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Der deutsche Soldat
Briefe aus dem N^eltkrieg
Vermächtnis
Oer deutsche Soldat
Briefe aus dem ¥Pelt£n'eg
Vermächtnis
Herausgegeben von Rudolf Hoffmann
Albert .Langen/ Georg Müller/ München
42528
31. bis 40. Tausend
Copvright!yZ7
by Alberr Zangen-Georg Müller Verlag G. m. b. H., München
prinred in Germany
Generalfeldmarschall
Geleitwort
Der Frontsoldat hat Anspruch darauf, daß ihm mit Ehr-
erdietung begegnet wird. Briefe von Frontsoldaten ver-
langen noch mehr: Sie fordern Ehrfurcht; denn sie zeigen
nicht nur das Anrliy, sondern auch das Herz des Front-
kämpfers.
Wenn diese Briefe das Rümpfen, Stürmen und Aus-
harren im schwersten Feuer schildern, so zeigen sie nicht
nur die Schrecken des Rrieges, sondern rufen vor allem
zu der Rraft auf, die dem Tode zu begegnen weiß, "wenn
diese Briefe voll zuversichtlicher Hoffnung sind, daß ein-
mal ein Reich deutscher Nation voller Rraft, Ehre
und Treue ersteht, so sind sie der eindringlichste Appell,
dem jungen nationalsozialistischen Reich freudig und
unermüdlich bis zum Einsatz des Gebens zu dienen.
Dieses Buch schrieb der deutsche Frontsoldat. — Es ist kein Werf
eines Schreibtisches. Die Briefe kamen oft als leyter Gruß
von der Fahrt zur Front, sind bei trübem -Licht im Unterstand
von ungelenker Hand gekriyelt, einige wurden in Granat-
trichtern hingeworfen auf Feyen von Papier, andere schrieb
eine fiebernde Hand im Feldlazarett, von Bord unserer Rriegs-
schiffe, aus den Rolonien, aus Gefangenschaft fanden sie über
Ozeane den "weg nach Hause. Briefe, als persönliches Be-
kenntnis meist an die Mutter geschrieben, ohne den Gedanken,
tausend -Leser zu finden, sind nun ein Vermächtnis geworden,
ein Vermächtnis an die Heimat, an kommende Generationen.
Die meisten Briefschreiber sind gefallen. Haben wir anderen,
denen der Soldat nicht schrieb, ein Recht darauf, daß sich uns
hier sein Innerstes offenbart? — Das Wort einer Mutter gibt
die Antwort: «Zwanzig Jahre habe ich die Briefe nicht ange-
rührt. Was mein Junge mir schrieb, geht nicht mich allein
etwas an.»
Die Toten fordern ihr Recht: Sie wollen leben. Unser deutsches
Volk, unsere Jugend soll wissen, in welchem Geist diese Männer
an die Front gingen, kämpften und zu sterben wußten.
Der Soldat marschiert in Reih und Glied, Ramerad unter Ra-
meraden. Wohl ist der Vlame eines jeden Briefschreibers ge-
nannt. Doch dieser will die Ehre des Gedächtnisses nicht für sich
allein, was er schrieb, das haben viele gedacht. So ist das Buch
nicht nach dem Einzelnen, sondern nach dem Geist der Rriegs-
jähre geordnet. Der gleiche Vlame taucht mitunter in mehreren
Iahren auf. Für den, der solche Briefe im Zusammenhang lesen
will, gibt das Viamensverzeichnis Auskunft.
Es sind Briefe von Männern aller Stände. Oft stehen hinter
einem kurzen Schreiben Hunderte von Einsendungen. Eine
Fülle lebendiger Tatberichte und Schilderungen fremden Volks-
tums konnte noch nicht berücksichtigt werden, weil der Charakter
des Vermächtnisses gewahrt bleiben sollte. So begleiten hier
7
nur hin und wieder Berichte über das große Geschehen und
einige Grimmungsbilder die Briefe des seelischen Erlebens.
Entscheidender Grundsatz der Auswahl war Echtheit der Emp-
findung, Rraft der Schilderung. Vb ein Brief in richtigem
Deutsch geschrieben ist, tritt völlig zurück. Einige sprechen in
ihrer Mundart. Alle Menschen deutschen Blutes sind zu Worte
gekommen, auch unsere Brüder jenseits der Reichsgrenzen.
Zum Gelingen des Werkes hardieNS.-Rriegsopferversorgung
durch Aufrufe und Gammeln von Briefen wesentlich bei-
getragen. Für diese wichtige Hilfe und für die Förderung, die
auch der Reichserziehungsminister der Arbeit durch einen Aufruf
zuteil werden ließ, sei an dieser Grelle besonders gedankt.
Die Briefe sind nicht nur ein Vermächtnis. Sie sollen zugleich
ein unverfälschtes Zeugnis geben, ein Bild der Männer im
Graben. Das waren nicht nur begeisterte Jünglinge. Das "Wort
«Held» findet sich selten in der Sprache des Soldaren. Es gehörte
mehr dazu als lodernde Begeisterung, um vier Jahre vorne dem
Schicksal zu rroyen. Auch der Humor, auch grimmige Derbheit
hat diese Menschen aufrechterhalten. Die Briefe zeugen davon.
Wir wissen, daß viele unserer Lronrkameraden schlechte Schrei-
ber waren. Und doch offenbaren gerade diese Briefe, daß auch
der Mann der Tat, sonst ein Schweiger, in den langen Jahren
des Rrieges, in den Stunden der Ruhe sich Manches von der
Seele schrieb: Briefe, die einmal die letzte Brücke zur Heimat
waren, das sehnsüchtige Suchen nach einer hinter Tod und
Grauen versunkenen Vvelt des leuchtenden Gebens.
Das Buch braucht Leser voll Andacht und Dankbarkeit.
Hannover, im Herbst 1937Rudolf Hoffmann
8
J9J*
Reinhold Siebolts,
geb. y. Mai l8y4 in Horst a. d. Lmscher,
gef. 10. August 1915in Givenchy bei Bassee.
Wesel, 5. August lyl4.
Endlich beiden 4Z. angenommen! Heute nachmittag werden wir
eingekleidet. Tausend Freiwillige harren sich ungefähr zum Re-
giment gemeldet. 700 angenommen ... Heure mittag glückte es
mir, in der Raserne Essen zu bekommen. Großartig, Erbsen-
suppe mit Wurscht. — Später mehr.
Wesel, <5. August l?I*.
Heute wurden wir eingekleidet. Urkomische Figuren. Zu kurze
Jäckchen und zu lange Hosen und umgekehrt. 4-,—6. Garnitur.
— Am Nachmittag Arbeiten auf der Zitadelle, dann hoch oben
auf den bepackten wagen nach Haus. — Bis jetzt haben wir
wenig gelernt, eins tadellos: warten, Stehen, Faulsein. Die
allgemeine Stimmung ist sehr lustig. Die Gestalten liefern sich
gegenseitig Stoff zum Lachen. Ein Glück, daß Ihr mich in
diesem Aufzuge nicht zu sehen bekommt.
Wesel, 18. August I?I*.
Das Wetter ist so wunderschön. Frühmorgens, wenn ich auf-
wache, sehe ich durch mein Schlafzimmerfenster über eine Menge
eckiger und winkliger roter Dächer fort in einen unendlichen
blauen Himmel, in den ein Rirchturm morgenstill hineinragt.
— So unsagbar schön ist hier am Niederrhein der Himmel —
abends steigt friedlicher Rauch aus den Schornsteinen in die klare
Luft, und ganz ruhig rauscht der Rhein. Die Stadt ist leer ge-
worden. Man sieht auf den Straßen nur wenig Militär. Auf
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dem Rasernenhof ein Exerzieren wie in Friedenszeiten. Ist's
ein "Wunder, daß ich oft stundenlang vergesse, weshalb ich hier-
her kam, daß draußen ein schauerlicher Rrieg Play schafft in den
Reihen der Regimenter — Play für uns—? Ich jubele und bin
traurig zu gleicher Zeit. Denn die Erde ist doch über alle Maßen
schön und so hoffnungsvoll. Glanzverhüllt liegt die Lerne, und
die unendliche Sehnsucht will und will nicht ruhen. — Doch —
zerreißt das Leben nicht endlich seinen Schleier? Die nackte
"Wirklichkeit tritt an uns heran, die süße, grausige, die über-
menschliche Wirklichkeit. Jetzt heißt es nicht mehr, dicke Bücher
schreiben, dieweil man sicher oben auf dem Felsen sitzt und unter
sich die Brandung toben sieht. Dieser Strudel reißt alles an sich,
und unsere Leiber werden ausgesogen von dem fürchterlichen
Schlund des Lebens. Das Reden über die Dinge hört auf, in
dieser Glut verbrennen alle Ideale, oder sie werden härter als
Stahl und Diamant. Und ob auch einer noch so schön sein Män-
telchen drapierte, jetzt reißt der Sturmwind ihm die Lumpen
fort, und vor der blutigen Lackel des Rrieges wird offenbar, ob
er ein aufgeblasener Tor war oder ein Weiser, ein Christ oder ein
heuchlerischer Rirchendiener, ein großprahlerischer Charlatan
oder ein wahrhaftiger Philosoph.
*
Albert Mayer,
geb. 25. April 1892 in Magdeburg,
gef. 2. August 19 Wbei Ionchöry.
Der erste Tote des "Weltkrieges.
Mülhausen i. 31. Juli I?l5.
Um mich her ist alles stille, und ich habe so recht Zeit, an Euch
und alle Lieben zu denken. Es hat doch etwas unheimlich Be-
geisterndes an sich, diese Mobilisierung. Genau zur Sekunde
marschierten die Patrouillen ab, kein Schuh, keine Patrone
fehlte, alles, alles war in Ordnung, "wenn uns der Gegner das
nachmacht, dann haben wir einen schweren Stand.
Von Y Uhr abends bis 6 Uhr morgens muß ich nun hier sitzen.
Es ist die vierte Nacht, in der ich das gleichmäßige Rlappern
des Telegraphen, das langweilige Rlingeln des Telephons höre.
JC
Dauernd, stundenlang, bis der Morgen kommt. Und doch, alle
Fäden laufen bei mir zusammen, die ganze .Lage überschaue ich,
die ganzen Befehle, alles, alles kommt zu mir, und ich verteile
es dann.
Vielleicht erreicht Luch dieser Brief nie, vielleicht bald, viel-
leicht, wenn ich schon und mein Regiment an Orten sind, wo
keine Menschenmacht uns mehr zurückholt. Nicht daß ich pessi-
mistisch wäre, aber ich glaube, ein gewisses Gefühl der Vorsicht
wohnt doch jetzt in jedem, — ich wünsche Luch allen ein recht
herzliches Lebewohl. Meine Brüder hoffe ich als Soldaten
wiederzusehen. Seid Ihr nicht stolz, daß Ihr drei Söhne habt,
die für ihr Vaterland kämpfen?
*
Rarl Heinrich Steffens,
geb. lö. Januar 1893 in Barlt/Holstein,
gef. 6.April 1916 bei St. Lloi/Flandern.
Bahnhof Hannover in der flacht vom
31.Juli bis I. August l9l4.
Warum sollen wir uns fürchten vor dem Zukünftigen? Bist
Du so eigennützig und selbstsüchtig, daß Du es nur unter Trä-
nen übers Herz bringen kannst, Dein Sein zu opfern, damit
etwas Höheres aus Deinem Vergehen entstehen kann? —
Denn man stirbt nicht nutzlos. Das tut nur, wer auf der
Gasse sein Lebtag lag im dumpfen, tierischen Dahinvegetieren
und niemals einen Strahl aus höheren IVelten, das, was ich
«Glück» nenne, empfand; ohne Zweck für sich stirbt auch der,
dessen ganzes Leben harte Arbeit war und der niemals ihren
Segen spürte; und endlich ist auch dessen Leben ohne wahren
inneren IVert, wer sich von Jugend auf als Herr dünkt und nie-
mals die bessere Rute der Selbstzucht und den Adel des Dienens
an sich erfuhr, sondern mit vollen Händen das, was niemals
sein eigen war, unter die Menschen warf, in dem Glauben,
als sei das des Lebens Runst, des «Herrenmenschen» tief-
innerstes Geheimnis. — Darum glücklich Ihr, die Ihr sterben
dürft mir einem festen Zweck vor Luren Augen: fürs Vater-
land.
n
Flensburg, August I9I*.
Wer niemals den Ernst, den bitteren Ernst des Daseins emp-
fand, und wiederum nie in seinem Glück alles um sich vergaß
und sich als den Menschen dünkte, der hat nimmer gelebt! —
Und das Bewußtsein dieser Wahrheit läßt mich so froh sein
über unsere Zeit, unsere große Zeit. Sie rüttelt alles auf aus
ihrem verträumten Dasein und tritt fordernd ins Haus und ver-
langt das Schönste. Reine Träne ändert den des Ge-
schicks, kein Murrerherz kann ihren Sohn zurückhalten, alles
reißt sie mir sich fort und stellt den Einzelnen unter das Gesetz
des Staates, des alles persönliche zurückhaltenden Gesamtwil-
lens und der politischen Gerechtigkeit. Oder sollen wir zittern
um unser Sein, wenn es ein höheres Sein gilt, das alles Indi-
viduelle enthält? Bringst Du es nur unter Seufzen und Tränen
ferrig, das liebste, was Du hast, zu lassen ?
Man sagt: «Was soll nachher werden, wenn soviel tüchtige
.Leute unserm Lande, der Familie entzogen werden? Muß es da
nicht notwendig zurückgehen?» Richtig: Wieviel Tüchtiges,
wieviel gute, edle Gedanken, wieviel Familienglück liegt tot
unterm kühlen Rasen! Und doch — was würde die Antwort
auf unser Seufzen sein? «Wir haben ja das Schönste im Leben
erfahren; denn nicht starben wir für uns allein, für unser
kleines enges Ich — wir für Euch! Darum gilt jetzt: Ihr
für uns! Was wir der Welt nicht sein konnten, weil wir ihr
nicht dienen durften fernerhin mit unseren Gedanken, Werken
und unserer Liebe, diese große Aufgabe haben wir in Eure
Hände gelegt! Doppelt angestrengt müßt Ihr arbeiten und
alle Eure Rräfte zur Entfaltung bringen, wollt Ihr den
Gegenwartswerren treu bleiben und das, was wir mit unserem
Blute erkauft, erhalten.»
16.Oktober
Ja, wahrlich in Dunkelheit geht die Zeit dahin, des Nachts
wachen wir, und am Tage wird geschlafen im halbdunklen Licht
der Grotte. Eben kann ich für einen Augenblick einmal den Tag
in seiner ganzen Herrlichkeit genießen! Mit seinem Wohlrun
und Behagen, seinem Srreben und Srärken durch die allhei-
lende Machr des Sonnenlichts. Wie muß dem Blinden zumute
sein, der nach jahrelanger Blendung plötzlich wieder die Seh-
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kraft erlangt! — Wie ihm dieser Tag als ein gewaltiger Ein-
schnitt in sein Leben vorkommt. Minen kleinen Bruchteil jener
sonderbaren Stimmung mag auch ich gefühlt haben, als ich am
Abhang vor der Höhle saß und das glückselige Behagen einer
stillen, sonnigen Stunde genoß! Große und tiefe und heilige
Stunden sind auch die, rvo die Gedanken in stiller Mitternachts-
stunde ihren Weg nehmen in die Heimat, und man sich alles vor
Augen zaubert, wie es war, ist und sein wird.
Wie war es doch so schön des Morgens, wenn die Sonne eben
über dem Horizont so herbstlich rot in die Fenster schien und der
leichte Schritt der Mutter uns weckte aus tiefem Schlaf. Und
dann das Raffeetrinken im stillen, traulichen Rreis! Und wei-
ter: — das Wandern über die Felder mit Gustav, das kühne
Pläneschmieden, in dem uns niemand übertrifft. — Wir hatten
ja alle wohl von Jugend an einen schönen, großen Traum mit
ins Leben bekommen, wie ein freier Dirhmarscher Bauer in
der Hoftür steht und hineinschaut in die weite Marschebene,
die sich in unendliche Fernen streckt, bis sie eintaucht in einen
schwarzen Nebel — die Nordsee. Und weiter —: das herbst-
liche Rauschen der Bäume, das tiefe Furchenziehen im dunklen,
regenschweren Marschboden, wenn die Mövenscharen mit gel-
lendem Gekreisch als die Vorboten kommenden Unwetters hin-
ter dem Pflug herflattern. Wenn dann des Abends der Sturm
losbricht von Westen her — erst in einzelnen Stößen — und die
Rronen der Bäume hin und her wiegt, und nach kurzer Zeit mit
vollen Backen um die Wandecke pustet, so daß die Tiere sich
ängstlich in der Hütte verbergen, und der Pflock vor der großen
Tür schauerlich durchs Haus knarrt und das Lampenlicht in der
Stube unruhig flattert.--Das sind Bilder, die vor meine
Seele treten in solchen Stunden stiller Sehnsucht. Gebe Gott,
daß wir solches wieder erleben können.
Z l. Dezember I9I£.
Ihr daheim seid jetzt wohl in der Rirche, und die Leuchter mit
ihren ranzenden Strahlen und die Worte des Pastors, sie füh-
ren Euch zurück in leichtem, schwankendem Springen, durch
ein Jahr Vergangenheit. Alles Gewesene drängt sich uns auf
und fordert noch einmal Rechenschaft, und schwermursvolle
Minuten oder Stunden bedrängen das arme Menschenherz —
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und still wird's. Die Glocken verklingen. DnRuhe und stillem
Schmerz will das alte Jahr zu Grabe getragen fein. In Ein-
samkeir und stummem Sinnen will das, was es uns brachte,
noch ein letztes Mal vor unsere Seele treten, um Abschied zu
nehmen und fortan als ein Stück Erinnerung in uns weiter
zu leben.
Und dann die Frage: «Wie ist es nächstes Jahr? Sind wir dann
noch zusammen?»
Die Mutter findet auf die schwere Frage, die uns in der Syl-
vesterstunde mehr denn je beunruhigt, schnell eine Antwort auf
die Frage: warum gibt es soviel Leid, warum ist das Glück so
kurz? — Sie glaubt! Und ihr bergeversetzender Glaube zwingt
uns zur Bewunderung, und wer weiß, früher oder später
kehren wir «Abtrünnigen» zurück zu dem lichten, märchenhaf-
ten Glauben unserer Rindheit.
*
Paul Schwarzenberg,
geb. 19. März 1892 in Dresden,
gef. 6.Oktober 1916 bei Chaulnes.
Guntershausen, 12.August
Die eisernen Räder, die uns einem unbekannten Geschicke ent-
gegenführen, rollen nun Tag und Vlacht. Draußen zieht das
schöne Thüringer Land vorbei; "Weimar, Erfurt, Eisenach, die
"Wartburg — überall Winken, Tücherwehen, Abschiedsworte,
gedankenlos hingeworfen und zurückgetan. Doch die Bäume
und das Buschwerk am "Wege, die recken ihre tausend grünen
Arme im "wind und winken ein stilles, inniges -Lebewohl, ganz
ohne Lärm und darum unbeachtet. Der rote Mohn blüht im
Rlee und leuchtet wie frisches Herzblut und deutet auf kommende
Tage. — IVer weiß? Heute rot — morgen tot. Doch gleichviel,
die Gewehrläufe blitzen lustig, bläulich schimmert der Stahl, sie
freuen sich auf Schlachtenlärm.
Brilon, den 15. Oktober 1915.
"wie mir's jetzt geht? Ich muß sagen, sehr gut. Denn erstens
mal sitze ich im gemütlichen Westfalen, fern von Ranonendon-
I*
«et und Rriegsgetümmel, und zweitens bin ich auch stark auf
dem Wege der Genesung, so daß ich bald wieder imstande sein
werde, meine Pflicht zu tun. Doch wie das alles gekommen ist,
will ich Ihnen kurz erzählen:
Wenn ich nicht irre, müssen Sie meine Rarte von der Trans-
porrfahrt nach Belgien «als letztes -Lebenszeichen» von mir er-
halten haben. Ja, mit der Bahnfahrt ging's los. Zwei Tage
und zwei Nächte auf der Eisenbahn in drangvoll fürchterlicher
Enge, früh im grauen Morgen über den Rhein, weiter durchs
schöne Moseltal mit seinen Weinbergen — Salmrohr — alles
aussteigen! Eine Bahnstunde vor Trier standen wir auf dem
Bahnsteige. «Rompanie, das Gewehr über, ohne Tritt marsch!»
Dahin ging's durch glühenden Sonnenbrand, begleitet von rie-
sigen Staubwolken. So ging's eine ganze "Woche. Ein Tag
heißer als der andere, die Rameraden stumm und abgespannt.
Die Grenze! vor uns Belgien! Eine wunderschöne, mir hohen
Tannen umsäumte Bandstraße führt hinein. Wir halten.
«Rompanie, laden und sichern!» Die Gewehrschlösser rasseln,
die blanken Patronen bliyen einen Augenblick lang in der
Sonne, dann schnappen die Schlösser zu, jede Faust drückt den
Rolben fester, der Tritt wird energischer, hinein in Feindesland!
Endlos dehnt sich die Straße. Die hohen Tannen bleiben zu-
rück, nein, sie liegen rechts und links am Wege, abgehauen, bei-
feite geräumte Hindernisse, die unseren Vormarsch stören soll-
ten. Und immer Marschieren, Marschieren, der Schweiß tropft,
die Brust keucht, die Rnie zittern, der Wunsch, bald am Feinde
zu sein, bricht sich langsam Bahn. Doch wir sind noch weit da-
von. Der Abend sinkt. Wir sind für heute am Ziele. Gowy, lese
ich am Wegweiser. Unser Zug marschiert nach einem Bauern-
hause. Eine zugige Durchfahrt wird uns zum Schlafen ange-
wiesen. Die Nacht ist bitterkalt, troy der Glut des Tages. Ein
Uhr nachts Z Ein wohlgemeinter Fußtritt stört mich aus mei-
nem Halbschlaf auf. Wie mechanisch erhebe ich mich, ergreife
das Gewehr, mit leisem Rnacken schnappt das blanke Seiten-
gewehr. — postenstehen mit aufgepflanztem Seitengewehr. —
Die Nacht ist sternenklar. Ab und zu das dumpfe, müde Stamp-
fen der schlafenden Pferde, dunkle Schatten gleiten hin und her
— die Nachbarposten. Da ist eine Strohfeime zum Anlehnen
und zum Schutz gegen den Wind. Die kalte Nachtluft scheucht
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die müden Gedanken auf. 'Wie die Sterne flackern! Sie leuchten
auch in der Heimat, über meinem Dorfe. — Da, was war das?
Schüsse hallen durch die Nacht und reißen die Träume entzwei.
Das Ohr lauscht in die Nacht hinaus, das Auge weitet sich, die
Rechte tastet nach dem Abzug. Doch alles bleibt ruhig, nur das
Blut rauscht in den Ohren, und leise klopft das Herz. Z Uhr!
Die Ablösung wird geweckt.--
Ein paar Tage später! Wir marschieren auf Namur. Es ist
morgens gegen 9Uhr. Der Regen rieselt hernieder, und die
Ferne zerfließt im grauen Nichts. Rings um uns rollt der un-
endliche Donner der Geschütze, eine Schlacht ist im Gange.
Heute soll's über die Maas gehen oder zum Sturm aufNamur.
Da bricht die Sonne durch, ein feindlicher Flieger erscheint, und
im nächsten Augenblick prasselt unser Gewehrfeuer gen Him-
mel. Doch die Wolken retten ihn, er verschwindet, nachdem ihm
die weißen Wölkchen, durch die ihn unsere Artillerie begrüßt,
bedenklich nahe gekommen sind. Da, Hurrageschrei, der Boden
zittert, was ist los? vorn auf der Bandstraße wälzen sich die
Rolosse der österreichischen Mororbatterien vorbei, Servus Ra-
meraden I — Wir schwenken von Namur ab nach Süden, nach
der Maas zu. Ein Buchenwald nimmt uns auf. Der Rompanie-
patronenwagen fährt vor, jeder erhält einen Sroffstreifen mit
siebzig eingenähten Patronen. Wir hören jeyt Gewehrfeuer,
dazu das höllische Rattern der Maschinengewehre. Die Gesich-
ter meiner Rameraden werden ernst und ernster, auch die Groß-
mäuler schweigen. Ich bin der jüngste in meiner Rompanie,
fast lauter Landwehr, Familienväter sind darin. Wir warten
und warten am Straßenrande. Artillerie donnert vorbei, Ma-
schinengewehrabteilungen gehen vor, das Reserveregimenr
marschiert vorüber, wir warten und warten, während das
Feuer immer heftiger wird. Eine Sanirärskolonne stürzt im
Laufschritt vorüber, der Generalleutnant von Suckow hastet
mit seinem Adjutanten und feiner Bedeckung vorüber. Da
kommt ein Sanitätssoldat die Straße herauf, er führt einen
Unteroffizier mit verbundenem Ropfe. Das Blut tropft hellrot
durch den Verband und rieselt den grauen Waffenrock hinunter.
«Das rechte Auge ist weg», sagt der Unteroffizier gleichmütig
und schleppt sich mühsam zurück — Rompanie marsch! Links
und rechts rote Pferde mit aufgetriebenen Leibern, ein ent-
setzlicher, ordentlich lähmender Verwesungsgeruch erfüllt die
feuchte, moderige Jluft des IValdgrundes. Zweiter, weiter! Im
Straßengraben sitzen Pioniere, ich sehe einen Bekannten, ein
kurzes freudiges Blitzen in den Augen, kein "wort, denn die
Ranonen reden und decken alles andere mit ihrer Stimme
zu. "weiter! über unseren Röpsen heulen und brausen die
Granaten, als sollte der ganze Himmel in Feyen gerissen wer-
den. Da sind wir unten im Tale, unten an der Maas im Dorf
La Houx. Brandhiye und Brandqualm umfangen uns. Das
Dorf brennt, aber wir müssen durch, durch die engen Gassen
mit den dräuenden, geborstenen und überhängenden Mauern.
Jetzt sind wir wieder auf freier Straße. Da, um Himmels-
willen! Tack, tack, tack, schlägt's und rasselt's an die Felswand
uns zu Häupten. Feindliches Maschinengewehrfeuer! AZir lie-
gen wie hingemäht auf der Landstraße, ohne Rommando, un-
sere Stellung bildet ein kleiner unscheinbarer Erdwall, etwa
einen halben Meter hoch, links der Straße, der uns den Blicken
der Feinde entzieht. Ich liege vor einem halboffenen Gartentor,
das den Eingang zu einer Villa bildet. Auf allen Vieren rutsche
ich da hinein. Gastlich stehen die Türen offen, meine Ramera-
den mir zunächst rutschen nach. Im Rüchenspind stehen Herr-
liche eingemachte Erdbeeren, wir fragen nicht lange — das
Haus ist verlassen. Auf dem Toilettentisch im Damenzimmer
liegen Postkarten herum. — «Ma chere Marguerite »,—ein Rar-
tengruß aus Oftende. — Sonntagabend heute, "wir warten
auf den Zeitpunkt, auch über die Maas gehen zu können, aber
das geht sehr langsam, denn die Franzosen haben die Brücke ge-
sprengt, und so muß jeder einzeln über die Eisentrümmer hin-
überklettern. Unterdessen sitzen wir auf einem Bahndamm und
schauen dem "wirken der österreichischen Artillerie zu, die über
unsere Röpfe hinweg das Dorf drüben in Brand schießt. Huuih,
huuih, heulen die Granaten. — Es ist dunkel geworden, "wir
sind drüben am anderen Ufer, der Himmel rötet sich im Wider-
schein von sechs brennenden Ortschaften. wir marschieren ge-
gen den dunklen "Wald, "was liegt da am Straßenrande? Eine
Taschenlampe glüht auf. Zwei tote Franzosen! Die ersten To-
ten. In gebrochenen, weit offenen Augen glimmt ein irrer
Schein. Mich fröstelt, "wir sind am "Waldrande, leise raunende
Rommandoworte. Ein Gefreiter und zwei Mann als Pa-
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ser rings umher. Dicht an der Straße liegt ein Haufen roter
Belgier, die wächsernen Gesichter seltsam gerötet vom Leuer-
schein. Das Auge wendet sich ab. "weiterhin wieder Gardisten
beim Gräberschaufeln. Diesmal liegen aber feldgraue in der
Reihe, von Rameraden mir braunen Zeltbahnen zugedeckt, und
warten, bis ihr letztes Bett bereitet ist. 1Vir Marschierenden
schauen uns an und sagen kein IVort, weiter geht's in die sin-
kende Nacht. Da gähnt eine Seitenschlucht auf. Min wüster
Haufen toter Belgier abermals, die wahrscheinlich hier von
Maschinengewehrfeuer überrascht wurden. Hie und da ragt ein
Arm auf, die gelben Finger wie Rrallen auseinander gespreizt,
wie um das flüchtende Lieben festzuhalten. — IVir marschieren
bis 12Uhr nachts. Dann heißt es, Gewehre zusammensetzen,
hinlegen zum Schlafen auf einem Rübenfelde. — -Leicht gesagt,
wenn es dazu regnet. Doch endlich siegt die Müdigkeit über die
Rälte und Nässe, die einen immer wach halten wollen. Früh
drei Uhr geht's weiter. "wir dringen vor. Die Marburger Jäger
zu Rad stürmen vorbei. Da, Gewehrfeuer von vorn. 7. Rom-
panie Gefecht aufnehmen! "wir rennen gegen einen "Wald;
Müdigkeit, Hunger, wo sind sie? Hui, geht's in einen Graben
hinein. Ausschwärmen! Die Linie wird langgezogen, jetzt
geht's im Laufschritt vorwärts. Stellung! Visier 600,Schüt-
zenfeuer. IVir sehen nichts, vor uns Drahtzäune von viehwei-
den, ganz in der Ferne ein Dorf, davor Hecken und Zäune, da
müssen sie sitzen. Eine Ordonnanz kommt keuchend gestürzt.
«Nicht schießen, Ihr beschießt die Marburger Jäger!» Da lagen
wir, stumm die Gewehre, an den Boden wie angepreßt, und
über uns der heulende Tod. pjou, pjou suih, heulte und pfiff es
über uns, Steine und Rasen spritzten auf, hier und da ein er-
schreckter Laut, ein erstickter Aufschrei. Schreckliche Minuten,
wehrlos vorm Feind, weil er nicht zu sehen ist. Da heißt es, auf,
über Gräben und Löcher seitwärts in den TPald, was die Rno-
chen und die Lunge hergeben wollen. Dort Verschnaufen und
an der rechten Stelle heraus, durch stehenden Hafer, über die
"wiesen, über Zäune, vorwärts, vorwärts. Dann liegen wir
stundenlang im Feuer, über uns schwirren feindliche Flieger,
"wir achten nicht darauf, vor uns ist der Feind. Rartoffelsupp',
Rartoffelsupp', tönt's da mit einem Male. Bajonett drauf,
hurra, hurra. Da, ein Eisenbahndamm, steil geht's abwärts.
2*
Da hält mir ein Draht die Füße fest, ich stürze kopfüber hinab.
Als ich erwache, liege ich in einer Scheune, mitten unter stöh-
nenden Rameraden. Neben mir ein Toter — Bauchschuß, ich
habe das Gefühl, als wären alle Rnochen im Leibe entzwei. —
Die Untersuchung ergibt: Zwei Rippen rechtsseitig gebrochen,
Lungenquetschung, Gehirnerschütterung. — Doch es wird
alles wieder gut werden.
*
Dietrich U? intter,
geb. II.September 1888 in Nürnberg,
gef. 28. August I9l£ vor Z?oncq bei Sedan.
Z.August 1914.
Mein letzter Gruß! Und soll ich fallen im Rampfe, so tröstet
Much, denn es geschah dann, um die Mhre des Vaterlandes zu
retten, und ich starb als tapferer, deutscher Soldat. — Lebt
wohl!
*
Horst peukert,
geb. 31. Juli 1888 in Dresden,
gef. 8. September l9ltbei Lenharröe/Marne.
8. August I9l£.
51 Stunden Bahnfahrt und 40 Mann in einem Viehwagen und
dann vier Stunden Marsch im Regen, bei Nacht auf aufge-
weichten "wegen, das war der Auftakt zu dem großen Ringen,
"wir waren gestern abend so müde, daß ich, wie mancher andere,
während des Marsches, trotzdem man immer und immer dagegen
ankämpfte, einschlief. Nun haben wir zum Glück ein (Quartier
gefunden, in dem wir uns erholen und uns auf unseren blutigen
Dienst bereiten können.
IVenn man so im Rreise seiner Rameraden ist und sieht und
hört und mitmacht, wie sie es halten und wie sie über den Lall
denken, kommt man sich vor, als stünde hinter diesen Massen
nicht Tod und Verderben, sondern man gewinnt den Mindruck,
20
als ging's zur Lust im Maien, "wir haben ein paar, deren Humor
unverwüstlich ist wie ihre Schnauze. Da kommt Trübsinn nicht
auf. Ich habe noch wenige gesehen, die den Ropfhängen ließen,
"wie gesagt, uns kommt die Sache noch vor wie ein Manöver.
Und warum sollt's auch nicht! Du hast ja keine Ahnung, was
Liebe zum Vaterland ist. IVir selbst kannten es kaum. IVas ich
und mit mir mancher Ramerad, der rot bis auf die Rnochen
war, empfunden haben auf dieser Fahrt durch unser ganzes,
schönes, deutsches Vaterland I Die Felder haben wir gesehen, auf
denen vor hundert Jahren unsere Väter rangen. IVie ein guter
Geist stand drüben das Völkerschlachrdenkmal. Und dann die
Thüringer Lande, die unendlich schönen. Saaleck, die Rudels-
bürg und manch andere noch aus grauer Ahnenzeit winkte uns
den Abschied. An der Fulda ging's hin, und dann an der Lahn
abwärts immerzu. Gießen, IVeylar, Weilburg, Runkel, und wie
die Städte und Burgen alle heißen mögen. Ems, wo vor
H Iahren die Entscheidung gegen den gleichen Gegner fiel.
Und dann ging's donnernd, brausend, unter tausendstimmigem
Gesang der "wacht am Rhein über den alten ehrwürdigen Strom.
Daß ich den so sehen mußte zum ersten Male, mit der U?affe in
der Hand, hätte ich mir nie träumen lassen.
Und die Liebe überall! In jeder größeren und unzähligen
kleineren Stationen waren freiwillige Liebesgaben organisiert.
Uns hat's an nichts gemangelt. Im Gegenteil. Als mir's z. B.
zu roll wurde in meinem IVagen, habe ich mich zu den Rom-
paniepferden gemacht. Dort hatte ich meine Ruhe und habe
auch einen großen Teil der Fahrt zurückgelegt. Dort hatten wir
z. 23. soviel wildunger Rönigsquell, daß wir uns drin ge-
waschen haben. Und daheim kostet die Flasche l Mark! Belegte
Brötchen und Mier zählten wir nach Tränkeimern. Zigarren
und Zigaretten hatten wir in Hülle und Fülle. Auch lVein gab's,
gleich flaschenweis. Cakes in Ems, das es mit seinen Soldaten
besonders gut meinte, Emser Pastillen, soviel einer nur haben
wollte, Postkarten, Raffee, Tee, Zucker, Obst. So könnte es
auch in der anderen Richtung durch Deutschland gehen. Heute
freilich ist alles verzehrt, denn auf der Fahrt durch die unwirt-
liche Eifel gab's das nicht. Und nun dicht an Feindesland erst
recht nicht.
Die Stimmung war überall, so ungefähr bis zum Rhein, ein-
21
fach begeistert. Die Männer, die sich nicht bei der Bewachung der
Bahnstrecke beteiligten, waren am Bahnhof. Und jeder und jede,
die an der Straße stand, hatte einen Gruß, ein IVinken, ein IVort
der Aufmunterung. Ein Händedrücken gab's auf jedem Bahn-
Hof und ein Hurra und ein Singen: Deutschland in IVaffen.
Y7un liegen wir hier an der Grenze, morgen geht's hinein in
Leindesland, morgen wird's lernst. Bitter ernst. Hab' aber keine
Angst, wir tun eben unsere Pflicht, einer wie der andere. IVir
lassen keinen rein. Die IVacht am Rhein steht fest und treu.
XOat)dann kommt, werden wir ja sehen. Und sei Du recht ruhig,
denke an Dein Rind. Sei tapfer, das Vaterland fordert Opfer.
Marchs, den lp. August I9l£.
Dir von meinen bisherigen Erlebnissen zu schreiben, würde zu
weit führen. Zwischen unmenschlicher Anstrengung und töten-
der Langeweile, zwischen tagelangem dachen und endlosem
Schlafen, zwischen äußerster Entbehrung und überreichem
Überfluß ein ewiger "Wechsel. Ich habe z. B. vergangene A?oche
2^/2 Tage buchstäblich keine Rrume Brot gehabt, nichts, aber
auch gar nichts, was irgend zu essen ging. Gestern wieder gab es
als erstes Frühstück Rotwein mit rohen Eiern, gebratenes
Hühnchen, Beafsteak ä la tarrare und Schokolade als Dessert,
Cognac drei Sterne. Heute langt der Vorrat noch. Und morgen
gibt's wieder nichts. So ist das Soldatenleben. Hinter mir liegt
im blauen Nebel das belgische Ardennengebirge, durch das wir
in den letzten Tagen gewaltig marschieren mußten. Ich sage
Dir, die Wälder! So eine Pracht! Und überall um mich her
blüht Heidekraut, soweit das Auge reicht. Ich kann mich nicht
satt sehen an dieser Pracht und habe den "Wunsch, wenn ich nicht
wiederkommen sollte, dann feiere jedes Jahr die Tage, die Dich
an mich erinnern, bei blühender Heide,
vor mir liegt, kaum 20 Km weit, die Höhe, hinter der in den
nächsten Tagen das große Ringen beginnen wird. Wo das Ge-
schick vielleicht schon besiegelt ist, wenn dieser Brief Dich er-
reicht. Ich bin ziemlich zuversichtlich; das eine aber steht fest, es
wird gerade für die Armee, der ich angehöre, eine schwere Auf-
gäbe geben. IVir alle sind fest entschlossen, unser Äußerstes zu
tun. A?er kann aber sagen, wie es für den einzelnen kommen
wird? "wenn mich's erreicht, dann sei tapfer, überwinde auch
22
diesen Schmerz und entziehe Dich nicht dem -Leben. Ich habe
hier draußen einsehen gelernt, daß man das Leben bejahen
muß, daß man es leben muß, jeder natürlich nach seiner Art.
Ich habe gute Rameraden hier, die Dir berichten werden und
Dir eventuell meine Sachen senden, wenn es möglich ist.
*
putzig, unbekannt.
28. August I9l£.
Ein schweres Gefecht steht uns bevor. Sollte Gott wollen, daß
mich das Rriegslos trifft, so lebt wohl. Nicht ewig ist die Tren-
nung, dort oben sehen wir uns wieder. Ich weiß, daß Ihr mir ein
Andenken bis in den Tod bewahren werdet, dies soll Dich jedoch
nicht abhalten, unserm Erhard einen zweiten Vater zu geben.
Du wirft ja Dein Möglichstes tun, daß er auch ein rechter Vater
wird. Lebt wohl, lebt wohl und Gott sei mir Euch.
*
Hans Graf von der Goltz,
geb. II.Iuni 1895 in Berlin-Charlottenburg,
gef. 23.August 1914 bei Plaxon nahe Namur.
5. August I9l*.
Herzlichen Dank für das Paket, das ich bei meiner Ankunft hier
vorfand. Die Reise von Metz hierher war ein wahrer Triumph-
zug. Namentlich im Rheinland war die Begeisterung groß.
Ich fuhr mit vielen Rameraden, die sich allmählich zerstreuten.
Ich denke, Du wirst noch oft und viel aus diesem Rriege von
mir hören und hoffe auf ein frohes ^wiedersehen mit Eltern
und Geschwistern. Indessen muß natürlich jedermann mit dem
Tode fürs Vaterland rechnen. Auch ich habe mit dem Leben
abgeschlossen, und so laß mich Dir noch wenige IVorte des Ab-
schieds sagen, "wenn ich es nicht Auge in Auge mir Dir tun
konnte, so soll es schriftlich geschehen.
Du weißt, wie glücklich ich bin, in diesen Rrieg ziehen zu können
und, was noch mehr heißt, in ihm als Führer tätig zu sein. Du
2?
weißt auch, wie stolz und glücklich ich bin, eine deutsche Mutter
zu haben, die murig und freudig ihr Alles hergibt für den Ent-
scheidungskampf des Volkes. Lichts Schöneres kann es auch
für mich geben, als mein irdisches Glück auf dem Altar des Va-
terlandes zu opfern. Das Scheiden wird mir nicht schwer. Wenn
dieses letzte große Glück des Heldentodes mir zu teil werden
sollte, dann kannst Du überzeugt sein: Dein Sohn Hans hat
ein glückliches Leben gehabt, denn nicht die -Länge gibt dem
Lieben seinen Wert, sondern der Inhalt. "Was soll ich Dir sagen
von Glück und Segen im Elternhause! Auch im Berufe habe
ich mein Glück gefunden. Glück und Erfolg, den der Mann sich
wünscht. Hod) in den letzten Tagen wurde ich ausgezeichnet als
der beste der Rriegsschule. Mein Taktiklehrer rief mir zum Ab-
schied nach: Auf "wiedersehen im Generalstabe! vielleicht lag
eine schöne Laufbahn vor mir. "Was will das alles heißen?
Freue Dich mit mir, liebste Mama! Der Abschiedsschmer; ist
überwunden. IVir leben in einer großen Zeit, der größten wohl,
die Deutschland je gesehen hat. Söhne und Enkel werden uns
beneiden! Ganz Deutschland starrt in "Waffen, flammt in Be-
geisterung auf, verteidigt mit uns alles, was uns heilig ist. Un-
ser Sieg ermöglicht Europas Fortbestehen mit einem neuen Auf-
schwun g in germanischer Rultur zu nie gesehener Blüte. Der Sieg
wird uns nicht leicht werden. Aber wenn es je eine Gerechtigkeit
und göttliche Führung in der Geschichte gab — und es gibt
eine, das sagt mir mein klarer Blick — dann muß der Sieg unser
sein, früher oder später. Und wir haben mitgeopfert Gut und
Blut in diesem Rreuzzuge des deutschen Volkes. Gott mit uns!
*
Fritz Ziemer,
geb. 27. Oktober 1896 in Berlin,
gef. 29. August I9I6 bei Chilly-Süd (Sommegebiet).
August 191£.
Der heutige Tag, der £. August bringt uns die Erfüllung
eines ernsten "Wortes. Die fünfzig Iahre sind noch nicht vergan-
gen, von denen Molrke sprach, daß wir gerüstet dastehen müß-
ten, um das Erbe von 1870zu verteidigen.
24
Mitten im Frieden ist unser deutsches Vaterland von mächtigen
Feinden überfallen worden. Jetzt hat die große Stunde der
Prüfung für uns geschlagen, aber mit Heller Zuversicht sehen
wir ihr entgegen, und wir werden siegreich sein, weil wir reines
Herzens sind.
*
Felix Iviegand,
geb. 21.Juni 1886 in Buchholz Sa.
gef. 9.September lyl5 Fumay (Frankreich).
V!ur ein Abschiedsgruß von Deinem Jungen. In diesem Au-
genblick denke ich an unfern guten Vater, der als Freiwilliger
vor über £oJahren hinauszog gegen den Feind, seinem Vater«
land die tLhre, die Freiheit mit zu erhalten. Jetzt bin ich selbst
ein Mann geworden, auch innerlich, das fühle ich seit dem ersten
Tage der Mobilmachung. Ich will mithelfen, daß Ihr in einem
freien Lande wohnt, geehrt und geachtet von Freund und Feind.
Wenn ich heute von Dir Abschied genommen, dann habe ich abge-
schlössen mit diesem Leben — wir können ja nicht in die Zukunft
sehen. Ich habe Dir jede unrechte Handlung, jedes verletzende
IVort im stillen abgebeten, ich habe Dir gedankt für Deine
Liebe, Deine Sorge und Deine Muttertreue.
So leb denn wohl, meine gute Mutter! Ob ich Dich noch einmal
sehe, das hat unser Herrgott bestimmt. Sei tapfer und sei stolz.
Drei Jungen fürs Vaterland, ein heiligeres Opfer kann keine
Mutter bringen. Und nun, meine gute Mutter, Gott befohlen!
*
Wilhelm Gebert,
geb. 7. Oktober 1887 in Bremen.
12. August 1915.
Unsere Fahrt ging in 2$Stunden wie ein Triumphzug an die
belgische Grenze. Strömender Regen. Marsch durch die Ar-
dennen. Die Dörfer wie ausgefressen; nachts beschossen und
alarmiert; keine Ruhe. Um 5 Uhr morgens (6. August) Marsch
25
durch Empleve und Ourthethal, langsam, überall Hindernisse,
Bäume gekappt, Leisen gesprengt, schließlich über Reste von
Brücken und Straßen, ein furchtbarer Marsch. Nachmittags
(Quartier in (Lomblin-au-pont: die Häuser rasch geöffnet, Rom-
plimente — kein Stroh, kein Essen. Am Bahnhof entdeckte ich
eine Wirtschaft: Bohnen, Wein, großartig! Y7un sollte Ruhe
folgen. Aber! — Das Nest sah übel aus, zwischen hohen,
steilen Schieferwänden eingeklemmt, die Ourthebrücke vor uns
halb gesprengt. Um 7 Uhr abends Alarm. Hauptmann stürzt
heran: «Sturm auf Gütlich!» Unmöglich, die Fleute können
nicht gehen, die Forts sind 35km entfernt. Bereits nach Zo Mi-
nuten schießt's von den Höhen herab, ja jetzt direkt neben uns.
Revolver los und drauf! Drei Rerle fliehen — eine ganze
Horde. «Levez les mains»! Rriegsgericht! "Weiter — es wim-
melt von Truppen aller Gattungen. Furchtbarer Regen. Ge-
wittersturm, rabenschwarze Finsternis. Immer weiter! Die
Leute fallen, sie bleiben liegen, massenhaft. Um Uhr Mon-
denschein, besseres Wetter, Granatendonner. Wir stürmen weiter
— dicht vor -Lüttich. Wir biegen hinter einem Walde ab. Vier
Regimenter Tornister abgelegt, eiserne Ration heraus. -Letzte
Ermahnung. Antreten zum Sturm. Granaten pfeifen, aber
ohne Ziel. Hohlweg; unsere Artillerie sitzt hilflos bis an den
Bauch im Schlamm und kann nicht vorwärts, wir vorbei; kein
Marsch — Galopp! plötzlich wilder Rugelregen neben uns —
unsere eigenen -Leute beschießen uns. Die Erkennung gelingt
noch. Direkt vor der Feuerlinie der Forts ... Wildes Geschrei:
«Parole Wörth!» Freund und Feind nicht zu erkennen; ich liege
vor einem Baum- und Drahtverhau, Ramerad -Leutnant G.
neben mir, Hauptmann rechts. Granaten platzen überall, Höllen-
lärm, Gewehrfeuer, daß die Luft heiß ist. Einige Schritte vor
uns bessere Deckung. Ich stoße Leutnant G. an: «vorgehen?»
Reine Antwort — tot! Hauptmann springt auf: in die Brust
getroffen, hintenüber. Ich, Arm hoch: Rompanie hört auf
mein Rommando; ich springe los, furchtbarer Schlag, fliege
drei Schritte zurück, wahnsinniger Schmerz: Granate in die
linke Hüfte! Ein Offizier vor mir ruft noch seinen Namen, gibt
mir die Hand — und tot. Vor mir eine Fahne, Träger tot; ich
will hinkriechen, da zweiter und dritter Schuß in den linken und
dann in den rechten Arm, schließlich vierter durch die Brust. Ich
26
beiße vor Schmerz in die Erde; ein verwundeter Offizier neben
mir ruft nach Verstärkung, aber alles geht nach links ab. Wenige
Schritte vor uns der belgische Schützengraben. Trotz Rugel-
regens passiert mir weiter nichts. Fast zwölf Stunden gelegen,
inzwischen von einem Arzt verbunden, kann noch nicht träne-
portiert werden. Mittags von beuten weggetragen, treffe in
halbem Fieber Regiment; furchtbare Verluste. Dann aufBahre,
Leiterwagen, ich weiß nicht mehr genau wie, ins -Lazarett. Die
ersten Tage hatte ich gemeine Schmerzen und galt als ernstlich
bedroht. Jetzt geht es einigermaßen. Es sind andere hier, die
viel furchtbarer zu leiden haben als ich, da wird man ruhig.
Eine Hauptmannsfrau war herbeigeeilt, um ihren toten Mann
noch zu sehen, eine Granate traf das Auto; gestern ist sie hier
beerdigt worden.
*
Albert Schüttke,
geb. 2.November 1891 in Neubruch, Rreis Labia».
Mensdorf.
IVir haben ein Gefecht gehabt. So manche Rugel dicht vohr
mier eingeschlagen, aber mein beschiyer hat die Hand vorge-
halten und mier den Tot noch nicht bestimmt, und wenn er mahl
sagen wierdt: hau ihn ab, dann stirbt ein Vaterlandsverteidiger,
wo mit Gott vier Rönig und Vaterland gekämpft hat, Vinn
niemals veig gewesen. Liebe Eltern, ihr habt geschrieben, ob
mier was fehlt, ich brauche vorleifig nichts. Es Grüß Euch ihr
Sohn und Bruder biß auf wiedersehn, aber IVo? wenn nicht
hier, denn in Himmel.
*
Felix Hasse,
geb. 12.Juli 1889 in Hermannsdorf, Rreis Bunzlau,
gest. I. April 1918 nach Verwundung vor verdun.
Heute, meine liebe Muttel, will ich Dir mein Herz ausschütten.
Zunächst meinen herzlichsten Dank für Dein Bild, eine größere
27
Freude hättest Du mir nicht machen können, ich habe tatsächlich
vor Freude geweint, weiß man doch nicht, ob wir uns je noch-
mals wiedersehn. Dann danke ich Dir für alles, was Du mir in
meinem L.eben Gutes getan hast, — es ist ziemlich viel — für
alle Sorgen und den Ärger, den ich Dir in Deinem Leben be-
reitet habe —, denn ich war kein Engel, deshalb bitte ich Dich
heute ganz besonders um Verzeihung aller meiner Missetaten.
Sollte mir wirklich das Glück beschieden sein, noch einmal Dich
umarmen zu dürfen, dann will ich, das schwöre ich Dir hiermit,
alles aufbieten, um wenigstens einen Bruchteil meines Dir
schuldigen Dankes abzutragen und Dir in Deinem Lebensabend
Freude zu bereiten. Sollte es doch anders sein, dann bitte ich
Dich, weine keine Träne, sondern verzeihe mir, und freue
Dich, daß auch Du eine Gabe dem Vaterland geopfert hast.
Liebe Mutter, ich hatte das so manches Mal auf der Zunge,
konnte es Dir aber niemals sagen, heute aber konnte ich nicht
mehr anders.
*
Johann Respondek, unbekannt.
August I9I*.
"wir sind schon 12km hinter Radumsko. Es sind hier sehr
schlechte Wege, es lauft sich sehr schlecht, aber ich mache mir
wenig draus, meine Füße laufen wie ein 'Wiesel. Eine große
Sehnsucht habe ich nach Hause, ich bitte den lieben Gott und die
Heilige Muttergottes von Czenstochau möchte mich beschitzen.
Meine geliebte Frau und Rinder, Gott giebt, das ich zurück kom
möchte, ach wie froh werde ich das Wiedersehn.
Liebe Muttel es ist sehr heiß mann muß sehr schwitzen, die
Märsche sind sehr anstrengent und mann muß imer mit, zurück
bleiben, das giebts nicht, wir sind schon von Czenstochau eine
Woche zu Fuß. In der V7achr Posten stehn und am Tag mar-
schieren, mann hat, meine geliebte Muttel, gar keine Zeit zum
Schreiben. Wie ist das mir den Rartoffeln, hake Dir alles
aus, die Gänse schlachte, die eine nach der andern, die Hinner
und Rarnickel auch und esse die mit den Rindern zusammen.
Haft Du schon von jemanden eine Unterstützung bekomen? hast
28
D» schon den Brief erhalten mit dem Unterstüyungsschein?
Bitte schreibe mir, liebe Muttel. was macht mein Hozek oder
die Mariechen, der Georg mit dem Josef? Gieb Obacht auf
die Rinder.
*
Paul Bittner,
geb. 28. November 1884 in Schreckendorf,
gef. II. Juni 1916 bei Zypern.
letzter Brief.
Ich muß Dir schnell ein paar Zeilen schreiben, was mir im
Schützengraben geträumt hat, ich schlief, und da habe ich eine
große Palme gesehen und dann Hab ich noch mehr nach dem
Himmel gesehen, da sah ich den lieben Gott selber, aber so schön
und so herrlich, das kann ich Dir nicht schreiben.
*
Friedrich Siebert,
geb. 21.Mai 1892 in Halberstadt,
gef. p. November 19 Wm Tsingtau.
Tsingtau, den 23.August lpl4.
Hoffentlich habt Ihr meinen letzten Brief erhalten. wie es hier
draußen steht, werdet Ihr wohl schon wissen, wollen sie Tsing-
tau haben, so sollen sie kommen, es sich zu holen. Tsingtau ist
deutsch und wird deutsch bleiben. Die deutsche Flagge holen sie
nicht herunter, so lang wird gekämpft, bis auf den letzten Bluts-
tropfen. Tsingtau bekommen sie nicht. Höchstens einen Trum-
merhaufen, und wenn sie die deutsche Flagge herunter holen,
gehen sie nur über deichen, «wir fürchten Gott, sonst nichts auf
der Welt.» Liebe Altern und Geschwister, sollten wir uns nicht
wiedersehen, so weint nicht um mich, denn ich bin freudig in den
Tod gegangen für das Vaterland.
*
29
Max Schlief,
geb. 5. Oktober 1895 in IVoxfelde,
gef. 8. Dezember I9l£ bei den Falklandsinseln.
Stiller Ozean, den August lyl5.
Ich weiß nicht, was aus mir geworden ist, wenn Ihr diese Zei-
len erhalten werdet. Der Himmel mag wissen, wo ich dann sein
werde. Ruhelos wie der ewige Jude Ahasver wandern wir
mit unserm Schiff in der Südsee umher. Gestern Nacht erhiel-
ten wir die Nachricht über den großen Sieg Deutschlands über
die Verbündeten. Auch von der Rriegserklärung Japans wis-
sen wir. Aber ich habe keine Ruhe. Ich weiß nicht, wie es £&tich
geht und meinen Brüdern. Ms ist wohl ein sehr harter Schlag
für Euch, meine lieben Altern. Jetzt, wo es Euch möglich war,
an dem Glück Eurer Rinder Euch zu sonnen, da müssen sie in
den harten, Männer mordenden Rrieg. Aber, liebe Eltern, ver-
zagt nicht.!Sollte es sein, daß einer oder alle in diesem Rrieg
fallen, so denkt daran, daß es in einem heiligen Rriege war, zu
Nuy und Frommen des deutschen Reiches, unseres geliebten
Vaterlandes.,
Mit meinem Leben habe ich abgeschlossen. Sollte es Gott ge-
fallen, so mag Er mich hinnehmen. Solange ich aber noch lebe,
hoffe ich, daß ich Euch einst alle noch mal wiedersehe. Ich bin ja
noch so jung und will noch leben. Glaubt aber nicht, daß wir,
wenn wir in ein Gefecht kommen, die Flagge niederholen. Als
Mittel werden wir unsere Ramme gebrauchen, und wenn es sein
muß, mit dem Feinde untergehen. Aber sorgt Euch nicht um
mich, ich habe das stete Gefühl, daß mir nichts geschehen wird.
Walter Scharpf,
geb. 25. Juni 1891 in Berlin,
gef. 19.Juli 1917 bei Gr. Eckau/Rurland.
Passenheim, den I. September
Schon lange hast Du nichts mehr von mir zu hören bekommen,
aber es ging wirklich nicht; Märsche von 50km und mehr.
Nachts im Chausseegraben oder in einer Scheune, am Tage
30
eine furchtbare Hitze, nachts gefroren wie ein Schneider, dann
die Schlachten und Gefechte. Am 20. August die erste Schlacht,
die Nacht über waren wir durchmarschiert. Morgens begann
der Rampf. Wir wurden erst spät 2 Uhr nachmittags eingesetzt.
Raltblürig wie auf dem Exerzierplatz gingen wir vor bis bei-
nahe in die erste Linie. Aber dann das Feuer. Die Russen hatten
sich eingegraben, nichts zu sehen, bloß das pfeifen. Schließlich
waren die Leute nicht mehr vorzukriegen, wir waren zu wenig.
Unsere Artillerie hat furchtbar gewirkt. Diese Bilder, die bren-
nenden Häuser, die um sich schlagenden Pferde und neben Dir
das Stöhnen der verwundeten und Sterbenden. Mein Schär-
zer, tapfer und tollkühn: «Herr Leutnant, die Rugel, die mich
treffen soll, muß erst noch gegossen werden». In demselben Au-
genblick klatsch klatsch! Arm- und schwerer Unterleibsschuß.
Das Blut spritzt mir auf die Uniform. Allmählich aber bekommt
man eine himmlische Ruhe. Man raucht, unterhält sich und
feuert. Rann man sich das vorstellen: ein Mensch, der niemals
die gesellschaftlichen Sitten verletzt, er liegt hier und lauert, um
zu morden. Ich selbst nahm das Gewehr vom Schätzer; Plötz-
lich sprang ein Russe auf, um zu fliehen, ein Rrach, Schätzer
war gerächt. Unsere fünften Grenadiere haben mit dem Bajo-
nett furchtbar gewütet, kein Pardon. Nur, wir haben den
Stillstand des Leindes mit zu schweren Opfern erkauft, 20Of-
fiziere und 580 Mann von unserm Regiment, das noch am we-
nigsten gelitten hat. Wir marschierten dann in Gewaltmärschen
nach Südwesten. Rein Mensch eine Ahnung, warum und wo-
hin. Neuer Ranonendonner, unsere Nachbardivision Vernich-
tele ein russisches Rorps bei -Läutern.
Am nächsten Tag Gewaltmarsch bis nachts 12Uhr, Alarm-
quartier in Bansen, überall Brände. Am nächsten Tag kaum
drei Rilometer marschiert, schon pfiffen die Rugeln. Die Nach-
Hut floh. Bei der Mittagsrast plötzlich ein Befehl: «Der Feind
geht fluchtartig zurück. Freiwillige zur Verfolgung. Fast die
halbe Rompanie ging mit. Die Russen hatten furchtbare Ver-
luste durch uns und die Maschinengewehre. Rache für Gum-
binnen. Abends das brennende Dorf Pfaffendorf abgesucht, im
Gutehaus alles still, ich sehe plötzlich einen kleinen Licht-
schimmer durch den Spalt, Rlopfen hilft nichts. Zwei Rerls mich
in die Höhe gehoben, und ich schlug mit dem Revolver eine
ZI
Scheibe ein. plötzlich ein ängstliches Gesicht: «Mein Gott, was
ist los?» Ich sage ihm, warum er nicht aufmacht, die Preußen
wären da. Preußen? plötzlich ruft er seine Rinder, alles fällt
mir und meinen beuten um den Hals, Tränen, letzter Wein usw.
Aber weiter bis Rutkowen. Dort übernachtet. Dann ein neuer
Gewaltmarsch bis abends 8 Uhr. Nachts Sturm auf Malga.
Russen schon geflohen, geschlafen in einer Bauernküche. Um
4 Uhr Alarm. Unzählige Gefangene. feiner Sonntag.
Marsch nach Rannwiesen. Ruhe nachmittags, plötzlich Schie-
ßen, wir in Stellung. Da sahen wir, wie 1200m vor uns die
ganze Armee zu fliehen versuchte. Unsere Artillerie dazwischen
und wir, dieses Entsetzen, hast Du Nerven zu sehen, wie Hun-
derte und Tausende zerfetzt werden, und du gibst ruhig deine
Rommandos, die das Verderben vermehren. Zum Schluß
rannte alles, Reiter überritten die Infanterie, Artillerie fuhr
dazwischen. Zum Schluß der letzte versuch einer Ravallerie-
Attacke, von Io blieb einer. V7un war es allen klar, nicht um-
sonst sind wir marschiert, daß die Hälfte umfiel, drei russische
Armeekorps sind vernichtet. Die Überläufer. Unsere Rompanie
ging vor, zu Hunderten kamen sie. wir fingen wohl an 8000
Russen, vom Oberst bis zum Gemeinen. feines Pferd habe
ich mir natürlich auch besorgt. Hier kauft man jetzt Pferde von
Z Mark an. In der Nacht im Schützengraben, plötzlich nähert
sich ein Offizier und 10 Mann unserer Linie mit Lahne. Als ein
Gefreiter und zwei Mann vorgehen, glaubten die Russen, nur
schwache Truppen vor sich zu haben und griffen an. Wir haben
sie belehrt, Artillerie und Infanterie spie plötzlich Leuer wie die
Hölle, nur ein großes "wehklagen blieb übrig. Am nächsten
Morgen ergaben sich 15000 Russen, nun der Abtransport.
Durch den "Wald nach Malga. Gott, sah das schrecklich aus. "wie
oft habe ich den Rrieg herbeigewünscht, aber solche Bilder kann
man nie vergessen, da hat man genug. Durch Schrapnells war
der ganze Wald abgebrannt, nun die Toten und verwundeten,
die Pferde, alles angekohlt und zerfetzt, von Malgamühle
mußte ich zurück und noch Z0 Mann von uns mitnehmen, die
beim Aufräumen halfen, wieder in den Wald. Ein Toter neben
dem andern, Russen noch über Ginster gebeugt, wutverzerrte
Gesichter, andere, deren Schädel halb abgerissen. Bäume von
50 cm Durchmesser geknickt wie ein Streichholz. Aber auch viele
32
Deutsche, ein Leutnant von den ZZ. mit offenem Mund noch
zum Hurraschreien, Schuß durch den Ropfund durch die Brust.
Um 4 Uhr fand ich meine Rerls. Nun noch 4-0km Marschieren.
Seyte S Mann auf Pferde, 2 auf Räder und den Rest aufWa-
gen, fuhr dann drauflos. Abends um Uhr kam ich dann hier
an. Alle Truppen durcheinander, versprengte, Verwundete,
Gefangenenbegleiter usw. Endlich um I Uhr lag ich wieder mal
in einem Bett. Nun genug vom Rrieg.
Collnischken, 18. September lyl5.
Der Marsch durch die Romintener Heide war hübsch, dieser
Waldbestand großartig. Uberhaupt. Ihr glaubt gar nicht, wie
schön unser Ostpreußen ist, und nun überall ein Schutthaufen
wie ein Racheschwur gegen die Russen.
Collnischken, 18. September lpl£.
Bei Rannwiesen erbeuteten wir eine russische Bagage und da-
bei war ein tadelloser Offiziersmantel, wahrscheinlich von einem
gefallenen Deutschen, ist zwar viel zu groß, aber dafür desto
wärmer. Ihr sollt mal unsere Rerls in Seidenhemden rumlau-
fen sehn, aber fein. Was die Brüder alles mithatten, Damen-
schuhe mit haushohen Absätzen, Schals, Parfüm — und Nip-
pesfiguren !
Einen Oberst fischten wir, der von zwei Rerls seinen Roffer
schleppen ließ. Ängstlich bat er uns, ob er ihn behalten dürfe.
Wir untersuchten ihn nach Waffen und gaben ihn ihm zurück.
In der Freude seines Herzens schenkte er unsern Rerls alle seine
Zigaretten. Was war drin? Wäsche, Trödel und eine tadellose
Friedensuniform für Berlin. Nett sind auch die Erzählungen
von den Einwohnern, vor der Schlacht von Tannenberg frag-
ten die Russen dauernd: «Wie weit Berlin? Offizier gesagt,
drei Meilen, ist es wahr?» Drei Tage später in wilder Flucht.
Auf die russischen Rosaken haben wir eine ganz besondere Wut,
denn das sind Viecher, keine Menschen. Junge Bengels, die
noch gar nicht dienen können, werden als verkappte Soldaten
erschossen, alte Leute, junge Mädel mißhandelt und verschleppt,
das verträgt selbst der gutmütigste Rerl nicht.
Doch auch nette Bilder findet man. Ein russischer Rapitän bat
mich händeringend, ob er nicht mit seinem alten Feldwebel, der
Z D. d. S. ZZ
schon den russisch-japanischen Rrieg mitgemacht hat und die
ganze Brust voll Orden hatte, zusammen sein dürfte. Ein Bru-
der sorgte in rührender Weise für den andern verwundeten,
immer wieder beteuernd: «Preußische Artillerie und Maschinen-
gewehre sein fürchterlich.»
Als wir gestern in Rußland waren, schilderten die eigenen Ein-
wohner uns, die Russen hätten alles weggenommen, Deutsche
und Polen hätten sie ausgeplündert, Russen zurückgeschleppt
und dann die Gehöfte ausgeraubt. Dabei Offiziere, und zwar
deshalb, damit sie nichts zu zahlen brauchten.
Räthe fragt, wann es zu Ende ist, das weiß kein Mensch. Mein
Bedarf ist gedeckt, aber wenn es sein muß, hauen wir weiter in
altgewohnter Weise.
*
Peter Rirsch,
geb. l.Iuni 1876 in Weitershain.
September 1915.
Ich bin jetzt in A. in einer Scheuer bei den Pferden von unserm
Zug, 14 Stück, da habe ich Zeit zum Schreiben. Hoch recht ge-
sund und munter, traue auf Gott und bin auch froh, daß die
Merlauer Großmutter helfen kann. Wenn man hier ist, kann
man sehen, was der Mensch auf der Welt ist. Seid einig zu-
sammen, auf das Geld kommt es nicht an. Wir brauchen eben
kein Geld, wir haben Freiheit, aber keine Zigarren und Tabak
nicht. Seid so gut und schickt mir welche, ich schicke Euch Geld
dafür, aber gute. Heute habe ich nicht mehr zu schaffen, wie zu
essen und den zwei Pferden Wasser zu geben, die sind an einen
großen Sack Heu angebunden, da müssen sie sich durchfressen.
Gottseidank sind wir aus Deutschland raus, hier sieht es sehr
verwüstet aus, es ist keine Chaussee mehr ganz. Hätten wir den
Weizen, den Hafer, das Rorn zu Haus, was wir unter die Pferde
streuen, wir könnten 200 000Mark lösen, was hier zur Streu
dient. Seid hübsch einig und gesund beieinander. Auf Wieder-
sehn, so Gott will, vordem, daß es Frost gibt. So gut, wie es die
feinen Herren aushalten, halte ich es auch aus. Wir sind eben
wieder über drei Stunden von dem großen Schlachtfelde;
3*
Schlachrlinie, die 150—200 km lang ist, 30—35 Stunden
entfernt. Das könnt Ihr s£wch nicht vorstellen und ist auch
nicht nötig. Macht Eure Sache zu Haufe gut in Ordnung,
bis ich wiederkomme, viele Grüße an alle. Es kann fein,
wir sehen das Schlachtfeld überhaupt nicht mehr wegen dem
Frieden.
5. Oktober
Gestern erhielt ich Deinen Brief vom 26. August, der mich sehr
angriff, denn ich habe darin ersehen, daß Du mich treu liebst,
welches ich auch gegen Dich tue, denn ich bin nur für Dich da.
Es geht mir bis jeyt noch sehr gut, wenn ich auch schon viel
Granaten playen gesehen habe. IVir sind immer ziemlich weit
weg davon mir unserer Munition. Ich träume jede Nacht von
Euch, sage Otto, er soll brav sein, er soll Gott danken, wenn
er seinen Vater wieder bekommt, "wir sind seit 2 l. September
schon in A. ohne weiteres Herumfahren. Ä?ir wissen es, wie
wir uns hier zu verhalten haben, denn keiner büßte sein Leben
gern ein. Ich habe noch gar nichts von zu Haus erfahren, es
werden auch schon welche fehlen, wie ich in der Verlustliste
gelesen habe. Schreibt mir einmal, ob Bella und Rosa noch
brav sind, füttert sie gut. Vvenn Ihr die Rosa gut verkaufen
könnt, wenn Ihr hört, daß der Rrieg zu Ende geht. Müßt
mir aber sofort schreiben, denn ich habe hier einen schönen
kräftigen 'Wallach, den werde ich nicht teuer kaufen, prima
Pferd. Ieyt aber noch warten mit verkaufen, darf einer
bieten, was er will. — Meine Stiefel sind so weit zerrissen,
Schuhe habe ich noch. Drei Paar habe ich gekauft gegen
Bons. Briefpapier, Lederhalter, Tintenfaß sofort schicken.
Umkommen tue ich so leicht nicht, denn wenn es gilt, so wird
geloffen. Ich bin hier ausgeruht, wenn ich heimkomm, kann
ich wieder fest schaffen. Sage Herrn Wachtmeister einen kräf-
»igen Gruß von mir und ich würde Paris schwerlich sehen,
denn es verlangt mich mehr nach Merlau wie nach Paris, denn
da habe ich als noch weiter als nach Hause, es sind immer noch
über 200 km.
*
Z'
35
Werner Nowak,
geb. S. Dezember I898 in Rattowiy,
gest. 23. April I9IS nach Verwundung im Feldlazarett Douai.
Rattowiy, den 7. September
... Dann möchte ich Dich bitten, zuerst mir mir den versuch zu
machen, mich als Rriegsfreiwilliger ins Heer eintreten zu lassen.
Ich habe jeyt schon oft gehört, daß man, wenn man es durch-
aus will, auch mit lSJahren eingestelltwird. Andererseits weißt
Du ja, daß ich kein Schlappschwanz bin, der bei körperlicher Ar-
beit gleich zusammenklappt. Paul ist auch gestern abgedampft.
Rattowiy, den 12.September l9l4.
lLrst jeyt merke ich, was Du mit den Voraussetzungen meinst,
die Du für den Eintritt ins Heer aufstellst. Da befindest Du Dich
aber in einem gewaltigen Irrtum, wenn Du denkst, ich bin nicht
mit -Leib und Seele dabei, als Freiwilliger einzutreten. Ich bitte
Dich also umgehend um Einwilligung zu meinem Eintritt ins
Heer. Du wirst noch eher zustimmen, wenn Du erfährst, daß
ich, wenn ich jetzt aus der Schule austrete, ohne weiteres Zeug-
nis für Unterprima erhalte. Das Alter spielt, wie ich sicher weiß,
keine Rolle. Ich weiß, daß für Dich kein Opfer fürs Vaterland
zu groß ist und hoffe darum bestimmt auf Deine Zusage.
*
Gustav B 0 lten,
geb. 24-. März I89I in Wewelsfleth,
gef. 2. September I9I8 auf dem Mom-des-Tombes.
Bei 23., den 14. September
Fast schien es, als wollte der Rrieg uns sechs Brüder schonen,
bis er jeyt mit rauher Hand das erste Opfer genommen hat.
lieber Vater, Dein Schicksal ist hart! Die ganze Zeit ist hart,
und nur Persönlichkeiten werden unversehrt hindurchgehen
durch diese Zeit, aber mit geläutertem Herzen. Mehr denn je
fühlen wir, daß wir nicht allein unser Los zu bestimmen haben,
daß eine höhere Macht — nennen wir es nach dem alten Her-
kommen ruhig «Gott» — über uns ist, gegen die wir schwächlich
36
sind. Und dennoch selbstbewußt sollen wir sein, wir sollen uns
nicht unterkriegen lassen von unserm Geschick, sondern das Be-
wußtsein haben, daß wir unser Glück, unsere Seligkeit letzten
Endes selbst formen können. Geschickt, zugeteilt wird uns doch
immer nur unser äußeres Lebenslos, äußere Umstände; wie
diese äußeren Umstände auf unser inneres Leben, auf unsere
Seelen wirken, das können wir, glaube ich, selbst bestimmen.
In diesem unablässigen Streben und Arbeiten werden wir stets
neue Lebenslust und Arbeitslust gewinnen. So kann uns schließ-
lich kein Leid unterkriegen, sondern wir werden Herr des Leides
und gewinnen durch den Rampfselbst an Stärke und Rraft. Hut
der Schwache und Ungläubige — natürlich ist das nicht im
streng kirchlichen Sinn zu verstehen — wird von dem Leid be-
siegt, da er verzweifelt, in dem Glauben, das Böse regiere die
Welt. Hern, abermals nein, das Gute, ein guter Zweck, Gott
regiert die Welt.
-I-
Arnold Lequis,
geb. 2. Februar 1861 in Dillenburg.
Mein lieber Elwert!
Heute morgen erhielt ich Ihren Rartenbrief und bedaure sehr,
daß Ihr Bein hat wieder amputiert werden müssen. Ja, das
Vaterland hat viel von Ihnen, lieber, braver, tüchtiger Mann,
verlangt. Nun hoffe ich sehr, daß jetzt das Bein bald verheilen
wird und Sie ein gutes brauchbares, künstliches Bein bekommen.
Schreiben Sie mir bald einmal wieder, während ich Ihnen
schreibe, steht meine Division in schwerem Gefecht gegen die
Engländer, und wir wollen ihnen feste eins drauf geben, nach-
dem sie uns heute morgen angegriffen haben. — Besten Dank,
lieber Elwert, für Ihre Glückwünsche zur Exzellenz, vor allem
aber wünsche ich Ihnen baldige Genesung und dazu den nötigen
Lebensmut und Gottvertrauen.
Herzliche Grüße
Ihr alter General
Lequis.
*
37
FranzAdolf Chkles de Beaulieu,
geb. 5. September 1880 in Demmin/Pommern,
gef. I. Oktober beim ©tum auf La Chavatte.
Ortsquartier p-dorf 8 km östlich
Dieuze, 9. August 191$.
wie schön war es, daß Du nun doch noch auf dem Bahnhof
warst! So wirst Du mir ewig in der Erinnerung bleiben, wie
Du winktest und schließlich den Blicken entschwandest. Und nun
heißt's tapfer fein: ganz tapfer und nur noch den Blick gerade-
aus! Vorwärts mit Gott!
lZ. August
Mir geht's sehr gut! Alles Rriegerische darf ich nicht schreiben.
— Das Tagebuch wird Dir einst alles sagen.
Unsere Gräben sind brauchbar eingerichtet. Doch die grenzenlose
Hiye kaum tragbar. Dazu abends immense Mückenschwärme.
Geduld! Geduld! Dann kommt die große Entscheidung! <Ehü>
nüe, Luchs und alle wohlauf. Essen gut! Auf IViedersehn!
22. August
Eine der blutigsten Schlachten liegt hinter uns, viel, viel
schlimmer wie die bei Dieuze.
wenn ich Dir sage, daß ich von meinen 260 Mann nur noch 105
zur Stelle habe, alles andere gefallen oder verwundet ist, wirst
Du ermessen können, wie furchtbar das Schlachten war. Es gab
kritische Augenblicke, die ich Dir nicht zu schildern vermag.
Ganze Gruppen wurden durch das Granatfeuer des Feindes zer-
schmettert. Mein zweiter Feldwebel ist nun auch schwer ver-
wundet; nur noch zwei aktive Unteroffiziere habe ich in der
Front.
Geh doch zu der Frau des Feldwebels Melzer 2. Rompanie, sie
wohnt in der Raserne. Ihr Mann bekam den Unterleibsschuß
neben mir. Vb er noch lebt, weiß ich nicht, glaube es nicht.
Sage ihr, wie er tapfer immer an meiner Seite vorstürmte und
dann neben mir fiel. Ich konnte ihm einige Erleichterungen im
Feuer schaffen, wie Gurt öffnen. Dann trug er mir mit erster-
bender Stimme Grüße an seine liebe Frau auf. "wie seine Ge-
danken bei ihr und seiner Mutter waren. So wie ich zur Ruhe
38
komme, schreibe ich ihr ausführlich. Jetzt bin ich vor geistiger
und körperlicher Ermüdung nicht imstande dazu. Ich könnte
weinen wie ein Rind um all die lieben Toten.
2£.August I9l*.
Zur Ruhe und Sammlung kommt man nicht: immer vorwärts,
vorwärts heißt es, ohne Ruhe. V7och habe ich die Angehörigen
der Gefallenen nicht benachrichtigen können,
vorgestern ritt ich nochmals das Schlachtfeld ab, furchtbar,
furchtbar. Land noch gefallen den jungen Lahnenjunker der
Rompanie und einen Minjährigen. Alle die armen Eltern ahnen
noch nichts.
IVie unsere Division gestern in D. einrücken wollte, bekam sie
heftiges Leuer. Gleich 12 Mann der vordersten Rompanie fielen.
Der Ort wurde hartnäckig verteidigt.
Mit verglimmender Sonne traten wir an. l?m Ächte funkelten
die aufgepflanzten Bajonette. Schließlich war alles eine Hölle.
Überall Detonationen von Benzin und Patronenlagern. Dann
rückten wir um lo Uhr abends durch den brennenden Ort.
Teilweise laufend, da die Glut unerträglich, und die Giebel
zusammenstürzten. Liegen nun im Biwak vor dem vernichte-
ten Vrt.
Z0. August
Heute, dachte ich, wäre Ruhe, ein dichter Nebel lag über der
Landschaft. wir haben uns eingegraben und müssen die Stel-
lungen halten. Roste es, was es wolle.
Müssen warten, bis die Seitenarmeen weiter vorgerückt sind.
So ist alles in größter 'Wachsamkeit. Mit Gewehr im Arm des
Nachts. Mir persönlich gibt nachts ein kleines Zelt ein wenig
Schutz. Daß der gestrige Tag so traurig enden würde, hätte ich
nicht geglaubt. Mittags erschienen in Schwärmen die Ersatz-
leute auf der Höhe, um zu uns zu gelangen. Das veranlaßte
den Gegner, umso nachhaltiger zu feuern. Wie viel frischen Mut
brachten die neuen Leute mit! Es war eine Lreude, es anzu-
sehen. Dabei ein achtzehnjähriges Rerlchen, Lähnrich aus dem
Radettenkorps. 760solcher Iungchens sind in die Armee ein-
gestellt.
Nun waren noch keine Deckungen für die neuen Leute gegraben,
39
sie lagen überall, wo nur etwas Deckung war. 6$ dieser Leute
waren mir zugeteilt.
plötzlich drei Schritt von meiner Deckung zwei furchtbare Deto-
Nationen und dann Gewimmer, Gestöhne! Drei Mann rot und
28verwundete, meist schwer, lagen herum. Oh, wie sah es aus!
Gehirn, Gliedmaßen, Blut überall. Und wie jammerten die
armen Leute. Y"lun, da sie hofften, mit den Rorhosen abzu-
rechnen, waren sie umgekommen.
Da kamen Deine Gaben. Du hättest sehen sollen, wie sie sich an
allem freuten. Ich habe damit so viel Gutes gestiftet, und ich
weiß, Du billigst es.
Bei dem Toten, dem neben meinem Pferd und Zelt die Hirnschale
zerschmettert war, stellte ich fest, daß er fünfRinder hatte. t~Ioch
war eine Rarte bei ihm, wo er schreibt: «Liebe Frau und Rin-
der! Y7od> bin ich wohl!»
Heute (Z0. August) fing nun, als der Hebel sich etwas hob, ein
wahnsinniges Geschieße bei den Bayern an, das zwei Stunden
anhielt. IVir befürchteten schon einen Durchbruch.
Nun siyen wir wieder in unseren Gräben, und über unseren
Röpsen duellieren sich die Artillerien.
7 km nördlich Magnieres 7. September
Der 5. September sollte schlecht enden. Am Nachmittag setzte
eine wahnsinnige Beschießung unserer Schützengräben ganz
vorn ein, daß ich das Schlimmste ahnte.
In einer kleinen Pause kam ein Mann mit stark verbundenem
Ropf und meldete, daß oben noch mehr lägen. Ich rase also mit
zwei Rrankenträgern hin und finde hier den Fahnenjunker,
bleich mit blutigem Auge und Gesicht und zerschmettertem recht-
ten Bein. 17 Jahre war er — ein Rind noch — aus dem Ra-
delten korps gekommen. Und nun so! — Daneben lag ein Toter
und noch zwei Verwundete.
Das Iungchen, Sohn einer Witwe, verbiß heldenhaft den
Schmerz und hatte nur die Frage, ob er bald geheilt sein würde
und wieder mit könnte. Dann schafften wir ihn in eine Deckung,
wo ihn der Arzt verband. Und dann ging's aufholprigem Leiter«
wagen zum Lazarett. Heute erfahre ich, daß wenig Hoffnung
ist. Armer kleiner Held. Er hatte so frischen Mut. Ich mache mir
Vorwürfe, daß ich ihn nach vorn kommandiert hatte.
*0
28. September lyl4.
Auf pierremont donnern die Granaten. Überall wahnsinniger
Lärm. Da reißt ein feindliches Geschoß zwei Leuten je einen
Arm und ein Bein fort. Zugführer ruft in den Reller, wo alle
in Deckung: «Freiwillige vor zur Beobachtung.» Alles bleich,
einige zaudern. Da tritt als erster der Landwehrmann Müller
vor: acht Rinder zu Haufe, eins wird erwartet.
Bei pierremont: ein Pole, der anscheinend Schnaps gefunden
und angeheitert war, brüllte bei jeder Granate, die in seiner
nähe einschlug: «Hurra!»
In Pierremont: alles brennt und stürzt im feindlichen Leuer.
Ganz dicht vor mir eine Henne mit ihren Rüchlein, die bei jeder
einschlagenden Granate ihre Rinderchen ruft und sie sorgsam
unter sich nimmt. Idyll! Alles ist geschlachtet. Diese Henne hat
der hungrige Soldat geschont.
Ferner noch ein Füllen, das in lustigsten Sprüngen in all den
Trümmern herumspringt und immer wieder zu uns kommt, um
sich füttern zu lassen.
Rührend vergelten die Leute durch Anhänglichkeit, daß man
für sie sorgt. Da soll ein Wagen mit verwundeten abfahren. Er
hält nochmal. Ein Mann kommt zu mir: «Unteroffizier Grimm
möchte sich nochmals von seinem Hauptmann verabschieden.»
(Schuß durch beide Augen.)
Ein Mann der I7£. war abgeschnitten auf Patrouille. Irrte
fünf Tage im IValde umher, von Brombeeren lebend. VJ4hm
von einem toten Franzosen dessen Uniform. Meldet sich (er sprach
perfekt französisch) beim nächsten französischen Regiment. Spio-
nie« alles aus und kommt dann nach Durchschwimmen eines
Flüßchens wieder zum Regiment. — Dann ging er wieder zu
den Franzosen und kam mir Berichten zurück.
Eben fängt die Regimentsmusik an mit lustigen Weisen. Alles
elektrisiert. Ganz hinten Ranonendonner. C'est la guerre!
Bei Fresnois-La Chavatte l. Oktober 191$.
Ich schreibe diesen Brief, im Walde als Reserve liegend, vor
uns Rampf: Angriff auf La Chavatte. Wir lauern auf An-
griffsbefehl.
Gestern war wieder ein unendlich schwerer Rampftag. Die letzte
Woche Haldem Regiment wieder 5oc>Mann Verlust gebracht.
Ein Unteroffizier der I. Rompanie ruft uns Offizieren zu:
«Adieu, die Herren Offiziere vom 1. Bataillon.» Ich trete hin-
zu und finde ihn, die rechte Hand und ein Fuß zu Mus zer-
quetscht. Er beißt die Zähne zusammen und murmelt vor sich
hin: schreien, nicht schreien, beiß die Zähne zusammen.»
Endlich werden meine und die vierte Rompanie rechts eingesetzt.
Das ganze Bataillon ist aufgelöst in Schützen. Leuer prasselt
über uns. Ich mache faule 'Witze, alle Geschosse gehen zu hoch.
Schon ist die Dämmerung eingetreten, und noch ist Fresnois
nicht genommen. Zwei Züge habe ich vorne hereingeschmissen;
einen halte ich mir in Reserve. IVir gehen vor. Da bekommen
wir Anschluß an eine zusammengeschossene Rompanie 175. Die
andern müssen erst kommen. So heißt's Halt, vor uns brennt
Fresnois. "wir graben uns ein.
ll Uhr ZoMarsch. Noch unbeschossen. Aha. Die Hunde wollen
uns erst näher heranlassen. Ich befehle Halt, ich habe den An-
schluß und warte die Hessen ab. Da — endlich links Infanterie-
hörner, Trommeln schlagen. Das Zeichen! Bei mir sind die Tam-
bours und Hornisten. Seitengewehre sind aufgepflanzt. Und
nun los, 2. Rompanie marsch, marsch, Hurra! Tambours schla-
gen, Hornisten blasen, ein Höllenlärm.
Ein wahnsinniges Feuer schlägt uns entgegen; besonders
aus der rechten Flanke. Doch keiner von uns feuert. Pa-
role: die blanke Waffe. Manchen sehe ich stürzen. weiter,
weiter!
Mein Hauptaugenmerk ist der Reservezug, der auf l oo ra folgt.
Gerade sehe ich, wie auch er ins allgemeine Rampfgewühl nach
vorne will. Mit Säbeldirektion, Brüllen, Pfeifen gelingt es,
ihn wieder zu fassen und in die Hand zu bekommen, für Rück-
schläge.
vorne laufen die Leinde, laufen, was die Lungen halten. Ein
Stutzen, doch nur kurz, nochmals Hurra, die Stellung ist unser.
Jetzt kam ich mit dem Reservezug, indessen die andern durch-
stoßen, bis zum andern Dorfrande. Noch öfter bekommen
wir heftiges Leuer von zersprengten Franzosen. Fresnois ist
unser!
*
52
Otto Ouietmeyer,
geb. 9.Januar I89I in Schönebeck/Elbe,
gef. 26.Mai 1915 auf der Lorettohöhe.
Brienne-sur-Aisne, im Vlovember
Acht Tage hatten wir in Dinant, dem zerschmetterten "wellbade
im Maastale, gearbeitet, acht Tage hatten wir operiert, ver-
bunden, abtransportiert, in all' dem unsäglichen iLlend des
Rrieges eine kleine Oase des Friedens gebaut. Die zerschossenen
Häuser, die verkohlten Leichen, schwelende Schutthaufen —
ein unerträglicher Gestank. Die Männer erschossen, die Frauen
und Rinder zum Teil verwundet, alle ausgehungert, in den tie-
fen, scheuen Augen noch das Irresein und die Angst. Aus den
zerschossenen Rellern floß der rote Wein; die geborstene N>asser-
leitung verwandelte die Straßen in Moräste. Rrachend stürzten
von Zeit zu Zeit die ragenden Mauern, im dumpfen Rnall
dröhnten die Geschütze von Givet. Die Maas rauschte traurig
unter den zerborstenen Brückenpfeilern. Gerade über der ver-
schütteten Rathedrale stieg der Fels in die Höhe, oben das Fort
mit den tiefen Granateinschlägen, und über dem Fort am langen
Mast die schwarz-weiß-rote Fahne. Herrliche Farben, die so hell
leuchteten in der Sonne, sich so stolz abzeichneten von dem
blauen wolkenlosen Himmel. Die Vlatur so schön. Die breite
blinkende Maas im steilen eingeschnittenen dunkelgrünen Tal.
Und die Stadt so furchtbar. Rein Haus mehr eine menschliche
IVohnstätte. Alles zerfetzt von Granaten, zersplittert von
Schrapnells.
Im heiligen Rloster der Oblatenbrüder die zerfetzten Menschen-
leiber. Turkos und Sachsen, Zuaven und Gardeleute, algerische
Schützen, Franzosen vom Regiment 218 und 273, belgische
Artilleristen — alles dort, amputiert mit rot durchsickernden
verbänden, bleich, fiebernd, humpelnd, stöhnend. Frierende
Araber mit deutschen Mänteln auf französischen Bataillons-
wagen von belgischen Einwohnern gefahren — ein buntes,
buntes Bild.
Im Operationssaal herrschte eine drückende Hitze. Immer wie-
der wanderten die Instrumente in den zischenden Sterilisier-
apparat. Bahre auf Bahre zog herein, heraus. Die franzö-
sischen Wunden, alle verjaucht und vereitert, mußten gespalten
*3
werden. Tagelang hatten sie neben den Leichen auf den Feldern
gelegen, ohne Verband, ohne Hilfe, ohne Nasser, ohne Brot.
Und sie fühlten sich wohl bei uns.
Am Dienstag, dem 8. September, saßen wir beim Raffee. Da
kam der Befehl, binnen einer Stunde das Lazarett zu räumen,
'wer Arzt ist, wer einmal Schwerverwundete gesehen hat, weiß,
was es heißt, zweihundert Schwer- und so und so viele Leicht-
verletzte in einer Stunde zu evakuieren.
Im Moment stürzten wir davon. Das Lazarett verwandelte
sich in ein Chaos. Die Schwestern packten die Instrumente, die
Burschen räumten unsere Sachen zusammen. Die Düsseldorfer
Feuerwehrleute, die am Tage vorher angekommen waren,
stürzten sich auf die Rranken. In einer Stunde war alles wüst
und leer. Stroh, blutige Lappen, schmutzige Bettbezüge, Uni-
formreste, alles lag noch als trauriger Rest. Und wir standen im
Helm, umgeschnallt nach genau einer Stunde an den knattern-
den Motoren.
Branddirektor Petersen pfiff, vier Autos stoben mit uns davon,
wohin es ging, wußten wir nicht. lLin Dorf, ein Schlachtfeld
nach dem andern fliyte an uns vorüber. Zertretene Felder,
stehengebliebene Geschütze, dick aufgetriebene schwarze Leichen,
Tornister, Gewehre, Artilleriemunition zu Tausenden, Ron-
servenbüchsen — alles zeigte uns den eiligen Rückzug der Fran-
zofen. Aber wohin sollten wir? Petersen sagte nichts, die Autos
rasten.
Ja, eine große Schlacht mußte weit vorn im Gange sein. Givet
war ja schon gefallen (Z l. August). Der kilometerlange Gefan-
genenzug war an uns vorbeigekommen.
IVohin? In den "Wäldern ein furchtbarer Leichengestank. Im-
mer weiter. Uber Aubö, das dem Erdboden gleichgemacht war,
nach Mariembourg.
Petersen pfiff zweimal. wir wurden ausgeladen. Am 9. Sep-
tember blieben wir noch in Mariembourg, erhielten aber abends
den Befehl, früh am nächsten Tage nach Chalons aufzubrechen.
Donnerwetter! Chalons! Bis Reims waren es noch hundert
und dann noch vierzig Rilometer. Und von Chalons bis Paris
war es gerade noch mal so weit. Hurra! Herrgott, wie gut
mußte es vorne stehen, wenn wir so weit vorkamen. Der nächste
Morgen kam. Die riesigen Motoren knatterten schon, die Last-
wagen zitterten leise wie vor Aufregung, über der zertretenen
Wiese noch leichte Nebel. Noch einige Befehle, ich als Trans-
portführer auf das erste Auto. — .Los. — Langsam zogen die
Wagen an. Aber bald ging es schneller. Uber Rethel, das einen
furchtbaren Anblick bot, immer weiter nach Süden. Reims
tauchte nach sechsstündiger Fahrt mit den klotzigen abgehackten
Türmen seiner heiligen Rathedrale auf. An Forts, an Rasernen,
Flugzeugschuppen vorbei bis auf den alten place royale. Wir
bekamen auf dem Platz vor dem uralten eigenartigen Rathaus
noch etwas Bier, etwas Brot und Wurst.
Aber komisch. Die Leute, sonst so devot und eingeschüchtert,
waren aufsässig. Zwei müde Gardeleute von den Elisaberhern
erzählten uns von enormen Verlusten, von taktischen Fehlern,
vom vorgehen der Franzosen. Unsinn, Unsinn, das konnte ja
gar nicht wahr sein. Wir hatten ja Marschbefehl auf Lhalons.
Romisch, eigenartig. Riesige Rolonnen zogen an uns vorüber,
so, wie wir sie nie gesehen. Wir fuhren wieder weiter. Immer
neue Rolonnen. Da Artillerie, dort hinten auf Feldwegen Ra-
vallerie, verflucht, was war das? Die Straße hatte sich fest-
gekeilt. In drei Zügen strömten die Rolonnen nordwärts. Ich
sprang ab, sprang an eine Batterie heran und fragte, was
los sei.
«Stellungswechsel!» Gott sei Dank! VJur ein Stellungswechsel!
Ms wollte sich fast etwas Lähmendes auf unsere Seele legen,
als wir fast an Rückzug gedacht hatten. Aber nein! Das
gab's ja nicht! Stellungswechsel war es! Wir schämten uns.
Langsam knatternd schoben sich unsere Autos durch das Ge-
wühl dahin. Immer neue Mafien, die Leute müde, zum Teil
schlafend, hungrig, alle völlig stupide, teilnahmslos. Mine ganze
Rolonne ritt verwundet einher, alle mit verbundenen Röpfen.
Rur; vorher hatte eine Fliegerbombe hinein geschmettert, Z5
Pferde, 5 Mann und Z Wagen zerrissen. Dies war der Rest.
Da kamen wieder Häuser. Chalons. Gottlob, daß wir an un-
serem Ziele waren. Herrgott ja, wie sah denn das hier aus? Wir
hatten allerhand schon gesehen, aber hier zog sich von neuem
die Rehle zusammen.
A>ie Spatzen im tiefen Schnee, so hockten hier die elenden Häuf-
lein zusammen, überall an den Gräben sitzend, an Zäune ge-
lehnt, gegenseitig sich helfend, humpelnd, mir blutigen Röpfen,
*5
zerschossenen Gliedern, mit bleichen, verbissenen Gesichtern, die
tausend Sachsen und die zweitausend von der Garde.
Im Moment waren wir in einem Theater etabliert. Jeder von
uns hatte seinen Tisch mir Instrumenten und verbandsmitteln.
An jedem von uns zog ein Strom vorüber. Sie waren so froh,
neu verbunden zu werden, und wir so froh, helfen zu können.
Die flacht war unruhig. Die Geschütze, die vom lo.Rorps zu«
rückgingen, donnerten endlos durch die kleine Straße. Als ich
wach wurde, sah ich gerade die Großenhainer Husaren vorbei-
ziehen. Alles nördlich.
Donnerwetter, was war das nur!
IVir standen auf.
Stabsarzt NUegand kam. Ihm war der Befehl zugegangen,
im Militärhospiral unser Lazarett aufzuschlagen. Durch ein
Gewühl von Truppen schlugen wir uns zu einem großen
Gebäudekomplex durch, von dessen sämtlichen Dächern schon
überall die weiße Fahne mit dem roten Rreuz wehte. Ich
wurde sofort in die Stadt geschickt, um zusammen mit Oberarzt
Sperling sämtliche Verwundete, die sich in Chalons befanden,
nach hier zu sammeln.
Ein hartes Stück Arbeit.
Im Rathaus lagen 60Schwerverwundere. In den Hotels über-
all Offiziere, die sich aber alle schon zum Aufbruch rüsteten.
Major, nackt, den zerbrochenen Arm in einem riesigen Gipsver-
band, ließ sich in eine Decke schlagen und auf ein Geschütz heben.
Als ermir die Hand gab, sagte ermir—ich möchte möglichst bald
nachkommen. «Chalons ist geräumt.» So, nun wußte ich es.
Ich lief weiter, holte aus allen Häusern noch Verwundete,
packte sie auf jeden "wagen, der noch vorbeifuhr. Ununterbro-
chen rollten die Artilleriesalven. Die Sonne schien fahl durch
dünne IVolkenschleier. Ms wurde immer dunkler. Langsam fing
es an zu regnen. ekles Gefühl stieg in mir auf. Herrgott,
Herrgott, zurück! Das war ja unfaßbar.
Regiment 178 zog vorbei, ein grauer Hauptmann führte.
Schlafend auf seinem müden stolpernden Pferd. Die 2. Rom-
panie führte ein Feldwebel. Das ganze Regiment war an die
Zoo Mann stark. Die Füsiliere grau, mit stumpfen, schlaffen Zü-
gen, zerrissenen Uniformen, ein elender Anblick. Ich riß mich
aus meinen Träumen, bekam ein Auto vom allerhöchsten Haupt-
quartier zu fassen und sammelte, was noch zu sammeln war.
Ich trommelte Stordeur noch aus dem Bett. Er wußte von
nichts, hatte bis dahin geschlafen und machte ein jammerhaft
klägliches Gesicht bei meinen Erklärungen.
Dann zum Lazarett. Ich kam keuchend an. Alles sah mich tod-
ernst an, alle etwas verlegen, feldmarschmäßig. Nun erfuhr ich
auch noch schnell den Rest. Die Garde war zurück, das I2.Rorps
zurück, alles sollte zurück.
Ode lag das große Lazarett. Ein fader Gestank zog durch die
langen Rorridore. vom Himmel stäubte ununterbrochen ein
feiner Sprühregen herunter. Ununterbrochen rollte das Artil-
leriefeuer. Die Fenster klirrten, die Luft dröhnte.
Ich richtete alles zur Operation vor. Hohmann streitet sich mit
der französischen Röchin, die nicht mehr parieren will, herum.
Engelbrecht kommt ganz erschüttert von einem Rundgang durch
die Säle zurück.
Herrgott! An Instrumenten hatten wir zwei Taschenbestecke,
eine alte Säge und zwei ganz alte Messer zur Verfügung. Zwei
lagen da mit feuchtem Brand. Die Glieder schwarz, verwest, mit
dicken Blasen und von unerträglichem Gestank. Mir wurde un-
wohl, ich hatte Durchfall, bekam kalten Schweiß. Ich brannte
Schwefel an und rappelte mich wieder auf. "Wir operierten, ein
Gasschlauch zum Abbinden, vier Rlemmen. Es ging leidlich,
der Patient ist durchgekommen.
Ein junger Unteroffizier kam als nächster auf den Tisch. Gas-
Phlegmone im Oberarm. Ich wurde wieder ohnmächtig, kam
aber bald wieder zu mir. IVir setzten den Arm ab. Mitten beim
Unterbinden stürze ich wieder zusammen. Von den folgenden
Sachen weiß ich selbst nichts. Engelbrecht merkt, daß ich Lieber
habe, mißt und mißt 39,9-Läßt mich in's Bett tragen.
Die Nacht war ich sehr unruhig. Am nächsten Morgen wachte
ich früh auf. Ich hörte viele Stimmen, sehe zum Fenster hin-
aus, ohne zunächst orientiert zu sein — und sehe den ganzen
Lazaretthof vollgepfropft mit französischer Artillerie. Donner-
wetter! "was war denn das! Langsam besann ich mich, wo ich
war.
In französischer Gewalt.
Sie waren schnell gekommen. So hervorragend der deutsche
Rückzug war, so gut war das französische Nachrücken. Mor-
*7
gen« am II. September rückte die Vorhut in Chalone ein. In
unglaublicher Sorglosigkeit saßen die Deutschen auf dem Markt
beim Abkochen und wurden gefangen genommen. Ein Elisa-
bether trat aus einem Bäckerladen, ein Brot im linken Arm.
Vor ihm steht eine französische Chasseurs-Ä-cheval-Patrouille.
Er läßt das Brot nicht fallen, aber schießt mit der rechten Hand
dem Offizier seine letzte Rugel in die Stirn. Zwei Radfahrer
von den sächsischen Ulanen kommen friedlich daher gefahren
mitten in die ganze Gefangennehmerei. »Linen schießen sie vom
Rade, der andere kommt noch fort. Im ganzen wurden an die
Z000 Mann in Chalons gefangen.
Ich hatte mir alle Einzelheiten schnell erzählen lassen, mich
fertig gemacht und folgte einem Gascogner Stabsarzt, der mir
den Befehl brachte, ein Lazarett in der sogenannten Ingenieur-
schule zu übernehmen. Gleich als wir unser Hospital verließen,
schoß ein französischer Eindecker in herrlichem Sturzflug her-
nieder, sah französische Uniformen in Chalons, gab befriedigt
wieder Vollgas und knatterte weiter nach worden.
Du armes, armes Deutschland!
"wieder zog ein Flugzeug über uns dahin. Die Chasseure stürzten
zu den Gewehrpyramiden. Ja, jetzt sah ich auch, daß es ein
deutscher Doppeldecker war. Der Flieger zog in ungeheurer Höhe
seine Bahn. Ein Wahnsinn war es, zu schießen. Aber die Fran-
zosen hatten Freude daran. Ohne Unterlaß knatterten die
Schüsse, auf allen Balkons, Dächern saßen feuernde Franzosen,
und die Rugeln pfiffen so, daß es dem Gascogner und mir nicht
behaglich war.
tPir kamen auf einen freien Platz. Ein peloton de chasseurs war
angetreten, um dem Flieger noch eine Salve nachzuschicken.
«Trop haut», riefich. «Bon, c'est vrai», sagte derRorporal, und
die Jlettte setzten grinsend ab. IVir kamen leidlich weiter. Uberall
wehte die Tricolore, überall blumengeschmückte Mädchen, sie-
ges- und absynthtrunkene Linientruppen.
Wir traten in ein riesiges Gebäude, das Lazarett, wozu ich
kommandiert war.
Eine Hölle!
Verzweiflung, Leid, Schmerz, Tod, Hunger, Durst, "Wahnsinn
und dumpfes Brüten — alles kam hier zusammen zu einem
grauenhaften Elend. Reine noch so blutige Schlacht kann so
£8
furchtbar sein. 600 schwerverwundere deutsche Gefangene. Ge-
fangensein ist schlimm, verwundet sein ist zu ertragen. Beides
zusammen erscheint anfangs unerträglich. Das Grausen, das
mich dort gepackt, wird mich mein Lebennie verlassen. 600
deutsche verwundete Gefangene!
Auf Stroh, auf Mist, auf bloßem Stein, in Lumpen gehüllt
lagen sie. In einer Ecke lag ein Sterbender, sein Nachbar hatte
den Arm verloren, er hatte den blöden Irrsinn in den funkeln-
den Augen, brüllte wie ein Tier, schlug den Sterbenden, schlug
mich und riß immer wieder den verband von seinem Stumpf.
Und der dritte! Ein Ausbläser hatte ihm das Gesicht weggeris-
sen. Alles weggerissen, wo sonst ein frisches, junges Gesicht
mich hätte ansehen sollen. Dort lag einer mit ganz zerschmetter-
tem Oberschenkel, das Bein lag ganz quer aus dem Bett her-
aus. viele hatten tagelang nicht gegessen, nicht getrunken.
Unfähig, zu gehen, hatten sie das Stroh verfault unter sich lie-
gen lassen und immer neue Lumpen zum Bedecken gesucht.
Mein Morphiumvorrat war bald zur Neige.
Und immer wieder mußte ich spriyen, die Leute damit ruhig zu
stellen. Es wurde Nacht. Eine schaurige Nacht mir heulendem
Sturm. Müde wollte ich zum Schlafen gehen. Ich hatte den
ganzen Tag über nichts zu essen bekommen, ach, jetzt fiel mir
ein, daß ich ja eigentlich krank war. Ein Hauptmann vom Re-
giment 102, von porsch, gab mir eine Decke. Ich legte mich in
eine Ecke und schlief.
Am nächsten Morgen wachte ich auf. Zu waschen gab es nichts.
Zu essen nichts. Der Sturm harre sich gelegt, aber ein wahn-
sinniges Artilleriefeuer schmetterte durch die Luft.
Ob wohl die Garde wieder kam?
Noch in den frühen Morgenstunden nahm das Feuern ab.
Bald kamen jubelnd einige Instrmiers zu mir: Rluck hätte ka-
pituliert.
Daß ich's geglaubt habe, war schwach von mir. Geglaubt Hab'
ich's, und das tat weh. — Ich schauderte, in die Säle gehen zu
müssen. Ich hatte nichts mehr, keine Schere, kein Messer, kein
Opium, kein Morphium.
Ein Oberstabsarzt Professor Mr. Andrö aus Nancy kam und
bor mir seine Hilfe an. A)ir operierten bis zum Abend. Ich
schlief nachts mit der Narkose flasche in der Hand ein. — Am
4 D. d. s.
*9
nächsten Morgen war ich früh auf den Beinen. Ich hatte keine
Mindrücke mehr, ich war stumpf gegen alles geworden. — Die
Franzofen überboten sich, uns mit Neuigkeiten zu versorgen.
Die kaiserlichen Prinzen gefallen, der Raiser wahnsinnig, die
Raiserin geschieden. Die Russen in Breslau, Posen und Berlin,
die deutschen Armeen bis zum Rhein zurückgeworfen, das Vlie-
derwalddenkmal bereits zerstört.
Die Tage schlichen elend dahin. Am 18. kam ein Ranonier und
brachte uns unter vielen höflichen Worten den paß zur Schweiz.
Wir hätten unsere Pflicht getan und mehr und dürften nun
wieder nach Deutschland.
Wir tanzten wie kleine Rinder. -Lachten, vergaßen alles, pack-
ten unsere wenigen Sächelchen, und von zehn Bajonetten be-
gleitet ging's zum Bahnhof. s£s waren elf Tage ununterbro-
chener Fahrt. Auf der Rarte ein ansehnlicher Rreis. Die ersten
drei Tage saßen wir in ein und demselben Abteil. tt>tr rollten
durch die öden, reizlosen, melancholischen Gefilde Nordfrank-
reichs. Sahen die Seine mit den üppigen Palästen, mit den
herrlichen, im Herbstschmuck leuchtenden Gärten. Sahen den
riesigen Waldbezirk vor Orleans, sahen die .Loire, die alte Ra-
thedrale der alten historischen Rampfstadt.
