263 § 38. Rabbinismus und konservative Philosophie (Crescas) bei ähnlichen Katastrophen viel mehr Opfermut an den Tag zu legen und nur in Ausnahmefällen nahmen sie den Glauben der Peiniger zum Scheine an, um ihn sofort nach dem Abzug der Feinde in aller Form wieder abzuschwören; in Spanien gab es hingegen weit mehr „Bekehrte“ (conversos) als solche, die ihr Leben opferfreudig für ihre Religion hingaben: die Zahl der Abtrünnigen belief sich hier schätzungsweise auf mehrere Zehntausende. Zwar gaben sich auch hier viele zur Taufe und zum christlichen Lippenbekenntnis nur in der Absicht her, nach dem Abebben der Sturmflut von neuem zum Glauben ihrer Väter zurückzukehren, was manche denn auch in der Tat zur Ausführung brachten, indem sie sich vor dem wachsamen Auge der Kirchenspitzel so schnell wie möglich durch Flucht in fremde Länder retteten. Die meisten unter den Konvertiten schätzten jedoch viel zu sehr die ihnen vergönnte Atempause und trugen die Maske des aufgezwungenen Glaubens geduldig zur Schau. Sie konn ten nicht voraussehen, was für ein fürchterliches Los sie sich und ihren Kindern in Zukunft bereiteten. Von der katholischen Geist lichkeit aufs schärfste kontrolliert, mußten diese „Fronknechte“ des Christentums („Anussim“) zum Scheine die Kirchenriten peinlichst befolgen, während sie den Grundgeboten ihres angestammten Glau bens nur unter dem Deckmantel des Geheimnisses nachzukommen ver mochten. Diese Zwiespältigkeit sollte für sie zu einem nie versiegen den Quell unzähliger Leiden und Ängste werden, um die Tragödie des „Marranentums“ und schließlich auch die Schrecken der Inqui sition heraufzubeschwören (unten, §§ 5off.). § 38. Der Rabbinismus und die konservative Philosophie (Crescas) Im vorhergehenden XIII. Jahrhundert stand in Spanien das Ge biet der geistigen Kultur unter dem Zeichen des ebenso heiß be kämpften wie glühend verehrten Maimonides. Der hundertjährige Kampf der Konservativen gegen das Freidenker tum, der mit dem be rühmten rabbinischen Anathema vom Jahre i3o5 endete, verlieh indessen der konservativen Geistesrichtung eine unerschütterliche Vor machtstellung. So verläuft denn das XIV. Jahrhundert bereits unter dem Zeichen geistiger Reaktion. Der Rabbinismus setzte es sich zur Aufgabe, in dem Lande, wo alle Vorbedingungen für die Assimilation gegeben waren: eine der gesamten Bevölkerung gemeinsame Um