46 Onkel Strobel. Humoreske von P. 93 ro dm an n. (Nachdruck verboten.) (§ben war der Mittagszug der Südbahn in Wien eingelaufen. Aus einem Knpee dritter Klasse stieg ein etwas beleibter, jovial aussehender, vielleicht sechzigjähriger Herr. Das war der Herr Xaver v. Strobel, oder wie er in seinem Heimatsorte schlichtweg genannt wurde, „Onkel Strobel". Strobel war heute, trotzdem er nur vier Bahnstunden von Wien wohnte, doch erst zum zweiten Male in der Kaiserstadt. Er lebte still und gemütlich mit einer alten Haushälterin zusammen als Rentier auf seinem eigenen Grund und Boden in einer kleinen Provinzstadt Oesterreichs. Er war Junggeselle und war ein abgesagter Feind des lärmenden Lebens Und Getriebes einer Großstadt. So mußten es denn wohl schwerwiegende Gründe gewesen sein, die den biedern Flurbewohner veranlaßt hatten, nach Wien zu kommen. Und so war es in der Tat. Strobel hatte in Wien einen Ressen wohnen, den Studenten Josef Schlempel, einen lebensfrohen zwanzigjährigen Burschen. Josef hatte früh seine Eltern verloren und so nahm sich Strobel seiner an, schickte ihn aufs Gymnasimn, ließ ihn erziehen und gab schließlich feinem Wunsche nach, die Universität beziehen zn dürfen. Josef führte ein sehr fideles Leben. Zwar konnte er nicht über Knickrigkeit des guten Onkels klagen, aber dennoch machte er Schulden, die dann Strobel bezahlen mußte. Run hatte der gute Onkel vor kurzem von einem Wiener Geldverleiher einen Brief erhalten, in welchem ihm dieser mitteilte, daß fein Reffe in acht Tagen 1400 Kronen Wechsel zu zahlen habe. Das ging dem Onkel über die Hutschnur, und so hatte er sich entschlossen, sich nach Wien zn begeben, feinen leichtsinnigen Reffen zu besuchen und ihm gehörig die Leviten zu lesen. So stürzte er sich denn, mit dem festen Vorsatze, am selben Abend Wien wieder zn verlassen, in den Strudel des großstädtischen Lebens. Langsam und bedächtig pilgerte er durch die herrlichen Straßen und blickte staunend in die wunderbaren Schauläden, das ihm begegnende schneidige Militär, die Prachtbauten und die niedlichen Wienerinnen an, mit welchen er die Damen seines Städtchens gar nicht vergleichen konnte. Strobel wanderte in feinem einfachen Anzüge, den ein Provinzschneider gemacht hatte, herum, wie ein sehr veraltetes Modejournal, was ihm übriges sehr gleichgiltig war. Er trat endlich in ein Restaurant mit dem schönen Namen „Zur goldenen Birne", zog seinen Ueberzieher aus, legte diesen auf seinen Stuhl und setzte sich darauf, damit ihn niemand stehlen könne. Vorsicht ist in einer so großen Stadt immer angebracht, dachte Strobel. Dann bestellte er sich ein Mittagessen und ließ sich Tinte und Feder geben, um an feinen Reffen zu schreiben. Sein Brief enthielt nur wenige Worte: »Lieber Joses! Endlich habe ich mich entschlossen, nach Wien zu kommen, um Dich zn sehen und zu sprechen. Ich werde Dich wohl kaum wieder erkennen, denn acht Jahre sind vergangen, daß ich zuletzt in Wien war. Die Schlamperei mit Dir muß ein Ende nehmen. Diesesmal will ich noch bezahlen, aber hüte Dich, ich mache Ernst, werde solide. Komme zn mir, ich ermatte Dich in der „Goldenen Birne" innerhalb zwei Stunden. Dein Onkel Strobel." Während Strobel langsam und bedächtig mit großen Buchstaben diese Zeilen geschrieben hatte, waren hinter ihm wiederholt zwei elegant gekleidete Herren vorbei-