Wir gingen immer mehr nach Süden. Immer friedlicher und
üppiger wurde das Land. Reiche Felder, schwer tragende Vbst-
bäume, satte Wiesen und dunkles fettes Ackerland. Wir sahen
Jlyott, sahen die Rhone, fuhren durch das wilde phantastisch
schöne Rhonetal, sahen Genf, im Abendschein den See, durch-
rasten im V-Zug die gastliche Schweiz, sahen Basel im Morgen-
schein und sahen die Grenze.
Deutschland!
*
Ludwig pankoke,
geb. 13.Juli 1892 in Herford,
gest. 9. November nach Verwundung in Rönigsberg.
Blaszkowitschka, den 21. Oktober 19W.
Mittags von y22 Uhr bis 5 Uhr war ich auf Patrouille. Un-
gefähr IOOO Meter Weg nach dem Feinde hatte ich mit meinen
50
beiden Begleitern zurückgelegt, als das Gelände schwieriger
wurde. 500 Meter vor dem Leinde trennten wir uns und gingen
je mehrere hundert Meter auseinander. Auf dem Bauche vor-
gehend, sah ich vier bewaffnete Russen, ebenfalls auf Patrouille,
auf mich zukommen. Hinter dem Grabe eines gefallenen Gre-
nadiers Deckung suchen, war das Werk eines Augenblicks. Die
Russen hatten mich nicht gesehen und kamen ahnungslos auf
mich zu. Ich ließ die vier auf £0Schritt herankommen. Hiiti
galt es mein Leben oder das der Russen. Für einen Augenblick
schloß ich die Augen und machte mein Gewehr zum Schuß fertig.
ätin Rrach — und der Vordere der Russen lag in seinem Blute.
Die drei anderen schössen wie der Blitz zurück. Miner ließ sein
Gewehr, der zweite seine Mütze fallen. Ich ließ sie laufen. Auch
sie leben gerne weiter und freuen sich auf die Rückkehr in ihre
kaukasische Heimat. Geduckt schleiche ich mich an meinen ge-
fallenen Feind, itt war ein Hüne von Gestalt und gehörte zum
2Z7. kaukasischen Infanterieregiment. DieRugel war ihm durch
die Brust gegangen. Schwer röchelnd lag er vor mir im Todes-
kämpf. Ich löste meine Feldflasche und tröpfelte dem Armen
den Rest meines kalten Raffees auf die Lippen. Langsam öffnete
er die Augen und sah mich an, sah mir einen kurzen Augenblick
ins Gesicht mit einem Blick — vielleicht einem des Hasses, viel-
leicht auch einem der Dankbarkeit für die Erfrischung — den ich
Zeit meines Lebens nicht vergessen werde. Dann warf er sich
auf die Seite. Min Blutstrom entquoll seinem Munde, ein
kurzes Röcheln noch, und er hatte ausgelitten. Armer Rerl, auch
du starbst den Tod für dein Vaterland!
*
Hermann von Rohden,
geb. lo. November 1887 in Hagenau/Mlsaß,
gef. Z. September I9I8 in Bussy.
R., 23. September IPI4.
Ich bringe Dir als Geschenk die Mitteilung, daß ich heute end-
lich das «Miserne» erhalten habe! Dreimal war ich vorgeschla-
gen, und immer zerschlug sich's, weil die betreffenden Instanzen
fielen oder verwundet wurden. Bei Paris tobten schwere
4. 51
Rämpfe. Heute früh wurden wir aus unserem Gefängnis für
18 Stunden zur Restaurierung hier runter ins Dorf entlassen.
Ach, welch ein Genuß, sich wieder waschen zu dürfen! Ließ
mich eben in der Rirche von einem Sanitäter, der im Zivilberuf
Friseur ist, in einem Beichtstuhl rasieren und auch die filzigen
Haare schneiden — man fühlt sich wie neugeboren. Morgen
früh geht's wieder rauf in die Linie — womöglich zum An-
griff. Die nächsten Wochen müssen ja die Entscheidung bringen.
--Ersatzbataillone ziehen durchs Dorf. Wir lächeln, wenn
wir die neuen Rleider sehen — die glattrasierten Gesichter und
die neugierig fragenden Augen. Unser Rostüm ist zerfetzt,
grauweiß, fleckig, total schmutzig. Ich trage eine herrliche,
gerippte Franzosenweste mit — einem Rnopf! Aber ich teile
auch redlich, brüderlich, christlich, wie uns Iungens der Vater
lehrte.
Ich kann mich immer noch nicht beruhigen über Brunos und
Willis junges Sterben. An mich selber denke ich so wenig,
immer an die armen Altern — wie weh muß das tun. Aber
auch stolz können sie sein. Wann und wo fiel er denn? Wie,
das frag' ich nicht; ich weiß seinen Play: Zo Meter vor den
Seinen.
«Mitten wir im Leben sind,
«von dem Tod umfangen!»
Hurra, das Leben! Tod, wo ist dein Stachel?
W., 19. Oktober lyl5.
Wenn Du den Jubel sehen könntest, wenn die Post kommt!
Wie Frösche ins morastige Wasser, so springen wir hinunter in
unsere düsteren Löcher und verschlingen bei mattem Rerzen-
schein Lektüre, Höffe und die andern Ge—nüsse.
Die alten (bis HJahre) wie die jungen Remonten verwöhnen
mich, wo sie können. Alles drängt sich zu freiwilligen Patrouil-
len. Unser Bau ist soweit ganz gut; daß die Mäuse mitunter
mein Gesicht als Rodelbahn benutzen, mopst mich weniger als
die Harztropfen, die von den traurigen Baumstämmen über
meinem Ropfe herabgeweint werden.
*
52
m
Rarl Metzger, unbekannt.
Will Euch heute ein kleines Erlebnis schreiben. Am 2. Oktober
J9I4 machten ich und drei Mann eine Patrouille gegen den
Feind. IVir kamen in ein Gehöft, wo zwei Stunden vorher der
Feind noch war und ein Gefecht stattgefunden hatte. Ich suchte
mir meinen beuten das Gehöft vorsichtig ab. Da auf einmal
Hörren wir erwas wimmern, sofort gingen wir drauf zu, in
einem Nebengebäude einer Scheune machten wir die Türe auf,
und wer lag da? Zwei schwerverwundete Franzosen, der eine
hatte einen Schuß im Bauch und der andere einen furchtbar
zersplitterten Fuß, von einem Granatsplitter. IVir hatten so
richtig Mitleid mit den armen Rerlen, und wie hatten sie Angst
vor uns! Aber wir taten ihnen nichts, sondern verbanden sie,
so gut wir es eben konnten, und reichten ihnen IVasser und
Pfefferminz zur Erfrischung. Ihre Augen leuchteten vor Dank-
barkeit. U?ir führen nur Rrieg mit der bewaffneten Macht.
*
.Ludwig Dörr,
geb. 6. Januar 1885 in IVeichartshain.
gest. 13. März I9I6im Lazarett Frankfurt/Main.
12.September!$>!£.
Wir haben jetzt sechs Tage im Gefecht gelegen. Heute sind wir
hier, ich weiß nicht, wie die Stadt heißt, einquartiert. In einem
Herrschaftshaus. Der Mann ist anscheinend General der Gen-
darmerie. Die Leute sind aber nicht da, haben scheint's Angst
vor den Deutschen. IVenn sie geblieben wären, hätten sie klüger
getan, dann wären ihre Sachen in Ordnung geblieben. Es liegt
hier alles durcheinander. IVir fühlen uns hier heimlich, haben
gebacken und gebraten, das ist ein ander Leben, wie die ganze
IVoche im Feld auf der nassen Erde. Es wird einem immer die
Zeit lang, bis man wieder erwas von zu Hause hört, wie es mit
dem Vieh, den Rindern, der Arbeit steht — Aorn säen — Du
wirst auch nicht viel Zeit haben zum Schreiben. Du mußt halt
sehen, wie Du fertig wirst. Schreibe mir wieder, ich bin ftoh,
wenn ich meinen Namen höre, so weiß ich doch, daß Du mir
53
geschrieben hast. Die Schweine müssen auch wieder geworfen
haben. Hoffentlich wird es doch nicht mehr so lange dauern, bis
ich heimkomme. Ich gratuliere Thea und Gertrudchen zum Ge-
burtstag.
7.Oktober l9l5.
Am 12.September 60 Mark geschickt, am 2. Oktober Zo Mark.
Hoffentlich wirft Du es gut brauchen können, und für mich hat
es keinen "wert. Geld ift hier Nebensache, bekomme jeden Tag
Geld, troydem verbrauche ich keins. IVenn man wirklich hier
etwas haben will, kann man es nicht bekommen, ob man auch
das Geld auf der Hand hat. Du wirft doch viel zu bezahlen
haben, mehr als man hier weiß, Du wirst es schon an dem rech-
ten Play anwenden, darüber brauche ich mir gar keine Ge-
danken zu machen. Dafür kenne ich Dich schon, solange wir zu-
sammen sind. Reine Rapiraler können wir nicht machen, wenn
wir nur das bezahlen können, was wir müssen. Schreibe mir
auch mal, ob Du Unterstützung bekommst, und wie viel — was
wir wieder an Frucht auf dem Speicher haben, wo ich das
Stroh und das Grummet hingetan habe. Ich habe heute viel
Zeit und viel Papier, aber nicht viel zum Draufschreiben, wie es
hier geht, kann man nicht alles auf Papier schreiben, alles
mündlich, wenn ich wieder glücklich nach Hause komme. Aber
es wird noch eine Zeitlang dauern.
*
Hans Röpf,
geb. II.Januar 1887 in Böbing,
gest. 8. Oktober 191£ im Lazarett St. Ouentin.
St. Ouentin, den 4. Oktober 19W.
Will lLuch hiermit noch ein paar Zeilen übersenden. Jedoch sind
diese vielleicht für *£uch nicht allzu erfreulich, denn ich bin seit
25. September durch einen Granatsplitter verletzt und wurde
dadurch der rechte Oberarm abgeschlagen. Liege seit 28. Sep-
tember in St. Ouentin im Lazarett unter bester Behandlung
seitens der Ärzte und barmherzigen Schwestern und Brüder.
V7ur eines, meine Lieben, Ihr dauert mich sehr, kommen tue
5*
ich nicht mehr. Bitte weinet nicht so sehr, denn ich habe den
schönsten Tod auserwählt, den Tod für Gott, Aönig und Va-
terland.
Darum bitte ich Euch, seid getrost, vor allem wünsche ich Euch
Glück und Segen und werde für Euch stets beten, damit es
Euch hier auf Erden gut geht und einstens zu uns allen in den
Himmel kommt.
*
Richard ErnstVocke,
geb. 19.März I890 in Belzig,
gef. Z0. Oktober 191$ bei vailly.
Rouge maison, I.Oktober I9W.
Liebe Mutter, ich schreibe in meiner IVohnung, das ist eine
Höhle, die einen Meter unter der Erde beginnt und etwa 1,75
Meter tief ist, im ganzen also 2,75 Meter unter die Oberfläche
der Erde reicht, "wir sind an der Durchbruchsstelle aufgestellt,
d. h. an der Stelle, wo die einzige Möglichkeit für den Feind be-
steht, durchzubrechen, um sich vor der gänzlichen Einkesselung
zu retten. Unsere Verschanzungen mit eingebauten Maschinen-
gewehren und Artillerie hinten sind aber so stark, daß aller
Voraussicht nach jeder noch so kräftige Durchbruchsversuch miß-
glücken wird. "Wir warten ab; die Flügel haben die Aufgabe,
den Feind — hier hauptsächlich Engländer — gegen uns zu
drücken. Gelingt ihnen dies, dann Gnade ihnen Gott! Die
gegen uns anlaufen, sind erledigt. Die IVut könnt Ihr Euch
nicht vorstellen, die in uns steckt. Die Sorge um sich selbst bleibt
zurück. Man gehört nicht sich selbst, sondern als Glied eines
Ganzen dem Vaterlande, wir alle, auch Ihr. tPir sind eine
große Familie, die für ihr Dasein kämpft. Einige müssen sich
opfern, damit das Ganze leben bleibt, "wer den Tod stirbt für
eine gerechte Sache — in diesem heiligen Rriege stirbt, hat keine
Schuld mehr auf Erden. Hat man denn überhaupt einen Ver-
lust, wenn man das irdische -Leben durch den Tod verliert? Ge-
winm man nicht vielmehr durch den Tod das köstlichste, das
ewige "weiterleben? Ich kann den Schmerz einer Mutter nicht
ermessen. Ich kann ihn ahnen, er muß ungeheuer sein. Die
55
Mutter muß sich sagen, mein Sohn ist nur vorzeitig gegangen,
er Härte uns den vortritt lassen sollen. Nun er aber einmal fort
ist, gewöhne ich mich daran. Ich komme ja doch einmal wieder
mir ihm zusammen und dann für immer. Ich kann ihn zwar
nicht sehen, ich weiß aber, daß er doch immer bei mir ist. Ja, das
weiß ich ganz bestimmt, denn als er noch hier war, hat er mich
lieb, über alles lieb gehabt. Wie kam es doch, daß er fortging?
Ia so, wir harren Leinde, eine ganze Anzahl; sie beschimpften
uns und wollten uns Schande anwerfen, unsere Ehre, unser
Land nehmen und unser Leben aussaugen. IVir wären erstickt
worden, wie durch eine Schlange, wenn wir nicht "Widerstand
geleistet hätten. Das haben unsere Söhne voraus erkannt, und
darum haben sie sich zusammengetan und aufgemacht, ihr Le-
ben einzutauschen gegen das Leben ihrer Eltern.
Stehst Du, liebe Mutter, so mußt Du denken, verarge mir bitte
nicht, daß ich in die heiligsten Gefühle einer Mutter eingreife,
ich tue es, um Deine Sorge überwinden zu helfen. Ich bin froh,
daß ich mich durchgerungen. Ich bekenne, daß mir der Anfang
schwer, sehr schwer gewesen. Ich will siegen helfen, falle ich,
dann weiß ich, daß es für eine Sache wert war, das Leben da-
für einzusetzen. Darf ich zu Dir zurückkehren, um mit Euch
weiterleben zu können, so will ich Gott auf den Rnieen Dank
stammeln. Ich bin müde geworden, ein bissel ruhen mag ich, ich
fühle, wie sich langsam meine Hände finden, die Finger mein-
andergleiten: ich will zu meiner lieben, lieben Murrer zurück,
hörst Du mich wohl? Für Vater und Dich, liebe Mutter, die
herzlichsten Grüße von Deinem
Jüngsten.
*
Fritz Damköhler,
geb. 7. Juli 1886 in Helmstedt/Pr.,
gef. 27. Oktober 191$ bei Fay südw. Pöronne.
Io. Oktober I9l£.
Seit dem 8. Oktober trage ich nun das Eiserne Rreuz. Es ist
ein stolzes Ehrenzeichen. Deinen lieben Brief und das Paket
habe ich erhalten und mich sehr gefreut. Ich komme mir fast un-
56
dankbar vor, daß ich Dir so wenig schreibe. Aber Du glaubst
nicht, wie schweigsam man hier wird und wie einfach. Die Er-
lebnisse surren einem im Ropf herum, ohne daß man sie im Zu-
sammenhang auf Papier bringen könnte. Ordentlich seltsam
kommt einem auch die Sorge vor, von der Du schreibst und
Deine Liebe. So wird man hier draußen, das schönste und beste
Mädchen könnte mir begegnen, und ich schaute nicht zur Seite.
Unsere Liebe, das fühlt man, ist dieselbe, Nur kann man sich
nicht so hineindenken, wie früher im Frieden. Der Rrieg ist rauh,
nur Männer sieht man, und mit dem Tode liebäugelt man täg-
lich. Da liegt die Friedenszeit ferne, wie im Hebel irgendwo:
Du wirft mich verstehen. Seit dem 25. September liegen wir in
den Schützengräben immer wechselnd zwei Tage und zwei
dächte in der vorderen Linie und zwei Tage und zwei dächte
etwa 200 m zurück als Unterstützung. Das IVetter ist gut, nur
nachts ist es saukalt. Das Frieren und Zähneklappern hat man
schon gelernt. Gottseidank bin ich bei guter Gesundheit. In der
Gefahr halten die Leute zu mir, weil sie wissen, daß das, was
ich da mache, Hand und Fuß hat.
Nun kann ich ruhig sein, "was hat man im Frieden schon für
Sorgen gehabt! Jetzt will man gar nicht sterben und muß es
vielleicht doch. Du schreibst, Du wolltest mich besuchen, dann im
Lazarett. U?as seid Ihr Frauen für Geschöpfe. Lange würdest
Du wohl auf eine Nachricht warten. Am liebsten käme ich ge-
sund heim, aber wer weiß, vielleicht beißt man heute noch ins
Gras.
pöronne, 25. Oktober lyl4.
Du schreibst in Deinem Brief, wie wir hier draußen es nicht ver-
stehen können. — Friede! — Hinter uns liegt eine schreckliche
Spanne Zeit, und vor uns liegt die Gefahr. Feldbefestigungen
bei uns und beim Feind. Der Soldat weiß, was das bedeutet. —
Blut! — Schreckliche Rampfesmomente, ungeheure Erbitte-
rung und "Wut. Es naht sich wieder der 25. — Das heißt für
uns bisher «blutiger Tag».
Immer haben wir da die ärgsten Verluste gehabt und die
schwersten Gefechte. Jetzt paßt es gerade wieder, daß wir am
24. abends in die vordere Linie kommen. Möglich, daß wir am
25. die feindliche Stellung nehmen müssen. Allerlei Gedanken
57
gehen einem da im Ropf herum, und da drinnen will eine Ah-
nung nicht still werden. Aber zaghaft zu werden deshalb, gibt
es nicht; viel eher rennt man wild darauf los.
Von früheren Zeiten schreibst Du, von unseren schönen Wände-
rungen. Man liest es, man hört die Erinnerung, aber in der
Brust sitzt etwas, das einem das tiefe Gefühl abpreßt. Man hört
die Erinnerung. Und doch kennt man die alte Liebe, weiß, daß
sie nicht vorbei ist. Man ist äußerlich abgestumpft. Trotz allem
aber wandert man abends hinaus, wenn die Sonne zur Rüste
geht oder auch nur ein schwaches Schimmern eine Ahnung er-
wachen läßt von ruhiger Zeit im 'Weltensein. Dann weitet sich
wohl die Brust, und ein tiefer Seufzer erleichtert die Last, die
einen drückt. Min Bild der Heimat steigt auf. Für einen Augen-
blick flutet das Licht sonniger Zeiten durch die Sinne, aber gleich
möchtest Du die Hand schattend über die Augen legen; denn das,
was sich da regt, ist so übermächtig, es droht, Dich zu ersticken.
Weich werden ist nichts für einen Mann, und gleich kommt ganz
ungerufen der Gedanke an die kurz bemessene Frist. «Wie lange
noch?» Du siehst die Rameraden, wie sie sich winden in gräß-
lichen Schmerzen, wie sie heldenhaft einer den andern verbin-
den und der eine mit zerschossenem Bein sich stützt auf seinen
Rameraden mit wundem Arm. Das Gewehr als Rrücke, so
wandern sie zurück. Halbverbrannte Granattrichter und aus
schwarzer Vlacht hörst Du den durch Mark und Bein gehenden
Hilferuf eines Schwerverwundeten — dort aber liegt vorge-
schoben der Feind.
vom Schützengraben habe ich rückwärts geschaut auf den gro-
ßenWald des Schlosses D.— Mchen,Arlen, Buchen, Ahorn ge-
mischt. Auf allem die Vkrobersonne an einem stillen, warmen
Herbstnachmittag, wo daheim noch der Altweibersommer silbern
durch die Luft zieht und mit feinen Fäden Gedanken spinnt, die
weit hinauseilen in die Zukunft und aus der Gegenwart man-
ches ergründen wollen. Wohl zog auch da Ruhe durchs Gemüt.
Wie sonnig war das Bild der Heimat, das da im Geiste aufstieg.
Jugendzeit und Jahre der Reife! Im Fluge ziehen sie vorüber
und sind doch beständig durch den Hauch der Erinnerung, die
als letztes immer bleibt, tröstend, belebend und mahnend.
Solch lange Zeiträume gleiten im Augenblick dahin, nur dies
kleine «Wie lange noch?» will Dir nicht aus dem Sinn, überall
58
einmal taucht es auf, gerade dann, wenn Du es nicht brauchst,
und legt sich Dir auf das Gemüt. Brauchst Dir keine Mühe zu
geben, es abzuleugnen und abzuschütteln. Du bist Mensch und
kannst dem, was menschlich ist, nicht entgehen. So wenig Du
Dich zu schämen brauchst, Deiner -Liebe zu Gott und zu Deiner
Mutter, so wenig brauchst Du unruhig zu werden bei den, Ge-
danken an Deine Frist. Die Pflicht kennst Du und niemals wür-
dest Du Dich ihrem schweren Rufe entziehen. Y7tm glaubst Du
es nicht, daß wir «einfach» geworden wären hier draußen? ver-
giß nicht, daß dieser Brief seit dem August zum erstenmal wie-
der einen Überblick oder einen Ausschnitt gibt, und daß er nach
sechs Tagen (Quartier geschrieben ist. Da kommen Augenblicke,
wo es einen zum Schreiben drängt. Dann ist für lange Zeit
Ruhepause. Gleich, als schriebe man sich die Seele rein von aller
Last. Nur verständlich den verwandten Seelen, die nicht im
Alltag allein Genüge finden, sondern bei Gelegenheit mit wah-
rer Gier höher hinaufsteigen, dorthin, wo Stille herrscht und
ein ruhiger feingestimmter Ton der Seele den langgesuchten
Frieden gibt.
*
Wilhelm Messerschmidt,
geb. 26. Mai 1878 in 'Werdorf bei Wetzlar,
gest. 20 Oktober 1933 in Hagen-Haspe/A?estf.
Im Schützengraben bei Lens, 24. Oktober 1914.
"wir haben unsere 21 Toten vorgestern an den letzten Häusern
von Lens begraben. Nebeneinander liegen sie hier, ihre letzte
Ruhestätte ist mit Rreuzen, welche die Vlamen tragen, mit Hel-
men, Topfpflanzen und Blumen von liebevoller Rameraden-
Hand geschmückt. Zunächst der Straße ruht der Gefreite Baey,
im bürgerlichen Leben Pfarrvikar. Als letzten legten wir zur
Ruhe in fremder Mrde den Gefreiten Royken, geboren in Ant-
werpen, hatte bereits zehn Jahre in der Fremdenlegion gedient,
war im August auf der -Landstraße aufgegriffen und in die
Rompanie eingestellt worden. Dank seinen Sprachkenntnissen,
seinen Erfahrungen im Rriege, im Requirieren, Rochen usw.
war R. meine rechte Hand geworden und für mich in unüber-
59
trefflicher Weife besorgt. Für seine Tapferkeit und Umsicht na-
mentlich auf gefährlichen parrouillengängen hatte er das iLi-
ferne Rreuz erhalten. Am Dienstag überbrachte er tron wieder-
Holter Warnungen in der Feuerlinie aufrechrgehend die Befehle,
bis er von drei Herzschüssen getroffen wurde. Für seine Rame-
raden gab er das Leyte her, und es will mir scheinen, daß er
unter die verheirateten sogar seine Löhnung verteilt hat. Denn
als man mir außer der Erkennungsmarke auch den Geldbeutel
brachte, fand ich darin nur das iL. R. und einige Pfennige. Und
Gelegenheit zum Geldausgeben hatte er in keiner Weise. Mir
tut der arme Rerl, der weder Heimat noch Angehörige kannte,
besonders leid, unter den neuen Verhältnissen scheint er ein
neues Leben beginnen zu wollen.
*
Friedrich Tröller,
geb. II. Dezember 1876 in Merlau.
Santes, Z0. Oktober Ipl5.
Hätte gern schon längst einen Brief geschrieben, aber die Zeit er-
laubte es nicht, und wenn manchmal die Zeit da war, dann war
ich so müde zum Umfallen und Herz und Ginnen waren nicht
beieinander zum Schreiben. Ach was ist das Iammer und iLlend
hier in Frankreich durch diesen unglücklichen Rrieg! Rommt
man durch ein Dorf, so stehn die Mütter in den Türen mit
einem kleinen Rind auf dem Arm, und die andern stehn da-
neben und halten sich an der Mutter und schauen die fremden
Soldaten neugierig an. Vorige Woche machten wir bei einem
Dorf Halt, da standen auch Frauen und Rinder, es zog mich zu
ihnen hin, ich umfaßte das Rleine, es war so klein wie Anna,
und hob es in die Höhe. Die Frau schaute mich mir Tränen in
den Augen an, ich verdeutschte es ihr, daß ich auch solche zu
Hause hätte, sie antwortete mir, daß ihr Mann auch parti
guerre sei, d. h. er ist auch im Rrieg. Und keine Nachricht hat
sie von ihm erhalten, es ist schrecklich. So geht es beim Feind
und beim Freund.
*
60
August Schlosser,
geb. 9.Dezember 1877 in Zell.
3. November ly!4.
Ihr Lieben habt keine Ahnung, was Rrieg heißt, das habe ich
erst jeyt in den Tagen erkannt. Mein Gemüt war zu weich, aber
wenn die Not an den Mann geht, wird es von selber anders.
Ich habe schon manchen Mann und manche Frau unter Tränen
gesehen, und mein Her; ist sofort bei Much zu Haus. Aber Hunger
lernt Rohlen kauen. Da wird ein Huhn, eine Gans vom Hof
weggenommen und gekocht mit Rartoffeln, es ist ein Essen, ich
hätte mein Lebtag nicht geglaubt, daß so täglich Brot eine
große Gabe ist, und hier mitunter so wenig vorhanden, den
einen Tag im Uberfluß, 2—3 Tage später hätte man gern,
wenn da wäre.
Liebe Frau, hast Du die Brosche von "Wiesbaden erhalten mit
meinem Bild? Wie steht es bei Euch zu Hause, könnt ich nur
mal eine Viertelstunde nachschauen, wie ist es mit der Rlauen-
seuche, seid Ihr noch davor bewahrt? weit ist der weg zwischen
Dir und mir, aber unsere Gedanken weilen doch zusammen über
Berg und Tal, Feld und Wald, unter dem großen blauen Him-
mel, wo unser lieber Gott "wache hält über alle Menschen, so
auch über mich und Euch in der Heimat.
*
Rurt pleni 0 ,
geb. 21.Mai I89I in Elbing,
gest. 28. August 1919in Reinickendorf b. Berlin.
Oberhausen, 26.Oktober I9I£.
Hach kurzem Feldzug bin ich nun wieder in Deutschland, wegen
einer recht unbedeutenden Verwundung. Ihr könnt Euch den-
ken, wie sehr mich diese Unterbrechung ärgert, aber man muß
sich drein finden und damit trösten, daß sie hoffentlich bald ein
Ende haben wird.
Vlach dreitägiger Bahnfahrt wurden wir am Donnerstag vor-
voriger Woche ausgeladen, und bis Sonntag ging es ganz gut.
Montag morgen ahnungslos abmarschiert— bisher bewohnte
61
Dörfer — jetzt fangen verödete an, man begegnet Flüchtlingen.
Abends Einmarsch in Roulers, totenstill, brennende Häuser.
(Quartier in einer Schule.
Dienstag früh, rodmüde noch und hungrig, wieder raus. Die
Spitze der gesamten, vorrückenden Rolonne wird nun von uns
23 gebildet, und zwar marschiert als erste Abteilung unseres
Regiments die lo. Rompanie. Diese wieder schickt ihre ersten
acht Mann als Töte voraus, also ich mit dabei, sozusagen mit
der VTäse im Hintern des Leindes. Eben wollten wir durch ein
Dorf rücken. Da geht's von vorn, rechts und links und schräg
oben von den Bäumen und aus einer Windmühle los — pscht,
sst — die ersten Rugeln in größerer Anzahl umpfeifen uns.
Unter leichten Verlusten dringen wir vor, ohne selbst schießen
zu können, da wir nichts vom Leinde sehen. Das ist überhaupt
der springende Punkt: die französische Infanterie versteht sich
glänzend auf Geländeausnutzung, schießt und sieht, ohne ge-
sehen zu werden. Auf dem Bauch kriechend, besetzen wir eine
Höhe, da schlagen die Schrapnells hinter uns ein. Heute scha-
den sie uns gar nichts, im Gegenteil, als es dunkel ist, ver-
stummt das feindliche Infanterie- und Artilleriefeuer, langsam
sammeln wir uns und rücken weiter vor, auf das Dorf Poel-
kapelle, wieder mit aufgepflanztem Seitengewehr, weiße Bin-
den am Arm, damit wir uns bei dem Nachtgefecht gegenseitig
erkennen können. Die lo. Rompanie wieder vorn. Aber auch
dies Dorf hat der Feind verlassen. Gottseidank, nun können wir
(Quartier beziehen, nach all den Anstrengungen und neuen Auf-
regungen schläft man fast im Stehen. Da der Befehl: Zum vor-
postendienst — lo. Rompanie.
Also los! Eben wollten wir an unsere Plätze rücken, es ist schon
*/J2llhr nachts geworden, da geht wieder das feindliche Ge-
wehrfeuer los. Alle Mann ran — zwar verstummt es bald —
aber nun müssen wir die ganze Nacht hindurch arbeiten, tiefe
Schützengräben auswerfen. Es hat etwas Unheimliches, dies
nächtliche Graben und "Wühlen mir dem Spaten in der Hand
und dem Gewehr daneben, Leinde in Uberzahl vor sich und
selbst dabei total erschöpft. Nach dieser Nacht gehen wir mor-
gens aus dem Dorf wieder raus, um an ihm in anderer Rich-
tung wieder vorbeizuziehen. Es geht glatt vor. Endlich ein
Gefecht — Sturm auf ein Dorf. Um lo Uhr vormittags ver«
62
stummt das Geprassel, weiter geht's in breiter Front. Um 11
Uhr bekommen wir mörderisches Leuer — zunächst haben wir
an Gehöften und Hecken Deckung, dann aber rasen wir im
Laufschritt über freies Gelände, die Rugeln pfeifen um uns,
aber man hört sie kaum noch — «Hinlegen» — «vorwärts —
Sprung», so geht's eine Weile — bis wir auf einen Fleck ge-
raten, wo wir nicht mehr weiter können, so toll ist das feindliche
Feuer. Und kaum liegen wir fest, da geht der Schrapnell- und
Granatenhagel los, dicht um uns schlagen sie ein, uns mit Erde
überschüttend und manchen gräßlich verstümmelnd, vor ging's
nicht mehr. An «Zurück» denkt keiner, also liegen bleiben — da
bekommen wir zum Überfluß auch noch von links Schrapnell-
und Gewehrfeuer — und eine Zeitlang platzen die Granaten
der eigenen Artillerie in unseren Rethen. In dieser Situation
— dabei immer vom Feinde nichts zusehen — liegen wir von
Mittag bis gegen x/27 Uhr abends. Es sind die fürchterlichsten
Stunden gewesen, die ich kennen gelernt habe. Ja, wenn wir
wenigstens hätten stürmen können! Aber so, ohne selbst schießen
zu können, hingemordet werden — schließlich wurde man Gott-
seidank so kalt und hundeschnäuzig, als wenn man im Zimmer
läge. Ich bin — und so ist es anderen auch ergangen — vor
Übermüdung mitten im Feuer eingeschlafen. Selbst das Ächzen
und wilde Aufschreien der Schwerverwundeten hört man nicht
mehr. Meinen Schuß bekam ich gegen 2 Uhr — es war wie ein
kurzer, brennender, elektrischer Schlag — kleine Munde links
am Fußrande. Um 1/27 Uhr kam der niederschlagende Befehl:
«Das Bataillon zieht sich zurück». Da ich nicht den Verfolgern
in die Hände fallen wollte, so schleppten Rameraden mich zurück
— es scheinen überall furchtbare Verluste gewesen zu sein. Die
zersprengten Trümmer sammelten sich zu neuem Angriff, mich
lasen Artilleristen auf, hoben mich auf einen Gaul und legten
mich im Vorbeigehen auf einem Verbandsplay nieder. Hier
spät in der nacht wurde ich verbunden von einem Stabsarzt,
der unsere eisernen Portionen zusammenkochen ließ, so daß wir
endlich mal was essen konnten. Dann herrlich auf Stroh ge-
schlafen. Draußen natürlich lebhaftes Gewehrfeuer und Ra-
nonendonner, aber daran gewöhnt man sich.
*
Günther Frost, unbekannt.
Sonnabend, den 2£. Oktober Iyl5.
Der Rrieg ist etwas Furchtbares. Als Rinderspiel habe ich ihn
mir nie vorgestellt, gewiß nicht, aber so blutig und scheußlich
doch nicht. Ich erwähnte ja auf der vorigen Rarte jenen furch-
terlichen Mittwoch, den 21.Das war kein Rampfmit gleichen
IVaffen gegen einen unsichtbaren Feind. Ich habe noch keinen
Engländer oder Franzosen gesehen. IVir stürmten vor, der
Oberleutnant von Bonin immer vorausgeschwärmt, zugweise
ging's vor in Sprüngen von Feld zu Feld, von Gehöft zu Ge-
Höft. Längere Zeit pfiffen die Rugeln zwar heftig, aber nie-
mand wurde getroffen, sie gingen über uns hinweg. Dann ging's
weiter bis an jenes verhängnisvolle Gehöft, wo als einer der
ersten unser Oberleutnant fiel: «Ich kann nicht mehr, ich bin
verwundet, vorwärts Rinder». Da sprang ich weiter in einen
Graben hinein mir einem verwundeten Unteroffizier. Eine halbe
Stunde ganz allein schoß ich auf den unsichtbaren Feind, dann
kamen Freunde. IVir bildeten eine Gruppe und vorwärts ging's,
Sprung auf, marsch, marsch, in zwei, in drei Sprüngen war ein
Gehöft erreicht, es schien leer zu sein, wir steckten es an und
legten uns in eine Strohmiete davor, weiter konnten wir nicht.
Ratlos lagen wir da vorn. Die verwundeten stöhnten, die
Toten starrten uns an, wir sahen keinen Feind, harten ganz un-
gedecktes Feld vor uns, wußren nicht, ob Freunde zur Unter-
stüyung in der Nähe, ob Freund oder Feind schössen. *£« war
spät, die Rugeln pfiffen von allen Seiten, wir mußten zurück.
Ganz zerschlagen und niedergeschlagen sammelten wir uns
am nächsten Morgen. 70Mann waren von der Rompanie
noch übrig, $0Tote, die übrigen verwundet. Rompanieführer
wurde ein Feldwebel, bewährt in afrikanischen Rämpfen, ein
einziger Unteroffizier steht neben ihm. Der Graf von IVinzin-
gerode von der y. Rompanie ist auch tot. Und das hatte uns
ein Nachmittag gebracht. — — IVir sind langsam weiter
vorgegangen, haben Schützengraben auf Schützengraben auf-
geworfen, sechs Tage weder geschlafen noch uns gewaschen.
Wir werden wohl noch längere Zeit vor diesem verfluchten Dix-
muiden liegen. Die Post geht ab, lebt wohl. Mutti, ich gratu-
liere Dir auch zu Deinem Geburtstag, solchen hast Du wohl
auch noch nicht erlebt? Schadet nichts. Der Sieg muß unser
doch werden.'
*
Otto Olde,
geb. 26.Januar 1894 in Seekamp, Reg.-Bez. Schleswig,
gef. 16.März 1918 bei Douai.
23. Oktober 19*4.
Wir stehen in einer wahnsinnigen Schlacht. Der Feind will ver-
hindern, daß wir den rechten Flügel unseres Heeres unterstützen,
und wehrt sich verflucht. Schon den dritten Tag jetzt. Verluste
haben wir bei uns noch nicht, aber unsere Infanterie leidet sehr.
Ich sage *£uch, das ist imposant. Nervös macht einen nur das
ununterbrochene Infanteriefeuer. Man muß denken an das
Blut, das da fließt. Wir haben doch einen stärkeren Feind, als
wir dachten. Auch heute noch geht der Rampf fort mit derselben
Wut. Seit ein paar Stunden stehen wir im feindlichen Ar-
tilleriefeuer. Sie schießen schlecht. Die Schrapnells explodieren
teils gar nicht, teils zu hoch. Man hat gar keine Angst vor
ihnen.
Ganz gemein ist das Gelände hier. -Leicht wellig, und dann so
mannigfach mit Bäumen, Hecken, Gehölzen, Häusern bestan-
den, daß man nie Aussicht hat und den Feind nicht sieht. Das
erschwert den Rampf sehr und erleichtert unsere eigene Dek-
kung.
Eben schreibe ich das Wort, da pfiff es laut, und eine englische
Granate schlug dicht hinter uns ein. Dann noch eine und mehr.
Reine tat uns etwas, außer daß sie uns mit ein wenig Dreck be-
warfen. — Jetzt nachmittags gehen die Engländer weiter zu-
rück nach Westen und geben die Stellung an einem Ranal
scheinbar auf. Die Heftigkeit des Rampfes wird allmählich et-
was geringer.
24. Oktober 1914.
Der Rampf wird immer doller. Gestern war erst der Anfang.
Von da an gab unsere Batterie das Feuer auf, und die feind-
lichen fingen an, und nicht zu knapp. Sie haben es verflucht mir
5 D. d. S.
65
Fliegern weg. Gestern nachmittag, kaum war ein Flieger über
unseren Röpsen unbeschossen vorbeigeflogen, so kamen nach
fünf Minuten, ohne daß er herunterging, auf der Stelle, wo
wir standen, die Granaten an und gleich in Gruppen zu vier
Schuß. Unsere Proyen rückten unbeschädigt aus. Ich stand
dicht hinter einer Eiche aufllVinkerverbindung. Da fing es aber
an zu krachen. Immer dahin, wo unsere Proyen gestanden hat-
ten. Ich bekam nichts ab. Aber ohne Aufenthalt krachte, sang
und pfiff es um mich herum. —
Gegen unsere Artillerie haben sie nichts ausgerichtet wegen des
Geländes. Nur eine Batterie hatte sich zu weit vorgewagt und
hatte Verluste. Unsere Infanterie mußte zurückgehen im Laufe
des Nachmittags und Abends. Die Feinde beabsichtigten, hier
einen Durchbruch zu machen. In der flacht haben wir bei den
Gefchüyen gelegen. Es war sternenklar, aber diesig ist es hier
immer. Zweimal versuchten die Feinde einen Durchbruch. IVahn-
sinniges Infanteriefeuer! "wir saßen schußbereit an den Ge-
schützen. Es wurde telefoniert, die Infanterie ging zurück, aber
sie schlug dennoch die Angriffe zurück. 120Engländer fingen
wir gestern. Der Druck wird jetzt stark; die Infanterie ist über-
müdet, hat viele Verluste, "wir sollen ein Armeekorps zu Hilfe
haben. Das ist in Gent, 50 km etwa von hier, ausgeladen, "wir
brauchen es aber auch nötig.
Jetzt eben sausen wieder schwere Granaten mit lautem Gingen
über uns weg und explodieren gar nicht weit hinter uns. Ivir
werden gleich in den Reller der Rate krabbeln, wenn diese Sorte
anfängt, näher zu kommen. — Wir kochen uns hier ein schönes
Stück Schweinefleisch. — Im allgemeinen ist der Rampf heute
ruhiger. Das wäre ein Spaß, wenn wir die ganze Bande ge-
fangen nähmen, aber wir dürfen sie nicht durchlassen.
Das schrieb ich Sonnabend. Jetzt Sonntag mittag wunderbarer
warmer Herbstsonnenschein. Die Schlacht ruht. Aber diese
Nacht, da hat es was gegeben. — Als es kaum dunkel war,
neblig war es auch, da fing der Feind den Durchbruchsversuch
an; auf der ganzen Linie ein Gewehrgeknatter, wie ich es mir
nicht geträumt hatte. Etwas so Gewaltiges habe ich noch nicht
erlebt. Das Bewußtsein hatte ich: wenn sie durchbrechen, ist der
Schade für Deutschland nicht zu berechnen. Der Angriff war
wahnsinnig und lange anhaltend. Dazwischen blitzten und don-
66
nerten unsere Ranonen. Rilometerbreit war der Angriff, ätin
Tumult sondergleichen in der -Luft. Auch uns umpfiffen die
Rugeln. Und dann die Aufregung, ob Unsere es durchhalten
würden. — Endlich ließ das Unwetter etwas nach. Mir schien
es in derselben Entfernung zu sein. YDir hielten mit den Proyen
hinter einem Wald in der Nähe der Batterie, die schwieg. Eine
Stunde etwa hatte es gedauert; unsere Leute hatten es gehal-
ten. Ich schmiß mich auf Stroh in einen Graben mit Mantel
und Zeltbahn bedeckt und schlief. Um Uhr ging's wieder
los mit der gleichen Gewalt, wieder das Rnattern, Sausen,
Blitzen und Donnern. Ab und zu lautes Schreien der Angreifer.
Aber wir hatten schon mehr vertrauen, zumal da ein Regiment
Bayern und ein Bataillon Seewehr angekommen sein sollten.
Nach einer halben Stunde hörte es auf. Um 2 Uhr fing es aber-
mals an mit großer Heftigkeit, und der letzteversuch wurde um
4—Uhr gemacht. Alle wurden ausgehalten. Es steckt doch
Zähigkeit und Rraft in unseren Leuten. — Gestern nachmittag
wurde unser Abteilungschef von einer Granate getroffen, tot.
Unser erster Verlust. Er hat drei Söhne hier in der Abteilung.
Er deckte sich nicht genug. Gute Deckung ist hier Pflicht. Unser
Oberleutnant ist ein feiner ruhiger Mann. Er sitzt jetzt bei uns
am Geschütz, ganz gemütlich, und schnackt.
2. November I
Sehen kann man vom Feind gar nichts, hier in diesem Gelände,
da alles platt ist wie ein Teller und doch von Büschen und Bau-
men und Rnicks durchzogen, wir — unsere Division — bilden
ungefähr das Zentrum dieser Armee. Der Hauptkampfplay ist
das Dorf Langemarck, das unsere Infanterie mehrfach zu er-
stürmen versucht hat und wir ganz jämmerlich zusammenge-
schössen haben.
November
wir bekamen einige Zeitungen zu sehen. Da stand schon viel
von unserer Schlacht. Und ein Brief von Albrecht von würt-
temberg wurde uns verlesen, daß hier bei Langemarck die
Hauptentscheidung des Feldzuges fallen müßte. — Wir standen
die letzten Tage einem sehr starken Feind gegenüber und saßen
fest. Es war hauptsächlich Artilleriekampf; wir bekamen starkes
5* <57
Leuer vom Feind. Mehrfach sind, als wir Deckungen gruben,
dicke Birnbäume niedergeschlagen, oder als wir Botengänge
machten, sind die Schrapnellkugeln dicht neben uns in die Erde
gerasselt, ein bis zwei Schritt entfernt. Aber man erschrickt gar
nicht mehr. Die Infanterie konnte nicht weiter vor, und nun
war es an uns, die feindlichen Schützengräben und Batterien
lahm zu legen. Dasselbe versuchte der Feind, aber ohne Erfolg,
denn es traf nur arme Rühe, Rälber und Ziegen, sogar Tauben,
die heimatlos über Äcker irren.
Gestern nacht von 2—3 Uhr ging ich IVache. Es war eine gött-
lich klare Vollmondnacht, der andere Posten schrieb Postkarten;
so hell war es! Am Abend war die Meldung gekommen, der
Feind wolle diese flacht wieder einen Durchbruch machen. Aber
alles war mäuschenstill. V7ur von ganz fern klang das leise
Rollen schwerer Geschütze herüber wie ein heranziehendes Ge-
witter in einer Sommernacht. Ab und zu schössen vorne in den
Schützengräben die Posten. Die VJacht war dem Feind zu hell
zum Angreifen.
Ein warmer Tag war gestern, und einen schönen Abend habe
ich verlebt. ?n einer von der Abendsonne beschienenen unten
schwarz, oben gelb gestrichenen kleinen Rate mit grünen Fenster-
läden kochten wir uns Raffee und hatten einen weiten Ausblick
über das flache, reich mit Bauernstellen, Raten mit Baum-
reihen und Hecken besetzte Land. Das alles sah so friedlich und
fruchtbar aus. Und doch haben wir seit drei lochen nur zehn
Belgier gesehen. Das ganze £<wt> ist verlassen und durch und
durch mit deutschem Militär besetzt. Jedes Haus betrachtet man
als sein Eigentum und richtet sich darin ein, schlachtet das Vieh,
kocht Rartoffeln und Gemüse aus dem Garten. Die Milch der
Rühe ist leider schlecht geworden, da das Vieh zu lange nicht
mehr gemolken wurde. Das Rorn,das dieBauern noch glücklich
geborgen hatten, ehe der Rrieg zu ihnen kam, wird jetzt wieder
aus den Scheunen und Diemen herausgerissen und in die Bat-
terien und Schützengräben geschleppt. Unsere Rameraden, die
Schleswiger Bauern, reden den halben Tag von dem Schaden
für dastand und freuen sich, daß das bei uns nicht ist. Viele von
ihnen haben mächtiges Heimweh, das Rriegsleben will ihnen
nicht gefallen. — Heute morgen dichter Vtebd. Nicht weiter wie
hundert Schritt kann man sehen.—Vlun adio! AuflViedersehen!-
68
Wenn wir hier noch vierzehn Tage brauchen, werden wir dann
wohl mir Frankreich bis Weihnachten fertig fein? Wird's dann
Frieden geben? Vder werden wir noch Großes gegen England
unternehmen?
8. November
Heute Sonntag. Es herrscht eine ziemliche Ruhe im Rampf.
Ein herrlicher Herbstmorgen. Durch den Nebel, der noch dick in
dem roten Laub der Buchen über den Teichen und Wiesen des
Parkes liegt, scheint gelb die Sonne. Die Nacht war kalt. Heute
morgen, als wir in der Schloßküche Raffee kochten, läuteten
plötzlich die Rirchenglocken ein paar Schläge und auf dem Har-
monium spielte einer ein Rirchenlied. — So aufreibend und
gräßlich der Rrieg sein kann, so hat er doch seine schönen und
genußreichen Stunden. Aber auch an das Schreckliche gewöhnt
man sich sehr, z. 23. die schweren Verwundungen, und selbst der
Tod, verlieren mächtig an Furchtbarkeit, die sie erst für einen
hatten. Man weiß, daß man auch jede Minute eine kriegen kann.
Und gerade die, die die meiste Angst hatten, hat es schon mehr-
fach bei uns getroffen. Man wird gleichgültig. Und wie mir geht
es vielen.
ls. November
Seit heute morgen großer Sturmangriff. Wir haben den gan-
zen Tag mit guter Wirkung dazwischen gefeuert. Unsere Beob-
achter im Schützengraben lenkten unsere Schüsse direkt in die
feindlichen Gräben hinein, wo die Schwarzen in Massen schie-
ßen und schaufeln. Auch ein Maschinengewehr haben wir in
Dutt geschossen. Aber nun hat uns die feindliche Artillerie ent-
deckt, hat die genaue Entfernung und Seitenrichtung und uns
schon ganz doll welche hergeschickt. Wir sitzen beständig in Dek-
kung, und wer nur ein wenig was rausgucken läßt, kann darauf
rechnen, daß er was abkriegt, viele Schrapnells platzen über
unseren Schilden, und dann prasselt es man bloß so auf den
Stahl und in den Rasen, und große Sprengstücke und ganze
Granaten flogen eben über uns weg in den Wassergraben hin-
ter uns und werfen große Wassermassen auf. Wir haben jetzt
Feuerpause, sitzen hinter den Geschüyschilden und lachen und
schimpfen, wenn es recht toll hagelt. — Das wollte ich Dir schon
69
längst mal sagen, Papa, ich ärgere mich, daß ich zur Artillerie
gegangen bin und nicht zur Infanterie. Da gibt es Begeisterung
und Mut und Vorsicht und auch iLlend, aber bei uns bedienen
wir eine Maschine, stellen Zahlen ein, die uns diktiert werden,
sehen nichts vom Feind und nicht, was wir treffen, es fei denn
einen Rirchturm. Und ausgehalten hätte ich die Strapazen drei-
mal. Die Infanterie ist und bleibt das deutsche Heer.
12.November I9l£.
Die Infanterie hat es schlimm. Ich bin vorgestern bis gestern
abend bei Regen im vordersten Schützengraben gewesen bei un-
serem Telefon. Da kann man sie achten lernen, unsere Infante-
risten. In Stockfinsterheit kam ich an. ßtin natürlicher Graben
zwischen zwei Roppeln, Weiden zu beiden Seiten, und in die
Wände hatten sie sich Köcher hineingebuddelt, so niedrig und
klein, daß man sich eben drin zusammenrollen konnte. In eini-
gen stand schon Wasser, die anderen waren alle besetzt. Was
sollte ich machen? Hinlegen konnte ich mich nicht, denn die Zu-
aven uns gegenüber schössen ganz doll herüber. Aus dem näch-
sten feindlichen Graben — hundert Schritt entfernt — hatten
wir sie mit unseren Granaten herausgeholt, da lagen die Toten
haufenweise übereinander, manche noch lebend, arme Rerle,
Tunesier — ich war am nächsten Tag drüben. Nun hatten
sie sich weiter zurückgezogen und beschossen uns von da. — Als
es hell wurde, konnte man die Feinde in einer Entfernung von
800 m an einer Chaussee arbeiten sehen. Unsere Batterie schoß
dann auf die Allee; wir konnten die Schüsse fein beobachten,
sie platzten gerade über der Chaussee, und sie wirkten grausig.
— In unserem Graben waren zwei Rompanien, ein Jammer
ist das. 60Mann waren es, das ist der Rest von 500, ein abge-
matteter elender Rest. Diese zwei Rompanien sollten nun vor-
gehen gegen den wenigstens fünfmal so starken Feind. Sie gin-
gen vor, immer 16Mann auf einmal in Wellen. Die Leinde
fingen an zu schießen, trafen wenig. Aber dann kam aus der
Flanke Artilleriefeuer. Unsere Soldaten schmissen sich hin. Ich
sah die Geschosse hereinhauen. Nachher kamen Verwundete zu-
rück. Alle Unteroffiziere, Feldwebel, Offiziere gab's nicht mehr,
waren tot und viele Mannschaften. Ich ging in der Zeit durch
die verlassenen feindlichen Gräben, da lagen all die Toten. Im
70
Wasser teilweise, braune Rerls, Arme und Beine abgeschossen,
wohl 80, und von unseren auch einige dazwischen. —- Unsere
Infanterie, die zwei Rompanien sind verschwunden. — Am
nächsten Morgen — Hans hatte mich abgelöst — war der Gra-
ben wieder voller Feinde. Und so ist das, mit unseren elenden
aufgeriebenen Regimentern können wir nichts mehr machen
gegen diese Menge Leinde. Ein Elend ist das, ein Jammer, so
viele Menschenleben, und doch kommen wir nicht weiter. Hof-
fentlich kommt bald ordentliche Verstärkung.
*
Hans Olde,
geb. Z. Dezember 1895 in Seekamp, Reg.-Bez. Schleswig.
Bei Bixschoote-Langemarck, 7. Dezember 1<?W.
Regen, Regen, Regen! — Die endlose graugrüne wiesenebene
mit weiten, seeartigen Überschwemmungen — wie weiße La-
ken. überall verstreut, griesgrämige weidenbäume. Vor unse-
rem Geschütz stehen sie rund um einen schwarzen Tümpel im
Rreise mit ihren Rapotthüten wie alte Tanten beim Rondo-
lenzbesuch. — In der Lerne eine endlose, langweilige Pappel-
reihe, alle nach einer Seite schief. Regen und noch einmal Regen;
alles grau in grau, nur ein paar schwarze Rrähen am Himmel.
Stier und stumpf steht man am Geschütz herum. Im Unterstand
— natürlich Wasser. Rechts vor uns liegt ein niedergebrannter
Bauernhof. Vlur zwei rauchgeschwärzte Giebel stehen noch mit
öden Lensterhöhlen. Das ist unsere Stellung nach den Ruhe-
tagen. — Aber wie wir dahin gekommen sind! Darüber könnte
man allein zehn Seiten schreiben. — Die vlämischen Straßen
sind jetzt in einem fürchterlichen Zustand, wir brauchten von
abends um 7 bis nachts um 2 Uhr, um eine Strecke von wenigen
Rilometern zu überwinden. Diese Straßen sind breit, sehr breit,
aber nur in der Mitte gepflastert, so daß sich zwei Lahrzeuge
gerade nicht mehr begegnen können. Die Sommerwege zu bei-
den Seiten bestehen aus unergründlich tiefem Schlamm, wer
mit seinem Lahrzeug vom Pflaster herunter kommt, muß ret-
tungslos versinken. Na, wir kamen gar nicht erst herauf mit
unseren kranken Pferden, da saßen wir schon bis zu den Achsen
71
im Dreck. Andere Pferde vor! Munition raus! Da ging's. Hei-
dih! rasselte der leere IVagen in der Dunkelheit davon. Wfe
mußten die Geschoßkörbe hinterdrein schleppen. Da fing es mitt»
lerweile an zu regnen. Ordentlich in den Mantel gehüllt, Rra«
gen hoch, so sitzen wir drei dann wieder auf der protze. Gott er--
halte uns aufdem Pflaster! Eine Zeitlang ging's gut. plötzlich
— ein Stück hinter Ionkershove — stoppte der Rram. "wie
hielten auf der Straße und warteten, und als wir genug ge»
wartet hatten, hielten wir immer noch und standen und standen.
Ein Höllenwetter war aufgekommen, ein kalter, starker, alles
durchdringender "wind mit nadelspitzem, feinem Regen, der wie
Eisnadeln uns ins Gesicht sprühte. Ich schlief ein. Als ich wie-
der zum Bewußtsein kam, hielten wir immer noch. Aber endlich
ging's weiter. (!) weh, herunter von der Straße auf den Acker.
Da wurde es gleich so tief, daß wir nach zehn Schritten fest-
saßen. «Ranoniere abgesessen!»Da standen wir nun aufdem
matschigen Acker und guckten uns gegenseitig an. von Zeit zu
Zeit zog man seine Füße glucksend aus dem Dreck und setzte sie
wieder oben auf. Dann kam der Ruf «Ranoniere nach vorn!»
Das vierte Geschütz saß fest. Ein Rad war fast ganz versunken,
das andere stand hoch auf der Straße. Zehn Pferde davor, peit-
schenhiebe, Lärmen, Schreien, die Hufeisen knattern auf dem
Pflaster, daß die Funken stieben. Und das Geschütz rührt sich
nicht. Ein Pferd kommt dabei in Räder und Balkenwerk eines
gänzlich versunkenen Fuhrwerks und verrenkt sich das Hinter-
bein. Feldküchen zwängen sich vorbei, um der hungrigen, durch-
näßten Infanterie in den Schützengräben eine warme Suppe
zu bringen. Die Pferde werden ausgespannt. Sie schaffen'? doch
nicht, wir müssen dran. V*a, dann mit Hebebäumen und -Lang-
tauen hinab in den Pfuhl. Der Schlamm ist mir oben in den
Stiefelschaft gelaufen. Man greift mit dem Ärmel bis an die
Schulter in den Schlamm, um die Speichen zu fassen. Zu —
gleich, zu — gleich, und wir ziehen, heben, schieben aus -Leibes-
kräften. Sie rührte, hob sich und bald hatten wir die Ranone
auf der Straße stehen. Zurück zu unseren Munitionswagen, die
wir vom Acker auf die Straße zurückbrachten, erst nachdem
wieder sämtliche Munition ausgepackt und durch den zähen
Schlick hinterher geschleppt war. Beim «Herzog von Brabant»,
einem Gasthaus an der Straße (in Friedenszeit) saßen wir noch
72
einmal fest, noch zweimal in dieser Nacht, und haben im ganzen
viermal Munition aus- und eingepackt. Aber wir kamen in
Stellung, nachdem wir das Geschütz noch zum Schluß durch ein
Stück Überschwemmung schieben mußten. Der vorhandene Un-
terstand sah ganz nett aus, aber darin quoll das "Wasser rund
herum bei den Füßen aus dem Stroh. tPir schliefen den Rest
der Nacht sitzend auf Geschoßkörben.
Am nächsten Morgen standen wir mit nassen, frierenden Füßen
im Regen am Geschütz. Da kam uns die ganze Trostlosigkeit
des Zustande? zu Bewußtsein. Ringsherum war alles über-
schwemmt. Wasser bis an den Rand in den Schützengräben,
Wasser in den Unterständen, Regen von oben, Matsch und was-
ser von unten. Reine Gelegenheit zu schlafen, keine Gelegenheit
zu kochen. G, wie sehnten wir uns nach etwas Raffee! Na, zu-
nächst mußten wir einen weg pflastern zwischen den Geschützen
aus den Steinen des abgebrannten Gehöftes. Und es regnete!
Nachher saßen wir gedrängt im Unterstand und fanden nicht
mehr den Mut, so nötig es war, heute noch anzufangen, einen
neuen Unterstand zu bauen. Gegen Abend brachte unser Roch
einen Pott Mssen, das er weit weg in irgend einem Haus ge-
kocht hatte. Da kam Leben unter uns. Die zweite Nacht schlie-
fen wir nochmal auf Geschoßkörben. Am nächsten Morgen war
schönes Wetter, da gingen wir an unseren Unterstand. Wir
schachteten an einer möglichst trockenen Stelle aus und bauten
wände aus Grassoden, wir waren freudig und tüchtig an der
Arbeit, bis es dunkel wurde. Da hatten wir den Unterbau fast
fertig. Am nächsten Morgen — o Schreck — es regnet wieder!
Unser neuer Unterstand hatte schon Wasser, "was tun? "wir
warteten bis Mittag, da hörte der Regen auf, und wir arbeite-
ten weiter. Das Wasser kriegten wir beinahe heraus. lLs wurde
wieder Abend, und wir wurden noch nicht fertig. Am nächsten
Morgen stand wieder Wasser im Neubau. Rnietief, und die
Mauern waren teilweise eingestürzt. Da gingen wir an einen
neuen Unterstand. Den bauten wir auf ebener iLrde auf und
arbeiteten wie Löwen. Schleppten Baumstämme aus ver-
lassenen Schützengräben und fern aus dem Wald. Da mußten
wir über einen Acker, der sah aus wie eine iAerpfanne: Loch
an Loch und Blindgänger, Ausbläser, Sprengstücke, und alle
Löcher bis an den Rand voll Wasser. Abends waren wir fertig.
73
Da hatten wir eine trockene, regendichte Schlafstelle. Heute sieht
es schon ganz gemütlich drin a»s.
In diesen Tagen ist auch kolossal für unsere Gesundheit gesorgt
worden. Unser neuer (dritter) Abteilungskommandeur, ein ak-
tiver Hauptmann, kroch selbst in jeden Unterstand und über-
zeugte sich von seinem Zustand. Gegen Durchfall sind Maß-
regeln getroffen worden und warmes Unterzeug verteilt. Das
war auch verdammt nötig bei diesem Detter, sonst klappen in
einer "Woche die meisten zusammen. Uns beiden geht's immer
noch vortrefflich.
*
(Er n st Herold,
geb. 28. Mai 1890 in Boizenburg/Elbe,
verm. 22. April 1916, Höhe 30*.
Tagebuch.
Regimentsstab 2oZ vor Dixmuiden.
"wer von uns allen, die am 13. Oktober I9I4- in früher vor-
mittagsstunde das Döberitzer -Lager verließen und unter fröh-
lichem-Lachen und Gingen westwärts fuhren, wer von uns allen
hat wohl je daran gedacht, daß unser junges Regiment dazu be-
rufen sein würde, an einer der wichtigsten und blutigsten Stellen
dieses Rriegsschauplatzes die Entscheidung zu bringen? von
Döberitz ging's westwärts Richtung Aachen, "wie viel ist in
diesen vier Tagen unserer Misenbahnfahrt geraten worden über
unsere Bestimmung — Antwerpen wollten wir besetzen, iLtap-
pengebiete schützen vor feindlichem Franktireurgesindel und noch
mehr solcher friedlichen Beschäftig»« gen schwebten uns vor. Und
wie ganz anders ist es gekommen, wie mancher von denen, die
einst die besten Rameraden waren, liegt unter dem kühlen Ilvei-
dengrund von Dixmuiden. Nach viertägiger iAsenbahnfahrt
erreichten wir das kleine belgische Städtchen A. gegen II Uhr
morgens. II % Uhr begann dann unser schwierigster Marsch.
Mit Gliedern, die noch von der Bahnfahrt steif waren, mit
unseren Affen, die noch heimatlich schwer gepackt waren, traten
wir unseren *5 Km Marsch an. Mit wunden Füßen, zerschlagen
7*
<m allen Gliedern, lagen wir am ersten Abend in einer elenden,
zugigen Scheune und waren doch froh, ein Dach überm Ropf zu
haben. Geschlafen habe ich nicht viel, die Erschöpfung war zu
groß. Und doch ging's am nächsten Morgen früh weiter, den
ganzen Tag lang und so noch zwei Tage weiter durch das ver-
armte Belgien. Zu kaufen gab's nicht viel, da mußte schon unsere
Feldküche tüchtig herhalten.
Das waren HO km m * % Tagen, für ein junges Regiment ge-
wiß eine recht achtbare Leistung. So kamen wir am 2 l. morgens
nach einem kleinen Geplänkel in der letzten VTacht, und nachdem
wir noch das ziemlich zerschossene Städtchen Ä. passiert hatten,
vor Dixmuiden an. Hier endlich sollten wir ins Gefecht kommen,
wie schön, wie erhebend war die Begeisterung unter all den jun-
gen Rameraden, und wie grausam sollte das Erwachen sein.
Eine Rompanie nach der anderen schwärmte gruppenweise aus,
mit2sSchritten Abstand, geducktzumSprung, endlich kam dann
auch unsere vierte dran. Bei uns wurde die Sache schon etwas
ungemütlicher. Abgesehen von dem Sausen und pfeifen der
Flintenkugeln, an die wir uns bald gewöhnt hatten, platzten
über uns hin und wieder schon, wenn auch noch in beträchtlicher
Höhe, feindliche Schrapnells. Ungefähr 1500 m vor Dixmuiden
liegt ein ziemlich großes, wohlhabendes Bauerngehöft, und hier
schien der Brennpunkt des feindlichen Feuers zu sein, von halb-
links, aus einem mitten in einem Park gelegenen Chateau kam
heftiges Maschinengewehrfeuer, von geradeaus, von beiden
Seiten von Dixmuiden ziemlich grobes Artilleriefeuer und von
halbrechts aus dem Rirchhof wieder heftiges Maschinengewehr
fever. Es war eine wirklich ungemütliche Sache, und schon
traten hin und wieder leichtere Verluste ein.
Aber trostlos wurde es erst, als langsam die Dunkelheit heran-
kroch. Das feindliche Feuer steigerte sich zu einer wahnsinnigen
Heftigkeit. Das Pfeifen der Flintenkugeln mit ihrem höchsten
Diskant erhielt eine angenehme Begleitung durch das krachende
Bersten der schweren Lydditgranaten und das heulende Sausen
der playenden Schrapnells. Und schon tönt von allen Seiten
das Wimmern der Verwundeten, das Stöhnen der Sterbenden,
"wir konnten nicht weiter vorwärts, unser Regimentsführer
verwundet, desgleichen unser Bataillonsführer. So hörte von
selbst die Verbindung unter den einzelnen Truppen auf, keiner
75
wußte mehr vom andern, auch unsere vierte Rompanie fand
sich plötzlich einsam und verlassen, Zoom vor Dixmuiden im
schwersten feindlichen Feuer.
lLs half nichts, wir mußten zurück, einen grimmigen Rache-
schwur im Herzen traten wir den Rückzug an.
Als einziger 'wegkundiger mußte ich unsere Rompanie führen
durch den ganzen Wirrwarr der pappelbepflanzten Straßen und
kleinen Ranäle. Hinter mir folgten erst die Schwer«, und dann
die leichtverwundeten, ungefähr I£0 an der Zahl, und dann als
Nachhut der traurige, bis zum Äußersten erschöpfte Rest. So
zogen wir rückwärts, vorbei an unseren Geschützstellungen, bis
hinter unsere Reservestellung, die von der I. und 2. Rompanie
gebildet wurde. Hier in einem Bauerngehöft fanden wir endlich
Ruhe, nachdem ich noch vorher für die Verwundeten Sorge
tragen und loo Pfund Butter requirieren konnte. Dann habe
ich, weil ich mich noch verhältnismäßig frisch fühlte, freiwillig
die ersten vier Stunden Apache gestanden. Dann Hab' ich auf
zwei Bund Stroh, klappernd vor Rälte, erquickend geschlafen.
Am andern Morgen sind mir die Tränen über die Backen ge-
laufen, als ich den traurigen Rest meiner lieben Rameraden sah.
"wie viele fehlten, von vielen wußte man, daß sie verwundet,
doch von so vielen wußte man nichts. IVaren sie tot, gefangen
oder würden sie sich noch wieder anfinden? Und wie groß war
die Freude, als sich hin und wieder noch einer mir gesunden
Gliedern einfand. Von 239Rameraden, die am 21. morgens in
den Rampf gezogen, waren noch ungefähr So unverwundet ge-
blieben. Das war unsere grausige Feuertaufe.
Notdürftig wird die Rompanie wieder zusammengestellt. Und
dann warten wir auf weitere Befehle, plötzlich kommt ein
Ordonnanzoffizier und bringt den Befehl: Das erste Bataillon
gräbt sich zur Bedeckung der Artillerie ein. Das gab eine gewisse
Erleichterung. Instinktiv nahmen wir an, daß es dort nicht so
gefährlich sein könnte wie vorne. Fleißig wird gebuddelt, ver-
deckte Unterstände werden gebaut. Und so liegen wir ganz be-
haglich 200m vor unserer Artillerie, braten uns Spanferkel und
Hühner und leben gewissermaßen einen herrlichen Tag und eine
herrliche Nacht. Frisch und gestärkt rücken wir am 2Z. morgens
wieder in die vordere Linie, d. h. ich muß hier die Rompanie
verlassen, um meinen Posten als Gefechtsordonnanz beim Re-
76
gimentsstab anzutreten. In der flacht wurde dann unter nicht
unerheblichen Verlusten für uns ein zweiter Angriff zurückge-
schlagen. Wieder müssen wir ungefähr Zoom Gelände aufgeben
und uns von neuem eingraben. Am 2£. rücken unsere Truppen
wieder langsam vor, d. h. es werden aus den alten Schützen-
gräben zickzackförmige Laufgräben nach vorne gegraben, die
dann in einen Schützengraben endigen. In der Art der be-
festigten Gräben haben wir viel vom Leinde gelernt. Schrap-
nellsichere Unterstände werden gebaut, mit Sandsäcken geschützt.
Schießscharten schützen unsere Brustwehren und gestatten uns
ein ziemlich unbelästigtes Schießen, langsam rücken wir wieder
an das heißbegehrte Dixmuiden heran. Gegen Abend rückt
unser Regimentsstab nach vorn, ein Zeichen, daß wieder etwas
in der Jluftliegt. Wir liegen hinter einem Gehöft, dessen Dach
so nach und nach von Schrapnells durchlöchert wird. Nachts
um 2 Uhr geht dann der Befehl durch die Reihen: Entladen,
Seitengewehr pflanzt auf. Ruhig und mit größter Vorsicht
steigen wir heraus aus dem Graben und gehen schrittweise vor.
Unter nicht allzu schweren Verlusten kommen wir bis an den
ersten Schützengraben, vor unseren blitzenden Bajonetten mit
den erhobenen Gewehrkolben gibt es für den Feind kein Halten,
kopflos geht die Flucht rückwärts auf Dixmuiden, heller und
jauchzender klingt das Hurra, mit größerer "Wucht geht Stich
und Schlag. Wir sind nicht genügend auf der Hut gewesen, auch
der Feind hat Reserven ins Feuer geworfen, die in frischem vor-
stoß unsere linke Flanke bedrohen. Wiederum reißt die Verbin-
dungmitden Seiten, und jeder Truppenteil steht fürsich in seinem
Abschnitt, angewiesen auf sich selbst. Und wieder gehen wir zu-
rück, größer noch als die beiden anderen Male ist die Erbitterung.
Aber heute gehen wir nicht allzu viel zurück. Im inneren Graben
dritter Linie sitzen wir im Morgengrauen und warten, daß der
Feind nachdrängen soll. Aber er weiß sich schon zu hüten.
Bei Tage schleiche ich zurück zu unserem Stabe. Wir liegen heute
am 26. in einem kleinen Bauerngehöft, arg zerschossen wie
immer und überall in dieser Gegend, doch reichlich versehen mit
schönem Obst. Daß wir uns hier gründlich gesättigt haben,
kannst Du Dir wohl denken. Dann haben wir ergiebig geschlafen.
*
77
August Schmidt, unbekannt.
Z. November I9l£.
Wir haben jetzt Verstärkung durch schwere Artillerie erhalten,
welche hoffentlich bald mit unserer Unterstützung eine Entschei-
dung herbeiführen wird. Die Engländer behaupten sich hier sehr
hartnäckig und haben sich bis aufs Äußerste mit allen mög-
lichen Mitteln verschanzt. Sturmangriffe der Infanterie haben
unter sehr großen Verlusten unsererseits wenig Erfolg. Der
Engländer läßt sich lieber im Schützengraben totschlagen, ehe
er zurückgeht, doch wird ihn unsere schwere Artillerie bald aus-
heben. Ich habe Gräben gesehen, wo 10—12 Engländer auf
einem Haufen lagen, doch leider auch viele von unseren Feld-
grauen bekommen mit dem Spaten ihr letztes Bett gemacht.
Wer weiß, wann und wo wir noch alle gebettet werden. Welche
entsetzlichen Bilder muß man sehen und erleben! Viele Orte
menschenleer, die Bewohner, meistens Frauen und Rinder, irren
ziellos jammernd umher, nur das Allernötigste in ein Tuch ge-
packt auf dem Rücken oder in der Hand. Durch die tägliche Ge-
wohnheit stumpfen die Sinne allmählich ab, man gewöhnt sich
an alles, wenn die Rugeln noch so pfeifen, man fürchtet selbst
den Tod nicht mehr. Nur der Gedanke an die Heimat und die
Seinigen macht Heimweh.
*
Christian Lassen-Hansen,
geb. 4. August 1892 in Haistrup/Nordschleswig,
gef. 2£. September 1915 bei Arras.
Dreslincourt, den 5. November I9l£.
Wunderbar klar leuchtete heute mittag der blaue Himmel. Die
Novembersonne scheint hier so warm und mild, wie bei uns im
September. Aber das Laub sinkt, die Bäume werden kahl. Wir
sitzen hier in unserem Gehöft, wir haben Mittagspause. Anton,
Mathias und ich und noch ein treuer Ramerad aus Alfen, ein
Mitschüler Antons und zukünftiger Theologe, der sich zu uns
geschlagen hat, sitzen in unserer Wohnung, einem dreieckigen
Raum, der ehemals als Pferdestall benutzt wurde. Gestern haben
78
wir den Boden gründlich von Mist und Stroh gereinigt, frisches
Stroh hineingelegt, Tisch und vier Stühle hineingestellt und
so ein nettes Räumchen geschaffen, in dem wir essen, schreiben
usw. So nisten sich überall in Scheunen und Ställen engere
Rameradenkreise ein und verstehen es zum Teil, sich's recht
gemütlich zu machen. In der ehemaligen Rrippe haben wir
unsere «Futtersachen» aufbewahrt. Sie bestehen zur Zeit in
einem wunderbaren Rorb voll rotbäckiger Äpfel, einem hal-
ben Brot, einer "Wurst, die Anton, und einem "wurstrestchen,
das Mathias besitzt, "wir teilen unter uns vier alles. Und das
Leben in diesem engen Rreis treuer Rameraden, zwischen denen
volles Vertrauen besteht, ist die einzige wirkliche Freude, die
man hier erlebt.
*
Otto Rreher,
geb. 28. Mai I89£ in Stollberg/Erzgebirge,
gef. 27. November I9l£ in Flandern.
Becelaere, den l. November I9l£.
Gestern lagen wir im Schützengraben. Der Befehl lautete: Bis
8 Uhr früh ist das Dorf in deutschen Händen. Spezialaufgabe
für die l. Rompanie Reserve Jäger Bataillon 26: «Bis Uhr
ist das letzte Haus gestürmt.» Wir zogen los. Bis in die Mitte
waren, unter unheimlichen Verlusten, die Gehöfte einzeln von
bayerischer Infanterie gestürmt worden. Der Vormarsch erfolgt
geräuschlos. Wir schwärmen. Nichts regt sich: leer, erstes Ge-
höft vom Feind geräumt, wir werden stutzig. iLine Falle? Das
zweite Gehöft hatte zwei Maschinengewehre beherbergt, die
Tod und verderben spieen. .Leer! Das Dorf war geräumt. LLine
Hecke tauchte auf aus dem Dämmerschein des Mondes. Dahinter
weiße Zinnen. Ich melde mich zur freiwilligen Patrouille an
der Hecke. Auf dem Bauche krieche ich heran, alle Augenblicke
muß es vor mir aufzucken. Meine Hand legt sich auf die Garten-
pforte, reißt sie auf, und wir stürmen mit dem Bajonett herein.
Gewaltige Verschanzungen sind aufgeworfen. Aber alle leer.
Köcher 4 m im Durchmesser, I % m tief, schauerlich zerrissene
englische Soldaten, zerfetzte Baumgruppen und Granatsplitter
79
in Menge beweisen die unheimliche Rraft der schweren Artillerie,
"wir stürmen ins Schloß, das zwischen Taxushecken und süd-
lichen Gewächsen eingebettet liegt. Ein Bild des Friedens in der
grausigen Rriegsgegend. IVir umstellen das Schloß und treten
zum Haupteingang ein. Blutgeruch und Gestöhn dringt uns
entgegen. In das Schloß hatten sich die englischen Verwun-
Veten zurückgezogen, es wurde nun besetzt, die gestorbenen ver-
wundeten entfernt und das Schloß von mir und einem englisch
sprechenden Rameraden nach einer Telefonleitung abgesucht.
Dabei entdeckten wir einen riesigen Weinkeller, der mit seinem
Inhalt die durchziehenden Regimenter württembergischer, baye-
rischer und sächsischer Abstammung stärkte. Auch englischen
Zwieback, zwei Fässer mit Butter und Zigarren des Schloßherrn
wurden gefunden. In dem großen prächtig ausstaffierten Saal
hatten deutsche und englische Granaten eingeschlagen und eine
schändliche Verheerung angerichtet, die teuren Möbel, zer-
schlissene Spiegel, die goldenen beuchter und geradezu blendend
ausgestattete Bücherschränke hatten schwer gelitten. Unberührt,
als ob eine unsichtbare Hand darüber gewaltet hätte, stand ein
wundervoller Flügel mit reich gestickter Decke. Ich klappe ihn
auf. Blüthner, deutsches, heimatliches Fabrikat. Wie ich nach der
Zeit musikalischer Entbehrung zum erstenmal spielte, vergaß
ich alles Elend des Rrieges. Glicht mehr die ekel- und entsetzen-
erregenden Bilder des Schlachtfeldes, nicht mehr die stieren
Todesaugen, die zerfetzten Menschen- und Tierleichen standen
mir im Bewußtsein, kein Ton von Gewehrgekrach, Granaten-
hui und Pfeifen der blauen Bohnen: Heimatbilder zunächst,
dann ein seliges Beruhigtsein kam über mich, nicht «Puppchen»,
nicht Sonaten, Choräle habe ich gespielt, in Erinnerung an das
Reformationsfest, an den Sonntag, der mit Sonnenglanz über
der Natur stand: Ein feste Burg ist unser Gott. Rameraden
saßen um mich herum, mit verträumtem Blick, des Eltern-
Hauses, der Familie gedenkend. Die Verwundeten horchten auf.
Mancher wird den Schmerz auf Augenblicke vergessen haben.
So war die Stunde eine Weihestunde. Der furchtbare Rrieg
war vergessen auf Minuten.
*
80
Hans Breithaupt,
geb. 16.März 1886 in Ulm,
gef. 22. März 191 6in Flandern.
16. November I?H.
... Meine neue Stellung hat inir gewaltige Bilder in die Seele
geschrieben, Augenblicke von hoher Spannung machten in mir
in noch schärferem Laicht als bisher die ethische Höhe unseres
Berufes begreiflich. Da haben wir sie vor uns, Engländer und
Schotten. Mit wahrer IVut setzten wir die Befehle auf zum An-
griff, mit hellem Zorn bellen unsere Ranonen, und zum letzten
entschlossen liegt die Infanterie zum Sturm in den vorderen
Schützengräben. Vor uns ein IVald, dahinter eine Höhe, Gra-
ben an Graben und drinnen der Feind. Man sieht ihn nicht,
aus Schießscharten kommt sein Feuer, er verteidigt sich ja nur
und gibt sich keine Blöße. IVarum greift er denn nicht einmal
an? Rönnte man ihn doch einmal in ganzer Größe zum Ziel
nehmen, könnte man ihn doch ein einziges Mal vor die Rlinge
bekommen im Vlahkampf, ohne vorher über die deckungslose
Ebene anrennen zu müssen. Da muß ein guter deutscher An-
griff mit dem Bajonett die Gegend säubern. So war es be-
schlössen und bleibt es, wir müssen ihn zerhauen.
Und wir griffen ihn an, wie Ehrenmänner, beinahe wie Rinder,
vorn der Führer mit lautem Hurra, die Schützen hinter den
Hauptleuten, und die Trommler rasseln, als ob sie den Tod aus
dem Schlafe holen wollen. Der wachte aber gut und mit ihm der
Mord. Im Draht wälzten sich unsere Stürmer, am Boden lag
der Angriff zerbrochen, und kein Feind war zu sehen, von
Bäumen schoß er, aus der Mrde, aus dem Hinterhalt. Hinterlist
muß mit Hinterlist bekämpft werden. Ein harter Entschluß ein-
zusehen, daß die ererbte Fechtweise nichts taugt, ein bitterer
Rampf mit dem Rriegerstolz und dem eigenen Selbst, bis man
sich zwingt, die Verschlagenheit zur Hauptwaffe zu erheben.
Also fingen wir an zu graben wie die Maulwürfe, schanzten uns
heran an die Bollwerke, zeigten uns auch nicht mehr, versteckt
saßen die Scharfschützen nun auch bei uns auf dem Anstand
wie der IVildschüy und knallten ab, was sich zeigte.
Vlun kam die Heimsuchung, die demütigende Prüfung. Wohl
hatten wir in vorderer Linie den Gegner einschätzen gelernt und
ö D.d.S. gl
die Mittel des Rampfes ihm angepaßt. Mit schwerem Herzen
müssen nur melden, daß der Auftrag noch nicht gelöst sei und
noch lange nicht gelöst werden kann. Reiner der höheren Gene-
rale vermochte sich dieser Lage anzupassen. Sie hatten die
Greuel nicht gesehen und schenkten unserer Schilderung keinen
Glauben. Ich kann es nicht anders sagen, wir wurden für feige
gehalten. Am nächsten Tage gleich kamen die höheren Führer
selber und befahlen den Angriff in gewohnter Form. Mein Ge-
neral kämpfte schwer mir sich, die Tränen traten ihm ins Auge,
als er mich beiseite zog und die Meldung niederschreiben ließ:
«Brigade v. Br. kann nicht angreifen, ich trage die verantwor-
tung nicht und trete lieber vor ein Rriegsgericht.» Hie vergesse
ich die peinvolle Stille, die zu Boden gesenkten Blicke der Um-
gebung, alle Mienen sagten uns, ihr wagt es nur nicht, ihr
müßt euch schämen. Reiner dachte, wie unsagbar bitter es uns
würde, einem Angriffsbefehl zu trotzen. Und neben mir stand
aufrecht und gerade der General, lieber bereit, sich selbst zu
opfern als seine -Leute ohne Eutzen. Wir erschraken, als den-
noch der Angriff ausgeführt werden sollte, wenn auch erst
nach gründlicher Erkundung und Vorbereitung am nächsten
Tage. TPas wir fürchteten, kam dennoch, wieder lag eine blutige
See vor dieser Hölle, wieder aber war sie in Feindeshand ge-
blieben. Und noch immer glaubte uns die Führung nicht, es
kamen noch höhere, ja der oberste Rriegsherr. Und noch einmal
begann das grausame Spiel. Wieder dieser versteckte fürchter-
liche Vorwurf der Feigheit, aber wieder aufrecht und herrlicher
noch war die Haltung des Generals. Sollten wir nun angreifen
oder nicht? Hein, nicht im Sturm, sondern langsam mir Hilfe
der Erde. «Meine -Leute opfere ich nicht und schicke sie nicht in
einen Wald, den man auch ohne Feind kaum durchschreiten kann.
Meine Leute kämpfen seit 21 Tagen ohne Pause, kaum daß sie
die Linien noch halten können. Ich beuge mich keinem Ehrgeiz,
mein Richter sitzt in meiner Brust. Dieser Sturm ist unmöglich,
ich führe ihn nicht aus.»
Ich habe einen Helden gesehen, das ist Heldentum, sich so zu
überwinden, und wie fürchterlich einem deutschen General das
Herz klopft bei einem versagen der Vorwärtsbewegung, beim
Stocken des Angriffs, das kann sich so leicht niemand vor-
stellen. Zum Glück für das Ganze bleibt er diesmal Sieger,
82
und die Sturmangriffe nahmen ein lLnde. Wir gewinnen auch
so Boden, langsam und sicher, und die andere Taktik findet
nun auch den Beifall unserer Vorgesetzten.
Rarl wend,
geb. 29.Mai 1889 in Mensdorf,
gef. 29.April 1915 bei Langemarck.
Sevekote, den 16. November I9l£.
Wir kämpfen jetzt auf der ütmeDixmuiden—Nieuport. Der
Rampf ist sehr heiß. Gilt es doch hier, den Weg nach Calais frei
zu machen, um den Engländern besser zu Leibe gehen zu können.
Sie kämpfen wie die Löwen. Sie schießen aus stark eingedeckten
Schützengräben, vor denselben befinden sich starke Stachel-
drahtverhaue. Das Artilleriefeuer allein kann sie aus ihren Feld-
befestigungen nicht vertreiben. Die stürmende Infanterie muß sie
dann mit aufgepflanztem Bajonett herausholen. Das ist aber
des Drahtverhaus wegen nicht einfach. Dann kommen vor dem
Sturm die Pioniere erst zur Geltung. Mit Hunderten von
Fässern, welche mit Baumwolle gefüllt sind, rollen sie sich krie-
chend des Nachts an die Drahthindernisse heran und schneiden
dieselben durch, um der Infanterie den Weg frei zu machen.
Während dieser Arbeit der Pioniere eröffnen die Engländer dann
ein fürchterliches Schnellfeuer auf die Fässer, so daß nachher die
darin be findliche Baumwolle mit Rugeln gespickt ist. vor unserer
jetzigen Geschützstellung befindet sich das Uberschwemmungs-
gebiet von Dünkirchen, viele verwundete Rameraden mußten
im Stich gelassen werden, weil das Wasser ganz rapide stieg.
DieRrankenträger mußten verwundete mitsamt der Tragbahre
stehen lassen, um das nackte Leben zu retten, Infanterie eiligst
ihre Schützengräben verlassen. Ich befinde mich im verlassenen
Hause eines katholischen Geistlichen. Früher muß es hier aller-
liebst gewesen sein. *£m wunderschöner Garten umrahmt das-
selbe. Aber der Rrieg hat aus diesem Blumengarten einen Gol-
datenftiedhof gemacht. Zwei Massengräber sind zwischen hohen
-Lebensbäumen gegraben. Ein schlichtes Holzkreuz mit daran
befestigtem Helm, auf jedem Grab die Inschrift: «Hier ruhen in
6* 83
Gott fünfzig deutsche Soldaten. Gestorben als Helden für
Deutschlands Freiheit.» "welche Hoffnung, welches Lebensglück
liegt hier begraben, viele Angehörige daheim werden an diese
Gefallenen noch Briefe der Liebe und des Wiedersehens schrei-
ben, bis sie dann die traurige Gewißheit erfahren. Es kommt
öfter vor, daß Briefe noch 1$Tage nach dem Tode eintreffen.
In dem Pfarrhause selbst sieht es auch nicht mehr gut aus.
Mehrere Volltreffer haben ihren "weg durch Dach, Fenster und
wand genommen. Die meisten Sachen sind durch Granatsplitter
zertrümmert, z. B. die Bilder von den Eltern des Pfarrers sind
richtig durch Splitter an die wand befestigt worden. Sämtliche
Rirchen sind hier gesprengt, um den Deutschen keine Beobach-
tungspunkte zu lassen. Auch die Bewohner haben stark gelitten
bei der Beschießung ihres Dorfes. Mine Granate schlug in einen
Reller und tötete eine ganze Familie: Vater, Mutter und drei
Rinder, eine alte Frau verlor vor Schreck den Verstand. Die
Bewohner hausen jetzt zu zwei, drei Familien in den Rellern.
Sie sind ganz auf uns angewiesen. Schrecklich ist der Rrieg, aber
auch so manches Schöne und Edle kann man hier erleben. Das
Letzte wird geteilt mit den Bewohnern. Rein Deutscher denkt
daran, Vergeltung zu üben für die Greueltaten, die sie im Au-
gust an manchen unserer Rameraden beim Durchgang in ihrer
Verblendung verübten. Die Begeisterung, die das Heer bei der
Mobilmachung ergriff mit dem gesamten deutschen Volk, war
kein leerer Wahn.
*
Viktor Prüy,
geb. I£. Oktober 1895 in Neustrelitz,
gef. 28. September 1918 bei piennes.
Nikolaiken, November
Wie gern wäre ich bei den Freiwilligenregimentern! von ihnen
wird einmal in der Geschichte die Rede sein. Uns hat man hier
zwischen die -Landwehr gesteckt. IVir liegen auf Vorposten und
tun still unsere Pflicht vor dem Feind. Es geht doch im Rrieg
viel anders zu, als die Zeitungen berichten. Da steht nichts von
kalten Nächten auf Posten, nichts von Patrouillengängen durch
$4
große Wälder, wo hinter jedem Baum der Aeind lauern kann,
nichts von den Tagen im Schützengraben, wo man sich unter
den Geschützen deutscher 'Waffenfabriken beschießen lassen muß.
von uns hier wird wohl nie die Rede fein. Wir vollbringen ja
keine Heldenraten, wir liegen ja nur in der Rälte im Schnee, um
unseren Rameraden Sicherheit vor Überfällen zu geben. Aber
unsere Pflicht wollen wir auch tun.---Schrecklich ist es
mit den Flüchtlingen. Wer es einmal so aus nächster Vlähe ge-
sehen hat, wie sie uns nachsehen, wenn wir durch ein Dorf mar-
schieren — wissen sie doch, daß hinter uns der Russe kommt —,
wer es einmal gesehen hat, wie sie mit ihrem Vieh aufden £«nd<
straßen treiben, wie sie auf ihre Leiterwagen ihr Hab und Gut
aufladen und mit ihren kleinsten Rindern auf dem Arm Ab-
schied nehmen vom Haue, wenn ihnen der Befehl dazu gegeben
wird, der weiß, wie schrecklich ein Rrieg ist.
-i-
Rar! Sennewald,
geb. 4-. April 1886 in Weimar,
gef. 17. Oktober 19*5 vor der holländischen Rüste.
16.Oktober
Habt keine Bange, liebe Eltern, wir tun unsere Schuldigkeit
voll und ganz und brennen alle darauf, unsmitden Engländern
zu messen. Die Rameraden von der landarmes werden sich
derer von der Marine nicht zu schämen brauchen. Wenn die
erste Granate übers Deck fegt, werde ich Eurer gedenken, dann
aber — weg mit den Gedanken, dann will ich meine Maschine
so bedienen, daß unser Boot das erste vorn sein soll am feind-
lichen Geschwader.
Wir und Torpedoboot S 116fuhren Patrouille mit loo Meter
Abstand und wurden plötzlich von einem Unterseeboot an-
gegriffen. Hart an uns vorbei sauste der Torpedo, sodaß unser
Boot ordentlich zitterte, und faßte S 116 mittschiffs. Dampf-
wolken entströmten, das Zeichen, daß die Ressel geplatzt waren,
das Boot brach in zwei Teile, welche langsam wegsackten,
während die Mannschaft über Bord sprang. Zuhilfe eilen aber
konnten wir unseren armen Rameraden nicht, denn laut ertönte
85
das Rommando: «Rlar bei Schwimmwesten — 7tn die Ge-
schütze— Äußerste Rraft voraus zum Rammen.» Wahrend durch
Funkspruch ein anderes Boot zur Hilfeleistung herbeigerufen
wurde, suchten wir durch Zickzackfahren in äußerster Schnellig-
keit ein IViederauftauchen des Unterseebootes zu verhindern.
Wir haben von demselben nichts wieder bemerkt. Nach zwei
Stunden hatten wir mit dem zu Hilfe herbeigeeilten Boote
48 Rameraden gerettet, \\aber waren leider ertrunken.
... Zu einem Sonderunternehmen gehen wir heute in See, von
welchem Ihr später in den Zeitungen lesen werdet. Als gefragt
wurde, wer will freiwillig mit, trat die ganze Halbflottille vor
wie ein Mann. So glatt wird es wohl dieses Mal nicht abgehen,
deshalb schreibe ich Much noch eiligst eine Rarte, da ich fest über-
zeugt bin, es ist die letzte Rarte, welche Ihr von mir erhalten
werdet. So lebt denn wohl, behaltet mich in gutem Andenken
und seid nochmals herzlichst gegrüßt von Murem Sohn Rarl.
Rurt Sewaldt,
geb. 2. April 1892 in Rronstadt,
gef. 16.Juni 1916 bei Molga Fosetta (Italien).
6.Oktober I9I4-.
Ich habe gestern Mure beiden Briefe, vom 29. datiert, erhalten.
Euch von den Insurgentenüberfällen ausführlich zu erzählen,
spare ich mir für die Zeit, wo ich bei Much bin. Ich will nur mit
ein paar Worten so eine Situation erklären, ausmalen könnt
Ihr Much dann die Lage selbst. Der Typus eines solchen Über-
falles war der bei Ifsar, — die übrigen kommen dann in allen
Varianten. — Ms wird gegen Abend abmarschiert. Unsere Ro-
lonnen sind wie endlose Fäden, die sich wie Tausendfüßler durch
Berg und Tal schleichen. Immer zwei Pferde aneinandergekop-
pelt, von einem Ranonier geführt. Außer diesen Tragtier-
führern habe ich noch fünfzehn bis zwanzig Mann, die zu mei-
ner Disposition sind während dem Marsch, und mit denen die
Angriffe abzuwehren sind. Also es wird in die Dunkelheit hin-
einmarschiert, eine Stunde um die andere. Stockfinster, im
Wald ein selbst am Tag kaum kenntlicher Weg. Ganz vorne an
86
der Töte führt ein zu diesem Zweck ausgeliehener Türke. Jeder
Tragtierführer muß den Schweif des vor ihm marschierenden
Pferdes in Griffweite haben. Zerreißt die Rolonne, so ist ein
'weitermarschieren der Rückwärtigen ausgeschlossen. Stürzt ein
Tragtier — und das geschieht jeden Augenblick —, so muß es
sofort auf die Seite geworfen werden, und sei es in einen Ab-
grund hinunter, und der nächste muß die Verbindung aufneh-
men. Rein Zündhol; darf angezündet werden, nicht eine Ziga-
rette sieht man glimmen, alles schwarz, meist nicht einmal der
Himmel zu sehen. Mein Pferd kriecht dem vorderen nach; ich
höre nur die Schritte des vorderen und des nachmarschierenden,
ganz leise, knickende Äste. Gegen Mitternacht, plötzlich I — 2
— z — 4 Schüsse etwa I km weit vorne, krach, krach, immer
näher, und im nächsten Augenblick unmittelbar vor mir im
IVald ein rasendes Schnellfeuer und um mich herum das Ping,
ping, Pst, Pfiff der Rugeln, Pferde strömen zurück — Rum-
mel —, wie Ihr Euch vorstellen könnt. Nach einiger Zeit wird
von selbst Ruhe. £in Stückchen Mond kommt heraus. Man
rangiert die Gesellschaft und weiß noch eigentlich nicht einmal,
was war. Ich reite vor. Eine Menge Packsäcke liegen am Bo-
den, 2—Z tote Pferde. Ein Ranonier ist verwundet. Ein Rame-
rad, der vor mir marschiert ist, hat eine ganze Pistole ausge-
schössen auf Romitatschis, die in nächster Nähe gewesen sein
sollen, der eine sagt, rechts, der andere sagt, links des "Weges,
keiner weiß etwas. Alles hat zum erstenmal Rugeln gehört und
dazu in finsterer Nacht. Die Panik war blödsinnig. Heute weiß
ich genau, was gewesen fein wird: zwei oder drei Lumpen haben
von irgendwelchem Winkel oder Baum herunter ungefähr
gegen uns ein paarmal geschossen — selbstverständlich, ohne zu
treffen — ,sofort haben von diesem und jenem Teil der langen
Rolonnen Leute geantwortet; der IVeg «»acht Rrümmungen,
die Leute sehen nur das Aufblitzen, halten sich gegenseitig für
Romitatschis, beschießen sich von allen Seiten, das Ronzert
ist fertig. Die Romitatschis können ruhig nach Hause gehen,
ihre Arbeit ist fertig — außer, sie wollen sich unterhalten und
schauen dem Rummel zu. Brüllt dann ein Offizier den Zu-
nächststehenden «Feuer einstellen!», so hören sie auf, und es
wird bald alles still. Die Sache war hier eigentlich vollkommen
harmlos, und doch ist ein tamischer Rummel daraus geworden.
87
Allerdings würden wir heute nicht mehr so aufsitzen. Die Ge-
fahr liegt in erster Ätrne darin, daß sich die Leute selbst gegen-
seitig anschießen. Das einzige Mittel ist — wie die Deutschen es
auch bei nächtlichem Sturm machen — Rarabiner entladen
lassen und nur um sich ein paar Leute mit geladenen Waffen
halten, die man dann selbst hinführt, wo es notwendig ist.
Bei Metalka war die Sache allerdings nicht so harmlos wie hier
bei Iffar. Dort ist von einer großen Bande ein systematischer
Überfall auf unser Brigadekommando gemacht worden mit
Hilfe einer Frau, die den Spion gespielt hat. Damals hat es viel
Tote gegeben, das war eine böse Sache, aber davon ein ander-
mal.
Ich glaube, Ihr versteht das Verhängnisvolle dieser Überfälle,
wenn Ihr jLuch nur die Situation Ifsar ausmalt.
Heute sind hier wieder ein paar als österreichische Soldaten ver-
kleidete Gerben gefangen worden. *£? ist verteufelt schwer, sie
schauen genau so aus und sprechen genau dieselbe Sprache wie
ein großer Teil unserer Mannschaft.
25. Oktober
Mein Zelt steht oben am Hang und sieht über den harten, trocke-
nen Rasen hinunter auf das freie Hochplateau. Ringsum in
weitem Rreis dunkler Tannenwald, gepuyt mit roten Buchen
und traurigen braunen wichen. Die Sonne hat mittags noch
warm geschienen, einschläfernd, betörend, hat längst verküm-
merte Gefühle geweckt, Sehnsucht, Freude, Liebe, Leben,
Schaffen, und dann hat sich der Abend hereingeschlichen, ich
weiß nicht wie. Die Sonne scheint nicht mehr, der Mond ist am
Himmel, die IVälder sind schwarz. Im Tal ein leichter weißer
Schleier. Am andern Hang ist eine Stadt aus dem Boden ge-
wachsen, Lagerfeuer. Im "Westen Abendrot, im Osten auf einer
Rauchsäule ein schwarz und roter 'Wolkenballen — hinter der
nächsten Höhe brennt visegrad.
Alle roten Feuer werden matter, als ob sie langsam einschlafen
würden. Der Himmel ist glatt und fahl von einem lLnde zum
andern. "wenige, aber helle Sterne, als ob nur die großen jetzt
zu reden hätten. — Sonst macht so eine schöne Nacht, daß man
an Liebe denkt und von den schönsten Dingen träumt. Diese
Nacht ist anders. Still und friedlich, so friedlich, als könnte hier
ss
keinem Wesen ein £eit> geschehen — aber tief ernst, unendlich
tief ernst ist diese wunderliche flacht.
Die vielen Pferde sind stumm. Bei manchem Lagerfeuer hört
man ab und zu eine rauhe Stimme. Es bellen Hunde — die
keine Herren mehr haben.
Um ein paar glimmende Rlötze sitzen drei Offiziere in schweren
Stiefeln und grobem Zeug und reden — ganz leise — von ern-
sten Dingen.
Der Jüngste von ihnen grüßt Euch herzlich.
Z l. Oktober
Diese Exkursion, die Ihr in den Zeitungen als die Rämpfe bei
Romanja planina und Rogatica erwähnt gefunden haben wer-
det, ist für unsere Brigade erledigt. Wir sind wieder unterwegs.
Wohin, werden wir erst morgen oder übermorgen merken.
Gestern sind wir über das Schlachtfeld gekoinmen, wo hier die
härtesten Rämpfe stattgefunden haben. Die Serben sind, nach-
dem sie ihre Stellungen räumen mußten, in außerordentlicher
Eile über die Drina geflohen, und nachdem wir ihnen schleu-
nigst auf den Fersen gefolgt sind, war offenbar keine Zeit, das
Schlachtfeld aufzuräumen. Jetzt, beinahe eins ganze Woche
später, ist alles noch gelegen wie am Tag der Schlacht. Ein An-
blick, wie er von allen Rriegsberichterstattern geschildert wird.
Drum kann ich mir's ersparen. Ich bin dort zwischen den Lei-
chen unserer und serbischer Soldaten herumgegangen, die haben
schon ganz entsetzlich ausgesehen — Schädel zertrümmert wie
Rürbisse, die man wider die Wand haut — dazu in Verwesung,
na, ich will es Euch ersparen, das anzuhören — und ich bin
nicht erschüttert worden, habe ruhig die Einrichtungen der ser-
bischen Stellungen angesehen, man sagt, das ist Gewohnheit.
Ich glaube nicht, wenn man den ersten Toten gesehen hat, so
ist es, als ob man dann später wie mit einem Hebel die Gedanken
und Empfindungswelt umschalten würde. Man läßt nicht die
natürlichen, menschlichen Vorstellungen von Leiden, vernichte-
ten Hoffnungen und dergleichen Ungeheuern mehr eintreten.
Räme ich morgen nach Hause, so würde ich genau so wie früher
nicht zusehen, wenn man ein Hähndl schlachtet.
Die Stellungen waren interessant. Jeder Mann hatte dort eine
infanterie- und schrapnellsichere Burg aus Steinen und Erde
99
nach drei Seiten und nach oben gedeckt. Innen mit Stroh aus«
gepolstert. Alles mußte mit Granaren weichgeschossen werden.
Auf dem ganzen Plateau sind die roten serbischen Schrapnell-
hülsen herumgelegen wie die Regel in einer Regelbahn.
Das ganze war wie ein Momentbild der Schlacht. Mine ver-
steinerte Szene.
Ich kann nicht weiter schreiben, sonst bleibt der Brief hier.
Haben seit sieben Tagen keine Post bekommen.
Serbien, 16.November I9I4-.
Die letzten zwei Tage werden immer in Mrinnerung lebendig
bleiben. Sie verdienen, daß ich Much ein paar kurze Worte dar-
über schreibe. Ihr habt die letzte Nachricht von mir von den
ersten Wmtertagen in den hohen Bergen. Gestern sind wir wie-
der vor Tagesanbruch losmarschiert durch Schnee und gefröre-
nen Dreck in tiefem Nebel auf den Spuren der Brigade. Mine
Stunde um die andere. Der Nebel hat sich keinen Augenblick
gelichtet, und schießen haben wir nicht gehört. Nach den Schüs-
sen orientieren wir uns sonst gut. Wir hören unsere Schwärm-
linien, und die eigene und feindliche Artillerie unterrichtet
uns schon dem Rlang nach über die Situation. Diesmal kein
Schuß. Gegen Mittag sind wir in einem von unserer Brigade
eroberten Gerbenlager. Schöne Mrdbauten, zum Teil von
unseren Granaten eingeschossen. Minige Risten serbische Mu-
nition. Weiter rückwärts ganze Rasernen aus Stangen und
Mrdziegeln aufgebaut. Alles kriecht nur Stück für Stück aus
dem Nebel, unheimlich still und verlassen; nur ab und zu
Pistolenschüsse.
Gegen Abend beziehen wir -Lager in einem verschneiten Stop-
pelfeld. Wir waren am Debelo brdo. Daß dies eine wichtige
paßhöhe ist, wußten wir nach der Rarte. Gesehen haben wir
nicht fünfzig Schritte weit. Die Zelte so mitten im Schnee auf-
zuschlagen und die müden Gäule anzupflocken, drückt im ersten
Augenblick ein wenig auf die Nerven. Nach einem Stündchen
hat man aber das Gefühl, daß der Platz schon ganz warm und
wohnlich ist. Um jedes Pferd herum wird der Schnee wegge-
schaufelt. Ms wird Heu oder Stroh herbeigeschafft und Feuer
gemacht. Bei dem Nebel kann man das ruhig tun. Man sieht
den Schein nicht durch den Nebel. Die Füße werden getrocknet,
90
ein Topf heißer Raffee und eine Zigarre machen, daß man guter
Dinge ist.
Am nächsten Morgen sind wir um 5 Uhr aufgestanden. Ster-
nenhimmel. wie ich im Zelt die Rerze angezündet Hab, haben
die wände geglitzert von lauter kleinen, feinen Rristallen.
Im Osten Aussicht auf ein tiefgelegenes Hügelland, zum Teil
noch ohne Schnee; darüber Morgenrot, vom ersten Augenblick
an war ich heute so gut gelaunt, im Vorgefühl eines schönen
Tages.
Nun haben wir auch übersehn, wo wir gelagert haben. Neben
uns eine ganz kleine Stadt aus lauter langen Baracken, so wie
oben aus Heu gebaut. Dazwischen einzelne Häuser mit dicken
bänden aus Rasenziegeln aufgeführt, mit Türen und Fenstern,
sogar mit regelrechten Schornsteinen, innen Tischen und Bet-
ten. Die Rerle sind Meister darin, aus nichts ein Haus zu
machen.
Die Sonne ist aufgegangen — für uns zum erstenmal nach lan-
gen Tagen — der Schnee war überwacht gefroren, und die Eis-
plättchen darauf haben geglänzt. Ich war übermütig vor
Freude. iL« war so schön wie die schönsten Wintermorgen am
Schuler.
Anfangs war der Marsch schwer. Die Pferde sind jeden Augen-
blick am Boden gelegen. Bald aber hat die Sonne den weg
weich gemacht, und wir sind immer weiter talabwärts ge-
kommen.
Ich reite vor und führe auf den nächsten Ropetz eines unserer
Bataillone. lLin Teil der Mannschaft baut Schützengräben, der
größere Teil ist damit beschäftigt, den eigenen Leib in Ordnung
zu bringen. Da höre ich plötzlich alles «zivio» brüllen — val-
jevo ist in unseren Händen! Das langerstrebte Ziel ist erreicht.
Heute habe ich auch — zum erstenmal, seit wir neuerdings in
Serbien einmarschiert sind — mich ganz gewaschen und die
Wäsche gewechselt. So bin ich wie neu geschaffen. Ich bin
immer noch einer der reinlichsten. Gesicht, Hände und Zähne
wasch ich mir jeden Morgen, wenn nur irgend möglich; in den
letzten Tagen mit Schnee. Bitte schickt mir als Muster ohne
Wert ein paar wollene Fußlappen. Die sind besser als die schön-
sten Strümpfe.
Heute Hab ich an den Füßen gehabt: dünne Strümpfe, Ramel-
91
Haarstrümpfe, Fußlappen aus meinem Leintuch von Mali
Zvornik und Stroh in den Rommißschuhen.
Ich bin sehr neugierig, was uns die nächsten Tage bringen.
Valjevo ist die größte serbische Stadt, die wir bis noch gesehen
haben. Gepflasterte Straßen, elektrisches usw., aber ent-
setzlich ist es hier. Siebentausend verwundete, fünftausend Ge-
fangene und alles voll Train.
Alle Offiziere, die hier herumlungern, die nicht in der Front
sind, haben trotz ihrem bedeutend zivilisierteren Äußeren etwas
abscheulich Ekelhaftes an sich und scheinbar auch eine merkwür-
dige Verachtung für uns, die wir dreckig von oben bis unten
von vorne zurückkommen. Als ob wir etwas wären, das man
zwar höflich behandelt, mit dem man aber nicht gerne in Be-
rührung kommt.
Ich Hab mich über das Gesindel, das hier in warmen Zimmern
wohnt und trotzdem «kriegsmüde» ist, weidlich ausgeschimpft.
*
Rarl v. Möller,
geb. H. Oktober 1876 in Wien.
Tagebuch.
Grmezö, am 25. November 1915.
In der Nacht wollten wir die Rundieska erstürmen. Das Rom-
mando selber ritt, als die Dämmerung ihre Schleier zu werfen
begann, über Terszow nach Jluzetgr. i£tt) Marsch wie im Mär-
chen. Zuerst, im Dämmern, stieg es wie Gespenster aus der stark
riechenden Erde. Dann kam der Mond und streute über das
Dnjestrtal eitel Silber, das im Flusse zu einer leuchtenden
Schlange zusammenfloß. Bald gerade, bald in Schlingen kam
uns die weiße Straße entgegen. Rnapp südlich Terszow stieg
sie zu einem quer über das Tal gelegten hochgeböschten Riegel
an. Schützengräben am Rande zeigten, daß man ihre beHerr-
schende £age begriffen hatte. Dann schwand das Mondlicht. Die
Bahnstation von Bufowisko sah uns mit feurigen Augen nach.
