Die kleineren Zentren und Kolonien im XIII. Jahrhundert 208 § 29. Das geistige Lehen in Italien Das geistige Leben der italienischen Juden bildete im XIII. Jahr hundert, wie schon ehedem, den Schnittpunkt verschiedenartiger Strö mungen, die in den beiden damaligen Hegemoniezentren, in Frank reich und Spanien, ihren Ursprung nahmen. Aus Nordfrankreich wurde hierher namentlich die Talmudwissenschaft der Tossafisten verpflanzt, die in den Jeschiboth von Rom, Trani und einigen an deren Städten zu hoher Entfaltung gelangte. Großes Ansehen genoß der Rabbiner Jesaja di Trani (gest. um 1270). Er verfaßte Kom mentare und „Tossafoth“ zum Talmud und versandte überallhin seine Entscheidungen über Fragen des Rechts und des Ritus. Allerdings war er kein großer Freund des französischen Rigorismus, sein Restreben ging vielmehr dahin, auf die Lebensbedürfnisse des Einzelnen Rück sicht zu nehmen und die Strenge des Gesetzes dementsprechend zu mildern. Jesaja di Trani gestand offen ein, daß er in den weltlichen Wissenschaften, in Mathematik und Astronomie, nicht Bescheid wisse und pflegte, soweit dies für das Verständnis des Talmudtextes er forderlich war, sich bei Fachmännern Auskunft zu holen; so wußte er z. B. nur vom Hörensagen, daß der Mond sein Licht von der Sonne empfange. Sein Enkel, R. Jesaja di Trani II., gleichfalls ein hoch angesehener Rabbiner, in dessen Zeit die erbitterte Fehde zwischen Religion und Philosophie fällt, ging in der Ablehnung der weltlichen Wissenschaft noch viel weiter und wollte von ihnen überhaupt nichts wissen; besondere Befürchtungen flößte ihm die Philosophie des Ari stoteles ein und er untersagte die Lektüre philosophischer Bücher, in denen „die Thora, die Weltschöpfung (ex nihilo) und das Dogma der Vergeltung“ geleugnet würden. Aus dem biblischen Gebot „Höre, Israel“ zog er den Schluß, daß der Glaube sich nur auf das „Gehör“ gründen müsse, d. h. auf die von den Altvorderen empfangenen Über lieferungen, nicht aber auf die selbsterlangte Erkenntnis oder die philosophische Forschung. Neben den Talmudisten der tossafistischen Richtung erstanden in Italien auch Kodifikatoren. So verfaßte der bereits erwähnte Zedekia ben Abraham haRofe aus Rom (wirkte um die Mitte des XIII. Jahr hunderts) einen Gesetzeskodex unter dem Titel „Schibbole ha’leket“ (Ährennachlese), in dem die Vorschriften über Feiertage, Gottesdienst und sonstige rituelle Bräuche zusammengestellt waren. Der Verfasser