§ 8. Die Vertreibung der Juden aus England (1290) meinsam mit den im Jahre i3o6 verbannten französischen Juden von neuem den Wanderstab ergreifen. Ein kleiner Teil der aus England Vertriebenen hatte sich nach Flandern begeben; einzelne Gruppen wurden auch nach Spanien und Deutschland verschlagen. So wiederholte sich denn im XIII. und XIV. Jahrhundert in zwei europäischen Ländern die Geschichte des Auszuges aus Ägypten. Geist liche und weltliche Pharaonen taten sich zusammen, um für die Ju den mit vereinten Kräften eine neue Knechtschaft in Form von Han delsfrondienst und Entrechtung zu erfinden, und den Unterjochten blieb nach langem vergeblichen Kampfe nur ein Ausweg: der Auszug. Indessen war es jetzt nicht das gelobte Land der Freiheit, das den Ausgezogenen winkte, sondern es breitete sich vor ihnen dieselbe dü stere mittelalterliche Wüste aus, in der das Wandervolk schon so lange schmachtete, um nur hier und da auf eine erfrischende Oase zu sto ßen. Die Folgen der beiden Ausweisungen vom Jahre 1290 und i3o6 waren allerdings nicht ganz dieselben: während die englischen Juden aus ihrer Heimat endgültig vertrieben wurden und eine neue jüdische Kolonie in dem britischen Inselreiche auf legaler Grundlage erst vier Jahrhunderte später begründet werden konnte, war es den französi schen Juden beschieden, bald wieder in ihre Heimat zurückzukehren, um endgültig erst gegen Ende des XIV. Jahrhunderts verbannt zu wer den. Der tiefste Unterschied in dem Schicksal der Juden beider Län der tritt aber in der Verschiedenheit der ihnen zukommenden kulturell geistigen Bedeutung zutage: während die französische Judenheit trotz der schweren Bedrängnis, unter der sie im XIII. Jahrhundert zu lei den hatte, nach wie vor ein wichtiges nationales Kulturzentrum bil dete, in dem gerade in diesem Jahrhundert die verschiedenartigsten geistigen Strömungen miteinander wetteiferten (s. unten, Kap. 3), sollte die englisch-jüdische Kolonie, die sich nie durch selbständige schöpferische Kraft ausgezeichnet hatte, in der inneren Geschichte des Volkes keine merklichen Spuren hinterlassen.