Es war mäuschenstill. Rein Schuß, kein Laut, ein großes
Schlafen. Umso härter klapperte der Hufschlag unseres Reiter-
92
trupps. Endlich ritten wir in Luzek gr. ein. Ein typisch gali-
zischer Ort mit ein paar besseren Häuschen an der Straße und
einem Meierhof unweit davon. Wir saßen vor zwei einladender
aussehenden Häusern im Nordteil ab, mußten aber bald er-
kennen, daß wir vor Pferdestallungen standen. Die Russen lieb-
ten es, Wohnhäuser zu Ställen umzuwandeln. Und so mar-
schürten unsere Gäuler, mißtrauisch schnaubend, in die Ge-
mächer. In einer Hinterstube lag ein ungarischer Landsturm-
mann: choleraverdächtig. Vor den Häusern flackerte ein Holz-
stoß. Die Wärme tat wohl. Denn die flacht ließ sich frostig an.
Dann tappten wir im Finstern zum Meierhof, der aber schon
vom Stabe der Z8. Division bis ins letzte Winkel besetzt war.
Der Rommandant Feldmarschalleutnant Baron Rarg machte
uns schließlich ein Nebengebäude frei, und wir verbrachten auf
verdächtigem Stroh eine schlechte flacht. Schlecht auch, weil
Befehle zum Stoppen des Angriffs eingetroffen waren.
Tags darauf ritten wir wieder in das Rloster Lawrow zurück:
der Rückzug nach Westgalizien und in die Rarpathen war be-
schlössen. Ein ungutes Gefühl hielt uns fest, als wir die Ruppel
des Rlosters, wo wir stolze Tage erlebt hatten, wiedersahen. <£s
war der 4. November, als wir nach Westen weiterritten. Wir
kamen an einzelnen unserer abziehenden Bataillone vorbei. Die
Leute sahen mißmutig aus. Ein Wiener Landsturmmann
meinte grimmig: «Da soll mr net deprimiert werden!» Der Stab
geriet am Wege nach Mszaniec in den dichter und dichter wer-
denden Abendnebel. Man ritt längs des Mszankabaches neben
steilen, vielfach eingerissenen Bruchufern, die der Nebel trüge-
risch verhüllte. Ein Fehltritt, und Roß und Reiter wälzten sich
im Grunde. Da war es nicht ratsam, sich in Grübeleien über
diesen Rrieg etwa zu versenken, so viel sich auch im Gehirn dar-
über aneinanderstieß. Ein ungemütlicher Ritt. Auch weil die
kalte Leuchte in Mark und Rnochen drang. Wiederholt stampften
wir durch den Bach. Einmal wollten wir rüber und, weil die
neblige Finsternis die Steilheit verhüllte, stürzte das Pferd des
Divisionärs, im Glauben, man könne gemütlich durchpatschen,
fast mannstief in den Bach. Die anderen Gäuler glitten klüger
auf der Hinterhand uferab. In Mszaniec sah sich das Ron;-
mando vom griechisch-katholischen Pfarrer bequartiert.
Weiterhin ritten wir wieder durch zahlreiche Lachen und furteten
pz
wiederholt durch steinige Gebirgsbäche, die mehr Wasser als
sonst führten. iLs war eine merkwürdige Gegend, die wir durch-
zogen. Links in einiger Entfernung der Bergwald des Rar-
pathenrückens in düsterer Schwere, nahe am holprigen, stei-
nigen, ungepflegten IVege viel Jungholz, recht buckliges, Hut-
weidentragendes, vielfach bebuschtes Land. Neben uns der auf-
geregte Bach, über uns ein graues Dach. Raum wo Menschen.
Raum Felder. Große Einöde.
IVir sollten am lZ. November in das Treffen, welches bei Ba-
ligrod tobte, eingreifen, so hieß es in Cisna. Nun unterstanden
wir zwar unmittelbar dem Z. Armeekommando, aber das
7. Rorps der zweiten Armee war unser Banater Heimatkorps.
Schließlich war es an sich unsere Pflicht, bedrängten Ramera-
den zu helfen. Sie standen seit mehreren Tagen in der Linie von
Baligrod—Sczawne im Rampf mit kräftig vorstoßenden
Russen.
Schließlich aber war alles Blut und alle Mühe umsonst, wir
erhielten vom 7. Rorpskommando den Rückzugsbefehl und
gleichzeitig die Verständigung, daß wir wiederum armeeunmit-
telbare Gruppe mit der Bestimmung seien, den Rarpathenab-
schnitt Plasza—Rosarka zu verteidigen. Die Rückbewegung
sollte am I£. Oktober zeitlich früh einsetzen. Man legte sich nach
einem frugalen Abendessen aus der Rüche eines fremden Trup-
penkörpers aufs Ohr. Minige wußten zwar, daß die Nacht
kritisch werden konnte, weil der Gegner längs des fast freien
Fahrweges Bereznica unschwer nach Baligrod zu stoßen ver-
mochte. Soldatentroy aber und jener das Schicksal herausfor-
dernde Leichtsinn, der sich bei Menschen, die vielen Fährlichkei-
ten glatt entronnen waren, entwickelt, hielten uns fest und lie-
ßen die meisten recht gut schlafen.
Am Morgen ließ uns der unruhige Divisionär freilich um eine
Stunde früher als geplant, nämlich um £ Uhr marschieren.
i£s rvar ziemlich dunkel und sehr kalt, die gefrorene Straße klang
glashart unter den Pferdehufen. Der Atem von Mensch und
Tier verdichtete sich zu Wölkchen. Allenthalben herrschte Ruhe,
kein Schuß, kein Ruf. Bei Bystre südlich Baligrod ritten wir
durch ein Lager. Die Leute — es waren Hunderteinser — saßen
um zahllose, rotglühende, zitternde Feuerchen, die Gesichter
dämonisch umlodert, Rücken wie von Pech Übergossen. Ein-
9*
töniges Prasseln in der Runde — das brennende Holz. Im gan-
zen ein Bild wie vom Höllenbreughel —.
Die wegschlingen abwärts nach Lisna waren vereist. Unsere
Gäuler glitten aus. Auf der Sattelhöhe lag ein seinen "Wunden
am Transporte erlegener Dreiundvierziger.
Ich diktierte in Cisna die Disposition für den noch am gleichen
Tage durchzuführenden Weitermarsch auf den Rarpathenkamm.
Von Baligrod her dröhnte Gefechtslärm. Hunderteins bei
Liszna sollte uns aufnehmen. Mir war diesmal trotz des Rück-
zuges ausnehmend wohl zu Mute. Ich kam mir wie vom Weih-
nachtsmann beschenkt vor. Man bedenke auch: Allein hinaus-
gestellt zur Lösung einer ungewöhnlichen, schwierigen Aufgabe
war meine Gruppe, und ich davon richtig selbständiger Führer!
Ich fühlte alle Rraft in mir, jetzt konnte mir erst recht niemand
dreinreden, und die Erfahrung von bald einem Dutzend Schlach-
ten und Gefechten hatte meine Renntnisse ungemessen gestei-
gert. Jetzt konnte ich dem Vaterland schöpferisch dienen und
meiner deutschen Nation, um die ja letzten Endes aller Rampf
offensichtlich ging, wir mußten zuletzt siegen. Ram es auf
Opfer an, und waren sie noch so groß? Und schließlich der Tod?
Lebt man, um von Genuß zu Genuß zu taumeln oder gar um
sich zeit seines Lebens auf den Himmel vorzubereiten? Man
lebt doch, um auf dem Posten, wohin man gestellt ist, das denk-
bar Beste unter Drangabe aller Rräfte zu leisten.
*
Wilhelm Rind,
geb. lZ. Oktober 1886 in Probstheida b. Leipzig,
gef. 29. März I9I8 bei Pleffier (Frankreich).
Baracken bei Guignicourt, 9. November I9I
Gestern abend ö Uhr kommt der Befehl. Irgend ein ¥7ejl soll ge-
stürmt werden, wir sind Reserve, müssen aber eingreifen, sollen
mächtig schreien beim Sturm, jedes Haus durchsuchen. Ich lege
mich in meinen Rarnickelstall schlafen. Vorher im Park, wo wir
hausen,stehe ich noch einmal am Rande der Ebene undschaue hin-
aus. Schon brüllen die Ranonen in der Lerne, und die Ge-
wehre knattern. Der Sternenhimmel ist wunderbar, im worden
95
blinkt der goldene "wagen. Ich denke an Euch daheim. ^11 Uhr
stehen wir an der Ebene. Es fällt kein lautes Wort. Dann mar-
schieren wir in den Nebel hinein. "wir wissen nicht, wohin es geht.
Die Berge, lange Höhen, eine Schicht dicke Luft von unbe-
stimmter dunkler Färbung, darunter heller das Blau des Him-
mels, das Licht des abnehmenden Mondes, um ihn die Sterne.
Am IVeg steht Wald, vorn an der -Lichtung eine einzelne junge
Riefer mit langen Nadeln. Und ich fühle die verborgene, mir
offenbare Schönheit alles Lebendigen. Ganz eins fühle ich
mich mit der weiten Ebene, dem Licht und den Gestirnen.
Sandgrube vor Berry-au-Bac, 2. Dezember J9l£.
Die vergangene Nacht war herrlich, wir haben 6 Stunden
wache, und 6Stunden konnten wir schlafen in einem warmen,
weichen Loch. So fest und traumlos habe ich geschlafen, daß ich
nicht einmal die Explosion von 16—18 Zentnern Dynamit, ein
Werk unsrer Pioniere, eine Viertelstunde von uns bei 23., ge-
merkt habe, und doch hat alles gezittert wie bei einem Erdbeben.
So habe ich auch jetzt mal einen ganzen Nachmittag lang ein
mächtiges Bum-Bum verschlafen.
Die Landschaft hier vor und hinter unsrer Stellung gefällt mir
immer besser. Langsam, aber stetig fühle ich mich hier ein. Hier
z. 23. ist eine lange schmale Höhe mit einem einzelnen Baum.
Ich mußte heute nacht an Dürers «Rreuzigung» denken, als ich
diese Landschaft sah. Und dabei fiel mir eins auf; ich würde ein
Bild der Rreuzigung malen ohne jeden Ausdruck von Trauer
oder Schmerz, aber mit der vollkommenen Schönheit dieser
Landschaft, die durch den geringsten Ausdruck des Schmerzes
mir entweiht zu werden schien. So fühle ich in allen Dingen
eine langsame "Wandlung des Empfindens.
Seit Tagen ist mir so traut und so heimelig, auch wenn mal
nicht alles äußerlich so klappt, "was sind unsere kleinen Sorgen
gegen das Gefühl des Geborgenseins iin Ganzen der Welt, gegen
dieses langsame Reifen und Starkwerden und Sicherwerden
für das Schicksal?
Guignicourt, den 5. Dezember 191$.
Es ist Abend, wir liegen im kleinen, warmen Stübchen in G.
Unsere Lichte brennen, draußen regnet es, und wir brauchen
nicht im Regen zu wachen, wenigstens einstweilen nicht, denn
der Soldat ist ja niemals sicher, Nun klingen die sentimentalen
wieder, einige spielen Skat, andere schlafen, wieder andere
essen, alle aber liegen im Stroh, das ganze Hans voll.
Ich war vorhin draußen und habe nach den Bergen hinüber-
geschaut, mit denen ich nun schon vertraut bin. Draußen, das
ist alles so lebendig, und für mich erfüllt wie je, ja stärker, mäch-
tiger, völlig unbegriffen, ich weiß nicht, wohin das noch soll.
Und dann: die Rirche, die muß jeden Tag einmal angeschaut
werden. Sie ist nicht groß, aber die romanischen Formen so
rein, so einheitlich und vollkommen bei größter Einfachheit,
ein Stück makelloser Schönheit. Wenn wir in die Gräben
rücken, lasse ich mich immer ein paar Augenblicke zu ihr hin-
reißen, noch ein Gruß, ein glückliches lächeln, dann nimmt
uns dunkle Scharen die weite Ebene auf, an marschierenden
Rolonnen vorüber, rasselnden Munitionskolonnen, Melderei-
tern, Wagenzügen, Pionieren mit Beil, Picke und Spaten, an
Artillerie und Rüchenkanonen, hinein in das schweigende Dun-
kel, das noch so unheimlich belebt ist, hinein in das -Leben, das
mir nun schon völlig vertraut ist.
Und ich gehe gern, denn die starken Stunden habe ich nicht hier,
wenn ich auf dem Stroh liege, rauche und träume, sondern
draußen im Graben, in den langsamen Vlächten, wenn ich, un-
bekümmert um den -Lärm der Artillerie, geöffnet bin für das
weite, ruhevolle Dunkel der Landschaft. Dort wächst meine
Rraft, l oo m vorm Feinde. Siehst Du, so finde ich Ruhe in
jeder Gefahr, und wenn der Tod käme, würde vielleicht mein
Fuß nicht in das -Leere treten.
*
Rudolf Hering,
geb. 27. Dezember 1891 in Dresden,
gef. 16. Dezember 1916 bei Dara/Rumänien.
Amifontaine, den Dezember 19H.
--Mit -Lobeck war ich schon in Lreiberg zusammen und
Thieme, der aktiv ist, habe ich jetzt erst kennengelernt. t£t hat
den Rrieg von Anfang an mitgemacht, und ist das Bild blühend-
7 5). d. S.
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ster und stroyendster Gesundheit, ein Draufgänger jbnderglei-
chen, aber weich und voll Gemüt wie ein Rind. Wir drei wollen,
wenn es irgend geht, Weihnachten zusammen feiern. Rürzlich
haben wir bis Z Uhr morgens zusammen gesessen, und da unter-
hielten wir uns hauptsächlich von unserm lieben, deutschen va-
terland, vom Elternhaus, und jeder erzählte, wie es zu Haufe
bei ihm ausschaut, wie schön die Jugendzeit gewesen ist, wie er
von Vater und Mutter Abschied nahm, und ob man es über-
Haupt ertragen kann, wenn es einmal heißen wird: «Friede ge-
blasen». Dazu dampft auf meinem Ofen immer das Getränk
des Stellungkrieges, Teepunfch, und auf dem Tisch steht ein
winziges Christbäumchen. "wenn ich das anzünde, dann tritt
meinem lieben guten Thieme schon vor lauter Rührseligkeit das
Wasser in die Augen, dann singen wir Weihnachrslieder und
erzählen uns von den deutschen Mädels, die ein jeder kennt, und
an die man hier denkt, wie an ein Wesen einer schöneren und
besseren Welt. Aber so nach dem dritten Rochgeschirr, wenn
Thieme seine Mitternachtsmüdigkeit hinter sich hat, geht's ans
Philosophieren. Dann reden wir vom lieben Gott, und an was
wir glauben, und man kann vor drei nicht ins Bett gehen. Ia,
Ihr glaubt gar nicht, wie schön es hier ist, wo jeder selbstbewußt
ist und sich den Teufel schert um Leute, die er nicht mag. Hier
hat niemand Rririk zu üben über das, was man tut oder läßt,
nur der Erfolg bürgt einem für den Wert des Handelns. VTic bin
ich so frei, wie wenn ich auf meinem Rappen über die Felder
sause oder in stiller Bedachrsamkeit durch die hier noch herbst-
lichen Wälder reite, im Schritt, und die Einsamkeit und das
Sterben der Natur genieße. Oder ich gehe am Spätnachmittag
zur Divisionsfeuerstellung, ganz allein, und lege mich dort auf
eine Strohfeime auf den höchsten Punkt der Umgebung und
sehe ein bißchen übers Land bis zu den Türmen von Reims,
oder rüber an die Steilufer der Aisne, wo sich die Heeresstraßen
der Franzmänner abzeichnen. Dann geht der Abendsegen los.
Erst bei uns ein grollender Donner nach einem jachen Auf-
blitzen, aber er bleibt nicht allein. Dumpf brüllen die Deutschen,
und mit pfeifenden Granaten grüßen die Franzosen. Wenn es
dunkler wird, sieht man die Schrapnells playen wie feurige
Seifenblasen. Aus dem Abendsegen wird eine regelrechte Ra-
nonade, bis die Schüsse und Einschläge seltener werden, schließ-
98
lich ganz verstun»men und man unter klarem Sternenhimmel
liegt und nur noch die hallenden Gewehrschüsse oder die dump-
feren vom Schützengraben hört, bis ein neues Spiel beginnt,
das Spiel der Leuchtkugeln. Sie steigen glühend empor, kom-
men oben zur Entfaltung und ergießen sekundenlang taghelles
Licht kilometerweit übers Land, bis sie verlöschen und gleich
sinkenden Rometen im Walde verschwinden. Ietzt schleichen
draußen die Patrouillen vor, ihren ungewissen N>eg, von Tag
zu Tag frecher werdend, bis ran an den feindlichen Schützen-
graben. Doch diesmal ist er besetzt, sie lassen die Patrouillen
rankommen, eine Leuchtkugel steigt hoch und läßt ihnen Zeit,
den schneidigen Rerl, der ihnen zeigt, was ein Deutscher ist, über
den Haufen zu schießen. Das alles geht mir auf dem Stroh-
diemen durch den Ropf, bis ich langsam heimwärts pendele.
*
Peter Semmler,
geb. 5. Januar 1881 in Nieder-Gemünden.
22. November l9l§.
Wir wollen den Mut nicht sinken lassen, denn der liebe Gott hat
ja bis hierher geholfen und wird dann auch weiter helfen. Mit
dem Trost gehen wir immer wieder vor den Feind. Aber es wäre
zu wünschen, daß der Rrieg bald ein Ende hätte, denn hier steht
man Tag und flacht in Lebensgefahr. Sollte ich nicht wieder
nach Hause kommen, so tröste Dich mit den andern, denn es sind
gar viele, die nicht wiederkehren. Nimm mir bloß meine Rinder
in Schutz.
Z. Dezember 1<?H.
3ch ergreife die Feder, an Euch zu schreiben, und wenn Euch
mein Schreiben in guter Gesundheit antrifft, so soll es mich von
Herzen freuen. Euer Paket und, was die Hauptsache ist, worauf
ich schon seit Tagen gepaßt habe, das Bild habe ich heute erhal-
ten. "wir harren gerade Essen gehabt, als die Post kam, ich hatte
ja Hunger, aber das Bild war mir lieber als das ganze Essen.
Ich habe mich erst mal satt geweint vor Freude, daß ich Euch
wieder mal sehen konnte auf dem Bild. Die Rinder sehen ja alle
7'
99
gut aus, das freut mich sehr. Aber Du, liebe Frau, Du brauchst
Dich doch nicht so zu kränken, denn ich bin's ja nicht allein hier
im Felde, es sind ja Tausende von Familienvätern, die hier
stehen. Also häng auch was an Dich.
Ich habe Euch heute 15Mark geschickt, das soll das Weih-
nachtsgeschenk sein von Eurem Papa, da kannst Du für Dich
und die Rinder was kaufen. Das -Lieschen ist ja merkwürdig
dick geworden. Wenn Ihr alle nur gesund bleibt, da will ich
gern alles mitmachen, denn ich denke immer: «Es hat einen
Anfang genommen, es wird auch ein Ende nehmen».
Argonnerwald, den 2$. Dezember £•
Deinen lieben Brief vom 2Z. und einen vom <5. November habe
ich heute erhalten und daraus ersehen, daß Ihr alle noch gesund
seid, wenn Gott will, so komme ich wieder zu Euch. Du schreibst,
was Du machen sollst, wenn ich nicht wiederkomme. Da kann
ich Dir doch keine Vorschriften machen. Das Haus kannst Du
nicht behalten, wenn Du für Dich bleiben willst, und die Rinder
sind noch zu klein, als daß sie Dir helfen können. Da kann ich
Dir keinen anderen Rat geben, als Du wirst es verkaufen müs-
sen, und Dich mit den Rindern auf Hausmiete setzen. Wir müs-
sen ja vieles durchmachen und auch vieles ertragen, aber das
wollen wir alles gern tun. Man wird manchmal ganz nersch,
denn wir liegen seit August täglich im Gewehr- und Ranonen-
donner, wenn ich die liebe Frau und die Rinder nicht hätte,
dann wollte ich lieber sterben, als wie ich das noch länger mit-
machen müßte. Aber wir dürfen den Mut nicht sinken lassen.
*
Reinhold Frohn,
geb. l. Februar 1885 Hannover-Linden,
gest. 2t.Dezember l9l£, Rutno, Feldlazarett.
Piontek, 8. Dezember
Die erste Nachricht meiner Verwundung habt Ihr inzwischen
wohl erhalten. Mir geht es sehr gut. Ängstigt Euch also bitte
ja nicht, liebe Eltern. Es geht alles gut. Meine Verletzung ist
zwar schwer, weil der linke Oberschenkel durchschossen und ge-
loo
krochen ist. Das wäre der erste Schuß. Eine Gewehrkugel hat
mir den linken Fuß durchschlagen und eine andere ist hinten in
den Hals und zur rechten Brustwarze wieder herausgesaust.
Eine Schrapnellkugel ist vom rechten Ohr in die Wange gegan-
gen und sitzt da noch. Zwei dieser letzteren stecken im linken Arm.
Heute morgen haben wir diese mit Leichtigkeit herausgeholt.
Das ist eine ganz nette Auswahl, gelt? Aber der liebe Gott hat
seinen Arm über mir gehabt und bis auf die Rnochenverleyung
keine edleren Teile verletzen lassen. Ich bin so wohlauf, daß ich
wirklich große Lust nach einer fröhlichen Bierrunde mit Euch
verspüre. VI« — bald!
(Zwei Stunden vor seinem Tode der Schwester diktiert:)
Empfangt hiermit meine letzten Zeilen. Es war zu viel. Ge-
habt Much nicht allzu sehr um etwas, was gebracht werden
mußte. Grüßt bitte alle Lieben.
*
Hugo Lüdicke,
geb. 25. September I89Iin Wilhelmshaven,
gef. 23. April 1915, GhisteUes (Flandern).
Slype bei (pstende, 7. Dezember I9H.
Wir sitzen jetzt gemütlich bei Kanonendonner — die Fenster zit-
tern jedesmal beim Frühstück (Rinderbraten)—und erzählen uns
etwas und rauchen dazu. Es ist alles nicht so schlimm, wie man
es sich in der Ferne vorstellt. Die Leute hier sind freundlich und
nicht hinterlistig. Wenn wir unsere Gewehre reinigen und sin-
gen, steht die ganze Familie drum rum und hört zu. Manche
Lieder kennen sie schon und singen sie mit. Morgen nacht müs-
sen wir wieder in den Graben. Wenn es nur nicht so schmierig
von der Überschwemmung wäre und nicht so oft regnete, wäre
es schon ganz gut auszuhalten. Also mir geht es gut. Einen
Freund habe ich nicht, sie sind alle meine Freunde. Wir halten
alle fest und treu zusammen.
Slype in Belgien, I.Januar 1915.
Am heiligen Abend sangen wir bei brennendem Christbaum
(Buchsbaumstrauch) die lieben, alten Weihnachtslieder. Unser
101
Zugführer hatte das Eiserne Rreuz erhalten. Ihm standen die
Tränen in den Augen, als wir ihm jeder mit kräftigem Hand-
schlag unter dem brennenden Baum Glück wünschten. Er
sprach wenige Worte. Aber wir alle verstanden sie. Vlach der
Leier gingen wir dann in den Rampf. Die Sterne leuchteten
am Himmel und die Granaten blitzten auf. Im ersten Grauen
des ersten IVeihnachtstages hatten wir 6 Tote und 11 verwun-
dete. Hoffentlich geht es Euch gut. Gott gebe den Menschen
bald Frieden.
*
Adolf 1Viegand,
geb. 13. August 1885 in Osnabrück,
gef. Zl. August I9I8 bei Peronne.
Roye, 17. Dezember I9l£.
Aus Eurem Brief sieht man, wie unsereiner sich hier draußen
verändert hat. Alle Eure kleinen Gorgen verschwinden hier bei
uns vollkommen. IVir sind so geworden, daß in uns nur der Ge-
danke lebt, siegen zu wollen, auch wenn wir uns selbst dabei
aufreiben. Das Gefühl wurzelt in uns zu fest, es ist ja auch vom
ersten Tag in uns, und wir kennen doch die Greuel des Rrieges
aus eigener Anschauung. IVenn wir uns vorstellen sollten, daß
das alles unsere Städte und Dörfer wären und das alles unsere
Rüben und Rartoffeln, die auf den Äckern faulen, und unsere
Häuser, die hier abbrennen, dann wäre das genau so, als wenn
uns einer den Lebensfaden abschnitte. IVir können uns das
gar nicht vorstellen, wir müssen einfach siegen, wenn das Leben
wieder IVert haben soll für uns. Und wenn wir dann das -Leben
behalten und wieder in die Heimat kommen, dann sind wir so
glücklich, daß es uns im übrigen ganz gleich ist, wie wir finan-
ziell dastehen, oder wie sich das Leben und der Beruf weiter ge-
staltet. Wenn Friede ist und ich sitze wieder unter Euch, das ist
mir genau so, als wenn mir einer nochmal das Leben schenkt,
ein zweites Leben, das mit dem ersten gar keine Verbindung
hat. Und da schreibt Mutter mir, es käme ihr so vor, als hätte
ich sie nicht so lieb, wie sie es verdiente. Ich wünschte, ich könnte
so manchen mal mitnehmen direkt aus der Heimat hier in die
102
vorderste Äinie, da wo wir täglich arbeiten, vor den eigenen
Schützengraben, den Gegner Zoo m vor der Nase, dorr soll er
sich im Stacheldraht den Anzug zerfetzen, dort soll er sich die
Hände blutig reißen, dort soll er im Schlamm stehen und frieren
im Dunkeln, daß er die Hand vor Augen nicht sieht. Dann soll
ihm das Handwerkszeug in der Hand zerschossen werden, dann
soll er die Richtung verlieren, in die Granatlöcher fallen, dreckig,
zerschunden und regendurchnäßt alle Augenblicke eine Salve
um den Ropf herum, dann soll er die Augen krampfhaft auf-
reißen und zu sehen versuchen, und dort acht Stunden aushal-
ten, arbeiten, da wo man sie nur fühlt, nichts sieht, und wo die
feindlichen Patrouillen auf loo m ran sind. Ich glaube, man-
cher stürbe in der ersten Nacht vor Schreck und Nervenlähmung
und würde sagen: Hier, nimm mein vermögen, aber lasse mich
nur einmal in die Heimat zurück. Und daß er sein Vermögen
behält, daß er eine Heimat hat, deshalb stehen wir hier Nacht
für Nacht, für ihn, für lLuch alle zu Hause. Hart sind wir ge-
worden; die Salven schrecken uns nicht mehr, der Dreck wäscht
sich ab, die Uniform wird wieder genäht und die blutigen
Schrammen heilen. Wo ist die Nation, die uns hier draußen
bezwingen will? Aber wo ist auch die Nation, deren Rinder in
die Heimat zurückgekehrt, soviel stille heiße Tränen vergießen
werden als wir? Wie mancher Brief ist mit der letzten Anstren-
gung zustande gekommen, und alle fangen sie an: -Liebe Mut-
ter, lieber Vater.--genau so wie man vor 15 oder 20Iahren
als Rind sagte, wenn einem etwas fehlte. Und diese Anrede, das
ist heute keine Uberschrift mehr, darin liegt die Erkenntnis des-
sen, was man vor dem Rriege besessen hat, ohne den Inhalt
genau zu kennen, darin liegt der Wunsch, nochmal Rind sein zu
können.
*
Willi Wolbold,
geb. 29.Dezember 1893 in Saarbrücken,
gest. ?. Februar 1917in Schneidemühl, Fliegerschule.
vor Zypern, den 17. Dezember l9l4.
vorgestern machten die Franzmänner zwei Sturmangriffe, die
natürlich abgeschlagen wurden. Wir, das heißt die Artillerie,
103
mußten vorher ein starkes Fever aushalten, das wir nach Ge-
bühr beantwortet haben. lLin unheimliches Rrachen undRnat-
kern, dem man ohnmächtig gegenübersteht. Wir haben aber
dazwischen gefeuert, wie die Besessenen eine Salve nach der
anderen hineingejagt in das heulende, krachende Durcheinander.
Daß wir den Franzosen einen wichtigen, vielleicht den letzten
Stützpunkt vor Zypern weggenommen haben, wollen sie nicht
zugeben und machen rasende Anstrengungen, um den Stütz-
punkt, eine Höhe, wieder zu nehmen. Aber wenn wir irgendwo
die Zähne reingehakt haben, lassen wir nicht mehr los.
Hindenburg hat uns wieder einmal das Rückgrat gestärkt.
Diese Begeisterung, die sein Sieg hier auslöste, könnt Ihr tLuch
nicht vorstellen. T5?ir wollten erst das Ungeheure nicht glauben:
die ganze russische Armee in die Flucht geschlagen, und damit
wahrscheinlich das russische Heer vernichtet. Ungeheuerlich, fast
zu überwältigend, um es zu glauben.
Diese Auffrischung tat uns aber auch bitter not; denn hier
sieht's sehr trübe aus. Nicht als ob wir ein Vordringen des
Feindes fürchteten, aber die Bedingungen, unter denen wir
kämpfen, sind fast zu hart, zu unerträglich, wochenlang still
liegen, mit zäher Unerschütterlichkeit Angriff auf Angriff ab-
schlagen, und jeden Zentimeter Boden, den wir erobern, mit
Verlusten bezahlen, die fast zu groß sind. Denn hier wird um
Zentimeter gekämpft. Und dann das Wasser! Ihr habt keine
Ahnung, wie das Wasser den so schweren Rampf erschwert.
Wir bauen Unterstände und sehen sie in ein paar Stunden voll
Wasser stehen. Die Laufgräben sind die reinsten Bäche, der Bo-
den durchweicht, zerwühlt, zerschossen. Es ist wörtlich aufzu-
fassen, daß die Stiefel im Dreck stecken bleiben, in einem zähen,
gelben, heimtückischen Schlamm. Und über die Felder zieht sich
ein -Laufgraben neben dem andern, liegt ein Granatloch neben
dem andern. Und die dächte sind so dunkel, so schwarz und un-
durchdringlich wie unser Schicksal. Fast alles muß bei Nacht
gemacht werden, Mssen beibringen, ablösen, Stellungswechsel
und alle diese Arbeiten. Man rastet sich dabei vorwärts in das
Dunkel hinein, von Infanreriekugeln umpfiffen, von Grana-
ten umkracht — übrigens das einzige Geräusch in der toten
Finsternis —, rutscht aus, arbeitet sich wieder hoch und muß
vorwärts, muß einfach. Gestern abend rollte ich unseren Tele-
10*
fondraht auf. Die Franzosen hatten ihn, wie es jeden Tag
lo mal passiert, zerschossen. Und nun rastete ich mich übers Feld
und suchte meinen Draht. Aufallen Vieren, oft aufdem Bauche,
wenn die Leuchtkugeln kamen, schob ich mich von Merkpunkt
zu Merkpunkt und holte meine einzelnen Stücke. Ich konnte
nicht mehr alles finden. Morgens früh noch einmal los und zu-
sammen gesucht, was zu finden war; denn die Verbindung
muß da sein, wenn der Major kommt. Man glaubt nie, daß
man in dieser Dunkelheit, in diesem Schlamm überhaupt etwas
fertig bringt, und doch geht's, muß es gehen; sind es doch die
kleinen Sandkörnchen, die den Berg unseres Sieges auftürmen
sollen, und jedes Sandkörnchen muß beigebracht sein. Noch viel
schlimmer ist die Infanterie dran, die Tag und Nacht in den
Schützengräben auf der Lauer liegen muß, bis an die Rnie im
Schlamm, von Granaten überschüttet, in nassen Unterständen,
die das Wasser zernagt und zum Einstürzen bringt. Und man
tut alles doch so gern, durchkostet alle diese beinahe unerrräg-
lichen Mühseligkeiten und Strapazen mit einem Lachen, das
allerdings manchmal rauh und verbissen die Rehle hochsteigt.
Und doch lacht man nach einer vollendeten Arbeit, nach einem
vollbrachten Tag; und dieses Lachen wird zum Jubeln, wenn
wir von neuen Erfolgen hören, die unsere Rameraden errun-
gen haben. Vvir wissen genau, daß unsere Rameraden in Ruß-
land tausendmal mehr ertragen müssen, und doch wünscht jeder,
in Rußland dabei sein zu dürfen, noch mehr erdulden zu dürfen,
um unserer Angehörigen willen, die wir schützen, um unserer
großen Sache willen, die wir verteidigen, um unseres Vater-
landes willen.
*
Oskar Loose,
geb. 22. September 1876 m Röslin,
gef. 21. Dezember I9l£ bei Carlepont.
l?n den Höhlen des IValdes von
Carlepont, 17. Dezember I9I£.
Meine lieben, kleinen Leute!
Gern hätte ich, IValdi, Dir schon eine Franzosenmüye geschickt,
aber ich habe noch keine bekommen können. Von so einem
105
Schwarzen, die magst Du wohl nicht und die rechten Franzosen
sind nur als Offiziere hier vor uns, die bleiben dann weiter
zurück.
Neulich, in der vergangenen 'Woche, war ich vorgelaufen und
hatte auch schon drei Leinde umgangen, die ich fangen wollte.
Aber dann schössen sie aus dem rechten Waldstück auf mich,
während vor mir eine ganze Reihe ausschwärmte, um mich zu
fangen. Da konnte ich nicht anders, ich mußte zwei von den
dreien totschießen, während der dritte, der in einem Loch lag,
nur verwundet wurde. Vlun, von den Toren wollte ich Dir die
Müye doch nicht schicken, und so mußt Du leider noch etwas
warten. Nun kommt ja aber doch mal ein Tag, wo man etwas
frei hat und denke mal, wie ich da durch den Wald gehe, lLddi,
da komme ich ganz weit im Walde auf eine kleine Wiese so recht
im Tal gelegen, ringsum der dichte Wald mit seinen Felsen und
Höhlenlöchern und in dem Wiesentale — da fand ich ein paar
Gänseblümchen. So recht lieb standen sie da und guckten mich
mit ihren großen Blumenaugen so erschreckt an, ich glaube, die
fürchteten sich vor mir. Denk auch bloß mal, Du gingest in
einem dunklen Walde und da käme auf einmal ein über und
über beschmutzter Soldat, an dem nichts weiter blank ist als
seine schrecklichen Waffen, auf Dich zu, ich glaube, Du würdest
auch Furcht empfinden. Ich habe ihnen dann aber gut zugere-
det und gesagt, ich wollte mit Dir wiederkommen. Du seiest ein
kleines sauberes Mädchen und würdest sie dann schon lieb haben
und denke mal, dann schien die Sonne wieder und ein Häslein,
das sich ins Gras geduckt harre, sprang eilig auf und lief wohl
schnell zu den Rehen im Walde hin, um ihnen zu sagen, sie
brauchten nicht vor mir bange zu sein.
Eugen von Wietersheim,
geb. 17.Mai 1870 in Vieuhof, Rreis Striegau,
gest. Z. August 1915im Feldlazarett Ziemiany /Galizien.
Zwezede, den ly. Dezember lyl5.
Als Landwirt möchte ich Dir folgenden Rat geben: Unsere
materiellen Aussichten nach dem Rriege sind unbedingt sehr
los
mäßig, gleichwie der Rrieg auch enden möge. *£« muß mit allen
Mitteln versucht werden, die Betriebe in bestem Zustande zu er-
halten. Auf der Landwirtschaft beruht schließlich alles. Soviel
Getreide produzieren als nur irgend möglich. Ftf cht mit Runst-
dünger sparen. Es kommt nicht darauf an, welches das Beste
für unser Portemonnaie, sondern wie produziere ich das meiste
für Deutschland. Du wirst nun eine alte, erfahrene Landfrau
werden, und mir sicher ganz über den Ropf wachsen bei Deiner
riesigen und immer bewährten Passion und Verständnis für die
^Wirtschaft. Laß Dich bitte aber mal von diesem oder jenem
erfahrenen Landwirt beraten. Der gute alte F. ist nicht immer
ganz der rechte Mann, so treu und famos er sonst ist; aber sein
Prinzip, kein Geld auszugeben, ist doch sicher jetzt nicht das
richtige, denn der Boden muß in der richtigen Rultur erhalten
bleiben zur Ernährung der Allgemeinheit.
, *
Martin Lämmel,
geb. 22. Februar l8yl in Rattern b. Breslau,
gef. 17.September 1915 an der IVersoka.
25. Dezember lyl4, * Uhr nachts,
von 6— 7Uhr habe ich einen Christbaum gebaut aus den hei-
matlichen Tannenzweigen, mit acht kleinen IVachsstocklichtchen,
habe in der Ecke unseres Unterstände« einen Aufbau zurecht
gemacht, vor den Christbaum eine Papierkrippe gestellt und
Deine vier Wachslichter darum. Dann nahmen wir noch ein
verlorenes Schäfchen in den Unterstand auf, das sonst keinen
Anschluß hatte, lösten den Posten draußen auf fünf Minuten
ab und zündeten den Bauin an. IVir beschenkten uns mit den
Resten von Zigaretten, Speck, IVurst, Schokolade, Zwieback,
Marzipan und kurfürstlichem Magenbitter, die ein jeder noch
hatte. IVir sangen: Stille flacht, heilige flacht. Ich las aus
dem neuen Testament die ewige Weihnachtsgeschichte: Und es
begab sich, daß ein Gebot---. Und in der Hälfte sangen
wir mit heiserer, leiser Stimme, ein Tenor und ein Baß, das
wunderbar zarte: Es ist ein Ros' entsprungen. Langsam sin-
gen die Zweige des Bäumchens an zu knistern. Unter den ver-
107
glimmenden Lichtern erklang das «V du fröhliche». Und als es
dunkel geworden war, dachte ich: es fehlt nur noch eins. Und
ich sang den andern Dein Lied, Mutter: «So nimm denn meine
Hände». Dunkel hob sich das Bäumchen ab von der weißen
Ralkwand des Unterstandes. Die silbernen und goldenen Fäden
glänzten zwischen den Nadeln. Flimmernder Tand. Nur flim-
mernder Tand?
jLine halbe Stunde später sammelte ich meine Patrouille gegen
den Feind. Nun habe ich schon zweimal draußen gelegen
auf dem Bauche, das Ohr auf den Boden gepreßt, den Re-
volver in der Faust, den Finger am Sicherungsbügel, in
sternklarer, kalter Nacht auf dem hartgefrorenen Boden,
so wie ich es mir wünschte in irgend einem Brief, den ich
vor etwa vierzehn Tagen schrieb. TtHr halten gute Wacht
für iSuch daheim. Und für das, was dem Manne noch mehr
sein muß: Für die Idee des Staates, des deutschen vaterlan-
des. Wir sechs ziehen noch einmal, auf eine Stunde nur, hin-
aus vors Drahtverhau, I5om vor, in der Stunde des frühe-
sten Tages.
*
Walter Heinyel,
geb. l8. Januar 1892 in Hamburg,
gef. 17.November 1915 bei Merckem in Flandern.
"Weihnachten 1915.
Im Westen versinkt langsam die Wintersonne. über dem win-
terlich einsamen Schlachtfeld ruht das Schweigen des Todes.
Schweigend und schwarz starren die Ruinen der Häuser vor uns
in die mondlose, stürmische Julnacht. Nichts rührt sich auf der
weiten Flur. Friedlich liegt das Schlachtfeld vor uns. Ab und
zu steigt eine französische Leuchtgranate auf, die die Gegend für
einige Augenblicke erhellt. Hin und wieder fällt ein scharfer
Schuß der Posten im Graben. Sonst ist alles still. Iulnacht —
deutsche Weihnacht!
Die Gedanken der Rrieger sind heute daheim bei all den -Lieben,
daheim in der Heimat. Noch immer liegen wir in Feindesland,
noch immer donnern die Ranonen, noch ist der Friede weit.
los
Noch wird es dauern. Aber, so drängt sich einem die Frage auf,
wie wird es nach dem Rriege, nach dem Siege werden?
Wenn wir nun mir unseren 'Waffen den Sieg erfochten und un-
serer friedlichen Arbeit dauernden Schutz erfochten haben, was
wird aus all den guten Rräften werden, die diese ernste Zeit aus
uns herausgearbeitet hat? Wird das deutsche Volk diese Rräfte
in Frieden erhalten und weiter entfalten können? Sieh, Mut-
ter, das ist für mich vie Rern frage des ganzen Rrieges. Rönnen
wir sie mit Zuversicht bejahen, dann müssen und werden wir
alle Opfer des Rrieges verschmerzen können. Haben wir auch
im Frieden Führer, die ihr Ziel, die Größe und Verantwortung
ihrer Aufgabe kennen, Opfer von uns zu fordern den Mut
haben werden, haben wir Männer und Frauen, die für ihre
Überzeugung eintreten, denen die innere Stimme des Gewissens
mehr sagt als äußere Anerkennung? Oder wird es wieder so
werden, wie es — Gott sei es geklagt — an so vielen Stellen
unten und oben im Vaterlands vor dem Rriege war? Ängst-
liche Scheu vor Rang und Geld, brutaler Rampf der materiel-
len und parteiinteressen, Schelten nach oben und unten, klein-
liche Sorgen des grauen Werktags und des engen Ichs, leicht-
fertiger Tanz über den Sonntagsfrieden hinweg? Soll unser
gutes, tüchtiges Volk dasselbe wieder erleben, was es nach den
Freiheitskämpfen vor hundert Jahren, nach dem großen Rrieg
von 1870 hat erleben müssen? Will man wieder wie damals die
Familienväter dieses deutschen Volkes für Heimat, Vaterland
haben kämpfen lassen, ohne in rechter Weise dafür zu sorgen,
daß diese Familienväter an dem Heimatboden, der Väter Land,
den ihnen nach blutigem Rampf zukommenden Anteil erhalten?
Oder werden alle Männer und Frauen in verantwortungsvol-
len Stellen, tapfer und in klarem Bewußtsein ihrer Pflichten
und Ziele, für die Rasse und Aufgaben des deutschen Hauses,
der deutschen Familie eintreten? Das ist des Deutschen Reiches
Schicksalsfrage nach dem Rriege. V Mutter, diese Frage lastet
schwerer auf mir als die, ob ich oder links oder rechts der Rano-
nier lebend und gesund aus dem Rriege zurück kommt. Glaube
mir, hier in der Front zu kämpfen, dazu gehört weniger persön-
licher Mut als zu den Rämpfen um die wahre, rechtliche und
sittliche Freiheit und Einheit im Inneren nach dem Friedens-
schluß.
109
Viele wissen: dem Rampf mit dem Schwert in der Hand muß der
Rampf des Geistes folgen, jener Rampf des deutschen Geistes
gegen den fremden schädlichen Geist. — In uns wohnt der
Glaube an unsere Rraft, der Glaube an unsere Art! Wir wer-
den uns durchsetzen! Wir glauben an ein Erwachen des deut-
schen Volkes auch in geistiger Beziehung und an ein rechtes Er-
kennen des Zieles. Eine neue deutsche Welt wird erstehen und
ein neues Leben — ein deutsches Leben — wird sich den Weg
bahnen.
*
Ludwig Schäfer,
geb. 9. Dezember 1880 in Berlin,
gef. ö. März J9I5 bei Pohar/Galizien.
Lascinicke, Russ.-Polen, 2Z. Dezember l9l5.
Von Mittag 12Uhr hatte ich wieder einmal Rrankenwache.
Da hatte ich alle Hände voll zu tun, 1$ Mann in einem engen
schmuyigen Raum auf Stroh gebettet. Ich siye auf einem Sack
auf der Erde. Ein kleines Petroleumlämpchen erhellt schwach
den Raum. Stöhnen und Ächzen, rasselnder Atem. Siyr nicht
wieder neben mir der Tod und wartet und wartet? Tausend
Bitten, unzählige Rlagen. während ich dem einen helfe, ruft
schon der andere, vorsichtig taste ich durch die dicht am Boden
liegenden und versuche zu helfen. Einer will immer trinken und
darf es doch nicht — Bauchschuß. Einer fragt immer wieder, ob
sein Fuß wieder gesund werden würde. Was dorr aus dem ge-
schienten Bein hervorragt, ist ja kein Fuß mehr. Langsam,
Tropfen für Tropfen, flöße ich einem andern in den offenen
Mund etwas Raffee — Schuß in den Mund. Lange Schatten
an der Wand. Flackernden Lämpchens Lichtschein, zitternde
Lebensflammen, Neue Bitten, neue Rlagen. Durch das Fenster
leuchten zahllose Wachtfeuer, und jetzt tönt eine Mundharmo-
nika. Gesang fällt ein, «Es war in Schöneberg---». Lang-
sam schleicht die flacht vorwärts. Draußen rollt Ranonendon-
ner, ein Schrapnell zerplatzt funkensprühend in der Luft. Und
immer füllt sich die Luft mit Rlagen, schon ist der ganze Raum
erfüllt, und zum Himmel steigt eine furchtbare Anklage, ein wil-
I IC
der Fluch. Dann kurze Ruhe. Bis wieder das Riagen anhebt.
Endlich, endlich kommt der Morgen heran, der die Armen zur
nächsten Station, zum Feldlazarett bringen soll. Werden wir
alle auch fortgeschafft werden? Bange Zweifel. Da, die IVagen
fahren vor. Also doch! langsam wird einer nach dem andern
fortgetragen. Die sich etwas bewegen können, kriechen vor. Nur
mitkommen! IVeihnachtsglocken tönen, die Heimat ruft. IVas
sieht nur einer so todblaß aus und liegt so torenstill? Die Heimat
ruft doch! Alle haben den Raum verlassen, nur einer nicht.
Still sind die Lippen, die so dringend bis zum letzten Augenblick
den Trunk begehrten und der, der neben mir saß und wartete,
hüllt ihn in seinen Mantel.
Morgen ist Weihnachten, und ich nicht bei Euch. Verlebt die
Festtage recht glücklich. Hoffentlich kommt nun endlich der Tag,
wo wir uns wiedersehen können, und wo der Rrieg wie eine
dunkle IVolke davongezogen ist.
*
Ronrad Müller,
geb. 27. Mär; lSyö in Berlin-Cöpenick,
gef. 2§». September 1915bei Tahure/Champagne.
25. Dezember I9l£.
Heilig Abend ist vorbei. Es war ein Heiliger Abend, an den ich
lange denken werde, vorgestern kam plötzlich der Befehl, daß
wir Schützengräben buddeln sollten, und zwar auf längere Zeit.
IVir waren ganz betrübt, und doch ist das Fest schön geworden.
IVir mußten in T. übernachten. Der ganze Ort war belegt mit
den «Leibern» und unserem l8. Regiment. Alle waren schon in
IVeihnachrsstimmung. Der Baum wurde geschmückt. Und wir,
wir sollten nachts in die Linie und vier Stunden schuften. Das
wollte uns gar nicht gefallen. Aber es mußte sein. Nachts um
Y22Uhr kehrten wir in unser (Quartier zurück und legten uns
auf das Stroh. Es war ein (Quartier bei einer jungen Frau.
Das war ein Elend, unbeschreiblich einfach. Der Mann war im
Felde. Die Frau wußte nichts von ihm, da sie nicht an die fran-
zösischen Behörden schreiben konnte, verdienen konnte sie nichts.
Essen habe ich sie den ganzen Tag nicht gesehen, und dann vier
in
kleine Rinder. Das Jüngste zwei Tage nach Einberufung des
Mannes geboren. Barfüßig sprangen die Rleinen aufden Stein-
fliesen und auf dem nassen Lehmboden auf der Straße herum.
Elend, elend, so etwas gibt es in Deutschland nicht.
U)ir hatten Lebensmittel empfangen und waren in die Rirche
gegangen. 12Mann waren wir. Zuerst sangen wir «Stille
Nacht». Dann las ich die Weihnachtsgeschichte vor. Hach dem
Evangelium hielt einer von uns eine kurze, kernige Ansprache.
Dann sangen wir noch «Großer Gott, wir loben Dich»! Die
kleine Leier war so stimmungsvoll, manch alter Mann hat ge-
weint, und manch Spötter schwieg. Dann gingen wir zurück und
saßen still um den Ramin. plötzlich kam die Nachricht, wir
sollten heute abend noch mit unserer Rolonne eine Christfeier
haben. Die Freude war groß. «<v du fröhliche» klang es in den
kleinen Raum. Es war zu schön, einen arbeitsfreien Abend mit
den Rameraden verleben zu können. Auf einmal war es hell in
dem kleinen Raum geworden. Y7ur die arme Frau stand mit
Tränen in den Augen. Die Rinder saßen in der Ecke, staunten
und wurden ganz zutraulich und lieb. So gut wir konnten, trö-
steten wir die Frau, als wir losgingen. Um 7 Uhr fuhren wir in
die sternenklare flacht und sangen immerzu. Es war eine Herr-
liche Mondnacht. Fast in jedem Haus sah man den Christbaum
brennen. "wir wollten kaum glauben, daß wir in Feindesland
waren. wir müssen im Fest wieder zum Buddeln hinaus.
*
Naudö,
gef. 19. Juni 1915 in Galizien.
Im (Quartier, Zl. Dezember l9l£.
Die letzten Stunden des alten Jahres 1915 will ich benutzen,
um mir meinen -Lieben in der Heimat mich zu unterhalten,
laicht klagen will ich heute. Rlagen tue ich überhaupt nicht —
aber glaube mir, wie schrecklich der Rrieg ist, könnt Ihr, die Ihr
dabei nicht beteiligt sind, nicht ausdenken — was Ihr in den
Zeitungen lest, klingt alles so schön, die Wirklichkeit ist ganz,
ganz anders. Nachdenken über all das "wahnsinnige, das man
erlebt, darf man gar nicht — man muß eben durchhalten und
112
man tut es — jedenfalls ich — gern. Die alten Landstürmer
sagen immer zu uns Jungen: wenn Ihr gewußt hättet, daß es
so im Rrieg zugeht, so hättet Ihr Euch nicht freiwillig ge-
meldet! Und ich sage immer, ich hätte mich doch gemeldet. Denn
wir müssen. — Jeder deutsche junge Mann muß für sein Vater-
land freudig sein Leben einsetzen, wenn's auch noch so furchtbar
schwer ist. — Das sind keine Gefühlsergüsse von mir, es ist meine
felsenfeste Überzeugung, zu der ich mich durchgerungen habe und
die ich vertreten werde, solange ich lebe. Jeden Tag kann ich
fallen, das weiß ich genau, — stets fordert unser Schützen-
grabenbeziehen mehrere Tote — aber, liebste Mutter, wenn's
Gott bestimmt hat, so will ich gern sterben für mein geliebtes
Vaterland.
"wir schlafen herrlich auf der weichen Matratze im großen Bett,
zugedeckt mit der schönen Decke von Großmutter. Morgens
trinken wir warmen Rakao, dazu gibt's Pfefferkuchen von
Mutter und Großmutter oder Reks, dann wird gelesen oder Ge-
wehr gereinigt, fein Frühstück gegessen, weiter gefaulenzt. Mit-
tag gegessen, geschlafen, gelesen, spazieren gegangen, geschrieben,
bis der Abend herankommt und man zum Täßchen Tee sich
heimatliche "Wurst und Rommißbrot gutschmecken läßt. Hat man
also nicht "wache zu stehen, was ja auch oft vorkommt, oder ist
kein unseliger Appell, so lebt man herrlich und in Freuden. Lern
donnern die Ranonen,... die von der See aus gelten auch uns
— nahe rauscht das Meer.
s D. d. S.
113
WWWWU
1915
Heinrich Seltner,
geb. 21. Februar 1886 in Dr. Milmersdorf, Rreis Teltow.
Gnaeskerke an der Bruck bei Ostende,
7. Januar 1915.
Des Soldaten liebste Beschäftigung ist das Esten. Bei der Leid-
artillerie ist die mir Recht so beliebre Gulaschkanone nur selten
vertreten, es wird vielmehr zugweise abgekocht. Nur hapert's
damit manchmal furchtbar. Da ist dann so eine ungeschickte Ge-
sellschaft, die noch nie im Leben eine Suppenkelle in der Hand
gehabt hat, zusammengeraten, und die soll nun kochen. Rochen,
das ist überhaupt gut gesagt, da die zum Rochen notwendigen
Zutaten wie Butter, Eier, Gewürze immer fehlen, Mehl, Zucker,
Milch nur in den seltensten Fällen vorhanden sind. Da gehört
also schon ein gewisses Geschick dazu, in den Speisen Abwechs-
long zu schaffen, wenn man ein Stück rohes Rindfleisch in die
Hand gedrückt bekommt und nichts weiter dazu. So haben wir
Züge, bei denen es jeden Tag gekochtes Rindfleisch gibt. Das
wäre ja allerdings ein Dorado für den alten Herrn, Rindfleisch,
womöglich gekocht mir Senf- oder Zwiebelsauce, oderBrühkar-
toffeln—ist ja sein Leibgericht. Solche-Leckersaucen gibt's aber
hier nicht; die kriegt selbst unserRüchengefreiter nichtzustande.
Rüchengefreiter! U)as stellt Ihr Euch wohl darunter vor?
Gewiß irgendeinen Rüchenklown, den uns der Staat nach vor-
genommener Abstempelung zum Gefreiten zur freundlichen
Benutzung überlassen hat? V weh, weit gefehlt! Unser Rüchen-
gefreiter ist ein hochgewachsener junger Mann mit lieblich spros-
sendem Vollbart und kühn geschwungener, römischer Adlernase.
Um den Mund hat er einen herrischen Zug; er hört auf den
melodischen Vtamen Beier. Seines Zeichens Studiker im vor-
s» 115
geschrittenen Semester. Zum Zeichen seiner "Würde haben wir
aus einem verlassenen belgischen Hause ihm eine weiße Schürze
besorgt, seine umgedrehte Milirärmüye sieht zwar nicht mehr
ganz blütenweiß aus, — denn er leidet wie alle Röche sehr unter
Schwitzen — ist aber doch der Müye eines Roche entfernt
ähnlich.
Morgens steht der Meister als letzter auf, denn die niedere Runst
des Raffeekochens überläßt er inferioreren Geistern, wie mir.
Hat er dann seinen Raffee geschlürft, kratzt er sich am Hinter-
köpf, — ein beliebtes Mittel, um die Sinne zu schärfen, — und
überlegt mit wichtiger Miene, wie er heute unserm Gaumen
einen möglichst angenehmen Ritzel verschaffen könnte, (tt ist
noch nicht ganz schlüssig — das sieht man seinem Gesichte an —,
womit er uns heute erfreuen soll, aber trotzdem greift er sich einen
Gemeinen heraus, der ihm die niederen Arbeiten wie Rartoffel-
schälen pp. zu besorgen hat. Auf einmal geht ein Glänzen über
sein Gesicht, und wir wissen dann ,«jetzt hat's geschnappt». Es
ist beinahe, als ob er mit einer höheren Macht im Bunde stände;
denn immer zaubert er aus den Tiefen seines Rucksacks, der
notabene unerschöpflich ist, herbei, sei es etwas Mostrich oder
Zimmet, fei es ein Stück Butter, das er großmütig opfert, sei es
sonst irgend etwas Raffiniertes. Nun kann man ja natürlich
trotz der größten Rochkunst nicht aus Rindfleisch Ralbsbraten
oder Gänsebraten machen. Und Rindfleisch wird nur geliefert,
das ist hier Brauch von altersher. Doch unser «Rüchengefreiter»
— findet Ihr nicht, daß in dem "Wort Rüchengefreiter eine ge-
wisse Innigkeit liegt, als ob man dabei die Augen gen Himmel
aufschlagen möchte? — ersinnt immer einen anderen Modus.
Heute gibt's Schmorbraten, morgen Gulasch, übermorgen Rin-
derbraten mit imitierter Sahnesauce. Ja, er beabsichtigt sogar
schon Selleriesalar und saure Bieren zu machen! Er behauptet
aber, Essen sei auch eine Runst, die gelernt sein wolle und wir
fräßen alles nur sinnlos in uns hinein. Unsere Gaumen müßten
erst für feinere Genüsse vorgebildet werden. So lernten wir erst
essen und begnügten uns mit der ersten Stufe: Rinderbraten,
Schmorbraten, Gulasch und Roch fleisch. Doch wir sind gelehrige
Schüler, und so sind wir schon auf Stufe zwei angelangt: wun-
derbarer Milchreis mit Zucker und Zimmet. Saure klieren und
Selleriesalat stehen in naher Aussicht.
llö
00 leben wir, so leben wir,
So leben wir alle Tage
In der allerschönsten Saufkompanie!
Und doch — troy unseres genialen Rüchengefreiten macht sich
bisweilen eine Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens gel-
tend. So ein Gänse- oder Hasenbraten von Mutters Hand, der
käme mir eben recht.
*
Franz Lakotta
geb. 2*. März 1884 in Hennersdorf/Schlesien,
gest. 31.Dezember 1930 in Osterfeld/Rhld.
Middelkerke, den 2. Ianuar 1915.
Alles ist feldmarschmäßig gepackt und reisefertig zum Aufbruch.
Ich bin allein in meiner stillen Rlause, da mein Trupp noch mal
auf 2s- Stunden nach vorne mußte. Gott weiß, wohin wir
kommen, nur nicht nach Bixschoote, wo wir dann an den vielen
Gräbern unserer Rameraden vorbei müßten — sowie der ent-
setzliche -Lehm und Schlamm. Dort haben wir so oft Belgien
verwünscht und uns nach einer anderen Ecke gesehnt. —
Nun muß ich Dir, liebe Frau, auch über unfern Erfolg des
letzten Rampfes berichten, viel ist es nicht, aber in dieser langen
Zeit, wo wir hier stets dem Tode ins Auge gesehn haben, ohne
selbst anzugreifen, ist es wieder einmal etwas Neues. Wie ich
Dir bereits mitteilte, war der Rampf kurz, aber heftig. Ich
hatte nachdem die Gelegenheit, mir beim Mondenschein das
Rampffeld näher zu besehen. Denn bei Tage war es ausgeschlos-
sen und auch des Nachts nur, wenn der Mond hinter "Wolken
war. Zunächst will ich vom Feinde und dessen Verlusten berich-
ten. Er kam in drei Staffeln im Sturm auf unsere Stellungen.
Die einzelnen Posten wurden vom Feinde überrannt, bzw. ge-
fangen oder getötet. Diese hatten aber Schnellfeuer abgegeben,
sodaß die Feldwachen alarmiert wurden. Diese griffen ein und
alarmierten die Reserven. Als sie einschwärmten, wurden sie
von den Granaten überschüttet und verloren drei viertel ihrer
Mannschaften. Reiner ist mehr lebend davongekommen, denen
der Hals durchgeschnitten war, bis auf die "Wirbelsäule. Das
117
machen die Marokkaner und Genegalneger. Sie arbeiten Haupt-
sächlich mit dem Messer. Vlun kannst Du Dir ein kleines Bild
machen, was für Blut fließt, und mit welcher IVut dann unsere
Rameraden rangehen. Diese sind kaum zu halten, da sie immer
weiter in die feindlichen Reihen wollen. Man sieht den Tod vor
Augen, und doch denkt man nicht daran, nur immer ran an den
Feind. Lerner sah ich, wie ein Matrose sich gegenseitig mit einem
Neger aufgespießt hatte und nun friedlich zusammenlagen, als
wären es Brüder. 4Liner neben dem andern. Auch haben wir
zwei brave Rameraden von unserm Telefontrupp zu beklagen,
welche mit ihrer Gration ebenfalls im vordersten Graben lagen.
Sie harren vorschriftsmäßig den Apparat zuerst zertrümmert.
Mit welcher Begeisterung unsere Reserven zum Sturm gingen,
kann ich Dir allerdings nicht beschreiben. Jeder zog schon vorher
sein Seitengewehr heraus und probierte es auf seinem Gewehr,
ob es nicht von dem Flugsand versandet war. «Rache für un-
sere Rameraden», so gingen sie aus dem Unterstand. Dem
Hauptmann ließen sie keine Ruhe, es dauerte ihnen zu lange.
Sie hatten alle gedacht, mit Engländern ins Handgemenge zu
kommen, leider vergebens. Liebe Frau! Du wirst ersehen, daß
wir hier, so wie überall, bei den deutschen Truppen an jeder
Front und auch zur See, begeistert sind, gründlich aufzuräumen,
damit endlich die Sache mal vorwärts geht und der langer-
sehnte Friede näherrückt. Das ist es, was die Feinde Deutsch-
lands erschreckt und sie ins höchste Bewundern versetzt, die
deutsche Manneszucht, Religion und Disziplin. Wir wollen auch
fernerhin troy Tod und verderben Stand halten, so daß kein
fremder Fuß unsere Saaten in der Heimat zertreten soll. Die
Feinde waren so ritterlich und überschütteten uns mir Negern,
Indern und Gott weiß was für ein Pack. Sie glaubten, uns
damit zu ängstigen. Aber bange machen gilt nicht, sagt der
Deutsche.
*
A. Iakobeit, unbekannt.
Am 27. Januar l9l5 im Schützengraben.
---A?ir haben uns unsere Unterstände so gut wie möglich
dicht gemacht, haben uns drin Kfen gebaut, so daß wir uns
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verbindet mir dem Frieden. — Nach dem zweiten Signal zum
Einsteigen hob die Musik den Radetzkymarsch an. Waren mir
früher schon die Grauen von Frühlingsstürmen umwittert er-
schienen — die Tauluft mochte dazu beitragen —, so blickte ich
jetzt während der Rlänge des feurigsten Hsterreichermarsches
auf sie als die Rämpfer, die den Sieg vorbereiten, erringen
werden. Im Frühling ... der Schnee begann leicht zu
schmelzen, und die Jungen, unsere ersten, zogen in's Feld —
muß es jetzt nicht Frühling werden? "wie ein bittendes
Mahnen klang der alte Marsch herüber, unser Vaterland,
unser geschmähtes Österreich troydem nicht untergehen zu
lassen, nicht an ihm zu verzweifeln — und aus den Gesichtern
sprach ein ernstes, festes Ja. So muß jemand fühlen, der
seine Geliebte lang verachtet, verkannt hat, und plötzlich er-
kennt er ihre -Liebe, ihren Wert — schmerzlich, aber mit dem
tief, wild ausbrechenden Gelöbnis, alles wieder gut zu machen,
wie er nur vermag ... Die meisten waren schon droben ge-
wesen, die Offiziere alle — kein Wort übermütigen Hasses
mehr an den Wänden der Wagen, nur auf Zettel in den Müt-
zen oder in den Schiriemen das vielsagende: «Zum zweiten-
mal nach Rußland» oder «Zum drittenmal». Und doch —
welche Begeisterung, in den Augen derer mit den leuchtend gel-
ben Borten am roten Rragen, derer mit den goldenen und sil-
bernen Sternen, derer mit dem schlichten Grau der Halstü-
cher — als der lange, lange Zug hinausfuhr unter Flattern,
Rufen, Brausen . . . Anfangs, Mitte und Ende Mär; gehen
nacheinander drei Marschbataillone weg. Die werden uns alle
mitnehmen. Mich vielleicht schon das erste. Ich lebe auf, da die
Zeit naht, für die wir uns solang vorbereitet. Um keinen Preis
möchte ich zurückbleiben.
*. Oktober 1915.
Heut ist's wieder schön! Nachts draußen im Graben und wenn
auch nichts kam — gestillt hat doch das Unstillbare der dunkle
stumme Marsch durch den Wald, der mondgrelle Strom der
Scheinwerfer, die jähen Blitze und das lange feierliche Brausen
schwerer Granaten durch die sternenlose Ruhe. Ruhe schwält
im Unterstand, wenn das knisternde Feuer erloschen und nur die
rotgelbe Flamme der Sturmlaterne über unbewegliche, dicht-
120
gedrängte Schläfer scheint. Ich weiß nicht, wer der war,
neben dem ich heut lag. Mine fremde Truppe, und doch ge-
hören wir zusammen, fühlen mitsammen, wie beim Mor-
genlicht ein Schwarzbart hereinkommt, sich niederfallen läßt
und ruft: «Buam» (§0 sind sie alt!) «dankt's unserm Herr-
gott, uns geht's guat. Auf 39 habn's 5 Tote und zwei hat's
verschütt'!» Mine Granate fuhr in den Unterstand und zer-
riß sie . . . Und jetzt, Deinen Brief, Dein Bild vor mir, die
mich in alle "Wirbel des Glücks rissen! Fährt ein Rotkreuz-
karren die Schotterstraße zum Friedhof hinauf — ich seh's
durchs Fenster, den weißen, rohen Sarg. Lieben und Tod,
wirrer "Wechsel, stärkster Minklang. Man sieht's, hört's, wie
sie sterben, und es ist wie ein Traum, dem man nur seine
"Wirklichkeit glaubt, wenn des -Lebens Schönheit dem Grauen
des Todes gegenübersteht.
Min Frühling neuer Frische werden Seele und Sinne sein,
wenn das Drama schließt — jetzt schon spür ich's! Grau, hart
und tannenschwarz liegt unser Lager — aber durch die Schlucht
herauf schäumen die Farben des Herbstes, vor zwei Tagen stieg
ich das erstemal hinunter. Wie es sang und schwang in mir —
Duft und Licht des Herbstes! — "wir lagen einem kleinen "wei-
ler gegenüber, auf den eine unsichtbare Batterie schoß und sahen
zu, wie die Granaten ihre schwarzweißen Rauchtürme aus den
"wiesen emporjagten. Dann kam der Nebel über die Ruppe, wo
wir den feindlichen Beobachter wußten, und die Batterie mußte
schweigen. Der Nebel bringt Frieden in die Berge. Die "Wolken
fallen herab, aus dem Tal steigt's und auf einmal zog ein wei-
ßes, schneeiges Meer über den Sattel, hinüber in's Tal der
Mtsch. Und dort, wo es die Höhe erreicht und, uns unsichtbar,
hinunterfließen mußte zum Strom, wölbt sich blau, schwer-
dunkel ein Tor im letzten Licht. Lang glühte die Sonne auf den
Rämmen des weißen Meeres — aus ihnen tauchte der Berg,
schwarz und scharf, wo ich die Mdelweiß gepflückt. Heimat?
Fremde? Ich sah es auf diesem Heimweg nur als das Land, für
das wir kämpfen, "wird es uns fortlassen — wann braucht es
unsere Hilfe nicht mehr? —
*
121
Äffe Saumann,
geb. 27. Oktober 1882 in 'Westersander, Rreis Aurich, Vstfries-
gef. 15. Juli 1$15 in den Argonnen. [Iand,
Tagebuch.
Bois-de-ville, den 22. Januar lpl5.
An die vergangene flacht werde ich denken, so alt ich werde.
Um 5 Vi Uhr traten wir an, um unsere lieben Toten zu begra-
ben, auf zwei Tragbahren trugen wir sie durch den Walt», stock-
finster, dazu Regen und nasser Schnee. Bis zur Wade waten
wir durch den Sumpfwald, da, schweres Artilleriefeuer, wir
legen und drücken uns neben die Toten; todmüde kommen wir
zum Grabe, der Hauptmann hält eine kleine Rede, vor Rührung
versagt ihm die Stimme, uns rinnen die Tränen über die U)an-
gen, dazu der Regen, der Regen. Die Rameraden liegen Seite
an Seite in einem Grabe, südlich der Bahn im U)alde Bois-de-
Ville; hier liegen auch schon andere, Deutsche und Franzosen,
begraben.
Dann von lo—12.30 Uhr auf Horchposten an der Straße vor
unseren Stellungen; die Franzosen schießen dauernd; wir über-
Haupt nicht; wir haben Meldung, der Feind will uns angrei-
fen, wir liegen tief im Schlamm, jede Muskel ist gespannt und
zittert vor blässe und Rälte, aber der Feind kommt nicht. End-
lich werden wir abgelöst, Ramerad Sjuts aus Neßmersiel und
IVilts aus Moorhusen, die bei mir in der Hütte liegen, haben
noch ein Feuerchen an, die nassen Rnochen hingestreckt und
dann 1.45 Uhr wieder hinaus auf Horchposten an die Chaussee.
Die Nässe und Rälte ist unerträglich, doch stehen dürfen wir
nicht, denn fortwährend pfeift's und klatscht's. Da, aufsprin-
gendeRameraden: «Se sünt dr'! Se kamt!»Auch ich springe hoch
und rufe: «Holt Stand!»— Doch kein Franzose läßt sich blicken,
es war Täuschung der überspannten Nerven. Um 4.45 Uhr
wieder in der Inselburg, die Rameraden schnarchen; schnell ein
Feuerchen an, doch kaum brennt's, da «Alarm». Wir in die Stel-
lungen, Dreck und "Wasser fußhoch, Jan Buck liegt neben mir,
wir setzen uns aufrecht hinein und ducken uns; ich schlafe ein
und träume. Der Franzmann kommt wieder nicht, von 9—3
tags in den nassen Rleidern geschlafen; von —8 wieder auf
122
Horchposten, das Wetter ist klar mondhell, die Franzosen schie-
ßen wenig. Nun zum Feuer und dann ins Stroh, schlaft wohl,
meine Lieben im fernen Vaterland, Gott möge Euch behüten.
Bois-de-ville, den Zo. Januar lyl5.
Draußen ist herrliches Wetter, todstill, ein wenig Frost; aber
kein Feldgrauer läßt sich sehen; denn draußen singen die schlan-
ken Rupfergeschosse eine eigene Melodie, gellend, pfeifend, sur-
rend und patschend, die Herren Rulturträger schießen wie wahn-
sinnig in unsere Stellung, wir antworten überhaupt nicht; es
ist, als wenn so'n großer Hund von einem kleinen Röter ange-
blafft wird, Wenn sie aber meinen, daß hier in Bois-de-Ville
kein Gegner steht, so können sie nur kommen, dann sollen sie ihr
Wunder erleben. Dann will wi aber am in de Hann spe'n.
Ranonenberg, den 25. Februar lyl5.
Am 23. d. M. nachmittags sind wir durch riefen Dreck nach hier
marschiert. Es ist eine wunderliche Stellung (Reserve) am nörd-
lichen Steilabhange des Berges, hier liegen Erdhöhlen in
10— 12Etagen übereinander, etwa besetzt von Z0SS Mann.
In der Nacht vom 2Z. auf 25. sind wir mit Holz nach vorn
gezogen, durch tiefe Schützengräben, dann haben wir vor der vor-
dersten Stellung einen neuen Schützengraben gezogen, in har-
tem Ralkfelsen; dort liegen noch die Gefallenen, zumeist Franz-
männer, zu Hunderten. Granaten der Franzmänner barsten dort
in unheimlicher Nähe, wir lagen plattgedrückt im Schützen-
graben, nachher bin ich in das Schützenloch eines Pioniers der
10. gekrochen, pfeifend schlug gerade an meiner Arbeitsstelle ein
Bodenstück einer Granat« ein. Neben mir stand ein 80., ein
Ersayreservist. «Ich kann nit mehr schaffe, ich kann nicht mehr
schaffe», so klagte er, er war ein Raufmann, vor 5 Tagen ge-
kommen. Mit derben Worten habe ich ihm die Wahrheit gesagt.
Ranonenberg, den 17.Februar 1915.
Vorige Nacht war ich im «Tal des Todes» zu schanzen, wie sie
dort lagen, einzeln und in Gruppen, die Franzosen, in irgend-
einem Lande werden doch auch Mütter und Bräute, Frauen
und Rinder für sie sorgen, beten. Ein Rommando von uns
schleift sie in Gruben und begräbt sie, an vielen Fingern glänzt
123
der Trauring. In einem Steinbruch liegen noch deutsche Ra-
meraden,dem einen ist der Ropf abgerissen; einer liegt, als wenn
er schläft, den Arm vor den Augen, ein strammer Bengel, fried-
lich sind seine Gesichtszüge, sein Sturmgepäck, sein Helm, alles
siyr noch tadellos. Heute haben wir ein entsetzliches Artillerie-
feuer auszuhalten, die Luft zittert und bebt von explodierenden
Geschossen, Erde und Balken werden hoch in die -Luft geschleu-
dert. Von rechts heißt's: Sanitäter! Tote und Verwundete
gibt's dort. Links jammert ein Verwundeter zum Erbarmen,
unsere Sanitäter eilen hin. Wann trifft's uns? Wann mich?
Rechts von uns, beim 8. Rorps, tobt wieder ein gewaltiger
Rampf. Wie mag es enden? Und wann? Ö) Heimat! 0 Mutter-
erde ! Für Dich wollen wir das Schwerste ertragen.
Unser Sanitätsunteroffizier eilt gerade vorüber, mit der Trag-
bahre, Arme und Hände voll Blut.
Bouconville, den 5. März 1915.
Gestern hat uns der Frühling besucht, o du liebe Sonne, ein
eigentümliches Leuchten zauberst du in die Augen, sie sehen
dampfende Heimatscholle, sie sehen spielende Rinder in wärmen-
der Sonne. Vorgestern war ich zurRirche, am Eingang schmiert
ein Soldat seine Stiefel, auf faulendem Stroh liegen Rranke,
fiebernde Augen sehen uns an, wir stehen Ropf an Ropf und
lauschen den Worten des Predigers.
Viel wird in diesen Tagen von Frieden geredet, die Frühlings-
sonne ist schuld daran, sie hat uns etwas Schweres ins Herz
gebracht, das Heimweh!---
Montchentin, den p. März l?l5.
Morgen geht's nach vorn, die Schützengräben sollen naß sein
und dicht am Franzmann liegen, und unser Baraillonsführer
erteilte uns Rat, wie wir stürmen sollten. Na, wie's kommt, so
mag es kommen! Wir wollen nach dem alten Friesenspruch han-
dein: Lever dot as 01a»!
Montchentin, den 20. April 1915.
Heute, abends 7.55 Uhr, müssen wir antreten zum Ausmarsch
nach vorn. DasWetter ist herrlich, wir vom Lande haben Sehn-
sucht nach dampfender Scholle, doch heißt's: Durchhalten! Joffre
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will ja wieder «offensieren». Mit breitem, sicheren schein sprechen
die Rameraden darüber und sagen: «Lac hüm man kam!»
Das Wetter ist hier warm, die Apfelbaume blühen, in den Gär-
ten pflücken unsere Feldgrauenschon Salat, Radiesund Spinat.
Auch die LLrbsen blühen schon. (ist die schönste Zeit des Iah-
res. «Die IVelt wird schöner mit jedem Tag, man weiß nicht,
was noch werden mag.» Das können auch wir sagen, vom Sü-
den her dröhnt Geschüyfeuer. IDir hören das geschwätzige
Rnattern der Gewehre. Meine beste Raineradin, meine liebe
Frau, feierte am 2l.ds.Mts. ihren Jahrestag, meine Gedanken
waren heim, bei IVeib und Rind; leise klingt in der Tiefe meiner
Seele die Frage: Ob ich die Heimat wohl wiederseh?--
Montchentin, den 15. Juni I915.
Am 21. abends rückten wir wieder in die Feuerstellung. Der
Marsch dahin war schön durch die Sommernacht. j£m sicherer
Beweis deutschen Mutes und deutscher Tatkraft wurde uns so
recht auf dem Marsch vor Augen geführt: mitten durchs fran-
zösische -Land, in der schlimmsten Feuerzone der französischen
Artillerie waren Pioniere und Infanteristen bei der Arbeit, und
was legten sie? Eine Feldbahn! von weither, in Windungen
durch Schluchten und Wälder, eine Riesenarbeit! Sollte die
umsonst gemacht werden? vor uns Franzmänner, Engländer,
Belgier und alle Völker Afrikas und Indiens, die immer wieder
versuchen, uns zu vertreiben; dort weit im Osten der gewaltige
Rampf mit den Russen, auf dem Meere der Brite, und nun noch
der neue Gegner von Süden her. Und doch bauen die Ramera-
den die Bahn mit einer Sicherheit und Selbstverständlichkeit,
als wäre tiefer Friede!
Auf den unbestellten Feldern in der Feuerzone macht sich ein
wunderschöner Blumenflor breit; der blutrote Rlatschmohn
herrscht vor; so blutrot leuchteten auch die Flammenbliye eines
Vlachrgefechts rechts von unserer Stellung, es war, als barsten
riesige Ballen. IVir, die wir vom Horchposten zuschauten, dach-
ten an das Blut unserer Rameraden, das dort vergossen wurde.
M., den 10. Juli
Vom 18.—19. zogen wir nachts ins Hindenburglager. Es wurde
uns nun bekannt gemacht, daß der Sturm auf die französischen
125
Stellungen am 20. stattfinden sollte. U?ir 79.sollten stürmen,
doch die 8Z. ließen sich die Ehre nicht nehmen. Morgens um
Z Uhr begannen plötzlich unsere Minenwerfer zu spielen, schwere,
mittlere und leichte, dicke braune wölken wälzten sich bald aus
den Stellungen der Franzmänner.
Nun ballerte auch unsere Artillerie los, ein Höllenkonzert war
bald im Gange. Nach der ersten Überraschung schwieg der
Feind, aber nun brüllte es auch von drüben los; die ganze -Luft
war wie kochend. ttHr lagen fertig am Berg, bereit zum Ein-
springen, wenn'« not tun sollte. Um 8.5s Uhr schwieg plötzlich
unsere Ranonade, noch drei schwere Explosionen, nun wissen
wir, daß unsere Raineraden aus den Gräben brechen. Drauf!
Ob's wohl gelingt? Unsere Nerven sind aufs äußerste ge-
spannt! Da biegt, schweißbedeckt, ein Pionier um die Ecke, das
Gewehr mit dem aufgepflanzten Seitengewehr in der Faust,
und hinterdrein marschieren die ersten Gefangenen, dauernd
grüßend und die Hände hochhebend, sie sind scheinbar bange,
daß wir sie abmurksen; als sie aber merken, daß wir Barbaren
Mitleid mit ihnen haben, als wir ihnen unsere Feldflaschen an-
bieten, da lachen sie und freuen sich wie Rinder, daß der Rrieg
für sie aus ist.
*
Viktor Prüy,
geb. H.Oktober 1895 in Neustreliy,
gef. 28. September 1918 bei piennes.
Schützengraben, 27. Januar 1915.
Ich habe Gott gesucht seit der Zeit, da ich mir vorgenommen
harre, Theologie zu studieren. Ich habe ihn gesucht während
des Sommersemesters in Greifswald zwischen nüchterner IVis-
senschaftlichkeit, habe den Gott gesucht, den die Menschen be-
graben haben und sich haben verstauben lassen hinter leeren
Formeln und Dogmen, hinter salbungsvollen Ranzelworten.
Glaube mir, erst hier habe ich den lebendigen Gott gefunden,
der mein Freund ist, den ich liebe. Und vielen ist es so gegangen
wie mir. Jetzt Hab' ich es gefunden, wie ich einst von ihm ver-
künden muß.
126
9. Mär;
Wenn ich abends öfters herauswandere zur Stellung, mein
Gewehr umgehängt, dann glänzen die Sterne am dunklen
Himmel so, als ob gar kein Rrieg hier unten auf der Erde wäre.
Die erste Frage im Graben ist immer, ob ich den Frieden noch
nicht mitbringe. Ich möchte es schon. Aber noch müssen wir
Infanteristen weiter standhaft aushalten, wie unser Romman-
deur im Divisionsbefehl sagte, damit unsere Artillerie erst die
feindliche niederkämpfen kann. Die Artilleristen sehen immer so
herablassend auf uns Lußlatscher, aber eigentlich macht die In-
fanterie doch fast alles, sie gibt doch den Ausschlag. Wir sind
gar nicht von uns eingenommen, aber wenn man recht bedenkt,
wenn irgendwo etwas nicht geheuer ist, dann macht die Ra-
vallerie kehrt, und die Artillerie bleibt zurück und die Infan-
teriespiye muß vor. Solange Infanterie da ist, tut sie es ja
auch. Ich glaube, bei den Russen ist bald keine mehr, zu Ostern
sind sie alle bei uns.
Man lernt viel im Rrieg. Wer hätte es früher für möglich ge-
halten, einen ganzen "Winter auf Stroh zu schlafen, tagelang
draußen zu lagern usw. Wer die "Willenskraft hat, wer sich sel-
ber und sein eigenes Ich beherrschen kann, kann für anderes,
kann für "wertvolleres viel erreichen. Weiter — wie oft hat man
bei patriotischen Festlichkeiten geredet von Treue bis zum Tode,
geredet, daß alle bereit seien, für ihr Vaterland Gut und Blut
zu opfern. Und wenn man zum erstenmal die Rugeln pfeifen
hört, wenn man zuerst eine Granate einschlagen sieht, oder
wenn der erste Ramerad neben einem fällt, wie schwer wird
einem der Augenblick, in dem man zum erstenmal innerlich
gefragt wird, ob man auch wirklich freudig sich aufopfern
könnte. Das Leben ist doch so schön! Aber man lernt es, man
lernt feine Pflicht gut und freudig tun auch in dem Bewußtsein,
daß jeden Augenblick die tödliche Rugel treffen kann. Darüber
entscheidet ein Höherer, "wenn man die zuversichtlichen Gesich-
ter der verwundeten gesehen hat, wenn man sieht, wie sie
stumm ihren Schmerz tragen, dann kann man fast sagen: ich
habe gelernt, freudig mein Blut dahin zu geben für mein Vater-
land, wenn es von mir gefordert wird. Ich bin in diesen Wochen
einige Jahre älter geworden. Aber in all dem Wirren und
Hasten erhöht sich doch täglich der Lebensmut, die Lebenslust.
127
Man freut sich immer mehr über Alles, denkt nach, wie schön
doch das -Leben bisher war, wie schön man es gehabt hat, und
erkennt immer mehr, wie das Vaterland dieser großen Opfer
wert ist.
*
Friedrich 1Völtje,
geb. 12.November 1881 in Cornau,
vermißt 16. Februar 1915 bei Perthes.
Perthes, d. 15. Februar 1915.
Liebe Auguste du hast mir die Treuhe geschriben und nicht
wieder heiraten tust welches mir ser gefreut hat. Den Haft du mir
geschriben was ich den denke was du behalten soltes. IVen den
in deinerstelle wer, den täte ich alles wieder verkaufen was ich
nich nötich hätte. Das Geld was uns das gekostet hat das wirst
du da wol nich wider für bekommen, aber den bekommst du doch
erst noch wieder Geld und den bekommst du auch ja Unterstützung
und den hast du das besser nach meinem Dünken als wen du
wider heiraten tust mit deinen Rindern, den wir wissen ja beide
was das ist. Unfern Ehftand haben wir ja ganz gut genossen
aber wi gerne käme ich zu euch zurück wen ich den auch nich so
lange bei euch bleiben könnte. Liebe Auguste die wonung die du
jetzt Haft die behalte den man nich den siehe du liber zu ob du
nicht bei gutte Leute eine gutt kleine "Wohnung bekommen
kannft und den nicht vil Land und auch keine Ruh sonder eine
Zige den kannft du es ganz gut haben in deinem Laben mit deinen
Rinder und den werden die Jungenz auch ja größer und den
können sie auch ja wider großes Gelt verdienen. Liebe Augufte
den verzage nicht und traure nicht zu vil um mich Gott wirdt
dir den nicht verlassen, wen die Jungen; denn ein Handwerk
lernen wollen den las sie das man tun. das kann ich dir ja auch
nicht alle so schreiben wie das sei sol den ich weis ja auch nicht
ab das den alle so gut. aber wen ich nicht wider komm den behalt
das Land aber nicht alle weil den bist du ein (Quäler dein Läbe
lang und sonft kannft du es villeicht gut haben mit deine Rinder.
*
128
Georg Adamla,
geb. Z0. September 1886 in Aurich,
gest. 24. Mai 1920in LLmden/Ostfriesland.
2. Februar 1915.
Im Westen verglimmt der Tag langsam in rauchigem Orange,
die Rirchtürme von Z.und I. ertrinken allmählich in Dämmer-
blau des Frühlingabends. Herrlich war der Tag, so sonnig, so
hell, so warm. Zum erstenmal sah ich einen Mückenschwarm
im Freien spielen, itx wird dafür mir seinem jungen, kurzen
Leben büßen müssen. Im Hohlweg piept auf einem kahlen
Strauche irgendein Vogel einige kurze Töne. Ich glaube
nicht, daß es schon ein Star war, doch klang's beinahe so
und bestärkte in dem Glauben und Wunsche, daß Frühling
wird.
5. Februar 1915.
Mein Gott, welch unwahrscheinlich schöner Vorfrühlingstag!
der Sonne wonnig warm, kein Laut außer dem Flieger, der
gemächlich über unserm Ropf dahinzieht und sich in seinem be-
schaulichen vorwärtskommen nicht durch die französischen Sal-
ven stören läßt. Und jetzt möchte ich'« beschwören: ich habe
heute morgen tatsächlich eine Lerche tirilieren hören! Sie stieg
und schwebte und jubelte. Warm wurde mir dabei; ich erlebte
im Gefühl, wie oft ich denselben Laut im Frieden gehört hatte.
Wieviel Frieden schließt er in sich! Auch der Donner des alten
französischen Geschützes, das uns dahinten irgendwo gegenüber
stehen muß, stört sie nicht. Frühling, Wärme, Sommerstim-
mung — ein Gewehrknall ab und zu, Gelächter unserer Leute,
die sich vor ihrem Stande sonnen. Meine lieben, braven
Rerls! Heute nacht wieder auf Patrouille, Handgranaten ins
Drahthindernis geworfen. Wenn'snur endlich allgemein weiter
ginge!
März 1915.
Gottlob, man darf den Ropf wieder über den Grabenrand hin-
ausstrecken und sich in voller Größe draußen zeigen. Die weite
Mulde zwischen den beiden Stellungen füllt sich mit Dämmer-
blau, aus den Unterständen beginnen dünne Rauchsäulen hoch-
9 D. d. S.
129
zuquellen. Sie verwischen sich gleich mit der Luft und können
von drüben nicht mehr unterschieden werden; da kann man'?
wagen zu «kokeln», ohne befürchten zu müssen, daß die Ar-
tillerie da drüben uns gleich mir einheizen hilft. Ab und zu nach
langen Pausen noch ein Büchsenknall, die Scharfschützen können
sich anscheinend nur zögernd zum Feierabendmachen entschließen.
Dann und wann streicht mit eilig huschendem Flügelschlag ein
Feldhuhn dicht über den Graben hinweg. Aus den Unterstanden
abgebrochene "wechselnde in breitem Platt, entfernt auf einer
Mundharmonika die Töne des Liedes, von dem ich lediglich die
eine Zeile kenne:... «denn dieser Feldzug ist bald vorüber, wisch
dir die Tränen ab und wein' nicht mehr.» lLs ist etwas melan-
cholisch wie die meisten Soldatenlieder und klingt Zwischenweg
gut. Weniger gefühlvolle rauhe Rrieger singen die zeitgemäße
Variante: «Denn dieser Feldzug ist ja kein Schnellzug, wisch dir
die Tränen ab mit Sandpapier.» Min wenig hängt in der Luft
von jenem eigenen Duft, den ich erst im Felde kennen und wirk-
lich lieben gelernt habe. Soldatenkaffee, nicht allzu stark, gut
lauwarm im Aluminiumkochgeschirr, dazu Rommißbrot. Den
werde ich immer wiedererkennen. Das gelbgrüne Massiv von
CHZteau H. drüben zwischen den waldigen Hügeln, die Rirch-
türme zwischen Ch. und P. — Namen deren Aussprache unter
braven Ostfriesen nicht ganz leicht fällt — tauchen zusehends
im abendlichen Dunkel unter. Mit ihnen mein immer neuer
"Wunsch: IVann, wann endlich komme ich einmal hinüber? Da
sind wir nun an die sechs Monate hier, Tag um Tag schaue ich
die Mulde und das ansteigende Gelände drüben mit der fran-
zösischen Stellung, mit Schloß und "Wald, mir Dorf und Rirche,
Steinbruch, Ziegelei, einsamem weißem Haus. Alle Punkte
kenne ich genau, auch die, die hinter den Rulissen liegen und
direkt gar nicht sichtbar sind. Auf der Rarte bin ich so oft in
dem Gelände gewesen, und in Gedanken haben wir die Hö-
hen mit ihren lLtagen-Schüyengräben, den vielen Draht-
Hindernissen und mannigfachen verborgenen Überraschungen
längst gestürmt — und in Wirklichkeit? Das ist das Sonder-
bare des jetzigen Zustande«, daß nicht die Gründe des fried-
lichen alltäglichen Lebens mich hindern, die paar tausend Meter
zu überwinden, Zeit- oder Geldmangel, örtliche Schwierig-
keiten, körperliche Unfähigkeit, sondern daß die mögliche Er-
130
füllung des Wunsches nur mit Verlust des Lebens, zum min-
desten wenigstens der Freiheit verbunden ist. Und dann, wollte
ich selbst die wagen, ich allein habe doch zu dieser Zeit gar kein
verfügungsrecht über meine Person. Seltsam, welche Lagen
der Rrieg schafft.
-i-
Zürich Priese,
geb. 12.Februar 1892 in Naumburg/Saale,
gef. 15.November J917 im Luftkampf bei Colomberto bei
Vittorio.
Höhle Laroche, II. Februar 1915.
Meine Rompanie liegt augenblicklich in der oben genannten
Höhle, die sich unweit der vielumstrittenen Höhe bei Nou-
vron befindet. In dieser Höhle kann ein ganzes Regiment unter-
gebracht werden. Ich liege mit meiner Gruppe in einem kleinen
Schacht, der ungefähr 8 m lang, 5 m breit und I m hoch ist
(8 Jäger).
Hier befinden wir uns, wenn wir Ruhe haben, d. h. wenn wir
weder Schützengräben besetzen, noch sonstigenIVachdienst haben.
Auf Schritt und Tritt von Lebensgefahr bedroht, verlieren wir
den Humor nicht; auch Schlamm, Regen und Nebel können
uns nicht mehr ärgern, wir haben uns an alles gewöhnt. In
den Ralksteinhöhlen, die Granattrichter sind, fühlen wir uns
wohlgeborgen. Tag und Nacht arbeiten Freund und Feind mit
teuflischen Waffen, die an Grauen nichts zu wünschen übrig
lassen. Pioniere graben unterirdische Gänge, um Schützengräben
zu sprengen. Der ganze Boden ist mit Minen verseucht; jeder
Schritt kann einem Häuflein Menschen das Leben kosten und
ihre Rörper auseinanderreißen.
Heute blicke ich in das Dämmerlicht meines neuen Lebensjahres.
Mir ist's gleich, wie es kommt; ich Hab mein Leben so gelebt,
daß ich keine meiner Handlungen bereuen muß. lLs lebe das
Leben!
*
9*
131
Rurt v. d. Borne,
geb. 19. Mai 1857 in Frankfurt/Oder,
gest. 22. November 1933 in Berlin.
Rudolstadt, d. lZ. Februar 1915.
Dein nettes Briefchen mit der Anrede «lieber Soldat» und in
dem Umschlag mit den Worten «Grüß Gott, Soldat» habe ich
heute in dem Roffer meines lieben Sohnes gefunden. Ich weiß
nicht, ob er noch Zeit gehabt hat. Dir zu danken; aber gefreut
hat er sich sicher sehr über Dein Briefchen und Dein Weihnacht«-
geschenk. So bedanke ich mich denn an seiner Stelle für beides.
Denke Dir: Dein Soldat, dem Du zu "Weihnachten eine so große
Freude gemacht hast, lebt nicht mehr. itx. ist am 9- Januar so
tapfer bei Soifions auf die Franzosen losgestürmt, daß ihn der
liebe Gott gleich in den Himmel genommen hat.
*
Alex Schmidt,
geb. 2. Februar I89£ in Hamburg,
gef. 19. Oktober 1915 bei witthuis.
Merckem, d. 7. Februar 1915.
Gestern nachmittag %5 Uhr ging es ab nach vorn. Trübes, aber
trockenes Wetter. Also mit dem Affen, schwer wie Blei, das Ge-
wehr um den Hals gehängt, den Helm weit im Nacken, so mar-
schürten wir. von 8 Uhr an merkte man nach einer viertelstün-
digen Pause nichts mehr oder wenig vom Tornister, denn es
war so dunkel, daß man nur auf den Vordermann sehen mußte.
Gediegenes Marschieren! Stelle Dir vor, Du siehst nichts rechts,
Du siehst nichts links, nichts vor, hinter, Du fühlst nur dann und
wann Deinen Nebenmann, weißt nicht, wohin Du gehst, nur
vorwärts, den Blick stier auf Deinen Vordermann gerichtet,
von dem man auch nur den etwas hellen gerollten Mantel und
abgescheuertes Rochgeschirr sieht, waren die Beine auch noch
so müde, man trat aber so frisch und forsch auf, um immer festen
Fuß zu haben, ob Chaussee oder Morast, gleich fest, man sah ja
nicht, worauf man ging. Man geht so dicht auf, daß man in
ein Loch, wo der Vordermann reintritt auch reinhuppt oder bei
132
einer Stockung sich jeder am Rochgeschirr des Vordermanns die
Nase stößt. Man muß aber so dicht aufgehen, um den Anschluß
nicht zu verlieren. Das Einzige, was man mal steht, ist, wenn
eine Leuchtkugel den Himmel erhellt, daß man die schwarzen
Schatten der Helmspitzen herumtanzen sieht. Bei dem ungleich-
mäßigen Gehen kann ich dieses Geschaukel nur Herumtanzen
nennen. Licht darf nicht gemacht werden, da dann gleich ein
paar Granaten und Schrapnells angebrummt kommen. Ge-
sprochen wird auch nicht viel, nur mal ein Scherz, der die wort-
los dahinmarschierenden Soldaten zum Lachen zwingt. Und
das sind dieselben Leute in meiner Gegend, zwei andere und ich.
Da man nicht sehen kann, wo man sich befindet, kann man nur
an der Marschdauer sehen, wie weit es noch ist. Aber: «Wieviel
Uhr ist es», tönt es dann von hinten oder vorn, denn sie wissen,
daß meine Uhr am Arm stets leuchtet. «%8 Uhr». VTa, noch ne
kleine Stunde, denn hat das «Abhauen» ja keinen Wert mehr.
Ja, man immer lustig! Wenn's bloß nicht so regnen wollte.
Soll doch man jetzt aufhören zu regnen, sonst liegt man wieder
die ganze Nachtin den nassen «Plünnen» rum. Da es regnet,
sind wir vergnügt, dieses Mal erst auf zwei Tage in Reserve
nach Merckem ins (Quartier zu kommen und nicht gleich in den
Graben. Rur; vor Merckem passieren wir unsere Ablösung.
Dann tönt's: «War seid Ihr für welche?» — «2l2er!» —
«Welche Rompanie?» frage ich. — «5tc!»— «Wo liegt die I.?»
«Weet nich! Sünd ji Meckelnbörger?» «Nee, aber Hummel,
Hummel!» geben die Hamburger Antwort. «Halloh Hamborg»
und so fort. Um 9 Uhr haben wir unser (Quartier, l o Mann ein
Zimmer in einem einst vornehmen Hause. Im Hause erst macht
man Licht, d. h. die Taschenlampe blitzt auf. Schnell werden die
Fenster auf Dichtigkeit untersucht und Pappe und Stroh in die
Lücken gesteckt. jLin Mann geht auf die Straße, guckt rauf, ob
noch irgendwo ein Lichtstrahl zu sehen ist. Wie alles fertig,
machten wir Licht, kein elektrisches, eben Talglicht. Jeder hatte
im Stroh seinen Play. lLine Tornisterbreite, den Tornister als
Ropfkissen. Nun wurde elegant gegessen. Brot mit Schmalz,
dann mit der gelieferten Wurst, wovon boshafte Zungen sagen,
sie sei vom Pferd, denn sie hatte eine eigenartige rotbraune
Farbe, die Haut ließ nicht los, nicht hart, nicht weich, aber
gummiartig, «schmeckr nich na em un nich na ehr.» Nur etwas
133
stark gepfeffert, und die Haut roch nicht nach Rauch, sondern
nach, ich weiß nicht was. Wegwerfen tut man nichts, was zu
essen ist, und somit wurde sie auch verzehrt. Dazu kein Wem,
aber einen schönen Schluck Rakao aus der Feldflasche. Danach
eine pikfeine "Waldorf-Astoria, eben aus Deutschland angekom-
men, und dann Nachtisch. Haselnüsse, fein, fein, echte deutsche,
dazu eine Rippe Gartinann-Truppen-Schoko, und man hatte
gelebt wie so ein Baron auf seinem Diwan, denn ich lag ganz
im Stroh, unter dem Ropfmein Luftkissen. Wenn man hier im
Felde schlafen geht, dann zieht man sich nicht aus, sondern an.
Also Rock und Mantel an, Ropfschützer und Mütze und dann
rin ins «Paradiesbett», noch eine Zigarette und Licht aus. Jeder
raucht, alles dunkel, nur zehn glühende Punkte und eine kleine
plauderstunde. Bald schlief man fest; wacht allerdings oft auf,
denn war ein Arm oder ein Bein eingeschlafen. Man legt sich auf
die andere Seite und schläft weiter. Heute morgen 6Uhr zum
Raffeeholen. Nach demRaffeetrinken wieder gepennt bis loUhr.
Tadellos gewaschen und wieder gegessen. Dieses ist die schönste
Beschäftigung hier, denn der Rörper verlangt viel, darum ißt
man auch oft und viel hier. Sonst kann man kein Rerl bleiben.
Morgens zum Raffee vier daumdicke Schnitten Rommißbrot
mit Schmalz, das ist doch jetzt hier ein Rlax für mich. Und den-
noch esse ich wenig gegen andere.
Der Franzmann beschießt uns heute fast gar nicht. Ms ist etwas
neblig, und deshalb haben wir auch Feuer im Ofen. Sonst am
Tag verboten. Ich freue mich schon auf den Spritkocher, den Du
mir schicken willst, der hier wie im Graben, wo kein Rauch ge-
macht werden darf, höchst praktisch ist. Man kann dann an
jedem Ort kochen, braucht sich nicht erst wie hier einen Ofen zu-
recht bauen, Holz suchen und zerhauen oder auch mal «klauen»
usw. Auch wenn man (Quartier ohne Ofen hat.
Sitz hier auf einem Stuhl beim Schreiben. Der Stuhl hat aber
keinen Sitz, deshalb sitzt man auf der Rante, wenn sie auch ein
bißchen den Podex drückt. Im Stroh mag man nicht dauernd
liegen. Unser Tisch ist eine Riste, deren vier kleine Bretter als
Beinchen, oben auf eine Eisenplatte. Ein hochnobler Spiegel-
schrank und großer Toilettentisch mit Spiegel und Marmorplatte
ist unser Inventar.
*
13*
Julius iLlenau,
geb. 27. Januar I87S in Hartenrod, Rreis Biedenkopf,
gef. 7. September 1915bei Soyecourt.
Schützengraben bei Boisselle, 18. Februar 1915.
Habe vorgestern das erste, heute das zweite Paketchen von Jüuch
erhalten. Sage Auch dafür von Herzen Dank. Alles war un-
verfehrt. Gestern und heute habe ich gefrühstückt wie ein Rönig,
wenn ich auch dabei mit meinen vier Buchstaben im Schlamm
sitze. Zu gleicher Zeit mit lLurem zweiten Paket kam ein solches
aus dem Schwarzwald mit echtem Schwarzwälder Speck. Die-
fem wäre es bald schlecht gegangen. Als ich mir dem kostbaren
Inhalt in mein Mauseloch kriechen wollte, muß wohl so ein
neidischer Franzmann etwas gerochen haben, denn der Satan
schießt mir mitten durch meinen Speck. Hätte er mir durch mei-
nen eigenen Speck, der allerdings jetzt sehr durchwachsen ist,
geschossen,so wäre das ein bißchen unangenehmer gewesen. Das
Loch im Speck hat übrigens tadellos geschmeckt. Das Entsetzen
kann ich mir gar nicht ausmalen, wenn mir der Spitzbube durch
meinRognakfläschchen geschossen hätte, denn ein solch köstlicher
Tropfen aus der Heimat ist gar nicht zu ersetzen.
Ich habe einen Polen bei meinen Leuten, ein prächtiger, uner-
schrockener Rerl. Der arme Rerl bekommt nur selten etwas von
zu Hause. Ich gebe ihm manchmal einen Bissen. Dafür tut er
mir alles, was er mir an den Augen absehen kann. Als ich den
ersten Schluck aus meinem Fläschchen nahm, grinste er mich mir
seinen großen Augen an. Ich frage: «IVarum grinst Du?»
«Haben Unteroffizier einen guten Schnaps?» Ar sah mir zu,
wie ich am Frühstücken war und machte mir unwillkürlich alle
Bewegungen mit dem Munde nach. Als ich ihn eine Zeitlang
beobachtet hatte, rief ich ihn zu mir und reichte ihm das Fläsch-
chen. iLr putzte sich schon von weitem den Mund ab, nahm das
Glas in seine Bärentatze und liebäugelte damit, wie in seiner
Heimat mit einer Maruschka, dann grinste er mich an, schloß die
Augen und mit einem tiefen Seufzer und mit einer nie ge-
sehenen Andacht nahm er einen kleinen Schluck, setzte das
Fläschchen ab, verdrehte vor Wohlbehagen die Augen, grinste
mich dankbar an und reichte es mir zurück mit den Worten:
«ß> Herr Unteroffizier, haben Sie aber einen guten Schwester!
135
Ietzt können die Franzmann kommen, haben Ianko jetzt aber
fürchterliche Courage». LLr geht und schießt wie wahnsinnig in
die französischen Schützengräben.
*
Heinrich Rn a u e r ,
geb. 6.April 1889 in Hamburg,
gef. 25. August I9I6 bei Combles a. d. Somme.
17. Februar 1915.
. . . Solche Soldaten, die die großartigsten Sachen zurecht
schwingen, von wegen herrlicher Rampfrag usw., sind gewöhn-
lich solche, die überhaupt noch keinen Franzosen gesehen haben,
sondern sich meilenweit hinter der Front, bei irgendeiner Ba-
gage herumdrücken. Denn wer vorne ist und eine große Schlacht
mitgemacht hat und die Leiden mit angesehen hat, redet am
liebsten gar nicht darüber. "Was die Einwohner hier betrifft, so
sind dieselben sehr friedlich; sie leben von uns, kommen wir aus
dem Graben, dann laufen sie uns die Tür ein und betteln nach
Brotresten. Die Rinder haben schon viel von uns gelernt, die
singen: «Deutschland, Deutschland über alles» usw. In der
Neujahrsnacht war hier Rirchgang, und als die Truppen aus
der Rirche kamen, wurden sie derartig mit Granaten überschüt-
tet, daß 60Mann verwundet und getötet wurden. Nachher
stellte es sich heraus, daß der Pfarrer noch eine geheime Telefon-
leitung in seinem Brunnen hatte. A)ie die Soldaten aus der
Rirche kamen, hat er es der französischen Artillerie gemeldet,
die natürlich sofort hierher funkte. Den Schweinehund hätten
sie man gleich zu Hackfleisch machen sollen.
S.März
Am 5. März erhielt ich das Paket mit dem Hemd nebstBriefund
Zeitung. Gott sei Dank, ein reines Hemd! Mutter braucht sich
wegen der Rälte keine Sorgen zu machen, dagegen wird sich
schon genug geschützt. Hauptsache ist ein reines Hemd. Jetzt
beim Schreiben, wenn ich nur an das Hemd denke, dann beißt
und kratzt und juckt es den Rörper, daß man seine liebe Freude
dran hat. Rommt man ermüdet aus dem Schützengraben in
w
das (Quartier zurück und freut sich, zwei Tage nichts mit Ra-
merad Franzmann zu tun zu haben, dann tritt ein neuer Feind
auf, dessen Bekämpfung weit schwieriger ist und dessen Offen-
sive wir oft machtlos gegenüber stehen. Ist man im (Quartier,
dann Tornister runter, Mantel aus, Rock aus, wollene "Weste
aus, Hemd aus, dann wird erst der Rörper mit den Fäusten be-
arbeitet, bis derselbe so rot wie eine Franzosenhose ist. Hirn den
etwa aufPatrouille befindlichen Feind zermalmen. Dann kommt
das Hemd, wo das große Hauptquartier aufgeschlagen ist. Hier
wird nun ein Vernichtungskrieg geführt, an dessen Größe ein
Hindenburgischer Zug nicht klingeln kann. Unerbittlich wird
vorgegangen, Pardon wird nicht gegeben, doch wie Pilze aus
der iLrde wachsen neue Regimenter. Ihr könnt Auch bald kein
Bild davon machen, wie gut das Heer organisiert ist. Jeder ein-
zelne weiß unseren warmen Rörper mit Erfolg zu erstürmen,
ohne jede höhere Führung.
Unsere Stellung kann man als sehr ruhig bezeichnen. Ab und
zu schießt mal die Artillerie, sonst amüsiert die Infanterie sich
meist alleine, "wenn ich z. B. drüben rüberschieße, dann winkt
der Ramerad Franzmann ab. An einen langen Stock hat er ein
rotes Tuch gebunden und gibt jedesmal das Zeichen: «vorbei!»
So vertreiben wir uns hüben und drüben die Zeit.
7. Juli 1915.
... Nun macht Much um Himmels willen keine Sorgen um
mich, ich fühle mich sehr wohl und bin einesteils sehr froh, end-
lich mal einige Zeit Ruhe zu haben und nach Heilung lLuch
wiedersehen zu können und mit Vater mal einen Röm und Beer
zu trinken. Nun wollt Ihr doch noch wissen, wie und wo ich
verwundet wurde, wir waren im Rornfeld in Schützenlinie
vorgegangen, die Rugeln pfiffen nicht schlecht, wir legten uns
nun wieder hin und kaum, daß ich lag, denke ich, es schlägt einer
mit dem Rnüppel auf mich ein, so einen Schlag erhielt ich. Nun
lief ich zu meinem Freund, der mich in etwas Deckung schaffte
und mich verband. Dann dampfte ich mit Freundeshilfe nach
hinten. Hier warten wir auf Abtransport nach Deutschland.
