Zerstörung des französischen Zentrums 282 König — so heißt es in diesem Dekret — hätte von vertrauenswürdi gen Männern erfahren, daß viele seiner Untertanen die Juden schwe rer Vergehen gegen den heiligen Glauben sowie des Mißbrauchs der ihnen verliehenen Privilegien beschuldigten, weshalb er denn beschlos sen hätte, ihnen fürderhin den Aufenthalt in allen nördlichen wie südlichen Iironlanden Frankreichs strikt zu untersagen. Zur Regelung ihrer Geschäfte, zur Eintreibung der Schulden und der Liquidation ihres Besitzes wurde den Juden eine sechswöchentliche Frist einge räumt. Gegen Ende des Jahres i3g4 verließen Tausende von jüdi schen Familien von neuem jenes Land, wo sie durch die Habgier der Herrscher, den Fanatismus der Geistlichkeit und den rohen Aber glauben der Massen in den schmachvollen Zustand sozialer Sklaverei versetzt worden waren und ständig um ihr nacktes Leben zittern muß ten. Manche Städte sowie einzelne Großgrundbesitzer hätten zwar die Juden gern bei sich behalten, doch waren sie genötigt, dem könig lichen Befehl zu gehorchen. Unter der Wucht dieses vernichtenden Schlages verschwanden die Gemeinden in Nordfrankreich und im Lan guedoc von der Erdoberfläche. Von Paris bis nach Narbonne war alles, was von einer langen Reihe von Generationen in mühsamer Kultur arbeit geschaffen worden war, spurlos weggewischt. Von dem jüdi schen Frankreich blieben nur noch klägliche Überreste erhalten; aber auch diese sollten bald dem Verderben anheimfallen. § Ul. Die letzten Überreste der französischen Judenheit (XV. Jahr hundert) Von der Ausweisung des Jahres i3g4 blieben nur drei von den französischen Königen unabhängige Provinzen unberührt. Es waren dies die autonome Provinz Dauphine, ein großer Teil der Provence und der päpstliche Bezirk Avignon. In die hier unversehrt ge bliebenen Gemeinden siedelte nun ein beträchtlicher Teil der Ver bannten aus dem königlichen Frankreich über, während der Rest in fremden Ländern: in Savoyen, Italien, Deutschland und dem soeben, im Jahre iSgi, von einer schweren Katastrophe heimgesuchten Spa nien Zuflucht suchte. Dem Teil der Judenheit Frankreichs, der sich in den autonomen französischen Ländern niedergelassen hatte, sollte eine hundertjährige Schonfrist zuteil werden, bis zur Ausdehnung der Gewalt der „allerchristlichsten“ Könige auch auf diese Provinzen.