstigen Lehren und die Betonung seiner Erhabenheit über alle seine Rivalen — dies war das alleinige Ziel, für das sich die jü dischen Denker angesichts des dem jüdischen „Unglauben“ von der umgebenden Welt angesagten Vernichtungskrieges mit ganzer Seele zu begeistern vermochten. In der Epoche gewaltsamer Taufen, als die wankelmütigen Geister Gefahr liefen, sich durch die christliche Dogmatik betören zu lassen und so aus unfreiwilligen Christen zu Christen aus Überzeugung zu werden, mußte die Bekämpfung der verfänglichen Dogmen als die wichtigste aller literarischen Aufgaben erscheinen. So ist denn die Literatur der ersten Hälfte des XV. Jahr hunderts vor allem der religiösen Apologie und Polemik gewidmet. In einem Lande, wo die religiösen Disputationen stets an der Tages ordnung waren und wo von dem Ausgang der über zwei Jahre sich! hinziehenden Disputation zu Tortosa das Schicksal des gesamten Vol kes abzuhängen schien, war das polemische Schrifttum zu einem or ganischen Bestandteil des Lebens selbst geworden. Man schrieb, wie es nur natürlich war, mit viel größerem Freimut als man zu reden pflegte. Die unverblümte Kritik des Christentums, für die in den