Die Rugel streifte die rechte Brustseite, ohne edle Teile zu ver-
leyen, dann ging sie als (Querschläger nochmal in den rechten
Oberschenkel, wo sie eine ziemliche Wolfsgrube machte, der Arzt
137
fuhr mit einer Zange gemütlich drin umher, als wenn er durch
den iLlbtunnel fährt ...
*
Rarl Heinrich Steffens,
geb. 16.Januar 1893 in Barlt/Holstein,
gef. 6. April I9I6 bei St. lLloi, Llandern.
Moulin, 28. Januar Ipl5.
... Du mußt Dir nun nicht denken, als ob irgendein Haus noch
Türen und Fenster hätte. Das ist eine Seltenheit. Verschlafen
und traurig stehen sie neben der arg zerfahrenen Straße und
mögen wohl ihren eigenen Traum träumen von vergangenen
Tagen, wo sie blank und frisch in die Welt sahen und sich freuten
am lustigen Leben und frohen Scherz ihrer heiteren Bewohner.
Jetzt ist es anders. Die Schmiede steht leer und verlassen da.
die schweren Elsenblöcke sind stehengeblieben und alte Geräte.
Die Scheunen stehen leer, so leer, daß einem das Herz weh tut.
Die wenigen Pappeln, die auf den Höhen vor dem Dorf stehen
mir den zerschossenen Stämmen und den zerknickten und zer-
splitterten Ästen, wiegen sich schwer im kalten Nordost, und durch
ihr Rauschen klingt ein eigen schwermütiger Rlageton. Wenn
man die Chaussee nach Südwesten verfolgt, die ein wenig steil
ansteigt, da sieht man rechts große Höhlen — «Mansteiner
Höhlen» genannt, Ralksteinhöhlen von großer Ausdehnung, so
daß eine Rompanie darin Play findet; und gerade diesen Höhlen
gegenüber führt ein kleiner Steig zu vielen hölzernen Rreuzen,
und wenn man nähertritt, erkennt man darauf lauter Namen,
eingebrannt und eingeschniyt in das Holz, und saubere, wohlge-
p flegte Erdhügel mit Sträuchern und Blumen ersetzen den letzten
Heimatgruß. Was liegt daran, ob man lange um uns trauert.
Das sollten wir doch erkennen, daß es zum größten Teil eine
Trauer um Dich selbst ist, wenn Du am Sarge eines geliebten
Menschen dich nicht fassen kannst. Die eigene Leere in Deinem
Innern, das «Aufdichselbstgelassensein» entpreßt Dir Tränen
und macht dich betrübt. Wer weiß, ob der Tote nicht zehnmal
glücklicher ist als Du. Und wenn Du um ihn trauern willst, so
lebe, als ob er noch bei dir wäre, eigne Dir möglichst viel von
138
seinem Geiste an, dann wirst Du auch im Tode ihn behalten, er
wird weiter mit Dir leben, lachen und fröhlich sein.
12.September 5.
Drei Dinge sind's, die unser Lieben gestalten: Arbeit, Freude
und Leid. Und gewiß, wem von diesen drei Dingen eines fehlt,
der wird nie sich vollkommen fühlen. IVas ist Arbeit und
Schmer; ohne Freude? lLin dumpfes Brüten und Grollen über
die schwer drückenden Fesseln der Arbeit und des Leides. —
IVas ist das Leben ohne Leid? ewiges Rindbleiben — im
günstigsten Falle. — Auch dann, wenn uns die Not mit harten
Händen packt, an Freude und Liebe glauben und tüchtig und
mit Lifer hineingreifen ins volle tätige Menschenleben — dar-
an halten wir fest I
Der Alltag kommt wieder für Much, Tage, in die Schatten fal-
len in dem Schmer; um verlorenes. Aber Pflicht ist es, uns
selbst und den Toten gegenüber, sich ;u erhalten als mutige,
glücksfrohe Menschen, und alles, was im Leben uns entgegen-
tritt, ;u überwinden.
Gustav Sommer, unbekannt.
(östlich von Plo;k, den 2Z. Mär; 1915.
Drei Tage lang haben wir uns herumgehauen, es war am
21. Mär;—23. Mär;. Der 22. war ein Sonntag, aber es war auch
ein sehr heißer Tag, es ging ordentlich doll her. Die Nacht vom
Sonnabend ;um Sonntag machten die Russen auf uns Sturm.
Da habe ich einen Landwehrmann gesehen, der stand ruhig
hinter einem Rreu; auf dem Friedhof, sein Gewehr angelegt,
dann ging es los, knack, knack. Die Russen, sie stürmen, sie bla-
sen in die Trompeten ungefähr Ta-ta-Ta-ta, dann rufen sie
Huri-Huri. Bei unserer Infanterie geht es los. Der Schall sagt
pray-pray, dann wird es stille. Da wollten die Russen wohl
schlafen gehn, aber als der Morgen graute, da haben wir sie
aufgeweckt. Das Poltern von unseren Granaten muß doch wohl
;u stark gewesen sein, denn die Russen kamen gleich kopfüber
aus den Häusern, ebenso auch hier, wo wir noch liegen, da haben
M
wir uns feste verschanzt, in den nebenliegenden Häusern sind
wir drinnen, da wird gesungen, Rarten gespielt, ja, wir haben
sogar eine Ziehharmonika, da merkt man nicht, daß Rrieg ist.
Aber sobald die Russen auf unsere Infanterie schießen, dann im
Sprung sind wir an den Geschützen, dann schießen wir sofort in
die Häuser, dann sind die Russen zufrieden.
plozk in Polen, den Zl. Juni lyl5.
... Hun noch von meiner Heimat. Sie liegt da, wo der Höhen-
zug vom Haff — ich meine das Frische Haff — nach der Provinz
abbiegt. Ich wohne zwischen den Städten Marienburg, iAbing,
pr. Holland und Saalfeld. IVir können uns auch der Geschichte
nachrühmen. Als Napoleon l8oö unsere Rönigin Luise nach
Memel trieb, da ließ ein General des Napoleon die Ältesten der
Provinz zusammenkommen und sagte zu ihnen, sie sollten sich
beugen unter dem Rönig und Raiser, der uns statt Brot Rüchen
gibt. Da trat einer vor, als die Polnischen, welche unten im
Süden wohnen, schon beigestimmt hatten. heißt auf der
Stelle direkt: ££r war groß und hatte helles blondes Haar und
blaue Augen. Mr hob seine Hand auf und zeigte nach oben und
sagte, der da oben, er hat uns gedemütigt, er wird uns auch
wieder helfen, er wird und kann uns aus dem Drecke, in welchen
ihr unser Getreide getreten habt, Brot geben, drehte ihm, dem
General, den Rücken und ging davon. Auch jetzt wollen wir
wieder wie Ameisen helfen, die Ruinen aufbauen.
Max Traburg, unbekannt.
8. März 1915.
Wir können gar nicht genug unseren lieben Damen in unserem
Vaterlande für die treue und liebevolle Hingabe danken. Ge-
ehrte Dame schreibt in diesem Briefe, daß sie ein paketchen für
mich abgesandt hat. Ich bin deshalb geehrter Dame zu großem
Dank verpflichtet. Jedoch möchte ich Ihnen ans Herz legen, daß
ich lieber hungern und darben für mein Vaterland will, als daß
in Deutschland unsere Bevölkerung mit der VTotzu kämpfen
hat. Aus diesem Grunde bitte ich, doch die Ausgabe an -Liebes-
1*0
gaben für mich zu sparen, da vielleicht noch ernste Zeiten für uns
eintreten können. Obwohl man sich riesig über solche -Liebes-
gaben freut, so muß man sich auch langsam alles abgewöhnen
lernen. Denn nicht der Rampfmit der "Waffe macht es, sondern
dem Aushungerungsplan der Engländer energisch entgegen;»,
treten, das muß unser Bestreben sein, das trägt sehr viel zum
Siege bei.
*
Rarl jLckardt, unbekannt.
Ronstantinopel, 8. März 1915.
Bis kurz vor Ausbruch des Rrieges lagen wir in Pola zur Re-
paratur.
"wir fuhren, als wir fertig waren, nach Trieft und nahmen
Rohlen über, als der Rrieg zwischen Serbien und Österreich
erklärt wurde. Fuhren am andern Tage nach Brindisi und
dann nach Messina, dort bekamen wir die Kriegserklärung
von Frankreich, nahmen nochmals Rohlen über und fuhren
nach Philippeville, welches am nächsten Morgen durch einige
Salven begrüßt wurde und bald darauf in Flammen stand.
Wir fuhren jetzt wieder nach Messina, wo dann die russische
Rriegserklärung kam.
Jetzt hieß es aber arbeiten; alles Überflüssige und Rleider-
spinde wurden von Bord gegeben oder außenbords geworfen.
Wir füllten die verbrauchten Rohlen wieder auf, als ein
Telegramm von Deutschland kam, sofort nach Ronstantinopel
zu fahren. lLs kamen jetzt zehn schwere Tage für uns, mit
äußerster Rraft fuhren wir bald darauf der Türkei zu.
Unterwegs trafen wir mit der englischen Flotte zusammen,
welche immer hinter uns blieb. Sie konnten aber nicht mehr
mit, weil wir 28 Seemeilen in der Stunde liefen, und wir
morsten rüber, ob wir sie ins Schlepptau nehmen sollten. Bald
mußten wir in die Bunker, denn die Rohlen werden bei so einer
Fahrt schnell alle, und die Heizer konnten es nicht allein schaf-
fen, die Rohlen wurden zuletzt mit den Händen zusammen-
gesucht, als am andern Morgen ein französischer Rohlen-
dampfer gekapert wurde, und wir kohlten auf hoher See. Dann
m
ging es weiter, es waren bittere Tage, dazu die Hitze, die hier
unten herrschte. Am Tage in die Bunker und des V7achts auf
Rriegswache.
Durch die tLile konnten wir keinen Proviant mehr über-
nehmen, und was wir noch gehabt, war bald alle geworden,
nur Hartbrot und mittags Ronserven gab es, aber das nötige
Wasser fehlte auch bald, so daß wir uns nicht mehr waschen
konnten.
iLs war am zehnten Tage, als .Land in Sicht kam, welches
die Dardanellen waren. I % Stunde später fuhren wir mit
Hurra ein. Nun wurde mit Ruhe erst mal ordentlich ge-
gessen, dann spielte die Musik ein stilles Gebet, und dann ging
alles schlafen, es war uns egal, wo wir lagen, ob an Deck
oder an den Geschützen. Die meisten waren so marode, daß
sie noch nicht einmal ihre Hängematte holten, sondern so an
Deck schliefen.
*
Gustav Ohler,
geb. Z. Januar 1892 Neustadt/Haardt.
Tagebuch.
Messines in Flandern, März 1915.
vor wenigen Tagen erst waren wir aus der Heimatgarnison
gekommen. V?«» durften wir zum erstenmal in unserem -Leben
in den Schützengraben, vor uns lag das Gewaltige, Unbe-
kannte, in uns die Lust zum IVagen und Schlagen.
Die Rompanie trat an. Im Rasten des Gewehres verschwanden
die ersten fünf «Scharfen». Und dann ein Rommando «Ohne
Tritt, Marsch» durch's Städtchen mit seinen neugierigen Blik-
ken, ins Freie. Die an der Spitze stimmten ein Lied an. Ein
Freiheit durchglühte? altdeutsches Turnerlied, vielleicht waren
es Jahns Jungen mit dem «Frisch, Fromm, Fröhlich und Frei»
im Herzen und bei der Tat. IVo die Straße bog, sahen wir die
Rompanie vor uns. tLine schwarze, wuchtige Masse. Und wir
müssen uns gestehen, daß es für diesen unaufhaltsam drängen-
m
den Troß mit seinem dröhnenden Schritt und Tritt keinen Wi-
derstand gibt. Im schwanken Flicht erster Leuchtraketen tauch-
ten nebelgraue Wipfelreihen auf, schienen schneebestäubt und
sanken wieder ins Dunkel. Frierend und winterlich standen die
schwarzen Bäume am Straßensaum. Aus verwilderten Gärten
hoben sich unbestimmt die Schattenrisse eines zerschossenen Ge-
Höftes. Was wir zuvor nur in Wort und Bild gesehen, ward
uns nun zum Erlebnis. Ein paar weite, weite Sterne schim-
Merten über den grauen Fensterbänken der verlassenen Häuser.
Ein stilles Dorf empfing uns. Durch die Ritzen der Fensterläden
und aus den Rellern schimmerten heimlich verborgene Lichter.
Ein Jäger stand am Schienenstrang des toten Bahnhofs und
sah uns schweigend nach. Auf der Straße glänzten die Regen-
pfüyen und lag zerfurchter Morast. Der "weg war weit und der
Tornister schwer. Wir rückten die Mütze ins Genick und strichen
mit der Hand über die Stirn. Ein heißer Brodem schlug wider
uns, als läge in der Luft pulverrauch und die Flammenschwüle
windverwehten Brandes, aber es war unser eigenes Blut. Der
schwere Gleichklang der Schritte klang an das Ohr und trug
uns vorwärts. Vorne irgendwo knatterte es in endloser Rette.
Dazwischen das kurze Bellen und Dröhnen der schweren Ge-
schütze. Am Himmel leuchtete weit rote Glut, der glühende
Schein der Flammen irrte übers dunkle Gewölk. Mine Rugel
sirrte vorbei, die erste, wir horchten unwillkürlich auf, aber sie
war vorbei. Die Führer ritten ein paar Schritte abseits und
sprachen halblaut weiter. Sie standen wie Schatten, das Ge-
schirr der Gäule klirrte. Der Reiter auf der Landstraße duckte
sich tief auf den Rücken seines Pferdes. Wir hielten für einen
Augenblick und ruhten aus. Gegen das Städtchen, das unser
Ziel sein sollte, unendliche Fahrzeuge, Artillerie und Munitions-
kolonnen. Abgelöste Mannschaften aus den Schützengräben
zwischenhinein. Lachend und plaudernd, das Gewehr über der
Schulter, wanden sie sich zwischen Wagen und an Häusern vor-
bei. Reck und fröhlich sahen und schritten sie aus. In Reihen-
kolonne ruckweise schoben wir an Pferden und Rarren vorüber
und über Trümmer und Granatlöcher. Unsere Schatten glitten
eilig vorüber an der weißen Mauer des Rlosters, von der zer-
brochene Größe schimmerte. Ein niedriges Häuschen nahm uns
auf und verschluckte einen nach dem anderen. Durch ein paar
1*3
Zimmer tastend, die noch bunte Tapete trugen, fanden wir uns
überraschend in einem Laufgraben. — Minige Male stürzten
wir samt Gewehr in Lehm und Wasser. Meinen Vordermann
kannte ich nur noch am Blinken seines verscheuerten Feldkessels.
Dem ging ich nach. Und ständig links und rechts, es schien
nicht enden zu wollen. Plötzlich waren wir abgerissen. Da
hockten wir nun im fremden Graben und wußten nicht
wohin. Vorne schimpfte i'emand. Endlich ging's wieder los.
überall anstoßend und todmüde kamen wir im ersehnten
Schützengraben an. "wir kletterten in ein unergründliches
Loch, das aus der dunklen Brustwehr gähnte und fanden
drinnen eine Bank. Auf die ließen wir uns fallen, und es
überkam uns ein wunderbares Gefühl. Mit dem Tornister
glitt sachte die Müdigkeit von den Schultern und streifte sich
wohlig von den Gliedern.
Doch bald waren wir wieder draußen in der Nacht und spähten
übern Grabenrand. Also, da drüben an der Baumreihe lag der
Gegner, kaum hundert Schritt weg. wir starrten und starrten
hinüber, sahen nur einen Nebelftreif und hörten hin und wie-
der den Rlang verlorener Schüsse.
*
Wilhelm Schulze, unbekannt.
Bers, den 22. März 1915.
Sergeerte Frau R...
wir ligen nur Z Rilometer Ab fom Leinde und Rämpfen immer
noch an der Iserfront. wo wir nich weiter for Rönnen und der
Feind kann bei uns nich rüber und wen si angreifen dan haben
si groß ferluste. Gestern hatte di Feindlich Attalri wier unsere
Hütten eingeäschert, den ein ganzes Haus iß Hir nich mehr trin,
es sind nur Ruinen. Gestern waren wir wider Z Dage in for-
dere linge und wi wir zurük Ramen, waren ettlich Wonhütten
eingeschossen. Aber die Schöne Gottes Freihe Natur erheitert
ins, in früher Morgenstunde singt die Amsel von den Zerschösse-
nen Gipfeln, stahre Hämfling zwitschern dazu und di Schönen
Blumen wachen im Tahl Alle wider auf. Ich habe mir heute
ein bar Blumen eingeflanz in meiner Hütte di so früh Schon
M
erwacht sind. Ich habe einen Grangium gefunden, den habe ich
mir noch eingefianz, der War ganz ferlassen. jey iß er wider
follig erwacht und grünt so Schön wider.
*
Christian -Lassen-Hansen,
geb. 4. August 1892 in Haistrup/Nordschleswig,
gef. 2£. September 1915 bei Arras.
Blerancourdelle, Zo. März l9l5.
Draußen ist es wieder Winter geworden. Es schneit und stürmt.
Im Schützengraben auf Posten muß es unangenehm sein. Wir
aber siyen hier drinnen. Zwei große Tische stehen im Zimmer,
auf beiden brennt trübe das Talglichr, an das wir uns schon so
gewöhnt haben, daß es uns als herrliche Beleuchtung vor-
kommt. An einem Tisch siyen unsere Sanitäter, die mit uns zu-
sammen wohnen, beim Rartenspiel. Am anderen wird umein-
ander in bunter Wirrnis gegessen, Zeitung gelesen, geraucht und
geschrieben. Dm Raminfeuer, das unbedingt ins französische
Haus gehört, flackert friedlich die Feuersglut. Im großen, hohen
Lederbett, das daneben steht, schläft die alte Bewohnerin des
Hauses, die Großmutter, bei der wir auch vom 25. Januar bis
5. Februar einquartiert waren. Sie ist schon zur Ruhe gegan-
gen. Es muß für sie ein trauriges, einförmiges, betrübendes
Dasein sein. Seit 6 Monaten dauernd Einquartierung von
jungen, lebenslustigen Soldaten, die in ihrem Zimmer, wo
sie von morgens bis abends dabeisitzt, ihr Wesen treiben:
Nähen, Rochen, Waschen, Reinigen, Essen, Rarrenspielen,
Singen und lautes Reden umgibt die Alte tagaus, tagein.
Wenn die Soldaten 10 Tage bei ihr waren, kommen neue.
Und da sitzt sie, die Alte, von früh bis spät an ihrem Ramin
und schaut in die Glut, mit ihrem von des Gebens Not
durchfurchten Gesicht und ihren toten Augen, die der Rum-
mer und das Weinen rot umrändert hat. Doch wenn man
sich zu ihr setzt und mit ihr eine Unterhaltung anknüpft,
dann kann sie sehr lebhaft werden; man merkt, daß sie Lran-
zösin ist. Und dann und wann ist mal ein fröhlicher Rerl, der
es versteht, ihr ileid vergessen zu machen. Ach, das arme
lo D. d. S.
Volk, wie leidet es unter dem Rrieg! IVir tun unser Mög-
lichstes, ihnen ihr Los zu erleichtern. Die Alte und auch die
meisten anderen Zivilpersonen hier leben von dem, was ihnen
die Soldaten von der Feldküche und ihren Paketen abgeben.
Sie sind im allgemeinen gut zufrieden mit dem Benehmen der
deutschen «Barbaren».
Im Schützengraben bei Moulin, 2. Mai
Das schönste Frühlingewetter liegt über Frankreichs grünenden
Fluren. Die Sonne scheint warm. Min milder Hauch streicht
über den Graben. Und wir haben hier eine glänzende Aussicht.
IVenn wir müde sind, die gelben Lehmwände des Grabens an-
zuschauen, so steigen wir auf unfern Stand und schauen vor-
sichtig, denn der Franzmann darf uns nicht sehen, hinüber. Zu-
erst das grüne Feld, auf dem das Gras sprießt oder der grüne
Rlee, auch Rübenfelder stehen grün, die Rüben wachsen zum
zweitenmal. Und hinten, da hinten ist ein Abhang, wo der
Wald im ersten Grün steht, wo Schlehen und Rirschbüsche oder
bei den fernen Gehöften die Obstbäume in vollster Blütenprachr
erstrahlen. Frühling, Frühling! «Der Mai ist gekommen.» —
Und wenn wir Offen holen sollen — ist das eine Freude! Da
geht's durch den langen, langen -Laufgraben zuerst und dann
den baumbewachsenen Abhang hinunter in die «Schlucht», wo
der gesamte Verpflegungsverkehr vorm Feinde unsichtbar statt-
findet; da grünt und blüht alles in herrlichster Pracht. Und
dann geht's zum Dorf Moulin. Wie liegt es da im Frühlings-
sonnenschein! In all der verschwenderischen Pracht der blühen-
den Natur das zerstörte Dorf! Nur zwei ganze Häuser, alles
andere elende Schutthaufen, auf denen das Gras zu wachsen
anfängt. Nur die alte, ehemals gewiß prachtvolle Rirche mit
ihrem zerschossenen Turm und ihrem zerstörten Dach überragt
die Trümmerhaufen. Manchmal macht sich ein Soldat die Freude,
am Glockentau zu ziehen; dann tönt der klare, schöne Glok-
kenschall durch die leeren Rirchenhallen hinaus über das zer-
störte Dorf, über das ganze blühende Tal, und der ferne blaue
IVald hallt es wider.
*
Peter Bohsen-Hansen,
geb. 2Z. November 189? in Halstrup /Nordschleswig,
gef. IhDezember 191 5 an der ^Lorettohöhe.
Pfingsten 1915.
Frühling ist jetzt eingekehrt im schönen Frankreich. Die Höhen
stehen teils mit "Wald, teils mit blühenden Obstbäumen in ihrer
Herrlichkeit. Dazu die roten Ziegeldächer der Häuser im Tale,
das blanke 'Wasser zwischen den grünen Bäumen, und der hell-
blaue Himmel. IVie schön ist die Welt! Hinaus, hinaus geht
mein verlangen, hinaus in die Natur, hinaus aufs Feld, wie
ich's gewohnt bin. G mein Beruf, wie verlange ich nach dir,
wie entbehre ich dich in dieser herrlichen Zeit, wenn das Rorn
wächst, das Vieh auf der IVeide grast und gedeiht. Und heute
soll es Pfingsten sein!
*
E. Grüning, unbekannt.
Sannicki, den 12. April 1915.
Heute habe ich alles erhalten, was ja mein großer "Wunsch war.
Zumal nach diesem Herzensstich für diesen -Liebknecht, aber ich
glaube, er besitzt kein Herz, denn er möchte doch jetzt mal hierher
kommen und umarmen sich mit seinen russischen Genossen.
Ich weiß ja nicht, mit welchen Rüssen er würde empfangen
werden.
*
Hermann Schröder, unbekannt.
.Lüneburg, den 16. April 1915.
Schon am Sonntag, wo mein liebes Muttel hier war, brachte
sie das von Ihnen geschenkte lLtui und das Buch. Ich habe
mich unendlich dazu gefreut. Mir geht es schon ganz gut, doch
glauben Sie, die ersten Tage habe ich wahnsinnige Schmerzen
gehabt. Aber ich bin nicht derjenige, der laut jammert und
schreit, wenn man Schmerzen hat. Nein, im Gegenteil, ich
I-. 157
habe die Zähne aufeinander gebissen. Denn ich sagte mir, da eine
Amputation keine Rleinigkeit ist, so kann man nur Fortschritte
machen mir der Gesundheit, wenn man immer lustig zu sein ver-
sucht. Schon am fünften Tag nach der Amputation konnte ich
singen, da hat sich selbst der Arzt gewundert. Wie ich verwundet
wurde, das ging auch komisch zu. Da ich Bursche beim Barail-
lonsstab war, so mußte ich doch immer beim Major und Adju-
kanten sein. Die Herren harren Raffee getrunken und ich harre
mir auch ein Täßchen von dem Mokka eingegossen und stand im
Türrahmen. Da mir einem Mal ein Aufbliyen und Rrachen
und eine Granare krepierte in der Grube. Drei Mann waren
ror, einer so schwer verwunder, daß er noch abends starb, und
ich bekam nur y Schrapnellkugeln in den linken Unrerschenkel,
und das war der Schluß für mich, weiter am Weltkrieg reilzu-
nehmen.
*
RolfBraune,
geb. l. April 1898in Biendorf/Anhalt,
gef. 26.April 1915 auf der Combres-Höhe.
Harville bei Mars-la-Tour, II. April Iyl5.
Als ich in die Rirche trat, spielte gerade ein Offizier wunder-
voll Orgel, aber — der Anblick da — sekundenlang fetzte
mir der Herzschlag aus: VJoch 12 Mann, alles 4)—44 jährige
alre Leute, meist mir dem Eisernen Rreuz geschmückr, vom
Landwehr-Regimenr Z6, für die man draußen noch Gräber
grub, saurer grausame Verwundungen. Und die allen Leute
stierten einen mit verglasten Augen, Blut vor dem Munde,
mit schmerzverzerrren Gesichtern an. Die Rirche von zwei
Altarlichtern erleuchtet und die wachsgelben Gesichrer und
das mächtige Orgelspiel dazwischen, ich werde das nie ver-
gessen. — Auf dem Friedhofe für die Gefallenen Rreuze
anzufertigen, das würde viel zu zeitraubend sein, man steckt
einen Holzstab in den Hügel: «Hier ruhen Tftr. 17—64» und
über die Hummern wird genau Buch geführt. Man kann
die Toren nach Hunderten zählen, alles Tore vom Landwehr-
Regiment Zö. Und doch ist die Stimmung bei den übrigen
148
Leuten herrlich: Sie klagen nicht, sie wissen, wofür sie sich
opfern.
Harville, den lZ. April l9l5. 7 Uhr abends.
Wir kamen nachts Z Uhr raus nach Marcheville zur Ablösung
der 7. und 3. Kompanien, die inzwischen II Tote und 18 ver-
wundete hatten. Schützengräben? V7ein, sowas kannten wir
noch nicht, eine Rinne, in der durchschnittlich «nur» sehr oft
aber 80 cm bis l m Wasserstand war. Ich hatte Schuhe und
Gamaschen an, die sofort durch waren. Es war aber nachher,
als das Wasser bis zum Rnie und darüber reichte, erwiesen, daß
selbst Schaftstiefel hier nichts nützten. Die weiteste Stelle, bis
zu der ich im Wasser saß, reichte bis zum V7abel. Man badete
sich langsam vorwärts, bemüht, die Patronen trocken zu halten
und nicht soviel auf die Toten zu treten. Mir wurde mit meiner
Gruppe ein Abschnitt von etwa 200m zugewiesen, den ich nur
im allernörigsten Falle räumen durfte. Es war, bis auf einige
Granaten, zunächst ziemlich ruhig. Um 7 Uhr wundervoller
Sonnenschein, und da ich in dem Tornister eines Toten ein
paar Schnürschuhe fand, zog ich meine Schuhe und Strümpfe
aus, neue Strümpfe und die Schuhe an, und hatte wenigstens
trockene Füße; der Unterleib und die Hosen mußten langsam
trocknen. Ich legre meinen Tornister ab, Roppelzeug und
Schuhe, alles hinter den Graben auf die Brüstung und wartete,
auf sechs übereinandergeschichteten Sandsäcken im Trockenen
stehend, aufdie Fortsetzung des Dramas, das da kommen sollte.
Da, gegen 8 Uhr ging's los--Artillerie konnte das nicht
sein: Rein Abschuß, ein unheimliches Heulen, eine wahnsinnige
Detonation und eine ungeheure Säule, in der man Balken,
Tornister, Eisenstücke der schwersten Art, Menschenteile und
dgl. weit über HaushShe herumfliegen sah — das waren Mi-
nenwerfer, das Schauderhafteste, was ich — außer Ronfir-
mationsbesuchen — in meinem Leben kennengelernt habe. Ich
ging nach rechts — etwa 100 Schritt —, da ich vom Haupt-
mann gerufen wurde, — Strümpfe, Schuhe, Hose, alles wieder
klitschnaß, als eine Mine in meinen Stand einschlägt und mein
ganzes Besitztum in Trümmer schlägt. Ich mache kehrt und
finde eine entsetzliche Blutlache, in der mein Gefreiter, bis zur
Brust im Wasser liegend, eben ausatmet: ein junger Theologe
U9
von 21 Jahren. Mein Tornister kam langsam Stück für Stück,
wieder herunter aus der -Luft, und ich fand nichts, wie eine
Büchse Ralbsbraten von Tante Röschen voll Splitter und
einige Blätter aus der «Zehnten Muse». Jetzt bin ich bis auf
das, was ich im Roffer habe, mittellos. Das Artilleriefeuer,
Minen, Granaten und Schrapnells wurde ungeheuer, sie
wollten uns vernichten, um nachher den Graben zu stürmen.
Um %II Uhr war's am tollsten; wir hatten alle unser letztes
Gebet getan, klemmten uns wie die Schwalben an die IVand
— Unterstände alle verschüttet bis auf zwei — und warteten
auf den Rest.
Y212Uhr, als sie uns vernichtet glaubten, ging der Angrifflos:
Die erste Welle kam raus, wurde übern Haufen geschossen; die
zweite "welle wurde von eigenem — französischen — Feuer der
Artillerie von hinten zum Angriff aus dem Schützengraben
herausgetrieben und — legte sich neben die Toten. — Ich rief
nur immer: «Ruhig, ruhig, Rinder, gut zielen, nur schießen,
wenn gut zu sehen ist usw.», war aber selbst klitschnaß vor Auf-
regung. Jetzt kam ein Offizier, den Degen schwingend, in voller
Figur über die Deckung gesprungen; drei legten mit mir zu-
gleich an — rums! — fuit, das heißt, er ist gewesen; er breitete
die Arme aus und kollerte kopfüber den Abhang runter. Jetzt
bekamen die Feinde Verstärkung. Der Leutnant schießt zwei
rote -Leuchtkugeln ab, und im nächsten Moment setzt unsere Ar-
tillerie ein. Durch die Schießscharten schössen wir gar nicht, da
hatten wir zu wenig Schußfeld, — immer über die Brüstung
weg, bis mich ein Gewehrschuß, der mir durch die Helmspitze
ging, warnte, herunterzusteigen. -Links von mir kauerte einer
wie eine Ratze, hatte aber nur einen Schuß durch die Backe,
der ihm schnell verbunden wurde, und ich stellte ihn an zum
Patronenumstecken, damit er ne nützliche Beschäftigung hatte.
— Eine ulkige Episode noch: Eine Schwarze ging in einen
Unterstand und verschüttete ihn vollkommen, als ich vom Re-
servisten Müller (ein komisches Huhn) klägliches Gewimmer
hörte und die IVorte: «Lieber Gott, ich weiß ja, daß ich ein
Schweinehund bin, aber laß mich doch wieder raus.» Ha, er
wurde quietschvergnügt wieder ausgebuddelt und lebt heute
noch.
*
ISO
GeorgBaly,
geb. 19. September I8$>£ in Guntersblum,
verm. 9. September I9I6 an der Sonune.
Im Schützengraben vor Souain, 25. April lyl5.
... Ich habe einen kleinen Unterstand, gerade hoch genug, um
zu sitzen und lang genug, um mich auszustrecken, aber ziemlich
behaglich. Die zwei Säcke, welche vor der "Witterung etwas
schützen sollen, sind zurückgeschlagen, und das volle -Licht kann
eindringen; da liege ich, so bequem es halt geht, in den Schlap-
pen, welche ausgezeichnet warm halten, mit dem Mantel zuge-
deckt und der Decke als Unterlage und lese oder träume in den
schönen Tag hinein. Ich glaube, mir träumte sogar, in "Worms
zu sein. Du siehst also, wie guter Laune ich bin. Daß ich mich
durch etwas verdrießen lasse, das gibt's jetzt nicht mehr, und
indem ich mir immer wieder den großen Zweck und das Ziel vor
Augen halte, weswegen wir eigentlich hier sind und alles auf's
Spiel setzen, verschwinden alle kleinlichen Gedanken, und ich
bin, was viele nicht sind, nämlich zufrieden und imstande,
mich über manches Unangenehme, welcher Art es auch sei, hin-
wegzusetzen.
Man könnte daraus entnehmen, ich wäre gleichgültig geworden
und würde mir primitivstes -Leben vornehmen. Doch dem ist
nicht so; ich bin eher gefaßter geworden. Ich werde meine
Pflicht tun, wie kein anderer, aber bewahre immerhin einen ge-
wissen Gleichmut und will die Dinge, wie sie kommen, an mich
herantreten lassen.---
*
Rudolf Hering,
geb. 27.Dezember I89I Dresden,
gef. 16. Dezember lylS in Dara/Rumänien.
Lille, den 22. Mai 1915.
.. . "was wir uns vergeblich ein halbes Jahr bemüht haben,
unseren Rerls beizubringen, eine straffe Marschdisziplin, Ropf
hoch, Vordermann, Durchsingen, das können sie auf einmal,
wenn sie merken, hier gilt's den Franzosen zu zeigen, daß noch
151
Mumm im Feldgrauen steckt. Ich esse immer im Bahnhof zu
Mittag, deutsches Essen, deutsche Bedienung, vorher geht es
zur Wachrparade des Landsturms. Das gibt es eben nur im
deutschen Heere und sonst nirgends auf der Welt. Vorweg der
Spielmannszug, dann die Rapelle, auf hohem R.oß der Haupt-
mann, ein würdiger Greis mit schlohweißem Haar und Bart,
und nun zwei Rompanien Landsturm in tadellosen Uniformen,
blanken Stiefeln, fast in jeder Gruppe ein Weißbärtiger. Nun
wird es ruhig auf dem «Grand place», nur die Musik und der
feste Tritt der Leute. Da hört das Spiel auf, «Achtung!» Der
Play dröhnt unter dem Exerzierschritt, langsam und doch scharf,
und weithin schallend kommen die Rommandos. Der Präsen-
tiergriff, ein Schlag; — dazu setzt die Musik ein, eine unbeweg-
liche Masse von $00 Männern, stehen stramm da, ein Abbild
deutschen Soldatentums. Wir, die wir zusehen, lachen; und
doch verbirgt dieses Lachen die eigene Rübrung, den Stolz
auf unseren Landsturm. Und es steckt soviel Ernst in der
Sache. $00 Männer, die im vorgeschrittenen Alter Weib und
Rind, Häuslichkeit und heimische Bequemlichkeit verlassen
mußten, um unserm Heere den Rücken zu sichern. Das sind
Eindrücke!
*
Josef Birnbeck,
geb. 6. März 1897 in Frankenhausen/VUederb.,
gef. zwischen U—5.Augustl9l5 bei der Erstürmung von Lomza.
29. Mai 1915.
Wie schön war doch damals unser Ausmarsch aus Hamburg.
Alles steht in Reih und Glied. Stillgestanden — das Gewehr
über — mit Gruppen rechts schwenkt — und so ging's in gleich-
mäßigen Tritten heraus aus der Raserne. Und nun setzte die
Regimentsmusik ein. Man mag sich sträuben, wie man will,
das fährt so kriegerisch durch die aufgeregten Straßen, trom-
petet von den Häuserwänden zurück, das quirlt so hell im Blut
und treibt die Nachtgespenster aus dem Ropf. Da beleben sich
die Muskeln, der Ropf geht in den backen und die Beine stol-
zieren in geeintem Takt. Und dieser Takt geht durch die ganze
15 2
Menge und ist wie elektrisiert. Sie winken vom Bürgersteig,
aus den Fenstern werden Tücher geschwenkt, und nun fängt
es von vorn zu singen an; es wächst die Melodie, bis sie sich
Bahn gebrochen hat und als ein Sturmwind über unseren
Röpsen braust, die Nationalhymne. Die Regimenrsmusik hat
vor dem alles hinreißenden Liede kapituliert. Jetzt aber fällt
sie ein in feierlicher Größe, die Menge entblößt ihre Röpfe
und nichts als leuchtende Gesichter, gebannt marschierende
Gestalten, ein lodernd Volk, entzündet vor Begeisterung.
Über solch ein Empfinden läßt sich nicht mehr schreiben, ich
weiß nur, wir alle harten nasse Augen, war es vor Weh oder
Freude. Als wir im Zuge waren und wir durch fruchtbares
Land und Industriestädte fuhren, da war es uns gewiß: Ja,
Deutschland ist groß und schön und wert, daß man sein Blut
vergießt.
Und dann das erste Gefecht: Es ratterten die Mordinstrumente,
die Maschinengewehre erst weit entfernt, dann immer näher,
wir fühlten es, wie das Blei in unseren Reihen klatschend ein-
schlug und Lücken riß. — Das Signal — Sprung auf, marsch,
marsch, die Gewehre gefällt, und wir jagten über den weißen
Schnee mir dem frischen Rot, dem Blut unserer Rameraden.
Nun sind die Unsrigen heran und hauen blindlings auf die
Röpfe drein; dort auf dem Hügel steht ein blutjunger Russe und
klammert sich an sein verlassenes Geschütz. — Da fährt ihm
schon das aufgepflanzte Eisen in die Brust, — erst faßt die
Rechte, dann die zerschossene Linke nach dem Bajonett — als
wollte er sterbend es aus seinem Herzen ziehen, so klammert er
sich an der Rlinge fest. — Dann müssen wir zurück, doch es ist
Strategie. — tPir haben tags zuvor das Gelände unterminiert;
wir haben den Boden mir Sprengstoff gefüllt. Jetzt kommt der
Feind und rennt hinein ins verderben. Dort stehen zwei ver-
lassene Geschüye, gerade als ob wir sie dem Feinde preisgeben
wollten. — Rompanie in Deckung, und schon sind wir in den
bereitgestellten Schützengräben. Schon ist die Dunkelheit ein-
getreten. A?ir liegen und fragen uns, ob es noch lange dauern
wird. Dort hinten kommt es immer näher wie eine drohende
Gewitterwolke, und das Gewehrfeuer wird immer stärker. Rechts
und links von uns ist das Gefecht in vollstem Gange, nur wir
sind so stille wie das Minenfeld, das vor uns liegt. Aber jeyt —
153
jetzt ist die Reihe auch an uns, stärker und größer wird der Hau-
fen, der sich auf uns zuwälzt. Die Trommel wirbelt und dröhnt
dumpf, hastige Trompetenstöße verkünden einen Sturmangriff.
— Da rennen sie auf uns los, daß uns das Blut erstarrt und
das Her; für wenige Augenblicke die Tätigkeit aussetzt; das sind
keine Menschen mehr, welche uns entgegenstürmen; auf den
kippen steht ihnen der weiße Schaum und ihre gierigen Augen
funkeln wie die Augen von wahnsinnigen. — Da — die Erde
hat sich aufgetan.—Die Menschen und die Erde explodieren und
fahren wie Feuerräder rund durch die -Luft; ein Rrachen gleich
einem Ranonenschuß — das Erdbeben schweigt und nur noch
zerstreutes Auflodern, ein grausiges Feuerwerk. In der Dunkel-
heit erheben sich einzelne Gestalten, fallen wieder hin oder
schlagen hintenüber. Sie schnellen von neuem auf, bis sie zu-
sammenstürzen. Jetzt kommt einer angekrochen. Das Herz steht
still bei solch einem Anblick. Der Unterleib ist ihm wie von unten
her zerrissen worden. Er stützt sich auf seine Hände und schaut
uns an, barmherziger Gott, nie werde ich diese Augen verges-
sen! Da fällt er hin aufs Gesicht, die Arme haben nachgelassen.
Still liegt er nun da.
Dies ist der Sturmangriff des denkwürdigen Tages am I9. Fe-
bruar 1915,dem darauf die dreitägige Schlacht im Augustower
Wald folgte.
Ich hoffe, daß Du mich nie wieder darnach fragen wirst, nie
wieder werden Einzelheiten in dieser "weise über meinen Mund
kommen.
2Z.Juni
Ein Gedanke jagte mir so durch den Ropf: «Du bist ja ein toter
Mann!» Ich glaube immer mehr an die Unwahrscheinlichkeit
solcher Gedanken. Es kann und darf unmöglich so kommen.
Mir war es so vorgekommen: Die vielen Patrouillen, die ich
gemacht, die Gefährlichkeit und Angst sind nicht ohne Einwir-
kung geblieben. Daß ich mich dann als erschossen gesehen habe,
ist schließlich ganz natürlich. Aber grausig ist's schon, wenn
man'« zu deutlich sieht. Ich meinte das Zischen der todbringen-
den Rugel zu hören, fühlte das Aufklatschen und Eindringen
des Geschosses in meinen Rörper — ein dumpfer Fall, und ich
lag im bemoosten waldboden. Und dann die Angst, wie Du zu
Hause die Meldung aufnehmen würdest — meine Sehnsucht
nach Dir übertraf allen Schmerz. ... mir der letzten Anstren-
gung gelang es mir noch, Dein Bild aus der Brustrasche zu zie-
hen — aber schon wird der Atem kürzer, das Blut dunkler und
dicker und dann ...
Allmächtiger Vater, nein, — so darf es nicht kommen. —
Glaubst Du an solche Erscheinungen?
28. Juli l?!5. Rußland.
Wir rücken heute nacht über den Fluß und morgen früh treten
wir in Aktion, wir sollen stürmen! — Mir ist so weh ums Herz.
Meine Rameraden sitzen alle zusammen, singen Soldaten- und
Heimatlieder, doch auf ihren Gesichtern steht es anders geschrie-
ben. Falls es sein sollte, ... auf wiederseht, in einer anderen
YDelt! Ich kann nicht mehr schreiben.
*
Fritz Gladosch,
geb. 25. August 1895 in -Landsberg/IVarthe,
gef. ZI. Mai I? 15 bei Dixmuiden.
Flandern, den 19. Mai 1915.
Deine Ansichten über das Goldstück teile ich nicht ganz. Schicke
mir es nicht. Ich kann es nicht gebrauchen. IVir lassen uns nicht
gefangen nehmen. Sollte man verwundet in Feindes Hand fal-
len, so nützt alles Gold nichts. IVir haben viel Farbige vor uns,
die, wie Beispiele zeigen, alles abmurksen. Schwesterchen, ich
bin traurig darüber, daß Du das Goldgeld noch nicht einge-
wechselt hast, Deiner Gründe halber will ich Dir das verzeihen,
recht war es wirklich nicht. Tu mir den großen Gefallen und
gib das für mich bestimmte Geld ab. Für Rußland hat es
vielleicht Zweck, aber hier kann ich es nicht gebrauchen.
Sei nicht böse über die kleine Rede. Ich bin ordentlich froh,
daß ich fürs Reich ein Goldstück durch Dein Bekenntnis er-
gattert habe.
*
155
Otto Brückl,
geb. Zl. Januar 1883 in Simpering,
gef. 22. Mai 1915 bei Arras.
Bailleul, den 2. Mai lyl5.
Hast Du keine Zeit zum Schreiben vor lauter Arbeit? Hoffent-
lich bist Du und Taverl gesund, so wie ich es auch bin, denn man
muß es ein Glück nennen, wenn man von diesem Rugelregen
verschont bleibt. Überhaupt, die Infanterie ist am schlechtesten
dran, da mit allen denkbaren Mitteln auf sie geschossen wird.
Liebe Therese, gestern habe ich auch wieder von Josef ein pa-
ket mit Schinken erhalten, er schreibt, er will mir öfters was
schicken, muß ihm heute auch gleich wieder schreiben, denn mor-
gen habe ich schon keine Zeit mehr. -Liebe Therese, was macht
denn der Xaver? Läuft er recht umeinand? Hat er mich doch
noch nicht vergessen? Alle Abend denke ich an Euch Lieben,
wann die Sterne so vom Himmel heruntergliyern und die nächt-
liche Stille nur bloß von dem Geknatter der Gewehre und von
dem Donner der Ranonen unterbrochen wird. Bete dann auch
ein recht inniges Vaterunser für Euch, damit der liebe Gott uns
beschüye und wir uns nach dem Rrieg wieder glücklich treffen.
*
Theo Ruhlmann,
geb. im März 1894 in Hamburg,
gef. 18. Iuli 19X8 bei Soissons.
Am 25. Mai Ipl5.
Dank Dir für Deinen Brief. IVie bin ich glücklich, so viele Men-
schen zu haben, die mich mit ihrer Freundschaft beschenken, und
doch wieder unglücklich — weil ich zu arm und gering bin, ihnen
allen gerecht zu werden. Solch ein Brief, wie der Deine gibt so
viel zu denken ! Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, ihn zu
beantworten. Ich will darauf verzichten, Dir von unserem ley-
ten Treiben zu erzählen und nur einiges herausgreifen.
Diese letzten Tage, nicht die Berichte von den polirischen und
sozialen Entwicklungen allein, auch innere Erlebnisse haben
mir die Augen geöffnet über die Bedeutung dieses Rrieges für
156
unser Volk. Wir haben den Krieg nicht gewollt, wir haben uns
gesträubt gegen ihn und haben ihn gefürchter. Aber dieser Rrieg,
wenn wir alle, vom Geringsten bis zum Höchsten, die Augen
aufmachen und mit starkem Herzen zufassen, wird uns reichen
Segen bringen; es liegt an uns, daß aus dem großen Opfer-
sterben ein höheres, reineres Lieben erwächst. Ich habe unser
Volk kennen gelernt; es ist ein edles und liebenswertes Volk —
wenn es richtig geleitet wird — wie die Rinder sind sie, diese
braven Holsteinischen Jungen, diesseits von Gut und Böse —.
Und die Männer an der Spiye verdienen unser vertrauen. -Lei-
der gibt es eine Unzahl fremd- und mischrassiger, halbentarteter
Elemente, die, durch Schlauheit, Niederträchtigkeit, R.uckstchts-
losigkeit und jede Art von Unsittlichkeit emporkommen, inmit-
ten der Mittelklasse die Fühlung zwischen Volk und Führer auf-
heben. Die Verschleierung und die Lüge ist ihnen hauptsäch-
lichste TDaffe. Sie zu bekämpfen ist jetzt und nach dem Rriege
unsere vornehmste Aufgabe, und ihre helläugigsten Leinde wol-
len wir im nächsten Geschlecht heranziehen. Dieser Rrieg hat
mir offenbart, daß der Sieg der Wahrheit nicht nur eine sitt-
liche Forderung, sondern auch eine Naturgesetzlichkeit ist. Der
innerste Wert der Dinge und Gedanken setzt sich durch, darauf
wird sich eine neue Religion aufbauen.
*
Otto Renk,
geb. J J. März 1892 in Hamburg,
gef. 25. Juni 1915 bei Hrubieszow am Bug in Polen.
Hamburg, den 5. Iuni l9l5.
TPte Du wohl schon erfahren hast, bin ich jetzt bis zum ! Z. Iuni
l9l5aufvierzehntägigen Erholungsurlaub hier bei den Eltern.
Dann geht's wieder an die Front, diesmal aber wahrscheinlich
nach Frankreich.
Ich gehe jeyt nicht mehr so ungeduldig und freudig hinaus,
sondern nur mit dem Bewußtsein, als Deutscher meine Pflicht
ehrenhaft und unerschütterlich erfüllen zu müssen. Ich habe viel
im Osten durchgemacht, und ich weiß: Der Rrieg ist grausam
und die härteste Schule des Lebens. Du aber verzehrst Dich vor
157
Ungeduld: Hinaus, hinaus, Hurra! Und es muß so sein, denn
Ihr sollt den draußen kämpfenden Rameraden neues, frisches
Draufgängertum mitbringen. Wenn's so weit ist, dann viel
Glück, Bruder.
Ich darf so schreiben, ohne daß eine Phrase draus wird. Ich
habe bisher meinen Mann redlich gestanden, und wenn nicht
mein Blut, so doch ein gutes Stück Gesundheit bei zugesetzt,
und diese ist doch das köstlichste Gut des Gebens. Mine Wunde
verheilt; der Betreffende kann troydem gesund sein.
Ich wünsche Dir ebenfalls eine schöne Spanne Zeit voller
Rriegserlebnisse und Aufruhr in Dir und dazwischen die gleiche
Erholung, wie sie mir durch die Liebe unserer Eltern und Ver-
wandten wird.
*
Sonke, unbekannt.
Hameln, den lo. Juni
Ich hatte einige Tage Urlaub genommen, bekam aber am
ersten Tage die Trauerbotschaft, daß mein jüngster Sohn am
2Z. April durch Ropfschuß gefallen ist.
Heute erhalte ich nun die Nachricht, daß mein zweiter Junge
vermißt wird, und auch von meinem Sohn, der zur See fährt,
habe ich schon seit Wochen kein -Lebenszeichen erhalten.
Mein Trost, den ich noch habe, ist aber größer als der Schmerz:
ich habe meine Iungensfürs Vaterland gegeben. Vfim habe ich
mich ebenfalls ins Feld gemeldet, denn, sind meine Hoffnungen
zerstört, so will und kann ich den rechten Trost nur an der Front
suchen und finden.
*
Franz Rraft.
geb. in Rittigheim a. d. Tauber.
Schützengraben bei Ovillers, 2. Juni 1915.
Wir können Gott nicht genug danken, daß unser Badener
Ländle vor dem Minfall feindlicher Horden verschont blieb. Un-
sere Stellungen ziehen sich weit an dem Dorfrand entlang, oft
auch durch das Dorf, so daß ein Teil deutsch, der andere Teil
158
französisch-englisch ist. Man sollte nun glauben, in diesem Trüm-
merhaufen sei alles Leben vernichtet; dem ist aber nicht sc». Un-
ter den Trümmern ist alles voller -Leben. In den Rellern sind
Rüchen, verbandstellen, Telefonzellen, Offizierswohnungen
u. a. m. eingerichtet. Tagsüber herrscht fast Totenstille im Dörf-
chen, aber des Nachts wird's lebendig. Da sehen Sie die grauen
Gestalten, die Flinte auf dem Rücken und die Rochgeschirre in
der Hand, die Häuser entlanghuschen und plöylich wieder hinter
einem Schutthaufen verschwinden. Sie holen ihren Reis aus
der in einem verschütteten Reller eingebauten Rüche. Dabei
klatschen beständig die Geschosse an die Mauern, und mancher
hat nichts mehr von dem Reis gegessen, den er hat holen sollen,
vor dem Dorf halten die verschiedenen IVagen, Brot-, Post-,
pionierwagen usw. Dort werden sie abgeladen. Die Schlepp-
trupps der einzelnen Rompanien schleppen die Sachen in die
Stellungen. Die Mitternachtsstunde ist für uns hier die schönste;
denn da wird die Post verteilt, und man opfert gern einen Teil
der kargen Nachtruhe, um die erhaltenen Briefe und Rarten
ein paarmal zu lesen und die Pakete ein- und auszupacken.
28. August 1915 im Graben von Boisselle.
Ich las gerade vor einigen Tagen Hebbels Nibelungen, und da
kamen mir wieder die Schönheiten unserer Heldensagen so recht
zum Bewußtsein.
IVir bekommen hier nichts Rares zu lesen, es ist alles so eigentüm-
lich zugeschnitten, man lieft am liebsten etwas, was gar nichts mit
dem Rrieg zu tun hat. Die vielen «Feldpredigten» und «Zorbau-
ungsbücher» hat man nachgerade satt, 'wer nur aus Angst betet,
gleicht einem Schützen, der in der Angst schießt. Ms geht beides
in die Luft.
*
Reinhold Siebolts,
geb. 9. Mai I89£ in Horst a. d. Amscher,
gef. Je. August 1915 in Givenchy bei La Bassee.
La Bassee, den 28. Januar 1915.
... Die Menschen, die das Leben hier aushalten wollen, wer-
den fast sofort und mit Notwendigkeit Fatalisten. Das äußert
15p
sich nach -Lebensauffassung und Weltanschauung des Einzelnen
natürlich verschieden. Die einen glauben ihr «Heben in Gottes
Hand, ohne dessen tDillen kein Sperling vom Dache fällt, andere
haben eine Art Rismet, andere denken eine unverletzliche Rau-
salität des Vlaturgeschehens, die meisten trösten sich: «Wen's
treffen soll, den trifft's, da ist nichts gegen zu machen». Und da
keiner weiß, ob er nicht morgen schon an der Reihe ist, sucht
jeder dem Augenblick alles abzugewinnen, und sie werden nach
ihrer Veranlagung erinnerungsselig und sentimental, toll und
ausgelassen und beides durcheinander. — War das gestern ein
wunderliches Gemisch von Stimmungen, Gefühlsäußerungen!
Der alte Unteroffizier hatte seine wehmütigen Erinnerungen
an die gefallenen Rameraden noch nicht zu Ende gebracht, als
schon ein sächsischer Musketier sich an Couplets derbsten Rali-
bers wagt, ein dritter ist mit seinem sentimentalen Erguß noch
nicht fertig, als ihn ein Ronzert aus der hintersten Ecke über-
tönt, in der noch immer die trübe Rerze als Leuchtturm auf
dem leeren Lasse brennt. Da wird jetzt Grog ausgeteilt und
einiges Gebäck. Eine Anzahl ältester Rnochen hat sich da-
hinten allgemach zusammengefunden und sich stillschweigend
so «einen ordentlichen» angetrunken. Vinn wird's plötzlich
offenbar. Sie singen unisono und im lustigsten Marschtempo
«ich weiß nicht, was soll es bedeuten» mit dem Refrain «sie
war so kitzelig, sie war so kitzelig, sie war noch nie so kitzelig
wie heute». —
Salome, am l. Februar 1915.
... Gestern abend war die -Luft dunstig und trübe. Ein wunder-
barer, roter Mond stand über unserem Dorf. Erinnerung an
manche Bilder flandrischer Maler. Dazu unablässig ringsum
am Horizont Ranonendonner und Gewehrfeuer.... Wir haben
noch 9 alte -Leute in der Rompanie, davon Z oder 4, die seit
Anfang des Rrieges dabei sind. Was die alles erlebt haben!
Wie die von Deutschland als etwas ganz fremd Gewordenem
hören. Heimweh und Friedenssehnsucht bei den meisten. Die
dürfen gar nicht nach Hause denken, ohne in eine unergründ-
liche Schwermut zu fallen. Sie reden langsam und schleppend,
von dem unentrinnbaren Verhängnis des Rrieges vollkommen
erdrückt. So etwas ist entsetzlich.
160
Im Schützengraben, am Z. Februar 1915.
... Die Position hier ist scheußlich. Der rechte Flügel der Rom-
panie liegt an einer sehr tiefen Stelle, fast Sumpf, an der nur
notdürftig aus Sandsäcken eine I— % mhohe Deckung
gebaut werden konnte. An Unterstände ist da nicht zu denken.
Die Leute müssen die zwei Tage und dächte im Freien aushal-
ten, fast ohne von der Stelle gehen zu können, da die tLnglän-
der genau aufpassen.
Ich bin Gefechtsordonnanz beim Leutnant und Haufe infolge-
dessen in seinem Unterstand, der auf der Höhe gelegen, fast ganz
trocken und warm ist. ... An das Sausen, Rnallen, Zischen,
Summen, Pfeifen der verschiedensten Geschosse gewöhnt man
sich recht rasch, und es geht uns wie dem Neuling in der Groß-
stadt, der sich nach kurzer Zeit so an den ständigen -Lärm und
das nächtliche Getriebe gewöhnt hat, daß es seinen Schlaf
nicht im geringsten mehr beeinträchtigt. Die kleine Skizze
gibt ungefähr das Gesichtsfeld aus einer der Schießscharten
in den höher gelegenen Stellungen wieder. Man sieht wenig:
Das völlig zusammengeschossene Dorf Givenchy, davor ein
Rübenfeld, auf dem die Toten der letzten Stürme noch immer
unbegraben liegen, vor den zerfallenen Häusern ab und zu
den dunklen Streifen des englischen Grabens.
Mr stecken rief im Lehm. Rleider und Stiefel mir einer dicken
Rruste überzogen.
Mine häßliche Art, Rrieg zu führen. Aus Schlamm und Dreck,
in dem die Toten stecken bleiben, knallt man sich gegenseitig an,
ohne daß viel ausgerichtet wird.
Haubourdin, Juni 1915.
... Der Rrieg dauert doch recht lange, und auf die Dauer hält
keiner dem Druck dieser Mordmaschinen stand. VJicht für einen
Tag hält jetzt die Frage mehr den Mund: A)ie lange noch, und
die Reihe ist an uns —. Am Sonntagnachmittag war ich in
Fournes, auf dem Oktoberschlachtfeld meines Regimentes. —
Seither ist wohl keines Menschen Fuß dorthin gekommen. Die
zerschossenen Häuser, der zerbrochene Hausrat lag und stand wie
damals. Eine scheue einsame, kleine Ratze, die durch all die
Stürme, auch durch den ^Vinter, ihr Leben gerettet hat, schlich
abgemagert durch den Verfall. Schützengräben, kaum zu finden
ll D.d.«. 161
unter dem hohen Gras, Abendsonnenschein und betäubender
Blumenduft ringsum. Pfefferminz und wilde vorjährige Ähren,
Rornblumen und Mohn, roter Mohn, ein weites, weites
rot gesprengtes Feld. — Allein mit meinem Pferd ritt ich im
Schritt durch dies stille blühende Meer an den verlassenen, zer-
störten Stätten vorbei. Wo mögen sie geblieben sein, die liebens-
würdigen, lebhaft gestikulierenden -Leutchen, denen hier aus
Werktag und Sonntag ihr kleines, sei es gutes, sei es häßliches,
Geschick sich flocht. Dann kam der heiße Wind des Rrieges, in
seiner Wolke der Tod. Hinter ihm die Wüste, Leben verdorrt,
Land versengt. Nun keimt es wieder aus der Asche, die un-
ersättliche Fruchtbarkeit der Natur will alles überwachsen und
vergessen. Die Gräber sinken hier ein, und die Schrift auf den
Rreuzen ist verwaschen, ehe noch der Rrieg sich erschöpft hat,
während täglich noch das Grollen der Geschütze herüberweht.—
Auf dem Nachhauseweg ein tolles Rennen. Vorn in die Bügel
und dann, was das Pferd nur geben konnte. —
Gestern feierte das Bataillon ein großes Sportfest. Am Mittag
Wettschwimmen, gegen Abend auf der weiten, schönen Wiese
nebenan Wettlauf, Rugelstoßen, Springen, Ringen, Turnen
usw. Als es dann dunkel wurde, lagerten sich die Rompanien,
schmausten, tranken und sangen. Dazu Lackelbeleuchtung. iLs
wurde allgemein gesagt, das Fest sei recht schön gewesen, und
die Rerle haben riesigen Spaß gehabt. Was soll man nun
bei solchen Gelegenheiten mit den Jammerbüchern des blauen
Rreuzes und anderer Sittlichkeit?- wie Mäßigkeitsapostel 7 Die
Leute waren überall mit Leib und Seele dabei. Das Trinken
ist ihnen wahrlich nicht die Hauptsache gewesen! Die größten
geistigen und körperlichen Anstrengungen erwarten den Mann.
Da ist eine gründliche physische Ausspannung und Ergöyung
eine heißersehnte und notwendige Wohltat. übrigen aber
ist der Rrieg weder sittsam noch ehrbar, und die größten Rauh-
beine sind vorn die besten Totschläger. Darauf aber kommt's
im einzelnen schließlich doch hinaus.
Haubourdin, 27. Juni
Sonnenwende! — Daran habe ich nicht gedacht, bis Ihr Brief
mich erinnerte. Freilich, der Tag war nun schon gewesen, und
meine Feier habe ich schon gehabt an jenem Sonntagnachmir-
162
tag in Fournes. Sonnwende, die Stunde ist bedeutungsvoller
für uns alle, jetzt geht sie auch die an, denen vorm Rrieg nicht
bekannt war, daß es so etwas gab. Tag und Nacht spielen bei
denen im Feld eine ganz andere Rolle als bei den Leuten der
Zivilisation. Wir merken, wie es unseren Altvorderen zumute
gewesen ist. Bald heißt es wieder, Rerzen und Taschenlampen
heraussuchen. Es geht auf den IVinterfeldzug zu.
La Bassee, lo. Juli
Seit gestern abend sind wir in La Bassee. Nach einem Marsch
von provur durch Le Marais über den Ranalweg, den ich
vor fast 5 Monaten als ganz Gemeiner noch auf einem Lei-
terwagen herkarriolte. Ganz andere Gefühle damals — «ge-
mischte» — und das waren sie nun wohl auch. In die erregten
Gedanken, die jeden beschleichen und umwittern, der sich den
feindlichen Polen nähert und in die leere schwarzverbrannte
Zone tritt, in der die hochgespannten Energien sich entladen —
in solch ernste Gedanken mischte sich bei mir doch auch die
Freude, endlich wieder dem gräßlichen Friedensbetrieb ent-
rönnen, wieder im Feld zu sein. A?ir liegen hier in Bereitschaft,
das heißt müssen jeden Augenblick gerüstet fein, bei einem eng-
tischen Angriff sofort eingesetzt zu werden . . . Wenn Ihr
also gegen Abend nochmal an mich denkt, dann stellt Euch vor,
ich stehe im weiten, nachtdunklen Ährenfeld, vorn, da knallt
es ab und zu; und unten im Graben hacken und graben, schür-
fen und schaufeln die finsteren Schatten meiner Leute, bis die
ersten grauen Schleier übers Feld gespenstern, dann ziehen wir
singend wieder — «heim». Eben sind wir von dem wunder-
vollen Gang zurückgekommen. Man ist versucht, die Leere in
den Straßen der frühen Morgenstunde zuzuschreiben. Aber
man kann gehen, das Bild ändert sich nicht. Rein einziger
Mensch haust mehr in den Trümmern dieser ehemaligen Stadt.
Das alles ist tot, vergessen, herrenlos. Nimmt man sich die
Mühe, über den Berg von Schutt, Scherben, Unrat und
Feyen eines Hausflurs wegzuklettern — die Mühe lohnt sich.
Hinter den Bergen liegt das Reich der menschenscheuen, tief-
sinnigen Göttin, deren Nähe man nur selten spürt — etwa in
der äußersten E>de einer ungeheuren Sandbank im seichten,
grünen Meerwasser, da wo die schwarzen Rippen des gestran-
163
Veten Bootes halbversunken aus dem Sande starren, mag man
sie finden — vielleicht in den zerfallenen Ruinen alter Ritter-
bürgen — kaum wird man sich ihr nahe fühlen, wie in diesen
Gärten, die seit Monaten kein Mensch mehr sah. Eine einge-
stürzte Mauer, Mörtel und zerbrochene Ziegelsteine, leere Ron-
servenbüchsen und ein zerschlagener Stuhl verschwinden unter
wucherndem Schlinggewächs, Blatt und Grün. Alles treibt
und blüht, wie es will, verwilderte Beete, üppige Blumen,
Unkraut, kniehohes Gras, blühende Rosen, verwelkte Rosen,
Erdbeeren, Rirschen, alte Birnbäume mit reifender Frucht, ein
trockener Springbrunnen mir einem sonnverbleichten Tuffstein-
einsay. wo Weg war, wo Rasen, das sieht man nicht mehr,
keine Seele kümmert sich darum.
In den Hinteren leeren Gräben hat der Sommer sich manches
Idyll zurecht gemacht. Tief versteckt in wildgewachsenen Ge-
treidefluren, ihre Brustwehren bewachsen mit Ramillen, Mohn
und hohem Rraut, und auf einer dieser wehren stand einsam
und vergessen die Statue eines Mädchens, wie ein Heiligenbild
inmitten dieser Einöde von Blüten und Gerüchen und sah, die
Hände über der Brust gekreuzt, in den strahlend blauen, rosen-
überhauchten Morgensonnenhimmel.
I*. Juni 1915.
Jetzt liegen wir in Haubourdin, einer Vorstadt von Frille. Aber
es ist doch etwas anderes als zu Hause, und ich erlebe den Rrieg
mit Ausnahme eines Hauptmomentes, der Gefahr; ist sie nicht
gegenwärtig, ist sie doch in die unmittelbare Y7ähe gerückt, wir
fühlen ihr Gewicht über unserm Haupte, augenblicks bereit,
herabzuschmettern. Und die Gefahr, schon ihr bloßer Blick jagt
dem Rrieger Stärke und Feuer ins Blut, gibt ihm sein neues
Gewissen und eine neue Entschlossenheit, wie innig verspüre
ich in mir das Wesen meiner Väter, als eherner Granit, über-
wölbt von Generationen, Schicht auf Schicht. Auf ihrer Höhe
stehe ich, um das Gebäude weiter zu türmen, dessen Schwer-
kraft, Halt und Form der Staat ist. Vlie habe ich mich dem
Staat so ergeben gefühlt, ihn nie so kindlich geliebt, so wahr-
Haft tief verehrt, ihm nie so grenzenlos mich geben mögen. Der
Staat ist die Voraussetzung aller Rultur. Auch meinen -Leuten
bemühe ich mich, es bewußt werden, ihnen den Rrieg von einer
M
fremden Notwendigkeit wieder zur Lust werden zu lassen.
Ledig jeder Arbeit, Tod vor Augen, der Gegenwart gelebt,
tausendmal die Gelegenheit zur tollsten Tat, zu größtem Ruhm
zugleich die Lust, nur eine Plummer in dieser gewaltigen Gr-
ganisation zu sein, einer heiligen Pflicht gehorsam. Das ist kein
dumpfes Leben mehr.
*
Sigismund Deutlinger,
geb. II. Mai 1892 in Schramberg/Schwarzwald.
20. Juni 1915.
übermorgen geht's wieder in Stellung. Dieselbe ist wunderbar
ausgebaut, die reinste Festung, mit mehreren Stacheldrahtver-
hauen davor. Da können sich die Franzosen, wenn sie uns an-
greifen wollten, sämtliche Zähne daran ausbeißen. Auch in
Stellung wird den ganzen Tag gearbeitet und nachts noch oben-
drein ein paar Stunden gewacht. Ruhe gibt es also überhaupt
nie, jedoch um so mehr Schweißtropfen. Aber das macht nichts,
wir tun alles gern. Die Stimmung ist vorzüglich, und es wird
viel Scherz und Unsinn getrieben. Abends wird öfters Theater-
Vorstellung gemacht... Dann spielt auch wieder die Regiments-
musik; einen Gesangverein haben wir hier auch ... Aber das
schönste, was wir haben, ist die "waschgelegenheit. silber-
klares Bächlein fließt durch unsere Lauben- und Villenkolonie
und ist eine wahre Wohltat für Menschen und Pferde. Das Dorf
ist von den Bewohnern ganz verlassen, bloß eine steinalte Frau
ist hiergeblieben, sie wird gut gefüttert von uns. Als 1870 die
Deutschen schon hier waren, blieb sie auch hier. Jedenfalls hat
sie damals die Erfahrung gemacht, daß ihr von unserer Seite
nichts geschieht.
9. September 1915.
Nochmals herzlichen Dank für Ihr paketchen. Ms freute mich
sehr, besonders weil es gerade Sinalko war, denn dieses Wort
wird bei uns viel gebraucht, und zwar als Drückebergerparole.
Wenn wir zum Beispiel am Arbeiten sind, und es kommt gerade
ein Vorgesetzter, so wird von Mann zu Mann «Sinalko» ge-
165
rufen, und alles schafft wie wahnsinnig, auch die, die zu aller-
leyt Anspruch auf die Erfindung der Arbeit haben machen
können.
Ich kann Ihnen auch heute schreiben, daß es mir noch gut geht.
Aber wir merken, daß ein anderer Rommandant auf Verdun
ist, die französische Artillerie befunkt uns wirklich ganz unzu-
lässig viel, und zwar mit einer Treffsicherheit, die eigentlich bloß
uns gestattet sein dürfte. Hauptsächlich nachts haben die Gappen-
posten furchtbar zu leiden, und ich glaubte, als ich vorgestern
Nacht in derselben stand, ich brauchte den Rückweg nach dem
Graben nicht mehr zu machen. Aber es ging mit einer Portion
der andauernd umherfliegenden Erde und Steine ab. Tags zu-
vor hatten die Franzosen uns durch einen Volltreffer in den
Graben <5 Gewehre und 8 Rochgeschirre in Feyen geschossen und
noch vieles andere. Sechs Mann waren verwundet. Doch aus
der Ruhe lassen wir uns deswegen nicht bringen, und über jeden
Blindgänger werden Witze gerissen. Wozu auch den Ropf
hängen lassen, ich für meinen Teil habe schon längst Freundschaft
mit dem Tode geschlossen und anderen geht es wohl ebenso. Sollte
er mir mal zuwinken, ist es auch nicht schlimm. Arstens habe ich
nicht viel zu verlieren, und zweitens ist an mir nicht viel ver-
loren. wieviele wertvollere Menschen fehlen schon unter uns!
Bloß um mein Mütterchen wäre es mir leid, sie braucht so not-
wendig eine Unterstützung, denn mit irdischen Gütern sind wir
nicht gesegnet. Sie dürfen aber nicht denken, daß mich die Ar-
mut drückt, ich fühle sie gar nicht, und fühle mich bis jetzt so
glücklich, wie es vielleicht nicht der Fall wäre, wenn ich reich
wäre. Ich bin ja gesund und kann arbeiten, habe meine fünf
Sinne und weiß dieselben zu gebrauchen. Die liebe Sonne lacht
mich ebenso freundlich an, und die -Lerche trällert mir ebenso
lieblich zu wie den amerikanischen Dollarkönigen, und ich glaube,
ich habe mehr treue Freunde wie zum Beispiel Herr Morgan in
Amerika. Ich hatte bis jetzt oder vielmehr bis zum Rriege immer
durch meine Arbeit als Dekorationsmaler mehr verdient, als wir
beide zum Leben brauchten. Also habe ich alle Ursache, mich
glücklich zu fühlen, und ich wünschte jedem, er fühlte sich ebenso
zufrieden. Dann könnten die Wörter Unglück, Unzufriedenheit
und Neid aus dem deutschen Wörterbuch verschwinden.
Es ist jetzt schon ziemlich kalt, besonders gegen Morgen, und
löö
ohne Mantel würde man, wenn man so zwei Stunden unbeweg-
lich auf Posten steht, ordentlich frieren. "Wir richten uns auch
schon ein für den Winter. Granatsichere Stollen werden nach
allen Regeln der Bergbautechnik angelegt, jeder mit zwei oder
drei Ausgängen, da kann ruhig mal einer zugeschüttet werden,
wenn die Franzosen es mit ihrer amerikanischen Munition zu
toll treiben sollten. Also der 'Winterfeldzug ist uns sicher, viel-
leicht auch nochmal der Sommerfeldzug. Wir wollen es nicht
hoffen, aber unmöglich ist heute ja überhaupt nichts mehr,
wenn wir immer so regelmäßig abgelöst werden wie bisher,
dann liegen wir an Weihnachten gerade im Graben, wie ich
schon ausrechnete, vorausgesetzt, daß wir das Lest noch er-
leben.
*
Hermann Rnuy,
geb. 5. Januar 1889 in Baurup/Nordschleswig,
gef. 19. September 1917 bei verdun.
Tagebuch.
Rarfreitag, den 2. April 1915.
Es klingt wie ein Hohn auf Christenlehre und Christensitte,
wenn kurz hinterm Graben, oder in der zweiten Stellung die
Granaten laut krachend auseinanderbersten und eine Fontäne
von Mrde und Schlamm in die -Luft hinaufwälzen.wann Sonn-
und Montag ist, wissen unsere Fleute kaum, der Dienst ist immer
derselbe, aber daß heute Rarfreitag ist, wissen sie. Sie denken
wohl auch zurück an frühere Iahre, wo über jedes Dorf, die ge-
schäftigste Stadt eine ernste Stille gebreitet lag. lLs war immer,
so, als wenn an diesem Tag auch Menschenhaß und Streit ruhen
mußten. Und heute amRarfreitag 1915 stehen wohl an 2oMil-
lionen Menschen, die da glaubten, es in Christenliebe und Duld-
samkeir herrlich weit gebracht zu haben, bis auf die Zähne be-
waffnet, um sich am liebsten heut noch zu zerfleischen. Seit
jenem heiligen Freitag, als der große Nazarener seinen gewal-
tigen Rampf mit dem Tode kämpfte, ist wohl nicht so viel Rampf
in der Welt gewesen wie heute.
167
Ostersonnabend, den Z. April I9IS.
Heute morgen lag so etwas wie Vsterfriede über den graben-
durchfurchten, heißumstrittenen Gefilden von Moulin. lLs ist
still weit und breit, auch die Franzosen schießen heute nicht. Die
Sonne verjagt die Nebelschwaden, die überm Tal lagerten, die
Lerchen jubilieren in der klaren Luft, heut können sie wirklich
zu Worte kommen. Sonst singen ja nur die schauerlichen Luft-
ungeheuer, die todbringenden Granaten im rasenden vorüber-
sausen ihr grelltönendes Lied. Auch gegen Mittag lagert noch
Friede über der Landschaft. — Aber die Äugeln siyen einmal
furchtbar lose im Rriege. Irgendwo drüben ist einem Batterie-
führer wohl die Zeit zu lang geworden, er läßt eine Salve los-
jagen, es kostet ja nicht viel Mühe. Wie wettlaufende Jagd-
Hunde hören wir die sechs Brüder in der Luft dahinjagen. Nun
fahr wohl, Gsterfriede und Sonntagsstimmung! Die ersten
Schüsse sind gefallen. Wenn ein Hund bellt, bleibt Nachbars-
Hund nicht still, die schönste Osterkanonade ist im Gange. Ach
was, Osterstimmung, Rrieg ist! —
Montagabend, den 5. April l£l5.
Habe soeben die Posten im Graben und in der Sappe revidiert.
Die V"I«cht ist regnerisch, dunkel und so kalt, daß man kaum die
Hand vor den Augen sieht. Alle 5—<5 Meter steht im Graben ein
Posten und späht scharf in das Vorgelände hinein. Sie können
kaum die ungenauen Umrisse des Drahtverhaues sehen. Ihr
Auge hat sich aber bei diesem monatelangem Spähen so ge-
schärft, daß ihnen nichts entgeht. Ich schaue hinüber und sehe
nur graue, undurchdringliche, regendurchsprühte Dunkelheit,
eigentlich nichts. Reiner sagt einen Ton. muß scharf hin ge-
horcht werden, ob nicht vielleicht am Drahtverhau sich etwas
regt, ob nicht der Feind schon hinter diesem liegt, um auf einmal
das Drahtlabyrinth an einigen Stellen zu durchschneiden, um
dann mir 4—5 facher Übermacht in unsern Graben hinein;»-
fluten. lLs ist beängstigend still. Nur etwas weiter links nach
den 85. hin hört man vereinzelte Schüsse. Der Feind gegenüber
schießt nicht. Der Nordost treibt ihm den feinen Sprühregen ins
Gesicht, das macht kampfunlustig. Unseren Leuten wird dagegen
das Genick naß. Minige haben sich darum die Zeltbahnen über
die Röpfe gehängt. Der Feind schießt immer noch nicht. tLs sollte
lö8
doch nicht---ein Angriff vielleicht---die Dunkel-
heit ---kein Schuß fällt, vorhin das Rascheln am feind-
lichen Drahtverhau. Vielleicht die einzelnen spanischen Reiter
weggeräumt, um schneller aus dem Graben hervorzustoßen.
Noch immer kein Schuß.---Da schicken unsere ein paar
hinüber. Noch einige. Da — ein Schuß aus dem feindlichen
Graben, pi—u—u saust es über unfern Graben hinweg, wieder
pi—u—u, pi—u—u. Also nichts los, der Feind ist noch in seinem
Graben und denkt ebensowenig an Angriff wie wir. — Nun
in die Sappe hinein. Dieser Teil der nächtlichen Ronde ist wenig
angenehm. Der Regen hat den lehmigen Boden aufgeweicht,
bis über die Rnöchel muß man im Schlamm waten, das Heraus-
ziehen des Fußes macht jedesmal ein Geräusch wie wenn ein
Bäcker Brot knetete. Dann kann man auf einmal nicht weiter
kommen, durch den Regen haben sich Erbmassen an der Seiten-
wand gelöst und sind in den Graben gestürzt. Vorsichtig tappe
ich hinüber. Dort an der Biegung liegt noch der Blindgänger
von der Nachmittagekanonade. Es muß doch hier sein. Richtig.
— j£itt unvorsichtiger Schritt könnte einem das Leben kosten.
Endlich bin ich bis in das äusterste Ende der Sappe gelangt, es
sind nur 50—60 Meter zum Feinde hinüber. «Alles in Ord-
nung», flüstere ich dem Posten zu. «vom Feind nichts Neues»,
antwortet man mir zurück im Flüsterron.
Sonntag, 25. April
Herrlichstes, stilles, sonnenklares Frühlingswetter. Dies unbe-
schreibliche Frühlingswehen ist da, das den Grillenfänger lachen
läßt, den Mißmutigen fröhlicher stimmt,
«Das Blühen will nicht enden
es blüht das fernste, tiefste Tal,
nun, armes Herz, vergiß der (Qual,
nun muß sich alles, alles wenden!»
Die Natur bleibt sich selbst treu, bleibt sich im ewigen Wechsel
immer gleich. Aber all die Millionen, die zwischen Rhein und
Nordsee, zwischen den Karpathen und der Ostsee Z—4 Meter in
der Erde, zwischen Lehmwänden, Sandsäcken und Faschinen in
einem Grabenlabyrinth herumwimmeln, können in diesem Jahr
die große Auferstehungsfeier der Natur nicht mitfeiern, können
von der Frühlingsherrlichkeir nicht mehr erhaschen als das
m
Stückchen Himmel, das gerade über dem engen Grabenabschnitt
lagert.
Unsere IVehrmänner und Aktiven ertragen diesen Bann leichter
als unsere Rriegsfreiwilligen. Die ganze Lebensanschauung
dieser jungen Leute ist doch zu idealistisch, zu lebenbejahend froh,
als daß sie ohne eine gewaltige Sehnsucht nach Bewegung,
Spiel, Gesang und Wanderlust die Frühlingswolken über sich
hinwegziehen sehen könnten. Ein Extrem fordert das andere
heraus. Der elenden vegetierenden Passivität im Schützengraben
möchte man ein Leben voller Aktivität gegenüberseyen. Glicht
nur den Rriegsfreiwilligen geht es so, sondern auch denen, die
schon über die erste Zeit von «Sturm und Drang» hinüber sind.
Bei mir verschaffte sich dieser Drang in einem schnurrigen Traum
Luft. Mir träumte, es sei Friede, und ich sei zum ersten Male zu
Gaste im schönen Rinkenis bei alten lieben Nachbarn. Bekannte
waren zusammen gekommen, um etwas über den Rrieg zu hören.
Es war Sommer. Der Raffee sollte angesichts der blauen <vst-
see im Garten eingenommen werden. Anstatt mich nun ruhig
zu den Nachbarn zu setzen und zu erzählen, fing ich an, durch den
mir altbekannten Garten zu laufen, wie ein Schnelläufer, immer
in wunderlichen Schleifen und Bogen. Zum Entsetzen der sehr
akkuraten Gastgeberin nicht die "Wege und Steige entlang, son-
dern wie ein Jagdhund, der sechs IVochen eingesperrt gewesen ist,
quer über Rasen und Beete, in luftigen Sprüngen über blühende
Johannisbeersträucher und Lebensbäume. Und als ich nun gar
mit einem mächtigen Satze mitten in ein Beet mit jungem Salat
sprang, stieß die Gastgeberin einen Schrei des Entsetzens aus
über den schönen Salat. Durch diesen Schrei wurde ich wach.
In "Wirklichkeit war es mein Bursche Femerling, der mich weckte
und mir klarmachte, daß es Zeit sei, die Posten zu revidieren.
Des weiteren teilte er mir mit, daß nach der ersten Morgen-
Meldung der Gruppenführer 7 Granaten und 51 Minen in das
Revier des Zuges hineingegangen seien.
Also fahr wohl, Frühlingstraum und friedlicher Garten in Rin-
kenis. Raus aus der Riste! Posten revidieren!
5. Juni 1915.
Als am 5. Juni ein schöner, klarer Sommermorgen über unserm
Graben lag, ahnte noch keiner, daß dieser Tag uns etwas Neues
170
lehren sollte, nämlich das Trommelfeuer. Es war wohl gegen
9 Uhr vormittags, als die Ranonade von feiten der Franzosen
einsetzte. Und zwar gleich mit einer Heftigkeit, die uns in Er-
staunen seyte, da der dritte verhältnismäßig ruhig verlaufen
war. Doch es war die Ruhe vor dem Sturm gewesen. Das Ein-
schießen war um 10 Uhr schon geschehen.
Die Franzosen mögen drüben wohl 24-0—300 Geschütze aufge-
fahren haben. Alle möglichen Raliber waren vertreten. Das
Grabenstück, das intensiv beschossen wurde, war vielleicht 700
bis 800 Meter breit, nämlich von links der rechte Flügel der
IZ. Romp., die II. und die 12. Romp. Für einen so kleinen Ab-
schnitt also eine wahnsinnige Artilleriestärke.
Bei dem einsetzenden Trommelfeuer dafür aber auch ein Getöse
und ein £ärm, wie wir es noch nie gehört hatten. Es war un-
möglich, die einzelnen Einschläge auseinander zu halten oder
etwa zu sagen, wie viele Schuß in der Minute aufunsern Graben
niederhagelten. Man hat mitunter Trommelfeuer mit einem
Maschinengewehrfeuer im großen verglichen. l?ch finde diesen
vergleich nicht sehr zutreffend. Das Maschinengewehrfeuer hat,
auch bei größter Schnelligkeit, immer noch etwas Gleichmäßiges.
Man hört, wenn auch nur unklar, einen Schuß nach dem an-
dern. Trommelfeuer aber verursacht einen wilden Tonknäuel
möchte ich sagen, ein Durcheinander von Detonationen. So wild
durcheinander, daß richtige Beobachtung der Geräusche gar nicht
möglich ist. Schwere Geschosse schlagen ein, und die Erde zittert
im weiten Umkreise. Eine Batterie schickt Salven hinüber in
Gruppen zu vier, sechs oder acht Schuß. Ein Heulen und Rasen
in den lüften, ein Surren, Gingen und Pfeifen der Spreng-
stücke. lLine Granate platzt in unmittelbarer Nähe des Unter-
standes, ein furchtbar hartes, scharfes Geräusch, daß die Ohren
fast schmerzen. Die Erde bebt bei der Explosion. Eine Fontäne
von Erde, Lehm, Eisen, Staub und Dampf wälzt sich in die
Höhe. Hoch in die Luft wird die Erde geworfen und fällt in
kleinen Stücken, wie Hagel prasselnd, in den Graben nieder, "wie
dumpfer Hammerschlag eines Riesen, der die Erde zerschmettern
will, tönen furchtbar wirkende große Torpedominen. Feinerund
schnarrender im Ton sind die Schrapnells, die in der Luft oder
mir Aufschlagzünder auf der Erde krepieren. Wie Rasen der
wilden Jagd saust es durch die Lüfte, es ist eine Gruppe, die
171
nach dem Graben hinter uns geschickt wird. kamen an, 5 kre-
pieren kurz aufeinander, als wenn keiner den andern zuvor-
kommen lassen will. Der eine ein Blindgänger. — Ein Summer
in der Luft: «Da kommt ein Schwerer» sagt mein Bursche.
I, 2,3, — dann eine furchtbare Detonation, aber 7—8 Meter
hinter dem Unterstand, dieser bebt langsam hin und her. von
der Rückwand bröckeln einige Lehmklumpen ab.
Es gibt im Rriege wohl schrecklichere Momente, die die Nerven
wilder aufpeitschen, aber es gibt wohl kein so niederdrückendes
Gefühl, als bei stundenlangem Trommelfeuer im Unterstand zu
siyen, tatenlos, ohne auch nur das Geringste unternehmen zu
können, immerfort gewärtig zu sein, daß in der nächsten Minute
alles vorbei ist. wenn diese Stunden aber zum Tage werden wie
an jenem £. Juni, so verfallen manche Naturen in eine Art
blöde Ergebenheit, sie sagen nicht viel, zeigen durchaus keine
Aufregung, rauchen ruhig ihre Zigarre oder Shagpfeife. Man
kann diesen Zustand nun Gottergebenheit, Fatalismus oder
Stumpfsinn nennen, die äußeren Erscheinungsformen sind fast
dieselben. Es kommt auf das Naturell des Betreffenden an. In
Wirklichkeit ist es etwas anderes: Tiefeingewurzeltes, echt preu-
ßisches Pflichtbewußtsein. Es ist jedem Soldaten so selbstver-
ständlich wie nur was, daß er dieses Leuer über sich ergehen läßt,
um sofort nach Aufhören sich auf seinen Platz im Schützen-
graben zu stürzen, um dem etwa anstürmenden Feind Trutz auf
Leben und Tod zu bieten.
Ein Gutes schafft auch das mörderischste Trommelfeuer auf un-
serer Seite, nämlich — Wut, die keine Grenzen kennt. Wut auf
die da drüben, die uns Tod und verderben in so mannigfacher
Form herübersenden. — «wenn sie nur kommen wollten», habe
ich so manches Mal aus dem Munde der Füsiliere gehört.
So geht das wahnsinnige Feuer fort den ganzen Tag bis abends
8 Uhr. Daß wir tagsüber nichts gegessen haben, merkt wohl
keiner. An Essenholen war nicht zu denken.
Als wir abends nach dem Feuer in den Graben hinauskamen,
sah dieser furchtbar aus. An vielen Stellen bildete der frühere
Graben nur noch eine flache Mulde, aus der Bretter, Faschinen-
teile, Sandsäcke den weg hindernd hervorstanden. Mancher
Unterstand war verschüttet, mancher brave Ramerad hatte sein
Leben lassen müssen. Ich lasse die Gruppen sofort an die Arbeit
172
treten. DieLaschinenteile müssen weggeräumt werden, die Sand-
säcke auf die Brustwehren gelagert, der Graben muß soviel frei-
gemacht werden, daß bei einem Angriff ein schnelles Besetzen
möglich ist. Und die Rerle greifen tüchtig zu. iLs ist ihnen eine
Wohltat, nach dem zehnstündigen Brüten dort unten in den
Erdlöchern. Der Abend sinkt allmählich herab. Drüben am West-
Himmel steht bis in die Dämmerung hin ein französischer Lessei-
ballon. Min Blick über die Brustwehr: das Drahtverhau vor
meinem Zuge ist noch fast unversehrt. «Dann laß sie nur kom-
men, lieber das, als noch einen Tag in dem mörderischen Trom-
melfeuer aushalten.»
Die Nacht gibt nicht viel Ruhe. Geschossen wird zwar nicht
viel, doch im Graben gibt's Arbeit. Das dumme Minenschießen
hindert uns nicht. Treu und brav haben meine Leute bis in die
späten Morgenstunden hinein gearbeitet, gegraben, wieder auf-
gebaut, Eingänge zu den Unterständen freigemacht.
Im Nordosten, dort hinter der «Jlee Loges Lerme »künden blaß-
rot leuchtende Strahlenbündel den kommenden Morgen an und
den kommenden Tag.
5. Juni 1915.
Was wird der Tag bringen? Frischen Rampf? Wo der Mann
zeigen kann, daß er Schießen und Bajonettieren gar wohl ver-
steht, oder wird er uns wieder für lo Stunden in unsere halb-
dunklen Unterstände verdammen?
Im Graben ist es jetzt still. Es ist fast kein Schützengraben mehr
zu nennen. Die Gesichter müde und abgespannt. «Zwei Stunden
Posten stehen, zwei Stunden arbeiten, die flacht hindurch im
"Wechsel, ohne ein Auge zuzumachen.» Das steht auf ihren Ge-
sichtern geschrieben.
Gar manchem ist gestern der Unterstand zerschossen. Heute gilt's,
bei Rameraden unterzukommen. Die Unterstände sind darum
alle überfüllt. Werden diese auch verschüttet, so ist das Unheil
doppelt groß.
Bis y Uhr vormittags ist wieder eine Ranonade im Gange, als
wenn alle Geister der Hölle entfesselt wären. Heute ist auch mein
Unterstand überfüllt, Er hat gestern standgehalten. Sieben bis
acht Leute, obdachlos geworden, finden sich bei den ersten
Schüssen bei mir ein, so daß wir in meinem Unterstand, in dem ich
173
sonst mit meinem Burschen allein Hause, nun zehn Mann drin
sind. Viel Bewegung gibt's nicht. U>o man gerade Play gefun-
den hat, muß man stundenlang verharren. Gegen Mittag steigert
sich die Ranonade zu heftigstem Trommelfeuer. Der Lärm, das
Getöse, das pfeifen, Rlirren der auseinander berstenden Ge-
schösse ist noch schlimmer als gestern. (Qualm, Staub, übelrie-
chender Dampf lagert sich über dem Graben. In den überfüllten
Unterständen wird die Luft dumpf und stickig. Dazu dringt mit-
unter schwarzer dichter (Qualm einer explodierenden Torpedo-
mine in den Unterstand hinein. Durch Hin- und Herschwenken
der Jacke sucht mein Bursche den (Qualm abzuwehren. Oben
rast das Feuer weiter; es gehören starke Nerven dazu, das aus-
zuhalten. Gegen Mittag stürzen zwei Mann aus meinem Zuge
den Graben entlang und in meinen Unterstand. Außer Atem
bleiben sie auf der Treppe sitzen. Ihr Unterstand ist verschüttet.
Ein Loch, so groß wie eine Lauft, hatte sie noch mit der Außen-
welt verbunden. Zehn Minuten rastlose Arbeit, und das Loch ist
so groß, daß sie sich eben durchzwängen können, von draußen
kommt ihnen die helfende Hand eines Sanitäters der Rompanie
entgegen. Die zwanzig Meter zu meinem Unterstand hin im
Laufschritt, zwischen playenden Schrapnells und Granaten hin-
durch. Vorläufig wieder in Sicherheit.
In abgebrochenen Säyen berichten sie von dem Einschlagen der
Granaten und von ihrer Rettung. "wie der Graben aussieht,
wie ein wüster Trümmerhaufen, alles wild durcheinander. Von
Brust- und Rückenwehr kaum noch was zu sehen. Drei Meter
starke Schulterwehren wie Sandhaufen in sich zusammen-
gerasselt. Die Uhr wird zwei, drei Uhr nachmittags. Immer
noch wütet oben das Feuer mit unverminderter Heftigkeit. Die
Augen wollen einem zufallen. Wohl sinkt einmal der Ropf auf
die Rnie, doch der Mark und Bein erschütternde Rrach einer
Granate in unmittelbarer nähe läßt uns jäh auffahren. Die
Uhr wird fünf, sechs Uhr. Da steigert sich noch einmal das Feuer
zu äußerster Heftigkeit. Er rast und tost oben eine Stunde lang.
U)ie lange wird mein Unterstand noch halten? Zehn Mann siyen
dicht gedrängt drin, nicht dran denken, trifft's, dann trifft's.
Da wieder ein dumpfes Surren. Schweres Steilfeuergeschoß.
Mechanisch ducken wir die Röpfe. IVird's auf uns niedersausen?
Da — eine furchtbare Erschütterung. Der Unterstand wackelt
17*
trotz seiner dicken Eichenbohlen. Erdteilchen bröckeln von der
wand herab. Draußen rutscht die Erde in den Graben und
dringt in den Unterstand, der dadurch fast ganz dunkel wird. Es
wird uns schwer zu atmen. Minigebefeuchten ihre Taschentücher
mit bereitgehaltenem Ralkwasser und atmen durch diese hin-
durch. (Ein Blick in den Graben hinaus. Ganz nahe muß es ge-
wesen fein. Richtig. — Dort der Unterstand, einige Schritte
weiter im Graben entlang, ist verschüttet. Doch sehe ich schon
scharrende und wühlende Hände, und gleich darauf kommt aus
einem kleinen -Loch ein rauch- und pulverdampfgeschwärztes Ge-
ficht heraus. Das Gewehr voran kommt auf allen Vieren krie-
chend ein Gefreiter heraus. Gleich daraufnoch einer. In wenigen
Sekunden sind alle vier Insassen mit ihren Gewehren schon in
meinem Unterstand drin. Der Volltreffer war etwas seitlich auf
den Eingang geschlagen, hatte diesen zerdrückt, aber noch eine
kleine Öffnung gelassen.
Mein Unterstand ist jetzt gedrängt voll. Wohl 15 Mann stehen,
sitzen, liegen fast mehr aufeinander als nebeneinander. Un-
terstand außer meinem ist noch heil in diesem Halbzuge. IVenn
einer von den beiden noch zertrümmert wird, was dann? Die
Luft wird immer schlechter, die Gesichter müde und abgespannt.
Zwei Tage fast nichts gegessen und getrunken, fast keinen Schlaf
und über uns das wahnsinnigste Feuer. Gestern zehn Stunden,
und heute rast der Geschoßhagel nun schon in der elften Stunde
auf uns hernieder, ohne Unterlaß, ohne eine Minute Ruhe.
Da, gegen acht Uhr abends ist plötzlich Schluß. Rein Schuß
fällt mehr. In den Ohren aber surrt es und brummt es noch
eine "weile, "wir sind mehr oder weniger taub geworden. Nun in
den Graben hinaus. U?ird ein Angriff kommen? Nein, alles
ruhig wie vorher.
"wie der Graben aussah! Ein Chaos von Erde, Sandsäcken,
Faschinen. An einigen Stellen die Trümmer wild aufeinander
getürmt, wie flüchtig aufgebaute Barrikaden. Bald ist auch der
Rompanieführer da. Er ist schon durch das Revier der anderen
beiden Züge gegangen. Ein ernster Zug liegt auf seinem Gesicht.
Der Graben muß aufgeräumt werden, so gut es geht. Ruhig
und gelassen gehen die Leute an die Arbeit. Eine Ordonnanz
kommt vom «Genesungsheim». Es soll heute abend um 12Uhr
abgelöst werden. Als die Ordonnanz mit der Unterschriften-
175
mappe fortgeht, höre ich, wie der Aompanieführer sagt: «Sagen
Sie dem Bataillonskommandeur, bei einem Angriff wird die
Stellung gehalten.»
November 1915.
Ich habe Grund zu der Behauptung, daß aus kleinen persön-
lichen Läden, die von den vorgesetzten sich zu den Mannschaften
hinüberspinnen, sich mir der Zeit ein unzerreißbares Band bildet.
Gewirkt einerseits aus gerechter Strenge, Wohlwollen und Ver-
ständnis für Freud und Leid des einfachen Mannes, andrer-
seits aus vertrauen, treuer Hingabe, Bewunderung für persön-
lichen Schneid. Es ist nicht jedermanns Sache, aber wer letztere
Eigenschaft besitzt, der hat ein für alle Mal gewonnenes Spiel
bei den Untergebenen. ££r kann von ihnen alles verlangen, sie
verachten dann jede Gefahr. Sie belegen ihn auch wohl mir
dem höchsten Prädikat, das Mannschaftskritik zu verteilen hat:
«Schneidiger Hund»; es ist dies übrigens ein Prädikat, das er-
teilt wird sowohl dem Rriegsfreiwilligen und -Landsturmmann
als auch dem Leutnant und General. In den beiden IVorten
liegt ein bestimmtes Etwas, das nur durch sie ausgedrückt wer-
den kann: Furchtlosigkeit, Schneid, kluge Berechnung, ein wenig
List, Entschlossenheit, etwas Verwegenheit und — ein klein
wenig Wurschtigkeit. Das ganze, gewürzt durch herben Witz und
trockenen Humor, ergibt wohl so ziemlich die Definition des
«Schneidigen Hundes».
27. November
Täglich bedeckter Himmel. Ab und zu heftige Regenschauer. Der
Boden aufgeweicht, farblos, grau. Hier und da tritt die schmutzig-
weiße Rreide zutage. Nirgends eine leuchtende Farbe. Die
regengeschwängerteLuft belegt alles mit einemtrüben Schleier.
IVenn man auf der Höhe südlich des Lagers steht, sieht man im
Norden die Rirchturmspitze von St. Etienne über kiefernbe-
standene Höhen ragen. Man könnte ja Etienne aufsuchen, in der
Hindenburg-Rlause eine Flasche wein trinken. Aber der Genuß
ist zu teuer erkauft. Man müßte eine Stunde sich durch den ellen
tiefen Schmutz pflügen. Da bleibt man lieber zu Hause. was
man jetzt überhaupt alles «zu Hause» nennt! In einem Wäld-
chen mitten in der Lausechampagne ist man «zu Hause», der
m
Schüyengrabenunterstand kommt einem wie eine alte vertrau-
liche Rammer vor. Rommt man in irgendein französisches "Nest
zu liegen, so ist man schon nach zwei Stunden dort «zu Hause».
Man richtet sich schlecht und recht ein, hängt wohl gar ein Bild
aus der «Jugend»an die Wand und fühlt sich dann so «zu Hause»,
wie ein guter Bürger in seinem eigenen Heim, für das er sein
Leben lang gearbeitet hat.
wie kommt es denn, daß wir uns überall sobald zu Hause fühlen,
überall eine Heimat haben, ohne daß wir darüber unsere eigene
Heimat vergessen? Vitin,die ist es ja gerade, die wir mit uns
führen, die wir mit uns herumtragen, wie ein unentbehrliches
Ausrüstungsstück. T7och ehe alle Sachen aus dem Tornister
herausgekramt sind, ist sie schon da. wir führen sie mit uns her-
um in Briefen und Bildern, sie lebt bei uns in Gesprächen und
Erzählungen. Sie lebt in den Erinnerungen, die abends bei der
Zigarre ausgekramt werden, die Heimat der Friedensjahre mit
ihrem märchenhaften Schein der Vergangenheit. Sie lebt in
dem Jetzt. wie habe ich mich gefreut, wenn damals, als wir
noch keine Feldbuchhandlungen hatten, als Gruß ein Büchlein
erschien. Ich kenne Mannschaften, Offiziere, die den Faust, Ut
mine Stromtid oder wallenstein täglich mit sich führen. Diese
Bücher gehören zur Ausrüstung wie das Soldbuch. Auch ein
Stück Heimat und kein Geringes.
Rarl Müller,
geb. 17. Februar 187? in Itzehoe,
gef. 4. Juli 1915im Priesterwald.
Priesterwald, £.Juli 19 J 5.
wie doch die Zeit vergeht, bald ist ein Jahr verflossen, daß dieser
schreckliche Rrieg gedauert hat, und wer weiß, wie lange er noch
dauern wird? Wie es aber auch sei: Wohl dem, der aus dem
Schlachtenlärm raus ist. Sei es durch Verwundung oder auch
in kühler Erde. Darum, liebe Eltern, wenn Ihr diesen Brief
erhalten habt, so denkt nicht so traurig über mein Los, denn es
ist ja Tausenden und Abertausenden beschieden. V7ur ems möchte
ich Euch noch sagen, wenn Ihr auch noch keine Nachricht von
lZ D. d. s. l77
der Rompanie habt und habt diesen Brief in Euren Händen, so
laßt die Hoffnung aufein Wiedersehen fallen, denn mein Freund,
der diesen Brief bekommt, der schickt ihn nur ab, wenn er be-
stimmt weiß, daß ich gefallen bin; wenn er weiß, daß ich ver-
wundet bin, reißt erden Briefkaputt, ohne ihn gelesen zuhaben.
Ihr seht, liebe Eltern, ich mache alles mir ruhigem Blut, aber
es muß sein, ich will nicht haben, daß Ihr es durch fremde Men-
schen zu wissen bekommt. Denn wir haben heute einen schlimmen
Tag, kann aber auch sein, daß es morgen erst wird, wir unter-
nehmen nämlich einen Sturm aufdie französische Stellung, und
dann weiß man ja nicht, wie es endet. Aber eines kann ich mit
reinem Gewissen schreiben, und Ihr braucht Euch dessen nicht
zu schämen, nämlich, Euer Sohn ist nicht als Feigling gefallen.
Hoffentlich werdet Ihr diesen Brief niemals zu lesen bekommen
und wird es mir vergönnt sein, noch länger mitzukämpfen.
*
Siegfried Emmo Eulen,
geb. 23. September I890 in Cloppenburg i. Oldenburg.
2p. Mai 1915.
. . . vorwärts, vorwärts, durch Hitze, Staub, Dreck, Blut,
Schweiß — vorwärts troy Läusen, Wanzen, Flöhen — Regen
mitunter und kalte dächte ohne Schlafund mit steifen Rnochen,
trockenBrot und schlechter Tabak.—Heiße Tage waren am San
vom H.—20.Mai, richtige Schlachttage, Rugelregen, Grana-
ten und Schrapnellhagel, Donnern, Blitzen und playregen. So
wurde gestürmt, immer vorwärts. hat sich ganz besonders
geschlagen. II/9I hat bisher 1300 Gefangene gemacht. Verluste
II/9I — 6Offiziere, 3—500 Mann —. Ein mörderisches Feuer
war mitunter, bei den enormen Massen, gegen die wir anrann-
ten, gar nicht zu verwundern. Bei mir fing's gleich nett an:
Streifschuß über's Ohr, nur ein bißchen Blut, Schrapnellkugel
auf den rechten Arm, die nur ein -Loch bis auf's Hemd brannte,
ein dicker -Lehmkluten in die linke Hüfte, der einen Augenblick
lähmte, und ein Volltreffer in den Stab, der einen neben mir
liegenden Telefonisten wohl zwanzigmal durchlöcherte und mir
nur die Haare verbrannte. Was einem sonst alles um die Ohren
178
und Beine flog, davon gar nicht zu reden. Leuer aus einer stark
besetzten Verteidigungsstellung ist immer das Schlimmste. Und
war sie genommen, war gleich dahinter wieder eine. Mine Gra-
nate schlug das Packpferd vom Hauptmann tot. Dem Lüchslein
aber geht's gut, trotzdem er kaum Hafer zwischen die Zähne
bekommt.
... geht weiter! Zu neuen Taten. Wenn nur die Rauch-
und Mßsachen so schnell mitkämen, wie wir die Hindernisse über-
springen.
9. Iuli 1915.
Habt Ihr etwas von dem Por-Übergang gehört? Den haben
wir zuwege gebracht, das H/91, als erste der ganzen Armee
am l. Juli. Ms war eine tolle Sache. II/9I war eine selbstän-
dige Abteilung, die schon am Zo. Juni mit einigen Haubitzen
und zehn Reitern gegen den Leind geschickt wurde. Selbst Rrieg-
führen macht am meisten Spaß. So gingen wir fröhlich drauf
los und stießen am I.Iuli morgens 8 Uhr auf den «bösen
Feind». Wir griffen sofort an, die Ranonen fuhren auf, und
nach kurzem war der Russe über den Por geworfen. Später er-
reichte uns ein Befehl, daß wir uns mit dem Regiment verein!-
gen sollten, um dann anzugreifen. Wir konnten melden, daß
wir bereits das südliche Flußufer genommen hätten. — Hon
ging es aber erst los. Der Por hat zwei Arme, zwischen beiden
etwa 1500 m Sumpf, nördlich des zweiten Armes wieder
Sumpf, und dann ziemlich steil ansteigende Höhen, auf halber
Höhe Schießscharte an Schießscharte und starke Hindernisse da-
vor. Die einzige Brücke wie auf einem Präsentierteller frei vor
der Stellung, I MG. kann sie beherrschen. "Wohlweislich hat
der Russe sie deshalb ausnahmsweise freigelassen. Und Schluch-
ten und Wege führen zu den Höhen. Da fehlt der Stacheldraht!
"Wieder eine Lalle: diese Wege sind so glänzend flankiert, daß
kein Schwanz durchkommt, wenn er sich hinaufwagt. — Nun
setzte unsere Artillerie ein und verleidete den Russen das Schie-
ßen. Mit gewaltigem Hurra stürmten wir über die Brücke,
durch die Hindernisse, über die iLtagen-Stellungen hin, alles
überrennend oder mit dem Spaten totschlagend. Wir rannten
gleich durch und nahmen die nächste Stellung auf höchster Höhe
noch obendrein. Dies war ein Werk, rund wie eine Lestung. Der
12» 179
Russe mußte alles zurücklassen, die ganze Einrichtung des Wer?-
kommandanten-Unterstandes, Schlafsäcke, Geschirr usrv. fiel in
unsere Hände.
Der Schweiß drang mir durch das Leder der Reithose, und die
pulse hämmerten, als wollten sie zerspringen. Mit Bajonett
und Spaten wurde gearbeitet, und es sah aus, als hätten Sen-
sen vom Himmel geschlagen und alles niedergemäht, "wir hat«
ten wenig Verluste: £ Tore und Z4 verwundere (3 Offiziere),
anderntags aber sollte es schlimmer kommen. Da mußten wir
über eine Z Km-Fläche stürmen, die sich anfangs senkte, dann
wieder bergan ging, also überall einzusehen war. Es ging durch
fürchterliches Artilleriefeuer und dauerte etwa Stunden, aber
auch die nächste Höhe wurde genommen. Diesmal größere Ver-
luste, da die Artillerie nicht genügend vorbereiten konnte. Die
feindlichen Stellungen waren nicht zu sehen, und die Breiten-
ausdehnung war zu groß. Zudem Llankenfeuer von links und
rechts. Das Schlachtfeld sah böse aus, das dritte Bataillon
mußte die ganze Nacht beerdigen. — Als ich am Abend des
4. das Bataillon nachzählte, hatten wir noch Gewehre in
der Front! — Das Wichtigste des Angriffs des 4. Iuli war die
Durchbrechung einer strategisch bedeutenden Linie, die einen
eiligen Rückzug der Russen zur Folge hatte, der sich nach rechts
und links weit fortpflanzte. — Jetzt liegen wir dem Feinde wie-
der an der Rlinge, haben aber in zweiter Linie etwas Ruhe. —
tPir halten wacker durch und sind nicht kleinzukriegen.
