Deutschland im XIV. und XV. Jahrhundert 334 weiteren Ausgestaltung der Gemeindeautonomie und in der nicht nachlassenden Anspannung des geistigen Schaffensdranges. Ein Paria außerhalb seines Viertels, war der Jude innerhalb des Ghetto ein Vollbürger, der Bürger seines eigenen geistigen Reiches. Noch mehr als früher schloß sich das Judenstädtchen gegen die es umgebende christliche Stadt ab, immer enger preßten sich die ein geschüchterten Schafe aneinander, aus deren Mitte die Wölfe sich immer wieder ihre Beute holten. Die Machthaber waren unablässig mit der Schur beschäftigt, das Volk zog seinen Opfern voll Wut die Haut ab und zerbrach ihnen die Knochen, und so mußten die treuen Hirten stets auf dem Posten sein, um, soweit es in ihrer Kraft stand, das Unheil abzuwenden, nach der entstandenen Verwirrung die Ordnung wiederherzustellen und in den aufgelösten Reihen die Zucht aufrechtzuerhalten. Diese Aufgabe fiel überall der durch ihren Rat vertretenen jüdischen Gemeinde zu, die uns in den damaligen offi ziellen Urkunden unter der Bezeichnung „Judenschaft“ oder „Jü- dischheit“ entgegen tritt. In dieser Zeit der systematischen Ausbeutung der Juden durch Kaiser, Herzoge, Bischöfe und Bürgerschaft wurde die jüdische Gemeindeselbstverwaltung wider Willen in immer stei gendem Maße in den Interessenkampf der verschiedenen Gewalten und Stände mithineingezogen, da jede dieser Mächte die Organe der „Judenschaften“ zu einem ihrem eigenen Nutzen dienenden Werk zeug zu machen trachtete. Als Vermittler zwischen den jeweiligen Machthabern und den jüdischen Gemeinden traten in der Regel die Vorsteher des Gemeinderates, die sogenannten „Judenmeister“ auf. Dieser Titel 1 ), der in früherer Zeit dem „Parnas“, dem gewählten Haupte des Gemeinderates, gegeben zu werden pflegte, wird im XV. Jahrhundert nicht selten auch dem Rabbiner beigelegt, wohl aus dem Grunde, weil zuweilen auch er in dem Gemeinderat den Vorsitz führte (so wird z. B. der in die Regensburger Affäre verwickelte Rabbi Israel Bruna in den deutschen Akten stets „Judenmeister“ genannt). Es be durfte übermenschlicher Anstrengungen, um die Organe der jüdi- 1 ) Im XIII. Jahrhundert hießen „Judenmeister“ auch jene Mitglieder des Stadtrates, die mit der Bevormundung der jüdischen Ortsgemeinde und mit der Eintreibung der ihr auf erlegten städtischen Steuern betraut waren. In Köln pflegte der Stadtrat zu diesem Zwecke alljährlich zwei seiner Mitglieder als „Judenmeister, zu ernennen (S. Weyden, Geschichte der Juden in Köln, S. 169 ff.). Ein Gegen stück zu den christlichen Judenmeistern waren die christlichen Judenrichter, denen die Kontrolle des jüdischen Gemeindegerichts oblag.