Litte Ein neues Werk von Ossip Schubin darf immer auf volle Teilnahme in den weitesten Leserkreisen rechnen, und so wird auch ihre Erzählung „Marska", die Engelhorns Verlag zu Stuttgart in vornehmer Ausstattung darbietet, ein großes und dankbares Publikum finden. Bald find zwanzig Jahre ver flossen, daß die Dichterin ihren ersten Roman veröffentlichte, der sie sofort in die vordere Reihe der deutschen Schriftstellerinnen rückte, zahlreiche weitere Werke ließ sie nachfolgen, aber un geschwächt erscheint heute ihre Erfindungs- und Darstellungs gabe. In ihrem neuesten Buche bewegt sie sich wieder aus ihrem heimatlichen Boden, mit dem sie so innig vertraut ist, in dem die Wurzeln ihrer Kraft ruhen, aber diesmal ist es nicht die vornehme österreichische Gesellschaft, in die wir ge führt werden, sondern vor unsern Augen entwickeln sich packende Scenen aus dem böhmischen Landleben. Die Heldin ist eine arme Waise, die hart herumgestoßen wird und, fast noch ein Kind, einem Ruchlosen zum Opfer fällt. Ohne Be wußtsein davon, welche Schuld sie aus sich ladet, wird sie zur Verbrecherin und entflieht alsdann in die Ferne. Unter fremden Leuten wächst sie zum reifen Weibe heran, gewinnt die Achtung aller und die Liebe eines jungen Burschen aus begüterter Familie. Auch ihr Herz schlägt ihm entgegen, aber anstatt ihm den früheren Fehl zu beichten, der ihr erst jetzt zur vollen Erkenntnis kommt, schweigt sie, denn sie will den Teil des Glückes, den nach ihrer Meinung das Geschick ihr schuldet, nicht missen. Die Gefahr der Entdeckung, die ihr durch einen abgewiesenen Freier droht, wird zwar durch den Tod des Elenden abgewendet, aber noch von andrer Seite ist Verrat zu befürchten. Zwar ist es nur eine arme Wahnsinnige, die um die dunkle That weiß, aber ihre irren Reden wecken doch in Marska das schlummernde Gewissen, versetzen sie in erneute Angst, die auch ihren Verstand verwirrt, und so folgt sie, während schon alles zur Hochzeit gerüstet ist, dem Ruse, der sie aus den Pfad des Todes weist. Die Dichterin hat es ver standen, tiefe Sympathie für ihre Heldin zu erwecken. Wohl hat diese eine schwere Sünde aus sich geladen, aber sie that es in hilfloser Angst und hat schwer gebüßt, und gerade, da ihr nach Jahren der Qual ein Sonnenstrahl des Glücks lächelt, tritt das düstere Verhängnis ein. Wie in allen ihren Werken, zeichnet sich Ossip Schubin auch hier durch sichere Charakteristik der Personen aus, und mit der ungewöhnlich packenden Hand lung verbindet sich eine treffliche Schilderung der bäuerlichen Verhältnisse. — „Unter der Geißel" ist der Titel einer neuen, im Ver lag der G. Groteschen Verlagsbuchhandlung in Berlin er schienenen Erzählung von Ernst von Wildenbruch, in der der Dichter eine seltsame seelische Entwicklung mit der sicheren Hand eines tiefgründigen Seelenkenners schildert. Ein flotter Reiterossizier ist nach den furchtbaren Eindrücken, die er inmitten von Verwundeten und Sterbenden nach der Schlacht bei Königgrätz empfing, Geistlicher geworden, und in den neuen Beruf hat ihn die unbeugsame Festigkeit und Schneidigkeit begleitet, mit der einst der Reiter sein Roß zügelte. Unter seiner Geißel bebt seine Gemeinde, die mit scheuer Bewunderung zu ihm aufblickt, beben seine beiden Töchter, hat seine Gattin gebebt, bis der Irrsinn sie gepackt und in ewige Geistesnacht versenkt. Ihr nachgeartet ist ihre älteste Tochter, der immer vor etwas Unsichtbarem, Unfaß barem, Unentrinnbarem graut, das bald die Gestalt des Satans, bald die eines wilden Reiters annimmt. Mit hinreißender Kraft schildert der Dichter, wie das Reiterblut des Vaters in ihr lebendig wird, wie sie ihrem Schicksal, von Leidenschaft getrieben, hastig entgegenschreitet, bis auch sie dem Wahnsinn verfällt. Hie und da schwebt etwas von der mystischen Sym bolik Ibsens über der Darstellung; aber im großen und ganzen ist diese Erzählung doch ein echter Wildenbruch, einer vom Schlage des „edlen Bluts" und der „Kinderthränen". Wenn Wildenbruchs Dramen, die seine Zeitgenossen bewegt und er schüttert haben, vergessen sein werden, werden diese epischen Meisterwerke seinen Namen lebendig erhalten. — Im Vordergründe unsrer kolonialen Interessen steht jetzt wieder Samoa, dessen vom Deutschen Reich 1900 übernommene auptinseln unstreitig den wertvollsten und hoffnungsreichsten eil unsres gesamten Kolonialbesitzes darstellen. Ihre Be deutung, ihren Wert und ihre Zukunft kennen zu lernen, ist nicht nur für den Kaufmann, den Pflanzer, den Kapitalisten, den Weltreisenden, sondern auch für jeden Deutschen von Wichtigkeit, der an der Entwicklung und Stärkung der Macht stellung seines Vaterlandes Anteil nimmt. Auf alle diese Fragen hat Ernst von Hefse-Wartegg in einem umfang reichen Werke: „Samoa, Bismarck-Archipel und Neu guinea, drei deutsche Kolonien in der Südsee" (Leipzig, I. I. Weber) eine ebenso lehrreiche wie erschöpfende