*
Gustav Lenner,
geb. Z. September 1857 in Marburg,
gef. 8. August 1915bei Lomza.
20. Iuli
... Sturm war befohlen. Wir holten, so gut es ging, die Leute
zusammen, doch es wollte nicht gehen. Die schwere Artillerie
fügte uns schwere Verluste bei. Einen Menschen habe ich fast
auf dem Gewissen, doch es war nun einmal meine Aufgabe. Ich
trieb einen aus dem Loch nach vorn, und kaum harre der Mann
fünf Schritte gemacht, als er einen Ropfschuß bekam und rot zu
!80
Boden stürzte. Es ist eben Rrieg. Gerade so gut oder noch hun-
dert mal eher konnte es mich treffen. Gegen 12wurde nun end-
gültig Srurm befohlen; aber es wäre Massenmord gewesen,
unsere 6.und 7. Rompanie auf die Front der feindlichen Stel-
lung zu jagen, vor der zwei dichte Reihen Drahtverhaue lagen.
Da gab Hildebrand den Befehl, ohne sich um den Anschluß nach
links, um die zögernden 75er zu kehren, nach rechts herauf den
Weg zu stürmen und von der Flanke, gedeckt durch eine kleine
Unebenheit, den Srurm zu wagen. Eine Grunde lang hatten
unsere Minenwerfer gearbeitet — der Schreck aller Russen —,
und als am Morgen unsere Artillerie zu schießen begonnen
hatte, war es, wie wenn ein Stein vom Herzen fiele. Also rechts
herauf brachen unsere Reihen, und hinauf gegen die Stellung
brach auch das erste Bataillon von rechts mit vor, das eine
leichtere Stellung gehabt hatte. Und der Russe — was kaum je
einer geglaubt hatte — er wich, er floh, und frei atmeten wir
auf, mit Eifer hinter dem Leinde den Hügel, die Terrassen hin-
auf. Oben angelangt blieb ich zurück, ich mußte beim Führer
bleiben, aber auch mit meiner Rraft war es fast vorbei. Der
schwere Affe, die drückende Hitze, das zehnfach erregte Blut, der
Srurm den steilen Berg hinauf, die schweren Drahtverhaue
hindurch, das mühevolle Hindurchhalten — es was fast zuviel
für uns ermattete Truppen. Hinter uns kam die Reserve und
nahm die Verfolgung auf, machte eine Menge Gefangene auf
und hinter dem Berge und in dem dahinter liegenden Rorn-
felde; noch mancher unserer Soldaten dabei. Jetzt hat das
2.Bataillon keinen Offizier mehr. Unsere Sturmkolonnen sam-
melken sich auf dem Abhänge und nahmen Aufstellung an den
angewiesenen Plätzen, während andere Truppen die Stellung
hinter dem Hügel, die von den Russen gegen FlankenfeUer rechts
ausgebaut war, besetzten.
Vlun hatten wir endlich etwas Ruhe. U?ir besichtigten die russi-
fche Stellung, die ein Runstwerk ersten Ranges war, die eigent-
lich nie zu erstürmen gewesen wäre. Ein Regiment der unsrigen
hätte sie gegen eine ganze Armee verteidigen können. Ein
gefangener Russe sagte auch, die Stellung hätte unbedingt
gehalten werden müssen, sie sollte durch Verstärkungen eine
undurchdringliche Mauer bilden, und nun hätten wir sie—gott-
lob ohne so riesige Verluste. Der Sturm hatte bedeutend weni-
181
ger Verluste gegeben als der Tag vorher, der schwere Angriff.
Wir in unserer Rompanie hatten fünf Tote, aber viele, viele
verwundete, 40 Mann, 120waren wir noch. Die Stellung war
in vier Terrassen aufgebaut, auf jeder Terrasse konnten ganze
Schützenreihen stehen und sich aus einer Linie zu einer immer
höheren zurückziehen. Man kann es kaum glauben, daß wir es
erobert hatten, aber wir standen als Sieger da — stolz schlug
unser Herz über solch kühne Tat, die die Russen nimmer für
möglich gehalten hatten. Die Moral der Russen ist ganz flöten,
wie die Gefangenen alle sagen; unsere schwere Artillerie und
besonders die Minen sind für sie der Teufel in leibhaftiger Ge-
stalt. Min Russe sagte, der Deutsche müsse ja siegen, da er sein
Leben, einfach alles an die Sache setze, während der Russe ge-
trieben den Rrieg führe.
Aber kaum hatten wir unser Plätzchen für die Nacht und für
das Essen ausgesucht, als wieder ein Befehl kam, gegen den sich
jeder aufbäumte. Vorwärts — wieder voran! — Der Feind ist
in vollem Rückzug auf Nowgorod. Die "Wälder vor uns sind
frei, Ausnutzung des Sieges bis auf's äußerste! —
Mit einem Gefühl des Stolzes, aber auch der Erbitterung
ging's zum Sammelplatz. Dort bekam jeder einen Becher Raffee;
Brot gab es für die meisten Mannschaften schon lange nicht
mehr. Ich hatte noch etwas und lebte mit dem Fett und Pasta
darauf wie ein Herrgott. Also vorwärts! Die 6. Rompanie
hatte wieder die zweifelhafte Ehre, von den Z Bataillonen
Königsberg I voran als Vorhut, als Spitze zu dienen. Hirn
ging es also weiter an den vielen toten Russen vorbei, hinaus
durch ein breites Tal gegen Nowgorod an die Narewlinie.
Herrlich solch' vorwärtskommen! Also wir waren zunächst
einen Rilometer vom Narew; als wir links schwenkend an die
linke Ecke eines langen, dem Narew parallel laufenden Baldes
gezogen waren, schwenkten wir rechts am "Waldessaum entlang,
vor uns Nowgorod in Flammen. Unsere Schwere funkte an-
dauernd in die Stadt, und in ein riesiges Flammenmeer hüllte
sich das ganze Stadtgebiet. tDir zogen den "Weg auf die icvald-
höhe und nahmen dort am waldesrand Stellung. Die 75er
gingen nun durch die Rornfelder vor uns gegen einen sichtbaren
ausgebauten Schützengraben,der aber leer war.—Da auf einmal
seyte eine wütende Schießerei ein aus dem Dorfe, dem Brücken-
182
köpfe Margowniki und dem "waldgebiet zwischen klarem und
Pissa. Gegen flacht legte sich dann das Leuer. Die Aufgabe
war erfüllt, der Ort war als besetzt erkannt, das Gelände ziem-
lich aufgeklärt, "was rechts von uns liegt, ist noch schleierhaft.
Gegen 9Uhr waren wir angekommen, hatten die Gräben auf-
geworfen. Die Russen hatten auf ihrem Rückzug hier anfchei-
nend gehalten. Jetzt um IIUhr gab es zum erstenmal wieder
Mssen. vor lauter Müdigkeit konnten wir fast gar nichts essen
und schliefen um ^12 Uhr felsenfest ein, nachdem alles geordnet
war.
*
Hans Petras,
geb. H.Iuli 1891 in Breslau,
gef. 9.September 1916 in Beauvais bei St. Cluentin.
vor Pultusk, 20. Iuli l9l5.
von diesen heißen Tagen, die uns manches Blut gekostet haben,
uns viel Gefangene und Beute einbrachten, in denen wir kaum
eine Sekunde zur Besinnung kamen, Euch viel Grüße und die
Mitteilung, daß es mir recht gut geht. Trotz überstandener schlaf-
loser Nächte und trotz mancher Rugel und Granate, die mir
nicht gegossen war. — Also: TD« lagen noch am lZ. Iuli fröh-
lich in unserm alten Schützengraben vor Gralewo, ich empfing
noch Eure Geburtstagskarte, für die ich Euch insgesamt danke,
als in der flacht zum I£. von uns ein Scheinangriff gemacht
wurde. Unsere Artillerie schoß feste in die russischen Gräben,
und wir knallten, was das Zeug hielt. Morgens um 9 Uhr hieß
es: «Freiwillige vor für eine Patrouille nach Gralewo!» Ich
selbstverständlich dabei! U)ir kriechen übers Leid, bekommen bei
unserm Hahen einige Schüsse aus dem Graben, wir erwidern.
Dann ist alles still. Wir gehen weiter vor und rüber über das
Drahtverhau und hinein in die russischen Gräben.—Alles leer!
... Nur die Toten von unserm Artilleriefeuer liegen da, ver-
stümmelt. Es regnet fein und lange. — Der Lehmboden beklebt
uns von oben bis unten. IVir gehen weiter ins Dorf Gralewo.
— Ein Trümmerhaufen. Uberall liegt russische Gewehrmuni-
tion herum und Handgranaten. Die Russen müssen also eiligst
18?
ausgerückt fem. Wir pflücken im vorübergehen ein paar Sauer-
kirfchen, sehen den Juden kirchhof mir zwei aufgerissenen Grä-
bern, die Rnochen liegen herum, vielleicht hat ein Rosaksich was
rauben wollen. Wo sind nun die Russen ?Wir gehen mit Ver-
stärkungen ausgeschwärmt aufs nächste Dorf. — iLs ist frei.
Die Bewohner begrüßen uns aufs freundlichste und erzählen,
die Russen wären in der Nacht ausgekniffen. Zuletzt wären
noch ein paar Rosaken geritten. Wir gehen nun von Gehöft zu
Gehöft, von Wald zu Wald, holen einen Gefangenen nach dem
andern, alles Rerls, die nicht mehr mitmachen wollen und uns
fröhlich ihre Flinten geben. Die Bewohner gleich freundlich.
Wir ziehen bei einem Gehöft auf Feldwache. Und schon kündet
sich die russische Rriegsführung durch riesige (Qualmwolken am
Horizont an. überall stecken sie die Gehöfte, ja ganze Dörfer an
und nehmen die L.eute und das Vieh mit. — Wir gingen nun
Tag und Vtacht weiter vor, bis wir den Feind trafen bei Arce-
lino. überall über Brand und Trümmer, von den Ruften im
eigenen Lande Feuer angelegt! Welcher Blödsinn! Was sie für
Werte vernichten! Und uns hindern sie nicht beim Vormarsch.
— Weiter ging's kreuz und quer ohne Weg und Steg nach
plonsk. Plonsk war frei. Wir rückten mit Gesang ein. Jetzt
hatten wir genug Infanterie gespielt. — Wir schwangen uns
wieder auf die Böcke. £.08ging's immer weiter auf Patrouille,
ran an den Feind! Endlich mal wieder Reitersmann! Der Russe
zerstörte die Brücken und bezeichnete seinen Weg durch Brand,
der Horizont eine Flamme! Wir treffen und bedrängen die Hach»
Hut des Feindes und folgen immer hart hinterher. Richtung:
Warschau! Doch vor uns liegt noch V7owogeorgiewsk, ein
Fort Zo km vor Warschau. In Gmiencins machen wir halt,
Patrouillen stellen den Feind. Wir in Schützenlinie mit Ma-
schinengewehr vor. Rugeln hin und her. Wieder ein Toter!
vorher auf Patrouille 2 verwundete. Dann freiwillige pa-
trouille — ich natürlich dabei — in das brennende Dorf
Wrona über glühenden Schutt. Die Pferde sind halb versengt;
aus den Augen kann man kaum sehen vor «Qualm und Rauch.
Wir finden eine Brücke über das kleine Flüßchen. Unsere Auf-
gabe ist erfüllt, Wrona ist vom Feinde frei. — Müde, halbtot
vor Durst — Wasser alles schlecht — werden wir von Infan-
terie abgelöst. — Um öUhr morgens heißt es: «Aufsitzen!»,
M
und wir reiten den ganzen Tag über bei glühender Hitze bis
Ciechanow über plonsk. Bei einem Dorfe bei C. (Quartier. wir
sind im Choleragebiet. Wir werden darauf aufmerksam ge-
macht: Peinliche Sauberkeit soll herrschen! wasserrrinken ver-
boten. "Waschen nur in abgekochtem "Wasser. Die Cholerakran-
ken stieren uns aus den drahtumzäunten Häusern an. In der
Nacht endlich — endlich Ruhe und Schlaf. — Am nächsten
Mittag Abmarsch hierher — etwa £0 km zu Pferde und dann
20km zu Fuß. Wir treffen den Feind, lösen die anderen Truppen
ab. Ein Mann auf Patrouille verwundet, ich erst auf Pa-
trouille, dann auf Feldwache. — Die Zunge klebt am Gaumen!
Schickt mir bitte jetzt regelmäßig alle Tage 12—20 Zigaretten.
Das ist das einzige, was mich vom Trinken abhält. Man säuft
sonst vor Verzweiflung doch noch. Heute morgen kommt eine
Rosakenpatrouille bis nahe an unsere Feldwache. Wir knallen
alle bis auf einen ab, der davongaloppiert. — Schickt Ziga-
retten, Zigaretten! Herzlichen Reitergruß!
*
Hans Wolf, unbekannt.
Galizien, am Juli 1915.
Bei der Durchsicht meiner Briefsachen fällt mir auch Ihr liebes
Rärrchen in die Augen, und ich lese die letzten Worte: «Gott
helfe Ihnen in jeder Stunde und schenke Ihnen Sieg.» Ja,
denken Sie, daß Gott Ausnahmen macht? Ich nicht. tLs geht
hier genau so zu wie zu Hause; wer eben dran ist, muß fort. Ich
kann Ihnen das mit Wahrheit bestätigen. Jedes Menschen
Schicksal ist schon bei der Geburt, wo nicht gar vor der Geburt
bestimmt. Wir unterliegen alle den Naturgesetzen, und die Füh-
rung der Naturgesetze gehört der übersinnlichen Wesenheit,
welche über das gesamte Universum regiert. Bedenken Sie,
was unsere iLrde vom Universum ist, ein Pünktchen im Welt-
all, und erst der Mensch! Glauben Sie nun, daß das Gebet
eines Menschen im Stande ist, die großen Gesetze der Natur
über den Haufen zu schmeißen? Ich glaube es nicht; es steht
ja auch nichts davon in der Bibel, daß man durch Gebet seinem
Leben eine gewünschte Richtung geben kann, sondern Srär-
185
kung und Rraft kann man sich erflehen, und das tue ich auch.
Verzeihung, wenn ich Ihre heiligen Gefühle sollte unangenehm
berührt haben.
*
Rarl Bielicke, unbekannt.
I2.3ulU<>l5.
Für die liebevolle Vergütung beim Verlassen der Arbeitsstätte
und für weitere Unterstützung meiner lieben Familie sage ich
hierdurch meinen besten Dank. Mit freudigem, mutigem Herzen
zieht ein deutscher Rrieger ins Schlachtfeld, wo er weiß, daß
auch seine Lamilie versorgt ist. TDir wollen aber alle unfern
Mann stehen, bisderleyte unserer Leinde niedergerungen ist.
*
Mattem, unbekannt.
Frankreich, den 17. Juli 1915.
Ich habe das Paket erhalten, wofür ich Ihnen und Ihrer Frau
Gemahlin den besten Dank ausspreche. Denn Tabak hatte ich
auch nicht mehr, und wenn man die halbe YTächt Wache halten
muß, dann ist es sehr schön, wenn man bißchen rauchen kann.
Denn wir müssen die halbe Vtacht Wache halten und die halbe
Vtacht schlafen, wenn kein Angriffkomt, was aber öfters passiert,
denn die schwarzen Hunde sind mächtig Blutdürstig. Und die Ar-
tellerie ist nicht zu verachten, und dann erst die Mienen! Die sind
noch gefärlicher als die Artelleriegeschosse, denn das sind sone
Dinger wie ein III Ztr. Schwein ohne Beine und recht lange
Schnauye und die Bohren sich in die lLrde. Dann gehen die mit
Mächtigen Rrachen auseinander und alles was 20m im Um-
kreis ist, das ist Tod oder verstümmelt. Das sind die eine Sorte:
Dann giebt es noch ganze Runde Rugel, die sind ungefähr so
wie ein Zentner Gewicht, doch ohne Griff. Dieses sind auch
Mienen, gehen aber nicht so tief in die iLrde und verschütten
auch deshalb nicht so viel. Die dritte Sorte sehen aus wie Bier
Achtel. Sind auch so groß wie ungefähr ein Achtel von
I 86
Lieter. Diese vernichten alles von Som im Umkreis durch ihre
schwere Ladung, lassen sich aber jedoch nicht weit werfen, weil
sie zu schwer sind. Dann sind diese und die Schweineform zu
sehen, wenn sie kommen, wo hin gegen die kleinen nicht zu sehen
sind und dadurch gefärlich sind. Die sind bloß zu hören wie auch
jedes Artelleriegeschoß und die Gewehrkugel summen in der
Luft wie Bienen in einem Blumengarten bei einem Sommer-
rage, vorgestern sind wieder Zooo von den Halunken gefan-
gen genommen, und auch so viel nach jenseits befördert.
Ich habe schon gedacht, das ich nicht mehr wiederkäme,
aber jetzt Hoffe ich doch wieder, wenn Friede ist und ich bin
Gesund, dann komme ich Ihn nochmals besuchen und erzähle
Ihn noch mehr und wenn ich nicht mehr schreibe, dann bin
ich Tod. Sonst schreibe ich dann und wann. Nun muß ich
schließen, denn die Augen fallen zu und nachHeer muß ich
wieder auf Wache. Mit vielen Grüßen an Ihre Frau und
Rinder und einen schönen Gruß aus weiter ferne sendet Ihn
der Füsilier Mattern.
*
Rirschnereit, unbekannt.
Arys, den 7.August 1915.
Äs war an einem Julinachmittag, ein heißer Tag. Tot liegt
der Schützengraben im wühlenden Staub, in der heißglühen-
den Sonne, keiner weiß ein Erlebnis, alles sehr traurig, kein
Lachen kommt von einem jungen Infanterist. V7ur die empor-
geworfene Erde singt ihr gleiches Lied, und dauernd schlagen
die Granaten kurz vorm Graben ein, die Offiziere treiben uns
in den Unterstand, denn die Herren drüben hatten es auf den
Graben abgesehen, plötzlich schlägt eine Granate in den Gra-
ben ein. Die Erde spritzt wie "Wasser, "wer verwundet? Reiner!
Die Granatscherben sausen, das Tosen und Rrachen nimmt kein
Ende. Wie lange soll das noch dauern? Es ist zum Verrückt-
werden! — Es wird ruhig, die drüben sind müde geworden, die
im Unterstand kommen alle raus, wie viele sind tot, wieviel
sind verwundet, war die Frage. Aber alle finden sich zusammen,
kein Mann ist tot, keiner verwundet, durch ein Wunder ging
IS7
alles! Ja, nichts, gar nichts kann der Infanterist im feindlichen
Artilleriefeuer tun. Beim Sturmangriff, wenn aus hundert
und tausend Rehlen das Hurra losbricht, denkt man an nichts
mehr, an keine Gefahr, an kein Sterben. Da stürmt alles nur
vorwärts, immer vorwärts. Aber das hilflose Aushalten in
dem entsetzlichen Getöse und Sausen der Granaten ist eine
Marter der Seele, das verlangt Nerven von Eisen, da denkt
man mehr als sonst in Jahren, an seine sieben, an das ver-
gangene Leben.
*
Alfred Schleicher,
geb. 12.Januar l8y4 in Hamburg,
gef. Zo. Juli 1917 bei Langemarck.
8. September lyl5.
Der Rrieg kümmert sich nicht um den Ralender. Sonn-und Fei-
ertage gehen im Alltagsgervande vorüber, und nur wenn das
Rriegsglück uns Vaganten mal einen Tag oder einige Stunden
der Ruhe in den Schoß wirft, zufällig und unerwartet — dann
nennen wir's eben Feiertag und freuen uns der Stimmung,
auch wenn kein Glöckner über's fremde Land läutet und Stroh
und nasse Erde unser Lager sind.
Wenn's nach mir ginge, würde ich am 15. September so einen
Tag der Muße und Besinnung einrichten. Ich würde mich
irgendwo in's Dickicht des russischen Waldes zurückziehen oder
mich tiefer ins wohlige Stroh unserer Unterstände verkriechen,
würde die unbequeme, tobende Umwelt für Augenblicke ver-
gessen, für selige Augenblicke, in denen man im Bewußtsein un«
vergänglicher werte schwelgt. In denen man an die Getreuen
in der Heimat denkt und an das, was man selbst einmal war und
immer noch ist und immer noch sein wird: — Augenblicke der
Selbstbesinnung, gleich denen der Mystiker des Mittelalters, die
sich in ihr Gebetskämmerlein schlössen und in seliger IVeltabge-
schiedenheit ihr eigentliches Wesen, das «Fün klein» ihrer Seele
fanden.
Viele gibt es unter uns, die schweben mit Leichtigkeit in dieser
Abenteurersphäre; sie sind von Haus aus Wanderburschen oder
188
sonstwie zigeunerartige Lebewesen. Sie haben den Ranzen stets
voll und singen vergnügt und fluchend im nassen Stroh. Aber
die Reflektierenden unter uns, die betrachten, beobachten, den-
ken und bedenken zu viel. Wenn sie sich auch oft genug mit Äe-
geisterung als Abenteurer in die Wogen der verwegenen Gegen-
wart werfen, so verfallen sie doch zu schnell wieder in das Y7e»z
von Vergangenheit und Zukunft. Sie knüpfen Fäden, sinnen
nach, regen sich auf, und schließlich ziehen sie sich in ihr stolzes
Herze zurück.
Was bin denn ich? Heute das eine, morgen das andere. Um so
recht aus Herzenslust Mensch der Gegenwart zu sein, dazu fehlt
die eigentliche Rameradschaft. Ia, wenn meine Freunde um
mich wären! Zum Reflektieren braucht man zwar im Grunde
keinen Nebenmann, aber anregend ist ein Gleichdenkender oder
wenigstens Auchdenkender stets. Man freut sich innig, wenn
man jemand findet, der Interesse für das zeigt, was einem selbst
Hirn und Herz bewegt.
Ach wie ruppig und struppig sind wir alle! Waschtage sind kul-
turelle Augenblicke, und wer sich rasieren läßt, der muß, wie
unser Unteroffizier richtig sagt — «in der Linke ä Grosche, in
der Rechte ä verbandspäckche Halde», denn das Messer wird am
Hosenträger geschliffen.
Nachdem wir zwei Tage in Reserve gelegen haben, sind wir
jeyr wieder im Schützengraben. Doch die Gegend hier ist ruhig,
die Russen weit entfernt, und wir alle sind lieber hier als hinten
in Reserve, wo Appelle abgehalten werden und exerziert wird.
Man denke: ein paar Kilometer von den Russen entfernt, und
gleich werden Griffe gekloppt l
Petrus verzieht sein bisher so heiteres Gesicht in griesgrämige
Runzeln; die nassen Bindfäden hindern unsere Rartoffeln
empfindlich am Rösten, aber dafür wird auch die Arbeit
eingestellt, wir dürfen faulenzen, d. h.: schlafen, schmoren,
fressen, verdauen, paffen, klöhnen, lausen, schreiben, poli-
tisieren, nochmal lausen und wieder lausen und schließlich
feststellen, daß die Läuse sich doch eigentlich kolossal schnell
vermehren.
*
189
Felix Vehr,
geb. 6.Mai 1881 in Reichenbach i. Vogtland,
gest. 22. Juni 192? in Hamburg.
vor "wilna, September 1915.
Jetzt bin ich mit meinem Herzen und meinen Gedanken ganz
daheim bei Much. Ich bin todmüde, doch habe ich Rraft, hier in
meinem Sandloch zu sitzen und mit Dir und meinen lieben guten
drei Rleinen zu reden — nicht wahr, Ihr habt mich doch alle
lieb und denkt an mich — oder werden mich die Rleinen ver-
gessen? Diesen Gedanken mag ich nicht ausdenken. —
Gestern machte der Russe einen Sturmangriff, eine dunkle,
stürmische Regennacht, — wir standen im kritischsten Augen-
blick anstatt sprungbereit, bis über die Rnie, teilweise bis zu den
Hüften im schweren Sandchaos wie die Spickaale. Mit über-
menschlicher Anstrengung mußten wir uns hocharbeiten, um
noch zur rechten Zeit zum Nahkampf bereit zu sein. Es hat
böse Lücken in unseren Reihen gegeben, und von den Russen
ist, glaube ich, nicht viel übriggeblieben. — Welche Rraft doch
im Menschen steckt, wie groß ist die Natur, und wie nah gehört
der Mensch zu ihr. Das beweist dieser Rrieg, der Millionen ver-
wöhnte Ruiturmenschen zum Verteidiger ihrer Herde gemacht
hat. Gleich dem Getier schützt sich der Mensch vor dem Menschen,
sucht seinen Schutz in der Erde. Welche Bedeutung hat jetzt das
"Wort Erde, Boden und das A?ort Heimat, wie lieb gewinnt
man diese Erde, diesen Boden, den man mit seiner Hand ge-
schanzt, den man bearbeitet hat und in dem man Schutz ge-
funden, wie schön ist solche Erde, wenn man seinen da-
gegen legt wie ein schuysuchendes Rind, wenn es sich an die
Mutter klammert. Und wie schön ist der Boden, der Früchte
trägt.
*
P. Moschny, unbekannt.
IVeißkirchen, den Zo. September
Unser serbischer Feldzug ist leider für uns zu Ende. Vvir kamen
bis Rragujevac und dann bis Vftsch. Es war der interessanteste
190
Feldzug, den ich bisher erlebt habe. Wir haben zum Teil schwere
Stunden verlebt, da wir mit einem Volk zu kämpfen hatten,
das bereits fünf Jahre Rrieg führt, alle Schliche und Bisten
der Rriegsführung kennt. Dann war es ein verzweifelter Geg-
ner, bei dem es sich um Sein oder Vlichtsein handelte. Oft haben
wir, besonders vor Irisch, einen Berg nicht eher in unseren Hän-
den gehabt, bis alle Mann des sehr tapferen Gegners kämpf-
unfähig waren. Bis zum letzten Tropfen Blut hat sich der
Serbe gehalten. Rinder von \Jahren und Greise bis 70
Jahre haben gekämpft wie Löwen. Alle Achtung vor dem Ser-
ben als Feind. Das Schlimmste und Aufregendste war aber
wohl der Donauübergang. Die Donau ist an der Stelle l % lun
breit gewesen, von großem vorteil war uns aber die Temes-
Insel, von Ungarn wurden wir in der Nacht schon im feind-
lichen Artilleriefeuer auf diese Insel auf Flößen gebracht. Die
Strömung war reißend, die Wellen gingen hoch. Z Stunden
brauchten die tapferen Pioniere, um ein Floß herüberzubringen.
Mehrere Tage dauerte die überfahrt. Auf der Insel hielten wir
uns drei Tage auf. Dorr bekam ich auch das Tabakpäckchen. —
Am 8. Oktober früh Z Uhr brachen wir auf von dem gänzlich
verladenen Dorfe auf der Insel, und die Artillerie bereitete
unseren Übergang und den Angriff vor. V — diese gräßliche
Schlachtenmusik. Um 9 Uhr, es nebelte. «An die Boote!» Aus
dem Gebüsch, das uns schützte, flogen die Boote wie Schlangen
ins Wasser. Im Augenblick wimmelte die Donau bzw. der Arm,
der uns von den Serben trennte, von Booten. tt>ir, das I. Ba-
taillon zuerst hinein. Bis an die Patronentaschen im IVasser.
Hinein in die Boote. Doch so mancher von den Rameraden er-
reichte die Boote nicht. Die Donau kochte von den tausend Ge-
schössen aller Art, die die Serben mit unheimlicher Genauigkeit
auf uns hageln ließen. Ich bekam vier Infanteriekugeln, drei
in meinen Tornister. QtintSchrapnellkugel zerriß mir meine
Hosen am Rnie. In der furchtbaren Aufregung merkte ich dies
aber nicht. In zehn Minuten waren wir am feindlichen Ufer.
Mit dreifachem Hurra und gefälltem Bajonett ran an den
Feind. Dieser empfing uns mit großem Feuer. Aber unaufhalt-
sam ging es vorwärts. Vloch eine schreckliche Stunde, und die
serbische Stellung war unser. Hier wurde die Nacht verbracht,
"welch eine Nacht! Naß und schlammig. Ms regnete. Der Gra-
m
den voll zerfetzter und aufgeschlitzter Serben. Feuer aus dem
Dorfe Pelka vor uns. Nächsten Tag Mittag war auch dieses
in unserer Hand. Schreckliche Schauspiele spielten sich in diesem
Dorfe ab. Unbeschreiblich. Hier fiel mein bester Freund und
Landsmann; neben mir traf ihn die Rugel mitten ins Gesicht.
Ich habe ihm in der Vlacht ein ehrliches Begräbnis bereitet.
Und weiter ging es, unaufhaltsam weiter. Drei Tage später
waren wir Herren von pozarevac. Die Serben zum Tore hin-
aus, wir hinein, pozarevac war stark befestigt und kostete uns
Schweiß und Blut genug. Am 20. Oktober wurde die Morava
überschritten. Und nun fing die Jagd an. von einem Berge auf
den andern liefen die Serben, Leichen, verwundete, Gefangene,
Munition usw. zurücklassend. So ging es an der Morava ent-
lang bis -Cepovo. Dann bogen wir westlich um in die Berge,
halfen Rragujevac erstürmen und führten dann einen richtigen
Gebirgs- oder Indianerkrieg. Auf der Höhe von Drenek am
2. November mußten wir feste Blut spucken. Wir waren in
einer Schlucht, von allen Seiten bzw. Bergen bewarfen uns
die Gerben mit allen möglichen Mordinstrumenten, Infanterie,
Maschinengewehre, Schrapnells, Rartärschen, Handgranaten,
Steine. Und doch kamen wir aus dem Teufelskessel heraus und
stürmten die Berge, machten viel Serben zu Gefangenen. Die
andern flohen auf Vlimmerwiedersehn. Wir gingen weiter. Min
wunderbarer Anblick bot sich uns von unseren Bergen auf die
schöne Stadt und Festung TUsch während ihrer Beschießung
durch die Bulgaren. — Das war der letzte Akt des serbischen
Dramas für uns, denn die ll. Division bekam Befehl zurück-
zumarschieren. In zwölf Tagen legren wir die Strecke von
Vftsch über Iagodina, Bagrdan, Lapovo, pozarevac nach Gra-
diste zurück. Diese Marschrage waren sehr anstrengend, aber voll
interessanter Erlebnisse, z.B. die unendlich langen Rarawanen-
straßen der zurückkehrenden Bewohner, meist Weiber und Rin-
der. von Gradiste gingen wir über die Donau und liegen nun
schon mehrere Tage in der schönen südungarischen Stadt Weiß-
kirchen. Wohin wir kommen, weiß ich nicht. Ich habe mich in
Serbien ausgezeichnet, bin deshalb Gefreiter geworden und
wurde zum Eisernen Rreuz vorgeschlagen. Hier herrscht grim-
mige Rälte.
*
192
Heinrich palmus,
geb. 25. Januar 1895 in Tandslet auf Alsen/Nordschleswig,
gef. l. Juli lplö bei Gommecourt.
Benifontaine, km südl. La Bassee,
2p. September 1915.
Ihr könnt glauben, hier geht es heiß her. Ms ist noch immer
kein Stillstand in die Aktion gekommen. Ms geht hin und her,
bald gewinnen die Engländer mit großer Übermacht Gelände,
bald nehmen wir es ihnen wieder.
Am 26.September wurde mein Zug südlich Hulluch eingesetzt,
um eine entstandene Lücke auszufüllen. Wir lagen da gegen-
über von Loos, das leider noch in der Hand der Engländer ist.
Nach einem abgewehrten Angriff waren wir tätig, die ver-
wundeten Leinde fortzuschaffen, als wieder der Schreckensruf:
«Das Gas, das Gas kommt», erscholl. Die Gasmasken wurden
vorgebunden, und die dicken Gaswolken wälzten sich heran.
Der fürchterliche Chlorgestank umgab uns, und wer nicht be-
täubt wurde, machte sich in Erbrechen Luft. Die Wolke zog
vorüber, und vor uns standen die Engländer. Wir haben aber
noch die Rraft gehabt, den Angriff abzuschlagen.
Das war am 27. nachmittags. Nachts um lo Uhr kam Befehl
zum vorgehen. Wir kamen auf etwa 1200m vor und gruben
uns an der Straße Lens-La Bassee ein. Da die Front dadurch
verkürzt wurde, konnten wir in Reserve zurückgezogen wer-
den.
Reserve hat bekanntlich im Rrieg keine Ruhe, sie bekommt alle
zu hoch gegangenen Äugeln und hat im allgemeinen schweres
Artilleriefeuer. — «Quartier gibt es hier natürlich nicht. Es ist
alles kurz und klein geschossen. Nur in einem halbzerschossenen
Hause fanden wir ein Zimmer ohne Fenster, aber doch regen-
dicht und mit einem Rlavier. Da sitzen wir nun und musizieren
und singen dazu, den Takt schlägt die krachende Artillerie.
itinBild des Rrieges, wie ich es selten so typisch gesehen habe,
entrollt sich hier allenthalben. Die reizendsten, kameradschaft-
lichen Szenen zwischen Freund und Feind, wenn sie verwunder
sind, bis zu dem Traurigsten des Traurigen. Mein Rompanie-
führer, den ich sehr verehrte, ist bereits am 26. gefallen und
viele andere liebe Rameraden.
lz D.». s. 193
Aber man wird zu hart, um es tief zu empfinden. Nur einen
Augenblick der Andacht, dann nur wieder Pflicht und noch-
mal« Pflicht.
Der Engländer ist übrigens ein prächtiger Soldat, ich habe in
dieser Beziehung Bewunderungswürdiges gesehen.
Schwefelschloßstellung,
am Sonntag, 10. Oktober 1915.
Es läßt sich nicht beschreiben, was wir erlebt haben. Aber ich
habe auch viel Schönes gesehen: ich sah, wie deutsche Soldaten
verwundete Engländer zwischen den Linien holten, wenn es
ein bißchen ruhiger wurde. Ich sah schwerverwundete englische
Offiziere aufrecht umhergehen, bis sie zusammenbrachen. Ich
hörte, wie ein Gefangener beim Ausfragen sagte, als er ge-
fragt wurde, wo die englische Artillerie stände: «Gehen Sie hin
und sehen Sie selbst nach.» Nicht wahr, eine schöne stolze Ant-
wort? — Ich sah auch auf unserer Seite Rameradschaft bis in
den Tod, gepaart mit größter Tapferkeit. Das waren Licht-
blicke in dieser größten Schlacht der Weltgeschichte.
Die Stellung heißt das «Schwefelschloß», weil hier die Eng-
länder zum erstenmal die Schwefelgranaten angewandt haben.
Der Punkt ist aus früheren heißen Rämpfen berühmt, liegt
aber jeyt verhältnismäßig ruhig. Es ist, wie in solchen alten
Stellungen überhaupt, hier alles vereinigt an Rriegstechnik,
was der Rrieg herausgebracht hat. Beschreiben darf ich es lei-
der nicht näher. Ich führe den Teil der Rompanie, der in vor-
derster Jlittieliegt und fühle mich in dem Stück ganz als Rönig.
Ich wohne fürstlich: Schlafgemach und Wohnzimmer getrennt,
zusammen allerdings nur 2cbm groß. Aber Tisch und Bank,
Tischdecke und Polster. Ich esse vom Teller und trinke aus einer
Tasse, wasche mich alle Sonntage einmal und bin so stolz, so
stolz.
Die Jleutemüssen schwer arbeiten oder Posten stehn. Und ich
brauche nur überall zu befehlen und anzuweisen, zu revidieren
und zu inspizieren. Allerdings im Ernst, ich wollte mich zu gerne
täuschen; was die Verantwortung für das Leben der Leute,
für ihr Wohl, für die ganze Stellung bedeutet, davon macht
man sich keinen Begriff. Ich sitze wohl hier an meinem Tisch-
chen, vor mir eine Tasse dampfenden Raffees, neben mir das
m
Telefon und einen Schalter, den ich nur einzuschalten brauche,
wenn ich die gegenüberliegende Stellung in die Luft fliegen
lassen will, siye und habe es gut; was ich aber schon in zwei
Nächten beim Rerzenschein habe arbeiten müssen, um in die
Geschichte und das Theoretische des eigenen und des feindlichen
Abschnitts einzudringen, daran denkt keiner von den Leuten.
Schwefelschloßsiellung vor Givenchy,
am 12.Oktober
Ich gehe nachts durch meine Rompanie, um die Posten zu revi-
dieren. über mir prangt der Sternenhimmel, vor mir liegt der
lauernde Feind und um mich meine lieben braven Rerls. Hier
und da stehen sie, still, stumm und scharf auslugend, fröstelnd in
der kühlen Nacht. Diesen und jenen rede ich an, frage ihn nach
seiner Instruktion und wohl auch nach der Heimat und den
Seinen. Ich kehre auch bei den Minern ein; sie arbeiten schwer
tief unter der Erde. Die vordersten sind schon unter der feind-
lichen Stellung. Ich stülpe meinen Sauerstoffapparat über und
krieche hinein, um die Fortschritte festzustellen. ist gar nicht
angenehm da vorne: 20Ztr. Dynamit liegen da, und zwischen
den Sprengkapseln sind die Bohrmaschinen tätig. Ich nicke
ihnen zu, den stämmigen Leuten; denn reden kann man da
nicht. Zurück! Dann steige ich über die Brustwehr und inspiziere
den Stand über der Erde. Ich schleiche vor, und bald höre ich
ein leises Zischen — Horchposten. Im Flüsterton unterhalte ich
mich mit dem Unteroffizier. Er zeigt mir beim Aufleuchten
einer Rakete den englischen Horchposten nur lom vor uns. Da
wirft er auch schon ein schwarzes Etwas herüber, eine Hand-
granate. Wir stieben auseinander und werfen uns hin. Dann
explodiert es auch schon. Ich werfe ihm eine zur Vergeltung
hinüber und krieche zurück. Posten an Posten! «Hier linker
Flügel». Ich biege ab, gehe durch tiefe, dunkle Verbindung«-
gräben. Hier und dort ein Alarm- und Relaisposten. «Parole?»
«Instruktion?» «Gut!» Weiter! Der Deckungsgraben. Die Un-
terstände sind mit Reserven angefüllt. Alles schläft. Da, ein
Posten. «Ist der Rompanieführer da?» «Jawohl, Herr Leut-
nant.» Ich trete ein und melde, die Rompanie in Ordnung.
Eine Zigarre, dann gehe ich zurück, vor meinem Unterstand
treffe ich meinen Burschen. «Herr Leutnant, die Post ist gekom-
iz» l£5
men.» Ich trete ein. Der Telefonist sitzt beim Rerzenlicht. «Vichts
bleues.» Ich schicke ihn fort in meine Roje. Rein Brief von zu
Hause, einige belanglose Geschäftssachen und zwei Zeitungen.
Ich durchfliege sie. Das Telefon piepst. «Hier 3. Rompanie vor-
derste Linie.» «Befehl vom Bataillon: Der Abschnitt Palmus
soll in der Morgendämmerung besonders scharf aufpassen.»
«Gut.» Ich schicke die Gefechtsordonnanz los, um den Befehl
weiterzugeben. Dann sitze ich noch lange, stütze den Ropf in
beide Hände und träume von der Heimat.
Totenstille! Nur ein einzelnes Schrapnell, ein kurzer Rnall
vom Flintenschuß, auch mal eine singende Handgranate!
lLrst sehr spät rufe ich den Telefonisten und gehe dann selbst in
die Roje. Bei hellem Tage wache ich auf. «Rulle, ist der Raffee
warm?» «Jawohl!» «Schön, langen Sie mal her!»
Min Bild unseres Lebens. Ein kleiner Rönig in meinem Reiche,
so lebe ich. Wenn ich meine bangen Lieben nicht zu Hause hätte,
sagte ich:
«Das Feld ist meine Heimat,
der Rrieg mein Beruf.»
*
Äugen Galter,
geb. 20. September 1887 in Neustadt bei Rronstadt.
Im Schützengraben in Polen, am 30. Mai 1915.
Die Pakete Nr. 35, 36, 37 sind gekommen. Hurra! Und alles
tadellos. Die Roulade noch ganz frisch, Zwiebel, Zigaretten Herr-
lich. Ich danke allen, die hiezu Hand angelegt, dafür. Meinen
Dank bzw. meine Revanche kann ich nicht anders bieten, als
durch kleine Rriegsepisoden.
So z. B.:
Wir bekommen Befehl, die Stadt Nesnamirovice zu besetzen.
Die Brücke über dem Fluß vor dem Städtchen ist gesprengt, auf
schwankenden Balken geht's troydem hinüber. Etwa eine
halbe Sowie Rofaken sehen wir noch im Staube der Land-
straße davongaloppieren. Wir sind ohne Schuß Sieger. Im
Orte werden wir sehr feindlich empfangen, obwohl die Ro-
saken vorher ja die feinsten Häuser geplündert hatten. Rein
!9<5
Bissen Brot, kein Tropfen Milch ist gutwillig von den Leuten
zu haben.
Das Städtchen wird vorschriftsmäßig beseyt und gesichert. Ich
bekomme Befehl, vom Rirchturm die Gegend abzugucken und
Skizzen zu machen. Am Rirchhof liegen noch peitschen, Fla-
schen, Rleidungsstücke der Rosaken herum. Dort hatten sie sich
verschanzt. Dann schreite ich mit vier Infanteristen der Rirche
zu. Nun läuft das Volk zusammen, Leiber jammern, Männer
sehen drohend, alle meinen, die von den Rosaken über uns an-
gesagte Rirchenplünderung beginne. iLrst auf sehr energische
Aufforderung wird die Rirche geöffnet. Ich steige hinauf, mache
meine Skizze und entsende sie. Beim Heruntersteigen setze ich
mich an die Orgel und spiele und spiele und vergesse auf den
Rrieg. Mit mächtigem Akkorde breche ich das Spiel ab. Die
Rirche ist voller Menschen, die Gemeinde ist versammelt und
liegt auf den Rnien. Raum konnte ich heil aus der Menschen-
menge herauskommen, sie küßten mir immer wieder die Hand:
«DobreOficer». Ich hatte im Moment aus Feinden Freunde ge-
macht. Die Frauen schleppten Milch und Brot herbei und keiner
meiner -Leute ging mit leerem Magen und leerer Feldflasche da-
von. Sogar zwei Hühner spickten unseren Rucksack. Der Organist
des Dorfes ging in den Rrieg und schon seit vielen Monaten schläft
die Orgel, bis sie jetzt ein «Feind» zu neuem -Leben erweckte.—
Russ.-Polen, am 12. Oktober 1915.
Du staunst über mein vornehmes Papier? lLs ist das feinste,
was ich in einem verlassenen Hause in Baranovici fand. Am
Rande Vergißmeinnicht und Goldlack — ach wie schön! "wie
dem auch sei, ich habe aber nur dieses eine.
IVill Dir nun einmal über unsere braven Sanitätsleute erzäh-
len, nicht über die in den Feldspitälern dort rückwärts, sondern
über die, die vorne in der Front den jammernden, blutenden
Soldaten die erste Hilfe bringen.
Vor mir auf dreihundert Schritte ist die Schwarmlinie. Ich
sehe mit dem Glas unsere Bakas lachend in den Schützenlöchern
sitzen. lLben ist nach hartem Nachtgefecht der Tag angebrochen,
und das Infanteriefeuer verstummt. Nun beginnt die Artillerie
der Russen von neuem. Ich sehe in einem kleinen Granattrich-
ter einen Gefreiten und zwei Infanteristen über einer Zeitung
197
sitzen. Da — ssst — dum. wo die drei saßen, steigt eine dreißig
Meter hohe Staubsäule in die Luft. Ihr armen Leute!
Der Staub teilt sich, aus der Luft rieseln noch kleine Papier-
und Rleiderfeyen herunter. was ist aus meinen drei Leuten ge-
worden? Ich sende eine Sanitätspatrouille hin. Die Braven
schreiten rasch der Stätte des Grauens zu. Da vor ihnen — ssst
— bum! wieder eine Granate! Sie verschwinden in Rauch und
Staub, doch jetzt sieht man sie wieder, sie gehen unentwegt
weiter. Und jetzt, knapp hinter ihnen — ssst — bum! Vlun
setzen sie sich in Trab. Jetzt sind sie dort. Sie bücken sich hin-
unter in den Trichter. Sie ziehen Rleiderfeyen heraus. Diese
scheinen blutig zu sein, denn sie werfen sie gleich beiseite und
wischen sich die Hände an ihrer Bluse. Jetzt ziehen sie einen
Menschen heraus. Auch den legen sie beiseite —, sicher ein Toter.
Nun arbeiten sie über einem. Sie binden ihm den Ropf ein.
O weh! Auch die Hände werden eingewickelt. Sie schneiden ihm
die Bluse auf, auch am Rücken klafft eine Wunde. Jetzt sind
sie fertig und legen ihn auf die Tragbahre. Was machen sie mit
dem dritten Unglücklichen? Sie stellen ihn auf, jetzt steht er und
gestikuliert mit den Händen. Der eine Sanitäter nimmt ihn an
der Hand, die beiden andern fassen die Tragbahre an und be-
ginnen die Rückkehr. Oft rasten sie, dann verfolgen sie besorgt
die Granaten, die nun weiter rechts einschlagen.
Nun sind sie da, schweißtriefend setzen sie die teure Last nieder.
Sie melden kurz: Toter, ein verwundeter, ein Stummer,
ohne Verwundung. Schon ist unser Arzt bei dem verwundeten,
der still am Rasen liegt und prüft und ergänzt die verbände.
Den Stummen überfällt neue Erschöpfung, auf den wink des
Arzres legt er sich nieder und schläft bald ein.
Die Blessiertenträger sind schon wieder fortgeeilt, denn vorne
wartet neue Arbeit.
*
Hans Brandenburg,
geb. l 8. Oktober 1885 in Barmen.
9. Oktober 1915.
Ich bleibe — trotz allem — auch jetzt noch kriegsbegeistert, wie
oft wird man sich später im Frieden, wenn einen so viele Ekel-
198
haftigkeiten wieder beschleichen, nach diesen heroischen Zeiten
zurücksehnen, wo Geschäft und Philister nichts gelten und
nichts der weichliche Genuß, sondern der ganz auf sich selbst
gestellte, gefahrumdrohte, tatentuende Mann alles. IVie Herr-
lieh ist jede Soldaten gruppe, wie schön jeder Mensch vom
ältesten Offizier bis zum jüngsten Rekruten in seinem feld-
grauen waffenrock, wie bewegt, wie körperlich-prachtvoll
dieses unscheinbare Leben in freier Luft, in Höhlen, in
Ruinen, in Gräben. Und wie zum Royen ist das Leben
in langen Hosenröhren, in aufhängenden Röcken, in Steh-
kragen, in den Deckeln auf dem Ropf, dieses geschmacklose,
schmeerbäuchige, nur Ropf züchtende Dasein in Stubenluft
und in Salons.
*
Eugen Gura,
geb. 5. August 189* in Rassel,
gef. 7. August 1917 in den vogesen.
Lerme la Busche, 13. Februar 1915.
Der wind geht frisch; dunstig, zart liegt das Land da. Sogar
die Sonne kommt etwas heraus. Um 9 Uhr antreten zur Rirche.
Orgel, schallender Soldatenchor, ernste Melodien! iLs ist ein
merkwürdiges Volk, diese deutschen Soldaten — wahrhaft got-
tesfürchtig ohne Zweifel. Ls kommt ihnen nicht in den Sinn,
daß der Feind zum selben Gott betet. Gott ist ihnen ein unbe-
stimmtet Begriff, an den sie sich halten wie an einen ewigen
Fels. Ihr Gott ist nicht das Letzte, Allvereinende, fondern sie
beten zum deutschen Gott. "wenn man über die Widersprüche
nachdenkt, so wird man ganz wirr, und ich weiß selbst nicht, ob
ich den Rrieg als eine große, dem eisernen Naturgesetz ent-
sprungene Notwendigkeit ansehen soll, oder ob über all dem
wimmelnden Leben und Tun in fernen Höhen etwas Erhabe-
nes ist, das wir nur als matten Glanz ahnen, weit, weit er-
haben darüber--Gott, der Versöhnende, vereinende.
Diese Zweifel kennen diese Soldaten nicht, sie sind Gottesstrei-
ter, heilige Streiter, und ihr Gesang dröhnt machtvoll aus
überzeugter Brust.
199
Ferme la Busche, 25. Februar 1915.
Du schriebst, es würde so manches für mich schwer sein, was
anderen selbstverständlich, mir aber ungewohnt und fremd ist.
Ja, das ist eben die harte Schule, die mir das Militär von An-
fang war. Ich habe ja so viel Schmerzliches, soviele Enttäu-
schungen schon dabei erlebt, daß ich das alles nicht tragen könnte,
wenn ich nicht von dem Ehrgeiz erfüllt wäre, ein ganzer Mann
zu werden, im Brande des Gebens gehärtet, geschliffen, allen
Situationen gewachsen. So sehr ich mich auf mein Studium
freue, so sehr ich mich nach der Heimat sehne — meine Zeit ist
noch nicht um! Ich will als Mann heimkehren.
Feuerstellung, 29. März l9l5.
Eben als ich den Brief schließen wollte, kam Deine Post, die mir
die liebste ist. Dann ging ich Wasser holen nach einem nahen
Gutshof. Im Osten die Silbersichel des Mondes im tiefdunklen
Abendhimmel — majestätisch glitt gerade eine Riesenwolke vor-
bei, wie eine Dschunke mit phantastischer Fratze geziert — oder
vielleicht ein unheimlicher Gnom, die goldenen Schätze des
Himmels bewachend. Hie und da ein blinkender Stern, im nahen
Busch das verträumte Gezwitscher eines Vogels--schlichte
Gräber, darinnen stille Helden schlafen--flandrisch Land,
fußbreit um fußbreit erstritten, blutig und doch so friedvoll im
Abendschein!
Ich übersteige den Stacheldraht, hier unser treues Geschütz an
der Hecke, und dort — es glänzt mild, heimlich durchs Fenster
— unser Unterstand. Drinnen warm, wohlig, es wird behaglich
gegessen, dann sitzen sie um den Tisch, spielen, Rauchwolken
kräuseln sich, man dehnt und streckt die Glieder—alte Träume aus
der Rinderzeit, von einsamen Hütten, verwegenen Gestalten
am Feuer, Urwaldmenschen, schleichenden Mokassins kommen
einem. Tatsächlich, hätte ich als Rnabe gewußt, daß ich dies
alles erleben würde, so wäre ich selig gewesen, und ich bin es
jetzt nicht minder. — Wer hätte es sich nicht erträumt, im hero-
ischen Zeitalter gelebt zu haben!
9. April 1915.
Habe jetzt die IVäsche erhalten, und als ich heute, wenigstens
obenrum, gewaschen und frisch gekleidet erschien, fiel es direkt
2oo
auf. Rüpel sind wir nicht, im Gegenteil herrscht ein sehr netter
Ton. Wae Du über den Frühling sagst, hat mich tief gerührt.
Du hast recht, in der Sonne ist es auch ein ganz anderes Rrie-
gen. Überhaupt — es soll, besonders für unsere Jugend, aber
auch für das Volk, ein neues, herrisches, hartes, einfaches Zeit-
alter heraufziehn, grundverschieden von allem Dagewesenen.
Unser Volk ist kerngesund und die Rrankheiten, die es plagen,
sind zu heilen. Mögen ihm Männer erstehen, weitblickende,
starke, die es leiten und heilen.
Buschhof, 2Z. Mai 1915. Pfingstsonntag.
Abends in den Graben. Die Nacht war ruhig. Weißt Du, der
Rrieg ist schrecklich, vorne die deichen, der ekelhafte Geruch,
die Brutalität.—Christus sagt ungefähr so: «Wer das Schwert
braucht, soll durchs Schwert umkommen.» iLr, der Idealist in
seiner Zeit, war unbedingt gegen den Rrieg; da ist nicht dran
zu deuteln. Und wir haben den Rrieg in keiner 'weise provo-
ziert. Aber Christus sagt dann: «Wenn dich einer auf die linke
Wange schlägt, so biete ihm die rechte» oder so ähnlich. Wer
glaubt, daß all das lLrdendasein nur ein Durchgangsstadium
und erst jenseits dieser Welt das Leben, der wird um dieses
Lebens willen die christliche Lehre von der Demut bis ins Äu-
ßerste, Ronsequenteste befolgen. Soll aber in Wahrheit diese
Mrde mit ihrer ungeheuren Zweckdienlichkeit in ihrer Tier- und
Pflanzenwelt, in ihrer ganzen Schöpferkraft und Schönheit,
soll all das Menschenwerk und all die Menschenqual nur ein
Spiel, nur ein Schein, nur ein Durchgang sein, ist nicht das
-Leben eben um des Lebens willen da, ist's nicht Selbstzweck?
Ich kann mich nicht an den Gedanken gewöhnen, nicht daran,
das alles, tLhre, Schönheit nichts zu achten, wie ich's nach
Christus tun müßte. Ich stehe zu fest auf der lLrde, bin hinge-
schmiedet wie Prometheus zur (Qual, zum Leiden —, aber ich
kann nicht los, ich wünsche mir nicht das Jenseits als die j£r>
lösung vom lLrdendasein. Der Rrieg ist schrecklich und doch —
soll man um des Leides willen auf die lLhre verzichten? Ist
Ehre ein Phantom oder ist's ein Teil der Rraft, die das All, die
das Sein, die Erde, den Erdensohn erhält, die vernichtet und
aufbaut zugleich? Ich weiß es nicht. Jetzt gilt nur fürs Vater-
land zu streiten und zu sterben. Und je mehr man am Leben
201
hängt, desto größer das Verdienst. Und ein großes Streiten
muß noch kommen und ein großes Sterben. Ich denke nicht an
Frieden, an wiederkommen — sie liegen zu weit — allzu weit.
2Z.Mai
tite war ein Frühlingsmorgen, als wir über die bunten wiesen
heimkehrten, endlos hatten wirdurchden Laufgraben gebraucht.
An einem Hof, an einem Wasser, auf einem Baumstamm, unter
Eichenbäumen rasteten wir. Es war wie eine Thüringische
Mühle. Dann ging's heim. Gestern saßen wir unter einem duf-
tenden Strauch im Garten, bleich schien der Mond. it. hatte
stark Heimweh, Er ist ein siebzehnjähriger, lustiger, tief emp-
findender Mensch, ein guter Ramerad, der sich von Gr. dadurch
unterscheidet, daß er nicht so korrigiert und einen die Uberlegen-
heit nicht so sehr fühlen läßt. Gr. ist eingebildet und hart, äußert
seine Gefühle mit keinem wort, breit, blond, blauäugig, eine
Art nordgermanischer Typ. Beide sind prächtige Exemplare
jener jüngsten deutschen Jugend, jener Jugend des wander-
vogels, die zur Einfachheit, zur Rraft zurückkehrt, die über
Land zieht, im Freien übernachtet oder am bäuerlichen Herd die
Sitten des Volkes belauscht, die stark und rein empfindet, aber
wenig spricht. Sie wird sich verbluten, diese jüngste Jugend,
aber ihr Geist wird leben.
Buschhof, 26. Mai
E. taut auf, erzählt von feinem Leben, mit Glut und Schwär-
merei und sehnt die Heimat herbei. Ich nicht. Ein Schlaraffen-
land, ist sie mir fabelhaft, an das man ernsthaft nicht denkt. Ich
kenne nur ein «heute». Ich kenne kein «morgen» und keine Hei-
mat. Unsere Heimat ist bei unserer Fahne, und unser Leben ist
wirkliches Leben, kein Buchleben. Fremd mutet mich vieles von
der heimatlichen Rultur an. Möge es nach dem Rrieg noch
Männer geben, die diese Läuterung des Rrieges in den Frieden
tragen, die mit der Ästherenkultur aufräumen. Hur im in-
timen Anschluß an das Volk, an seine Einfachheit und Rraft,
kann eine wahre Rultur der hohen Menschlichkeit erstehen.
Unsere Rultur muß so werden, daß sie nicht mehr von einer
kleinen Gruppe wichtig dreinschauender Bebrillter gemacht und
unterhalten wird, daß der gemeine Mann darüber lacht, weil
202
ihm der lebendige Rontakt damit fehlt, sie muß Volksgut wer-
den. Damit soll der Forschung, der Philosophie, der Arbeit, die
um ihrer selbst willen und nicht um Geld und materielle Er-
trägnisse da ist, keineswegs der Bankrott erklärt und der «ge-
sunde Menschenverstand», die «Stimme des Volkes», der
«verträumte Glaube»aufden Altar geseyt werden. Es ist bezeich-
nend, daß es Leute gibt, die diesen 'Weltkrieg ausbeuten wollen,
um dank des Herdengeistes und Herdendenkens unsere geistige
Entwicklung zurückzuschrauben. Aus dem Volk in nationaler
Einfachheit und Rraft soll unsere kommende Rultur heraus-
wachsen, in die alte hinein, um die alte herum, läutern, er-
neuern und machen, daß die Deutschen um besser seien als
die heutigen. Wie stark das neue Rassegefühl ist, zeigt die Iu-
gend.
November 1915.
Bitte schmücke einen Baum. iL? ist mir ein lieber Gedanke, daß
daheim auch ein Baum brennt. Du brauchst auch gar keine
traurigen Gedanken zu haben. Wir dürfen uns bedanken, wie
ich's getroffen habe, und wie es jetzt mit dem Vaterland steht.
Und Du wirst doch nicht traurig sein, wenn Dein Sohn als Sol-
dat draußen steht. Also keine Rührseligkeit, sondern seid lustig.
Tränen gibt's anderswo genug, und wenn die Leute nach dem
Rriege diese Tränen nicht vergessen, dann ist's noch Zeit und für
sie die größte und beste Lehre aus dem Rrieg. Unsere Zeit braucht
härtere Herzen. Möchten sie zur rechten Zeit weich sein.
25. November 1915.
"Warum sich nach einem unbedeutenden, alltäglichen Leben seh-
nen? Ich denke, Beruf ist Gelbsterhaltung. Und jeyt ist unser
Beruf, Soldat sein. Da sehne ich mich nicht nach irgendeinem
andern Beruf, der zu einer andern Zeit schön und nützlich war,
sondern ich bin jeyt einfach Soldat und stehe auf dem Posten,
aufden mich das Leben gestellt hat. Es ist nicht wahr, daß der
Friede oder das mehr oder minder bescheidene bürgerliche Glück
das Höchste bedeutet. Menschsein heißt: Rämpfen bis ans
Ende.
5
2SZ
Unbekannt.
23. Oktober 1915.
Lange ist mir unmöglich gewesen, meine Eindrücke festzuhalten,
und was hat man doch in einem Monat alles erlebt! Erlebnisse
voll Grauen und Entsetzen, bei deren bloßen Gedenken einem
noch heute kalt und heiß wird. Ich will sie vergessen. Es ist
besser so! Ach, könnte ich doch auch ihn vergessen, der jeyt unter
kühlem Rasen ruht! Doch nein, nicht vergessen. Erist wert,
wenigstens in meinem Herzen ein dauerndes Andenken zu er-
halten.
Wir waren in der Rompanie unzertrennlich. Rein Angriff, den
wir nicht Seite an Seite gemacht haben, keine Patrouille, die
uns nicht beide mitnahm, kein Posten des einen ohne die Ab-
lösung des anderen. Wir waren wie Brüder und kannten uns
doch erst 2 Monate! Reiner wußte mehr von dem anderen als
seinen Vlamen. Er fragte mich nicht nach näheren Verhältnissen,
und ich bemerkte, daß ihm jede Anspielung meinerseits unan-
genehm war. So vermied ich es und begnügte mich damit, in
ihm den treuen Freund und Rameraden zu sehen, obwohl mich
sein Mangel an vertrauen in diesem einen Punkte etwas ärgerte.
Oft hatte ich Gelegenheit, zu beobachten, wie er in ruhigen Mi-
nuten dastand, traumverloren, ein Bild betrachtend, dann wur-
den seine Augen feucht, und manche Träne fiel herab. Solchen
Augenblicken folgten Stunden der ausgelassensten -Lustigkeit,
einer Lustigkeit, der man es anmerkte, daß sie unnatürlich war.
Es wurde mir klar, mein Freund hatte einen schweren Rummer,
vielleicht eine herbe Enttäuschung erlitten. Leider sollte ich nie
dieses Rätsel erfahren, denn sein Mund ist stumm, stumm für
ewig.
Es war am Oktober, morgens 5 % Uhr, als unser Beobach-
wngsposten die Meldung brachte: «Feindliche Schützenkette in
Sicht!» Richtig! Schützenlinie um Schützenlinie bricht aus dem
Walde hervor. Im Walde selbst wimmelt es von Reserven. Un-
sere Artillerie schickt die ersten Granaten herüber, und jeyt setzt
auch das feindliche Feuer ein. Granaten heulen und saufen durch
die Luft, dazwischen das Gingen und Pfeifen der Schrapnells,
das Donnern der Minen. Es ist ein Höllenlärm. So kann man
sich einmal den Weltuntergang denken. Acht Stunden waren
205
wir verdammt, diesem Ronzert zuzuhören: acht Stunden, ohne
ein Glied zu bewegen, untätig zu warten auf den Tod, welcher
jeden Augenblick unter uns treten konnte. Jetzt jetzt schwere
Artillerie ein. XOO m vor uns haut die erste in den Boden. Eine
Wolke von Sand und Schutt raubt uns für Augenblicke die
Aussicht, um dann über uns herniederzurieseln. Jetzt 5om die
zweite!
Lebtwohl, Ihr Lieben daheim! Gib mir deine Hand, August!
IVir waren im Leben unzertrennlich, wir wollen es auch im
Tode sein Z Nur noch wenige Augenblicke, und wir sind in Atome
zerrissen, zerfetzt! Jetzt der Abschuß! Dieses unheimliche Zischen
und Singen in der Luft! Unser Totengesang! Jetzt---
ein dumpfer Rnall, fester umfassen wir uns und sind im nächsten
Augenblick bis zum Halse verschüttet. Gott sei Dank! Vloch ein-
mal gerettet! laicht weit hinter uns ist sie eingeschlagen, den-
noch leider 10 oder 12Rameraden rechts von uns arg verstüm-
melt. IVir hören ihr Jammern und Stöhnen und denken jetzt
erst an ihre Befreiung.
Dämmerung ist eingetreten. Die Geschütze schweigen. Der Geg-
ner kommt näher. Vloch fällt kein Schuß. «Dreihundert Meter!
250 Meter! 200 Meter!», meldet der Beobachtungsposten.
«Feuereröffnung!», ertönt das Rommando, und es prasselt los!
Die Spannung der Nerven ist nach der ersten Salve gewichen,
eine eiserne Ruhe hat sich unser bemächtigt. Der Feind kommt
näher, geht zum Sturm vor. IVir feuern auf volle Figuren.
Jetzt naht die Entscheidung! «Ruhig weiter feuern!», ertönt
die Stimme unseres Leutnants, «nicht aufgeregt, Leute, nur
Ruhe, Ruhe!» Man sah es ihm an, daß er selbst nicht mehr
ruhig war, doch er verbarg es, so gut es ging. Jetzt ein Halten
in den Linien, ein 'Wanken. Sie gehen langsam zurück, fallen,
stürzen, straucheln, erheben sich wieder und fallen diesmal für
immer. Der Rest flutet zurück, und unser Leutnant hat seine
Ruhe wieder. «Lebhafter feuern!», ertönt sein Rommando, und
ein Hagel von Geschossen überschüttet die Zurückflutenden. Der
Angriff ist abgeschlagen. Eine unbeschreibliche Müdigkeit nach
dieser Aufregung bemächtigt sich unser. Schlafen, nur Schlafen
ist unser aller Gedanken.
«Die Herren Zugführer!» Laut klingt die Stimme unseres Ba-
raillonsführers. Alles ist gespannt, was kommt nun? «Der erste
205
und zweite Zug geht zum Gegenangriff vor, der dritte folgt in
Reserve.» Nun wußten wir's! Jetzt heißt's siegen oder sterben,
denn ein Zurück gibt's nicht! «Mit Sturmgepäck marsch!» In
Schützenlinie geht's vor, hinein in die Dunkelheit, in Tod und
Verderben. August und ich Schulter an Schulter gegen alle
Regel der Schwarmlinie. "wir hatten beide das Bedürfnis, eng
zusammenzubleiben. Ahnten wir, daß es zum letzten Male war?
Unter dem Schutze der Dunkelheit gelangten wir bis dicht an
den Feind.
«Fällt das Gewehr! Marsch, marsch, Hurra!» Brüllend wie die
Löwen, stürzten wir uns auf den verdutzten Feind. Das Messer
verrichtete blutige Arbeit. In der Hitze dieses Gefechtes verlor
ich August zum ersten Male aus den Augen. Ein Hüne von
Engländer drang wie ein Berserker auf mich ein. Ich mußte zu-
rückweichen, plötzlich stand mein Leutnant mir zur Seite. Ein
Schuß aus seinem Revolver, und wie ein gefällter Baum sank
der Gegner zu Boden. Ein Blick des Dankes für den Leutnant,
und wir eilten den weiterstürmenden Rameraden nach. Wie weit
ich gelaufen bin, weiß ich nicht. war es eine Stunde, oder
waren es 5 Minuten? Ich weiß nur, daß jemand mit röcheln-
der Stimme meinen Namen rief, und daß ich nächsten Moment
an der Seite meines treusten und liebsten Rameraden kniete.
«Hast Du "Wasser, Rarl? Nur die Lippen naß, so, danke! Hier
in der Rocktasche das Bild — nein, nicht verbinden — es geht
zu Ende. Leb wohl Freund! — Grüß die Heimat! — Laß mich
allein!»
Abgerissen, heiser, kamen diese "Worte heraus, ein letzter
Händedruck, und ich stürmte davon, ihn seinem Wunsch ge-
mäß die letzten Augenblicke seines Lebens allein lassend.
Nie werde ich diesen Anblick vergessen, den Blick, der nichts
Irdisches mehr hatte, fest auf das Bild gerichtet, die Lippen
wie im Sprechen bewegend, ohne ein Laut der Rlage, des
Schmerzes.
Am Morgen brachten die Rrankenträger seine Leiche von sechs
Stichen durchbohrt, das Bild fest an sich gepreßt. So haben wir
ihn begraben. Es trauert niemand um ihn, nicht Eltern, nicht
Geschwister.
*
206
Hans Schmidt,
geb. Zo. Ianuar 1886 in Rarlsruhe,
gef. I. Juni 1916 in der Champagne.
IS. November
... Am andern Tag hatten wir noch bis Mittag Ruhe. Dann
war um % nach 3 Uhr Abmarsch des I. Bataillons in Stel-
lung. Es war natürlich in gewissem Sinn für uns etwas
Besonderes, nach der langen vollkommen ruhigen Zeit vor
Reims nun so ungefähr in die tollsten Ecken wieder hinein-
zukommen. Es ist ja nicht mehr wie im Anfang, wo jeder
meinte, er müßte sich ins ärgste Schlamassel drängen. Das
Ansehen der vielen Verluste in Lamilie und unter freunden
hat die alten ^Kriegsteilnehmer doch zurückhaltender gemacht.
Man ist nach Rräften froh, wenn man seine Ruhe hat; muß
man doch hinein, so hat man aber auch seine Entschlossenheit
und Zähigkeit und seine Erfahrungen und stellt vielleicht besser
seinen Mann als der vor Begeisterung überschäumende. Ganz
sicher in dieser Art des nervenbeanspruchenden Gtellungs-
krieges. IVir sind aus Taumelnden Berufssoldaten geworden,
die ganz genau wissen, was sie an dem Platz zu tun haben,
auf den sie gestellt werden. Schimpft man etwa zunächst, daß
man in irgendeine Sauerei hinein muß, so will das nicht
mehr heißen, als das ebenso zum militärischen Stil gehörige
sehr beliebte und gar nicht sanfte Rritisieren der vorgesetzten
und ihrer Maßnahmen. Springt aber z.B. einer, wie der
Leutnant der Res. S. vor Vergnügen in die Höhe, wenn es
heißt: wir kommen in die Champagne und schreit «Groß-
artig!», so wird das von den Rameraden als unnatürlich und
affektiert empfunden. Natürlicher klingt es schon, wenn die
anderen auf der Eisen bahnfahrt zur «Schlampagne» schon
von dem Lazarettzug sprechen, der sie demnächst mit ihrem
«Heimatschüßle» nach Hause führt, wo sie alsdann als Hel-
den, die sich «fürs Vaterland geopfert haben» bestaunt und
bemitleidet werden, während sie sich im stillen eins «grinsen»,
daß sie zu Hause sind. Dabei sind die Rameraden doch ganz fa-
mose Burschen, und ich stelle es einem gescheiteren Manne,
als ich es bin, anheim, zu untersuchen, ob sie ohne Vater-
landsliebe sind.
207
30. November 1915.
Wir brennen in unseren Unterständen, die vorläufig erst Köcher
sind, außer der Holzkohle, die meistens nicht vorhanden ist, ge-
wohnliches Holz. Das ist nun immer ein kleiner Prozeß, bis es
richtig brennt. iLs liegt auf dem Gfchen, das Papier oder Stroh
untendran brennt, aber das Holz will noch kein Feuer fangen.
Es schwelt und rußt und raucht, beißt in die Augen und be-
nimmt den Atem, bis es endlich so heiß geworden ist, daß es
Feuer fängt und auf einmal in klarer reiner Flamme lichterloh
brennt. Beim häufigen Zusehen fiel mir das Gedicht Goethes
ein: «Gesang der Druiden in der Johannisnacht» (oder ähnlich
der Titel)
Die Flamme reinigt sich vom Rauch
So reinige unfern Glauben!
Ich habe das Bild nie verstanden, nur beim offenen Holzfeuer
geht es einem auf, wie in der Johannisnacht. Ich mußte den-
ken, daß ich auch in der Zeit, in der ich im Rrieg bin, der Flamme
gleiche, die sich vom Rauch gereinigt hat oder sich noch reinigt.
Nicht im Ginne der Frömmigkeit, sondern des klaren, bestimm-
ten reinen Lebens. Auch in guter Absicht ist der Mensch in
jungen Iahren nur eine schwelende Flamme. Auch was gut ist,
traut sich nicht vor. Hemmungen, die vom späten Standpunkt
aus unerklärlich sind, hindern die Flamme, rein zu brennen, den
Menschen, er selbst zu sein, "wer kann nun sagen: heute bin ich,
gestern war ich's noch nicht? Die Flamme rußt und schwelt
immer wieder, aber sie reinigt sich vom Rauch. Sie reinigt unser
-Leben.
Warum ich gerade in dem Zusammenhang davon schreibe? Weil
die Entwicklung, die Vermännlichung, die wunderbare Folge des
Rrieges ist und gerade auch des Umgangs mit den Mannschaften.
Die ständige Notwendigkeit bestimmt, klar, kurz, gerecht zu sein,
jeden Fall, jeden Mann sofort zu durchschauen, ist erzieherischer
als man denkt. Die Einwirkungen der Todesnähe, die Ramerad-
schaft in Gefahr, alles kommt dazu, kurz mir will scheinen, die
Flamme brennt reiner, lauterer, wärmer als früher. Ich bin
mir dessen in innigem Glücksgefühl bewußt, glaube aber nicht,
daß es gut ist, mehr davon zu schreiben. Ich verstehe aber jetzt
auch das andere Wort Goethes, nach dem der Beruf des Offi-
ziers der schönste ist auf der Welt.
208
Siehst Du, Mutter, leben, reine Flamme sein, ist das Wichtigste
auf der Welt, und das ist mehr und wichtiger, als lange leben
und dabei schwelen. Und deshalb habe ich auch gerade in diesen
Stimmungen und in diesem Bewußtsein am wenigsten Bangen
vor dem Tode, und es kommt mir auch praktisch, nicht nur theo-
retisch schön vor, inmitten meiner Leute zu fallen, 'wollen wir
hier glücklich leben, so müssen wir jeden Augenblick auf irgend-
ein tödliches Eisen gefaßt, bereit sein, und wir sind es auch. Und
3hr zu Hause tut gut daran, ebenso zu denken und alle Eure An-
sprüche auf uns, solange wir außen sind, aufzugeben. Rommen
wir zurück, so ist das -Leben sowohl für uns wie für Euch ein
köstliches Geschenk Gottes.
Lorettohöhe.
Nachdem das erste Bataillon so schwere Verluste gehabt hatte,
konnten wir uns selber sagen, daß es nach Lens in Ruhe kam,
und daß es mit der unsrigen, die gerade beginnen sollte, vorbei
sei. So kam es auch. Die Stellung, in die wir dafür rückten, war
die alte der 9. Rompanie, in der wir so große Verluste gehabt
hatten. Dm der verhältnismäßigen Ruhe kam ich wieder einmal
zum Lesen. Diesmal mit mehr Glück. Ich hatte mir das Nibe-
lungenlied in Mittelhochdeutsch kommen lassen, hatte schon oben
in unserem neuen Stollen dran angefangen und las nun im
hintersten Eck des alten französischen Stollens dran weiter, daß
es ordentlich fleckte. So gern und freudig jeder an diese Dichtung
gehen mag, auf den eigentlichen Geschmack kommt er nur, wenn
die ersten paar Dutzend Verse gelesen sind, die unwillkürlich zu-
erst als philologische Sonderspeise anmuten. Allmählich aber
bekommen die anfangs steiferscheinenden Verse Fluß und Leben,
die Sprache ist voll und schön, ärmer an Zischlauten und reicher
an vokalen als die heutige. Und erst der Inhalt! Ein Dichter
auf der Höhe der Renntnis der Menschen und im selbstverständ-
lichen Besitz der Gabe, ihre Taten und Empfindungen dichte-
risch wiederzugeben. 'Wie berührt diese Entdeckung — jawohl
Entdeckung; wir haben'« ja auf der Schule gelesen, aber wer
kennt das Nibelungenlied? In den Tagen des jetzigen Rrieges,
wo wir Barbaren genannt werden, köstlichstes Erlebnis! Wie
menschlich sind alle diese Helden zugleich, die, so scheint es, in un-
erbittlicher Selbstbestimmung in den Tod gehen und doch nicht
14 D. d. S.
frei sind von jener augenblicklichen Todesfurcht, wie sie so ge-
lungen auf der Brautwerbung des Gunter um Brünhilde hie
und da hervortritt. Nein — mit ein paar Worten ist dies Werk
nicht erschöpft, in dem ein Renner des Gebens den gewaltigen
Stoff der Ursagen eines Volkes in ewige Formen gegossen hat.
wüßten mehr, wie schön, wie leicht zu lesen, wie tief, wie in-
haltsreich und ganz deutsch dies Buch ist, jeder würde es aus-
wendig lernen. Diese herrlichen Helden verstehen es draufzuschla-
gen, auszuhalten und — wenn es sein muß zu sterben, "will man
heute mehr? Ich glaube nicht, daß irgendeine griechische Helden-
sage so in den jetzigen Tagen gelesen werden könnte wie die deut-
schen. Und so freue ich mich des persönlichen Erlebnisses, daß wir
noch heute kristallklar aus dem (Quell deutscher Rraft, deutschen
Wesens Hoffnungen, Stolz und Stärke schöpfen können. Daß
wir noch heute das lebendige Volk Siegfrieds und Hagens sind
trotz Ranonen, Maschinengewehren und Unterseebooten.
Mitten im Lesen ereilte mich der Befehl, daß ich die Führung
der 2. Rompanie zu übernehmen hätte. Welche Freude!
Ohne Datum.
In diesen ersten paar Tagen war schon unser ganzes zukünf-
tiges Leben umrissen: Schüyengrabenbereitschafr in Cernay
—Ruhe in Witry — so ging es nun ununterbrochen fort, zuerst
mit dreitägiger, dann mit viertägiger Ablösung. Da das erste
Bataillon Pendelbataillon war, kamen wir in zwei Abschnitte,
die die Nummer 2 und 6trugen. Bereits von 2 aus konnte man
die Rathedrale sehr schön sehen. Die große Form mag ungefähr
so sein, wie sie im Frieden auch war. Wie diese mächtige Masse
des alten Bauwerks mit den abgestumpften Türmen die Land-
schaft beherrschte, das war erstaunlich. Man empfand es erst
ganz, wenn man etwa ein Auge zumachte und sich mit dem
Daumen die Rathedrale zuhielt. Es blieb von der ehrwürdigen
Rrönungsstadt Reims nichts mehr übrig als ein paar Fabrik-
schornsteine, die irgendwo in der Welt stehen konnten. Die Land-
schaft hatte ihre Seele verloren. Gab man sie ihr aber wieder,
so konnte man Stunden damit verbringen, zuzusehen, wie sie in
dem wechselnden Licht ihr Aussehen veränderte, und wie das
Schauspiel zwischen Himmel und Erde, Licht und Schatten je-
weils gipfelte, oder wie es in einem gesteigerten Ausdruck zu-
210
sammengefaßt war in der Rathedrale. War der Himmel schwer
vor Gewitterschwere, so konnte es vorkommen, daß die Rathe-
drale sich hell von ihm abhob und der Landschaft das Aussehen
gab, das die altmodischen Stiche vor hundert Jahren ihr so
gerne gaben, indem sie die Rirchen wie in magischer Beleuch-
tung hell vom Dunkel abheben und dadurch ihre überir-
dische Bedeutung gleichsam sinnfällig machen. In der meisten
Zeit der heißen Sommertage allerdings wuchs sie in blauvio-
letter Silhouette aus dem flimmernden Braun der sonnen-
glühenden Felder heraus und lockte die Gedanken in die Zeit ur-
alter legenden. In den Tagen der Herbstnebel und der Herbst-
dünste stand sie manchmal als kaum noch kenntlicher Schatten
in scheinbar unendlichen Lernen, um dann nach einem Regen
am Tage darauf plöylich so nahe gerückt zu sein, daß man
glaubte, in lo Minuten zu ihr hingehen zu können, während
doch die Entfernung \ km betrug. Dieser Anblick war im male-
rischen Sinne höchst unangenehm, hatte aber den vorteil, genau
zu zeigen, was alles beschädigt war. Und das war nicht gering.
Mir, der die Rathedrale nie in Wirklichkeit gesehen hatte, zeigte
schließlich im Offiziershaus in Witry immer wieder das große
Bild, wie fabelhaft schön die Fassade aufgebaut war. Sie konnte
auch einen, der sich bis dahin nichts aus der Gotik gemacht
hatte, in Bewunderung hinreißen.
*
August Rrause, unbekannt.
Ostende, 17. November 1915.
... vor einigen Tagen machten die Franzosen einen Angriff,
wurden aber unter schweren Verlusten durch Artilleriefeuer
glänzend zurückgeschlagen. Wir hatten dabei drei verwundete
in der Batterie. ££tn Ramerad hat sein rechtes Bein verloren.
Wir hatten wieder mit allerhand Rassen zu tun. lo ovo Mann
Zuluneger liegen an unserer Westftont. Ich will Ihnen kurz
mitteilen, wie sich diese Söhne der Wildnis im Rampfe gegen
uns bewähren, und wie sich unsere Feldgrauen diesen gegen-
über verhalten. Furcht haben wir zwar, da wir im dichtesten
Rugelregen aushalten, vor diesen schwarzen Gesellen mit ihrer
B» 211
scheußlichen Maske, man hat sie schon mit dem Flamen Pott-
neger belegt, ätz sind große Gestalten, sie schleichen so gut wie
Rayen, ihre Augen sind wie der Schleicher in der Tierwelt, in
der flacht leisten sie ausgezeichnete Dienste als Patrouillen-
ganger, und die Nacht ist ihr Freund gleich allen Aayennatu-
ren, denen sie an List und Verschlagenheit nicht nachstehen,
auch hauptsächlich durch ihre Grausamkeit, in der sich ihre tie-
rische Wildheit offenbart. Mancher, der einsam auf Posten
stand, könnte etwas erzählen von ihrer Hinterlist und Heim-
tücke, wenn nicht fein Mund für immer verstummt wäre:
schweigend gemacht durch den Dolch oder die Fäuste dieser Nacht-
schatten. Bei Tage greifen sie nur gezwungen oder in geschlos-
senen Reihen an, da ihre ausgemachte Feigheit es nicht zuläßt,
dem Tode einzeln ins Auge zu schauen, "werden sie einmal zu-
rückgeschlagen, so sind sie durch nichts mehr zu halten, "wir
haben mit diesem Feind an der Z?serfront wieder zu tun gehabt.
Die Engländer schicken diese Truppen ins Feuer, um ihre ver-
lorenen Stellungen wieder zu holen, nur wenige von den loooo
werden den "weg in ihre heimatlichen "Wälder zurückfinden. Der
größte Teil hat hier beim Stürmen durch unser mörderisches
Artilleriefeuer den Tod gefunden. Unsere feldgraue Mauerhält
Stand, und sei es gegen eine "Welt von Negern und Zuaven.
Wer daheim in den Gefangenenlagern mal sollte Gelegenheit
haben, diese Gestalten zu sehen, so denkt an diese Zeilen, gedenkt
aber auch der Streiter hier draußen, die wir in tage- und Nächte-
langem Ringen, ihnen allen dafür bewahren, ein Opfer dieser
Horden zu werden. Denn besser ist es zu sterben, als in die Hände
dieses Feindes zufallen. Gott wolle uns dafür bewahren. Noch-
mals die besten Grüße von einem treuen Vaterlandsverteidiger.
*
"Walter Henze,
geb. lS.März 1892 in Marschwiy, Ars. Wittenberg (Preußen),
abgestürzt29.Mail9l8 b.Neudorf,Rrs.Schwerin an d."warthe.
Im Schützengraben, den 9. Dezember 1915.
Vor einigen Tagen kommt zur Rompanie einer von den Stamm-
Mannschaften zurück, obwohl er dauernd garnisondienstfähig
212
ist. Auf unsere Frage, warum er sich wieder zur Front gemeldet
hätte, antwortete er: Auf der ganzen Westfront sei ja Ruhe, in
der Zeitung wäre immer zu lesen: «Im Westen nichts Neues»
oder «Nichts Wesentliches», "was meinst Du, was der Rerl für
Augen machte, als wir in die Nähe der Front kamen? sagte
nur: «Ich wollte, ich wäre in Deutschland geblieben.»
*
Otto Iahnke,
geb. Februar 1899 in Greifswald,
gef. 16.August I 917in Flandern.
9. November 1915.
Ich sitze hier allein im Unterstand und denke an die zu Hause.
Sitzt Ihr mittags am Tisch, so fällt iLuer Blick auf einen lee-
ren Platz — es fehlt einer. In Gedanken fragt Ihr schon, wo
ist denn Otto? — dann kommt die Wirklichkeit. Abends in dem
trauten Rreise — überall fehlt einer.
Die trüben Gedanken kommen mir so leicht, die Stimmung in
der Landschaft ist unendlich melancholisch. Der Himmel hängt
voller grauer Wolken, lange Züge von Rranichen segeln mit
eintönigem Geschrei darunter hin, bisweilen unterbricht der
heisere Schrei der Rrähe das Rauschen des Windes in den Rie-
fern und sein Rascheln in den trockenen Blättern, der jagt einen
Frostschauer durch das Mark der Rnochen. Bisweilen durch-
streifen einsame Meisen und Goldhähnchen die Riefern, und
ein kleines Eichhörnchen sucht ruhelos in den Rronen umher.
Die Sonne hat wohl schon eine Woche lang nicht mehr ge-
schienen.
28. Dezember I9J5.
Um fünf Uhr abends feierte die Rompagnie ihr Weihnächte-
fest. Wir waren in einem großen Unterstand; die Ächter des
überreich geschmückten Baumes machten die stummen Riefern-
stämme der Wände und der Decke noch düsterer; die Tannen-
zweige an ihnen warfen eigenartige, zerrissene Schatten. Ganz
verschwenderisch war der Tannenbaum geschmückt mit Rugeln
und Retten und Lichtern; an der Decke glitzerte ein Weihnacht«-
213
stern. Auf langen Tischen lagen die zahlreich eingetroffenen
Gaben der Heimat in sauberer Verpackung: eine unbegrenzte
Menge Liebe. Man konnte stillstehen vor Staunen über solche
Liebe, beim Auspacken später, das hatten wir nicht erwartet.
Zur Feier war kein Geistlicher anwesend. Leutnant Würfel sagte
kurz, was wir hier wollten. Dann wurde gesungen: G du fröh-
liche. Feldwebel 1V. las die "weihnachtsgeschichte.
Zo. Dezember l9l5.
A)ir sitzen alle im Unterstand. lLs schummert schon dicht; durch
das Schummern flattern und murmeln die Gespräche. Einige
pfeifen — irgend was; ein jeder formt Töne, in welcher Reihen-
folge sie ihm passen; Töne, wie sie die Stunde ihm eingibt. An
einigen Stellen träumt einer, wie Gespenster schieben sich die
Leute davor und werfen lange, zerrissene Schatten, die Ge-
wehre in den Stützen — seit Monaten endlich wieder entladen
— zerteilen sie in lange Streifen. den Ofen flackern dunkle
Feuer, und rote Rohlen überziehen sich langsam mit Asche —
vom hellen Rot des Herzblutes ein naher IVeg zum dunklen
und schwarzen geronnenen Blut.
Johann Egberts,
geb. 16.Dezember 1883 in Hamburg,
gef. 26. Oktober 1917 in Gheluvelt.
Dezember 1915.
Min lewe Hans!
Dat Du to "wihnachten an uns dacht, dat hett mir freit,
min lewe Jung!
Und dor ick ock ut Holsteen bün, kann ick jo snacken na min
Tung.
Denn up'n Lann wast jümmer Mod: Man wohr de olle
dütsche Ort,
v?ennt recht von Harten kamen soll, dor greep man na
een plattdütsch Wort.
Dat tweetmal fiert wi Ivihnacht all wiet von de Heimat,
TDif und Rind,
21}
hollt hier faß den Isenwall! — Du hörst intwischen
Schap und Rind.
IVennt aber? lang noch währen deit, denn waßt ji ok all-
mähli ran,
Un een, rwee, dree muß du exeern, und trecks de «Lang-
schäftigen» an.
Dor mark di eenen goden Rat, den di een ollen Rrieger
giff;
Gf Oog un Sinn, un kiek di um, dat din lütt Schipp ok
richtig driff,
SMwok biriden uprech gahn, un denk nich blot an hür und
morrn.
Dat Leven is een snaksches Ding! — Doch meistens hett
mant sülvst verdorbn. —
Bliv tru un wohr und lat din Hart sick in de Heimat rech
verwassen. —
Hest du een Ziel, gah stief drup los, denn kanns niemals
den IVeg verpassen.
Schulln's di ok in den Rrieg mal ropen, denn nimm din
Llint faß in die Hand,
An Holsteen denk, ant vaderhus:
«Wt striet jo för uns Heimatland!»
Rarl Salzbrenner,
geb. lo. März 1887 in Meißen.
15. Oktober
Abends neun Uhr. Ein lauer Herbstabend. Bummelnd wan-
dere ich durch die Straßen des Lranzosennestes. vor der grauen,
600 Jahre alten Rirche bleibe ich stehen. Rräftige Männer-
stimmen singen brausend «Großer Gott, wir loben dich». Ich
trete ein. weihevolle Stimmung! Auf der Ranzel brennen
Rerzen und auch am Altar. Düsterer Eindruck. Es erinnert
mich an die alten Christenversammlungen in den Ratakomben.
Hunderte Rrieger siyen auf den morschen Bänken. Reihen ste-
hen vor dem Altar und nehmen das Abendmahl. Alte graue
Figuren und Christusbilder schauen herab. Sie haben schon
215
viele Generationen gesehen im Frieden und vielleicht auch im
Rriege. Ich stehe in Gedanken versunken an der Tür und kann
mich nicht zurechtfinden mit mir selbst, ich weiß nicht, ob ich
beten soll, 'willenlos singe ich mit. Mir ist so seltsam zumute.
Ich trete wieder hinaus ins Freie. Die Ranonen brüllen wie-
der da vorn. Das ewige Ringen und Sterben. Und da drin diese
betenden Menschen. Da Hab ich hinaufgeschaut zu den Sternen,
zu den unendlichen "Welten, voller Ehrfurcht. Eine Stern-
schnuppe zieht lautlos ihre Bahn. Da Hab ich Frieden gefun-
den und war soviel, viel näher dem großen Gott, den ich ver-
gebens da drin in der alten grauen Rirche gesucht.
*
Paul Günzel,
geb. !o. Dezember l 892 in Altona,
gef. 2Z.I»ni J9I6 bei Fleury.
An die Rlasse 5 0 b des Gymnasiums Wandsbek.
Breskoway, am Zo. Dezember
Es waren im ganzen keine sehr frohe Weihnachten, die wir
dieses Jahr in Serbien gefeiert haben, "wenn Ihr wissen wollt,
wie, so will ich Euch erzählen, wie bei uns der Heilige Abend
aussah. In einem elenden serbischen Nest hatten wir Guar-
tier, meine Gruppe in einem alten Pferdestall, durch den der
Wind pfiff, wie er mochte. Als es dunkel wurde, setzten wir uns
draußen, wie allabendlich, um unser Feuer, versuchten auch, un-
sere alten Weihnachtslieder zu singen, Stille Nacht und O Tan-
nenbaum, obwohl wir keinen hatten. Auch von der Heimat be-
kamen wir noch nichts, die Post kommt bei uns nicht so rasch
nach. Das stimmte uns doch etwas trüb, denn trotz allem, was
uns draußen Rameraden, die oft zu Freunden werden, bieten
können: das Beste ist doch, was uns mit der Heimat verknüpft,
jedes Wort und jedes -Liebeszeichen, sei es noch so klein, das von
dorther kommt, wo unsere Gedanken und Wünsche fast in jeder
Minute sind, auf dem Marsch und im nächtlichen Biwak bei
Sturm und Regen.
Darum danke ich Euch im Namen meiner Soldaten für Eure
216
Gaben; für die Gaben nicht einmal so sehr, wie für das, was
sie uns bezeugen: daß Ihr in der Heimat mit Euren Sinnen
bei uns und mit Eurem Hoffen und Eurer Zuversicht für uns
tätig seid.
Much, die Ihr noch so jung seid, ist es sicher der größte Schmerz,
nicht auch hinaus zu können vor den Feind, unddaß jeder Junge
in der Heimat diesen begeisterten Eifer in sich hat, ist gut. Der
"Mille wird uns die Rraft geben; es muß sein, um Euch, wenn
Ihr herangewachsen seid, Ahnliches zu ersparen, damit Eure
Rräfte frei werden für friedliche Arbeit. Uns, und vor allem zum
Gedächtnis derer, die ihr Leben dabei lassen, sei das gesagt, ist es
vergönnt, die Brücke zu bauen, welche Euch in die lichte Zu»
kunft unseres Vaterlandes führen soll.
Das sind wir hier draußen inne geworden und möchten es in
Euren Sinn eingraben wie in Erz, daß wir ein herrliches
Vaterland unser eigen nennen. Wie mag es denen zumute sein,
die für ein so trostloses Land kämpfen müssen, wie das ist, in
dem wir hier augenblicklich stehen; ist Vaterland auch für sie
etwas Höheres, Heiliges? Es scheint, wir sind doch unendlich
reicher, denn wir kämpfen für ein Gut, das den Einsatz des
Lebens lohnt. Um so mehr den Einsatz aller Rraft, wie sie
spätere Jahre von Euch fordern werden, wenn es gilt, Bau-
steine herbeizutragen, um auf neuem Grunde das Gebäude
Deutschlands neu und noch schöner wieder aufzubauen. Das
fordern wir von Euch, und dazu möchten wir Euch Mut
machen; Ihr würdet dann würdige Rameraden derer sein, die
jetzt ihr Blut geben.
*
217
I9J6
Heinrich Kersch,
geb. 12.September 1889 in Gladbach,
gest. 18. Juni 1936 in Bodendorf/Ahr.
Röln, 16. Januar 1916.
lieber Ramerad IVinckler!
Ihren schönen Brief erhalten, ich danke Ihnen herzlich für die
Freundlichkeit. Nun, da ich Ihre beiden Bücher gelesen habe
(gelesen ist ein dummes Wort!) weiß ich, was neue Dichtung
ist. Ach, die armen »Cent wollen das Schrecklichste schön ver-
ziert und verbrämt, gezähmt und halb lauwarm auf einem Prä-
sentiertellerchen haben, um in Stimmung zu kommen. Wollen
das Riesigste grab so klein haben, wie sie selber sind. Als wenn
Runst etwas andres wäre als geformtes Leben? Manchmal bin
ich auch fähig, allen Arbeirskram an die Seite zu werfen, um
mich ausschreiben zu können. Seit Ostern I9l£ liegt mir ein an-
gefangener Roman auf der Seele, es sind Seiten geworden,
und nun drängt's mich, ihn fertig zu schreiben. lLr trägt den un-
schönen Titel «Der letzte Resselschmied». iLine Geschichte des
Handwerks, Familiengeschichte, autobiographisch. Mein Ur-
großvater hat in Mohlscheid den ersten Dampfkessel gebaut, der
Sohn und mein Vater waren Resselschmiede. Mein Vater
machte sich vor 20 Iahren selbständig. Ich wollte Ingenieur
werden. Aber durch seine Patente hat er's nicht so weit ge-
bracht, daß er mich etwas lernen lassen konnte. Ich wurde regel-
rechter Resselschmied, Handwerker, und als ich aus der Flickbude
in die 'Welt kam, da waren schon die Maschinen fertig, die dem
«Handwerk» den Rest gaben. Am tragischsten für mich, daß ich
nur Handwerker war und erst ganz langsam in die Maschine
wuchs. Ich schildere in dem Roman einfach die Arbeit, die wüsten
219
Rerle—Resselschmiede! Und wie der letzte die Zeit begriff. M-
Gladbach, Röln (Schiffswerft), Mannheim (-Lanz), Frankfurt,
Stuttgart, "Wien, die Schiffswerften von Rotterdam, die -Land-
straße Duisburg, Bochum und zuletzt Italien. Aber der letzte
Resselschmied wird kein Dichter. Er verschwindet auf einen
Amerikadampfer als Maschinist. Der Rrieg kommt dazwischen,
wie alles «Episode», Aufstieg. Daran schreibe ich zur Zeit. Den
Roman fassen 500Seiten nicht. Aber er soll werden, ganz an-
ders wie die Verse. Die sind der Sonntag der Seele.
IVenn ich ins Zivil komme, dann bau ich unser elterliches Ge-
schäft wieder auf. Mein Bruder und ich werden eine neue Werk-
statt bauen, die alte Holzbude ist auch äußerlich zerfallen. Aber
wenn wir wiederkommen, dann geht die Arbeit los! Ich habe
einige kleine Ideen auszubeuten, die von großem "wert sind und
fertig waren. Ort den letzten 15 Tagen habe ich (vor der Ein-
berufung) die Modelle zerschlagen. Jetzt aber wird's gemacht!
Es ist kein anständig -Leben als Resselschmied, als freier Mann.
IVenn ich das Zeug zum «Schriftsteller» hätte — dann hörte es
mit dem Tag auf, da ich «frei» würde. Ich würde mich verrückt
studieren. Aber die Arbeit erlöst von allen Gedanken und macht
frei. Und füllt wieder. Und nährt! Das ist doch die Hauptsach.
Machen Sie sich also keine Sorgen, wenn ich auch über die
Arbeit fluche. Sie hat mich oft zum verzweifeln gebracht, eh
ich sie erkannte. Jetzt sind wir gute Freunde geworden.
Lieben Sie wohl, ich grüße Sie herzlich,
Ihr Ramerad -Lersch.
*
Gustav Sommer, unbekannt.
Rußland, am p. Januar I9I6.
Hier ist seit Neujahr sehr schlechtes IVetter, immer Regen und
der viele Schnee, nee, da taucht meine Rellerwohnung nuscht.
Ich muß Tag und flacht "Wasser tragen und von der Decke leckt
es einem auf den Ropf, nun macht es keinen Spaß darin, aber
es ist sonderbar, alle Alte werden krank und kommen so nach der
220
Heimat, ich latsche nun schon vom Z. August mit, ich werde
nicht krank, noch nicht einmal Schnupfen bekomme ich. Unser
Arzt wundert sich auch, "wenn ich im Sommer aus den Gräben
und Löchern "Wasser getrunken habe, hat er gemeint, ich kriege
doch noch die Cholera. Da Hab ich gelacht.
*
I. R., ungenannt.
24. Januar
Ich ergreife die Feder, dir einige bar zeihlen zu schreiben, das ich
Gott sei dang gesund bin und freid mich von Heryen, das ihr
auch alle gesund seid und du mir schreibst, das der Johann braf
ist und gros ist und die Bertha, Anna, Rosa ihmer fragen, wen
ich komme in Urlaub. Liebste Frau, mir were es ja auch alle
Tage recht, aber ich kann halt auch nicht; machen, du schreibst,
ich soll bütten um Urlaub, drage du nur geduhlt; ich muß es
auch Tragen, mir ist ja auch Zeitlang, weil ich schon feit April
"weg bin von eich; das sind Jeyt schon lo. Monat, ich warde
Jetzt noch bis Mnde Leber, dan bit ich den Herrn Ober Leit-
nand, vielleicht bekomme ich doch einen Urlaub. Es ist Ja gewis,
das ein Jeder Urlaub wull, aber es komen halt die Alten zu erst,
ich freihe mich heite schon darauf, wenn es gleich noch so lange
ist. Liebe Frau, ich denge alle Nacht, wen ich auf Posten bin
auf dich und auf meine Rinder, reten kanst auf Posten nichtz,
weil wir un die franzosen nahe beisamen sind, da muß man blos
horchen und die Nächt sind lang, da schbegolird ma auf ales,
das die Zeit vergeht, wir kochen untz auch Raffe in Schützen-
graben, da sind wir 8. Mann und I.Underofüzir. das Heist
Unter Ofezirs Posten, da schtehen ihmer 2 Mann Posten und
die Andere sind in Unterstand auch 2 Stund, du solst es einmal
Heren, wen die Attolari schüst Tag wie bei der flacht, wen es
blitz und gracht. Jetzt haben wir es Ja so weid schön, weil die
Attolari nicht schüssen kan auf uny, weil wir zu nahe beisamen
sind, das ist jetzt das beste; aber es kan Infandri auch drefen,
hat auch schon manchen erwüscht, ist auch geferlich; aber nicht
so wie die Attolari. die Erste, wie ich gehert habe, war ich in
221
Schützengraben, da ist mir das feier vor die Augen herumge-
flogen. Liebste Frau, ich hette schon wie vüll zu erzehlen; aber
Gott wird undz beschützen, das wir wieder Glücklich und gesund
zu sahmen komen. dan werden wir untz miteinander ausreden,
lebt Wohl meine guten Herzer. Ls grüst und Rüst dich Tausend-
mal Dein Treier Mann bis in den Tod, auch meine Rinder.
*
G. 0 p., ungenannt.
In Schützengraben geschrieben den 27. Februar
weihl ich heute zeit habe, wiehl ich euch einen brief senden
besten Freude an euch, wiehr den 25. Februar im die haubt-
ganffstelung gezocken, dan bleiben wiehr wieder 12Tage
Traußen unt dan gomen wiehr wieder zurik 3n das dorf, wan
Gottes willen ist; weiß man nicht, wieß geht, wiehr sind ers
I Tag drausen, haben wiehr kleich einen Totten schon wieder,
der ist bei unserer Rumpei; der hat Nachts um Uhr Raffe ge-
holt unt hat eine Rugel getroffen an Ropf, der wahr Tott.
fon der Franymänner ist keine Gtunte nicht Sicher, die Schüßen
den ganzen Tage, die wahren, den 26.Februar haben wiehr
Hiniber geschrin: «Frankreich kabut». das haben gleich ferstan-
ten; haben sie wieder iber geschrihn die Frantzmänner: «Rrieg
meilehr». dan Haler kleich hin iber geschoßen. ich habe gesacht:
«Gchüß nur zu».
Liebe Anna, ich habe deinen Brief den 25. Februar erhalten;
besten Dang dafihr. Ich schau mit große sendsucht schon auf, bis
ich wied fon euch was bekam, das freud mich sehr, sagen meine
Rameraten; «ist schon wieder was dah fon Anna»; lauter gute
Rameraten. was die Nicht Essen, das bekom ich jetes mahl fon
inen. Liebe Anna, wan der Vatter hin und dah mahl beß ist
mit dihr, sage liewernichs. der ist führ unßere Haußhalen gut.
wan der nicht währe, was fanges tuh an mit den zwei Buben,
sage lieber nichs,mit dem Rrieg, ich klaube, der nimmt kein Ente
merhr. den Brief Hab ich in den Unterstand! geschrieben auf den
Rnien, keinen Tisch Hab man nicht, nachrr weift Es tu schon,
wieß geht bei unß.
*
222
R. G>, ungenannt.
It. Mai 1916, nachts Uhr.
Jltetvt Fra!
Die beben Rarden haw ich erHalde un dei Brief a. Letschterer
Hot mich ganz bsondersch gfrad. du schreibscht ich det so schlecht
aussehe! ka Wuner, daß is jo gar nit anerfcht möglich mit dere
Roscht. Morgets am siewene gibts en Feldkesseldeckel voll hell-
brauni Flissigkeit, sie sieht aus wie bier une Schaum, schmackt
bitter; die kamer trinke for Rafe oder Tee, wies eim grad be-
liebt. Brot kriegt mer glei for de ganze Dag, domits awer nit so
drucke werd, eß ichs uff e mol. Dann wird geschlofe bis am
neine.
Am neine steh ich uff, guck zu meinre Villa naus, vun dere ich
der neilich e Bild gschickt Hab, betracht mer die Bem, wie die
jeden Tag griner wern, horch wie die Nachtigall« schlage, wie
Amschle un anere vöschl pfeife un wie der Guguck kreischt. Do
wärs jo wunersche, wann nit a noch Annere pfeife und sause
deta. Die wu mer sause oder pfeife hört, sin jo nit so gfähr-
lich, awer die wu mer nit hört. Drei Schritt vun manere
Villa gibts Maiglöckle, vun dene du ich der e paar in de
Brief nei. Beim Blumeblücke dut mers weh, wann des
frisch zart grie Gras so zamme getrete werd; do denk ich im-
mer, wanns nor der liewe Herrgott damols, als er die erschte
Mensche erschaffe Hot, schun gewißt het, daß emol so e Welt«
krieg ausbricht un die Ongläner uns aushungere wolle, Ott
sicher nit vergesse het, dem Adam un der tLva newebei noch
e Gasemage eiseye. IVie kem e solcher heit zu gut, daß is s-täg-
liche Frühstück.
Am zwölfe gibts Mittagesse, die erscht Zeit Hots als noch zwe
Sorte Flesch gewe, nehmlich Lettes und Macheres. Awer jetzt
gibts bloß noch's letschtere. Die Portion is so, daß besser war,
wann mer e Vergrößerungsglas ufffeye der bam esse, damit
mer größere Srücker runerschneide könnt. Die Flesch, wu mer
krische, is scheinbar vun Riner, wu de V*o<t noch de Sintflut
ausgschifft Hot. Des is so zeh, daß mer e Löwegebiß braucht
zum verkaue un en Schweinemage zum verdaue. Die Supp is
gut, awer nit so fett; s'gucke immer me Age (Augen) nei wie
raus. Zum Ftochdisch gibts Bonebrei, die Bone sin awer schein-
223
bar nit wech ze koche, deshalb schwer ze verdaue un ich glab, daß
se bal, wamer die seichte Witterung palte, nit weit vun unsere
Villa se blihe afange, das is de Mittagsdisch.
Um viere gibt» desgleiche wie am neine. Am sechse owets gibts
wider die Flifsigkeit wie morgets bloß ke Brot, des hew ich
morgets schon gesse, damite bis owets nit so drucke wore is.
Sobal der Tee eingenumme is, werd noch e Pfeif geragt, dann
ge mer ins Bett. Mei Bett is ganz aus Holz un Hot des ene
Gute, daß sich unser Haustiere nit so gern bei mer uffhalte. De
Winder is jetz vorbei, ich häb awer immer noch ka Friehlings-
gedanke. Ich häb schun zwemol die Woch Afäll bekume, daß ich
gement häb, die Fuß wäre owe un de Ropp une, wies halt so
geht durch die Ludernot. Vun unsere Maioffensive erzähl ich
der, wenn ich ham kum, daß mer doch uff die Art e Unerhaldung
hawe.
*
Erwin Trzebiatowsky,
geb. I4.Iulil895 in Dedeleben,
gest. 2*. Februar 1927 in Wellingsbüttel.
17. Januar
... Der Geist ist noch da, Schwester, nach so langer Zeit. ich
danke Gott! — Wir müssen siegen, und mag es nach Z Jahren
sein. Bis jetzt mag jedem verziehen sein, der sich der allgemeinen
Forderung noch nicht untergeordnet hatte. Doch jetzt ist der Ernst
da, und jeder muß ihn erkennen. Mögen sie ihr Maul halten
vom Frieden und ihren geliebten Magen an Geringeres und
weniger Gutes gewöhnen. Warum hörst Du denn Hindenburg so
gar nicht vom Frieden reden? Er weiß, daß kühle Berechnung
und kraftvoller Wille bei unserem Gegner Platz gegriffen hat.
Und in diesem Winter wird nirgends so gearbeitet werden wie in
Deutschland. Damit aber diese schwerarbeitende Bevölkerung
leistungsfähig ist, muß sich jeder einschränken. Hinreichend ist
da. Nur darf nicht geäst werden. Wohl habe ich gestaunt, als
wir uns an meinem ersten Urlaubstage zu Tisch setzten, und
der Ernst ist mir klar geworden, wie ich verglich: Frieden
und jetzt. — Jetzt ist wirklich ganz Deutschland am Rriege be-
22*
teiligt. Helfe jeder nach seinen Rräften. Ich habe mich daran
gewöhnt, nicht mehr satt zu werden. Es geht. — Mit Recht
denkt alles mit Sorge an den Frühling IpJ6. Ich aber weiß:
IVir siegen!
