Zweites Kapitel Die Juden im christlichen Spanien des XIII. Jahrhunderts § 9. Kastilien in der Epoche der Reconquista Der Anfang des XIII. Jahrhunderts bildet einen Wendepunkt in der Geschichte der Pyrenäischen Halbinsel. Nach dem Siege der Kasti- lier und Aragonier über die Almohaden bei Navas de Tolosa (im Juli 1212) erfolgt in der kurzen Zeitspanne nur einiger Jahrzehnte die Wiederherstellung der christlichen Herrschaft im arabischen Spanien („Reconquista“). Der Sieg bei Tolosa wurde von den Spaniern in einem nationalen Freiheitskriege erkämpft, in dem ihnen die Streiter des Religionskrieges, des von Innocenz III. inaugurierten Kreuzzuges, tatkräftig zur Seite standen. Nachdem nämlich die Kreuzfahrerhaufen die Albigenser in Südfrankreich vernichtet hatten, zogen sie über die Pyrenäen, um auch an der Ausrottung der ungläubigen Muselmanen teilzunehmen. Der nationale Freiheitskampf der Spanier fand bei den Juden zunächst vollen Anklang, da der Sieg auch sie von dem fana tischen Almohadenregime erlösen mußte; indessen wurden ihre patri otischen Gefühle durch den von den Kreuzfahrern in diesen Kampf hineingetragenen religiösen Beiklang stark gedämpft, um so mehr, als das Banner des Kreuzes fast immer das Signal zu Judenhetzen gab. In der Tat ging es auch diesmal nicht ohne den Versuch einer Hetze ab. Sorgenvolle Tage hatte im Sommer des Jahres 1212 namentlich die jüdische Gemeinde von Toledo durchzumachen, als die Truppen des päpstlichen Legaten Arnold, die kurz vorher die ketzerische Pro vence der Verheerung preisgegeben hatten, in die Stadt einzogen. Die gegen die fanatischen Muselmanen kämpfenden fanatischen Christen empfanden den Wohlstand und die blühende Kultur der kastilischen Juden als aufreizendes Ärgernis, und so gingen sie daran, sich durch