162 Deutschland im XIII. Jahrhundert scheinen vergessen zu haben, daß es gerade die alten Schriften der Juden sind, die für die christliche Religion Zeugnis ablegen. Wäh rend die Heilige Schrift das Gebot auf stellt: ,Du sollst nicht töten!‘ und ihnen am Passahfest sogar die Berührung von Toten untersagt, erhebt man gegen die Juden die falsche Beschuldigung, daß sie an diesem Feste das Herz eines ermordeten Kindes äßen. Wird irgend wo die Leiche eines von unbekannter Hand getöteten Menschen gefunden, so wirft man sie in böser Absicht den Juden zu. Es ist dies alles nur ein Vorwand, um sie in grausamster Weise zu verfolgen. Ohne gerichtliche Untersuchung, ohne Überführung der Angeklagten oder deren Geständnis, ja in Mißachtung der den Juden vom Aposto lischen Stuhl gnädig gewährten Privilegien, beraubt man sie in gott loser und ungerechter Weise ihres Besitzes, gibt sie den Hunger qualen, der Kerkerhaft und anderen Torturen preis und verdammt sie zu einem schmachvollen Tode. So haben denn die Juden unter der Gewalt solcher Fürsten und Machthaber noch viel mehr zu leiden als einst ihre Urahnen unter den Pharaonen in Ägypten. Solcher Ver folgungen wegen sehen sich die Unglückseligen gezwungen, jene Orte zu verlassen, wo ihre Vorfahren von altersher ansässig waren. Eine restlose Ausrottung befürchtend, rufen sie nun den Apostolischen Stuhl um Schutz an. Da wir die Juden, deren Bekehrung Gott in sei ner Barmherzigkeit noch immer erwartet, nicht ungerechterweise ge quält wissen wollen, gebieten wir euch, ihnen freundschaftlich und wohlwollend zu begegnen. Solltet ihr in Zukunft von solchen gesetz widrigen Bedrückungen von seiten der Prälaten, Edelleute oder Wür denträger hören, so achtet darauf, daß die Schranken des Gesetzes nicht überschritten werden, und lasset nicht zu, daß man die Juden unverdienterweise belästige 4 4 . Aus dieser Bulle dringt ein Widerhall all jener Greuel zu uns, die um jene Zeit anläßlich der Ritualmordlüge in Deutschland und Frankreich stets an der Tagesordnung waren. (Die Bulle war auch an die französischen Bischöfe gerichtet.) Bei seiner Verteidigung der Juden ließ sich freilich der Papst weniger von Mitleid als von der Hoffnung leiten, daß das jüdische Volk einstmals durch seine Bekeh rung „zum wahren Glauben 44 der Kirche einen Triumph bereiten würde. Solange jedoch diese glückhafte Stunde noch nicht geschla gen, sei es notwendig — so meinte er —, die Juden von den Christen zu isolieren, damit diese nicht unter den schädlichen Einfluß des