*
Ernst Herold,
geb. 28. Mai 1890 in Boizenburg/Elbe,
verm. 22. April 1916Höhe Z05.
Westen, 26. Februar lplö.
Es schneit — schneit und schneit. Und es friert, der Nordwest
pfeift. Heute Morgen gegen 7 — unendlich erschöpft von der
zehnstündigen harren Arbeit zurück — vier Stunden geschlafen
auf verlaustem Strohsack und heute Abend wieder hinaus in
die Gräben. TDetm da der Humor noch nicht gelitten hat, —
wenn man Schnupfen und Erkältung vergißt, so sollte das
doch mindestens ein Zeichen tadelloser geistiger und körperlicher
Gesundheit sein. ¥7«ch wie vor beherrscht mich dasselbe gleich-
mäßig ruhige Frohgefühl, das nicht das harte Muß anerkennt,
sondern das sich freiwillig und gern auch der härtesten Arbeit
unterzieht. So einfach glücklich und zufrieden bin ich nie ge-
wesen, so ohne alle Ansprüche an das -Leben und seine weichen
Gewohnheiten. Und fehlt Schmalz und "Wurst — so tut's auch
ein Stück Rommißbror. Man quält mich wieder, ich soll
Offizier werden — und ich kann's nicht. Ich will nichts
geschenkt haben — will kein Notbehelf sein. IVenn sie mich
befördern wollen vor dem Feind, — mir soll's eine Ehre sein.
Aber nicht fabrikmäßig etwas werden, was mir höchster Lohn
dünkt für jeden Soldaten. Nicht darum bin ich freiwillig
hinausgezogen. Also — erledigt. Nun muß ich Euch doch
bitten, das Hemd recht bald abzuschicken, denn eine solche
Unmasse von Ungeziefer kann man kaum noch ertragen.
IVenn wir abgelöst werden, so möchte ich möglichst bald wieder
sauber sein.
*
15 D. d. S.
225
Mmil Uetforn,
geb. 2?. Juni 1880 in Skötschen.
2. Februar
... IVihr haben fiel Arbeit zu Tuhen mit lLis und Schnee und
"Wasser, das der Rrig bald ein iLnde wierd haben, ist noch keine
aussiegt. Die Augen sind imer nach dem Feind Und die Ge-
danken nach der Heimat. Die Russen zwiel -Leute, sind hier sehr
faul gewesen, das Land ligt Ales IVister. Die Beime -Liegen
Rreiz und Rwer Iber enander Umgefalen. Und die Beime sind
Bemost von Oben bihs Unten. Und wiel ihnen was Mohs mit
schicken zum Andenken von Rußland....
Rußland den 5. Mär;
IVertes Freilein, diese Tage haben wier welche Rameraden Ver-
loren. Die IVan zu reine Fezen Zerrissen von die Rusche Aralri,
der Russe ist Unz zornig geworden, durch seine vielen Schisen
Trift er doch ab und zu mal in Unsere Unter Stende rein. Wen
der Russe mit feine Schwere Arelrie Unz beschift, denn Siezen
wier wie die Meisgen Stiele und Ruken einen dem Anderen mit
Traurigen Blicke an.
"wertes Freilein, sie wollen es wiesen was ich fier -Landsmann
bin. Ich bin von Vstpreisen, das Dorf Heist Rosmeden, die Stat
Heist Goldap. Ich habe ein kleines Gartten Grundstiek. Das
haben auch die Russen zerfteert. Das Haus Steht, das Mebel ist
Ales verbrand, mit das Mebel haben die Russen den Ofen ge-
heizt. In Rußland haben die Leitte kein Mebel, die Russen
haben blohs fiel Rinder und -Leise. Und die U)eiber siend so
Schmirig, wen einer die mecht an die "wand schmeißen, den
bleiben die Mener und Frauen und Rinder Rieben. Gezt wie!
ich mein Schreiben schlisen. Beste Grieße.
*
Fritz Frasch,
geb. 18. Mai I8?I in Rulle b. Osnabrück.
Ostfront, im Februar Iplö.
Schon den ganzen Tag ertönen unaufhörlich die Signale des
Telefons: «Hier Bataillon! Hier 9-, hier II., hier 10., hier 12.
Rompanie! Im Falle eines Alarms besetzen Sie den 2. Riegel!
226
— Es ist sofort zu melden, wieviel Patronen fehlen! — Die
Rompanien geben die Zahl der noch vorhandenen Handgranaren
an! — Jede Rompanie stellt sofort einen "wagen zum Abholen
von Munition von Goroditsche! — Ein Zug der 9. Rompanie
steht im Falle eines Alarms der 12.zur Verfügung! — Es ist
den Leuten nochmals aufs schärfste einzuprägen, daß alle Stel-
lungen bis auf den letzten Mann zu halten sind! — Jede Rom-
panie holt sofort den fehlenden Bedarf an Munition ein! —
Es ist festzustellen, ob die nötige Zahl von Gasmasken vorhan-
den ist! — Allerhöchste Alarmbereitschaft! — von 5 Uhr ab
stehen sämtliche Mannschaften im Graben! Russen planen einen
Angriff auf ganzer Front!»— IVir lachen ob dieser Meldung,
wie oft haben wir schon auf einen solchen gewartet, aber immer
vergeblich. Doch scheint diesmal tarsächlich ein Grund vorzu-
liegen, denn unaufhörlich rollt nördlich und südlich unserer Stel-
lung der Donner der Geschütze! Endlich einmal Erlösung nach
dem fortwährenden Einerlei, ein Augenblick, in dem man den
Zweck seines Daseins deutlich spürt, eine kurze Spanne Zeit, in
der alle Rräfte angespannt werden müssen und — der Tod viel-
leicht wieder reiche Ernte halten mag. Aber noch ist ja alles so
ruhig wie gewöhnlich. Der Abend bricht an, finster wird die
Nacht, zahlreiche Leuchtraketen steigen empor. Vichts! — Die
Hälfte der Mannschaften begibt sich für einige Stunden zur
Ruhe, um dann die andern abzulösen. U?ir schlafen den Schlaf
der Gerechten! Der Tag beginnt zu grauen, es wird hell, grau
und dumpf liegt noch der Morgennebel über dem Tal, das die
beiden Stellungen trennt. Alles wie hundert andere Morgen,
und doch wittert man irgend etwas Besonderes! Vielleicht sind's
auch nur die erregten Nerven nach einer dienstreichen flacht.
Da zischen einige Granaten über den Unterstand hinweg, ein
furchtbarer Rrach. Verfluchte Hunde! — Die Salve lag zu
weit, einigen Bäumen hinter unserm Graben hat's die Äste
abgerissen, sonst nichts, "wieder ruhig! Aber es ist Stille
vor dem Sturm! Dieses Mal gilt's! — Fernher ein Ab-
schuß. Ebenso schnell das unheimliche Zischen, schon spritzt uns
Lehm und Dreck um die Ohren, ein furchtbarer Rrach, Rauch-
und Dreckwolken — etwa Z m vorm Drahtverhau mächtige
Trichter! Alles still, minutenlang lauschen wir. Der Gedanke
aller ist derselbe: die Schweinehunde wollen sich einschießen!
15-
Es ist höchste Zeit, daß die Rüchen herankommen; man ver-
tröstet uns durch das Telephon — es geht nicht, die Anmarsch-
wege werden unter Leuer gehalten. Ein Stück trockenes Rom-
mißbrot muß für heute genügen, «vielleicht wird es gegen
Abend ruhig», sage ich meinen beuten, denke aber: «Heute
abend gibt's blutige Arbeit! Gonseidank, endlich!» Vlach-
mittags 2 Uhr. Das Ronzert beginnt! Mehrere Salven hinter-
einander gehen über unsere Röpfe hinweg und schlagen auch bald
darauf ein. Ich gebe dem Telephonisten neben mir den Befehl,
Reserveleitung einzuschalten, bekomme gleich daraufNachricht:
«Sperrfeuer! Vorne durchhalten!» «Selbstverständlich!»ist die
einzige Antwort. Dann alles ein (Qualm, Staub, Summen und
prasseln. «Alles im Graben knien!»lauter der kurze Befehl, der
aber vollkommen überflüssig ist, denn der jedem Menschen na-
türliche Wille zum Leben hat diesen Befehl längst gegeben. Un-
aufhörlich dieses Zischen, Rrachen und Toben des Elementes.
An wen soll ich auch denken? — An Gott? — Wenn wir den
erst in diesem Augenblick suchen wollen, ist uns wenig geholfen.
Zudem ist die Religion der Tat hier entschieden mehr wert als
die des Wortes! — An die Heimat? — Sie kann uns auch nur
wenig nützen, sie müssen wir in dem Augenblick hinter uns
lassen, in dem uns der Zug über die Grenze trägt. — An die
Eltern? — Darin fühle ich eben anders als die vielen Taufende
von Menschen, auf sie kann ich auch keine Rücksicht nehmen.
— An die Vergangenheit? — Sie liegt schon Jahre weit zu-
rück, wenigstens erscheint es so; denn jede Rriegswoche erscheint
uns wie ein langes Jahr und dennoch wieder wie ein kurzer
Traum. — An-Liebe? —Ich kann an keine Liebe glauben! Des-
halb ist es mir auch so entsetzlich gleichgültig, ob mich jetzt eine
Granate zerfetzt oder eineRugel mir den Schädel durchbohrt.
Und doch taucht der Wille zum Leben immer wieder auf, regiert
unbewußt den ganzen Rörper; ich ärgere mich, wenn ich in-
stinktiv zusammenzucke, und tue es doch bei jedem Aufblitzen der
Geschosse.
Die Sonne neigt sich tiefer und tiefer, die Finsternis schleicht
schnell heran, plötzlich eine Pause in dem fürchterlichen Lärm.
Nur noch Sperrfeuer. Werden die Gegner jetzt kommen?
Leuchtraketen steigen auf, die Scheinwerfer spielen. Die Augen
brennen von der Anstrengung. Da blitzt unten im Tal Leuer
228
auf, erst einzeln, dann im rastlosen Taktaktak. In der Finsternis
erscheint es nahe hinter unseren verhauen. Leuerbefehle. Unsere
Leute stehen in stoischer Ruhe an ihren Gewehren und schießen.
«Stopfen!» hallt es durch den Graben, "wieder Ruhe, dann
abermals ein Heulen, Zischen und Rrachen. Alles hockt wieder
unten im Graben. Ein Baum stürzt über uns zusammen. *£«
kommt Meldung, daß ein paar Schießscharten zertrümmert sind,
sonst nichts.
Nun schwillt das Getöse von Minute zu Minute, es ist unmög-
lich, die einzelnen Batterien zu unterscheiden, die uns verderben
senden wollen. Aber ist es die elende Munition, ist es das schlechte
Rrepieren der Granaten ?Bis jetzt ist noch alles gut abgelaufen.
Dabei keine bombensicheren Stände für die Leute tief unter der
Erde, nur schmale, tiefe Gräben bieten uns den nötigen Schutz.
Gegen Schrapnells sind wir so gut wie gar nicht gedeckt. Un-
bewußt summt mein Nebenmann: «Nun ade, Lowise, wisch
ab dein Gesicht, eine jede Rugel, die trifft ja nicht!» —
Eine bleierne Müdigkeit bemächtigt sich meiner, dieses Höllen-
konzert schläfert ein, ich möchte schlafen, schlafen, schlafen! —
Da, ein Schrei, markerschütternd, der sofort die ganzen Sinne
wieder erweckt. Du bist ja verantwortlich für das Leben vieler
Menschen, die man dir anvertraut hat. Dieser eine Tote hat mich
mein eigenes erbärmliches Leben vergessen lassen. Und wie eine
Maschine handele ich von jetzt ab. Das Leuer verstummt plöy-
lich. Jetzt ist der Augenblick gekommen, an dem es für uns alle
gilt, Tod und Verderben auszusäen, und wir schießen, schießen,
schießen in die dunkle Nacht hinein!
Am andern Tage meldet der Telegraph in die "Welt hinaus:
«Russischer Angriff im Reime erstickt!».
*
Herbert Hoyel,
geb. l l.November 1892 in Dortmund,
gef. 27. Dezember 191 6 über Arrigny.
valenciennes, den 12.Februar
Mein übertriebener Eifer, möglichst schnell zur Truppe zu kom-
men, hat sich schwer gerächt: nachdem man mich von <h. nach
229
iL und schließlich nach t>. geschickt, war ich Z Tage vor meinem
Bataillon, das als letztes aus Serbien abfuhr, hier. — Wie
hörbar der Spionageapparar arbeitet, dafür folgendes Beispiel:
meine 'Wirtin — eine ehrwürdige Matrone, die mit ihrem ebenso
alten Mann allein und zurückgezogen lebt, empfing mich, den
(Quartiersuchenden, mit den Worten: «Ah monsieur, vous eres
de la division qui viendra de la Serbie!»— Ich war sprachlos
und leugnete. Dabei waren nur einige (Quartiermacher, der
Division vorausgeeilt, in Anzin tags zuvor gewesen. Gibt es
nicht ein Wort des Inhalts: der Soldat soll für sein Vaterland
nicht nur kämpfen, sondern auch schweigen? Das -Letztere ist
entschieden das Schwierigere. —
*
Mugen Arnst.
geb. 2£.August I Spö in Berlin.
Tagebuch.
12. Februar I9I6.
während der ganzen Ha<ht und bei Tagesanbruch des 12. Fe-
bruar, dem Tage des Angriffs auf Verdun, regnet es ununter-
brochen. Dichter Regendunst liegt über dem Angriffsgelände,
jede Sicht nehmend. Der Zeiger der Uhr rückt langsam auf
8 Uhr morgens. Die Spannung bei uns und allen Angriffs-
truppen wächst von Minute zu Minute. Um 8 Uhr soll die Ar-
tillerievorbereitung beginnen. Der Uhrzeiger zeigt schon einige
Minuten nach 8. Rein Befehl zur Eröffnung des Feuers er-
folgt. Endlich, nach einstündigem 'warten erfahren wir, daß
der Angriffsbeginn wegen des nebligen Wetters auf 2£ Stun-
den verschoben ist. flach der Nervenanspannung des Wartens
eine schwere Enttäuschung. Wir benutzen die gewonnene Zeit,
um unsere Munitionsunrerstände weiter auszubauen.
IZ. Februar lylö.
Der nächste Tag. Um 8 Uhr früh zur befohlenen Angriffszeit
erschallt das Rommando durch die Batteriestellung:
«An die Geschütze! An die Geschütze!»
230
Um uns herum türmen sich Berge von Munition. LLs regnet,
"wiederum liegt dichter Dunst über dem Gelände. Die Gicht ist
noch schlechter als am Vortage. Der Regen nimmt zu. Rurze
Zeit nachher meldet die Telefonwache das bekannte Stichwort:
«Schlamassel steigt 25 Stunden später!»
"Wieder die Entspannung der Nerven. Nieder die lLnttäu-
schung bei uns und allen Angriffstruppen.
Ich mache befehlsgemäß eine Telefonpatrouille nach vorn zum
Beobachtungsstande meiner Batterie. Unterwegs treffe ich viele
Infanteristen mit Sturmgepäck. Sie fragen mich:
«Fangt Ihr denn nicht bald mit dem Artilleriekampf an? Das
"warten ist ja furchtbar! "wenn es doch bloß losginge!» Die In-
fanterie hat es besonders schwer. In unzulänglichen Unter-
künfren hocken sie dichtgedrängt beieinander; die Stunden ver-
rinnen langsam. Das Natten auf den Angriff von Tag zu Tag
geht an die Nerven. Die Unterkünfte sind undicht, der Regen
tropft herein. Die Stollen im Ormontwalde ersaufen. 25er lie-
gen in ihnen. Und es regnet, regnet ununterbrochen. Tag für
Tag. Manchmal verwandelt sich der Regen sogar in "wölken-
brüche. Auch Schnee fällt! Ein orkanähnlicher Sturm gesellt
sich hinzu. Gräben, Unterstände ersaufen. Auch unsere mir un-
endlicher Mühe aufgebaute Batteriestellung versackt allmählich.
Mir knapper XTot können wir die Munition vor dem Unbrauch-
barwerden durch Nässe schützen. Und dazu das "warten, "warten
von Tag zu Tag auf den Angriffsbefehl!
"wir erhalten noch mehr Munition. Infolge der Regengüsse
können die Munitionswagen nicht mehr an unsere Feuerstel-
lung heran, "wir tragen die schweren Munitionskörbe keuchend
durch den Sumpf, in den sich unsere Stellung verwandelt hat.
15. Februar lplö.
In der Feuerstellung das alte Bild: "wir warten auf den An-
griffsbefehl, der, wie wir genau wissen, auch heute nicht er-
folgen wird. Das "Wetter, die Elemente sind stärker als noch
so schwere Geschütze und Minen, "wir versuchen, die in der Nacht
erhaltene Munition in Löchern nach Möglichkeit vor der Nässe
zu schützen. Uber 5000 Schuß haben wir jetzt in der Feuerstel-
lung. Es regnet und stürmt ununterbrochen, "wir bauen uns
aus Brettern, "Wellblech und Dachpappe einen geräumigen
2ZI
Mannschaftsunterstand. In die Erde geht es nicht, also dann
auf die Erde. Der Unterstand schützt uns vor den Elementen,
aber jede Infanteriekugel kann durch.
Ich begebe mich zum Telefondienst im Beobachtungsstand. Die-
fer liegt am sog. «Rap der guten Hoffnung». Gegen Abend blitzt
und donnert es: Ein Gewitter im Februar! Die Natur hat sich
wirklich gegen uns verschworen.
Februar
Als ich nachts bei der Ablösung aus dem Beobachtungsstand
krieche, traue ich meinen Augen nicht — Regen und Sturm ha-
ben nachgelassen. Es ist heller Mondenschein. Ich gehe den
Rnüppeldamm, einen einsamen Waldweg zwischen unserem
Beobachtungsstand und der Feuerstellung, entlang. Alle Bäume
und Sträucher erscheinen bei der fahlen Mondbeleuchrung ge-
spenstig und unnatürlich. Dazu herrscht lautlose Stille; kein
Schuß fällt. Und doch, und doch — es lauert und wittert in
allen Zweigen und Ästen: Tod und verderben!
21. Februar 1916.
Auf die Sekunde pünktlich brüllen mehr als 1200 Geschütze
auf. V~Ioch nie gab es das in der ganzen Rriegsgeschichte. Auch
wir jagen die ersten Schüsse aus den Rohren. Schnell haben
wir uns auf unsere Ziele eingeschossen. Dann geht es Schlag
auf Schlag. Raus aus den Rohren, was nur raus kann! Uber
uns rauschen und fauchen die großen Raliber. In dem Feuer-
orkan hören wir einzelne besonders schwere Einschläge: Z8- und
42 cm-Raliber! vom Beobachtungsstand erhalten wirdieMel-
dung, daß das ganze feindliche Stellungssystem in Rauch und
(Qualm verschwindet, vom Feinde selbst ist nichts zu merken.
Wir sind gehobenen Mutes. Mit wahrer Lust jagen wir die Ge-
schösse aus den Rohren heraus. Der Schweiß rinnt uns in Srrö-
men herunter. Beim Abziehen lösen wir uns ab. Stundenlang
geht das so, Schlag auf Schlag, Schuß auf Schuß! Die leeren
Rarruschen werden zuBergen um unsere Geschütze. Wir schießen,
schießen, schießen ohne Unterbrechung. Mittags beginnen die
Minenwerfer ihr Wirkungsschießen. Das Getöse wird noch
größer. Wir hören vom Beobachtungsstand, daß die Franzofen
dieRnochstellung geräumt haben und in dasHerbebois flüchten.
2Z2
Zur selben Zeit fliegen mit unheimlichem Rrachen zwei feind-
liche Minenfelder am Haumonrwalde in die Luft, verdun selbst
wird mit deutschem Lernfeuer belegt.
Nachmittags zwischen $ und 5 Uhr steigert sich unser Artillerie-
feuer zum Trommelfeuer. Unsere Batterie schießt in der Stunde
etwa 200 Schuß. Der Befehl kommt:
«von 4- Uhr 50 bis 5 Uhr Schnellfeuer».
Die Hölle bricht los, der Lärm, das Getöse ist unbeschreiblich,
wir hören gegen 5 Uhr nachmittags, daß die Franzosen aus
dem Südrande des Herbebois flüchten.
Punkt 5 Uhr nachmittags verläßt die deutsche Sturminfan-
terie die Gräben; man hört Maschinengewehrfeuer aufflak-
kern. titeist also unter unserer Feuerwalze noch nicht, wie an-
genommen, alles Leben erloschen. Rurze Zeit später tau-
chen Gruppen gefangener Franzosen in ihren blauen Män-
teln bei unserer Stellung auf; ein, zwei Deutsche zur Be-
wachung dabei. Ihre Gesichtszüge zeigen noch den Schrecken
des überstandenen Trommelfeuers. Gegen 6Uhr abends er-
fahren wir, daß die I. und 2.feindliche Linie in unserer Hand
sind. —
25. Februar lylö.
Zwischen Z und 4 Uhr wird unser Feuer wieder zum rasenden
Trommelfeuer. Punkt 4 Uhr verläßt die Sturminfanterie die
Ausgangsgräben. Nach kurzer Zeit ist bereits das Angriffsziel
des heurigen Tages, eine vom Nordrand des Chauffourwaldes
sich hinziehende, im Entstehen befindliche neue Stellung, er-
reicht. Aber die Infanterie stürmt weiter. Wir lassen unsere
Feuerwalze vor den Infanteristen hergehen.
In derselben Zeit wird Fort Douaumont mit schwersten deut-
schen Ralibern unaufhörlich bearbeitet. Bis auf vereinzelte
Posten siyt die Besatzung in den Rasematten. Da ereignet sich
am Spätnachmittag das für Freund und Feind Unglaubliche:
Die Deutschen sind im Fort! Im rasenden Feuer
eigener schwerster Granaren haben sich Hauptmann Haupt,
Oberleutnant Brandis und Leutnant Radrke mit einigen.
Tapferen verschiedener Regimenter an das Fort herangearbeitet,
die französischen Posten überrascht und nach kurzer Zeit das
gesamte Fort erobert.
233
26. Februar
Nach kurzem Aufatmen dasselbe wahnsinnige Feuer! Wieder
liegt Offizier und Ranonier an die Erde gepreßt. Aber wir
passen doch auf rote Leuchtkugeln unserer Infanterie auf, das
Anforderungszeichen für Sperrfeuerschießen. Die Einschläge
krachen und bersten, zuweilen verdichten sie sich. Die Hölle ist
los! Es ist um uns herum nichts mehr zu unterscheiden. Die
Nerven sind bis aufs Äußerste angespannt. Man empfindet die
Ohnmacht und Schwachheit des Menschen gegenüber diesen
rasenden Eisenteilen.
Wir schießen. tt>ir werden beschossen. Wir schießen. YDir werden
beschossen. Die Munitionskolonnen jagen mehrere Male am
Tage in unsere Stellung und werfen die schweren Geschoßkörbe
mit möglichster Schnelligkeit ab, denn es ist «dicke -Luft» und
jeden Augenblick kann ein neuer Feuerüberfall einsetzen und
alles vernichten. Laufend, jagend holen wir die neue Munition.
Wir schießen Tag und Nacht. Immer brüllen unsere Geschütze.
Es geht nicht vorwärts. Der Feind verstärkt sich von Stunde
zu Stunde. Unsere Infanterie ist zu schwach und, da bisher nicht
abgelöst, zu abgekämpft. Daß der Widerstand des Feindes sich
mehr und mehr versteift, merken wir an der wachsenden Stärke
des Feuers, das wir abbekommen. Die Feuerüberfälle erfolgen
in immer kürzeren Abständen, an Heftigkeit werden sie immer
wütender.
27. Februar
Unser neuer Beobachtungsstand liegt im Fort Douaumont.
Unsere Fernsprechleitung dorthin ist dauernd entzwei geschossen.
Stärkstes feindliches Sperrfeuer liegt Tag und Nacht zwischen
unserer Feuerstellung und dem Fort. Diese Feuerzone, undurch-
dringlich erscheint sie, müssen unsere Störungssucher zum Flik-
ken der Leitung stets durchschreiten. Jedesmal ist es ein Welt-
lauf mit dem Tode. Sie wissen es; wortlos gehen sie. Abgehetzt
kehren sie zurück und müssen schon wieder los, der Draht, die Ver-
bindung zum Beobachtungsstand, ist wiederum gestört.
Es ist uns gelungen, dem Boden in mühevoller Arbeit wenig-
stens etwas Deckung abzuringen, über unsere etwa l Meter
riefen Löcher spannen wir nachts unsere Zeltbahnen. Wir
kriechen hinein und haben ein «Dach» über dem Haupt. Un-
2Z5
willkürlich hat man das Gefühl, in Sicherheit schlafen zu
können.
Sonntag früh schrecke ich um 5 Uhr aus unruhigem Halbschlaf
auf. Ich will aufspringen, unwillkürlich ducke ich mich sofort
wieder. Es tobt, kracht und faucht um mich herum. Mit nerven-
peitschendem Rnall schwirren die Gprengstücke. Aus dem Feuer-
orkan heraus hören wir vor uns rasendes Gewehr- und Ma-
schinengewehrfeuer. Uberall gehen rote Leuchtkugeln — drin-
gende Sperrfeuerrufe — bei der Infanterie hoch. «Helft uns,
helft uns», rufen die roten -Leuchtkugeln, «der Franzose greift
an». «Schießt Sperrfeuer, schießt Sperrfeuer, daß sie nicht
durchkommen!»
Wir sehen und hören nicht mehr das tobende Einschlagen
der wütenden Granaten zwischen uns. Es gibt nur noch
eins für uns: unserer Infanterie helfen, den Feind nieder-
zuzwingen, so viele als möglich zu vernichten. Und wir
sind an unseren Geschützen, die Einschläge krachen um uns,
wir merken es schon nicht mehr und schießen Sperrfeuer,
immer auf dieselbe Stelle mit geringen Abweichungen nach
links und rechts, vorne und hinten. Glicht mehr der Bat-
terieführer hat das Rommando, sondern jeder Geschützführer
für sein Geschütz selbständig. Jedes Geschütz ist vom Vlach-
bargeschütz durch explodierende Granaten, Rauch, «Qualm ge-
trennt. Die Schlacht tobt. Dasselbe Bild bei allen hier einge-
setzten Batterien.
Flach einiger Zeit merken wir die Wirkung. Das feindliche Feuer
läßt nach. Der in früher Morgenstunde erfolgte Angriff der
Franzosen ist abgeschlagen.
Doch es gibt keine Feuerpausen. Wir schießen weiter, den gan-
zen Tag. Immer raus aus den Rohren, was nur möglich ist.
Die Rohre dampfen. — «Man könnte Raffee auf ihnen kochen»,
bemerkt einer meiner Geschützkameraden. —
Zur gleichen Zeit wird auf dem Wege zum Fort Douaumont
eine zur Wiederherstellung der zerstörten Telefonverbindung
entsandte Patrouille getötet. Die Batterie ist ohne Verbindung
mit ihrem Beobachrungsstand. Eine zweite Telefonpatrouille
verläßt die Feuerstellung. Es vergeht Zeit. Die Verbindung
zum Beobachtungsstand ist immer noch nicht hergestellt. Auch
die zweite Patrouille bleibt verschollen.
235
«Freiwillige vor zum Gang durch die .Totenschlucht', durch das
rasende Leuer!»
Zwei der vielen sich Meldenden werden vom Batterieführer be-
stimmt, ein Vizewachrmeister schließt sich freiwillig noch an.
Die Tapferen haben Glück. Nach kurzer Zeit ist der Draht wie-
der einmal geflickt, die Verbindung mit dem Beobachrungs-
stand im Fort Douaumonr wieder hergestellt. Abgehetzt langen
die Drei unversehrt in der Feuerstellung an. —
Auch diese Hflcht ist äußerst unruhig. Das starke Feuer reißt nicht
ab. von § bis 6Uhr früh habe ich Geschüywache, dabei Muße,
das nächtliche Schlachtfeld zu betrachten:
lAn einzigartiges Feuerwerk ist um mich herum. IVeiße, gelbe,
grüne, rote Leuchtkugeln gehen ständig hoch, dazu das Aufblitzen
des vielfachen Mündungsfeuers, das Aufleuchten der Explo-
sionen. Über mir rauscht und braust es, hinüber—herüber; eine
unendlich große Anzahl niedrig und hoch ihre Bahnen ziehen-
der Granaten, ohne Unterlaß, ohne Unterbrechung. Dazu das
dauernde Rollen und Dröhnen. Ich denke an die toten Rame-
raden, die dieses blutige Bild des heurigen Sonntagabend nicht
mehr sehen. Sie liegen stumm und starr. —
28. Februar I9I6.
«Totenschlucht»! Das «Fort».
Um zum Fort zu gelangen, müssen wir durch die berüchtigte
Hasfoule-Schlucht, «Totenschlucht» genannt. Sie führt ihren
Flamen zu Recht, denn Tag und Nacht liegt mir kurzen Unter-
brechungen schwerstes Sperrfeuer auf ihr. Die Franzosen suchen
das Fort durch diesen Sperrfeuerriegel von der Außenwelt ab-
zuschneiden.
Lvir müssen durch! tvir machen uns fertig, vor uns rasselt das
Feuer. Ich werfe einen Blick auf mein Geschütz, mit dem ich
Freud und JLeiblange Zeit geteilt habe. IVir Fünf ziehen los.
Rurze Zeit später läßt das Feuer in der «Totenschlucht» nach.
IVir betreten die Schlucht, auf den Augenblick des nächsten
Feuerüberfalls lauernd. A>ir gehen die zum Fort führende ehe-
malige Chaussee entlang. Trichter neben Trichter; Tote auf
beiden Seiten der Straße; eine Unmenge Ausrüstungsgegen-
stände, Gewehre, französische Stahlhelme usw., auch Blind-
gänger liegen auf unserem U?ege. ttttr gehen in beschleunigtem
236
Tempo. Wir sind in der Sperrfeuerzone. So mancher ist hier
schon mit dem Tode um die Wette gerannt. Doch wir haben
Glück: Der Feuerüberfall verschont uns.
Und dann taucht der dunkle Roloß vor uns auf: Fort Douau-
mont! Noch einige Sprünge über zerschossene Gräben und
Hindernisse, und wir sind im Fort. Starke Gewölbe und Rase-
matten, die bisher der Beschießung standgehalten hatten, um-
geben uns. Die Orientierung im Fortinneren ist in dem Gewirr
der Gänge und Stollen schwierig, viele Gänge führen steil
abwärts, andere wieder steil aufwärts. Nässe macht sich überall
bemerkbar. Rerzen «erhellen» flackernd die Gänge. Man hört
im Innern des Forts die dumpfen Erschütterungen der draußen
krepierenden Granaten. Die Luft ist schlecht, es riecht nach
menschlichen Ausdünstungen, Rarbol, Pulverdampfund allem
möglichen.
Wir verlassen nach Erledigung unseres Auftrages das Fort,
"wieder in der Hassoule-Schlucht. — Wieder ist uns das Glück
auf unserem Wege durch die Schlucht hold. Wir gelangen un-
versehrt über das Trichterfeld zum zerschossenen Zwischenunter-
stand.
Gähnendes Dunkel starrt uns entgegen. Der Unterstand — ein
ehemals französischer — ist ca. 2 bis Z Meter tief in die Erde
eingebaut. Der Volltreffer hat die Decke durchschlagen und ist
im Innern krepiert, alles Leben zerreißend und zerfetzend, was
zur Zeit in ihm war. Mit Mühe können wir uns Eingang ver-
schaffen.
Wir lassen vorsichtig den Lichtkegel einer Taschenlampe — um
die Aufmerksamkeit des Feindes nicht auf uns zu lenken — in
das Innere des Unterstandes gleiten:... Ein entsetzlicher An-
blick bietet sich unseren Augen. Am Boden, an den Wänden,
überall liegen und kleben zerfetzte Menschenteile. Unsere ehe-
maligen Rameraden. Wir raffen uns auf. Es ist unsere Pflicht,
unseren Toten ein anständiges Grab zu geben. Wir sammeln
die zerrissenen Überbleibsel, legen sie auf die mitgebrachten
Bahren, verhüllen sie mit Zeltbahnen. Reiner spricht ein
Wort....
-I-
237
Otto Wedler,
geb. IS. Iuni I896 in Hamburg,
gef. ZS. Juli 1916in Lholoniow i > Wolhynien.
Westen, 8. Juni I9I6.
Also am 18., abends <5 Uhr, brachen wir von dem Waldlager
auf. Vorher war noch ein ergreifender Feldgottesdienst gewesen.
Unsere Ausrüstung, Sturmgepäck d. h. Mantel mit Rochge-
schirr und Sandsack, worin Proviant für 4 Tage, denn vorne
gibt es nichts. Ich hatte Schnürschuhe angezogen, um beim
Sturm besser laufen zu können, dann Roppel mir Patronen-
raschen mit 150Patronen, Seitengewehr, Schanzzeug, Gas-
maske, 2 Handgranaten; später kamen noch pro Mann Z mehr
und großes Schanzzeug dazu. Außerdem hatten wir zum ersten-
mal an der Front die neuen Stahlhelme auf, die nicht so leicht
sind.---
Punkt 4 Uhr 30heißt es für die erste Welle: «Alles aus den
Graben!» Dann folgt 2. und Z. Welle, bei der Z. bin ich. Aber
da oben «zugte» es doch stark. €in wahnsinniges Maschinen-
gewehr- und Infanteriefeuer, wir stürmen im Schritt, kaufen
ist hier fast nicht möglich, Loch an Loch, und nun seyt bereits
das feindliche Sperrfeuer ein, da geht's hindurch. Jetzt sind wir
an den Drahtverhauen, stellenweise schon zerstört. Darüber hin-
weg, aber ru—hig. Wer hier hängen bleibt, ist verloren. Ob
links oder rechts einer fällt, sehen wir nicht, jeder für sich selbst,
das Heil liegt vorne; ein Tiefsprung, wir sind im ersten fran-
zösischen Graben, er ist schon voll von gefangenen Franzosen,
die Flammenwerfer haben gewirkt. Aus den Unterständen kom-
men sie scharenweise und geben sich gefangen, froh, erlöst zu
sein.
Wir müssen weiter, zum nächsten Graben. Hoch habe ich keinen
Vlahkampf gekämpft. «Marsch marsch!» Wieder Maschinen-
gewehrfeuer, Granaten, Schrapnells, Gewehrfeuer, ein Pfei-
fen oft dicht am Ropfe. Ich kann nur unter Aufbietung aller
Willenskraft mitkommen. Mein Hals ist trocken und keinen
Tropfen Wasser, ich jappe wie ein Hund.
Einige gehen los, Wasser zu holen, ich mit, bin durch die Rühle
der flacht wieder etwas aufgefrischt. Endlich ein Granatloch,
in dessen Grunde ein kleiner Wassertümpel, worin der Mond
2Z8
sich spiegelt. Hinunter und getrunken, viel, viel, aber es schmeckt
ekelhaft, nach Pulver und Lehm, es ist gleich, Feldflaschen ge-
füllt und zurück. heißt auf der Hur sein, Handgranaten zur
Rechten und ausspähen, wenn eine Leuchtkugel steigt, da man
Gegenangriffe erwartet und wir vor Überrumpelung geschützt
sein müssen.
Nun kommen die furchtbarsten Stunden, die ich erlebte. Wir
verirren uns und finden erst nach einer Stunde den richtigen
Weg, über diese tiefdurchwühlte Höllenstälte. Und doch noch
ein prächtiges Schauspiel: £in sternenklarer Himmel, wie ein
weißer Silberstreifen darin ein Zeppelin, von etwa 8 Scheinwer-
fern umspielt — großartig! Bei uns ein Leutnant, hinter den
ich mich immer halte. Sind wir richtig? Man weiß es nicht.
Hier ist ein furchtbares Chaos von Gräben, Granatlöchern,
-Leichen, Pestgestank. Endlich behauptet man, den richtigen
Laufgraben zu haben, aber jetzt kommen die gefährlichsten
Strecken. Diesen «Nachhauseweg» hält die französische Artil-
lerie ständig unter Feuer. Er ist angefüllt mit Leichen, man
muß über sie hinwegtreten; so geht man eine Stunde lang. Oft
klagt aus einemHaufen noch Gestöhn. Uns treibt das Entsetzen
vorwärts. Wie mancher Ramerad muß hier, nachdem er so
lange ausgehalten hat, zuletzt noch bleiben. Es kostet immer
welche, bei jeder Ablösung. Hier liegen schon wochenlang die
Leichen unbeerdigt, zertreten, die Lebenden schreiten über sie
hinweg. Die Granaten flitzen immer denselben Weg. In der
Ferne liegt der Wald, wer dort ist, ist gerettet. Wir kommen dort
an, halbtot. Ich werfe mich nieder und strecke alle Viere von
mir und trinke. Bin nicht fähig, meine Gedanken zu fassen.
Gucke in den Sternenhimmel, lange, lange. Ich habe nur das
Bewußtsein, dem Leben zurückgegeben zu sein.
Dieses Bewußtsein gibt mir die letzte Rraft, nach Danneroux
zu kommen. Ich gehe ganz allein durch die schwarze Nacht, den
Weg kenne ich noch. Illach zwei weiteren Stunden bin ich in D.
anderRirche. DortistauchderRestderRompanie. Die Feldküche
steht da, und wir essen wieder warm, zum erstenmal seit 5 Tagen.
Es wird Morgen und ohne Ruhe geht's ab in das vorläufige
Ruhequartier nach Brieulles. Wie sah dieser Zug aus? Sie
schleppen sich müde an Stecken, mit bleichen Gesichtern, hohlen
Augen, völlig verdreckt über den Berg ins Tal der Maas hinab.
239
An einem anderen Tage Beerdigung derer, die im dortigen La-
zarett noch nachträglich gestorben sind. Elf Mann brachten wir
auf Bahren, nur in ein Leinentuch gehüllt, mit grünen Zwei-
gen bedeckt, zum Friedhof. IVir legren sie ins Reihengrab alle
nebeneinander, arm und reich, Württembergs und Ostpreußen,
Bauer und kriegsfreiwilliger Student, alle Gegensätze sind ver-
schwunden. Der Feldprediger spricht monoton, mechanisch, er
hat fast täglich zu sprechen. Er sagt auch noch, daß einige in
ihrer letzten Stunde jeden Beistand von seiner Seite ablehnten
und ohne Gott gestorben sind.
— Eine Handvoll Erde. —
*
Rudolf Gottschalk,
geb. 27. September 1888 in Soldau/Ostpr.
gef. 26. April im Fort Douaumont.
26. April
Auf IVerferwacht vor verdun, hoffnungslos.
Ich bin heute in Stellung und habe noch Z6 lange endlose Stun-
den vor mir. Vernichtung und Zerstörung überall. In der Luft
kämpfen die zierlichen Riesenvögel auf Leben und Tod. Um
jeden Flieger ballen sich die weißen Schrapnellwölkchen und
mit eigentümlicher Rlangfarbe hallt das Maschinengewehr-
knallen hindurch. Mit Schlürfen und Sausen ziehen die
Eisenmassen unserer schweren Geschütze drohend durch die
Luft, und ringsum quillt schwarzer Rauch von den Geschoß*
einschlägen des Feindes auf. Es hallt von den scharfen und
dunklen Rnallen der IVald und die zermarterte Erde wider.
Armer IVald!
Heinz Richter, unbekannt.
Douaumont.
... 20 lange Tage haben wir vorn ausgehalten. Jetzt sollen
wir ruhen. Doch ich kann nicht einschlafen trotz der Müdigkeit
2*0
in den Gliedern. Der Ropfist mir heiß, wohl von dem Bad oder
von dem -Landwein.
Unten erzählen sie von den Rameraden, die wir vorn gelassen
haben, von allem, was wir durchgemacht. Da bin ich hierher
gegangen, wo die Rapelle spielt und die Gedanken flüssig wer-
den. Halb träumeich, halb schreibe ich. «Fridericus Rex, unser
Rönig und Herr». — Und der Marschtritt der fridericianischen
Bataillone tönt dazwischen. Diese Märsche sind berauschender
als der Wein der Champagne. Sie sind wie Feuer im Blut. Oder
ist es mir nur so in meinen Träumen?
Die Sonne geht unter in Blut über Bazentin, und unten er-
zählen sie von schwarzen Bestien. Sie sahen aus wie Bestien,
wie sie um uns lagen mit den starren Augen und den weißen
Zähnen in der schwarzen Fraye. Gegen Edelblut, germanisches
Blut!
Hier lacht die Sonne, und die Märsche klingen, und alles liegt
so weit hinter mir. Aber ich kann nicht lachen und möchte doch
so gerne, möchte lachende singende Menschen um mich sehen
und nicht jene dort unten, die sich anlachen mit verzerrten Ge-
sichtern und nur jene dunklen Geschichten wissen, die Ihr nicht
kennt und nicht versteht, weil Ihr in Sonne lebt und noch
lachen und weinen könnt.
*
Rarl Roch,
geb. 21.Juni 1888 in Alsheim,
gef. 2./Z. Mär; 1916 bei -Louvemont.
28. Februar
Wenn Ihr diese Zeilen lest, weile ich nicht mehr unter den -Le-
benden. Es war halt bestimmt, daß ich Euch nicht mehr sehen
sollte. Weint nicht um mich, denn ich bin denselben Weg gegan-
gen, den so viele gehen mußten, die eher Anspruch darauf ge-
habt hätten, zu den Ihren zurückzukehren wie ich. Ich denke
an diejenigen, die Frau und Rinder zurücklassen mußten!
Eine Bitte habe ich an Öh*ch: Beherzigt den Spruch, der auf
Vaters Grabstein eingemeißelt ist: Liebet öhich untereinander,
gleich wie ich Euch geliebt habe!
16 D.d.S.
Gelt? Ihr tut mir den Gefallen, und nun lebt wohl!
Auf Wiedersehn!
*
Wilhelm Rlasen,
geb. 15.Oktober 1893 in Rnesebeck,
gef. 12.März I 916bei Abaucourr, nordöstl. verdun, Höhe 255.
ll.März
Ich wußte nicht, wie es mit unfern Geldangelegenheiten steht,
speziell mir meinen. Ich habe auch nicht -Lust, mich um diese,
für uns doch so nichtige Frage zu kümmern. Es ist aber mein
Wille, daß alles Geld, das zur Verfügung steht, wenigstens, so
weit es mein Anteil sein würde, gezeichnet wird. Je mehr es sein
wird, desto mehr kann ich mich freuen, daß ich auch, dank Eurer
Fürsorge, imstande bin, dem Vaterland in dieser Weise zu dienen.
Das Vaterland, damit ist ganz Deutschland mit allen denen
gemeint, die sich so sehr nach dem Frieden sehnen, und auch die
Heimat mit unfern hieben, die ständig um das Leben ihrer Rrie-
ger bangen müssen. Erst wenn dieses erreicht ist, können rvir
wieder anderen Zielen nachjagen. Was nützt es uns jetzt aber,
wenn rvir schon an solche fernliegenden Ziele denken? Erreichen
wir das erste nicht, werden ja auch alle andern hinfallig. Darum
laßt uns mir allem, was wir haben und können, dazu beitragen,
dieses erste Ziel zu erreichen, den Rrieg zum baldigen, für uns
glücklichen Abschluß zu bringen.
*
Hermann Georgi,
geb. 18. August 1870 in Elterlein/Erzgebirge,
gest. 2Z. September 1922 in Elterlein/Erzgebirge.
Schützengraben, den lZ. März 1916.
Wir liegen hier in jämmerlichen Erdlöchern und tun unsere ver-
dämmte Pflicht und Schuldigkeit. Das Essen ist sehr mangel-
Haft, Fleisch, Fett und anderer Luxus ist uns jetzt fremd, aber
das mag alles fein. Das macht uns nicht mürbe, niemand soll
2*2
glauben, wir seien kriegsmüde. Aber Ihr in der Heimat macht
uns durch Eure Rlagen wegen der Rnappheit der Lebensmittel
den Dienst an der Front sehr schwer. Ich glaube ja gerne, daß es
schwer ist, das Leben zu fristen. Aber glauben Sie mir, ist es
gut, wenn die Frauen den Männern an der Front schreiben und
klagen, daß sie wegen der Butter auf der Stolle schon verzagen
müssen? "wir haben wahrlich mehr zu tun. iL« ist uns lieber zu
wissen, ob sich unsere Frauen als Reserve hinter der Front den-
ken, sich bewußt sind, unsern Rücken zu decken. Was würden
dermaleinst unsere Rinder sagen, wenn wir jeyr verzagen?
*
Franz Rausch,
geb. ZI. Oktober 1882 in Gardelegen,
gest. IZ. April 1919 Garnisonslazarett Gardelegen.
16. März
... Äs interessiert mich gar nicht zu wissen, ob die Leute die
Fenster einschlagen werden, weil diese Schweine kein Viertel-
pfund Fett bekommen, weil keine Butter da ist, weil keine
Schlagsahne zu haben ist, weil keine verschrobenen Faltenröcke
gekauft werden können oder dergl. mehr. All dieses Lumpen-
gesindel müßte bloß eine Viertelstunde Trommelfeuer erhalten,
dann wären sie beseitigt zum Nuyen unseres lieben vaterlan-
des. Begreifen sie denn nicht, daß wir seit 20Monaten Rrieg
führen, daß ihre Männer, Brüder und Väter zum Teil in Erd-
löchern tagaus, ragein, mit Läusen und Flöhen besät, bei ein-
fachster Rost ihr Leben von einem auf den andern Tag fristen?
Wahrlich erhebend für uns hier draußen wäre der Tag, wo
alles Radaugesindel im Unlande gesetzlich auf Mehlsuppe gesetzt
würde. Ich empfinde immer einen mächtigen Haß, wenn ich an
dieses geputzte Volk, an das Volk in den Rneipen und Cafös
denke. Und gerade solches Volk macht den unvernünftigen Ra-
dau und (Quatsch, und für solches Gesindel stirbt man evtl. den
«Heldenrod». Es wäre viel angebrachter, wenn man im In-
lande mehr Ernst, mehr Würde und weniger Rastengeist sehen
würde. So wie ich denke, so denken hier draußen alle. Gottsei-
dank haben wir viele gute Deutsche, die den Ernst der Zeit er-
16«
2*3
fassen, die versuchen zu fühlen, was unsere braven Jungen?
an der Front leisten. Die auch wissen, daß Lebensmittel aus-
gehen oder knapp werden müssen, wenn alle Zufuhren abge-
schnitten sind, "wirke Du dahin, daß jeder gute Deutsche daheim,
wenn es im Interesse des Vaterlandes liegt, auch mir der kärg-
lichsten und geringsten Rost die Tage durchhält, die die größten
und schwersten des gegenwärtigen Rrieges sind. Meines Er-
achtens sind dies erst die Anfänge. Ms bleiben unfern Lieben
daheim noch viel ernstere Tage durchzukosten. Deswegen aber
nicht geheult, gejammert, oder gar noch Auflehnung. Unser
Staat macht hoffentlich mit solch «guten Patrioten» kurze fünf-
zehn: einfach aufhängen!!
Morgen früh gehe ich wieder nach vorn.
*
Herrmann Hohl«,
geb. I. November 1889 in Bergen, Rreis Celle.
In Stellung, 19. März 1916.
Wenn es in den letzten Monaten auch oftmals drunter und
drüber ging, so daß ich manche häusliche Angelegenheit hinter
meinen Dienst zurückstellte und vergaß, so will ich doch jetzt
rechtzeitig aufpassen, daß ich nicht auch meines Vaters Ge-
burtstag vergesse, "wenn ich nicht irre, wirst Du 5£ Jahre alt.
— 55 Jahre —. Sag mal, lieber Vater, wirst Du nicht so ganz
bei kleinem «älter»?
Mir will es gar nicht so recht in den Sinn, daß Du, der mir als
der nimmermüde und temperamentvolle Mann mit «Mutter-
wiy» vor Augen steht, auch einmal ein alter, ehrwürdiger
Großvater werden sollst. Ich meine. Du müßtest ewig bleiben
so jung und frisch und schaffensfroh und unverzagt in allen
schwersten Lebenslagen, wie Du uns Deinen Jungens das Bei-
spiel gegeben hast und in ihnen den Rern gepflanzt hast, aus
dem sie jetzt zu Männern heranwachsen. Oft schon habe ich
daran gedacht, daß Du uns manchmal vorpredigtest: «Das ist
kein Schneid, das ist nicht militärisch, es gibt nur korrektes Be-
fehlen und unbedingtes Gehorchen», "wenn hier so Schlapp-
schwänze mit dem lLrsay eintreffen, strotzend von Jugendkraft
2H
und dabei so lasch und energielos, daß man das kalte Rotzen
kriegen kann, wenn man mit ihnen arbeiten muß. Solche
«Stoffel» hast Du dem Raiser nicht ins Feld geschickt; sondern
durchdrungen von Deinem soldatischen Geist, füllen sie überall
ihren Posten aus und ernten die Anerkennung ihrer Ramera-
den und Vorgesetzten. Und das, lieber Vater, ist doch ein schöner
Trost und ein köstliches Geschenk des Himmels, wenn man sich
an seinem Lebensabend sagen kann: Mein .Leben ist nicht um-
sonst gelebt. In meinen Söhnen lebe ich weiter.
*
Otto Iahnke,
geb. 5. Februar 1899 in Greifswald,
gef. 16. August 1917 in Flandern.
26. März 1916.
Heute morgen von 6—8 Uhr stand ich Posten im Graben. Die
Sonne ging etwa um %6 Uhr auf. Es war so schön. Nur ganz
links in der Gegend beim Narotschsee verlief sich allmählich der
Geschützdonner der Nacht. Die Lerchen sangen. — Sie sind
schon lange hier, nur wollte ich es nicht glauben, wenn ich sie
üben hörte; — es waren sehr viele da. Sie balgten sich in der
Luft. Einige kamen in breiter Front und fuhren auf andere
los, die noch ganz mit ihrem Widerpart beschäftigt sind. Und
manchmal fiel eine ganze Schar von ihnen mit lautem Geschrei
eine der langsam nach Norden ziehenden Rrähen an, die dann
unwillig krächzten. Es war, als lachten dann die Rleinen über
die Großen — wie wenn Pudel mit ihrer Bande über mein
Schimpfen lachte, wenn sie mich neckten. Einige Riebitze zogen
langsam der Sonne entgegen, so langsam, als suchten sie etwas.
Sie kamen wohl eben erst wieder in ihre Heimat. Das Land lag
braun, so saftig braun, wie es nur im Vorfrühling sein kann,
vor mir. über dem allen der klare, helle Sonnenschein; er färbte
das Eis auf dem Schmelzwassersee rechts zwischen den Fronten
rosig rot, so zart, wie die erste Rose in unserem Garten sein wird.
Die Sonne begann den Schnee an der Rasenböschung zu schmel-
zen. Die Erde taute auf, und es begann zu knistern und zu wis-
pern, sich zu regen und zu leben, die ganze tote Erde war voll
2*5
von lebendigem Frühling. Da dachte ich an einen ganz jungen
Russen, den ich an einem Herbstmorgen, auch als die Sonne
aufstand, vor Smorgon hatte liegen sehen. An einem Früh-
lingemorgen, so wie heute, war er sicher von Hause aufgebro-
chen, war hinausgezogen in ein Unbekanntes. — Und dann lag
er hier. — Ich konnte keine Verwundung an ihm bemerken.
Es war ein großer Friede um ihn gebreitet. Ich harre nur einen
Augenblick, ihm ins Gesicht zu sehen. An allen andern ging ich
achtlos vorüber. Aber diesen einen mußte ich anblicken, ohne
daß ich es wollte. Und andern muß es auch so gegangen sein;
denn sie sprachen später davon.
Ich dachte oftmals zurück an diesen Morgen. IVeit vorne brannte
Smorgon, und die Russen hatten sicher ein Gelage; denn wir
hörten das Gekreische eines Grammophons und einen dumpfen
Jl&vm. Manchmal qualmte ein Haus auf. Und rechts von der
Stadt vereinten sich alle Rauchschwaden und zogen der eben
aufgehenden Sonne entgegen. Niemals habe ich sie schon beim
Aufgang den Himmel so blutig ror färben sehen. An diesen Mor-
gen dachte ich heute — dann dachte ich an Euch. —
*
Ewald Walter,
geb. 29.Juli I89 \in Bernsdorf, Rrs. Lrankenstein/Schl.,
gef. 27. November 1917 bei Cambrai.
den 26. Juni I9I6.
Nun will ich Dir noch schnell einiges von meinem jetzigen Leben
mitteilen, viel ist es ja nicht, denn was sollte man Neues erle^
ben? Höchstens, daß wir gestern einen Franzmann gerichtet
haben; er war zum Verräter geworden und mußte dafür ster-
ben. Es wurden acht Mann kommandiert, darunter auch ich,
die dem armen Schlucker das Licht ausblasen mußten. Aber
gern habe ich es nicht gerade gemacht. Denn im Rampf oder
sonstwo einen Menschen zusammenknallen ist leichter, als einen
totschießen, der keine Waffen hat, und dem schon der Todes-
schweiß auf der Stirn steht. Na genug davon, Pflicht ist Pflicht,
und wenn sie noch so traurig ist. Erfüllt wird und muß sie
werden.
*
256
Rurt Fischer,
geb. 26.Februar 1870 in Berlin,
gef. 18. Juli 1918 bei Missy-aux-Bois, Nordfrankreich.
Sonntag, den 19. März lplö.
Meine lieben Rinderl
IVenn dieser Brief ankommt, dann wißt ihr schon lange, daß
die Russen in unserer Gegend angegriffen haben, aber ihr wißt
nicht, daß der Hauptan griff gegen die l Z 1er gerichtet war. —
Tausende und aber Tausende von leichten und schweren Ge-
schössen — wohl 30000 — wurden auf und hinter die Stellung
gefeuert, und man muß sich wundern, daß das Regiment nur
etwa 4-0 Tore und 120 verwundere hat. Alles mußte hinter den
Deckungen in Unterständen kauern, und dann kamen die Geschosse
heulend heran; jeder wußte nicht, trifft es ihn oder geht es noch
einmal gut. Aber als nun die russische Infanterie stürmte, da
waren die Leute schnell an der Brustwehr und waren gar nicht
ängstlich, sondern nur voller A)ut gegen den Feind. Da mußten
die russischen Brüder dran glauben, und jetzt liegt alles vor un-
serer Front voller Toren. Zuerst hieß es über 500 Mann, dann
sagten Artilleristen, daß sicher über 1000 Leichen dorr lägen,
ganz abgesehen von den vielen, die schon im "Walde getroffen
wurden.
Leider ist es Tauwetter, und unsere armen Rerle müssen nun
in den zusammengeschossenen Gräben im IVasser stehen und
können so selbst in der Nacht kaum zur Ruhe kommen. Dabei
schießt immer noch die russische Artillerie auf die Stellung.
Leicht ist das nicht: Rinder, und wenn ihr einmal dasselbe lei-
sten wollt, dann müßt ihr jeden Tag ordentlich turnen, was ihr
immer wieder vergeßt, müßt euch beherrschen lernen, nicht
gleich zornig werden, müßt lernen, auch unangenehme Sachen
zu ertragen, ohne zu mucksen, auch gegen größere Jungen euch
wehren, wenn sie euch was tun wollen, vor allem müßt ihr
jeyt schon lernen, treu zusammenzuhalten, ihr drei, denn wer
kein guter Bruder ist, der wird auch kein guter Ramerad sein.
Heute haben die Russen schon dreimal versucht wieder anzugrei-
fen, aber immer haben wir sie abgeschlagen. Nun Schluß, euch
dreien einen herzlichen Ruß von eurem Vater.
*
257
Rarl Heinrich Steffens,
geb. 16. Januar 1893 in Barlt/Holstein,
gef. 6.April 1916 bei St. Eloi/Flandern.
Bremen, 28. Februar I9I6.
Heute mittag kam der Befehl: Leutnant Steffens ist am Fe-
bruar in Marsch zu setzen nach dem Res.-Inf.-Regt. 213. Also
wieder Flandern mit seinem "Wasser und seinen feuchten Win-
den, mit seinen Hügeln und seinen wiesen, seinen Häuferruinen
und seinen stumpfen, entlaubten Bäumen. So schnell wechseln
des Menschen Lose, bald hier, bald dort. Minen Augenblick
frisch, heiter, ausgelassen in toller -Lebenslust, im nächsten zer-
schössen — armselig, w>as eben freudige Bejahung war, ist jeyt
ernste, stille "Wehmut — vielleicht im guten Falle ein leichtbe-
schwingte«, schmerzloses Sterben. So mischen sich doch immer
wieder in den Abschied ernste Rlänge.
In dem Gedanken «Vaterland» finden wir uns wieder, und das
Wort, das man früher nicht ohne eine kleine Beimischung von
Spott aussprechen konnte, steht jeyt so herrlich und mächtig da,
es ergreift uns und bannt unsere Herzen, wenn man wieder
hinauszieht, kommen einem jedesmal andere Gedanken, und
manchmal denkt man seltsamerweise, es könnte das leytemal
sein.
l. April
Selbst hier wird's Frühling, hier steigt inmitten von Spren-
gungen und Bombardements die Hoffnung auf. Die leyte Zeit
war anstrengend, nervenaufreibend, meine ich — oft alarmiert.
Dieses ungewisse warten und das Ahnen von etwas Ungeheu-
rem, das in der Luft liegt und Gewitterwolken gleich äugen-
blicklich sich entladen kann, das sind Stunden des Rrieges. Aber
bis jeyt sind wir verschont geblieben. Der Engländer ist doch
ein hartnäckiger Geselle, was Wunder, Blut von unserm
Blut, Rraft von unserer Rraft, nur in etwas einseitiger
weise zur Schau getragen. So wird es stets ein Ringen
werden, wo es kein Zurück, noch weniger Schonung gibt.
Aber wozu grause Zukunftsbilder heraufbeschwören? Ich
kenne sie selbst nicht, und werden sie Wirklichkeit, so muß ich
sie zerschlagen.
2*8
<5. April I9I6.
... Das Sterben soll ja nicht immer das Schwerste und Gchlech-
teste fein, und wer sagt denn, daß wir schneller sterben als
sonst? Niemand. Mancher will leben und stirbt — ein anderer
möchte sterben und kann es nicht. — So bleibt uns nur Trotz
diesem vermeintlichen Schicksal gegenüber. Dir selbst vertrauen,
ganz allein, und alles nur sich geben und von sich nehmen —
das bleibt mir in dieser Zeit übrig. —
Und doch—!
*
Nicolai Jensen,
geb. 18. November 1882 in F^ensnack/Nordschleswig,
gef. 19. April 1916bei verdun.
Frankreich, den 7. April I9I6 mittags 12Uhr.
A>ir sind seit gestern Morgen 5 Uhr auf dem Marsch und nähern
uns allmählich immer mehr dem Regiment, für das wir als
Ersay bestimmt sind. Man wird doch ein wenig müde, wenn
man mit der schweren Rommode auf dem Rücken immer weiter
tippelt. Daher ist es auch köstlich, wie jetzt, eine Stunde der Ruhe
zu pflegen. IVir haben den herrlichsten Sonnenschein, Vögel
singen, die Obstbäume blühen. Und drüben fällt die Blüte
Deutschlands und Frankreichs wie welkes Gras unter der Sense.
Die Gedanken weilen jetzt immer in der Vergangenheit. Röst-
liche Stunden werden wieder durchlebt. Und so manches gibt es
ja in meinem -Leben, was anders hätte sein können. Das möchte
man tilgen und kann es doch nicht. Much alle so einmal recht
innig ans Herz drücken und mit den Rleinen auf der Schulter
noch einmal nach Herzenslust in der Rüche umherspringen, das
wäre mein größter "Wunsch, aber der ist ja unerfüllbar. So bleibt
mir jetzt nur der Bleistift. Die Gegenwart ist wenig erfreuend.
Rahle Felder, zerfahrene, lehmige Wege, Hügel rauf, Hügel
runter, zerschossene Häuser, leergebrannte, rauchgeschwärzte
Ruinen, Gräber, rechts, links, bald auf der Höhe, bald im Tal,
das ist das Bild, das wir nun schon tagelang vor Augen haben.
Die Zukunft ist grau, undurchdringlich wie der dichte Nebel,
der südwärts den Horizont trübt. Oder ist's der Rauch der Ge-
249
schütze? Dahinter aber liegt dunkel und düster das Grab. Die
schweren Ranonenschläge jammern unaufhörlich, jetzt aber
scharf und klar, nicht mehr so dumpf in der Lerne. Bald sind
wir mitten drin. Merkwürdig, wie ruhig und gleichmütig man
ist, ja heiter und lustig. Hut wenn meine Gedanken zu Euch
fliegen, wird mir weh. Sonst immer derselbe noch. Ich glaube
auch nicht, daß das anders wird, wenn alles um uns kracht und
berstet. Der Mensch gewöhnt sich ja an alles. Ihr wißt doch,
wo ich bin. Ich habe es ja nicht geschrieben, aber doch meine ich,
wißt Ihr Bescheid.
*
Rachler, unbekannt.
24. Mai
Das war nett von Ihnen, daß Sie mal geschrieben haben. Und
wenn Sie es später wiedermal tun, werde ich mich sehr freuen.
Haben Sie nur immer guten Mut. Wir haben Ihnen helfen
dürfen, aber letzten Endes war es Gott, der es durch uns rat.
So wird er auch Ihnen weiter helfen. Und wenn es auch nur
noch ein Arm ist. Min Mensch mir gesunden Augen und festem
Mut ist noch viel wert für's Vaterland, mehr als mancher, der
noch alles beieinander hat. So lassen Sie es sich weiter gut
gehen und Aopf oben Z Das ist die Hauptsache.
*
Paul Gruhlke,
geb. 2p. August 1875 in Spandau,
gef. 6.November 191 6in Marchies.
.Liegnitz, den 15. Mai lylö.
Ich hoffe ja so stark auf ein IViedersehn, aber sollte es anders
bestimmt sein, so denkt, ich ruhe aus von all dem Schweren. Ms
gibt ja dorr kein Licht, aber auch keine Scharren. Und Gottset»
dank kehren doch die meisten zurück, warum sollte ich da-
bleiben?
Es wurde gefragt, wer sich krank fühlt, der sollte vortreten, ich
250
habe es nicht getan, obwohl ich bestimmt weiß, daß ich garni-
sondienstfähig geschrieben worden wäre. Ich habe mit mir ge-
kämpft, auf der einen Seite Ihr, die Ihr das liebste, was ich
besiye, und auf der anderen Seite die lLhre. Ich habe das ley-
tere gewählt, denn könntet Ihr mich noch lieben und achten
können, meine Rinder, noch gut von Ihrem Vater denken,
wenn er feige zurückschreckt vor den Gefahren? Ich glaube,
Ihr gebt mir recht. Ich muß schließen, es wird mir so schwer,
und ich gehe auch nicht gern, aber es muß jeder seine Pflicht
tun.—
*
Gorch S o dl (Hans Rinau),
geb. 22. August 1880 in Finkenwärder,
gef. 31. Mai 1916 in der Schlacht vor dem Skagerrak.
An Bord S.M.S. "Wiesbaden, I. Ostertag 19.16,
Lieber Schorsch!
Damit Du siehst, daß ich "Wort halten kann, grüße ich Dich
heute herzlich. Ich habe meinen IVillen bekommen, auf ein
herrliches, neues, deutsches Rriegsschiff bin ich als Matrose ver-
seyt worden. Einige Seefahrt habe ich schon hinter mir: ich
bin Ausgucksmann oben im Vordermast, in dem sogenannten
Rrähennest, nehme also die höchste Stelle auf dem Schiffe ein.
Das Leben an Bord, unter so vieler, frischer, deutscher Jugend
(die paar bärtigen .Leute an Bord sind zu zählen) macht mich
jung und sagt mir sehr zu, ich bin lieber ein marineblauer Ma-
trose mit wehenden Müyenbändern als feldgrauer Hilfsschrei-
ber an der Schreibmaschine. Das brauche ich Dir übrigens nicht
erst zu schreiben, denn Du kennst mich genügend, um das zu wis«
fett. — Ich würde Dir gern einiges von uns erzählen, aber um
uns und unsere Lahrren liegt das strengste Geheimnis: alle
Briefe müssen offen bleiben und so weiter! Y7ur soviel: daß
unsere Flotte von einem iLmdengeist beseelt ist, wie selbst ich ihn
kaum für möglich gehalten hätte, und daß die Flotte unver-
gleichlich mehr tut, als sie sagt und als man im Binnenlande
glaubt. Ich freue mich an diesem Leben im Seewinde l
251
IVie geht es iLuch ?Ich sehe iLuch noch iLure Straße ziehen und
denke auch jetzt viel an lLuch. Hoffentlich habtIhr besseres v)et-
ter als wir hier aufdem IVasser: fast alle Tage Regen und IVind
und Aalte. Hier am -Lande blüht noch kein Baum wie in Cha-
rillon. Unsere Verpflegung an Bord kann mit der des Unter-
stabes III/207 jederzeit antreten: das will doch gewiß was
sagen, nicht wahr, Herr B. G. Z.-Roch?
Ich bin an Bord schon einigermaßen bekannt geworden: äze ist
viel niederdeutsches Volk auf der Wiesbaden, das Gorch Lock
ohne weiteres kennt. Unser Rommandant kannte mich auch
schon. Und die Steuerleute, Obermaaten usw. wissen auch ziem-
lich, wer G. F. ist, so daß es mir in der Hinsicht auch besser er-
geht, als bei dem märkisch-oberschlesischen III. Bataillon. Ma-
rine bleibt Marine!
Herzliche Ostergrüße
Deines Hans Rinau.
*
Friedo Burmester, unbekannt.
lo. Iuni
öJme wundervolle Gegend ist das auch hier bei uns an der
Grenze von Belgien und Frankreich. Teilweise bewaldetes Hü-
gelgelände, überragt von dem I56m hohen Remmelberg, auf
dem die Engländer sitzen. Aber quer hindurch zieht sich ein toter
Streifen, wo die Bäume kein grünes Blatt tragen, sondern
ohne Zweige nur die kahlen, schwarzen Stümpfe der Stämme
zerfetzt in die Jluftragen; wo Gras und Strauch verdorrt von
giftigem Gas und dafür dahinter soviel üppiger die einfachen
Grabkreuze stehen. V*ur die Vogelwelt läßt sich nicht stören.
Über unserm Unterstand flötet im Dornbusch die Schwarzdros-
fei, als ob nicht fortwährend die Gewehrkugeln vorbei pfiffen.
Zuerst mögen sie nach den summenden Dingern geschnappt
haben, aber allmählich dann eingesehen, daß die doch zu schnell
sind. Bachstelzen, Goldammern, Zaunkönig bauen ihre bester
und pflegen ihre Brut wie immer. An das schreckliche Rrachen,
an die vielen großen Vögel in der -Luft, die Fesselballons und
die Flieger, an alles haben sie sich gewöhnt und halten kaum in
252
ihrem Singen ein. Im vordersten Graben, in dem Loch neben
der Stahlplatte, durch welches der Posten beobachtet und schießt,
nisten die Schwalben; haben alle zwei Stunden ein anderes
ernstes deutsches Gesicht auf weniger denn % m neben sich, und
noch keiner hat ihnen etwas zu leide getan. Dieser Postenstand
gilt als sicher. Ein Zettel: «Vorsicht! Schwalben!» hängt da-
neben, damit jeder aufpaßt. — Dieselben Leute reißen aber im
nächsten Augenblick die Rnarre hoch, wenn sich drüben ein
Tommie rührt. — Ein närrisch Ding manchmal, der Rrieg. —
*
Heinrich Rnauer,
geb. 6.April 18 89 in Hamburg,
gef. 25. August 1916 bei Combles a. d. Somme.
6. Juni lolö.
... Allerhand Neues habe ich gelernt, was wir während mei-
ner ersten Rriegsperiode gar nicht kannten. So z. 23. das Ein-
dringen in die Erde. Früher haben wir von oben einen Unter-
stand ausgebuddelt und dann zugedeckt. Jetzt geht es stufen-
weise in die Erde rein. Immer ein Holzrahmen tiefer als der
andere, wobei eine Treppe entsteht, so werden gleichzeitig zwei
oder drei solche Eingänge runtergetrieben. Ist man ungefähr
20 Stufen tief, wird nach den Seiten reingearbeitet, bis der
Augenblick kommt, wo der Zusammenstoß der Mitte erfolgt.
Sind nun die Eingänge durch den entstandenen Gang verbun-
den, dann werden die Zimmer in den Gang eingebaut und
wohnlich eingerichtet. Gleichzeitig finden sich Ratten groß wie
Ratzen als harmlose Haustiere ein, die dafür sorgen, daß Eß-
waren durch langes Rumliegen nicht verderben. Nachts machen
sie uns ein Höllenkonzert, sogenannte Schlummermusik. Ist
man eben eingeschlafen, melden sie ihre Anwesenheit dadurch,
daß sie uns sanft über den Bauch krabbeln,
vor drei Wochen war richtige Rompaniebesichtigung. Es kommt
einem komisch vor, solches Exerzieren mitten im Rrieg direkt
hinter der Front. Aber ich muß selbst sagen, es ist notwendig
und auch für jeden Mann gesund. Der lange Linter mit seinem
tagelangen Liegen im Graben macht die Glieder steif, und man
25 Z
wird wie ein Greis. Auch die militärische Straffheit und Diszi-
plin geht verloren. Dieses alles soll nun dadurch wieder rein-
kommen.
Sieht man sich eine solche Rompanie vor und nachher an, dann
kann man direkt den Unterschied sehen.
Die große Seeschlacht ist ja sehr gut für uns verlaufen und ich
bin nur gespannt, wie die Sache auf die allgemeine ein-
wirkt. Dein Ausdruck «Schipp leddig maken» scheint sich tat-
sächlich zu bewahrheiten. Denn an allen Ecken und Ranten
fängt es an. Im Raukasus, Balkan, Italien donnert es un-
aufhörlich. Die Russen rühren sich, bei Verdun tobt es immer
noch, und die Engländer scheinen auch mir ihrer angesagten
Offensive zu beginnen. Man hört hier schon seit zwei Vläch-
ten aus der Ferne ein großes Trommelfeuer. Ich nehme an,
es ist in der VJähe von Arras. Via, laß sie man kommen, sie
finden uns bereit, wir werden John Bull die Sache schon ver-
derben.—
*
Georg Sieber,
geb. 4. März 1895 in Großenhain/Sachsen,
gef. Zo. Juli 1916 bei Maurepas an der Somme.
29. Juli
... Hocke jetzt in einem unscheinbaren kleinen Lüsche, um etwas
gegen die verheerenden Splitter gesichert zu sein; an richtige
Unterstände ist nicht zu denken. Man wird mit der Zeit ganz
kreuzlahm und kaputt, so daß einem nach und nach alles ziem-
lich gleich bleibt. —
Einige Zeilen schreibt man im Sitzen zusammengekauert, dann
verspürt man Schmerzen im Rreuz und Genick, so daß ein wei-
teres Schreiben unmöglich ist, dann legt man sich kurze Zeit auf
den Rücken, später auf den Bauch, dann mal wieder nach rechts
und dann nach links, bis der Brief fertig ist. Als Unterlage be-
dient man sich der Oberschenkel und der Rnie, die auch ab und
zu schmerzen, dann bekommt man bald den Rrampfin die Beine.
Das ist ein bissel Elend, könnt Euch wirklich nicht hineinden-
ken. Ab und zu kracht's plötzlich in der Nähe, so daß man sich in
25*
den äußersten Winkel verkriechen muß, um nicht etwa getroffen
zu werden, danach kriecht man wieder auf allen vieren nach
dem .Loche, um -Licht zum Schreiben zu haben. — Heute
Nacht erhielt ich einen Brief von Hedwig; sie sprach viel,
viel vom Urlaub, und ich armer Rerl muß hier hocken. Hof-
fentlich überstehe ich die Sache und kann dann auf Urlaub
kommen. Da soll die Freude groß sein und das Wiedersehen
um so schöner. —
*
Hinrich Dücker,
geb. 2. Februar 1890 in Volkmarst.
9. Juli
An dieser Stelle möchte ich alle Daheimgebliebenen bitten, iLure
Männer, Söhne, Brüder und Neffen, die in der Front kämp-
fen, nicht mir allzuviel Fragen über den Hergang des Rrieges
zu belästigen, wenn sie einmal für kurze Zeit auf Urlaub kom-
men. Nehmt es dem feldgrauen Frontsoldaten nicht übel, wenn
er nicht alle Onkel und Tanten und Anverwandten besucht,
verabredet Ihr Much lieber, Ihr Verwandren, und besucht
den Urlauber an einem bestimmten Tag im Mlrernhause. U?enn
Ihr dann etwas von dem erfahren wollt, wie es an und hinter
der Front in Feindesland hergeht, dann ist der Urlauber zur
Hauptsache an einem Tage mir der Erzählung von Rriegserleb-
niffen, die er zum Erzählen für geeignet hält, fertig. Und dann
laßt ihn bei wiederholtem Zusammentreffen mir Fragen über
den Rrieg in Ruhe. -Laßr den Urlauber schlafen, so lange es
ihm beliebt. Tut ihm Gutes und Siebes, soweit es in Eurer
Macht steht. Er hat es tausendfach um Euch verdient, ver-
derbt ihm die Urlaubsfreude nicht durch kleinliches Rlagen über
Entbehrungen, die Ihr in der Heimat zu ertragen habt. Wenn
Ihr wüßtet,... Ihr Frauen, Mütter und Bräute: Haltet Euch
stark, wenn der Urlaub sich seinem Ende zuneigt, seid tapfer und
standhaft beim Abschied. Der Frontsoldat kennt seine Pflicht,
der geht mir starkem Herzen wieder ins Feld.
*
255
Eugen ®»ta,
geb. 5. August 1895 in Rassel,
gef. 7. August 1917 in den Vogesen.
Juni 191
Was sagst Du zu unfern Erfolgen? Herrlich !Diese Seeschlacht!
Das Herz wird einem weit. Wenn man nur nicht immer an die
denken müßte, die sich opfern. Glicht bloß an die Toten und ver-
wundeten, sondern die, hinter deren Rücken Hab und Gut zu-
sammenbricht, an das Elend im Volk, im kleinen Mittelstand.
Das soziale Gewissen fehlt so vielen, und da verlangen sie, die,
welche schaffen, schwitzen, bluten, die immer zweifeln und miß-
trauisch sind, weil sie ausgebeutet und gedrückt waren, weil sie
sich als die ewig Dienenden fühlen, von den beuten verlangen
sie Gemeinsinn und Vaterlandsliebe. Denke an mich: "wenn sie
den Soldatenrock ausgezogen haben, und man gibt ihnen nicht,
was sie billigerweise verlangen können, dann holen sie sich'?,
dann treibt man sie wieder in die Arme der Internationale.
7. August
Q> Mutter, die Welt ist doch so schön, so schön — warum soll
man nicht leben wollen? Dunkel sind die Pfade, wer weiß, wo-
her? wer weiß, wohin? wer weiß, warum? — Aber die Welt
ist schön und ihre Schönheit erkennen, heißt leben.
6. Oktober lolö.
An Rriegsschluß ist nicht zu denken. Ich bin überzeugt, daß die
Engländer uns binnen ein bis zwei Jahren aushungern zu
können meinen und uns einfach regelrecht belagern. So müssen
wir durchhalten. In Vergangenheit und Zukunft und überirdi-
schen Sphären hat sich der deutsche Michel sowieso überlang
geräkelt. Nun muß er die Suppe ausessen.
24. Oktober
Es war schon bitter kalt und Schnee und rechter "Winter bei
uns. Jetzt Wettersturz, warm und sonnig. Wir arbeiten fest an
unserm Winterholzvorrat, aber ich hoffe immer, daß man uns
doch noch aus unfern Bärenhöhlen holt, um auch an dem Gro-
ßen und Wunderbaren mitzutun, was gerade geschieht. Gemüt-
256
lich sind sie ja, die Bärenhöhlen, ganz gewiß. Und das Leben
darin ebenfalls. Aber die Gemütlichkeit, die dem Deutschen lei-
der viel zu sehr als Ideal vorschwebt, ist nicht der Lebensinhalt
des Mannes. Wenn ich an die kahlen Granatlöcher, die entsetz-
lichen Leiden der Somme denke und unsere Lage betrachte,
muß ich unwillkürlich sagen, wir haben Glück, wir haben's
schön. Aber jenes Fünkchen Ehrgeiz, was man doch immer im
Leibe spürt wie eine Stecknadelspiye, ist der bessere Teil und
gehört zum edleren und wertvolleren Teil unseres Seins. Man
muß umlernen in dieser Zeit. Gewiß ist der Rrieg ein Wahn-
sinn, fraglich, ob der materielle Gewinn die beispiellosen Opfer
aufwiegt, ftnglich, ob das Opfer, das unsere Generation bringt,
in der drittfolgenden Ernte bringt. Aber haben wir's denn in
der Hand, die Mächte des Weltgeschehens zu schieben? Das Le-
ben ist nicht dazu da, uns Glück und Zufriedenheit zu bringen.
Sondern wir sind in der Welt, stehen im Leben und müssen tun,
wie es die Verhältnisse in ihm fordern. Schwächlich und unnütz
die Rlagen über Unglück, Leiden und Verluste. Schwächlich
alles Heraussehnen nach einer Vergangenheit, die doch nur die
schwere Gegenwart nach sich zog, schwächlich und unnütz alle
Pläne in die Zukunft. Ich denke anders über vieles, worüber
ich früher geschimpft. Es ist sentimental, ich muß es zugestehn,
sein eigenes Ich allzusehr zu berücksichtigen, sein eigenes Bün-
del allzusehr zu bejammern, für sich etwas zu wollen. Ich sehe
das ein. Das einzig Männliche ist es, mit dem Gegebenen zu
rechnen und zu schaffen. Freilich des Unerreichten und Unerreich-
baren ist viel.
*
Rudolf Stemmler,
geb. II. Februar I896 in Vberlahnstein.
Auerbach, den 28. Juli
Meine Mutter hat mich vor einigen Tagen besucht. Als sie mich
mir Rrücken herumlaufen sah, da hat sie geweint, ich habe
natürlich laut gelacht. Die Pflege hier im Lazarett ist im all-
gemeinen gut, und die Schwestern sind sehr nett und hilfsbereit
zu uns, frei herausgesagt, das Essen könnte ja etwas besser sein.
17 D. d. 6. 257
Aber das alles haben wir den Engländern zu verdanken, welche
durch ihre elende Blockade den Rrieg über ein Volk von über
70 Millionen verhängt haben. —
Will auch mitteilen, daß ich Zigaretten leidenschaftlich gern
rauche, allerdings muß ich es der Zeit entsprechend sehr ein-
schränken. Sonst geht es mir im Durchschnitt noch gut.
*
Rarl v. Möller,
geb. II.Oktober 1876 in Wien.
Tagebuch.
Ostgalizien, am 21. Juli 1916.
Siye im Schnellzug Lemberg—Stanislau und warte auf seine
Abfahrt. Wie lange noch Rrieg ist? Jeder fragt darnach. I9l$
schrieb ich irgendwo, daß mich nichts beunruhige, es sei denn,
daß England zur allgemeinen Wehrpflicht schritte und ein Mil-
lionenheer aufstellte. Es geschah. Heute stürmt an der Somme
mehrfache Übermacht und doch ohne Erfolg. Last scheint es,
daß die deutsche Rraft auch dieser Gefahr die Spitze abzubrechen
vermöchte. Was leistete sie nicht alles, die deutsche Rraft? Uns
stellte sie freilich in den Schatten.
Sicher ist, daß neben den zahlreichen volklichen Schwierigkeiten
die Unzulänglichkeit unserer zivilen Bismarcks dicke Schuld an
gewissen Erscheinungen des Rrieges auf öst.-ung. Seite trägt.
Unsere bürgerlich leitenden Männer verstehen nichts von un-
bändiger Tat und versinken bei bester Gesinnung und guten
Anlagen im Wirrwarr der zahlreichen rechtlichen und politischen
Beziehungen Österreichs gegen Ungarn und innerhalb (öfter-
reiche jedes Völkchens gegen die anderen. Mein achtmonatiger
Dienst beim RM. mit seinen vielen Berührungspunkten außer-
halb des eigenen Hauses zeigte mir die Schwierigkeiten, etwas
ganz hinzustellen, im vollsten Licht. Ist das ein Mechanismus!
posiecz bei Stanislau, am 22. September 1916.
Drei inhaltsreiche Wochen vorüber. 31.August war Schlacht
von Delejow. Siehe Gefechtsbericht. Regiment hat sich unüber-
258
bietbar brav geschlagen. "wird oben voll anerkannt. — Hätte
mir im Frieden nicht träumen lassen, daß eine heutige Truppe
soviel aushält im dritten Rriegsjahr. Und immer wieder erfüllt
mich Befriedigung, daß ich entsprechend in die Zeit hineinge-
boren bin, die einem derlei nahebringen kann. DerOrtMeducha
von Russen öfter beschossen, nur nicht die Häuser, wo wir wohn-
ten, am 5. freilich vergaste der Russe die Häuser mit Gasgrana-
ten, da waren wir aber schon draußen am Gefechtsfeld.
Meine Soldaten: Ihre Gräben bei Posiecz sind ein Rotmeer,
ihre Unterstände voll "Wasser, sie selber Rotfiguren, -Lehmklum-
pen. Dazu keine Ablösung, weil keine Regimentsreserve. Man
muß dem jLlend zuschauen und hart bleiben. Im "Wald hinter
den Stellungen ließ ich Trockenstellen mit Leuern einrichten,
wo sich per Rompanie ein Zug abwechselnd sechs Stunden hin-
durch zu trocknen sucht. Beiderseits wird auch bei Tag schon un-
gedeckt gearbeitet, plötzlich schieben sich bei 65 neun Maschinen-
gewehrläufe auf einem Flügel heraus, drei- bis vierhundert
Gewehre starren aus dem Dreck, und kurz darauf knallt schrill
der Feuerüberfall über die Russen her. Diese purzeln und stol-
pern behende in die Gräben und kauern dort bis zur Brust im
Wasser.
*
Hermann Rnutz,
geb. 5. Januar 1889 in Baurup/Nordschleswig,
gef. 19. September 1917 bei Verdun.
Juli 19*6.
... Mehrere Male bekam ich vom Bataillon schriftlichen Be-
fehl, unter allen Umständen sofort anzugreifen. Eine unange-
nehme Situation: auf der einen Seite einen nicht mißzuver-
stehenden bestimmten Befehl, auf der anderen Seite die sichere
Gewißheit, die Ausführung dieses Befehls wird jetzt, ohne
Handgranaten, einen Mißerfolg bringen. Ich nahm es auf mich,
abzuwarten, bis ich mir selbst genügend Handgranaten zusam-
mengescharrt hatte. Ich schickte einige Gruppen den «Braunen
Graben» zurück, wo ich nachmittags viele Handgranaten hatte
herumliegen sehen, die von Toten und verwundeten herrühr-
n* 259
ten. Nach etwa I % Stunden brachten diese Gruppen auch etwa
70—80 Stück. IVas noch in unferm eigenen Graben herumlag,
wurde sorgsam gesammelt. Hier fanden wir auch etwa 50 fran-
zösische Handgranaten. Hinter uns lag eine Rompanie Z l. Ich
bar den Romp.-Führer, mir Handgranaten abzugeben. Ich be-
kam etwa l 00 Stück, sodaß ich morgens um £ Uhr über 250 Stück
zusammen hatte. Das mußte genügen, und ich setzte den Angriff
für morgens um i.36 Uhr an. Da der Romp.-Führer der 9-/31.
noch einige sehr gute Handgranatenwerfer in seiner Rompanie
hatte, stellte er mir diese zur Verfügung. Für den Angriff be-
stimmte ich etwa folgendes: 2 Unteroffiziere führen die Spitze,
die aus sechs "Werfern besteht. Hinter der Spiye folgen Träger
mit je 8—10 Handgranaten, dann kommt, dicht aufgeschlossen,
der Rest der Rompanie. <Ls folgt auch die 9/31 dicht auf. Diese
Rompanie hat die Aufgabe, das Grabenstück zu besetzen, das
meine Rompanie nehmen sollte. Ich ging noch einmal den gan-
zen Graben ab bis zur Barrikade. Den Leuten wurde einge-
schärft, schneidig und schnell zu handeln. Punkt 4 Uhr ZO gab
ich, nachdem durchgesagt worden war, «Alles fertig», den Be-
fehl zum Angriff. — «-Los!» In schneller Folge dröhnten die
Handgranaten, 7—8 aufs Mal. Die Spitze setzte sich in Bewe-
gung, und räumte die Barrikade fort. Der Angriff war in
gutem Fluß. Immer wieder bum — bum — bum, bum, bum.
Die kurzen, scharfen Detonationen unserer vorzüglichen Stiel-
Handgranaten. Der Franzmann ist sichtlich überrascht worden.
IVas nicht niedergemacht wird, entflieht. Zwei bis drei Minuten
ist der Angriff schon im Gange. Da wird durchgefragt: «Sind
noch Handgranaten da?» «Nein», muß ich durchgeben, so leid
es mir tut. Noch eine halbe bange Minute: «Werden wir es
schaffen?» wieder wird durchgefragt: «Noch Handgranaten
da?» «Nein». Aber in demselben Augenblick kommt's durch:
«Der Feind ist rausgeworfen, der Anschluß mit ist da».
Gottseidank, die Aufgabe ist erledigt. Ich melde es dem Batail-
Ion. — lLinige Minuten später kommt der Führer der Sieben-
ten von dem gesäuberten Grabenstück her. Freudestrahlend
drücken wir uns die Hand. IVir sehen beide aus wie Landstrei-
cher, schmutzig, blaß, abgespannt, der Anzug zerrissen. Ltn. R.
hat noch 6—7 Leute bei sich: der Rest der Rompanie.
Der Angriff hatte gezeigt, daß bei so kolossalen Rämpfen, wie
260
die Sommeschlacht ist, nicht immer mit Divistonen gearbeitet
wird, sondern daß sehr oft, besonders bei der Verteidigung,
Rompanien oder Züge, sogar noch kleinere Abteilungen ganz
auf sich angewiesen sind und selbst ihre Schlachten liefern müs-
sen. So wenig beim Artilleriekampf das Persönliche zu seinem
Recht kommt, so bedeutend, ja oft entscheidend ist es beim In-
fanteriekampf, wo es immer noch auf eine gute Laust, einen
frischen Mut und ruhige Überlegung ankommt.
Inzwischen war Heller Tag geworden, ein schöner sonnenklarer
Morgen. Die Gefechtstätigkeit ruhte ein wenig. Das Ziel der
Äompanie war nun erreicht, die Reaktion trat ein. Die Müdig-
keit wollte einen schier übermannen. Die Augen fielen uns fast
im Stehen zu. Noch konnte es aber keine Ruhe geben, denn die
Rompanie sollte zurück nach Berny. An ein geschlossenes Zu-
rückmarschieren war nicht zu denken. Ich gab darum Befehl,
daß sich die Leute einzeln durch den «Braunen Graben» zurück-
arbeiten sollten. Diesen Rückweg vergesse ich nie. Der Anblick
der armen Rameraden, die schwerverwundet unterwegs lagen,
und denen wir nicht helfen konnten, wird mir stets vor Augen
bleiben. Da das Gelände einzusehen war, konnten wir nur ein-
zeln laufen. Inzwischen waren alle feindlichen Fesselballons
hochgegangen, die Flieger begannen schon ihre Späharbeir,was
wir daran merkten, daß der Gegner den «Braunen Graben» in
kurzen Zeitabständen mit Granaten belegre, mir Schrapnells
abstreute. IVie gehegtes IVild mußten wir über die eingeschosse-
nen Teile des Grabens hinweglaufen oder kriechen. Die sterben-
den Rameraden, die zum Teil schon einen Tag dalagen, schlugen
wohl ihre matten Augenlider auf, wenn wir vorüberhuschten.
Dieses «Ach, Herr Leutnant, hilf uns doch» liegt mir wie ein
«Stach im Sinn. «Lieber, guter Rerl, ich schicke Euch Sanitäts-
Mannschaften», suchte ich sie zu beruhigen. Es schnitt mir ins
Herz, denn ich wußte, daß Hilfe ausgeschlossen war. Hier und da
in kleinen Löchern lagen sie, wie wunde Tiere, die sich verkrie-
chen, um zu sterben. Wir haben auch nicht einen Tropfen in der
Feldflasche bei uns, um die verwundeten ein wenig laben zu
können. Mir geht fast der Atem aus, und ich muß trotz Gchrap-
nell« und Granaten im Schritt weitergehen. Der TVeg wird
etwas besser. "wir können jetzt zu zweien und dreien gehen. Bald
sichten wir die Ruinen von Berny. IVir atmen auf, denn wir
261
sind durch die erste Sperrfeuerzone glücklich hindurch. Von nun
an über freies Feld nach Lresnes, über den üblen Bahndamm
bis nach Misery. Müde und abgespannt kommen wir in der
(Quaststellung an. Ich reibe mich kalt ab, trinke einen Schluck
Raffee und werfe mich außerhalb des Grabens auf eine Ma-
traye hin, um zu schlafen. Eine Stunde hatte ich wohl so im
Halbschlummer gelegen, als der Romp.-Feldwebel D. kam. Nun
war es mit der Ruhe aus. D. brachte schon die Ablösungsbe-
fehle, und es gab Manches anzuordnen. An demselben Abend
sollten wir noch bis Croix-Molignaux marschieren. Bei einem
Appell stellte ich die Verluste der Rompanie fest, was vorn gar
nicht möglich gewesen war. Wir waren nun gegen Abend alle
sehr erschöpft. Aber den Marsch nach Croix, etwa km, nahm
jeder auf sich. Als ich gerade mit den Anordnungen für den Ab-
marsch beschäftigt war, bemerkte ich ein leises Zittern der Erde.
Ich blickte um mich und sah in Richtung auf pöronne eine
Rauchwolke aufsteigen. Also eine Explosion. Bald nahm die
Rauchwolke riesige Dimensionen an und hob sich wie ein gigan-
tische? Gebilde vom Nordhimmel ab. Die Abendsonne, die schon
zur Rüste gehen wollte, belegte die mehrere hundert Meter hohe
Raucherscheinung mit einem blutroten Schein. Min kaum merk-
licher Nordost brachte die Riesenpinie in leise Bewegung, so daß
die Rrone nach einer Viertelstunde fast über die ganze Somme-
landschaft ausgebreitet lag.
Als es schon leise zu dämmern begann, trat die Rompanie an,
und wir wandten uns ab von der (Quaststellung, die stille Hoff-
nung in der Brust, hier nie wieder hinzukommen. Wir mar-
schierten durch ein "Weizenfeld nach der Zuckerfabrik von -Licourt
hinauf. Es galt eine traurige Pflicht zu erfüllen. Wir wollten
mit dem Rest der Rompanie Abschied nehmen von der Grab-
starre unseres lieben alten Rompanieführers Oberleutnant H.,
den wir von der Sommeschlacht nicht mehr mit uns zurückneh-
men durften, (östlich dieser fermeartig gebauten Fabrik liegt ein
kleiner Hain. In diesem hat man liebe Rameraden des Regi-
ments zur letzten Ruhe bestattet. In einem Halbkreise nahmen
wir um die Grabstätte Aufstellung. Ich sagte nur: «Hier liegt
der, den wir alle so geliebt haben, wir wollen ihn nie vergessen.
Wir wollen ein stilles Gebet sprechen». Die Leute nehmen ihre
schweren Stahlhelme ab, falteten ihre braunen Hände, und ich
262
glaube, daß wohl nie eine Gemeinde wahrere Andacht ver-
richtete.
Ohne ein Rommando, ohne ein Wort zu sagen, trat die Rom-
panie wieder in Gruppenkolonne an. Die Dämmerung war nun
vollends hereingebrochen, und wir setzten unseren Marsch fort.
Wohl eine halbe Stunde gingen wir so dahin, ohne ein Wort
zu sagen. lLs war, als wenn die Geister der Toten uns um-
schwebten und uns zuraunten: «Ihr lieben Rerls, wie gerne
wären wir mir Öhich gezogen». —
Nach etwa einstündigem Marsche kamen wir durch Pargny
hindurch. An der Rirche hielten Sanitärsautos. Durch das
bunte Glas der hohen gotischen Fenster siel das JOcht in den
Gommerabend hinaus. Ins Tor hinein trug man gerade einen
verwundeten.
Etwa los m weiter links der Straße der neue Friedhof, wo
viele, viele Sommekämpfer ruhen. Auch sie sind alle schwerver-
wunder, vor Tagen die Hoffnung im Herzen, in die Rirche hin-
eingetragen worden. Aber man hat ihnen nicht mehr helfen
können.
Nach zwei bis drei Minuten marschieren wir über die Somme.
Wie oft ist der unselige Name wohl verflucht worden. Und der
Fluß mit seinem Ufergelände ist doch so schön und reizvoll.
Hier zwischen p. und F. hat die Somme selbst eine Breite von
etwa 4-0 m. Das heißt, der Hauptarm. In dieser Gegend hat sie
auch verschiedene Nebenarme, die die Niederung durchfließen.
Zwischen all den kleinen Flüßchen und Rinnsalen ein Sumpf-
und Wiesengelände, mit Weiden- und jLrlengebüsch bestanden.
Dieses Niederungsgelände ist an vielen Stellen über kilometer-
breit, für Bewegungskämpfe ein ernstes Hindernis. Man mar-
schiert auf einem alleeartigen Wege, der sich auf einem Damm
entlang zieht. Zu beiden Seiten hohe schattenspendende Bäume.
Ab und zu ein kleiner Ausblick auf die Flußarme, auf die Tüm-
peln und Seen. Der schwammige Boden überwuchert von Was-
serpflanzen. Das ganze Gewirr ein Dorado für Sumpfvögel.
Die Wasserhühner sind so zutraulich, daß sie bis wenige Meter
an die Fahrstraße heranschwärmen. Als wir an jenem Abend
hier entlang zogen, lag milde, weiche Dämmerung über der
Landschaft, links der Straße auf den größeren, seenartigen
Teichen zarter Mondesglanz. Unsere kleine Schar zog noch still
263
dahin. Jeder hing seinen Gedanken nach. Man summte wohl
eine Melodie von irgendeinem Soldatenlied, Einer pfeift «Ich
hatt' einen Rameraden» vor sich hin. Die Nebenleute stimmen
ein und pfeifen die Melodie mit. Der einzige Spielmann, der
uns noch geblieben ist, nimmt seine Pfeife und unterstützt kräf-
tig die Mundpfeifer, und die ganze Rompanie marschiert in
Schritt und Tritt nach der Melodie, die sie sich selbst aufspielte.
Der Bann war nun gelöst. Im mittleren Zug erklingt eine
Mundharmonika. Man unterhält sich wieder, plattdeutsche Re-
densarten hört man, auch wohl ein Auflachen, und wir sind
wieder die preußische Infanteriekompanie auf dem Marsche.
Die Somme, und was sich an diesen Noamen hängt, liegt hinter
uns.---
Den ersten Tag marschierten wir bis St. «Quentin. Ich sollte
am Vstausgang in (Quartier kommen. Da ich aber die Straßen
nicht wußte, mußte ich mit der Rompanie mitten in die Stadt
bis zum Grand-Place hereinrücken, um mich auf der Romman-
dantur zu erkundigen. Als wir heranrückten, erregten wir all-
gemeines Aufsehen. Die Fleute bestaubt und vom Marsch sehr
verschwitzt und angestrengt, sahen in ihren Stahlhelmen etwas
wild-kriegerisch aus. Als wir auf den Grand-Place rückten,
rührte der Tambour der IVache die Trommel. Die IVache trat
ins Gewehr und präsentierte vor uns. Es war so befohlen, daß
sie vor allen Truppen, die aus der Sommeschlacht kamen, ins
Gewehr treten sollte.---
*
Carl Haag, unbekannt.
Stuttgart, den II.August
-Liebe Lazarettmutter!
... Htm sind es zwanzig Monate, daß ich verwundet bin, und
immer wieder muß ich Operationen durchmachen, wo man nie
weiß, wie sie ausfallen. An meinem linken Arm sollte ich auch
noch einmal operiert werden, habe aber die Operation verwei-
gert. Jetzt war es die sechste Operation, die ich durchmachen
mußte. Und das, glaubte ich, würde genügen. Ich habe die vielen
26*
Schmerzen gerne ausgehalten und habe nie geklagt oder wie
andere, daß ich geschimpft hätte. Aber es war mir anders be-
schieden und sollte anders kommen. «Der Mensch denkt und Gott
lenkt». Darum, wem an seinem Vaterland gelegen ist, der stelle
seinen Mann.
Was meine rechte Hand anbelangt, habe ich den fünften Finger
nun auch noch verloren. Bin jetzt nur noch im Besitz von drei
Fingern. Aber zum Glück sind dieselben verwendbar. Jetzt kann
ich wenigstens wieder schreiben.
*
E. Brüning, unbekannt.
Rußland, den 25. August I9I6.
Wieder zwingt's mich, dieses Schreiben an Sie zu richten. Da
es meine große Pflicht ist und bleiben wird, für alles Gute mei-
nen Dank auszusprechen. Mit Sehnsucht erwarten wir, die wir
seit der Mobilmachung unter den Fahnen stehen, den langer-
sehnten Frieden, aber noch ist keine Aussicht, 'wiederum aber
bin ich noch frohen Mutes, da ich, solange ich gesund bleibe,
wenig Grund zu klagen habe.
Böse ist es natürlich für die Männer, die bei Friedenszeiten nichts
erübrigt haben. Und gerade diese, die schließlich auch noch ihren
verdienst dem Verband zukommen ließen, oder gar, wenn in
andern Ländern Streiks waren, ihre Groschen nach dem Aus-
land sandten, heute aber von ihren Genossen im Auslande eine
schlechte Gegenliebe erhalten. Denn statt Groschen gibt es tag-
lich größere Mengen von Granaten. tPo bleibt da -Liebknechts
Völkervereinigun g?
*
Hubert Scheuren,
geb. 21. August I893 Hohenbudberg, Rreis Moers.
Wolhynien, den 17. August l9lö.
Seit Anfang August ist auch hier bei uns ein anderer Geist her-
eingekommen; denn über uns wacht das Auge Hindenburgs.
Wenn man dessen Befehle liest, kurz, bündig, ernst, den Einsatz
265
der ganzen Persönlichkeit verlangend. IVas er so knapp befiehlt,
hat Hand und Fuß, verleiht dabei ein verantwortungsfreudiges
Sicherheitsgefühl, wie eben nur ein Befehl Hindenburgs es tun
kann. Die Person Hindenburgs ist in meinen Augen schon ge-
nug Bürge, daß die Ostfront fest steht. Hätte er nur auch noch
den Oberbefehl über die galizische Front! —
*
Alfred Schleicher,
geb. 12.Januar 1895 in Hamburg,
gef. Zo. Juli 1917 bei Langemarck.
September I9I6.
Du hast ganz recht, und unsere Empfindungen stimmen hierin
mal wieder überein: auch auf mich hat der Name «Flandern»
immer einen ziemlich grauenerregenden Eindruck gemacht. Das
macht wohl die Erinnerung an die verlustreichen Rämpfe vom
Herbst 1915 und Winter 15/15, wo die Elite von Deutschlands
Iugend auf diesen kanaldurchzogenen Feldern gefallen ist. Es
war mir immer, als hätte auch die Natur dort jene Opfer nicht
vergessen, als läge in den windschiefen Pappeln ein dumpfes
Murmeln der Erinnerung, ein Erschauern; die Trümmerstätte,
die zerschossenen Bäume, die vielen, vielen Soldatenfriedhöfe,
die überschwemmten IViesen, aus deren Oberfläche bei sinkendem
Wasserspiegel die Gebeine von Pferden und Rindvieh heraus-
ragen — überall wird man an die Vergangenheit dieses-Landes
erinnert. Du meinst, Dixmuiden müsse eine schöne, altertümliche
Stadt sein. Gewesen! Hur noch Trümmer. Zypern: gewesen!
*
Wilhelm Messerschmidt,
geb. 26.Mai 1878 in IVerdorf bei tveylar,
gest. 20. Oktober 1933 in Hagen-Haspe/westf.
Ohne Darum.
So mancher beherzte Mann, der frisch in den Rrieg käme
und Stunden erleben müßte, wie die, welche wir vom
266
31. August ab mitmachten, würde wohl bald mit seinen
Nerven fertig sein. Aber die Steigerung des Rampfes, des
Grausigen in den langen beiden Jahren, hat ein Geschlecht
erzogen, das das Ubermenschliche, kaum zu Fassende leistet,
und nicht bloß stundenlang, nein tage- und wochenlang
in solchem Grauen "Widerstand leistet und den Gegner noch
angehr. Man spricht so oft von der ehernen Mauer an
unsern Fronten — kein tLrz und kein Panzerstahl hielten
hier Stand, wo lLrz und Stahl in Riesengewichten mit
Erdbebenkraft dagegen herangeschleudert werden und Tod
und verderben nach allen Seiten sprühen. Das Herz ist
es, und der erprobte starke Wille. — Die halten besser aus
als alles tote Mrz. will man einmal ein Bild gebrauchen
— dann sage man in Zukunft: er hielt Stand wie ein Rämp-
fer von Clöry und von Bouchavesnes! Bis an mein Lebens-
ende will ich stolz darauf sein, daß ich in dieser Hölle gewesen
bin.
Und noch ein anderes: Gewiß ist es begreiflich, daß der Be-
richr über einen Lliegerkampf oder über die Schlacht am
Skagerrak oder die Reise des U-Bootes «Deutschland» hell-
sten Jubel und ragelang das Interesse der Heimat erregt.
Niemand wird daran nur im geringsten mäkeln. Das Un-
recht besteht darin, daß das Interesse für so lange dauernde
Schlachten wie die bei Verdun und vor allem an der Somme
abnimmt oder doch nicht dauernd auf der gleichen Höhe
bleibt. Das ist ein bitteres Unrecht gegen die Infanterie.
Ein Lliegerkampf dauert Minuten, die Schlacht am Ska-
gerrak, so furchtbar sie war, höchstens 48 Stunden. Aber an
der Somme unter den schwersten Entbehrungen, ohne
Deckung in dem wahnsinnigsten Leuer, das Menschen je er-
sonnen, nicht stunden-, nicht tage-, sondern wochenlang aus-
zuharren in einem Leid voll verwesender Leichen — das ist ein
Heldentum, dem ein ununterbrochenes Gedenken zuteil wer«
den müßte.
Ahnen die Daheimgebliebenen auch nur in etwas die Größe
unserer Opfer an Gesundheit, Blut und -Leben?
*
267
Alfred Sauer,
geb. 4. Mai 1895 in Berlin,
gef. 12. März 1917 an der Somme.
Westen, den I.September 1916.
Diejenigen, die die Somme-Gchlachten von Anfang an mitge-
macht haben, es sind deren leider nur sehr wenige noch, sagen,
ein solches Artilleriefeuer, wie es gestern war, ist noch nie da-
gewesen. Minen auf Minen, Granaten auf Granaten, Schrap-
nells auf Schrapnells. Schon die Ablösung von der letzten Stel-
lung nach vorn ist eine <Qual. Der Feind hält nicht etwa nur die
vorderen Gräben, nein, kilometerweise hält er das Gelände
unter Feuer. Und dann die Witterung! Tagelang hat es ge-
gössen, bis an die Rnie sind die Gräben voll "Wasser, der Boden
ist ein Schlamm. Als ich mit meinen drei Gewehren nach vorn
kam, mußten wir einige Rilometer im Laufschritt durchmessen.
Den übrigen IVeg bin ich auf der Nase entlanggerutscht. Seit
gestern hat sich nun das Wetter gebessert, darauf schien der Feind
gewartet zu haben. Ich kann den Zustand tatsächlich nicht mit
"Worten bezeichnen. Die Leute sitzen vorne schweigsam wie das
Grab in ihrem Stollen, der vielfach auch ihr Grab im wahrsten
Sinne wird. Ein Mann bei jedem Gewehr steht Posten. Er
steht hinter der Schulterwehr und blickt gespannt in die Höhe.
Es liegt ein ganz eigentümlicher Ausdruck im Gesicht eines
Mannes, wenn sämtliche Nerven gestrafft sind. tPie gemeißelt
sieht es aus.
Man kann die Minen tadellos beobachten. IVie beim Diabolo
schwingt sie sich in die Höhe, kommt langsam, dann mit zuneh-
mender Geschwindigkeit um die Schulterwehr herum, rechts,
links, rechts, links. Sprung auf Sprung Z Schlag auf Schlag!
tPu: haben, wie ja bei derartigem Feuer ganz selbstverständlich,
auch böse Verluste gehabt. Ganze Bedienungen und Infanterie-
gruppen liegen da in ihren Stollen begraben. Ein Gewehr von
mir ist glatt weg in die Luft gepufft worden, auch nicht eine
Niete hat sich wieder anfinden können. Die Leute dazu sind
lebendig begraben. Mein Stollen ist ausgezeichnet, und ich
glaube, so leicht kann mir nichts passieren. Ein Teil unseres
vorderen Grabens ist dahin, statt dessen tiefe Minentrichter.
Ich will gerne glauben, hätte der Feind gestern Abend ange-
268
griffen, in den ersten Graben wäre er gekommen. Aber was
hat das für Zweck? Dann geht dieselbe Sache von vorne los.