Aus r cr t ur. kunst gegeben. In seiner bekannten anregenden Art, die auch dem trockensten Gegenstand einen Reiz abzugewinnen weiß, schildert er uns seine Reisen, die ihn nicht bloß an die be völkerten Küstenplätze, sondern auch tief in das Innere der Inseln geführt haben. Ueberall zeigt er sich als scharfen Be obachter von Land und Leuten, und die Winke, die er Pflanzern und Kapitalisten giebt, sind sicherlich ernster Beachtung wert. Das Interesse an seinen Schilderungen wird wesentlich erhöht durch die prächtigen Abbildungen nach Naturaufnahmen (etwa 150) und die beiden Karten, die die Verlagshandlung dem schön ausgestatteten Werk mitgegeben hat, das sich auch als ein wertvoller Beitrag zur Länder- und Völkerkunde dar stellt. — „Jlsee, Prinzessin von Tripolis", von Robert de Flers, deutsch von Regine Adler, mit 132 Lithographien, Umschlag, Vignetten und Zierleisten von A. Mucha (Kunst verlag B. Koci, Prag). In glänzender Gewandung taucht die uralte Liebesgeschichte des provenealischen Troubadours Jausre Rudel, Prinzen von Blaya (1140—1170), des Zeitgenossen des großen Bertran de Born, in diesem Werke wieder vor uns auf. Johannes Scherr sagt von Bertran de Borns Liedern, daß sie klingen wie Schwertschlag aus Helmen und Funken stieben, wie aus Panzerringen gehauen. Wie ein wehmütig schwärmerisches, heilig-übersinnliches Gedicht klingt dagegen die Geschichte von dem minniglichen Leben und Leiden Jausre Rudels, der sich in die Gräfin von Tripolis verliebt, ohne ihrer je ansichtig geworden zu sein, der dem süßen Gebilde seiner Träume seine sehnsuchtsvollen Lieder weiht, und der endlich das Kreuz nimmt und, todkrank von seinen Gefährten nach Tripolis gebracht, in den Armen der Geliebten, die er sein Leben lang anbetet und erst im Tode schaut, stirbt. Kaum eine Geschichte ist so kennzeichnend für die Zeit der ritterlichen Troubadours; Jausre Rudels ganzes Wesen ging in der art äe brobai- auf, seine Liebe und sein Leben waren eins. — Diese Geschichte, die Robert de Flers erzählt, hat Alphonse Marie Mucha, der treffliche Maler und Zeichner, mit Illu strationen geschmückt, und er hat damit ein Werk geschaffen, das zu den eigenartigsten und charakteristischen Erzeugnissen des modernen französischen Buchschmucks gehört. Die fran zösische Erstausgabe des Werkes aber mußte selbst den deutschen Liebhaberkreifen der Buchillustration fremd bleiben, denn sie erschien in nur 252 Exemplaren, die heute schon vollständig vergriffen sind und von denen das einzelne Exemplar den Preis von 1000 Franken überstieg. Die deutsche Ausgabe des Werkes, die der Kunstverlag B. Koci in Prag — wohl aus landsmannschaftlicher Begeisterung für Mucha, der ein geborener Mähre (aus Jvaneia) ist — veranstaltete, ist eine vollständige Nachbildung der französischen, hat aber vor dieser den Vorzug verhältnismäßiger Wohlfeilheit voraus, denn sie kostet nur 125 Mark. Mucha ist heute einer der beliebtesten Plakatzeichner von Paris, wo er, nachdem er Schüler der Münchener Akademie war, sich an der Akademie Julian unter Lefebvre, Boulanger und I. P. Laurens weiterbildete. Seine Plakate für die Sarah Bernhardt (la. vawe aux Oamelias, (lüismonäa) und ein halbes Hundert andrer Plakate lassen ihn als einen der interessantesten und originellsten Vertreter der „Kunst aus der Straße" erscheinen, die in Paris in den Cheret, Steinlen, Cazals ihre höchsten Triumphe feiert. Als Werk illustrator nimmt Mucha mit der „Prineesse Jlsee" in dem modernen französischen Buchschmuck eine hervorragende Stellung ein. Der geistige wie künstlerische Gehalt seiner Illustration ist zwar nicht zu vergleichen mit dem des viel höher stehenden englischen Buchschmucks; die verblüffende Fülle seiner Illustra tion vermag keineswegs die Einseitigkeit, um nicht zu sagen Monotonie japanifierender Stilistik zu verbergen: trotz alle dem verdient der Buchschmuck Muchas in „Prineesse Jlsee" auch bei uns die Beachtung der Künstler und Liebhaber. Und darum muß die deutsche Ausgabe dieses Werkes der Prager Verlagshandlung als Verdienst angerechnet werden, um so mehr, als sie alles gethan hat, eine Musterleistung neu zeitlichen Buchdrucks zu schaffen. Die Lithographien sind aus gezeichnet, die Ausgabe — aus Velinpapier — in jeder Hin sicht tadellos. Das Werk erscheint in einer Auflage von nur 800 numerierten Exemplaren aus dem Markte, ein gewichtiger Grund mehr für Liebhaber und Bibliophilen, sich den Besitz dieses kostbaren Werkes zu sichern. — Mit einem sechsten, die „Blüte d er Malerei in Hol land" schildernden Bande hat Adolf Philippi die Reihe seiner „Kunstgeschichtlichen Einzeldarstellungen", die durch ihre eigenartige Auffassung und die Frische der künstlerischen An schauung schon beim Erscheinen der ersten Bände (die Kunst der Renaissance in Italien) lebhaftes Interesse erregt haben, fortgesetzt (Leipzig und Berlin, E. A. Seemann). Es ist eines