Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert System des Maimonides den vollendetsten Ausdruck gefunden hatte. Freilich waren Ziele und Mittel der christlichen und der jüdischen Glaubenseiferer von Grund aus verschieden: einerseits die streitbare Kirche, die nicht so sehr von religiösen als vielmehr von klerikalen Tendenzen sowie vom Autokratismus des päpstlichen Rom durchdrun gen war; andererseits die vom Schreckgespenst der dem Judaismus drohenden Gefahren verfolgten Rabbiner, die in ihrer Angst in Mai monides den an den Grundfesten des Glaubens und an den heiligsten Überlieferungen der Nation rüttelnden heidnischen Geist des -Aristo teles witterten. Die Kirche bekämpfte das Freidenkertum mit Feuer und Schwert, der Synagoge stand aber einzig und allein die geistige Waffe der Exkommunikation („Cherem“) zur Verfügung, die über dies bei fehlender Einhelligkeit innerhalb der Gemeinden ihre eigent liche Schärfe einbüßte. Desungeachtet bestand zwischen den gleich artigen Erscheinungen in den beiden Lagern zweifellos ein geschicht licher Zusammenhang. Es war durchaus kein Zufall, daß das Ge spenst des Aristoteles in Frankreich 1 ) in dem gleichen Zeitpunkt, zu Beginn des XIII. Jahrhunderts, sowohl die Torwächter der Kirche wie die der Synagoge mit Furcht und Schrecken erfüllte. In späterer Zeit gelang es spitzfindigen dominikanischen Theologen von der Art eines Albertus Magnus oder Thomas von Aquino, die heidnischen Philo sophen zahm zu machen und sie sogar vor den Kirchenwagen zu span nen. Den jüdischen Gelehrten wollten hingegen solche Versuche einer Versöhnung von Glauben und Vernunft nicht gelingen, der klaffende Abgrund zwischen Religion und Philosophie blieb unüberbrückt und der Kampf der durch ihn getrennten Geister dauerte fast ein ganzes Jahrhundert fort. In seiner ursprünglichen Phase drehte sich der Streit ausschließ lich um die Lehren des „jüdischen Aristoteles“, um Maimonides. f)ie Ironie des Schicksals wollte es, daß gerade diejenige Lehre, deren Hauptziel die Versöhnung von Glauben und Vernunft war, zu einem entscheidenden Zusammenstoß der beiden Prinzipien führen sollte. Noch zu Lebzeiten des Maimonides gab die weitherzige Gesinnung des Schöpfers der „Mischne-Thora“ sowie dessen Absicht, die Geister vom 1 ) Die aus Spanien nach Frankreich gedrungenen Abschriften der Werke des Aristoteles und seiner Kommentatoren riefen in den Geistern eine Gärung her vor und die Kirchenbehörden beeilten sich, das Studium dieser Werke unter strengstes Verbot zu stellen: „Non legantur libri Aristotelis de metaphysica et naturali philosophia“ (um 1210).