Also angenommen, er hätte soviel Munition, um ein halbes
Iahr lang täglich so viel zu verschießen, wie er es jetzt tut, so
würde er vielleicht einige Gräben vorkommen. Aber es ist wohl
ausgeschlossen, daß es so beibleibt; denn meiner Meinung nach
kann es gar nicht so viel Misen auf der Welt geben. Und zwei-
tens hätte der Feind nicht das geringste erreicht. Stx hätte
schwerere Verluste als wir, was bei einem Angriff selbstver-
ständlich ist, und das £and ist eine Wüste. Die Dorfer und Städte
nichts als Schutthaufen, das Land unbrauchbar. Das arme
Frankreich! Sollte der Friede mal kommen, manch Bauer wird
hier stehen und statt seiner Heimstätte nichts finden als Grab-
Hügel. Was sage ich Grabhügel? Auch das ist wohl schwer zu
finden. Wo wir die Toten eingraben, da sind nach wenigen Ta-
gen nur zerschossene Holzkreuze zu finden. Wenn man hier so
mitten drin ist, dann kommt einem das gar nicht so unheimlich
vor, man gewohnt sich daran. Wir hoffen hier, bald abgelöst zu
werden. Die Verpflegung ist im allgemeinen sehr gut. Y7ur ist
das Mittagessen, das nachts um I Uhr kommt, vom langen
Tragen eiskalt. Das einzig Warme, das ich zu mir nehme, ist
Zigarettendampf.
*
HansGeuer,
geb. II. Januar 1893 in Röln,
gef. II.April I9I8 bei Montdidier.
25. Oktober I9I6.
Wieder ein sommerheller Tag. Meldungen sagen uns, daß der
Feind einen großen Schlag beabsichtigt. Fliegerschwärme krei-
sen über unseren Röpsen. iLin Fesselballon nach dem anderen
geht hoch. Das Trommelfeuer rechts und links setzt ein und stei-
gert sich zu ganz toller Raserei. Das Hintergelände sieht fürch-
terlich aus. Wir bekommen vorläufig nichts. Ist auch nicht
nötig; denn wenn sie rechts durchbrechen, sind wir ganz um-
faßt und abgekniffen. Gegen Mittag 2 Uhr hat das Feuer sei-
nen Höhepunkt erreicht. Etwa 2 Uhr 15 wird es nach hinten
verlegt, und der Feind geht vor. Zuerst lose Wellen, dann dichte
269
Massen. Führer hoch zu Roß vor ihren Rolonnen. Unser Sperr-
feuer liegt gut, dreimal bricht der energisch vorgetragene An-
griff in unserem Feuer zusammen. Ganze Trupps verwundeter
Engländer ziehen in einer Entfernung von etwa Zoo Metern
sich gegenseitig stützend an uns vorbei. Sie trommeln von
neuem, mit schwerstem Raliber. Nieder ein rasender Ansturm.
Sie brechen durch und kommen damit halbrechts in unseren
Rücken. Ich lasse mit M.-Gs. in sie hineinfeuern. Gleichzeitig,
kurz nach Z Uhr, beginnt das Artilleriefeuer auf unseren Gra-
ben. Der Graben sieht in kurzer Zeit toll aus. Andauernd hauen
die schwersten Raiiber in den IVald, und das Gewirr der split-
ternden Äste hindert jeden Verkehr. U>ir liegen ohne Unter-
stände in Löchern, schutzlos dem ganzen Eisen Hagel preisge-
geben. Trotz alledem sind meine Leute in tadelloser Verfassung.
Der brennende "Wunsch «sie sollen kommen » übertönt jedes Durst-
gefühl. Leider fällt einer meiner besten Unteroffiziere. Eine
ganze Gruppe ist eingesperrt in einer zugeschütteten Erdhöhle.
Sie krabbeln verstört heraus. Das links von uns liegende Com-
bles ist voller Gas. ¥"!ach hinten ist überhaupt nicht mehr durch-
zukommen. Unterdessen vollenden die Engländer rechts, die Fran-
zosen links ihre Umfassung, "wir sind im Halbkreis umschlossen.
Gewehrfeuer und M.-G.-Feuer. vom Rücken und den Flanken
prasseln in unseren Graben. Sonderbarerweise hört mir einem-
mal das Feuern auf. Es wird ruhig. Ich übersehe mir die Lage
und mache ein lustiges Gesicht, um den Leuten aufzuhelfen, die
mich so sonderbar fragend anstarren. Es wird Abend. Leuchtku-
geln steigen imRreise rund um uns auf. Hinten müssen sie meinen,
wir seien schon vollkommen abgetan; denn eigene Artillerie be-
ginnt aufunseren Graben zu schießen. Die Strecke, die hinter uns
noch frei ist, beträgt höchstens 1200 Meter, und da müssen drei
Bataillone durch. Es wird ganz ruhig. Gegen 8 Uhr Z O kommt
der Befehl für die vorne liegenden Rompanien zum Rückzug.
loUhrl5 rücke ich ab. In aller Stille geht es lautlos voran über
die Deckung. Leute bleiben im Graben zurück, die weiter Leucht-
kugeln schießen, als ob die Stellung noch besetzt wäre. —
6 o m m c.
Die Hölle brüllte, wie sie's nie getan.
Spie alles Graun in berstendem Orkan.
270
Blutrote Lohe fuhr aus tausend Rohren,
Schrill klang ein Schrei: «GH, war ich nie geboren.»
Dann kam die Nacht. Min letzter Nahkampf rast
Fernher im Splitterwald von Pierre-Vaast.
Und dann ward's still. Beim kalten Sternenschimmern
'Nur hier und da ein qualzerriflnes "wimmern.
Da kommt der Tod! Ich Hab ihn oft gesehn
Im tollen Tan; die dürren Beine drehn.
Ich sah ihn rasen, wie der Hölle Wächter,
Im Blute tanzen, ein betrunkner Schlächter.
Doch heut? jLr geht so müd, so seltsam müd
Und fast zu Boden ihn die Sense zieht.
Er setzt sich nieder und mit fahlen Händen
Löst er den Gurt von seinen Rnochenlenden.
Die hohlen Augen, drein das Mondlicht scheint,
Last schien es mir, als hätten sie geweint. —
*
1Valther Rottsieper,
geb. 29.April 1879 in IVuppertal-Ronsdorf,
verm. l5. September 1916 beim Sturmangriff in der Somme-
schlacht.
Beaumetz b. Bapaume, den H. September 1916.
Als ich Dir im vorigen Iahre alles Glück zu Deinem Geburts-
rag wünschte, da marschierten wir im fernen Osten, in Ruß-
land, noch hinter der Front, auf dem LPege zu unserm Truppen-
teil. Dieses Mal sind wir nun in Frankreich, wo sich die Zeit
Deines Geburtstags nähert. Ich habe gerade Zeit, und wer
weiß, was die nächsten Tage bringen.
Ich wünsche Dir also von Herzen alles Gute: Mögest Du ein
tüchtiges deutsches Mädchen werden, der Stolz und die Freude
Deiner lieben Mutter, und eine liebevolle Spielgefährtin und
Helferin Deiner Schwester.
Als wir in dieser Nacht die schnurgerade Straße marschierten,
die von Cambrai nach Bapaume führt, der Mond so silberhell
durch die hohen Pappeln der Allee schien, da mußte ich an Euch,
Ihr Lieben, denken. Ich vertrieb mir die Langeweile einen
271
guten Teil des Weges im Nachdenken über das, was ich Dir
schreiben wollte. Das Gepäck drückte da lang nicht mehr so, und
fröhliche Stimmung kehrte im Herzen ein. Die fast eintönige,
aber fruchtbare Ebene der pikardie, durch die wir dahinschritten,
erschien in einem andern Bilde. Sie war nicht nur das furcht-
barste Schlachtfeld, das dieser Rrieg mit seinen Rampfmitteln
aufgewühlt hat, sie war auch die Ernährerin fleißiger franzö-
sischer Bauern. Der von fernher tönende Donner des Trommel-
feuers der Sommeschlachr verlor sein Schlimmstes. Bald wer-
den auch wir wohl eingesetzt in diesen schrecklichen Rampf, dann
heißt es, mit der Tat erweisen, daß man alles für das Wohl der
sieben in der Heimat herzugeben gewillt ist. Die zu Hause, die
in diesem Rampf das Leben eines Angehörigen zu beklagen
haben, dürfen nicht traurig sein ihr Lebtag, wenn sie daran
denken. Der Schmerz muß sich läutern in dem Bewußtsein, in
Gemeinschaft zu sein mit einer Seele, die die schönste Erfüllung
erlangt hat, die es geben kann, für den andern sich dahin zu
geben. Dies Bewußtsein ist sichtlich die festeste Stütze, wenn ein-
mal der Schmutz niederer oder feiger Gesinnung im Beispiel
anderer uns zum Wanken zu bringen drohen.
Ihr werdet schon tüchtige Mädchen werden, dafür bürgt mir
Eure gute Mutter, deren Liebe ich die letzten schönen Jahre
meines Lebens verdanke. Denkt später, wenn Ihr etwas Schö-
nes erlebt, daß ich es mit Euch genieße, und wenn Rummer oder
Sorge Euch beugen wollen, daß ich es mir Euch fühle und Euch
tröste. Es gibt ein Leben nach dem Tode; wie es ist, können
wir nur ahnen. Aber daß es eine Erfüllung des sehnlichsten tPun»
sches unseres Herzens nach Wiedervereinigung gibt, ist sicher;
vielleicht nur etwas anders, als wir es uns vorstellen.
Zwei Wünsche möchte ich Dir noch mitgeben, Dir und auch Ger-
trud! Behaltet Eure Liebe zur Natur mit ihren Tieren und
pflanzen: befestigt Eure Renntnifse auf diesem Gebiet, nicht
nur die V7amen der Dinge merkt Euch, denkt auch über ihre
vielen Abhängigkeiten untereinander nach, der Mensch mitten
unter ihnen. Das ist mein ernster Wunsch. Euer Mütterchen
wird da schon gern mittun. Dann liebet Gott! Glaubt an ein
Großes, Unerforschliches, an den Inbegriff alles Guten, glaubt
trotz der Zweifel des bangen Herzens; nur dieser Glaube trotz-
dem ist wertvoll.
272
Htm seid zunächst recht frohe Rinder. Die ernsten IVorte sind
für spärer bestimmt, wenn ich vielleicht nur noch auf diese Weise
zu Euch reden kann. Gott gebe uns bald Frieden und dem deut-
schen Volke eine sittliche Wiedergeburt und Erstarkung. Dafür
werde ich kämpfen.
Willy peil,1
geb. 2$.Juli 1893 in Bergwalde, Ars. Briefen, Westpr.,
gef. 15.Juli J9I8 südl. Vermandovillers (Somtne).
Frankreich September 191<3.
«Parademarsch in Zügen — Rompanie marrrsch!»
Die Regimentsmusik seyt ein mir dem alten Marsch der Grena-
diere Fridericus Rex. — Wir im dritten Zuge zählen halblaut
nach dem Abmarsch des zweiten — dreizehn, fünfzehn, siebzehn.
Dann übertönt das Rommando des Zugführers die schmetternde
Musik: «Frei weg!» Ich gehe am rechten Flügel des Zuges. Die
Erde dröhnt von dem wuchtigen Schritt. Einen kurzen Blick
werfe ich nach links. Eine Linie Z Und die Beine fliegen gerade
heraus. Wer hätte das von uns alten Rriegern gedacht. Wir
haben einen Parademarsch geliefert, daß der Herr Vberstleut-
nant uns gar nicht genug loben konnte. l?m schweren harten
Rampf haben wir uns bewährt und den hohen Vorgesetzten
Achtung abgenötigt. Aber in unfern Rnochen steckt auch noch
der alte Schliff. — Wenn wir jetzt so heimkämen und als Zu-
schauer starr der französischen Bevölkerung laurer liebe Gesichrer
sähen — ach wenn man sich bei so einem glänzenden Bild des
Vorbeimarsches so etwas nur ausdenkt, dann durchrieselt es
einen und ein Schauer der Begeisterung, wie man ihn nur selten
erlebt, packt uns und hält uns gefangen «Fridericus Rex, mein
Röntg und Held, wir schlügen den Teufel für Dich aus der
Welt».
Und weil wir'« so fein gemacht, darum spielt uns heut'Abend di?
RapeUe zur Unterhaltung ihre lustigen Weisen. Zwanglos sam-
meln sich die Gruppen guter Rameraden im Rreise um die Musik,
um andachtsvoll den Rlängen zu lauschen. Und in den Pausen
schwirrt es von lustigen Erzählungen über den weiten Play.
i» D. d. s.
273
Es wird dunkel, die V?acht senkt sich hernieder. IVir gehen zur
Ruh! Da tönt aus einer Ecke der großen Baracke leise ein Lied;
«Sah ein Rnab ein Röslein stehn». Zuerst klingt's wie zaghaft,
doch immer mehr Sänger stimmen ein. Hoch ist das Lied nicht
zu Ende, da hat schon der ganze Chor eingestimmt. Und weiter
folgen mehrstimmige Lieder. Wehmütig getragen gesungen:
«Vlach der Heimat möchr ich wieder, nach dem teuren Vater-
haus». Das -Lied singen sie alle so gerne, unsere Rrieger hier
draußen. «Sei gegrüßt in weiter Ferne, teure Heimat sei ge-
grüßt.» Und weitere Lieder folgen. Dieselben singen's, die heute
früh das prachtvolle Schauspiel des Parademarsch« boten, die-
selben, die vor einigen Tagen mir Bajonett und Handgranaten
wutentbrannt durch die zerschossenen Gräben vorwärts stürm-
ten. Man kennt sie heut' nicht wieder.
*
Hermann v. Rohden,
geb. lo. November 1887 in Hagenau/Elsaß,
gef. Z. September 19 IS in Bussy.
Schloß v., 31.Januar lylö.
Ihr lebt gewiß in ungemütlicher Spannung, was die gegen-
wärtige Gewitterschwüle uns im kommenden Monat wohl
bringen mag. <vb endlich das letzte große Ringen kommt? Man
sollte es meinen. Aber sicher ist's nicht. IVir haben gelernt, auch
Rückschläge und Enttäuschungen geduldig zu ertragen. Wenn
Ihr daheim nur nicht murrt oder jammert, wir hier draußen
sind das Entbehren gewähnt und geben nicht nach, bevor das
grausame Spiel siegreich zu Ende geführt ist. — Weil wir gleich
anfangs so viel, viel mehr gelirren und erlebt als Ihr, stehen
wir sozusagen fast jenseits von Heid und Schmerz. Und haben
das Leben doch mindestens so lieb wie Ihr. Ja, wir wissen es
jetzt erst richtig zu schätzen.
<£., 24. April lylö.
TDie das wilde Völkerringen nur enden mag? Das mitzuerleben,
ist mein größter Wunsch, vielleicht sind die meisten — die,
denen der Rrieg nicht bis ins Mark gegriffen, die er nicht im
274
Innersten gerüttelt und geschüttelt — verdrießlich und ent-
täuscht. IVer sein Lieben tausendfach preisgeboten und es immer
wieder neu zum Geschenk erhielt, weiß erst des Gebens Güter
recht zu schäyen. Nie Hab' ich das stärker empfunden, als nach
der Herbstschlacht in Äarbiöre. Äin Blinder, dem das Augen-
licht wiedergegeben ist, kann sich kaum so freuen wie ich damals.
Nicht lange hielt das an: Zurück, die Rameraden warten auf
dich! Und mir der Rückkehr mußt' ich gleich die Hoffnung wieder
nach der Heimat senden: verwahrt sie wohl, bis ich sie einst
— vielleicht — mir wieder holen darf. Hier kann ich sie nicht
brauchen, will ich ein leidlich guter Rämpfer sein. Ich sehe es
täglich: sie füttert die Feigheit und schwächt unseren Mut. —
Ihr sagt dagegen: 3ä, wenn Ihr die Hoffnung auf glückliche
Heimkehr nicht habt, was hält denn dann lLuern Mut? — ver-
steht mich nicht falsch: jeder einzelne von uns muß vollständig
abgeschlossen haben, und nur die eine Hoffnung, der eine Glaube,
die eine Überzeugung darf in ihm glühen: Du kämpfst nicht um
dein -Lebensglück, nein, um das der Deinen, um den Sieg
deines Landes. . ..
... War die Rarwoche regnerisch, so erfreute uns gestern das
sonnigste Vsterwetter. IVir schwerfälligen Rellerasseln krochen
blinzelnd ans Licht und hatten Lust, wie Stallpferde vor Freude
zu wiehern. IVohlig warm riefelte das über Gesicht und Rücken
— wir rochen den Mai! vernünftigerweise hatte der Feind un-
sere Absicht, ihn an diesem Frühlingstage nicht zu belästigen,
wohlwollend aufgefaßt, und so ließ er uns ebenso in Ruhe.
Das war recht angenehm: so konnten wir seit langer, langer Zeit
mal wieder draußen Raffee trinken: freilich immer mit dem un-
angenehmen Gedanken, in der nächsten Minute «gelebt zu
haben». Zwar war der Rellereingang direkt neben uns, aber
eine französische Granate pflegt schneller Z bis £ km zurückzu-
legen, als ein Mensch 12Stufen hinunterklettern kann. IVir
waren aber von der Ehrlichkeit der Franzosen so fest überzeugt,
daß wir uns schließlich Z Stunden lang mir einer sehr interes-
sanken Schachpartie beschäftigten.
<£., 15. Juni I9l«5.
J£s ist ein wunderbares Hochgefühl, mit einer fast 300Mann
starken Rompanie im Bataillonsverbande nachts ins Ungewisse
>8. 275
zu wandern. Ob sie nun ein lustiges oder trauriges Marslblied
singen, ob die Spielleute einen kernigen Marsch zum Besten
geben, um die ganz Müden noch mirzuschleifen oder ob jeder still
seinen Gedanken und Träumen nachhängt — in solchen V»ach-
ten keimt und wächst in dem Herzen des Rompanieführers starker
Stolz und heiße Hiebe zur Rompanie. — Das könnt Ihr nicht
verstehen. — tLs ist meine zweite Heimat! — Meine tapfere
I2te!
Q. B., l.Iuli lylö.
Ich kann mir kaum denken, daß man uns nicht auch brauchen
und holen sollte. Rlingt es nicht unbegreiflich? Ich brenne dar-
auf! Ja, und wenn ich dann wieder all die frischen, iungmurigen
Rnabengesichter zwischen den alten abgestumpften Champagne-
kriegern sehe, dann quillt wieder heißes Mitleid in mir auf.
Auch Ihr? Daß dieser wilde Vrkan nicht nur so manch wackeren
Sämann, sondern auch so viel lebendige Frucht dahinrafft und
vernichtet. Wer bleibt, die Felder unserer Saat einst würdig z»
bestellen? — Wenn ich die roten Mohnfelder sehe, das üppige,
prunkende Unkraut, dann muß ich daran denken, wie daheim
und hinter der Front Gewinnsucht und Sünde schamlos in die
Halme schießt und die edelsten 'werte im Reime erstickt! tt>ie
deutlich spüre ich die ernüchternde Wirkung, die meine Urlauber
aus der Heimat mitbringen. Immer weniger erscheint ihnen das
Große groß, das Rleine klein. 0b ich mich täusche? vielleicht
offenbart erst die Schlacht wieder so manches, das jetzt ihr Herz
nur scheu verbirgt?
B., Z l. August
.. . Mit dem Urlaub sieht es natürlich jetzt recht trübe aus, —
aber offen gestanden, ich hätte doch keine Ruhe und Freude zu
Haus, wo wir jeden Augenblick eingesetzt werden können und
meine Heute lieber mit mir als mit einem anderen ins Gefecht
gehen.
Die gute Minderheit daheim, die klar ihr edles Ziel vor Augen
hat, darf nicht müde werden, die laue, jammernde Mehrheit
durch Tat und Rat zu stützen und zu stärken. Ms tut mir sehr
wohl, vor meinen Heuten etwas kurz und militärisch zwar, aber
doch in leicht faßlicher Form öfters daraufhinweisen zu können,
276
daß Deutschlands Zukunft von unserer Willensstärke zum gros;--
ten Teil abhängt. Ms gibt gegenwärtig wohl wenig Berufe,
die edler und lohnender sind, als Rompanieführer einer Front-
kompanie zu sein. Ich danke dem Schicksal dafür.
S., 13. September lylö.
Diese Fahrt durch Galizien wird mir ewig unvergeßlich bleiben.
War in Deutschland die Begeisterung zumal am Rhein, in Thü-
ringen und in Sachsen, das Winken und Tücherschwenken für
uns stumpf gewordene Maulwürfe ein Labsal sondergleichen,
so löste das farbenprächtige Nomadenleben der armen Flücht-
linge und vom Heim und Hof Vertriebenen bald eine seltsame
Mischung von Gefühlen in uns aus. Das dachen und Weinen
lag so nahe beieinander, wie ich es kaum für möglich gehalten.
Ich mußte meine Leute mit Gewalt davon zurückhalten, daß
sie nicht ihre ganze Brotration den Hunderten von Rindern aus
dem Fenster zuwarfen, die mit dem Zuge barfuß auf spitzen
Steinen um die Wette liefen. Und wenn dann so ein Rnirps
von sechs Iahren voll Leidenschaft und Inbrunst an dem er-
oberten Zigarettenstummel lutscht oder «Hail und Sieg, Daitsch-
land» schreit, dann gibt es ein Lachen ohne Ande.
Br., 19. September 1916,
Ob Ihr die Grausamkeit des Rrieges so ahnen könnt, wie wir
sie jetzt wieder täglich erleben und erdulden müssen? Freunde,
die von Anfang des Rrieges an alles, Leid und Freude, mit mir
teilten, nun neben sich sterben sehen zu müssen, das ist das
Härteste bei unserem rauhen, furchtbaren Handwerk.
S., 20. November l9lö.
Vb Dich dieser Gruß erreicht, weiß ich nicht. Ich hoffe es den-
noch. Wir fristen, bis zum Leib im Lehm, die meisten ohne
Stiefel, unser armseliges, stolzes Leben in Granarrrichtern und
zertrümmerten Unterständen. iL« ist wirklich die Hölle. Am 18.
früh, als es noch hart gefroren war, hatten uns die Engländer
umzingelt. Durch energischen Gegenstoß jagten wir sie wieder
zurück und befreiten viele von unseren Leuten, die schon ge-
fangen waren. Ich holte mir bei dem langen Laufen wahr-
scheinlich einen Rnacks an der Lunge. Habe starke stechende
277
Schmerzen auf der rechten Brustseite, nur wenig Lieber, keinen
Husten. Aber bevor wir hier herausgezogen werden, gehe ich
nicht zurück. Ich kann meine .Leute nicht im Stich lassen: sie
würden irre an mir.
B., 28. November
Die Rompanie ist heute Mittag wieder nach vier Tagen in Grel-
lung gerückt; es kostete mich wirklich eine starke Überwindung,
als ich sie nach einer kurzen Ansprache wieder ins Verderben
schicken mußte, ohne selbst dabei sein zu dürfen. Ja: Dürfen!
tLs mag unwahrscheinlich, unnatürlich klingen, aber es ist so.
Jedes A?ort, das ich ihnen sagte von Ehre und Treue, von ÖHd
und Selbstüberwindung, es klang mir so hohl und so schal und
fade, als ob ich IVorte plapperte, die ich selbst nicht glaubte. —
IVenn Ihr nur eine leise Ahnung hättet, was die da draußen
für ihr Vaterland leiden und entbehren, jede kleinste selbstsüch-
tige Regung, jeder eitle Gedanke müßte sich vor Scham und
Reue verstecken und verkriechen bis in die tiefste, geheimste
Falte Eurer Herzen. Ich meine nicht Much persönlich, ich meine
alle diejenigen, die ohne Todesgefahr, ohne tierischen Hunger,
ohne brennenden Durst, ohne größte körperliche Anstrengungen
ihr Lieben leben können. Ms gehört nicht mehr einfacher Herois-
mus dazu, all das Furchtbare geduldig zu ertragen, nein, ich
habe das Gefühl, meine -Leute wachsen da vorn über sich selbst
hinaus. IVenn Ihr mir ansehen müßtet, wie sie gierig das
schmuyig-blurige Lehmwasser aus den Granattrichtern schlür-
fen, nachdem sie vorher tote Rameraden oder Engländer erst
daraus geworfen haben, wenn Ihr es nur eine Stunde durch-
leben solltet, wie einem zumute ist, wenn er verwundet, bis zum
Hals im Schlamm und ^Wasser, um Hilfe schreit, ohne daß Rame-
raden ihm helfen können, Euch faßte wie mich das Grauen.
*
Unbekannt,
gef. lZ. Oktober!9 lö.
10. Oktober I9I6.
Gestern früh Z Uhr bin ich hier angelangt. Auf wie lange, weiß
niemand. Man siyt hier dauernd auf dem Sprunge, namentlich
278
in solch brenzligen Tagen. Ich war 6Tage in Stellung bei
Chaulnes, das in Grund und Boden geschossen ist. Sie haben
schon viele Rriegsgreuel gesehen; aber ich glaube, noch nicht
dieses hier. Täglich herrschte rasendes Feuer, größtenteils
schwerster Raiiber. einziges Dröhnen der Erde, ein
stetes Schwanken der rauch- und gasgeschwängerten Atmo-
sphäre. Mit einem Worte: viehisch! Gegen Abend war
immer höchste Alarmbereitschaft, doch wurde der feindliche
Angriff durch rechtzeitiges Linseyen unseres Sperrfeuers
im Reime erstickt. Günstig für uns war auch die regne-
rische, trübe Witterung, die keine Beobachtung durch Flieger
und Ballons ermöglichte. Heute ist leider wieder sonniges
Wetter eingetreten. Schon steigert sich auch das Feuer. lLs
hört sich aus der Ferne an wie das Stampfen einer Maschine,
die die iLrde und in ihr hausende Menschen zu einer Masse
zermahlt, — dann wie das wütende Brüllen eines Stieres,
der sich vergeblich den Ropf an einer Mauer einrennt. Von
größerer Nähe klingt's wie Durcheinanderpoltern hölzerner
Regel.
Die armen Toten, die keine ruhige Stätte erhalten können. In
mondfahler, regenschauernder Nacht haben wir sie hinter der
Feuerlinie bestattet. Die Stahlhelme der Schaufelnden blinkten
hastig auf und nieder, denn dauernd umheulren uns Granaten
und Schrapnells. In kurzer Zeit, wenn auch das schlichte Holz-
kreuz weggeschossen ist, wird niemand mehr die Stätte erkennen,
wo die Guten ruhen.
Man kommt hier allmählich zu der Überzeugung, daß der Mensch
rein nichts ist. Man lernt das Leben buchstäblich verachten.
Das gibt einem denn auch die nötige Ruhe, dem schaurigen
Tode da vorn gefaßt entgegenzutreten. Tod ist ja auch nicht das
Schrecklichste; das ist vielmehr schwere Verwundung, die einem
nicht gestarret, sich in Sicherheit zu bringen, so daß man im
Schlamm elend umkommt, wie es Anfang September hier
Hunderten ergangen ist. Nur davor möchte ich bewahrt blei-
ben, das andere ist alles eins ...
(Unvollendet.)
*
279
<£ &miIIo Hahmann,
geb. IS. Oktober 1892 in Plauen b. Dresden,
gest. 24. November I9I8 im Rloster Pal de grace bei Paris in
französischer Gefangenschaft
Im Felde (Somme), 7. Oktober I9I6.
Stumpf und müde trotten wir in der Rolonne dahin, bleich mit
entstellten, verzerrten Gesichtern. — Schwere Tage liegen bin-
ter uns. — Die große Zahl der alten Rameraden — wo sind sie?
Viele haben ihr Leben lassen müssen, viele sind verwundet,
leichter oder schwer. — Langsam fangen sich die Gedanken an
zu sammeln, und alle die durchbangten Stunden ziehen wieder
an unserm Geiste vorüber. Werden sie jemals wieder getilgt
werden können, diese schrecklichen »Lindrücke? Wir haben uns
weiter gearbeitet, es muß gehen, denn wir sollen ja in einen
Ruheorr weit hinter der Front, fern dem nervenzermürbenden
Trommelfeuer. —
— Musik! — Der Ropf hebt sich, und sacht versucht der Geist
die Melodien zu erfassen. Welch Tröster ist die Musik für den,
der sie so von Herzen zu verstehen vermag. Doch auch all den
abgekämpften Rameraden, die wohl sonst nicht viel von Musik
halten, entfuhr es wie eine Erlösung: «Musik!» Min anderer
Geist lebte plöylich in uns, wenn auch noch keine Heiterkeit auf-
kommen konnte, so wurde doch schon hier und da geplaudert. —
Ist es Täuschung, ist's Wahrheit? Mir stockt der Atem, ja, es
ist's — das Schuberrsche Ave Maria! Ganz versunken in die
Schönheit der Weise, lausche ich den nun ganz nahen Rlängen
und merke kaum, daß mein Nebenmann mich anstößt, ob ich
denn gar nichts höre l «Freilich» — Musik tönt, Harmonien, die
ich selbst so oft mit meiner lieben Mutter daheim gespielt.
Gerade bogen wir in grünes Gelände ein. Am Wege des idyl-
lischen Platzes, der Heiland das wunde, müde Haupt uns zu-
gewandt. Das hehre Gesicht schien mir heute so unendlich trau-
rig, so mitleidsvoll, als wollte es sagen: Ihr armen, müden
Rämpfer, wie schwer habt ihr leiden müssen, zieht nun ein zur
Ruhe.
*
280
Viktor prüy,
geb. I£.Oktober 1895 in Neustreliy,
gef. 28. September I9I8 bei Piennes.
Feldstellung, 9. Oktober
Mein Leben gehört jetzt dem Vaterland, meine Arbeit meinen
Goldaren und meinen Lieben allen daheim, die sich mir mit
ihrer Sorge, mir ihrem Leid und ihrer Freude als Freunde an-
bieten — und derer sind viele. Ihre Freundschaft ist mir ein
köstlicher Besitz, der mir über manchen trüben Tag hinweg-
hilft, das weißt Du alles längst. Warum erinnerst Du mich dar-
an, daß mich hier draußen täglich Gefahr und Tod umgibt? Ist
der Tod errvas so Arges, kann ein Tod für eine herrliche Sache
schwer sein? Vielleicht mag es so sein, daß uns das Leben
versöhnen kann. Ich will Dir Deine Anschauung nicht ab-
streuen. Aber ich glaube, daß es wohl Menschen gibt, die
nur der Tod mir dem Leben versöhnt. Wie könnten sonst die
Tausende hier mit uns im gleichen Schritt marschieren, in
Reih und Glied mit uns kämpfen, wenn sie mit dem quälen-
den Gedanken einhergingen, daß sie die Rugel erreichen
könnte, ehe sie die Versöhnung gefunden hätten? Das Le-
ben für die Brüder geben ist doch die größte Liebe, und der
Tod ist Erlösung und Steg — und ich meine, daß wir hier
draußen am besten Gelegenheit haben, darüber zu denken. —
Es ist wohl so, daß man nichts Außergewöhnliches zu tun
braucht, um «auf Gottes Wegen zu wandeln», daß man stille
warten muß, bis einem die tiefere Erkenntnis gegeben wird.
Und so soll alles hier draußen nichrs Außergewöhnliches sein,
sondern eine Pflicht, ein stilles Tun und Warten, und es ist
nicht alles ein Opfern, wie man meint, denn ein Opfer kann
man nicht «gerne» bringen, ein Opfer ist nur, was man mit
Schmerzen gibt.
Feldstellung, 27.Oktober I9I6.
Als es heute Tag wurde, als langsam das Licht herausgekrochen
kam, drüben hinter den Bergen aufder anderen Seite der Ebene,
stand ich oben auf der Ruppe des Berges in den schmutzigen
Gräben mir den stacheligen Hindernisreihen davor und schaute
weit — weit dorthin, wo W. jetzt ist, und wo liebe Menschen
28 I
wohnen. Vor mir lag die Rette des Berner Oberlandes mit den
vereisten Spiyen und Zacken. Einmal war drüben am Hart-
mannsweilerkopf ein Handgranatengefecht, sonst war alles
still. — Meine Meinung ist, daß es an uns zumeist liegt,
wenn andere uns nicht «verstehen», von dem Grundsatz
bin ich öfters ausgegangen. Dann aber merkte ich bald,
daß es noch zwei Dinge feien, die sich uns feindlich als Dor-
nen in den Weg stellen, wenn wir das sonnige deutsche
Märchenland suchen: Das ist die Undankbarkeit. Die Un-
ehrlichkeit gegen sich selbst: Die «Rameraden», Mitmenschen
oder wie man sie sonst nennen will, die Geschöpfe, die oft
nichts weiter als die Uniform mit uns gemein haben — sie
wollen nicht, daß man bei allem mit Leib und Seele dabei
ist. Sie wollen nicht, daß man sich «übermäßig» begeistert.
Sie behaupten, man sei Pessimist, wenn man die Dinge einmal
beim rechten Namen nennt, sie können es nicht verstehen,
wenn an trüben Tagen auch die Seele ihren Nebelmantel an-
zieht, und daß man an frohen Tagen wie ein Maikäfer
strahlt. Sie wollen es einfach nicht, daß man ehrlich gegen
sich selbst ist. Man soll stets lachen, auch wenn es nur ein
übermütiges Srammtischlachen ist, und stets an nichts denken,
dabei aber ein geistreiches Gesicht machen. Zu allen sagen
wir gewöhnlich «sie verstehen uns nicht». Das Trübe in un-
serm -Leben kommt meist daher, daß man die Sonne allzu
leicht vergißt, wenn sie einmal irgendwo im IVelrenraum
hinter Nebeln und Dunst verschwunden ist. Und dabei wissen
wir doch genau, daß sie noch da ist. Ähnlich geht es mit unserm
Leben: man möchte es tausendmal wegwerfen, aber nur,
weil einmal die Seele matt ist und das Leben gering er-
scheint. Und doch hängt man meist, nicht immer im Augen-
blicke der Gefahr, an seinem Leben wie ein kleines Rind, das
einen glänzenden Stein nicht hergeben will. Ob unsere Rräfte
für die Friedensarbeit ausreichen, erscheint uns manchmal
zweifelhaft. Und doch sehnen wir uns alle nach einer gesunden
Heimkehr und wünschen sie. Aber es sind die Besten, die hier
draußen starben.
*
282
Emil Rirchhausen,
geb. 2. April J896 in Rrefeld,
gef. 9. Dezember I9I 6 Vacheronville.
In Leindesland, 9. Dezember I9I6.
Hier wird Hoffmanns Erzählungen gespielt, aber mir detona-
tionearrigem Schlußakkord in sämtlichen Tönen. Das Böse
dabei ist, daß manche Menschen bei dem Hoffmannschen Schleif-
walzer gelegentlich bis zum Petrus walzen. Man sollte bald
sagen, da oben müßte doch kein Play mehr sein bei solch einem
Massenandrang. Gucke schon manchmal nach oben, ob die Lei-
ter nicht durchknickt, wo die alle dran heraufklettern. Herzlichen
Gruß, Dein Freund.
*
Heins Gäfgen,
geb. 8. Dezember 1896 in 'Wiesbaden,
Schießschule Beverloo, den 5. November I9I6.
Am Zuge auf- und abgehend hatte ich Gelegenheit, einen Leut-
natu zu sehen, dem auch vom Schicksal bestimmt ist, hinauszu-
gehen ins Feld und von seiner Braut Abschied zu nehmen. Die-
ses harmonische -Leuchten der suchenden Augen/dieses aus einem
tiefen Innern quellende Sprechen, diese gegenseitige, sprachlose,
stumme Verehrung. Dann ein schwaches Anziehen des Zuges,
ein fester Ruß, noch einmal ein frommer Wunsch und — ge-
schieden. Hoch nie habe ich ein so liebes Scheiden gesehen. Er:
unbeweglich mir stolzem Auge. Stolz auf sie. Sie: die Liebe in
reinster und wahrster Ausprägung, nie werde ich vor meinen
Augen verschwinden sehen, wie dieses Mädchen noch mindestens
fünfhundert Meter neben dem Zuge ging, immer noch einmal
hoffend, eine Hand greifen zu können, eine Wohltat, die der
rascher fahrende Zug nicht erlaubte. Und die Unmöglichkeit ein-
sehend — eine Rußhand, daß ich dachte, sie selbst zu verspüren,
und —Rehrt Marsch.
*
283
Albert Neriyck, unbekannt.
Rarpathen, November lylö.
Teihle ihnen hir durch mit das ich immer Gesund bin was ich
auch von ihnen hoffe. Ich habe ihr liebes paketchen mir Tau-
send Freuden erhalten, meinen innigsten Dank dafür. Wir sind
vier Brüder im Felde und einer schon über ein Jahr Tod. Das
ist auch sehr schwer für eine Mutter, ihre Rinder alle im Rriege
zu haben. Wie wir noch alle klein waren und sich nicht helfen
konnten, da mußte mein liebstes Mütterchen sich quelen und
sorgen, das wir durchkamen, denn der Vater war tot. Das ist
keine kleine Arbeit für eine Mutter, sechs kleine Rinder zu er-
nähren, und ieyr da wir groß sind und die Mutter alt und
schwach, da müssen wir sie allein lassen. Ich möchte wenn ich
mich so bedenke, rein am -Leben verzweifeln, es ist rein nichts
dazu zu machen. Wenn ich erst zu Hause komme, so werde ich ihr
mir doppelter liebe umgeben und ihr für alles entschädigen, was
sie so lange entbehren mußte.
*
Johann Willamowski, unbekannt.
2Z. November I9I6.
Den dritten Winter bringe ich nun im Schützengraben zu. Den
russischen Winter kenne ich, und wieder zieht er heran mit Eis
und Schnee, mir Regenschauern und bitterer Rälte, die das
Blut in den Adern erstarren macht, die Sümpfe und Seen bis
auf den Grund gefrieren und die Rinde der Bäume krachend
zerspringen läßt. Doch unentwegt hält der deutsche Sandsturm
aus. weiß, es geht ums liebe Vaterland, um die Heimat,
um Haus und Herd, um Weib und Rind, um alles, was lieb und
teuer ist. Mit verbissenem Ingrimm halten wir die Wacht im
Osten, hoffend, daß doch endlich der Tag erscheinen wird, der
wieder schmückt mit blühendem Rranz die Erde, daß der Tag
erscheinen wird, da wieder Frieden und Gerechtigkeit einander
grüßen werden auf den Straßen. Der Glaube, die Hoffnung
sind es, die uns immer wieder Rraft und Mut verleihen, bis
ans Ende, ans siegreiche Ende.
28*
Wir halten die "wache. Wachen die zu Hause auch? Wenn man
die Urlauber hört, muß man zu der Ansicht kommen, daß das
deutsche Volk eingeschlafen ist, eingeschlafen rroy des Rriegs-
gerümmels, rroy des Waffenlärms, rroy des Trommelfeuers,
troy des Schlachtendonnerwetters. Das Volk hat sich an den
Rriegslärm gewöhnt, wie der Müller an das Geklapper seiner
Mühle und das tosende Brausen des Mühlenbaches. Wenn in
der ersten Rriegszeit ein Feldgrauer sich zeigte, dann kamen ihm
auch Fremde mir Weinen und dachen entgegen, heute aber
schieben sie sich an ihm vorbei, als sei etwas Raltes, Fremdes
dazwischen gerrere», überströmt von Blut und Tränen ist die
Menschenwelt wie noch nie, solange die Erde besteht. Wir lie-
gen im Gchüyengraben, die aber in der Heimat siyen da, schelten
über die Rönige und alle Vbrigkeit, über die Feldgrauen, die
nicht schnell genug siegen, über die «ganze verfluchte Wirrschaft»
ringsumher. Woher sollen wir die Rrafr nehmen, wenn die
Verbindung fehlt zwischen Heimat und Heer? Deutsches Volk,
wache auf!
*
Friedrich Franz B lan ck,
geb. I I. Dezember 1892in Hermannshagen /Meckl.-Schwerin,
gef. 27. August 1918 bei Mory.
Schützengraben, l9> November lylö.
Ich habe viel Zeit, was kann ich da Besseres tun, als an Dich
und alle sieben denken und Dir schreiben. Freilich Neuigkeiten
weiß ich nicht zu erzählen. Einförmig wie das Rleid ist auch
der ernste Beruf des Soldaten. Angriff— Abwehr, Abwehr —
Angriff, postenstehen und Rontrollieren. Einundzwanzig Tage
hocken wir nun im finsteren Stollen; er dröhnt und zittert,
wenn die Granaten und Minen rechts und links und gerade ihm
aufs Haupt playen. Mir leuchtet die flackernde Rerze, oder ich
siye aus Vlot im Dunkeln. Morgen geht's weiter zurück, ein
paar Tage vielleicht noch weiter. Schließlich bleibt immer der
einförmige Rrieg — düster — arm an Geselligkeit. Werde ich
nicht bald vierundzwanzig Jahre? Wäre ich nicht doch ein an-
derer ohne den Rrieg? Examina; hätte ich sie bestanden, wäre
285
ich Doktor und jOcentfat und reckte mich ohne Ermüdung nach
immer höheren geistigen und persönlichen Vorbildern. IVie we-
nig kann der Mensch in dieser Zeil sein Schicksal meistern! Doch
ich gebe mich nicht auf, und so bin ich noch stark und jung. Du
brauchst Dich nicht um den zu sorgen, der Dich innigst grüßt.
*
Max Theuermeister,
geb. jr, Mai 1885 in Medewiysch.
November I9I6. Westen.
Drei Stunden sind wir marschiert, wo wir hinsollten. Um drei
Uhr früh, da harren wir den schweren U>eg hinter uns, da stie-
gen wir ins JLod> hinein. Die Stellung, wo wir jeyr sind, ist
vor dem Dorfe T. Min Trümmerhaufen, die Häuser stehen
manche auf dem Ropf, ineinandergestürzt, zerperstet wie eine
Eierschale, Granatloch — Äoch an Jioch von allen Ralibers
und Stunden lang über freies Gelände kein -Laufgraben, kein
Srellungsgraben. Ach, so eine Stellung Hab ich noch nicht mit
durchgemacht, da hat man in einem j£och gekauert, kein Play,
nur ein Granatloch, waren immer drei Mann. Da haben wir
vier Tage zugebracht, eine richtige Strafe, wenn man so kauert,
immer in die Rnie und das Gesäß, kann ich nicht schildern,
schreckliche Tage, wenn man kein Bein gerad machen kann und
obendrein darf man sich nicht sehen lassen wegen den verdamm-
ten Fliegern. Die sind so frech, die Englischen, die würden lan-
den und uns aus dem -Loch holen, weil der Feind uns überlegen
ist. Am 5. Gkrober I9I6 war hier ein Großkampftag, die Stel-
lung ist zurückgenommen worden. Ach, war das eine böse Zeit,
gefroren hat man. Vorgestern früh schneite es, und aus dem
Schneewetter wurde Regenwetter, dazu ein Sturm. Die Gra-
natlöcher rutschten ein, und die Schmiere, es graut einem wie-
der, und heute früh wurden wir abgelöst. IVie ist's da einem
zu Gemüt, ich kann es nicht schildern. Ich habe das Gefühl, daß
man zermürbt wird, daß man zuleyr auch zusammenrutscht wie
ein Granatloch.
*
28<5
Hans Rirchmayr,
geb. ZI. Dezember 1893 inSchauersfreiling, Bez. .Linz, Ober-
Österreich.
18. April
Heut früh heult der Sturm fort, von den Bergen rings taucht
bald der eine, bald der andere aus den IVolkenfeyen. Der Wind
ist nicht sehr kalt, aber die Leute, die in den Schneekavernen
schliefen, drängen sich zur Marodenvisite, die ein Fähnrich ab-
hält. Einen bringen sie herein, von dem sie nicht wissen, was
ihm fehlt. Er stiert vor sich hin, spricht nicht mehr — er wird
hingelegt, und als er zur Untersuchung an die Reihe kommt,
ist er rot. Ein kurzes Erstaunen in der Hütte und niemand spricht
mehr davon — wortlos wird er hinausgetragen, damit Platz
für einen Mann von meinem Zug wird, den sie auch herunter-
führen, weil er nicht mehr gehen kann. Gestern hatte er Blut-
spucken, aber der Fähnrich meinte, er solle hierbleiben. Heut
muß er hinuntergeschaffr werden — wenn der Sanirärsschlit-
ten kommt. Gestern ging einer von meinen beuten mir erfro-
renen Zehen weg. Gestern, — ja, wenn jeder Tag so wäre! Zu
Mittag liefen wir alle im Hemd Schi auf dem Gletscher — es
war geradezu heiß, und alle sind schon rotbraun im Gesicht. —
Die Menage bekommen wir höchst unregelmäßig, weil alles
Holz natürlich heraufgetragen werden muß. Jetzt z. B. ist kein
Stückchen hier. Eine Referveportion haben die Leute bereits
gegessen. Alles, alles fehlt, ist nicht zu bekommen, und doch muß
es gehen. Ein Leben! Gegen Mittag kommt Franzelin und
etwas später Müller mit dem zweiten Zug, ganz erschöpft. Sie
mußten im Schneesturm marschieren. Zum Glück geht die Ab-
teilung Schwab! sofort weg, so wird Platz. — Später steigt,
einer hinterm andern, die zweite Halbkompanie herauf. Ein
paar Leute der Bereitschaft haben etwas früher angefangen,
neue Schneelöcher auszukeben. Die von der zweiten müssen
sofort mithelfen. Aber viele wollen nicht einsehen, daß sie sich
im Schnee verkriechen müssen vor dem schneidenden Wind —
sie stehen gedrängt vor der Tür unserer Baracke und meinen,
sie werden hineinkommen. Aber sie ist ohnehin schon ganz voll
— nur die Maroden haben ein Recht, hier zu schlafen. — Die
scheinbar einfachsten Dinge, wie das Zutragen der Menage zu
287
den entfernteren Stellungen, sind schwierig, wenn überhaupt
nicht durchführbar. Die Mittagsmenage ist ungefähr — wenn'«
gut geht — neun Uhr abends, weil das Zerschmelzen des Schnees
so lang dauert. Frei kann das Leuer nicht brennen, und im Zelt-
blattgerüst raucht's fürchterlich. Das Holz ist knapp, jedes Scheit
wird gezählt. Meinen beuten konnte ich das Mssen zustellen —
da schmeckt's einem selber doppelt... Von ! 2 bis 2 harre ich
Nachtdienst. Ms war nicht sehr kalt und kein ständiger Wind,
sondern nur einzelne Stöße. Der Gletscher halb im Mondlicht,
halb übernebelt — die Silhouetten der Spitzen bald geisterhaft
blaß, bald unheimlich dunkel, dabei wie durchsichtig und silber-
randumflössen — eine Schönheit, von der man schauernd ab-
gestoßen, statt angezogen wird. Das weite weiße Feld wird mit
dem Feldstecher abgesucht — ein Augenblick fern draußen un-
sere patrull und schon wieder verwehr. — Rnall und Widerhall
eines italienischen Schusses vom Ramm gegenüber — beson-
ders wird die Lobbia alta beobachtet, wo die Alpini tags über
so heftig arbeiten — dahinter soll ein Schibataillon stehen, das
in einer Viertelstunde da sein kann. Mine leise Freude steigt auf
an dieser eigenartigen Stellung: ohne Hindernis und Schützen-
graben, ein ungeheures Schußfeld, die großartige Umrahmung
— aber sieh zurück: im grellen Licht die aufgeworfenen Brok-
ken im Glerscherschnee, schwarz emporstarrende Gewehre und
Bergstöcke — da liegen sie drunten, in den Gruben und Schäch-
ten, Menschen — und kein einziger ist mehr zu sehen von allen,
die sich zur Wärme drängten ... Ich steige hinunter zu einer
dieser Höhlen und schlage das Zeltblatt zurück: «Hurt, wie
geht's Much, habt Ihr sehr kalt?» «Daß man halt grad
nicht erfriert!» «Na, wenigstens kann Much der Wind nicht
an.» — Meinen Leuten geht's schon besser. In der neuen
Unterkunft steht ein Ofen, wir haben ein bißchen Holz zu-
sammengebrachr, und nun ist's ganz gemütlich — nur durch
die Decke, die als Tür dient, bläst's ein bißchen. Dort siye
ich, plaudere mit denen, die das Feuer unterhalten und trinke
Schneewasser. — Spät bringen sie einen Verwunderen, den
die eigene Patrull angeschossen hat, durch beide Oberschenkel.
Der Transport dieses einen ist schon eine Schwierigkeit — wie
würde das nach einem Gefecht! ?Min Gedanke, den man lieber
nicht ausdenkt....
288
25. April
von I Uhr früh an hatte ich Dienst. Gletschermorgen! Eine
waagrechte, dunkle Wolkenwand verhüllte die Spitzen der Bren-
tagruppe und ließ nur die untere Hälfte sehen. In den Scharten
leuchtete helles Gelb, vereinzelte und weit auseinanderliegende
Ranken, auch von Bergen in unserer ¥7ähe, schmückte .Licht
von jenem Licht; alle andere Schneewelt um mich war noch
bläulichblaß. Die Gipfel tauchten nur die fernsten Berge in das
Gold. Und dort durchdrang das Licht eine der Halbverhüllren
steilen Bergbreiten, die in ihrer ganzen "Wucht und Schwere
rosenzart durchsichtig herüberschimmerte und glitt verklärend
weiter in ein Hochtal, daß alles wunderbare, ungeahnte Tiefe
bekam, was sonst Fläche scheint. Vtfemand, das wußte ich, sah
dies aus dem Tal; in hoher schweigender Einsamkeit feiern die
Berge und das Licht ihr Fest.... Uber den morgendämmer-
dunklen Taltrichter der Sarca geschah das; nun hin zum Be-
obachtungsposten gegen den Feind. Die Felsen, die die großen
wogen des Gletschers säumen, sind übersät von tausend kleinen
weißen Flächen — Schneestaub, den der Sturm in jede Ritze
trieb. — Auf der schlanken Pyramide der Lobbia alta schreitet
der italienische Posten über die Spitze — hin und her, in seiner
vermummung gebeugt, die mir dem großen Fernglas deutlich
als weißer Pelzmantel mit Rapuze zu erkennen ist. Ich lasse
einen Posten hinüberschießen, aber er verschwindet nicht wie
die auf Lavarone. Er fühlt sich wegen der weiten Entfernung
ebenso sicher vor Gewehrschüssen wie wir. Einen Augenblick
bleibt er stehen, dann nimmt er sein melancholisches Schreiten
wieder auf. — Jetzt hob wieder ein wilder Schneesturm an;
glücklicherweise weht's nur den Staub vom Boden auf und
schneit nicht mehr. Aber die Hoffnung auf einen schönen Tag
ist wieder zuschanden geworden. — Bis zum Abend war's trüb.
Ich rannte auf den Lrosson di Lares hinauf zur neuen Ra-
Verne, "was diese elende Schneehütte, nach meinem Plan ge-
baut, für Befriedigung gewährt! Als ich herunterkam, konnte
ich wenigstens tapfer essen, was uns der Major zurichtete, "wie
ein Familienvater sitzt er unter uns auf der Pritsche im «ersten
Stock», vor sich zwischen den Beinen einen riesigen Schinken
in einer Riste und schneidet mit Franzelins Bowiemesser für
seine acht Offiziere — diesmal haben wir einen Rittmeister zu
ls D. d. s. 28$
Gast — Schnitten herunter, wahrend ich die rote Rugel W-
damer Räse verwalte. Schlecht geht's uns in dieser Hinsicht
nicht, aber es ist zuviel. Unser Mediziner — er trägt einen male-
rischen Polenpelz — lockt mich vom Lager herab, — draußen
sei's wunderschön. Und wirklich: das ist ein Gegenstück zum
Morgen heute. — Die Berge um Lafraun sind lang und nied-
rig vonIVolken umzogen, schwer mir Gewitterblau und trübem
Rot getränkt. Düster und lichtlos tauchen daraus die weißen
Rücken und Häupter. Auch die Brenta ist in aller Reliefschärfe
frostig kalt, und das einzige Stück Frühling, das zu uns herauf-
blickt, das Tal von pinzolo, hat sein frohes Grün an die
Abendschatten verloren. Dafür tröstet die Sonne den Gletscher
und seine Felsen, die keine Morgenstrahlen empfangen hatten.
Rotes Gold füllt die reine Luft über dem märchenweißen
Polarland, auf dem ein Widerschein der Himmelsröte liegt —
es lodert an den Rändern der Wolken, die feierlich über die große
Stille ziehen, und seltsam zeitlos heben sich die fernen Männer-
gestalten des Feindes davon ab, die gebeugt wie frommergrif-
fene Pilger über den Grat gehen. Rann es Haß geben in dieser
Welt? — Mit sättigendem Gefallen hängt mein Blick an den
schön bewegten Formen der Ortlergruppe; jetzt schiebt sich wie
Brandqualm eine "wolkenmasse darüber — wo sie wegweht
von den weißen Halden ins Abendleuchten, brennt es feurig
rot — Schneeberge brennen? CJch verliere mich in das "Wunder
dieses eisigen Feuers.... Die turmschlanken Hörner unseres
Grates funkeln empor — erlöschen wieder — und es singt ein
anderer Berg leise das Abendsonnenlied.... Tiefste Lebens-
freude betet in mir und versinkt friedvoll ins trautsinnende
Ruhen unter den Rameraden in der Hütte....
Dezember 1916.
Schnee und Nässe empfing mich im Süden; durch weiß-
belastete Wälder und baumnackte, dickwellige Halden, von un-
geheuren Nebelfahnen überweht, bin ich gewandert, das halbe
Bataillon hinter mir her führend. Mit fünfzig marschmüden
Männern stieg ich zuletzt steilste Hänge hinan, von schweren
Nebeln umbraut, vor mir nur das erstickende "weiß der hohen
"wände des "Wegs. Und zwei Tage drückenden Schneefalls, un-
aufhörlich, bedrohend; gestern das erste Unglück: ein Mann
290
von einer Lawine über die Felsen geworfen. Glimmende La-
kerne im Schnee — zwei schwarze Züge begegnen sich: von oben
einer: wir, von »nten her: die Pioniere; sie bergen den Mann,
einer läßt sich am Seil hinunter und holt ihn.... Tröstliche
Arbeit, neugieriges Spähen und Rühren im unbekannten Land
wurde gehemmt und getrübt durch den graulastenden Himmel
und das böse, tückisch, stille "wehen von Flocken, Flocken....
Heut nacht, gegen Morgen, wachte ich auf, wandte den Ropf
— er liegt dicht neben meinem schmalen, wagrechten Fenster —
es war verweht, nur ein Eckchen bot noch Ausblick in wesen-
loses IVeiß, in dem nichts als ein paar dunklere, sinnlose Punkte
und Striche schwammen. Es bewirkt nicht mehr die hohe Er-
regung der Nerven wie das erstemal, als ich in solches Schneien
und furchtbar schweigendes Gebirg kam — in den Dolomiten —
Erfahrung strafft und beruhigt; nur die Melancholie des Dul-
dens immer erneuter Fährde läßt nicht fröhlich werden, wendet
den Blick zurück auf noch so nahes und doch schon unbegreif-
liches Glück, von dem ich geschieden. VUcht fern scheint es mir
mehr, das Glück des Urlaubs — ich überwand die Täuschung
von Raum und Zeit — und doch, es ist eine Wand zwischen uns,
die trennt — aber darauf lodert, von aller vergangenen, gegen-
wärtigen Freude durchglüht, das Bild des Wiederfehns! Und
selbst darauflegt sich das kalte Grau des nebelerfüllten Abgrun-
des, der hinter den Schneewällen vor meinem Fenster herunter-
stürzt. Aber plöylich ist es nicht mehr leeres Vichts — Berge,
tannenübersäte Hänge stehen dort, von gewaltigen, schädel-
flachen Ruppen überwölbt.... über eine Weile ist der letzte
Schleier von ihnen verflogen: der erste klare Tag bricht an! —
Ich stieg hinauf auf die Spitze — Seespiy heißt sie zu deutsch—
ich wußte, daß die vor uns von hier aus das Meer und Venedig
gesehen. Erst staunte ich hinunter: Da drang braungrüne Ebene
ein in unsere weißüberschütteten Berge; kein Schnee lag dort
unten, Talwärme und Dorfbehaglichkeir, ^Kirchtürme und
Straßen und viele schwärzlich starrende Weingärten. Rühner
steigt und sucht das Fernglas — da sinkt es von den Augen: ist
das — eine Rette runder, weißer Rauchwolken — ist das ein
dahineilender Zug? Ja! Ja! Ergriffen sehe ich in Feindesland
Bilder der Heimat, — vergangener Gegenwart.... Weiter
hinaus. Wie die Züge fahren, quer und längshin ... keiner
I»'
weiß, sieht den andern, aber ich sehe alle. Wo das Morgenrot
das Gewölk aufgerissen, gießt sich Sonne auf die lLbene, die die
Wolken trägt, langsam schimmert sie auf in immer hellerem
Grün; dunkel, dunkler tritt am Horizont eine Reihe unfaßbar
großer, unverbundener Gebäude hervor, eine Rirche darunter—
seltsam schwarz wie die dunklen Stellen aufden Lichtbildplatten;
heller und heller glänzt der Saum der Ebene — ist das das
Meer — das Venedig ? Eine feine Rauchkette zieht an der Stadt
vorbei — zieht darüber hinaus — die Bahn — nein, das kann
Venedig nicht sein. Ich werde es nicht sehen, vielleicht ist es
nur das Wunder begnadeter Tage. — Vilm ist das Licht her-
übergefchlichen, und wie es hinfließt unter die goldgekrönte
Wolkenbank, erleuchtet es die Stadt und das Meer! Ich sehe,
sehe, so klar, so scharf, so unbegreiflich nah und natürlich die
Inseln hingestreckt im Band des Meeres, die Rüste, der Wasser-
streifen und dann der schwimmende, bläuliche Umriß Venedigs,
ein langer, halb schattenflacher, halb körperlicher Streifen, fein
und anmutig ausgezackt, überragt in der Mitte von einem höch-
sten Turm — dem Markusturm? Bald scheinen sich die Run-
düngen der Ruppeln, die Abstände der Bauten auszuprägen,
bald glätten sie sich zur Silhouette — und plötzlich zerrinnt die
darüber schwebende Wolkenbank und stockt in goldenem Ge-
wimmel über der Stadt und dem Meer. Das Wasser wird gold-
grau, über den Wolken flammen öffnet sich der Himmel — er
ist grün, so unbemerkt und doch so tief grün, als sei dies Grün
alt geworden und nun von unsagbar inniger Reife. -Langsam
segeln zwei kleine Wolken heran, lichtviolett, und ziehen ehr-
fürchtig vorüber am grünen, offenen Himmel. Und immer wie-
der das freie klare Glück des breiten Meeres — ich habe das
Meer gesehen, das Meer! Und die Inseln und die Stadt — und
das große Ziel unseres Siegerwillens, ich habe es erkannt, das
erstemal sichtbar die Größe unseres Rrieges! G, wie es lockt,
hinunterzusteigen, eilend, hastig sich mühend, vorwärts, vor-
wärts! —
Nirgends stampfte mein Fuß so voll tiefster Wonne, so voll
kühnsten Trotzes den knirschenden Boden als droben — droben
auf der Spitze, wenige Schritte jetzt über mir — und dann um-
kreiste ich sie, sah vorwärts, rückwärts und zur Seite — Neu-
land alles, endlich nicht mehr die alten, erinnerungsgriesgra-
292
men Berge um Trient!.... «Neuer Himmel und neue Erde»
— Rings um uns ein Getümmel kühnster Berge, alle im strah-
lenden Weiß des Neuschnees, über alle Beschreibung mannig-
fach gegliedert, hinreißend in ihrer herrlichen Formbewegt-
heit. — Auf Spitzen und Graten entdeckt das Fernglas Unter-
stände, schwarze Männchen in den Schneegängen: unsere Sol-
daten, — marschierende Rolonnen auf kühnen, gewagten
wegen, in riesigen, völlig baumlosen Mulden Schipatrullen,
einzelne Schiläufer — Drahtverhaue über Berg und Tal, rei-
zende Häusergruppen, Seen, Bäche rauschen, die Züge in der
Ebene tönen herauf, Lawinen rollen, — plötzlich ein verein-
zelter Ranonenschuß, dessen "Widerhall in die Ebene hinaus-
grollt, aber sonst tiefster Friede und Anbetung der überwälti-
genden Schönheit.
*
Rarl Feit,
geb. 28. August 1878 in Brietzig.
Riga, den 9. Dezember I9I6.
Ihre Zeitschriften richtig erhalten. Auf Ihre Anfrage, wie es
mir geht, will ich auch dieselbe beantworten. Damit Sie orien-
tiert sind, muß ich von Anfang der Rrankheit an berichten.
Wurde Mitte September krank, wollte mich aber nicht krank
melden, schließlich mußte ich doch. Dieses geschah auf wunder-
bare Art und weise. Der Herr Hauptmann kam jeden Tag und
frug: «Na, mein lieber Feit, wie geht's?» Sagte dem Herrn
Hauptmann, daß es schlechter würde. Da, in einer Nacht rief
deutlich eine Stimme: «Geh, eile, rette Deine Seele, ehe es zu
spät sein mag.» Sagte mir gleich, dieses kommt von oben. Folgte
dieser Stimme und ging in's Lazarett. Da wurde mir gesagt,
daß es die höchste Zeit sei, denn ich hätte die Ruhr im höchsten
Grade, wurde in wenigen Tagen dann so krank und schwach
wie ein Rind, vom 21.September bis 15. November habe ich
im Feldlazarett 531 gelegen, ununterbrochen im Bett. Phanta-
siert und im Fieber, so lag ich da. war der Rränkste daselbst.
Der Stabsarzt hatte keine Hoffnung mehr. In einer Nacht, da
vernahm ich deutlich, daß der Tod kam, wie ein riesig starker
Mann drückte er mich herunter; das Herz setzte aus, der Atem
2PZ
streikte, wie lange das gedauert, weiß ich nicht. Mit einemmal
wurde es lichthelle in meinem Innern, eine überirdische Energie
kam über meinen Rörper, richtete mich auf und schüttelte dies
Erstarrende ab. Sehe dies als ein Wunder von oben.
*
Gnotz, unbekannt.
Frankreich, den 17. Dezember I9I6.
Siye jede nacht acht Stunden auf vorgeschobenem Unteroffi-
zierposten im iLrdloch hart an der Gomme in Schlamm und
"Wasser. Unsere Stellung selbst ist ja einigermaßen ruhig, das
heißt augenblicklich. Aber unsere Zugangswege liegen viel unter
Artilleriefeuer, da wir über Stege müssen, über Gomme und
Sumpfgebiet. Diese Stege sind von den wackeren Pionieren her-
gestellt und bis 500 in lang. So mancher mußte schon ein kühles
Bad in der Somme nehmen. Unsere Artillerie ist hier der feind-
lichen weit überlegen. Na, hoffen wir alles Gute. Alles An-
rennen unserer Gegner ist ja doch vergeblich. Wohl haben wir
einen schweren Stand, aber durchlassen tun wir deutsche Sol-
daten sie nicht.
Für mich ist dies Fest nun ein besonders trauriges wegen meiner
Familienverhältnisse. Sitzt doch daheim mein liebes Rind ohne
Vater und Mutter. Die Mutter tot, der Vater im Felde, ja, es
ist schwer, sehr schwer für mich diese Tage. Gern wäre ich zu
Weihnachten auf Urlaub gewesen, aber der böse Rrieg verbietet
es. Ich tue meine Pflicht wie bisher.
-1-
Hans Diefenbacher,
geb. II.Dezember I89I in Furtwangen,
gest. 25. Dezember 1930in Rönigsbach.
Flandern, Zo. Januar lplö.
Aus Muren Briefen spricht das vertrauen zu uns. Wir lesen
zwischen den Zeilen, wie inmitten all' der Hot, die über unser
liebes Vaterland hereingebrochen ist, doch unsere Heimat be-
29*
wahrt bleiben konnte vor dem Furchtbarsten des Rrieges, vor
dem Einzug der Feinde. Ich sah mal in Middelkerke, wie eine eng-
lische Granate eine Frau mir einem Rind auf dem Arm in
Stücke riß. Ich hätte weinen können vor IVut, ich, den ein Berg
gefallener Männer kaum rührt. Denn die hatten ja die IVaffe
in der Hand und konnten sich wehren, und der Tod traf sie auf
dem Felde der Ehre. Sie waren ja unser Stolz, die da lagen.
Und aus Euren Zeilen spricht inmitten des Rrieges der Friede
der beschirmten Heimat.
Flandern, 8. Oktober lplö.
Die Menschen mit der Gasmaske auf dem Schädel, hineinwach-
send in die Größe des Rampfes, mit der Größe der Aufgabe.
Stunden für den Führer, wo er die Achtung, den Respekt der
Mannschaften ins Ungemessene steigern kann; Stunden, in
denen der Starke fühlen darf, wie das Vertrauen der Leute auf
ihm sich aufbaut, wie sie durch ihn in Sieg und Tod gehen.
"Wem sollte sich da die Brust nicht mir Stolz füllen? Wenn ich
in die Augen meiner «Alten» sehe, dann weiß ich, daß ich meine
Aufgabe im Rrieg erfüllt habe. IVas kümmert mich heute noch
die Rleinheit dummer Schwätzer in der Heimat? Es sind ihrer
ja wenige, und was wir tun, wir tun's weder für sie noch für
uns, der Geist des Vaterlandes ist es, den wir retten und erhalten
wollen, der deutsche Geist, den nichts zu Boden treten soll. IVir
haben ein großes, gewaltiges Reich von den Vätern über-
noinmen; groß und gewaltig wollen wir es den Rindern über-
geben, und wenn sie unser gedenken, wenn sie auf den Schul-
danken von der Väter Taten erfahren dürfen, wenn ein heiliger
Schauer sie erfaßt, dann muß auch in ihnen die Begeisterung
glühen, und mit dem Verständnis muß die Dankbarkeit kommen
für das, was heute getan. "Hoch ist Rrieg und Rampf allent-
halben und kein Ende ist abzusehen; ärger denn je toben Schlach-
ten an allen Fronten; aber mit unserem deutschen Geist stehen
wir heute genau so ungebrochen wie vor zwei Iahren: wir
wollen siegen, und wir müssen und wir werden es.
Flandern, 13. Oktober I9I6.
Bleigrau, ganz dicht über uns der Himmel: ein schwerer Regen-
Himmel, ein eben gleichmäßiges Grau der "Wolken, ermüdend,
295
erdrückend in der Eintönigkeit der Farbe und alles grau: die
Mauer der Sandsäcke, die zum Teil verrottet, geplatzt sind und
aus denen sich der Dünensand drängt. Wie gefällte Riesen
strecken da und dort Baumstümpfe ihre Stummel in die Höhe.
Ab und zu ein gewaltiger Schutthaufen, ein Trümmerfeld, ein
Chaos von zerfetzten Steinen, armselige Zeichen, daß hier mal
ein friedliches Heim war, daß ein Gehöft stand, wo heute das
Trümmerfeld. Der Vlame ist dem Ort geblieben, wenn auch kein
Haus, kein Stein mehr auf dem andern steht. Und da bauen die
Gedanken eine Brücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit
und das Herz fühlt in sich ein Bedauern, daß das alles nun so
darniederliegt: Menschenhände haben hier in jahrelangem
Mühen gebaut, haben dem Boden seine Frucht abgerungen,
nun liegt alles wieder öde, zusammengerissen in kurzen Stunden,
Granatloch und Minentrichter reihen sich aneinander und reden
eine eigene Sprache von roher Gewalt. Unaufhörlich strömt der
Regen von oben, still und stumm stehen die Leute auf ihrem
Posten, die Pfeife, die Zigarre im Mund. Verwitterte Gesichter,
aufeinandergepreßte kippen, die Augen in weiter Ferne. iL?
geht dem dritten "Winter zu, dem dritten IVinter im Graben und
noch kein Ende abzusehen, "wie eine leichte Müdigkeit liegt es
über allen, über diesen stillen, stummen Gestalten; was sollen
sie sich auch immer sagen? Im Herzen ruht die brennende Sehn-
sucht, die nach Erfüllung drängt; die haben sie alle, und doch ist
jeder ein Baustein zu der eisernen Mauer bei uns hier draußen;
drei Tage nur, da brach sich an uns der feindliche Sturman-
griff in furchtbaren Stunden, die durchlebt sein müssen, und
alle wissen's, vom ersten bis zum letzten Mann: Stärker, über-
legener standen wir nie. So manche JSLMe, so mancher Ramerad
der —war—, zusammengepreßte Lippen, die Augen in weiter
Ferne.
25. Dezember l9lö.
Der letzte Tag war der tollste gewesen im ganzen Monat. Ein
Feuermeer der Himmel, der Horizont. IVie Garben schießt das
Mündungsfeuer in der Dunkelheit hoch, fließt zusammen mit
dem hundert anderer Geschütze, und der Zyklon der Blitze, das
zusammengeballte Blutmeer entfesselter Flammen, schlägt hoch
in den Zenith. Pfeifend und zischend kommen die kleinen Raliber
296
und metallen hell ist ihr Einschlag. Ein Stampfen, ein Droh-
nen, ein Posten in der Luft, als sausten da oben V-Züge, und
das mischt sich alles zusammen zu dem, was das Trommelfeuer
ausmacht. Das kann kein "wort schildern, kann kein Mensch
malen; das weiß ja niemand als der Soldat, der in ihm liegt.
Stumm schießt der Raketenschüye die lohenden Sterne von
Graben zu Graben. Da weiß jeder, um was es sich handelt.
Gegen die Brustwehr gepreßt, das Gewehr in den Fäusten, den
Ropf über den SandjAcken stehen sie und harren aufden Feind,
auf den Tod, auf beide. Und packt sie nicht der Tod, dann werden
sie den Tod schleudern, gleichviel —. Der Gegner kommt nicht,
verhallend, langsam ersterbend, immer seltener heulen die Gra-
naten. Da geh' ich in meinen Unterstand und verschlinge hungrig
meine kalten Erbsen.
«Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.» "weihnachts-
glocken, "weihnachtsklingen, "Weihnachtswünsche. Ein edler rei-
ner IVunsch aller und kann doch nicht erfüllt werden.
*
August Oberer,
geb. 27. August I89Z in vaihingerhof, O. A. Rottweil/Neckar,
gef. Ii.Juni J9X8 an der Somme.
26.Dezember 1916,"Weihnachten im Schützengraben.
Man rechnete auf einen wiederholten Angriff über Weihnach-
ten. Doch der Gegner wollte nichts mehr. Unsere Artillerie hat
ihm den Mut gewaltig gekühlt. So stand ich also am heiligen
"Weihnachtsabend mit Handgranaten und Signalpatronen be-
waffner vier Stunden in dem mit Wasser und Schlamm bis an
die Rnöchel gefüllten Graben, meine Gedanken weit weg, die
Augen forschend nach der Silhouette des feindlichen Grabens
gerichtet. Da trat plötzlich um 12Uhr ein feierlicher Moment
ein. Aus der Stellung unserer Reserven tönte vierstimmiger
Weihnachtsgesang. Singen in Gottes freier Natur wie im Frie-
den, in Wirklichkeit 60 m vor einem erbitterten Feind, "war das
möglich? Ich weiß von keiner solch erhebenden und feierlichen
Stunde wie dieser. Nun getrauten sich auch einige Engländer,
ein schönes Lied zu singen. Ach es war Friede mitten im Schlacht-
297
feld, Friede wie man ihn seit 2% Jahren nicht mehr kannte,
"weder ein Infanterieschuß noch Artillerie störte diese Friedens-
nacht. ?n Andacht versunken, standen wir in, Graben und
lauschten dem Gesang.
*
298
J9J7
Friy Brunzlow,
geb. 28. Juni 1897 in M.-Gladbach,
vermißt 20. Juli I9I8 bei Reims.
Januar
Anliegende Rarte als freundlichen Gruß von mir. Bei näherer
Durchsicht Deines Briefes fühlte ich mich doch verpflichtet, Dir
mal gehörig meine Meinung zu sagen.
Auf jeden Fall verbitte ich mir als Soldat, der 2 % Jahre vorm
Leinde feine Pflicht getan hat, mir mit so einem Schreiben zu
kommen. Von einem grünen Luchs an einen Soldaten einen
solchen "wisch zu schicken, ist eine Beleidigung.
«Ob ich diese Geschichte bald satt hätte?»
Diesen Rrieg, in dem Millionen deutscher Männer ihr Bestes,
ihr Blut hergeben, in dem Taufende von Existenzen zugrunde
gerichtet werden und ohne Rlagen alles fürs Vaterland hergeben,
in dem das deutsche Volk seine herrlichste Wiedergeburt erlebt,
diesen Rrieg bezeichnest Du als «Geschichte». Schäme Dich!
«Satt» — Nein, satt haben wir diesen Rrieg nicht. Sondern
wir erhoffen bald den Frieden, der uns nach diesem Heldentum
zukommt. Ein großes, in seinen Grenzen gefestigtes Deutsch-
land, das einer friedensreichen, herrlichen Rulturentwicklung
entgegensieht.
Die Unterbrechung in Deinem Berufe war Dir unbequem.
"Was ist Dein Beruf?: daß Du Dich als Agrarier in die pessimi-
stischsten Ideen vergräbst und das Geld, das ein Großonkel sich
sauer erworben hat, verzehrst?
"Was ist dies gegen die Leute von 58 Jahren, die 'Weib und
Rind zu Hause ohne Geld hungernd zurücklassen mußten und
doch freudig dem Vaterlande alles geben? Schäme Dich.
299
Daß Du Dich noch nicht mal freust, Weihnachten unter den
neuen Rriegsgefährten zu feiern, dagegen will ich nichts sagen,
da doch Weihnachten im deutschen elterlichen Hause das Schönste
ist. Denk aber nur an viele Soldaten wie auch ich, die nun das
dritte Rriegsweihnachten fern der Heimat feiern, deshalb sei
ganz still.
Du redest von strammem Dienst Stunden täglich. Das ist
doch nichts. IVas leisten unsere Truppen seit 2 54 Jahren? Was
leisten unsere Leute im Schützengraben, was jetzt in Rumä-
nien? Ich will es nicht näher erörtern. Sei nur still! «Möge der
Geist von uns nie verloren gehen», sagt Hindenburg.
Dein Wisch zeugt nicht von diesem Geist. Hoffentlich ist dieser
nur einzig in seiner Art. Wenn unser neuer Jahrgang, der dem
Feldheer neue Rraft verleihen soll, genau so denkt, dann «Armes
Deutschland».
Bessere Dich und gehe in Dich mit Deinem Gewissen, daß nicht
wieder solche Worte über Deinen Mund kommen. Laß Dir dies
von einem Rameraden gesagt sein. Durchhalten und Siegen
bis zum Frieden!
*
August Röhler,
geb. 13.Dezember 1873 in Raltennordheim/Rhön,
gest. 10 April 1927in Jena.
Brief an Zürnst Haeckel.
Pillau, den 25. März 1917.
Sehr geehrter Herr Geheimrat!
Ich befinde mich jetzt auf Fliegerwacht an der Ostsee. jLinge-
graben in den Dünen, gegen Fliegersicht gedeckt. Immer neben
unseren Geschützen. Wir dürfen nie ausgehen, haben also täg-
lich 25 Stunden Dienst, gemischt mit langer Weile.
Da werden oft Fragen gestellt über politische und Wissenschaft-
liche Sachen, man kann doch nicht immer bloß militärische An-
gelegenheiten besprechen. Nun habe ich vor kurzem auch Sie,
Herr Geheimrat, aufs Tapet gebracht. Drollig waren die
Fragen und Antworten. — Zuerst ein Unteroffizier. «Haek-
kel? wartet mal, Haeckel? ja, der ist doch aus Berlin! Freilich
Zoo
Hab ich von dem gehört. Hat der nicht einen Lernsprecher er-
funden?»
«Nein», sage ich, «aus Berlin ist er freilich gebürtig, einen Lern-
sprecher hat er aber nicht erfunden, sondern er ist ein Natur-
forscher».
«Jetzt weiß ich's», rief der Gefreite D., «der Affenprofessor.
Aber der ist doch schon lange tot! Ich Hab mal in einem Buche
gelesen, der hat doch mit Darwin so ein Rompaniegeschäft ge-
habt. Die haben so verrücktes Zeug geschrieben, der Mensch
stammte von Affen ab, und einen Gott gäbe es nicht. Nicht?
Das war es doch? Hat denn jemand den Schwindel gelesen? Ich
bin darüber eingeschlafen.»
Ein biederer Schwabe, Landsmann und Glaubensgenosse von
Zimmermann: «Es isch ä Gchand, daß af dera Welt rum-
lafe, die unfern Herrgöttle das bißsche Dank nit gönne, was
mern Suntägs gebe, und a noch den Mensche mit äm Vieh ver-
gleiche, ä Schand isch's. 3,wenn ich was ze sage hart', 's Ränzle
tät i ihm verschlage, dem Rerl, dem saudumme, der gescheiter
sei will wie unser Herrgott, von dem darfscht nit verzähle, da
hör ich nette zu. Oder bischt auch so einer, der unserm Herrgott
aufgsagt hat? dann nimm die Rnoche zusamme, die könscht
manchmal nit wieder zesamme finde, wenn i sie dir verrisse
Hab.»
Ein Randidat der Gottesgelahrtheit, Landsturmrekrut wie ich,
knüpfte daran einen Vortrag über das Wesen Gottes, seine un-
überwindliche Liebe zu seinen Ebenbildern. Der wurde aber
durch einen niedersächsischen Bauern aus der Lüneburger Heide
unterbrochen: «Ramerad, du hast wohl noch keine Leichen im
Schützengraben gesehen? Wenn da die Liebe Gottes ist, dann
pfeif ich drauf. Ich glaube nicht, was mir Röhler erzählt hat,
aber was du da zusammenrührst, ist eine Suppe, die ich auch
nicht fresse. Daß die Menschen affenähnliche Gestalt haben, ist
wahr, aber stammen tun sie nicht vom Affen, dann würden sich
die Narren nicht gegenseitig abmurksen. Die Menschen stammen
eher von Tigern, Hyänen und Mardern ab. Affen bringen sich
nicht gegenseitig um.
301
Hans Sachs,
geb. 9. September I890 in Grüsen, Rreis Frankenberg,
gef. 10. Mai 1917 vor Reims.
lö. Mär; 1917.
Wir stehen wiederum vor sehr schweren Stunden; aber diesmal
schaue ich zuversichtlicher und siegesgewisser in die Zukunft, als
einst vor der Dezemberschlacht vor verdun. Das Hindenburg-
Programm ist durchgeführt, wir sind gerüstet bis auf die Zähne,
viel teures Blut wird es noch kosten; aber es wird diesmal
nicht umsonst geflossen sein. — IVird man nun auch in der Hei-
mat durchhalten? Das ist die ängstliche Frage, die besorgnis-
erregend unter den Gemütern an der Front oft lähmend wirkt.
Ihr lieber Brief hat mir nun gezeigt, daß wir in dieser Hinsicht
beruhigt sein können. "wie bei uns, so finden sich also in der
Heimat auch Männer, die im "Wesen des Hilfsdienstes zum Siege
führen und leiten werden.
Unsere Jugend, in der wir es in unserem Berufe zu etwas hät-
ten bringen können, ist dahin. Das sind vielleicht Opfer, die wir
halt zu denen, die wir im Rriege getragen haben, hinnehmen
müssen. Sollten wir wieder in unseren Beruf eintreten können,
dann sind wir uns bewußt und klar darüber, was nach dem
Rriege von uns verlangt wird: Alle Rraft und Energie der
jetzigen Schwertarbeit mit hinüberzunehmen in die Friedens-
arbeit. Gebe Gott, daß uns Gelegenheit dazu gegeben wird.
*
Unbekannt.
Emmerich, den 2. März 1917.
... Es war am Dienstag nachmittag um vier Uhr. Die Vlach-
richt war gekommen, endlich war unser Theo da. Die Eltern,
Großmutter und wir Geschwister gingen zur Bahn, um ihn zur
Leichenhalle zu überführen.
Eine Bahnhoferampe. Acht Soldaten, ein Unteroffizier stehen
neben dem "Waggon. Die Plombe fällt und kreischend öffnen sich
die großen Schiebetüren. In der Mitte dieses fahrenden Hauses
steht ein eichener Sarg. Ohne jegliche Verzierung, schlicht und
302
einfach. VTwr oben der Deckel trägt ein Rreuz aus dünnen
schwarzen Leistchen gearbeitet. Unseres armen, lieben Theo
letzte Stätte.
Rränze umgeben den Sarg, der für einen tapferen Soldaten
gezimmert wurde, und hinten, ganz hinten in der Mcke stehen
zwei Risten und ein blaugrauer Holzkoffer. Die letzte Habe, die
zur Mutter als Andenken wandert. Daneben das schlichte Feld-
kreuz, ebenfalls aus Eiche, mit schwarzen nüchternen Buch-
staben, die den Namen, Rang und Todestag erzählen.
-Leises Schluchzen und "weinen, dann heben starke Soldaten-
fauste den schweren Sarg, und langsam wird er auf den Schul-
tern von vier Soldaten zur Aufbahrungsstätte gebracht.
Mittwochnachmittags. Durch die halboffene Tür der Leichen-
Halle huschen flink und munter die goldenen Sonnenstrahlen.
. . . Mutterliebe hatte den letzten Ruheplatz des Ältesten ge-
schmückt. Und oft ging sie hinaus und saß am Sarg, die Hände
in den Sargbügeln verschlungen. Und manchmal strichen ganz
leis und sanft die treuen Hände, die den Bub' von klein an be-
wahrt hatten, über die kalte Deckelplatte.
*
Lothar Heinrich,
geb. 2. April I896 in Dresden.
29. März
Am 13. verließen wir die alte Reservestellung, nachdem wir
die Unterstände unter großem Hallo zerstört hatten, und be-
zogen die neue. Diese wurde jedoch nicht besetzt, damit der
Feind nichts vom Zurückgehen merke. Die Rompanie lag in
unterirdischen Gängen, die von einer Sandgrube aus miniert
worden waren. V*«r falls der Feind überraschend nachgekom-
men wäre, hätte man diesen Graben besetzt. Das tat er aber
nicht, sondern ließ sich durch die Offizierspatrouille, die noch in
vorderster alter Stellung war, täuschen. Ich war für diese Zeit
Meldeläufer einer Postenkette nach der neuen Ranalstellung.
Als solcher wohnte ich die Tage auf drei Stufen der Unter-
standstreppe. Zum Glück wurde ich durch ein öfteres: «Läufer!»
von meinem eckigen Bett erlöst. Auch die feindliche Artillerie
ZSZ
war sehr rücksichtsvoll und schoß gerade diese dächte nicht sehr
viel in die sonst stark unter Leuer liegende Gegend. Am 16.
abends ging unsere Rompanie in die Ranalstellung, und am
17. nachts ging dann der große Rückzug los.
Wie überall, wurden auch hier die Unterstände eingerissen. Als
wir abends %IIUhr aus dem unsrigen herausstiegen, setzte
die feindliche Artillerie auf uns ein, als ob sie es geahnt hätte.
Doch wir retteten uns alle hinter einen Hang. Inzwischen war
das Sprengkommando an der Arbeit und ließ die noch vorhan-
denen Unterstände, Brücken etc. in die stiegen. — So weit
man auf deutscher Seite sehen konnte, war die 'Nacht durch hell-
rauchende Feuerbrände erleuchtet. Dazu rollten ununterbrochen
die Donner der Sprengungen. Wr wanderten einem großen
Feuerschein entgegen, der von dem brennenden T. war.
Das Dorf war zum großen Teil ein rauchender Trümmerhau-
fen; hie und da glimmte noch ein Balken, wenn der Wind durch-
blies, leuchtete er auf und knisterte. Anderswo standen noch ver-
schiedene Häuser in hellen Flammen. Cht anderen waren offene
Feuer angelegt, nahe der Wand — man überließ sie sich selbst.
Hinter dem Dorf erwartete uns die Feldküche, die uns gegen
I Uhr nachts das Mittagessen für den vorhergehenden Tag
bot. Es war eine grimmige Rälte, und während wir am offe-
nen Feuer, das wir auf freiem Felde angelegt hatten, um uns
zu wärmen, unser Essen verzehrten, fielen in <E. die Brunnen
und Straßenkreuzungen sowie Reller und alles, was dem Felde
von Nutzen sein konnte, den Sprengungen der Pioniere zun,
Opfer.
Die Dörfer, durch die wir nun kamen, boten meist dasselbe Bild.
Verschiedene Dörfer lagen noch vollständig in Dunkel gehüllt.
Nur am Dache, unter der Traufe, hatte man das vernichtende
Feuer angelegt. So glimmte es, und es sah aus, als ob unheil-
verkündende Eulen unter dem Dache hervorlugten. Da und
dort hatte der Wind das Seinige getan und einen hellen Feuer-
schein angeblasen.
Die Bäume waren alle umgelegt, und während des Marsches
eilten die Telefonarbeiter vor uns her, wickelten den letzten
Draht ab und sägten die Stangen um. Hinter uns immer die
das verderben vollendenden Pioniere.
So zogen wir die ganze Nacht bis zum Morgengrauen durch
30*
das nun aufgegebene Gebiet. Äs waren 51 km. Mit Märschen
und Bahnfahrt langten wir schließlich in M. an. Hier üben wir
nun wieder «Ropfrollen» und «langsamen Schritt» wie ehe-
mals in der Garnison, beider ist M. ein ganz mieses Nest, wo
nichts zu haben ist.
Das von mir. Mein letzter Brief scheint nicht gerade in rosiger
Stimmung geschrieben gewesen zu sein. Sie tun recht daran,
wenn Sie mir den Ropf wieder auf die rechte Stelle rücken.
Es kommen Stunden, in denen man den Roller bekommt,
doch im großen ganzen hat man gelernt, ein jedes Leben
mit Fassung zu ertragen. Je dunkler die Schatten, in denen
man steht, desto heller das -Licht, wenn man aus dem Schatten
tritt.
Ein kleiner Strahl leuchtet mir bereits entgegen: Ende April,
Anfang Mai fahre ich auf Urlaub — wenn nicht bis dahin ein
Ruf an die Front erfolgt.
*
Rurt wolff,
geb. 5. Februar 1895 in Greifswald,
gef. 15. September 1917 bei Rortrijk.
2Z. März 1917.
. . . Nun muß ich wohl von meiner Tätigkeit berichten. Zu
neun Maschinen griffen wir ein Geschwader von englischen
Apparaten an und schössen drei ab, alles geschehen am 17.März.
Ich flog ganz dicht an einen Sopwith heran und beschoß ihn
heftig. Da schlägt plötzlich eine große Flamme aus dem eng-
tischen Apparat wie eine hellbrennende Fackel heraus, und ich
bin in Rauch und (Qualm gehüllt. Der Lord stürzt ab und zer-
fällt in der Luft. Die beiden Insassen fallen heraus. Die Trüm-
wer lagen ganz dicht hinter dem Graben, und erst in einer der
folgenden Nächte konnte ich hin, sie mir anzusehen. Ich hatte
»hm die Benzintanks zerschossen, die gleich Feuer gefangen hat-
ten. Der Anblick war schaurig schön.
Am nächsten Tag haben dafür die Engländer mich fast erwischt.
Als ich mich über Arras auf die Lauer gelegt hatte, krepieren
dort plötzlich dicht neben mir einige Schrapnells, und ich de-
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der Somme geben. In der Luft werden wir die Sache schon
machen.
16.April
... Was sagst Du nun dazu, daß -Ludendorff es selbst über-
nimmt, Dir auf dem schnellsten "weg, den es gibt, Nachricht zu
schicken? Ist das nicht nett und liebenswürdig? Da brauche ich
ja gar nicht mein Nichtschreiben zu entschuldigen, wenn dies der
Heeresbericht schon getan hat. Mit meinen Neuigkeiten komme
ich nun zu spät. Die nackten Tatsachen hast Du schon am näch-
sten Tage gelesen, und in den Zeitungen wirst Du wohl nähere
Berichte über unser Tun und Treiben finden.
Am anderen Morgen starten wir zu sechsen, sehen bald ein
gleichstarkes Geschwader. Dicht beim Platze stoßen wir zusam-
men, und sämtliche Engländer werden abgeschossen. Ich war
als erster an den Lords dran, nehme mir einen vor, und bald
stürzt er lichterloh brennend ab. Dies war der Anfang, sofort
brennen zwei weitere, und der Rest stürzt so ab. Hf. 13 habe
ich in der Luft so zerschossen, daß die einzelnen Teile in alle
Winde zerstreut wurden und als Sprühregen langsam herunter-
fielen. Nur der Motor mit einem Stück Rumpf und einem In-
fassen lag auf einer Stelle, die anderen Teile waren überall zer-
streut...
Nun aber kommt eine Neuigkeit, die der Heeresbericht nicht ge-
bracht hat. Am habe ich wieder zwei Lords abgeschossen,
Nr. 1$ und 15. Beide waren Rampfeinsitzer, mit denen ich
jedesmal meinen Rampf alleine ausgefochten habe. Beide sind
tot... Der letzte war ein tüchtiger Bursche und hat mir auch
meine Maschine geliefert. — Der Lord flog wunderbar, wie ich
es noch nie gesehen habe, an fliegerischer Gewandtheit war er
mir weit überlegen. Aber ich war hartnäckig und habe ruhig
gezielt, daher hat er dann Feuer gefangen und ist brennend ab-
gestürzt. Im Laufe des Rampfes waren wir aufenglischer Seite
schon auf 400 m herabgekommen, und der Lord hatte nicht er-
wartet, daß ich ihm dahin folgen würde. Aber ich setzte mich
dicht hinter ihn, als er nicht aufpaßte, und schoß ihm auf den
pelz, was aus meinen Gewehren herausging. Zwanzig Meter
war ich hinter ihm, als eine große Flamme aus der Maschine
herausschlägt, und der Apparat abstürzt. Ich biege ab, aber wer
2«» 3 07
beschreibt meinen Schreck, als ich in meiner Maschine starken
Brandgeruch merke, und vorn am Motor dicken (Qualm heraus-
kommen sehe. Zuerst dachte ich natürlich, daß ich am Engländer
Leuer gefangen hätte. Dann aber überzeuge ich mich, daß mir der
Lord noch im letzten Moment den Motor zerschossen hatte. Mil
Mühe und Not kam ich aufdem Hafen an, dann aber war mein
guter Motor restlos dahin. Die Maschine war auch vollständig
zerschossen, daß sie nicht mehr geflickt werden konnte. So mußte
ich sie denn weggeben. Auf der Maschine habe ich alle 15 ab-
geschossen und nie den kleinsten Defekt gehabt ... Da kann
man wohl behaupten, daß sie sich bezahlt gemacht hat ...
21. April 1917.
... Jetzt bin ich schon ein ganz bekannter Mann und bekomme
täglich von wildfremden Leuten Glückwünsche und Bitten um
Autogramm oder sogar um Bild. Es ist wirklich lächerlich. So-
gar aus Wien habe ich schon Glückwünsche bekommen.
2. Mai 1917.
... übrigens bin ich sehr stolz darauf, daß ich mich jetzt mit
Richthofen «Du» nenne ... Von den lebenden Jagdfliegern
bin ich augenblicklich nach Richthofen der erfolgreichste. Schäfer
hat zwei weniger, aber bei diesem kleinen Unterschied kann sich
das Verhältnis natürlich jeden Tag ändern.
8. Mai 1917.
... Vorgestern habeich den Pour le Merite bekommen und bin zu-
gleich zum Führer der Jagdstaffel 29 ernannt. Du kannst Dir den-
ken,wie traurig ich darüber bin, erstens von den Rameraden der
Staffel weg, und dann komme ich ausgerechnet unten nach der
Champagne zu den Franzosen, wo kein Betrieb in der Luft ist.
8. Juli 1917.
. . . Nach dem Urlaub kam ich wieder zu der l. Armee zu den
Franzosen herunter, setzte aber alle Hebel in Bewegung, wieder
zu den Engländern zur Z. Armee heraufzukommen, was mir
auch ganz leicht gelang, von dort unten flog ich natürlich zu
meinem neuen Hafen, fahren ist nicht mehr fein genug, und war
sehr erstaunt, die Richthofen-Staffel nicht mehr vorzufinden.
?08
Nachdem ich auf dem Play alles eingerichtet hatte, flog ich
eines Tages zu Richthofen und Almenröder hinüber, flog mit
ihnen, wo Almenröder seinen Zo. herunterholte, und bleibe zur
Nacht dort. Am nächsten Morgen, als ich etwas spät erschien,
kam ein Geschwader zurück und berichtete, daß Almenröder ab-
geschossen sei. Gottseidank war er noch zwischen den Linien
abgestürzt und konnte nach zwei Tagen von einer Patrouille
geborgen werden.
Inzwischen war Richthofen Rommandeur eines Iagdgeschwa-
ders geworden, und seine Staffel hatte keinen Führer. Zu Al-
menröders Überführung, die sehr feierlich war, war ich auch da
und verabredete mich dabei mit Richthofen, daß er mich als Lüh-
rer für seine alte Staffel anfordert. Nach zwei Tagen wurde ich
auch zum Führer der Staffel II ernannt, und meine Freude
kannst Du Dir wohl vorstellen, "wenn ich auch keinen einzigen
Rameraden mehr getroffen habe, so hänge ich doch mit Leib
und Seele an der alten II und ihren Traditionen. Jeder junge
Pilot, der hinkommt, ist sich dessen bewußt, daß er diese Tra-
dirion aufrecht erhalten muß. Jeder gibt sein Äußerstes her.
Jetzt macht mir das Fliegen wieder richtigen Spaß.
Bei der Staffel I Ihabe ich auch wieder zwei, Nr. 32und ZZ,ab-
geschossen. IVir hatten guten Betrieb, und an einem Tage habe
ich sechs verschiedene Luftgefechte gehabt. Mein Z 3. war ein Drei-
decker, so ein Rerl, der Almenröder abgeschossen hat. Als ich
ihn endlich erledigt hatte, war sein Motor schon kaputt, und ich
mußte dicht neben der Abschußstelle landen etwas östlich Zypern.
Danach bin ich noch nach Hause geflogen und auf meinem Play
glatt gelandet. Daraufhabe ich mich ins Auto gesetzt, bin in die
Stadt ins Lazarett gefahren, in dem schon Richthofen liegt,
und bewohne mit ihm zusammen ein Heim.
*
Paul Beroth, unbekannt.
April 1917.
Mir geht es so weit ganz gut, was ich von meiner lieben
Schwester auch hoffe. Ich habe einen Gipsverband bekommen
zum Laufen. Ich bin jetzt froh, daß ich aufstehen kann und
309
kann laufen und brauch keinen mehr zum Bedienen. IVenn ich
einmal fort darf, werde ich den Hutmacher besuchen und die
anderen Rameraden auch. .Siebe Schwester, ich bin herzlich
froh, daß ich mein Bein noch Hab, ich werde dafür mein Leben
lang unserm Herrgott danken. Bei uns sind es fünf Mann, die
bloß nur einen Fuß haben und sechs Mann, die nur einen Arm
haben. Ich bin ganz »erschrocken, wo ich sie gesehn Hab. Liebe
Schwester, wie ich das las, daß vergien an Blutvergiftung ge-
storben ist, standen mir die Tränen in den Augen. Der Ramerad,
der neben mir liegt, fragte mich, warum daß ich weine. Dann
sagte ich, ich weine nicht, mir laufen bloß die Augen über wegen
der Sonne.
Hier sagt zu mir niemand: iß, mein Lieber, iß oder stopf, mein
Schwäble, stopf! Diese gute und liebe Zeit ist vorbei. Line solche
liebe und gutmütige Schwester, wie Sie sind, bekomme ich nie
wieder, außer ich komme wieder zu Ihnen. Wenn hier abends
die Schwestern weggehen, da hört man kein gute Nacht sagen,
was bei Ihnen nicht der Fall war, da hieß es immer: Gute
Nacht, Z. Rompanie, dann kam die 2. Rompanie, und zuleyt
die I. Rompanie, und der kleine Schwöb hat immer die Hand
bekommen, das galt für das ganze Zimmer.
*,
Äugen Gura,
geb. 5. August 1895 in Rassel,
gef. 7. August 1917in den vogesen.
27. Januar .
Was Du in Deinem Briefe vom Innenleben, das nicht genü-
gend bewertet würde, schreibst, so mein' ich, ist das vielleicht
ganz in der Ordnung. Die Welt rechnet mit Realitäten, nicht
mit Vorsätzen und Plänen, sondern mit Taten. Gewollt haben
Menschen und Völker viel und Großes, der Wille ist schon et-
was, aber das Erreichen die Hauptsache, "wenn ein Volk im
Rausch der Begeisterung mit fliegenden Lahnen in den Rrieg
zieht, ist's schon etwas, aber daß das Volk nach Iahren und
Opfern und Entbehrungen noch Rrieg führt, das ist die Haupt-
fache. Ich hoffe, daß ich es auch noch einmal zu Taten bringe,
310
im Geistigen habe ich da eigentlich keine Angst, aber zum Manne
gehört auch Faust und Arm.
5. Februar
Es ist ein ganz merkwürdiges Gefühl, wenn man so heraußen
an der Front ist und z. 23. auf Beobachtung sitzt. Es ist abends,
ganz still. Die Nebel sinken auf die Linien nieder — da ist es
einem, als läge dort drüben ein — nein — tausend Panther
zum Sprung geduckt. In den nächsten Wochen, in den nächsten
Tagen schon kann's losgehen. Drunten dampft duftend der
Raffee, die Rarten klappen auf den Tisch—im nächsten Augen-
blick schon wirbelt das schrille Pfeifensignal sie vielleicht aus-
einander. Im engen Raum, wo die Ranoniere hantieren, ist's
kochheiß, angestrengteste Arbeit. — Jetzt liegt die Stellung un-
serer Infanterie noch wie ausgestorben und drüben gegenüber
sind die Höhen wie tot. Unwillkürlich fragst Du dich: Was tust
du, wenn sie jetzt kommen? Schreist du auf eigene Faust ein
Rommando in den Apparat, oder wie lautet die Meldung an
den Batterieführer? Wie lange dauert es, bis der erste Schuß
fällt? Was hat sich bis dahin da drüben, drunten ereignet?
Aber merkwürdig, man spürt nicht die geringste Nervosität.
Du freust dich der Tage, die dir bleiben, und denkst gar nicht, daß
das ein Ende haben muß. Denn kommen muß etwas im Früh-
jähr. Nicht nur wir zeigen äußerste Energie und verzweifelte
Entschlossenheit. Eine starke Konstellation von Rräften und
Mächten steht uns gegenüber, nicht minder wissend, um was es
geht. — Es war heute vormittag so schön und klar. Arbeits-
dienst! — Ein Vögelchen sang sein «Witt — Witt» so harmlos
in die blaue kalte Luft. — War es nicht eine Totenklage für das
große blutige Frühjahrsopfer, das die Völker ihrem Dasein
bringen? Es muß sein und wird sein. Es muß durchlitten wer-
den. Was wird nachher sein? Ist es das letzte Frühjahr oder
wird dieser Rarnpf bis auf's Messer noch Iahre währen? Nicht
ausgeschlossen. Wehe, wenn Schwäche und Rleinmut uns das
Schwert aus der Hand wänden. Es muß geblutet werden, weil
gelebt werden will. Bin ich ein Rrüppel, dafür sind zehn glück-
W), später, viel, viel später. Einer für zehn, für Hundert, für
Tausend einer. Rönnte man doch beten, — inbrünstig um
Stärke und Rraft beten.
311
4. April 1917.
'wenn man so abends vor der Hütte steht, und es ist so still,
hinter den bemoosten Stämmen Sonnengold und um die leuch-
tenden Wipfel ein Meer von Licht, und die Vögel zwitschern
ganz leis, wie vorm Schlafengehen, da hat man herzlich wenig
Lust zum Heldentod, weil die Welt gar so schön ist. Ms ist ein
saudummer Gedanke, vor Toresschluß noch ins Gras beißen zu
müssen.
*
August Story,
geb. l 4.April 1895 in Heilbronn a. V7.
In einem Granatloch in der Schlacht bei Arraö,
morgens lo Uhr, den Mai 1917.
Heute ist der vierte Tag, daß ich unter freiem Himmel Tag und
Nacht in einem Granatloch liege, wir sollten gestern abend ab-
gelöst werden, jedoch es kam niemand, der uns ablösen wollte,
und so sitzen wir nun heute auch noch da. Liebe Mina, ich war
schon am Z.Mai in englischer Gefangenschaft, wurde aber durch
unsere Infanterie wieder befreit. Ich will Dir nun kurz schil-
dern, wie das zuging. Mein M.-G. ist in einem freien, aber von
Granaten durchwühlten Feld eingegraben, wir sollen, wenn
der Gegner die erste Linie durchbrochen, ihn durch unser M.-G.
niedermähen. Also am Z. Mai morgens um y2SUhr setzte der
Engländer ein rasendes Trommelfeuer auf unsere Gräben. Ich
war gerade auf Posten, "während dem Feuer sah ich in meinem
Rücken etwa 50 Männer herumspringen. Ich glaubte, es wären
Infanteristen von uns und rief ihnen zu: «Rameraden, was ist
denn los?» Dann kamen sie auf mich zu, und ich erkannte sie als
Engländer mit aufgepflanztem Bajonett. Sofort rief ich meine
anderen drei Rameraden, daß die Engländer da seien. Jeder
machte seine Pistole schußfertig. Die Engländer schrien «Hände
hoch!» Jedoch war das noch lang Zeit zum Gefangengeben. —
■Wir schössen auf sie mit unserer Pistole, ich Hab dann noch drei
Handgranaten nach ihnen geworfen, alles war umsonst. Sie
kamen immer näher, und schon waren sie auf 5—10 m bei uns.
Da warfen sie auch Handgranaten in unser Loch, zum Glück
312
haben sie keine direkt reingebracht. Ich schlug dann vor, daß
wir mit der Pistole auf und davon gingen. Mein Mauk war
gleich damit einverstanden und schon war er draußen. Ich folgte
ihm als zweiter, aber leider lag Mauk schon schreiend am Boden,
sie hatten ihm drei Schüsse beigebracht. was nun machen?
übergeben war jetzt unsere Rettung. Ich ging als erster hinaus
mit Hände hoch, aber die Engländer kamen auf mich mit vor-
gestrecktem Bajonett zu. Ich glaubte, in nächster Minute tot am
Boden zu liegen. Aber nein. Sie schonten mich und auch die
andern drei Rameraden. Mauk stöhnte und bat mich, ihn mit-
zunehmen. Ich hob ihn auf und führte ihn am Arm. Hinter-
drein kamen drei Engländer, die mit uns gingen. Alle Hoffnung
hatte ich schon aufgegeben. Jetzt geschah ein "Wunder, ich sah
rechts an einer Böschung deutsche Soldaten liegen, etwa 2
Rompanien. Ich rief aus Leibeskräften um Hilfe, und in eini-
gen Minuten war Mauk und ich befreit und unsere Begleiter
gefangen. Sie gaben mir dann Zigaretten, und einer gab mir
dieses Bild als Andenken. Als das Feuer etwas abgeschwächt
war, brachte ich Gustav Mauk mit Hilfe der Engländer an die
Verbandsstelle. Daselbst traf ich dann auch meine andern zwei
Rameraden wieder. V7ach kurzer Schnaufpause gingen wir im
Galopp wieder an unser altes Loch und fanden auch unser M.-G.
noch in gutem Zustand. Jetzt sind wir also schon vier Tage hier,
warmes haben wir seither nichts gehabt, und was das ärgste
ist, nichts zu trinken noch zu rauchen. Und aus Langeweil habe
ich mich entschlossen, Dir dies zu schreiben.
*
Hermann Burike,
geb. 22. März I896 in Epe (Westfalen),
gef. Z. Mai 1917in Longwy b. Arras.
2. Mai .
Gottseidank bin ich bis jetzt noch recht gesund, nur die Munter-
keit fehlt. Ihr könnt Euch nicht denken, wie einem zumute ist.
Wie ich Euch in dem andern Brief geschrieben Hab, bin ich ja
jetzt vorne in Stellung vor Arras, gerade, wo ich auf Urlaub
fahren sollte. Nun sitzt man hier so in einem kleinen -Loch,
ZIZ
Unterstände sind hier nicht, alles ist kaputt geschossen. Man siyt
da, ganz wehrlos im Granatloch. Obdach hat man nicht, also
unter freiem Himmel 6Tage, dann Z Tage in Reserve im Dorf,
dann wieder sechs Tage im Granatloch. Ist nur gut, daß es
nicht mehr so kalt ist, deswegen kann man es schon aushalten.
Aber von morgens früh bis abends spät muß man ganz still
liegen, wegen der vielen englischen Flieger. Wenn die uns sehen,
melden die das der Artillerie, und wir bekommen Trommelfeuer.
Die Flieger fliegen in Scharen herum, bis zu Zo—40 Stück. Zu-
dem schießt die Artillerie noch den ganzen Tag und die ganze
flacht mit schweren Granaten. Rechts und links schlagen die
Dinger ein. Und wenn die angeheult kommen, gibt es einen
Ton wie «Huuiee». Dann duckt man sich und denkt; die nächste
kommt auf dich zu und zermalmt dich. Manchmal hauen sie so
nahe ein, daß uns die Luft bald ausgeht, eine Erschütterung
gibt das, daß man zerplatzen könnte. Die Stücke fliegen 50 bis
100 Meter hoch, und der Pulverdampf, und manchmal ein hal-
ber Zentner Dreck fliegt einem um die Ohren. Dann ist man
noch froh, daß man keinen Splitter gekriegt hat, manchmal eine
Handbreit, einen Fingerbreit schlagen die Stücke ein. Eisen-
splitter bis zu einem Pfund schwer, scharfkantig und heiß, jedes
Stück imstande, einen Menschen vollkommen zu zerreißen.
Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie gräßlich das ist, und
wie man dann eigentümliche Gedanken bekommt. Manchmal
denkt man an gar nichts, man ist ganz stumpfsinnig. Dann
denkt man wieder an die Gegenwart, an Gott, an den Tod.
Dann sieht man ihn in aller Häßlichkeit vor sich, wenn die
Rameraden da liegen im Blute, ohne Beine, Arm, Ropf, ganz
zerrissen. Man lebt nicht mehr, man denkt an die vergangen-
heit, an die Rinderjahre, an die Heimat. Man sitzt mit ein paar
Mann nun in seinem Granatloch. Reiner sagt ein Wort. ist
furchtbar, diese Schlacht hier bei Arras! Und trotzdem muß
man die Gedanken beisammen haben, bereit, mit Gewehren
und Handgranaten bewaffnet, dem Feind entgegenzutreten,
denn er will um jeden Preis durchbrechen. Es ist ihm bis jetzt
noch nicht gelungen. Wenn er mal in unsere vordere Linie ein-
dringt, wird er gleich wieder hinausgeworfen, aber es kostet
Menschenleben soundso viel —. Natürlich der Engländer hat
auch schwere Verluste, die Toten liegen nur so haufenweise
31*
herum, aber immer greift er von neuem an. Die letzten zwei
Nächte hat er mit Gas angegriffen. Da sind von uns auch viele
krank geworden und mehrere tot. Meine Rameraden und ich
haben Gottfeidank nichts abgekriegt.
Macht Euch nicht allzu große Sorge. Ich habe immer Hoff-
nung, daß ich es überstehe und gesund zurückkomme. Sollte ich
nicht zurückkommen, dann in Gottesnamen, und Ihr habt die
Gewißheit, die kann ich Euch geben, Euer Sohn ist brav ge-
starben.
*
Paul Linke,
geb. 29.Juni 1895 in Hamburg,
verm. Io. August 1917 im Westen.
ll.Iuni 1917.
... Der Abschied fiel mir doch allzu schwer dieses Mal, wenn ich
mir auch nichts merken ließ, so war mir recht schlecht zumute.
Meinst Du, mir schmeckte der Mohnkuchen? Mit Hängen und
Bürgen bekam ich ihn herunter. Und dann erst auf dem Bahn-
Hof! Aber ich dachte immer, der liebe Gott wird schon wissen,
was Dir und mir gut ist, und das gab mir Festigkeit, sonst hätte
ich weinen mögen. Hoffentlich, liebe Mutter, hast Du Dich auch
wieder getröstet, es ist doch eben nicht anders. Mit Gott.
20. Iuni l9l7.
Für Deinen lieben Brief und Zeitung meinen herzlichen Dank.
Gleich den ersten Abend kam ich in den vordersten Graben. Da-
bei holt man sich tatsächlich noch die Schwindsucht. IVenn man
hier vorne ankommt, ist man total alle, vom Schweiß voll-
ständig durchnäßt. Hauptsächlich die Angst treibt einem den
Schweiß aus dem Rörper in Strömen, denk Dir einmal, man
läuft I y2Stunden durch Granatfeuer ungeschützt, nicht etwa
im Graben. Es geht wie die wilde Jagd, der eine stolpert, der
andere fällt ins Granatloch, man achtet nicht drauf. Immer
vorwärts, möglichst schnell raus aus der Hölle. Da platzt eine
Granate nicht weit von uns. Alles, was in der Nähe, springt
in einen Granattrichter. A?ir versinken beinahe bis zu den
315
Rnien, aber keiner achtet darauf. Nur Schutz, Schutz vor den
Granaten, und wenn es das größte Mistloch ist. Als die Granat-
splitter sich verteilt haben, geht es wieder weiter in «Sprung
auf» und durch andere Granattrichter, die zur Hälfte mit Wasser
gefüllt sind, über umgeworfene Baumstämme. 200 m vor uns
schlägt eine Salve ein. Glicht Halten, sondern durch! Wir durch-
eilen die Strecke, obgleich es noch ganz nach Pulver riecht. Der
Franzose macht eine kleine Pause, und diese Pause muß man
benutzen. Endlich kommt man vorn im Laufgraben an. Mtwas
erleichtert atmet man auf. Da fliegen mit pfeifendem Sausen
französische Granaten über uns weg. Mein Vordermann will
sich hinlegen, ich packe ihn am Sturmgepäck und rufe: "weiter,
weiter! Endlich kommt man erschöpft vorne an, man sinkt fast
bewußtlos auf eine Bank nieder. Das sind die Freuden des Feld-
grauen.
Abschiedsbrief ohne Datum,
wenn Du diesen Brief bekommst, weile ich vielleicht nicht mehr
auf dieser Welt. Ich könnte ja in Gefangenschaft geraten sein,
aber das ist ausgeschlossen.
Deshalb, meine liebe Mutter, hege ich den Wunsch, daß Du
alles mir bestimmte Geld für Dich verwendest. Du hast in Dei-
nem früheren Leben nichts gehabt, ich gönne Dir von Herzen,
daß Du Deine späteren Tage genießt. Vtach Deinem Ableben
hege ich den Wunsch, das vermögen an wirklich bedürftige
Rriegsinvaliden zu verwenden.
Ich lasse Dir jedoch vollständig freien willen, gräme Dich nicht,
wenn Gott es so bestimmt.
*
Otto Iahnke,
geb. 4. Februar 1899 in Greifswald,
gef. 16.August 1917 in Flandern.
am 7. Ernting l9l7.
Das gute Wetter hält tatsächlich noch immer an, die Vormittage
sind nebelig und dunstig, die Nachmittage heiß und voller Son-
nenschein. Damit beginnt auch die Fliegertätigkeit als Haupt-
316
Punkt des täglichen Programms, die sich dann bis in die Nacht
hinein im Eierlegen bemerkbar macht.
Etwas Schönes ist aber doch mit dem Regen weggegangen: die
wunderbare Stimmung der Rolonnenstraße hinter der Front.
Alle die Geräusche, die hier wohl so durcheinander schwirren wie
nie wo anders: das Rauschen des Regens und das Rascheln
des "Windes in den Blättern und das Rasseln der "Wagen, das
Rlirren der Retten und das Rlappern der marschierenden In-
fanterie. Die Flüche der Lahrer, kurze Zurufe und Begrüßungen
zwischen Infanteristen, Befehle und Verständigungszeichen.
Dazwischen der Höllenradau und Gestank der verschiedensten
Rrafrwagen vom leichten Auto des Offiziers von einem höhe-
ren Stabe bis zum I5o- und mehrpferdigen Lastzugmotor mit
Hinterrädern von 2,2 m Durchmesser, der fast aussieht wie eine
Dampflokomobile. Und dazwischen all die andern Typen: Last-
autos, Sanitätswagen, Flak- und andere Geschoßautos mir
ihren schrillen Pfeifen und Hupensignalen. Aber erst die vielen
Gerüche I Da ist der Gestank der Motore, die Ausdünstungen
der Pferde, "wagen und ihrer Ladungen und die des aufge-
weichten Schmutzes der Straße. Das ist die eine Gruppe, die
schärferen, herberen. Die andere wird gebildet von den weichen,
süßlichen und schwer bestimmbaren in dem allgemeinen Durch-
einander. Die haben ihren Ursprung wohl in der blühenden
Linde, einem Jasmin, Jelänger-Jelieber und Rosenstrauch des
wüsten und verwahrlosten Gartens eines einsamen, zerschösse-
nen Gehöftes, mit dessen scharfem Brandgeruch sie sich mischen.
Stellenweise rekelt sich der süßliche, ekelhafte Geruch von einem
Aas umher ...
*
Theodor Gürhlein,
geb. 22. Juli IS96 in Schweinfurt.
25. Juni
... )Vie sieht es denn bei Euch aus? Da braucht man ja eigent-
lich nicht erst zu fragen, es steht überall nicht zum besten. Dir
wird es auch schwer fallen, alles zu kriegen, was Ihr braucht,
und damit hast Du gerade genug zu tun. Da kannst Du nicht
auch noch für mich sorgen, das geht jeyt schlecht. Ich habe Dir
ZI7
ja schon öfters meine Meinung geschrieben, und ich weiß auch,
daß Du mir alles von Herzen gerne schickst, wofür ich Dir immer
herzlich dankbar bin. Aber, liebe Mutter, denke nur zuerst an
Dich und ziehe Dir ja nichts ab, denn man muß froh fein, sich
heutzutage noch sattessen zu können. Dann erst kannst Du mir
etwas schicken, und wenn es das geringste ist, ich freue mich über
alles, was aus der lieben Heimat kommt.
In letzter Zeit werden bei uns oft Leute ohnmächtig, gerade,
wenn wir angetreten sind. So neulich ein Unteroffizier. Heute
morgen 7 oder 9 Mann, von denen ein paar mit der Bahre weg-
getragen wurden. In meiner alten 2. Inf.-Romp. haben sich
Rameraden schon ein paar mal einen Hund erschlagen und auf-
gegessen. Ein Unteroffizier hatte einer Ratze den Hals abge-
schnitten und dabei gemeint: «Meine "Wurst kriege ich wieder».
Es war auf Posten, die Ratze hatte dem Unteroffizier die "Wurst
aufgeftessen, während er am Telephonieren war. Nun aß er
die Wurst mitsamt der Ratze auf.
*
Fritz Perner,
geb. 25. Dezember I89Z in Plauen i.vogtland,
gef. Z. Mai I9I8 im Westen im Luftkampf.
Flandern, £. Juni 19X7.
Heute kommt die zehnte zu durchwachende flacht. Zum Glück
wird sie mondhell. Mit einem M.-G. und l2 guten -Leuten, eine
Verteidigungsinsel, die den Engländern zu schaffen machen soll,
trotz ihrer Artillerie und schwerer und schwerster Minen, trotz
Gasgranaten. Es heult und wütet Tag und flacht, freilich
nicht ganz so wie vor drei Tagen.
«Sturmvögel des Todes, stoßen wir durch die Luft,
Unfern Aufgang umwittert Gefahr, unfern Niedergang
Gruft.»
wir sind noch alle wohlauf.
7. Juni 1?I7.
wieder einmal ist das Schicksal gnädig an uns vorübergegan-
gen. Rurz nachdem ich den Brief vom Juni aus dem Dörr-
Zl8
grabennest geschrieben hatte, kam der Ablösungsbefehl. An»
5. Juni früh drei Uhr verschwanden wir trotz der Müdigkeit,
trotz des gewaltigen Trichterfeldes leichten Fußes; das tagelange
feindliche IVirkungsschießen, dem täglich eine Probe Trommel-
fever mit Gas beigegeben war, die Spannung vom Einbruch
der Dämmerung bis zum Morgen, wo sie ihren Höhepunkt er-
reichte, und dann das Überlegen, Deuten, Spähen tagsüber:
werden sie heute kommen, wo, wie, wann? "was dem entgegen-
setzen? All das war mit einem Male wie ein Gewicht vom Geist
genommen. Dazu das Bewußtsein: Die Besatzung der ersten
beiden Gräben ist bei dem großen Angriff nach Trommelfeuer
erledigt, entweder tot oder gefangen, und die froh und gern
erfüllte Pflicht, immer freundlich und zuversichtlich mit den
Leuten zu sein.
was wir erwarteten und wußten, ist heute geschehen. Vlach
riesenhaften Sprengungen und unerhörtem kurzen, aber umso
heftigeren Trommelfeuer haben die Engländer dem I.-R. 18
das Gelände bis an den Westrand von M. heute morgen ent-
rissen. Vom Stellungsbataillon werden höchstens einzelne zu-
rückgekommen sein. "wir liegen alarmiert bei £. Ob wir noch
wie geplant in Gegend Rortrijk kommen oder wieder eingesetzt
werden, steht dahin.
Alarmiert. Rücken für fünf Tage vor! In frühere Z. Stellung.
Oostkerke, lZ.Juni
Nach heißem Tagemarsch, schöner Fahrt, eintägigem Aufent-
halt in Brügge sind wir recht müde und ruhebedürftig heute
mitten im flandrischen Frieden nordöstlich Brügge verschwun-
den.
Wären wir doch Dornröschen! Der Prinz könnte noch eine Zeit
warten.
In jedem der idyllischen friedvollen Dörfchen liegt eine oder
zwei Rompanien.
Reine Rolonne rattert auf den Straßen, kein Schuß zerreißt
die Stille. Rein Fabrik-, kein Lokomotivpfiff schrillt. Frieden,
tiefer, tiefer Frieden! Das Land ist jetzt bezaubernd schön und
das «vlaamische Brudervolk» ist freundlich und gut — und —
so viele blonde, blauäugige Mädels gibt's!
Die früchtereifende, feierliche Sommerstille, die leise gleitende
319
Flut der endlos laufenden, wasserrosenumsäumten Ranäle mir
den ernsten, zu beiden Seiten, land- und seewärts sie begleiten-
den, mächtigen Baumalleen geben in ihrer machtvollen tÄinheir
dem bewegten Innern Ruhe, Ausgleich, Frieden.
Und die Nordsee, das deutsche Meer, ist nicht weit und das ver-
wunschene Brügge.
22. Juli 1917, II Uhr abends.
Ich liege mit der Rompanie in Z. Stellung und unternehme
von da aus tägliche Erkundung «fahrten zu Fuß im Divisions-
abschnitt. Die Abwehrschlacht steht bevor und wird auch dies-
mal infolge des Überschwemmungsgebietes des rechten Flügels
der Division nicht durch den feindlichen Infanteriestoß getrof-
fen. So bekommen wir doch alle noch genug Artilleriefeuer ab.
U)ie im "wytschaetebogen die Engländer, so pochen uns hier die
Franzosen eine Batterie nach der andern klar. Sie haben Fessel-
ballons, Flieger, schwere Artillerie und Geschosse, nicht in Mas-
sen, sondern in Unmassen. — Ich schreibe das nicht, um unseren
trotzdem geleisteten ^Widerstand zu rühmen, sondern aus einer
tiefen, ehrlichen Bewunderung heraus für unser Heer, sowohl
für die Führung, die im Freifeldkrieg ein Mittel gegen die bru-
tale Rampfweise gefunden hat, als auch für die prächtigen
Leute, die eben, wo's gilt, durch dick und dünn gehen.
Früher war diese Stellung idyllisch ruhig; sie wird fast stünd-
lich unheimlicher. Rücksichtslos wirken französische Bomben
und Granaten in den z. T. noch bewohnten Orten, tasten mir
todbringenden, weiten blitzschnellen Armen die "Wege ab, reißen
'Wälder ein, schlagen den sommerlichen Frieden der Hecken und
baumumfriedeten Fennen in Trümmer.
Ich möchte Dich nur eine Vtacht hier erleben lassen, von nach-
mittags £ Uhr bis früh 5 Uhr. Nachmittags haben die drüben
beste Beobachtung. Mit Mrd-, Ballon- und Fliegerbeobachtung:
Streufeuer, Anschießen, Zerstörungsschießen, alles mit Bri-
sanzgeschossen und schwerem und schwerstem Raliber. lLin klein
wenig flaut der Rampf ab gegen Ende der Dämmerung; dann,
wenn das Gold der schmalen Mondsichel in Silber sich wandelt,
beginnt der Nachtbetrieb. Oft ist der Himmel eine einzige Lohe
von brennenden Munitionslagern, Ortschaften. Ohne Unter-
laß geistert und irrlichtert das Mündungs- und Explosionsfeuer
Z2S
der Artilleriemassen am Himmel. Lern im Hintergelände, hüben
und drüben, zucken Scheinwerfer, und vorn schweben, sieigen
und fallen gleißende -Leuchtkugeln.
Das alles vermag das Auge kaum zu erfassen. Aber ebenso end-
los stürmen die Flaute dem Ohre zu. Ich kann sie Dir nicht schil-
dem, die Variationen der Abschüsse und Einschläge, des Heu-
lens, Pfeifens, Gingens vorn, hinter, neben, über uns, vom
gräßlichsten, widerwärtigsten Zerprasseln bis zum melodischen
Lliegergebrumm.
Juli 1917, nachmittags.
Im Überschwemmungsgebiet beiderseits «Drie Grachten» kannst
Du mich suchen. Ab 29.südlich davon. Bisher ist die erste Stel-
lung außer «Drie Grachten» noch ruhig. Umso mehr leidet das
Hintergelände. vor, rechts und hinter uns ist Sumpf und IVas-
ser. Drum herum legt sich ein dichter feindlicher Feuergürtel,
schlägt eine Brücke nach der andern klar und riegelt ab nach
Süden. 12Tage bleiben wir in jeder Stellung. Ich hoffe un-
geduldig auf die Fliegerberufung. Man kann schwer, fast nicht
berechnen, wann sie kommt, käme sie bald! Manche Rameraden
sehen mich halb bewundernd, halb traurig an, wenn sie meine
zappelnde Erwartung und Begeisterung sehen, als glaubten sie
an nur zwei Möglichkeiten: Tod oder Pour le Merite. "wie hoch
ich über die wegfliege l
*
Ludwig Becker, unbekannt.
Geschrieben den £. Juli 1917.
Seine Hochwohllebliche Hoheit Reichskanzler Behtman von
Hollweg!
Hiermit möchte ich mier erlauben zu dürfen zu fragen, wie lange
wier alle hier im Schützengraben noch liegen sollen bis der lLr-
sehnte Friede komt, denn wier haben jetzt nahzu Z Jahre mit
gemacht und jeden Tag daselbe Granattenkonzert, wier möchten
jeyt auch wieder mahl in die Heimaht zu unseren lieben Frauen
und Rinder vatter und Mutter und auserdem sindt noch so viele
in der Heimaht, die noch gar nichs vom Schützengraben gesehen
21 D, ». s. 321
haben, ich denke da könnte auch mal abgewekselt werden, denn
ich bin Brongialkrank habe Luftbeschwerten bin zu nichts
brauchbar und muß dennoch in den Schützengraben, andre sindt
Gesund und sind Reklamiert. Auch war ich 5 Monate im Laza-
ret wegen Brongial und jetzt ists wieder so weit. Hoffendlich
habe ich nach 2Jahren auch mahl einen andern Posten ver-
dient denn ich mache immer Ab dabei und kome nicht nach weil
ich keine -Luft bekome. wenn Herr Reichskansler da mahl dabei
warn bei dem Pfeiferkonzert, würde er davon laufen, aber wier
arme Luftschnaper müßen warten und stehen bis so ein Stahl-
vogel komt und pfeift das schöne Liedt jetzt gest du mit mier.
Nun will ich schliefen und vielmahls Grüßsen von Allen aus
dem Schützengraben.
Ihr untergebenster
Landsturmmann Ludwig Becker
Rgl. Bayr. Reserve Inf. Rgt. 8
l. Romp. I. Barrl.
*
Fritz Hoßfeld,
geb. 5. Oktober 1898 in Dresden,
gef. 18. Juni I9I8 bei Soissons.
Im Fernsprechunterstand der Feuerstellung, lZ. Juli 1917.
Seit Sonntag bin ich wieder im Fernsprechunterstand und
wechsele mit einem Rameraden im Dienst. Nachts hat man vier
Stunden "wache, gestern hatte ich von 2—6, heute von 10—2
Uhr. Es ist ganz interessant, als Fernsprecher die vielen Ge-
spräche mit anzuhören, über deren Inhalt uns natürlich Still-
schweigen auferlegt ist. Die Vorgänge in Berlin verfolge auch
ich mit größter Spannung. Das Erzbergermanöver zeigt, daß
die Mehrzahl der Abgeordneten, darunter sogenannte führende
Geister, immer wieder für die charakterlosen Friedensanerbie-
tungen zu haben ist. Dieses ungestüme, durch keine vernünftige
Erwägung zu hemmende Friedensverlangen erscheint mir bei
gebildeten Leuten als unmännliche Willensschlappheit, eine
politische Todsünde, die wir noch bitter büßen werden — und
mit Recht! Propheten, die das Volk vor dem Verhängnis war-
Z22
NM, hat uns der Herrgott wahrlich geschenkt. Doch diese ernsten
Männer werden nicht gehört. Das deutsche Volk läßt sich von
den gewissenlosen Inden des Berliner Tageblatts verlästern
und in den Staub ziehen. Wie der einzelne, so werden auch die
Völker nur durch Schaden klug, und ich fürchte, die Geschichte
wird uns durch bittere Lehren unsere Weltversöhnungsschwär-
merei noch gründlich austreiben. Hoffentlich sind diese Lehren
nicht so bitter, daß wir daran zugrunde gehen. Ieyt steckt das
deutsche Volk noch in den Rinderschuhen eines Weltvolkes und
beweist täglich seine Unfähigkeit zur Führerschaft.
Scheidemann und Mrzberger als Minister ?Lloyd George müßte
sicher über seine neuen Rollegen bei uns lachen, tfir brauchen
in Deutschland einen Bismarck, der, allen Reichstags- und Par-
teiquatsch ignorierend, aus sich selbst mit Notwendigkeit das
Richtige nimmt und mit schöpferischer Genialität, souverän wie
ein Rünstler, des Reiches Größe gestaltet. Wann, o wann er-
scheint der Meister? Wirkliche Großtaten werden nicht durch
Reichstagsmehrheiten und interfraktionelle Ausschüsse ausge-
heckt, sondern sind die Schöpfungen eines Genies. Hindenburg-
Ludendorff sind das militärische Genie, wo bleibt das staats-
männische?
Im Unterstand, 24. Juli
Das Unglaubliche, das ich bis zum letzten Augenblick als bei
vernünftigen Menschen unmöglich erachtet hatte, ist am
Juli geschehen. Die Reichstagsmehrheit hat eine Entschließung
angenommen, deren Durchführung uns über kurz oder lang
dem wirtschaftlichen und politischen Untergang weiht, eine Mnt-
schließung, die der Reichsleitung ein für alle Mal die Hände
binden soll, da «ein annexionistischer Ranzler auf der Friedens-
konferenz ausgelacht werden würde!» Vtte hat eine Volksver-
tretung in würdeloserer Weise ihr Volk um die Früchte des gi-
gantischen Ringens betrügen wollen. «Selbst wenn wir schwach
wären, gerade dann müßten wir umgekehrt verfahren», sagte
Tirpiy. Wenn die berufenen Volksvertreter drinnen in der Hei-
mat allerdings — bewußt oder unbewußt — solchen verrat
üben, dann weiß ich nicht mehr, warum ich hier an der Front
stehe und mein Leben im Dienste des Vaterlandes einsetze. Der
Engländer kämpft für eine geniale Idee, die jeden großzügig
21* 323
veranlagten Menschen begeistern muß, für ein britisches Im-
perium; uns dagegen schwebt bei den blutigsten Rämpfen, bei
den ruhmreichsten Siegen, bei den schmerzlichsten Opfern das
Gespenst des Scheidemann-Lriedens vor Augen und grinst uns
hohnlachend entgegen: alles umsonst! Mich hat dieser Reichs-
tagsbeschluß mit großer Entmutigung und Erbitterung er-
füllt. IVenn ich noch hier bin und kämpfe, so komme ich mir vor
wie Scheidemanns Raspar. vielleicht wird Scheidemann noch
ein deutscher venizelos, wenn es nicht Michaelis gelingt, ihm
noch die Zügel aus der Hand zu reißen. Hoffen wir, daß der
neue Ranzler der Staatslenker ist, der das schier Unmögliche
möglich macht und uns vor dem Schlimmsten bewahrt.
Im Lager, S. August 1917.
Mein heutiger Brief soll dem Andenken meines lieben Rame-
raden Gustav I. gewidmet sein. Schon seit Wochen hatte der
Russe unsere Hauptbeobachtung unter heftiges Feuer genom-
men. Immer wieder schlugen die Granaten in der Nähe des
Lernsprechunterstandes und des Hochstandes ein. Man hatte sich
daran gewöhnt und war der ruhigen Zuversicht, daß nicht gleich
etwas Schlimmes kommen würde. Am 30.Juli abends setzte
die russische Artillerie wieder heftig ein. Ich war mir meinem
Rameraden im Fernsprechunterstand. Gegen 8 % Uhr rief uns
plötzlich der Beobachtungsofsizier dringlich mit unfern Ver-
bandspäckchen zu sofortiger Hilfeleistung nach dem Hochstand.
So schnell wie möglich eilten wir vor und hasteten die Leitern
zu dem 23m hohen Hochstand hinauf—da standen wir plötzlich
vor einem entsetzlichen Anblick. Unser lieber I. war auf dem
vorletzten Stockwerk unmittelbar vor der schützenden Rabine
mit blutüberströmten Gesicht leblos zusammengebrochen — ei»
Granatsplitter hatte feinen Ropf getroffen. iLs war der letzte
Schuß gewesen, den der Russe an diesem Abend abgab. Vb-
wohl wir sahen, daß es keine Rettung mehr gab, legten wir
dem Leblosen mit unseren Verbandspäckchen noch einen Not-
verband an. Nun kam für uns die schwerste Arbeit: unfern
lieben Rameraden, der sich zwischen den Leitern eingeklemmt
hatte, vom Turm herunterzuschaffen. Um ihn freizubekommen,
mußten wir zunächst die obere Leiter losreißen. ÄtnHerunter-
tragen des Toten ließen die engen Ausschnitte in den Podesten
32*
nicht zu. Inzwischen kamen andere Rameraden aus der Balte-
rie. Mit ihrer Hilfe wickelten wir ihn in eine Zeltbahn und
ließen ihn mit Geilen außen am Turm herab. Es war ein be-
dauernswürdiger Anblick, als wir unfern vor einer Stunde
noch lebensfrohen Rameraden zur LLrde herabließen. Hier leg-
len wir ihn auf die Tragbahre, ich schloß ihm die Augen und
entleerte seine Taschen, der letzte traurige Liebesdienst, den wir
ihm zu erweisen hatten. Ich zog ihm den Ring vom schon er-
kälteten Finger. In seiner Brieftasche fanden wir einen Brief
an seine Braut, der am nächsten Morgen abgehen sollte. Schon
lange hatte er sich auf seinen bevorstehenden Urlaub gefreut
und eine Stunde vor seinem jähen Ende hatte er uns freude-
strahlend verkündet, daß er in der Urlaubsliste gleich obenan
stünde. In der ganzen Batterie hatte er sich durch seine vor-
nehm-ruhige Art, durch seine Gutmütigkeit und Freundlichkeit,
Achtung und Zuneigung erworben.
Im Lazarett, den 9. September 1917.
Wenn ich die Zeitung lese, drängt sich mir ganz von selbst das
Urteil auf, von dem man vielleicht sagen kann, daß es meiner
Iugend noch nicht zukommt. Daß mich die Beschäftigung mit
der Politik von meinen Zielen fernhält, braucht Ihr nicht zu
fürchten. Ich gedenke später mit meinen Ansichten durchaus
nicht hinter dem Berge zu halten. Es wird für mich Lebensnot-
wendigkeit sein, was ich für richtig erkannt habe, auch in der
Öffentlichkeit zu vertreten. Dem politischen das nach
dem Rriege erst recht bewegt werden und unser ganzes Jahr-
hundert noch mit großen Rämpfen erfüllen wird, gehört auf
irgend eine "weise meine Lebensarbeit. — Mein Urteil erscheint
Luch zu hart. Ich muß mich jedoch auf Treitschke berufen, der
politische Unfähigkeit als verbrechen bezeichnet. Ich kämpfe
auch mit Bethmann nicht als Menschen, sondern als Ranzler.
Wenn mein Freund w. an verantwortlicher Stelle das Staats-
ganze gefährdete, würde ich ihn ebenso befehden. Die Rücksicht
auf den Staat gestattet keine Rücksicht auf das Individuum.
Am guten Glauben, am guten willen eines Staatsmannes hat
noch niemand gezweifelt. Doch der gute Glaube ist kein ver-
dienst, denn ohne ihn wäre der Staatsmann ja ein Verräter.
Wenn sich mit ihm nicht die politische Begabung bindet, kann
Z25
ein Staatsmann optima fide den Staat zugrunde richten. Me-
viel Blut hat uns Bethmanns Politik gekostet, die bis zum
August I9l* an England glaubte, die gegen Rußland 25
Stunden zu spät mobilisierte. Daß Bethmann die Notwendig-
keit des ungehemmten U-Bootkrieges zu spät einsah, hat den
Rrieg um ein Jahr verlängert. IVenn die Reichstagsmehrheit
das ihrige tut zu unserer inneren Lähmung, so will ich bei
vielen den guten Glauben nicht bezweifeln. Scheidemann d»>
gegen befolgt rücksichtslos und gewissenlos sein Parteiinteresse
auf Rosten des Ganzen. Er will die Macht in die Hände bekom-
men und Raiser und Regierung zu Sklaven der Sozialdemo-
kratie machen. Erzberger ist ein politischer Gernegroß, er spielt
unter seinen Parteigenossen die erste Rolle und brüstet sich in
seinem Größenwahn, er könnte in einer mehrstündigen Unter-
redung mit Lloyd George die Grundlagen für den Frieden schaf-
fen. Ich möchte wissen, wie? Unter Preisgabe aller deutschen
Interessen?
Im Feldlazarett, ZI. Oktober 1917.
. . . Eure Zeitungen habe ich, wenn auch unregelmäßig, er-
halten. Unsere großen Erfolge aufOsel und Dagö zeigen wieder
die unverwüstliche Rraft der deutschen Wehrmacht und wirken
nach den Reichstagsskandalen erquickend und befteiend. Dennoch
kann man sich nicht so freuen, wie man möchte, weil uns für
den Friedensschluß die nötige innere Rraft und nationale Einig-
keit fehlt. IVir gewinnen die Schlachten, die Engländer ge-
Winnen den Rrieg. nicht allein die Siege entscheiden, sondern
vor allem die politische Reife der Völker.
Hans S ö l l a ,
geb. 2£. September 1898 in -Lenggries (<2>bb.),
gef. 17. August 1917 in Flandern.
waldstellung bei A., 2. Iuli 1917.
Heute kann ich ausnahmsweise nicht schlafen, drum Hab ich ein
Stümplein Rerze hervorgeholt und schreib noch an Dich. Dumpf
hört man im Unterstand den Abschuß und Einschlag der Gr»-
Z2ö
naten. Freund und Feind wechseln «Eisengrüße». Es ist schon
12 Uhr vorbei, bei Euch wird alles in tiefem, friedlichem Schlaf
liegen, und wir wachen, im Herzen die Sehnsucht nach Frieden,
endlichem Frieden. Doch nun genug davon. Paketchen Hr. H
bekam ich heute, ich sage Dir tausend Dank dafür und für die
feinen Eier. Habe mir mal Rühreier und mal Ochsenaugen ge-
macht. Bin nun ein großer Roch geworden. Hat gut geschmeckt,
hatte überhaupt jetzt ein paar Festtage, von öiuch drei Paket-
chen nacheinander.
Gibt's bei Euch keine Neuigkeit? "wie steht's denn eigentlich
mit der Ernte in unserer Gegend? Hoffentlich gut Z Gibt's Obst,
was macht der Garten, die Bienen ?Herrgott, was Hab' ich schon
heraußen Lindenalleen gesehen, die wenn daheim wären!
Schorschl schreibt auch schon lange nimmer. — Habe sehr schö-
nen Dienst, bin Inf.-Hilfsbeobachter mit Scherenfernrohr und
Marineglas. Manchmal pfeifen die Rugeln recht nett rüber,
doch alle treffen nicht.
Leider hat's vor ein paar Tagen einen guten Rameraden meiner
Rompanie getroffen, Granatsplitter ins Herz, die Brust arg auf-
gerissen. Der arme Rerl.
Die Rerze ist herabgebrannt, jetzt geht's ins Flohnest, in fünf
Stunden gibt's heißen schwarzen, ungezuckerten Mokka — br.
Flandern, 7. August 1917.
Heute früh sind wir zu kurzer Ruhe zurückgekommen. Also bin
ich noch am Leben und wunderbarerweise bis zur Stunde un-
versehrt geblieben. Dies waren schwere 7 Tage, wir sind furcht-
bar herabgekommen, körperlich und geistig, ich zittere jeyt noch
von dem fürchterlichen Trommelfeuer und dem geschauten
Grauen. Lies nur die Tagesberichte seit ZI. Juli, Langemarck,
Bixschoote.
Denke viel an Euch, an unsere friedliche Heimat und wünsche,
daß Ihr nie und nimmer hier die Verwüstungen und das schreck-
liche Elend sehen müßt.
Schreibt mir bitte recht fleißig, ein Brief von zu Hause ist ja die
große Freude für uns. Zeichnet eine runde Summe Rriegsan-
leihe, das andere hebt Ihr auf. "wir liegen hier überall auf un-
gedroschenem Getreide, es muß auf den Feldern verfaulen, und
daheim die VTot.
327
3mFelde geschrieben, den 10. August I917.
Heute erhielt ich Pepis Rarte vom 5. August. Gage ihm vielen
Dank. Also ist Amann Peter verwundet. Der kann lachen, daß
er heraußen ist, aus dieser ganz gemeinen Sauerei. Ieyt ist es
wohl etwas ruhiger als vor 10Tagen, aber immerhin noch
nichts Angenehmes. Alle Nächte beschießen sie unsere <Quar-
tiere, wenn ich im schönsten Schlaf bin, auf einmal schlagen die
schweren Bengels ein, und es gibt keinen Unterstand und keinen
richtigen Schützengraben, sobald man einen halben Meter tief
gräbt, kommt "Wasser. Und überall typhusverdächtiges Trink-
wasser. Und doch haben wir es vorne aus den Granattrichtern
gesoffen. Tage- und Nächtelang gab es nichts zu essen, wenig-
stens nichts "warmes. Nun in Ruhe gibt es Essen in Hülle und
Fülle. IVill mal aufzählen: Grog, Raffee, Tee, Schnaps, "wein
als Getränke. Dazu Fleisch, "Wurst, Ronserven, Marmelade,
Räse, Schokolade, Honig, Dörrobst, Butter, Weißbrot, dann
täglich 7So gBrot der Mann. Rartoffeln braucht man nur auf
den Feldern holen, ebenso Obst. "wir können nicht alles zwin-
gen. Es sind dies Gefechtszulagen, richtige Henkersmahlzeiten.
Ich könnte noch vieles erzählen, wie es zugeht, aber ich mag
den Schrecken nicht ausmalen. Die Flieger sind wie die "Wespen,
wahrhaftig unheimlich.
"wenn ich das Glück Hab und bekomm einen richtigen Heimat-
schuß, wenn's nicht immer kracht, daß die Ohren weh tun, dann
will ich Euch vorplaudern, wie's uns ergangen. Durchkommen
die Engländer nie, höchstens über unsere Leichen hinweg. Ihr
werdet sicher in großer Sorge sein, nehmt es nur nicht so
schlimm.
*
Hinrich Dücker,
geb. 2. Februar I890 in Volkmarst.
25. Iuli .
Unerquicklich war für mich als Feldurlauber der innerpolitische
Rampf um die Friedensentschließung im Reichstage. Man sah,
daß vielen die Nerven durchgegangen waren. Sie hielten es
für notwendig, dem neutralen und feindlichen Ausland in aller
Z28
Form und Öffentlichkeit noch einmal sagen zu müssen: «Der
Menschheit ganzer Jammer faßt uns an, wir wollen Frieden
machen und lLuch alles wiedergeben, was wir Euch genommen
haben.» V, diese Unbelehrbaren! Diese kleinmütigen Seelen!
Die richtige Antwort auf den Saltomortale des Reichstages
gab unser Feldmarschall von Hindenburg mit seinem Tele-
gramm: «Frontdurchbruch im Osten». Gewiß wir alle, die wir
vorne sind und vorne waren, sind ebenso des Rrieges satt wie
die daheim, Wir alle möchten gern zu Hause an den Pflug, in
die Werkstatt, in die Fabrik, in unser Amt. Aber erst wollen wir
die Unversehrtheit und die Sicherung des deutschen vaterlan-
des durch einen ehrenvollen Frieden erkämpfen. Das ist unsere
Aufgabe und unser Ziel.
*
Rarl v. Möller,
geb. II. Oktober 1876 in Wien.
Tagebuch.
Iamnicastellung bei Stanislau, am 4. Juli 1917.
Man rechnet mit einer Schlacht, die nördlich des Dnjestrs schon
rollt. Machte glückliche Unternehmung, brachte Gefangene ein,
die aber nicht viel wissen. Sicher ist, daß wir, die I5.I.-D.,
allein drei bis vier russische Divisionen gegenüber haben, die zu
den besten zählen. Rornilow führt. Rerensky soll auch da sein.
Die russische Revolution hat nichts geändert. War sie denn von
uns nicht auszuwerten gewesen? Wir hausen in Drecklöchern
auf der Jutrena. Warum sollen wir's aber auch besser haben
als der Mann? Das Regiment ist brav und kampflustig, und
wir haben es bei jeder Gelegenheit tüchtig im Abwehrkampf ge-
schult. Doch lieber nicht, in dieser Stellung sehe ich Tote in
Massen.
Im Tölgyesgebiet, am Z. August lyl7.
Wieder angreifen! Und wir griffen an, nahmen die Arsa, fingen
Bussen — jetzt Bolschewiken —, erbeuteten Maschinengewehre.
Mir Kämpfte sich das Herz zusammen, als man mir Dutzende
329
Sterbende zutrug. Stumpft man also nie ganz ab, auch nicht,
nachdem man drei Jahre im Blut gewatet ist? Tausende und
aber Tausende habe ich abgeschieden liegen gesehen, «wie das
Gesey es befahl». IVas für eine IVelr wird nach uns kommen?
Denn daß das ^Werkel so weiter gehen soll, nicht gut auszu-
denken; dieser großartige Aufstand des Menschengeschlechtes —
gegen wen? für wen? — muß eine neue IVelt einleiten. Herr-
gott, haben wir gepflügt!
*
Hubert Scheuten,
geb. 21. August 1893 in Hohenbudberg, Ars. Moers.
Im Felde, den 9. August 1917.
Welche Freude, als am Hochberg die Runde von Ablösung durch-
kam. Dort hatten wir vom 18.—21. Juni und am ö. Juli ge-
fährliche franzosische Stürme abzuwehren. Der Rampf Mann
gegen Mann ist dabei das Erfreulichste; darin sind unsere Rerls
den Franzmännern weit überlegen. Das Schlimmste ist das
wahnsinnige Trommelfeuer aus allen möglichen Ralibern. Vla,
wir wurden also abgelöst. "wie schwellte sich schon die Brust, als
wir erst das Trichterfeld hinter uns hatten; aber noch war das
Tempo eilig, denn Granaten schlugen noch immer in verderben-
bringender V^ähe ein. lLrst am Rugelgraben, eine starke Stunde
vom Rampfgraben entfernt, atmete man völlig auf. Die Rerls,
die bis dahin lautlos nur immer vorwärts gerast waren, hier
fanden sie endlich ihre Stimme wieder, hier wurden die ersten
Zigarren und Zigaretten angesteckt. Und als wir dann nach einer
weiteren Marschstunde in geschlossener Rompanie am dämmern-
den Morgen von der Rüche mit einer köstlichen Erbsensuppe
versorgt wurden, da waren die Schrecken des Hochbergs schon
fast vergessen. — Dieses herrliche, freie Glücksgefühl, so außer-
halb des Granatenreiches an der Spitze der Rompanie wieder
grüne Felder vor Augen, in Frieden arbeitende Äeute, dann
in den weiter hinten liegenden wieder Zivilisten, Frauen.
Das Auge, gewöhnt an eine Trichterwüste, konnte sich gar
nicht satt sehen. So recht kam einem zum Bewußtsein, wie
schön doch das Leben ist. Hie habe ich vorher, selbst nach schlim-
men Stürmen, ein solches Glücksgefühl so dankbar, so erhebend
verspürt.
*
Peter Henning,
geb. l. Februar 189! in Vleu-iLkels, Rreis Aurich.
27. August 1917.
Es ist schon lange her, als mein Leutnant durch Handgranate
schwer verwundet wurde. Dieser Leutnant schien für verloren,
als auf einmal gefragt wurde, wer sich freiwillig Blut für -Lt.
Rnälmann abzapfen lassen wollte, natürlich kerngesund, durfte
noch nie krank gewesen sein. Ich meldete mich. Der -Leutnant
lebt noch, ist sogar gut zufrieden. Ich habe mein halbes Blut
weggegeben. Ich bin jetzt wieder besser. Wissen Sie, es ist
gerade kein Spaß, wenn die Herren einem da im Arm herum-
schneiden. Ich mit mein junges Blut, mir geht keine See zu
hoch. Ms ist mir alles egal, ob ich in Stellung ziehe oder bin in
Reserve. Man hat fast gar keine Gedanken mehr. Und zu guter
Letzt kriegt man hier noch Schraube los, es wird Zeit, daß man
mal wieder unter freundliche Menschen kommt.
-i-
A., ungenannt.
Philippeville, 8. August 1917.
Muß ihnen wieder nach langen Schweigen eine traurige VUch»
richt von mir übersenden. Aber vürs aller erste muß ich doch
mir tiefgeneigten Haubte und betrüben Herzen um Vergebung
bitten waß ich an den Herrn Pfarer mir meine wutsreden be-
trübt und beleidigt habe, also IVerther Herr pfarer, da sie mich
doch nie verstoßen haben, bitte ich auch höflich« vür dieses mahl
um Vergebung. Denn ich fühle und sehe, das ich ein Schlechter
Mensch bin und an mir nichts gutes ist. Denn ich bin nicht mehr
wert, das ich noch in dieser IVelt Lebe, ich habe alle gebotte und
den Schwur, denn ich geschworen habe, übertreten und mus
wir meine Sünden ins Grab sinken, denn der Teufel hat mir das
331
Evangelio aus meinen Herzen geraubt. Ich habe an mir keine
macht mehr und fange wieder alle fchandtaten an Rauchen und
das übriege noch, denn ich hatte mich verschworen, nicht mehr
zu rauchen, aber ich wurde madt und mufte mich ergeben, und
nun die Ängste! Denn mein gewissen lest mir keine ruhe, fals ich
an die front komme und der Herr mir den Todr zugesagt hat,
denn muß ich meine sünden absterben und die ewige quall lei-
den, das ist mir immer in den gedanken. V7wn möcht ich den
Herrn Pfarer doch um guten rat bitten, ob es auch vür mich
noch Vergebung giebt, denn ich glaube nicht, dieses ist schon das
zweite mahl, das ich es tuhe. Fals ich in Urlaub kommen kann,
mus ich mich Schämen, meiner Mutter in Auge zu gehen, viel-
leicht ist der Herr pfarer so freundlich und schreibt mir einen
guten raht, denn hir kann man ja nich viel an Gott denken.
Tag und nacht Dienst und das Essen ist müssrabel schlecht, vor-
getern hatten wir wieder Brennesseln die Stanken wie die Pest,
daß man gar nicht nach die Röche hinkonte. Nun will ich
Schließen, denn es ist zeit, die Matten glieder ihre ruhe zu gön-
nen. Mitt den Inigsten Grüße aus der ferne sendet ihnen ihr
Ronfürmande Robert und bittet höflich um recht Baldiege un
Deutliche Antwordt.
*
Erich Gause, unbekannt.
Im Felde, den 2*. August 1917.
Habe gestern einen Brief von Hause erhalten, der mich sehr ge-
kränkt hat. dämlich, daß meinen Eltern die "Wohnung gekün-
digt worden ist. Ich kann mich darüber nicht beruhigen und
schreibe deshalb diesen Brief an Sie. IVenn man sich hier drau-
ßen schon jahrelang umhertreibt und für sein liebes Vaterland
kämpft und seine Rnochen zum Markte feilbietet, dann werden
den lLltern in dieser ernsten Zeit solch schweren Sorgen bereitet.
Das kann mich durchaus nicht erfreuen. Da möchte ich am lieb-
sten die Flinte in's Rorn werfen und der Sache persönlich bei-
wohnen. t*Hr Soldaten müssen uns in den engen Unterständen
zusammendrücken, wo es durchregnet und der Wind in alle
Ecken pfeift, aber man sagt sich, es ist Rrieg, trotzdem man
332
früher auch andere Wohnungen gehabt hat. Und dann wird
man jetzt in dieser so ernsten Zeit nicht Räumlichkeit genug
haben. Da steht mir förmlich der Verstand stille. Wir sind daran
nicht schuld, daß der Rrieg solange dauert, aber es müssen alle
aus der Heimat den Pulverdampf genießen und alle ein Jahr
die Nase in den Schützengraben stecken, dann würde es in der
Heimat weit besser stehen. Denn ein Mensch ist ja jetzt dem an-
dern sein Teufel. wirklich wahr. Pehmen Sie mir bitte nichts
für übel, denn ich bin sehr aufgeregt. Würde mich aber freuen,
wenn meine Altern da wohnen blieben, daß ich aufden nächsten
Urlaub auch die Zeit da verbringen könnte ...
Wilhelm Böcher,
geb. 2p. Januar 1898 in Ruppertsburg/Oberhessen.
H. August 1917.
Hoffentlich habt Ihr den Hafer alle gebunden? wir haben hier
auch meistens Regen, das ist ja ganz günstiges Wetter für die
Schlacht in Flandern; da können die Engländer bei ihren An-
griffen nicht viel erreichen, wir haben nun drei Jahre Rrieg
und stehen gegen die ganze Welt, aber trotzdem ist unsere Rraft
ungebrochen. Hier im Westen haben unsere Feinde selbst mit dem
unerhörtesten Menscheneinsatz bei ihren Angriffen nichts er-
reicht, und im Osten hat Hindenburg zu neuen, gewaltigen
Schlägen ausgeholt. Ich meine, da brauchte die Heimat doch
nicht kleinmütig zu sein und immer daran zu denken, auf jeg-
liche Art sobald als möglich Frieden zu bekommen, was hat der
Reichstag mit seiner letzten Friedenskundgebung erreicht? Nur
Hohn und Spott hat er bei den Feinden geerntet. Ich freue
mich nur, daß einige Parteien anderer Meinung waren. —
Jetzt schon an die vielgepriesene, sogenannte Neuorientierung
im Innern heranzugehen, ist verfehlt. Erst müssen wir unsere
Grenzen nach außen sichern, und dann kann auch der innere
Aufbau in Angriff genommen werden. Die Herrn im Reichstag
scheinen ganz zu vergessen, daß es doch in erster Linie unsere
Feldgrauen sind, die da auch ein gewichtiges wort mitzureden
haben. Es wird noch zuviel unnützes Zeug im Reichstag gere-
333
det. Unsere Zeit braucht keine Reden, sondern Taten! Schwer
ist der Rrieg allerdings, und gewaltige Opfer werden von jedem
einzelnen sowie von dem ganzen Volk gefordert, aber dafür er-
leben wir ja auch die größte Zeit, die unser Vaterland jemals
durchgemacht hat. — Wenn wir vorzeitig den Rampf, der sich
doch zweifellos zu unseren Gunsten neigt, aufgeben, dann sind
wir nicht wert, eine Nation zu heißen; denn dann haben wir in
der Welt verspielt, und Deutschland kommt wieder in eine ähn-
liche Lage wie nach dem Dreißigjährigen Rrieg.
*
GüntherUlrich Toyke,
geb. l Z. Juli 1899 in Berlin,
gef. 12.Oktober 1917 St. Souplet/Champagne.
¥7ur im Lalle meines Todes zu öffnen.
Im Felde, August
Der Rrieg macht eisern, seid Ihr auch eisern dem Schmerz ge-
genüber; lebt fröhlich auf der Erde und seid stolz auch ein biß-
chen auf mich. So will ich Euch wissen, in diesem Gedanken
sterbe ich und will nicht enttäuscht sein.
Schluß mit der Selbstverständlichkeit. Sagt nicht, er weiß nicht,
was scheiden heißt. Er weiß es wohl; aber verzweifelt nicht,
da es nur ein körperliches Scheiden ist. viel Glück I
Donnerstag, den II. Oktober 1917.
Heute nacht geht es mit den Stoßtrupps in die vorderen Sap-
penköpfe, um in der Frühe des 12. unter unserer Leuerglocke
hervorzubrechen: ich mir meinem Stoßtrupp als erster, den
feindlichen Gappenposten gefangen zu nehmen und in die vor-
dersten Linien einzudringen, um die Besatzung zu überwältigen
und einen M.-G.-Stollen zu sprengen. Außerdem den Graben
abzuriegeln. Neun Mann, vier Pioniere, Llammenwerfer, vier
Rrankenträger ist mein Trupp stark. Mir folgen weitere Trupps,
um bis in die dritte feindliche -Linie vorzubrechen und haupc-
sächlich einen Tunnel mit Mann und Maus in die Luft zu
sprengen. Es kommt daher alles auf mein vorgehen an, um
33*
im Granatfeuer die anderen Trupps mitzureißen. sollen Ge-
fangene gemacht werden. Hindenburg fordert es, um zu wissen,
wer vor uns liegt. Uberraschende Schnelligkeit ist die Haupt-
fache. Der alte Haudegen Chevalrie soll die wohlberühmte et
Bravour nicht vermissen; er soll, wenn es nicht anders ist, die
Gewißheit haben, sie wußten deutsch zu sterben.— Die heimliche
Ungewißheit, bekomme ich die Fleute vor, unterdrücke ich, es wird
gelingen und als ein Held zu sterben, ist auch ein Gelingen.
Lritz Thies,
geb. 27.Oktober 1883 in Vachendorf/Celle,
gef. l<5. August 1917bei Hooglebe.
Tagebuch.
Ohne Datum.
Gegen lo Uhr abends stand die Batterie gefechtsbereit auf der
Chaussee und fuhr eine halbe Stunde später im Trabe einer vor
uns liegenden, steil aufsteigenden Höhe entgegen.
Der Mond war um diese Zeit aus den IVolken hervorgetreten,
verzerrt, karikaturenhaft schienen Reiter, Geschütze und Ra-
noniere als riesige Schlagschatten die Landstraße entlang über
Gräben und Felder dahinzufliegen. Matt leuchteten die grauen
Stahlrohre der Geschütze. Lehmgraue Automobile, dann und
wann ein Meldereiter im gestreckten Galopp, zurückkehrende
Rolonnenwagen aller Gattungen tauchten vor uns auf und
verschwanden ebenso schnell, wie sie gekommen, im aufwirbeln-
den Staub der Straße....
Immer näher rückten die sich palisadenartig vor uns auftür-
wenden waldbedeckten Höhen, blauschwarz und massig hoben
sie sich gegen den nächtlichen Himmel ab. Unablässig fernem
Wetterleuchten gleich, zuckten bald hier bald dort die Lichtscheine
der Signal- und Raketenfeuer am Horizont empor. Gespenstisch
tauchten aus grauen Erdschollen in schneller Reihenfolge rechts
und links zerschossene Mauern, Häuser, Ruinen, Gräben und
Holzkreuze auf. Dann und wann flogen aufgescheuchte Raben
hoch, um sich bald nachher kreischend auf dem nächsten Trüm-
merhaufen am Rande des 'Weges niederzulassen. So hockte eine
335
Anzahl oben auf der schneeweißen Riesen figur eines Christus
am Rreuze. Das aus der Brandstätte hervorragende Rreuz war
fast unversehrt geblieben, nur hatte ein Geschoß die Füße der
Erlöser figur zertrümmert. — Friede auf Erden. —
Feucht und kalt legt sich die Vlachtluft auf Menschen, Tiere und
Geschütze. Zusammengesunken, vornübergeneigt saßen die Ret-
ter auf müden Pferden. Fröstelnd, mit übernächtigen Gesich-
tern, hockten die Ranoniere aufden Geschützen und Munition«-
wagen. Der Mond verkroch sich hinter grauen IVolkenmassen,
als die Batterie am Fuße der Höhe anlangte. Die kärglichen
Trümmer des kleinen Dorfes, durch das die steil und gewunden
aufsteigende Gebirgsstraße führte, war in Lazarette und Un-
terkunftsräume für Verwundete umgewandelt worden. Im
Fackel- und Laternenschein am Ausgang des langgestreckten
Dorfes sah man die Reserven der Infanterie neben den Ge-
schützen einherschreiten. Der Lärm der einschlagenden schweren
Geschosse wurde ohrenbetäubend und rief in den Schluchten
und IVäldern ein hundertfaches Echo hervor.
In dichtgedrängter Reihenfolge kamen uns mit Stroh belegte
lange Leiterwagen, Automobile und Droschken voll schwer-
verwundeter deutscher und französischer Soldaten, entgegen,
untermischt mit humpelnden Leichtverwundeten, die sich mit
den Händen an die "wagen klammerten. Trat eine Stockung
ein, so vernahm man aus dem Innern der "wagen wohl hier
und dort ein halbunterdrücktes "wimmern, und beim Schim-
mern der Laternen sah man blasse Gesichter aus blutigen Ver-
bänden teilnahmslos ins Leere starren.
Die Franzosen beschossen jetzt unsere steil aufsteigende Heerstraße
mit Brennzündern, die links und rechts des "Weges, wie rote
Blitze sprühend, hoch oben in den Bäumen explodierten. In
den Rronen der Tannen ein Zischen und Rnistern. Einige
Trupps französischer Gefangener duckten sich scheu vor dem
Feuer ihrer Landsleute in die breiten Chausseegräben, vor uns
hatte eben eine Granate zwei Pferde getötet; man schaffte sie,
so gut es in der Eile ging, auf die "Wegseite. Im Morgengrauen
konnte man noch deutlich die Stelle an drei großen Blutlachen
auf der weißstaubigen Chaussee erkennen.
Mit Tagesanbruch war die Batterie an die Hauptheerstraße
gelangt und stand dort, vorn die Geschütze, hinten die Staffel,
ZZS
peinlich genau in Abständen des vorgeschriebenen Marschreg-
lemenrs, weiterer Befehle harrend.
7. August 17.
Erst heute finde ich Zeit, Dir zu Deinem Geburtsrage zu graru-
lieren. Seit vierzehn Tagen liegen rvir wieder gegen die Eng-
länder. Du wirst von der großen Schlacht in Flandern gelesen
haben. Das hier Erlebte übersteigt alles das, was wir bisher
durchmachen mußten. Es ist grauenhaft. Man wünscht oft, tot
z» sein. Es gibt keine Unterkunft mehr. IVir liegen im Wasser.
Hier ist alles eben. Das Leuer nimmt Tag und Nacht kein Ende.
Wir haben dieses Mal keine Toren in der Batterie, sondern nur
Schwerverwundete. Unser Zeug wird gar nicht mehr trocken.
Seit zehn Tagen haben die meisten keine Stiefel mehr ange-
habt. Das Schlimmste bei der Geschichte ist das sich vielfach ein-
stellende Erbrechen und Diarrhöe. Darunter habe ich auch ver-
flucht zu leiden, aber es wird ja wohl alles bald wieder vor-
übergehen und ich nochmals mit heilen Rnochen herauskom-
wen. Post haben wir lange nicht mehr erhalten, aber es wird
wohl später alles auf einmal kommen.
*
Ewald Marwiy, unbekannt.
Constances, l. Juli l9l7.
Endlich nach neunmonatiger Gefangenschaft komme ich auch
mal dazu, Ihnen einen kleinen Brief zu schreiben. Denke ich an
die erste Zeit meiner Verwundung, so könnte man wohl am
Leben verzweifeln, aber jeyt kann ich bald auf eine voll-
kommen? Gesundheit zurückblicken. Die Zeit vergeht mir sehr
schnell, denke ja oft nach Hause, überhaupt bei dieser schweren
Arbeitszeit, wo einem die Gedanken nicht aus dem Ropf kom-
wen. Aber man darf nicht den Mut verlieren. Nur Geduld, die
Stunde kommt, wo auch für uns mal wieder ein anderes
anfängt. So teile ich das Los mit vielen meiner Rameraden.
Ieyr lernt man erst seine Heimat schätzen ... IVenn die Zeit
wohl kommen wird, wenn Du Deiner Mutter kannst zurufen:
«Grüß Gott, liebe Mutter», und sie umarmen? — Nun
22 D. d. S.
337
möchte Gott geben, daß wir uns mal gesund wiedersehen. We-
nigstens habe ich Ihnen einen Brief geschrieben, den ich nach
meinem verstand nach nichr besser aufsetzen kann.
*
Heinrich Zellner,
geb. 21.Februar 1886 in Dt. Milmersdorf, Rrs. Teltow.
Ostfront vor Jakobstadt, 22.April 1917.
Also heute am Sonntag den 22. April Iyl7, russische Ostern,
im Schützengraben als Arrilleriebeobachter. Als ich heute in
den Graben kam, flogen gerade ungefähr l 8 wilde Gänse über
die Stellung, worauf sich im russischen Graben ein ungeheures
Schnellfeuer erhob. Unter ängstlichem Geschrei stoben die Gänse
auseinander, zwei fielen getroffen und wurden sofort von den
Panjes geholt.
Eure Nachrichten, die Verpflegung betreffend, haben mich sehr
interessiert. An Brot sind wir erheblich gekürzt, für drei Tage
nur 1500 g, Butter, Schmalz oder Marmelade verhältnismäßig
genug. Mehl, das an die Mirragsportion kommt, ist von 700 g
auf 200 g zurückgesetzt. Dt» der Woche sind 2—Z Tage fleisch-
los. An den Tagen, an denen es Fleisch gibt, sind es vielleicht
So g. Wir kochen in der Leuerstellung aus einem Topf, aus dem
auch die Offiziere essen. Aber trotz des besten Willens ist es nicht
möglich, ein vernünftiges tLssen zu kochen. Z. B. Mittagbrot
für 50 Mann: dafür stehen zur Verfügung 2 Pfund Nudeln und
etwa £00 Backpflaumen. Bei einer Arbeitszeit von 9% Stun-
den und jeden zweiten Tag Nachtwache von 6Stunden, und zwar
wird schwere Arbeit geleistet, bombensichere Unterstände für die
Batterie gebaut. Wenn man dann die Geduld sieht, mir der die
Leute trotz der geringen Verpflegung ihre Pflichten erfüllen!
Sonnenhofwald vor Jakobstadt, II.August 1917.
Gestern früh um 9 Uhr langte ich nach ganz gemütlicher Fahrt
auf Bahnhof Sikin an, wo ich nach langem Suchen schließlich
meinen Burschen entdeckte, der sich in die äußerste Ecke mit
meinem Fuchs verkrochen hatte. Während der langen Fahrt
wurde ich ein Gefühl des Abschiednehmens nichr los. Als ich
die ersten Panjebuden in Mist und Dreck liegen sah, dachte ich
338
voll Wehmut an die reinen deutschen Häuser, Straßen, an den
Abschied von Bett und Bad.---
Als ich in Sikin meinem Luchs in's treue Auge sah und ihm
seine weichen lüstern streichelte, da mutete es mich an wie ein
stiller Heimargruß, wie ein Vorwurf, wo ich so lange gesteckt
hätte. Dann kam mein Gepäckwagen. In den rauhen Gesicht
lern der Fahrer sah ich die Freude über meine Rückkehr leuchten.
Ich schwang mich in den Sattel und ritt langsam durch die Pracht-
volle kurländische Morgenlandschafr. Zwischen den Bäumen
leuchtete überall das Heidekraut, das sich wundervoll von den
dunklen Moosen abhebt. Dazwischen vereinzelt, wie Blutstrop-
fen anzuschauen, preißelbeeren. Und über dem allen eine Herr-
liche lachende Augustsonne. Ich hatte meinem Luchs die Zügel
auf den Hals gelegt und ließ ihm volle Lreiheit. Da ging es wie
ein Aufarmen durch meine Brust nach dem langen Aufenthalt in
der drückenden Stadtluft. — Es folgte eine freudige Begrüßung
in der Batterie. Alles war froh, daß ich wieder da bin.
Gleich am nächsten Morgen war Lahrübung; so ging ich nicht
zur Beobachtung, sondern führte die Batterie als nachführen-
der Offizier. In aller Herrgottsfrühe ging die Geschichte los.
Ich führte die Batterie dem Batterieführer in die von ihm aus-
gesuchte Stellung nach. — Hinter mir ratterte die Batterie. In
das Schnauben und Stampfen der Pferde mischte sich das Rlir-
ren der Retten und das Rnirschen des -Lederzeuges. Da über-
kam mich auf einmal ein Heimatgefühl. Es wurde mir klar,
daß ich mich nicht in Deutschland zu Haus fühlen könnte, son-
dern daß ich zu meiner Batterie gehöre, so lange Rrieg ist. Hier
ist meine Heimat.
*
Unbekannt.
September 1917.
Don einem Erlebnis, das ich dieser Tage hatte, möchte ich
Ihnen Mitteilung machen. Rürzlich tritt eine ältere Lrau in
mein Zimmer. Blick, Gebärden, Haltung — alles an ihr ist
Sorge. Sie käme, um sich Rat zu holen, aber ich sah und fühlte
es, sie wollte mehr, wollte Hilfe. Erst stockend, dann freier, er-
zählte sie. Ihr Ältester war im Jahre vor verdun ge-
22«
339
fallen, der zweite ist seit Februar 1915vor Grodno verschollen,
der dritte ist vor kurzem schwer verwundet worden und viel-
leicht Rrüppel sein Leben lang. Und nun sollte auch der vierte
hinaus als Pionier. Ob es nicht möglich sei, den zu schonen,
ihn zu rückwärtigen Formationen zu versetzen. Sie fragte, ob-
wohl sie wußte, es ginge nicht, denn in ihren Händen hielt sie
die Antwort auf einen Antrag, den sie an die zuständige Be-
Hörde gerichtet hatte, und die lautete, unter Betonung, daß die
von ihr gebrachten Opfer voll gewürdigt würden, verneinend.
Aber wer schöpft wohl die Hoffnung eines Mutterherzens aus?
Ob denn nicht wenigstens die Versetzung irgendwo andershin
möglich wäre? Irgendwohin, wohin der Tod nicht so sehr
käme, er wäre ein so geschickter Arbeiter, könnte als solcher viel
leisten. Doch auch dazu konnte und durfte ich ihr keine Aus-
sichren machen. Und nun suchte ich nach Worten, hätte ihr so
gern was Besonderes gesagt und konnte doch nur die üblichen
Redensarten vorbringen, daß sie trotz aller Schicksalsschläge
Vertrauen haben möchte, daß der Rrieg ja bestimmt nun bald
zu Ende sein würde, daß der Jüngste nicht mehr lange Gefahr
zu laufen brauche. Aber noch im Satz unterbrach sie mich, ihre
Haltung straffte sich, und mit verändertem Ton, in dem kein
Leid mehr zitterte, kam es kurz heraus: Jetzt können wir keinen
Frieden schließen, und — als sie wohl in meinem Blicke etwas
von einer stummen Frage nach einer Erklärung sah — mit
flammenden Augen und erhobener Stimme: sollen meine Söhne
umsonst gefallen sein ? — Ich drückte der Frau stumm die Hand;
höchsten Gefühlen gegenüber versagt das IVorr. Sie verstand
mich auch so. Doch als sie zur Tür hinaustrat, sagte ich ihr:
«Möchten alle Frauen, ja auch alle Männer Ihnen gleichend
Hermann v. Rohden,
geb. lo. November 5887 in Hagenau/Elsaß,
gef. Z. September l9l8 in Bussy.
29. August I9J7.
Man sollte meinen, daß man allmählich vollständig abgestumpft
und unempfindlich gegen die Todesgedanken geworden ist, aber
3*0
es ist wohl mehr tapferer Selbstbetrug, wenn man das vor-
handensein einer gewissen IVehmut ableugnen will. "Wenn wir
erst wieder einmal mitten drin stecken und ich den Ropf mit Be-
fehlen und Überlegungen vollgepfropft habe, dann bin ich Sol-
dar und habe keine Zeit, an das Leben des einzelnen zu denken,
weil ich jeden Augenblick für alle sorgen und handeln muß.
Lazarett, 16.September
Ich mußte hier staunen über den Heroismus eines jungen Ar-
tillerieleurnanrs, dem vor 2Tagen der linke Arm amputiert
worden war. *£r war so heiter und frohgemut, als wenn nichts
geschehen wäre. «Ach, es hätte doch viel schlimmer kommen
können, denken Sie doch an die Blinden.» «Mein erster Ge-
danke, als ich den zerschmetterten Arm sah, war: ja, da mußt
du wohl sterben — nachher war ich ganz froh, daß nur der Arm
weg ist.» — Mit Tränen in den Augen überreichte ihm sein Ge-
neral das E.R. I. Danach sagte er zu mir: «Das ist nun dumm,
jetzt Hab' ich's aus Mitleid bekommen!» Man erlebt hier seit-
same Szenen; ich finde, nirgends kann sich neben der Grausam-
keit des Rrieges so herrlich menschliche Herzensgüte entfalten
wie im Feldlazarett. Da jeyt nur Leichtverwundete hier in
unserm Zimmer liegen und versckiedene interessante, künstle-
risch angehauchte «Charakrerköpfe» darunter sind, so wird mir
die Zeit nicht lang. Miner spielt sehr gut Gitarre, da singen wir
dann allerlei Studenrenlieder und alte Volksweisen zusammen
mir der lustigen Schwester «Hannah», die ihrem schweren Be-
ruf in der glücklichsten Weise nachzukommen weiß. Und wäh-
rend wir ganz andächrig zum Schluß «Ade, zur guten Nacht»
singen, trommelt es lo km weiter westwärts unbarmherzig
auf meine arme Rompanie.
*
Clemens Busch,
geb. 14. November I89I in Pünderich.
La Maisonnette, den 28. Januar
den nächsten Tagen werdet Ihr keine Post von mir bekom-
wen, werden wohl weiter wandern, also keine Angst. Ich bin
fleißig mit meiner Gruppe am Minieren, hauen feste Ralkfelsen.
Vor wenigen Monaten hieß es ständig im Heeresbericht: die
heißumstrittene Höhe &.«,Maisonnette. Oft wechselte sie ihren
Besitzer, war ständiger Zankapfel, bis sie deutsche Hände dem
Franzmann wieder entrissen, um sie fest und dauernd im Besiy
zu halten. Ieyr liegt die Höhe hinter uns, heute unsere erste
L^inie,der Schauplatz früherer Rämpfe. Die Maisonnerre-Ferme
liegt tot und verlassen, übersät mir Granatrrichrern. Mauer«
reste und Baumstumpen kennzeichnen noch den Play der Ferme,
des Schloßwaldes. Zerschossene Unterstände, zertrümmertes Ge-
rät, Waffen aller Art, Trichter mir Toren, Franzosen und Deut-
schen, kennzeichnen noch die einzelnen Stellen erbirrerren Rin-
gens. Nicht jedem ist ein anständiger Play vergönnt zum ewi-
gen Schlaf, von Artillerie-vollrreffern verschüttet, vergraben,
allein, zu zweien, gruppenweise, so liegen sie, werden zertreten.
Von ihren Angehörigen vermißt, betrauert, beweint. Schlim-
mer stehr's noch mir denen im Zwischengelände; wie mancher
liegt noch da, Gewehr, Handgranare in der Hand, dem IVind
und "Wetter preisgegeben, bis eine mitleidige Patrouille ihn
mir zwei Schaufeln Erde zudeckt, ihm die Erkennungsmarke
abnimmt, damit wenigstens die Angehörigen Nachricht be-
kommen.
£. September l9l7.
Heute Nacht harren wir wieder eine schöne Tour nach vorn,
dauernd im Arrilleriefeuer. Einem meiner -Leute wurde der
Marmeladeeimer durch Granatsplitter aus der Hand gerissen.
Die Marmelade war zum Teufel, Gott sei Dank blieben die
Rerle heil. .Lege heute ein paar Feldlilien in den Brief, ge<
pflückt im Sumpf vom Chemin des Dames an der Royere-
Ferme. Heute gab's wieder Drahrverhau. Einen ziemlich rollen
Magen muß man haben, wenn man das Zeug verdauen will.
Mein silberner Löffel ist viel zu schade dazu. In Hindenburg
seiner Rede bei der Parade beronte er besonders: heute stehe
ich wieder vor meinem Regiment als Generalfeldmarschall
an der Grenze meiner Laufbahn, wo ich vor Jahren
als blutjunger Fähnrich eingerreren bin, mit dem Regiment
die Feldzüge 65/66 und 70/71 mitmachte und dort verwundet
wurde.
3*2
Heldenkeller von Chevregny, September 1917.
Romme jeyt eben mir meinem Zuge vom Chemin des Dames
zurück, harren Essen, Bror, Rassee dorrhin gebracht und dann
noch Minierrahmen und Gchnellhindernisse geschleppt, schön
war's nichr. Ständig hält der Franzmann die Annäherung«-
wege unter Leuer, macht Feuerüberfälle. Es hilft alles nichts,
durch müssen wir rroydem, die Rerls vorn müssen etwas zu
essen haben. Heute gab's Apfelreis, das ist ein Reissüppchen
mir viel Wasser, bißchen Reis, das wird dann gekocht im ver-
ein mir Äpfeln, deren es boku gibt, zuletzt wird das Zeug nun
trüb, rörlich, gelblich, bläulich, dreckig, und das heißr Apfelreis,
dazu gab's ein halbes Bror, 2 % Fingerhur voll Räse auf den
Mann. So leben wir! Gestern gab's Rälberzähne, nun das
wißr Ihr nun auch wieder nichr, was das ist. Also so'ne Art
Gemengsel von Stärkemehl, Tapetenleim, Rleister und Gersten-
kern, dazu Marmelade. Morgen gibt's nun unser liebes altes
Nationalgericht: «Dörrgemüse-Drahrverhau». Da krampft sich
der Magen schon zusammen, wenn er das Korr. TUchr zu ver-
gessen der Tee oder Rassee, den es abwechselnd gibr. Es wird
immer vorher angesagt, was es ist, ob's Tee oder Rassee ist.
Ich bin nun drei Wochen hier, ich glaub', meine Backen sind
schon wieder eingegangen und mein vom Urlaub mitgebrachter
Rarrosselbauch ist wieder stören, verhungern tun wir deshalb
doch nichr, wir halren immer noch aus.
*
Erwin Trzebiatowsky,
geb. 14. Juli I8Y5 in Dedeleben,
gest. 24. Februar 1927 in Wellingsbüttel.
Westen, 2Z. September
Du machst ein Gleiches durch wie ich, der ich oftmals nach einer
Versetzung mich nichr wohl fühlre. Der mich umgebende Rreis
sagre mir nichr zu. Ich habe, als ich zu dieser meiner Abteilung
kam, großes Glück gehabt, schon durch die Art der Menschen,
die ich vorfand. Meine allergrößte Freude war aber die Festste!-
lung einer durchweg gleichen Ansicht, daß wir keinen Frieden
machen wollen und die gleich große Empörung über Erzberger.
Schade, unter 60Millionen Deutschen gibr es keinen, der diesen
3*3
Ententeschieber zum ewigen Schweigen bringt! Er muß weg
auf jeden Lall. Nicht wieder gutzumachende Nachteile haben
uns seine, nur aus spukhafter Eitelkeit und Sucht, sich genannt
zu sehen, gehaltenen Reden eingebracht. Mag die Zeit kommen,
wo ihm Dreck ins Maul fällt, wenn er es auftut....
*
Rarl Hinrichs,
geb. 20.Februar I896 in Altenkamp, Post Bad Zwischenahn.
Sonntagabend, den 23.September lyl7.
Zur Abwechselung verleben wir wieder einige Tage gemütlichen
Rrieg. Seit gestern bin ich mit einigen Leuten aufmache ge-
zogen. Es ist heute ein besonderer Tag. Heute beginnt mein drittes
Jahr beim Militär. Wer hätte das gedacht! Sollen wir deswegen
den Mut sinken lassen? Oder gar das Vertrauen verlieren?
Zwar hat man leicht sagen: «Durchhalten! Aushalten! Maul
halten!» Aber hat man denn nicht recht mit diesen "Worten?
"Was wollen wir? Die Antwort ist nicht schwer: «Den Frieden.»
Nun, würdest Du Dich nicht verteidigen müssen, wenn Du Dei-
nem Feind einen Vorschlag zur Versöhnung machst und der
Gegner Dich unerbittlich weiter verhaut? Zu einer verständi-
gung gehören bekanntlich zwei Mann! redet man aber von
verzichrfrieden ? Worauf wollen wir denn verzichten ? Auf un-
sere Freiheit? Oder will man gar einen Frieden um jeden preis?
Ist so etwas denkbar?
So wollen wir denn hoffen mit Gott, daß alles ein gutes Ende
nehmen möge, und daß es, wenn es gar nicht anders geht, zu
einer rechten Verständigung kommen möge.
*
Hermann Raniysch,
geb. 4. Mai l8y8 in Azul/Argentimen,
gest. 25. November lyl3 im franz. Lazarett Laval bei
Mans, in Gefangenschaft.
September
Nun, meine Mutter, sitze ich hier im Hourhoulster Walde. Wie
ich hierherkam, werde ich Dir erzählen. Gestern abend 7.15Uhr,
Z55
stand die Rompanie mit Sturmgepäck marschbereit unweit von
Staden. «In Rolonne zu einem» schlichen wir um die Chausseen
und Straßen herum durch den zerschossenen Gespensterwald.
Die Mondsichel schien seltsam durch das Geäst und gesellte sich
zu den vielen Leuchtbomben am Himmel. Die Granaten sausten
durch die Luft «Rrach bum!» Uns entgegen schlichen sich die
Trägertrupps, die Bagagewagen mir leeren Munirionskörben,
abgelöste Artillerie und sonst noch alles mögliche. IVie kläglich
nahmen sich die bleichen IVände zerschossener Vvaldhäuser aus!
Hier und da ein Beobachterstand von der Artillerie. Immer
trostloser der IVald —, da eine Lichtung. IVir schlichen uns wort-
los durch das leere Trichterfeld. Da stolpert man über Draht-
verhau — aha, die zweite Stellung. Ein Stück weiter vor, und
wir waren am Ziel. Ein leicht gedeckter Unterschlupf ist unser
(Quartier für sechs Tage, dann geht es in die vordere Stellung,
die sechshundert Meter weiter vor liegt. Ein Treffer an einer
Ecke des Baumes mag einst wohlMenschenleben gekoster haben.
Der erste Zug, zu dem ich gehöre, liegt in diesem Bunker, wäh-
rend das übrige auf Betonstände verteilt ist. «Du bist Fatalist»
denke ich, nachdem ich noch kräftig in mein Brot gebissen habe,
wie die kümmerlichen Reste ergaben. Nachts Uhr ziehe ich auf
Doppelposten mir einem andern Gefreiten zusammen. Die pa-
tronentaschen hängen schwer am Gurt, das Gewehr ist mir so
lieb und vertraut, es hängt vergnüglich an meiner Schulter.
Der Gefreite ist in Rußland gewesen, aus seinen bitteren Worten
höre ich sein Unbehagen in Frankreichs Trichterfeld. Das muß
ich sagen, die Biester heulen einem ganz gemein um die Ohren.
Patrouillen innerhalb der Postenkette erkundigen sich, wer hier
liegt. «I. Zug, 2/86» raunt man zurück. £ Uhr, das Stern-
funkeln ist noch so schön, der Große Bär bleibt ewig mein Ver-
trauter, mir dem ich Erlebnisse aus der Vergangenheit auszu-
tauschen glaube. Ich verbinde die beiden Sterne am weitesten
rechts, die Linie trifft nach oben verlängert den Polarstern,
worden. «Da ist Hamburg, dort liegt Dipmuiden». Die Rich-
tungen stimmen, aber die Entfernungen sind doch so sehr ver-
schieden. Nun, also in den Bunker. «He! Ablösung!»Ich krabble
in meine Zeltbahn, höre noch das Räuspern der Ablösung, dann
schlafe ich, nach einem Tranke aus der Schnapsfiasche. — Ein
Sonnenstreifen quer durch die Höhle. Ich recke und strecke mich.
3*5
«Also das ist Sonntag». Ein wenig Brot mit Wurst, ein Schluck
Alkohol bilden mein Frühstück. Ich muß mich für diesen Tag
damit begnügen; der Essenrrägertrupp kommt nur nachts heran.
Ich gehe ins Freie unter möglichster Fliegerdeckung und wähle
einen recht großen Trichter. Strauch und Baum, ein jedes
Fleckchen Erde ist zerwühlt von Granaten. Himmel, wie sieht
das aus! iL« fehlen nur die Torenkrähen, vor mir liegt ein
Rreuz. Ich trage es auf einen Rrumenhaufen. Wieviele liegen
wohl hier in diesem Granarenacker? Links am Bunkerausgang
blickt ein frisches Rreuz durch die Baumstümpfe. «Muskerier
Wilhelm Ruß, 6. Romp. Inf.-Regt. 119, gefallen II. Sep-
tember 1917», steht darauf. Wie bald ist diese Inschrift ver-
blichen oder hinweggeweht von Granaten.
8. September 1917.
Donnerstag unterstützte unser Bataillon die 85er nach einem
langen Marsch, Freitag ging es nach Langemarck, wo die
Bayern dem Entseyen nicht mehr standhalten konnten, und
Sonntag rückte man nach Poelkappelle, wo ich bis heute mit-
tag lag. Du kennst die Ecke, die selbst alte Rrieger nervös macht.
Ich bin gegen das Feuer gleichgültig. Es ist schon soviel gnädig
an mir vorbeigegangen, es wird auch ferner respektvollen Ab-
stand von mir nehmen. Haut nur immer zu, ihr Menschen, ihr
seid verrückt, ich bin verrückt! — Beschreiben darf ich Dir nichts
mehr, es wäre unwürdig. Ich erfülle meine Pflicht. Oft muß
man im dicksten Feuer hellauflachen. Wie die grauen Menschen-
leiber sich von Regenloch zu Regenloch durch den Lehm wälzen,
wie sie laufen und umhergejagt werden! Und wenn man sie
nahe sieht, dann sind es stierblickende, durchnäßte Geschöpfe, die,
immer wieder gerettet, auf die nächste Granate, den nächsten
Gewehrschuß warten, ob sie wohl durchkommen. Und dann
mauern sie dich ein in ein Sperrfeuer, sie spannen dich auf die
Folter. Wenn man wieder heraus ist, lacht man sich eins ins
Fäustchen und besonders, wenn man dann nachher einige Stun-
den in Ruhe siyt und die Winkel verlassener Häuser durch-
stöbert.
Du meinst, ich verdiente, einst wieder von Dir verzogen zu wer-
den. Wozu denn? Wenn ich wieder bei Euch vorspreche, die Tür
öffne, dann wird Euch das alte fröhliche Gesicht entgegen-
3*6
lachen, unverändert, das kannst Du sicher sein. Dann bin ich
schon überglücklich, wenn ich mich an Auer Tischlein seyen darf
und wie einst mein Marmeladenbrot und mein Süppchen zu mir
nehmen kann. Und dann ein Bell ohne Läuse, hei, welche
Pracht! Ein ganz verrückter Rerl bin ich doch eigentlich, daß
ich mich jetzt nach dem sehne, was mir einst eine «Last» war.
Langemarck, 10. Oktober lyl7.
... Ich habe überhaupt keine Ruhe mehr gehabt. Allnächtlich
bin ich hinausgezogen, um mir einzugreifen in die schweren
Rämpfe vor Langemarck. Gestern habe ich das denkbar Schwer-
ste erlebt. Ach, Ihr habt ja alle keine Ahnung von dem, was
menschenmöglich ist. Erlasse mir irgend eine Beschreibung. IVir,
die 86er, ein Bataillon, standen allein gegen die Engländer.
Wir warteten auf andere Divisionen. Mit einem M.-G. und
zwei Mann saß ich im Granarloch. — Gegen Abend kamen die
erlösenden Divisionen in dichten Linien, der Feind wich, Hurra!
Ihm immer nach, die Luft war vom Schwirren eines Menschen-
schwarmes erfüllt. Hier gibt es keinen Schützengraben, keinen
Drahtverhau, nur sumpfige Granarlöcher. Ich blickte auf gen
Himmel, was hatte ich erlebt! Die Rompanie war versprengt.
Wo seid Ihr, meine Rameraden? Ich bin der einzige meiner
Gruppe. Unsere schwere Aufgabe, den Feind vor Langemarck
zurückzuhalten, war erfüllt. Ich schlief dann fest. Heute morgen
sah ich in einen Spiegel. Man konnte lachen, ein glühendes
pulverschwarzes Gesicht mir einem nervösen Zucken der ganzen
rechten Backe präsenrierre sich mir. Das kommt davon!
*
Peter kennet,
geb. 29. Mai 1884 in Großauheim, Rrs. Hanau,
gest. 12. November 19IS in Frankfurt a. M.
Riga, den Z. September lyl7.
Heute nachmittag um Z Uhr zog unser Regiment als erste
deutsche Truppe hier in Riga ein. Unser stolzes Siegesgefühl
kannst Du Dir denken, wir liefen hinter den Russen her, ohne
einen Schuß zu tun.
3*7
Die Bevölkerung hier ist meist deutsch, den Jubel kann sich in
der Heimat niemand vorstellen, als wir ankamen. Mir Blumen
und Zigaretten wurden wir direkt bestreut. Das Volk, meist
Frauen, Mädchen und Rinder, versperrte den Weg, drückten
unsere Hände, schrien «Hurra», viele weinten vor Freude, seg-
neten uns und sagten: «Gott sei mir Much» und: «Endlich sind
die geliebten Deutschen da».
Dieser Einzug war erhebend und ist mir unvergeßlich.
Die Russen haben vor ihrem Abzug aber auch schrecklich gehaust;
alle Läden und privathäuser zerstört und ausgeraubt, auf der
Straße umhergestreut, die Deutschen mißhandelt. — "Wären
wir einen Tag später gekommen, wären sie in der Nacht massa-
krierr worden. Die herrliche Stadt brennt an vielen Ecken, aber
unsere deutsche Ordnung wird das bald alles wieder gutmachen.
*
August Oberer,
geb. 27. August 189Z in vaihingerhof, O. A. Rottweil/Neckar,
gef. II. Juni I9I8 an der Somme.
15. Oktober 1917.
Gott, wie ist das so plötzlich gekommen! Früher hat mich auch
gar nichts interessiert als mein Beruf und der Rhein, und heute
hängt mein ganzes Wesen an diesem Mädel in der Heide. Ge-
ärgert habe ich mich, wenn ich in einem Roman von einem
Manne las, der verliebt war, so geärgert, daß ich das Buch bei-
feite warf. In einem Buch konnte ein Mann nicht mehr leben,
weil er ein Mädel, das er geliebt hatte, nicht bekommen konnte.
Ich weiß heute noch, wie mir dieser «Schwächling» wie ich ihn
nannte, eklig war. Und heute, Herrgott, heute hat's mich ge-
packt. Heute muß ich gestehen, daß ich verliebt bin, verliebt bis
über die Ohren. Und ich sage Ihnen offen, daß ich darüber schon
recht ärgerlich wurde, wenn ich mich gerade bei einer süßen
Träumerei ertappte. Es ist etwas Schreckliches um einen ver-
liebten Menschen. Man kann tatsächlich keinen richtigen Ge-
danken mehr seinem Beruf widmen, und dann kommt manch-
mal die Angst ums .Leben, was ich früher nie kannte. Wenn
ich den Rrieg von Anfang an nochmals durchmachen müßte, so
3*8
würde ich mich nie mehr verlieben. Wie sorglos kann man da
in den Tag hineinleben. Das Sterben ist einem ganz gleich-
gültig. Allerdings muß ich gestehen, daß mich der Gedanke an
mein Hieb auch schon ganz gewaltig gestärkt und ermuntert hat.
*
Viktor prüy,
geb. 14. Oktober 1895 in Neustrelitz,
gef. 28. September J9J8 bei Piennes.
Tagebuch.
Im Felde, Herbst
Eben noch hagelten weiße Rörner vom Himmel herab, daß sie
lustig von den Greinen wieder empor sprangen. Und nun scheint
die Herbstsonne auf den bunten "Wald drüben an den Hängen.
Wir suchen ihre Wärme. Denn nun der Sommer ging, da ist
uns so recht die Sonne des Sommers lieb geworden. Da suchen
wir sie und freuen uns, wenn sie noch einmal Wärme für uns
hat. Die Blätter der Bäume wirbeln langsam, eins ums andere
herab zur Erde. Ein geheimnisvolles Rascheln und Rauschen
geht durch den Herbstwald. Es ist ein wundersamer Gedanke,
daß der Wald sich einen Farbenteppich aufs Grab streut, ehe es
ans Sterben geht. Er stirbt in tausend Farben.
Sonderbar, daß man Todesgedanken so oft hat, wenn man
mitten in der Herrlichkeit des Gebens steht. Vielleicht ist es der
Wunsch, der einem die Gedanken aufdrängt, daß man einmal
aus der Fülle des Lichts heraus sterben möchte, daß man die
dunkle Stunde des Lebens nicht als letzte haben möchte. Was
über den Tod hinausgeht, ist uns ewig verborgen. Aber wir
fühlen, daß der Tod nur ein Weg sein kann zum .Licht. So ist
das wohl das Wunderbarste, daß uns das letzte aller Dinge
verhüllt bleibt. Wenn ich dächte, daß sie auch daran mit ihren
schmuyigen Händen herum fingerten, daß sie auch daran herum-
kritisierten, herumdeuteten. Muß man jetzt im Herbst auch den-
ken an das Sterben der Völker, wenn ein Blatt ums andere
von ihrem Lebensbaum abfällt, muß man das jetzt? Völker
können nicht immer sterben in Licht und Farben. Sie lassen
Z59
wohl einen Schein ihrer einstigen Herrlichkeit zurück, aber ihr
Tod ist meist dunkel, ihr Sterben kein leytes Schimmern ihrer
Farben, sondern ein verlöschen in Dunkelheit. Nur der Rampf
bis zum leyten Atemzug, nur ein Heldenrod kann ein rühmliches
Ende sein, kann uns aussöhnen, kein Srrohrod, wie ihn so viele
Völker sterben.
ist Herbstzeit für uns, in der die Farben auszulöschen drohen.
Mit ihrer allzu starken Betonung des Materiellen macht sich
unsere Zeit so arm, so bettelarm, und sie spürt es nicht ein-
mal. Sie idealisiert das Materielle, und wenn sie nachher ihre
hastende, ruhelose Irre erkennt, dann ist es zu spät. Wir brau-
chen mehr -Hiebe, mehr Glauben. Die Seele der Zeit verküm-
mert, und ein kalter Abgott wird auf den Schild erhoben. Wo
bleibt die Gewißheit: es muß uns doch gelingen? Ich aber
glaube, daß Deutschland uns nicht verloren geht.
Da sehe ich, wie eine neue deutsche Jugend mit mir aufwächst.
Sie hat sich hohe Ziele gesteckt und läßt ihre Fahnen lustig im
Wind flattern. Rampflustig und siegesgewiß. Sie ist mir z»
laut mir der Rede, sie ist mir zu wenig innerlich, zu wenig be-
sinnlich. Helle Augen sind ein kostbares Gut, aber es muß em
tiefes, liebewarmes Herz dahinter sein. Mir der Begeisterung
allein ist's nicht getan. Das helle Feuer der Begeisterung will
genährt sein von der ruhigen, stillen, ernsten Flamme des Her-
zens. Sie brechen alle Brücken zur Vergangenheit ab, lächeln
über das, was ihrer Väter Gut war, wollen eine neue Heimat
errichten und wissen nicht, was sie tun. «Wer seine Zeit versteht,
der sieht seine Zeit in dem vergangenen und rät auf das Zu-
künftige.»
Unser Streben sei geradeaus gerichtet zu einem Richte vor uns,
aber aus der Vergangenheit schöpfen wir weisen Rat. Nimmt
die Pflanze doch auch ihre Nahrung aus dem Boden, in dem sie
gewachsen ist. Auf fremdem Boden verdorrt sie oft. "wurzeln
wir also auch fest in unserem Boden. ist der rechte.
Und dennoch, geht mir mir dem Märchen von der guten alten
Zeit! Wenn wir erst einmal zurückblicken können von einem
Punkte, wo wir alles als Ganzes vor uns sehen, dann werden
wir auch unsere gute alte Zeit haben. Denn die Jahre verdecken
die Ranken und lLcken. Und wie man bei einem Gebirge das
Nahe steil und hoch sieht und das Ferne nur mehr wellig und
350
ineinander übergehend, so verschwindet bei dem weiter Zurück-
liegenden auch alles Steile und übermäßig Wilde und Schroffe.
Da sehen wir alles nur wie ein liebliches Hochland, wie eine
weite Hügellandschaft.
Und nun die Ehrfurcht vor dem Alter, das uns von dieser guten
alten Zeit spricht! Wir sind ihm Ehrfurcht schuldig, auch wenn
Alter kein Verdienst ist. Aber ein Alter, das alle seine Jahre
durchlebt, durchbebt und durchkämpft hat, hat Anspruch, hat
ein Recht auf Ehrfurcht von seilen der Jugend. Das Alter ver-
mag uns zudem viel zu geben, viel zu lehren, weil es in seiner
ruhigen Beschaulichkeit über der Hiye der Jugend steht, viel-
leicht ruhiger, gerechter urteilt. Auch wenn die «erfahrenen»
Leute uns oft nicht durch ihren wohlgemeinten Rar weiter-
bringen. Denn alle Lebenserfahrung des anderen nutzt uns
nicht sehr viel, hilft uns wohl, aber gibt uns nicht alles. Es ist
nun einmal so, daß jeder selber sein Leben leben muß, jeder selber
durch alles hindurch muß, durch Hohes und Tiefes, ehe er
seinen Weg weiß.
September 1917.
Es ist wohl richtig, was Münchhausen sagt: «Den goldenen
Ball gibt jeder lächelnd weiter, und keiner gab den goldenen
Ball zurück.» Und niemand weiß, warum es so ist, so sein muß.
Und dennoch — wissen sollt Ihr wenigstens: daß ich an Euch
und Eure -Liebe denke, gerade jetzt. Ich habe nie davor gebangt
— aber vielleicht muß ich heute schon den Ball an die über-
lassen, die nach mir kommen, die ohne Wort an meine Stelle
treten, vielleicht — und wenn? «Gottes Will' kennt kein
Warum?» Sterben ist schwer, wenn man sein Lebensschicksal
just selbst in die Hand nehmen will. Sterben ist schwer, wenn
man von seinem angefangenen Werk gehen muß und könnte
doch noch so unendlich viel schaffen.
Doch ist sterben so schön, sterben im Sonnenschein, unter den
Sternen im freien Feld, wenn man damit eine höchste Liebe be-
weisen kann, eine Liebe zum Vaterland, zum Leben, zu allem
Guten. Ich will von Euch gehen, froh und dankbar. Trauern
hat hier keinen Play, wo wir der Unendlichkeit so nahe sind.
Gottes IVille geht schweigend über den Erdenstreit. Ihm sind
wir untenan. Und wir wissen, daß uns alle Dinge zum Besten
351
sind. Ihr sollt nun nicht trauern. Dächte ich das, so würden
diese meine leyten Stunden nicht mehr so voller Sonne sein.
Sehr: mein Leben gehörte mir, es rvar nur kurz, aber es gab mir
mir vollen Händen, was ich von ihm forderte, und nun gab ich
dem Leben, was ich ihm schuldig bin.
Was ist unser Leben gegen das -Leben des Vaterlandes? Und
Ihr habt mir soviel treue -Liebe gebracht.
So habe ich einsam gekämpft, bis dann der Sonnenschein ganz
hell wieder hereingebrochen ist. Da fand ich meine fröhliche
Lebensanschauung, die ich heute mitnehme, der ich treu bin.
Ich wünsche mir nur noch, daß Ihr denkt, daß ich allzeit ver-
sucht habe, meine Pflicht zu tun, wie ich daheim lernte. Denn
ein versuch ist ja alles hier auf Erden, ein versuch zur voll-
kommenheit. Wenn einer meiner liebsten Freunde, die ich fand,
nach mir fragt, setzt Luch mir ihm still zusammen und tut, als
sei ich bei Euch. Seid ihnen allen Freund, allen Meinen.
Deutschland muß leben, darum mußte ich sterben.
*
Johann Egberts,
geb. 16.Dezember 1883 zu Hamburg,
gef. 26. Oktober 1917bei Gheluvelt.
15. Oktober I?I7.
Heute morgen hatten wir zum ersten Male ein Winterbild; auf
der ganzen weiten Flur lag dicker Reif. So muß man sich ja
schon frühzeitig auf den Winter einrichten und das dicke Unter-
zeug aus dem Tornister hervorholen. Und Du wirst wohl Deine
ganze Sorge darauf einstellen, das Wenige, was das Land noch
an Rraut oder Gemüse trägt, so zu schützen, daß es dem Magen
nicht verloren geht.
In der Erdhöhle auf Feldwache ist es verdammt fußkalt, und
man sehnt sich stets auf die Dämmerstunde, wenn der Ofen in
Funktion treten kann. Dann ist es so riesig mollig und behaglich
in der Hütte, und man streckt sich mit einer Wollust auf der
Lehmbank aus, als läge man zu Hause auf dem Sofa. Immer-
hin besser, als im Flandrischen in den Granatlöchern liegen, ohne
fast jegliche Bewegungsmöglichkeit. Nun, wenn Du diese Zeilen
Z52
in Händen hast, kannst Du annehmen, daß wir nicht mehr weit
davon entfernt sind. Hoffentlich kommt man heil aus dem
Wurstkessel heraus.
Die Reichsragssiyungen waren ja diesmal äußerst kritisch. Es
ist ein Jammer und großer Verlust für uns, daß uns immer
noch die alles überragende Persönlichkeit fehlt, die den "Wider-
streit der Parteien und verschiedenen Richtungen auf ein ein-
ziges Ziel zu bannen versteht, damit das traurige Bild innerer
Zerfahrenheit verschwindet und eine Einheitsfront im Landes-
innern entsteht als würdiges Gegenstück für die Front nach
außen. Die Regierung könnte ja den Parteien nachgeben; mich
wundert's eigentlich, daß sie's noch nicht getan und gesagt hat
— hier habt ihr die Rutsche, seht zu, ob ihr sie weiterzieht. Aber
glaubst Du vielleicht, daß wir dadurch mit einemmal aus Lein-
den zu Freunden unserer Gegner geworden wären, die uns dann
kosend um den Hals fielen? Vitt,mien Jung! Sie würden uns
während der Umarmung langsam erdrosseln. Und ob die Front
bei einer Demokratisierung des Parlaments fester stehen würde
wie zuvor, bezweifle ich auch. Du siehst ja an Rußland, wie
solche Sachen auslaufen. So sehr ich den Rrieg verdamme und
so sehnlichst ich den Frieden herbeiwünsche, so sehr muß man
auch Disziplin reden, bis «das Ganze halt» geblasen wird.
Für Deine Zeilen vom 9.ds. Mts. besten Dank. IVie ist es mit
der Uhr geworden, hast Du eine bekommen? Meine hat heute
mal wieder ihre Mucken, will absolut nicht weitergehen, viel-
leicht ahnt sie schon Unheil. . .
*
Eugen Carle,
geb. 25. November 1895 in Herrenberg/IVürttbg.,
gef. 27. Mai I9ISam Chemin des Dames.
Im Lazarett, Villach, Sonntag, den 7. Oktober 1917.
Ieyt muß ich's bald so machen, wie Goethe auf einer Studien-
reise in Paris, als er als junger Student die U?erke5er Biblis-
cheken durcharbeitete und abschrieb. Er schob nämlich abwech-
selnd die Hand in die Tasche, mit der er nicht schrieb, so rechts oder
links, bis die eine Hand wieder steif war. — Es friert mich sonst
23 D. d. 8.
353
gar nicht, nur die Hände sind mir so furchtbar kalt. Es hat näm-
lich heute nacht wieder geregnet, und die Berge werden immer
weißer.
Heute nacht hat's mir wieder viel von daheim geträumt, und
das klingt nun den ganzen Tag durch meine Seele, denn wenn
ich an daheim denke, ist's mir immer so sonntäglich zumute.
Dieses «Daheim», da sehe ich mich bei so vielem, was sich mir so
eingeprägt hat. vor allem eines. Das kann ich mir am lebhaf-
testen vorstellen. Üte ist schon lange her, ich glaube, es war im
ersten Jahr, das wir inSchöntal waren, 1912 in den Sommer-
ferien. Es war ein wunderschöner Sonntagmorgen, und die
Sonnenstrahlen kamen so voll und warm durch die Fenster im
Gang herein. Draußen dies herrliche Grün unserer Rastanien-
bäume und dahinter der Rreuzberg und darüber dieser warme
frohe Sommersonnenschein. Und nun das Schönste. Wir waren
aufgestanden, d. h. ich und Emma, der Rassee dampfte auf dem
weißgedeckten Tisch, da gab's die üblichen Sonntagsbrezeln und
gute Butter, und über allem lag so mollig warm die Sonne,
daß wir zwei im Hemd zum Frühstück kamen, und so froh war
unser junger Lebensmut, daß wir uns durch den ganzen Gang
herumtollten, uns an den Ringen streckten und dehnten und die
warmen Sonnenkringel am Frühstücksrisch über die baumeln-
den nackten Beine huschen ließen und unbekümmert in die
knusprigen Brezeln hineinbissen. — So war's vor 5 Jahren!
— Dann sind's Erlebnisse von später, lauter frohe und schöne
habe ich in meinen Erinnerungen an Schönral. Einmal als ich
mit J£. R., sie mit ihrer Laute und ich mit meiner Zupf droben
im Sonnenland saßen, hinter dem Studentenwäldle. Oder drun-
ten bei Frau Speisemeister in der Sofaecke und Gustel war da
oder die anderen alle. — Oder ich sehe die Rirche und die alten
moosigen Rlostermauern, und alle die drinnen wohnen bei
Sonnenschein und Regen in Freud und oder höre die
Glocken von den Türmen. — Heimatglocken! <D,wie haben sie
geklungen an jenem Abend im August I9l£. Für Euch wer-
den sie einen traurigen Rlang gehabt haben, wie bittre To-
renklage. Aber für mein junges Blut war's ein Jauchzen, so
hoch und heilig, daß ich unermüdlich das Seil umspannte
und ganz allein die größere Glocke auftüttelte zu dumpfen
grollenden Tönen. Schicksalsschwer und dumpf und gemessen,
35*
neben dem hinrauschenden Rlang der hellen Akkorde. So
wurde mein Leben. Schicksalsschwer dumpf gemessen neben
den rauschenden hellen Lebensakkorden. Wie bewahrt oft eine
Rinderseele ein Stückchen unscheinbaren bunten Glases, weil
es ihm die Welt in so ganz anderen Farben zeigt, wie achtlos
gehen da die Menschen vorbei. Wie freut sich doch unsere
Seele, wenn sie die Welt in einem anderen Licht wieder ein-
mal anschauen darf um dabei geschwind das Nackte, Scharfe,
Rantige der Wirklichkeit mir den sonnigen weichen Bildern der
Erinnerung zu verrauschen.
*
FranzLeske,
geb. 29. Oktober I896 in lLharlottenburg,
gef. 31.Mai I9I8 vor Dormans an der Marne.
Im Felde, den 15. Oktober 1917.
Nun kann ich Ihnen doch die Runde übermitteln, daß ich aus
dem Morast erlöst bin, denn ich liege wieder in Reserve. Meine
Unterbringung ist allerdings nicht schußsicher, aber troydem
mit einem warmen Ofen und allerhand schönen Rulturerrun-
genschaften wie Bettersatz, Waschen, iLssen vom Tisch, Lampe,
trockenen Rleidern. Auch der Läuse bin ich schon einigermaßen
wieder Herr geworden. V7a, und dann geht es ja voraussichtlich
Ende der Woche ganz nach hinten wieder in Ruhe für eine
Woche.
Zum Glück ist mein Bursche eine wahre perle. Sehr gewandt
und anstellig hat er immer gleich heraus, wie ich es haben will.
Wundern Sie sich nicht, wenn ich zeitweise etwas prosaisch
schreibe; aber Gott sei es geklagt, sind solche Dinge meine klei-
nen Lebensfreuden. Ich habe jetzt etwas sehr Schönes, näm-
lich jeden Morgen und Abend lasse ich mir warmen, süßen Tee
machen. Das ist fein, wenn man zwei Monate nur schwärzliches
Wasser mit der Bezeichnung Rassee getrunken hat. Und Schnaps
habe ich schon lange nicht mehr gehabt, obwohl er vorn in der
Nässe Arznei gewesen wäre.
An Frieden glaube ich nicht vor Herbst I9I8. Und es darf wohl
auch nicht eher sein, um unseres Blutes willen, das geflossen
zz«
355
ist. Man darf nicht verzagen, sondern muß immer als erster
den Ropf hoch halten und immer und immer wieder gut zu-
reden. Glauben Sie, daß ich meine Soldaten liebe, diese präch-
tigen Leute, die tagaus, tagein ihre Arbeit leisten, unter der
ich zusammenbrechen würde, und wenn ich nur einen Bruch-
teil davon schaffen müßte. Auf Händen tragen müßte man
diese Menschen, und es ist eine Schande, wie blutwenig daran
in der Heimat gedacht wird. Man kann ja halb tobsüchtig wer-
den, wenn man die Zeitungsberichte über den elenden Reichs-
tag lieft. Gott strafe diese Jammerbehörde. Gibt es denn in
Deutschland keinen einzigen Mann, der mit der Laust auf den
Tisch schlagen und diesen Hohlköpfen die Wahrheit sagen und
ihnen klarmachen kann, was die Stunde geschlagen hat? Re-
densarten jagen einander, und alles bleibt ein "Wortschwall.
Tirpiy muß an die Stange halten — aber leider handelt er als
Soldat und nicht als Diplomat. — Gewiß muß all Ding seine
Zeit haben, aber allmählich kann man an der Menschheit ver-
zweifeln. Gäbe es nicht höhere Ideale, könnte man aufhören,
darauf stolz zu sein, daß man ein Mensch und das höchste irdische
"Wesen ist. "wenn aber eine andere Zeit gekommen ist, dann wer-
den wir leben wie in einem neuen Land. Glückselig die Leute,
die als Pioniere die neuen Straßen der Menschheit bauen dür-
fen. Hoffentlich fehlt es unserem Vaterland dann nicht an klu-
gen Röpsen. Wie sie führen, wird das neue Volk gehen.
Im Felde, den I7./I8. Oktober I?J7.
Nun hat der große Rampf begonnen, auf den sich unsere Ner-
ven seit lochen spannten. Seit heute morgen um Uhr
trommelten die Franzosen bis abends um 7Uhr mit dreistün-
diger Unterbrechung — und haben nicht angegriffen. Ein
Zeichen, daß es morgen wahrscheinlich weitergehen wird. Gott
weiß, was kommen mag. Eine ganze Rompanie ist fast rest-
los in einer Höhle verschüttet — es war die zweite, aus der ich
wie durch Schicksalsfügung versetzt war. — Htm müssen wir
abwarten, was kommt. Ob sie angreifen oder nicht, ob morgen
oder erst später, nachdem sie uns noch mehr zertrommelt haben,
abwarten und den Ropf hoch halten, vielleicht auch ohne Essen
und Trinken und ohne — Post und Gruß von Ihnen. Ich
habe aber die bestimmte Hoffnung, gut durchzukommen, was
Z5<5
bis jetzt nicht immer der Lall war. "warum soll man nicht auch
über solche Dinge sprechen: ich wäre ja noch viel zu unreif zum
Sterben und muß ja noch soviel leisten, ehe ich etwas bin. So
kann ich noch nicht gehen. — Ja, ich bin sogar lange sehr guter
Laune gewesen — und wußte und weiß nicht warum. Ich
fühlte mich innerlich so geklärt, so mehr als Zuschauer über
diesem Menschenwahnsinn stehend, über den man ja lachen
könnte, wenn es nicht so blutig ernst wäre. — Bitte nicht sor-
gen, es wird schon gehen.
Im Felde, den 28. Oktober IpI7.
Sie glauben nicht, wie unendlich wohl ich mich hier bei den
Elisabethern fühle. Im Andenken an meinen Bruder, der mir
fast fremd in seiner unantastbaren Reinheit und Charakter-
feftigkeir war, tragen sie mich auf Händen. Und vor allem diese
Soldaten. Ms ist eine erquickende Herzensfreude, mit solch aus-
gesuchten, geraden, echt deutschen kernigen -Leuten umzugehen.
Ein vorzüglicher Geist herrscht auch nach den schweren Tagen
in dieser Truppe, so daß mir mir meiner schwachen Ronsti-
tution beinahe komisch wird. Sie merken es natürlich nicht,
aber ich richte mich an meinen Leuten auf und sie sich wieder an
mir.—
*
Willy Rosemann,
geb. 12. Januar l884 in Breslau,
gef. 24. November 1917auf U 48 im Ranal.
Ohne Datum.
Mit dem Rommando «Leinen los» begann unsere erste Lern-
fahrt. Unter Eskorte von Z Torpedobooten und 2 Fischdamp-
fern ging es an der holländischen Rüste entlang bis Terschel-
ling Bank-Feuerschiff. Dann verließen uns unsere Begleiter,
und wir steuerten mit Vlordkurs unserem "Wirkungsbereich ent-
gegen.
Am 8. abends sahen wir unsere ersehnte Insel «Fair Island».
Nördlich von ihr wollten wir in den atlantischen Ozean ein-
Z57
treten. Die Nacht war dunkel, die See ruhig. Vor der Durch-
fahrt hatte ein feindlicher Zerstörer die Wache. Da wir unge-
sehen von ihm hindurchkommen mußten, fuhren wir unter
Wasser an dem Zerstörer vorbei und tauchten in der nötigen
Entfernung wieder auf. So kamen wir über Wasser, ohne
weitere Zwischenfälle, durch die Passage hindurch. Rechts die
Shetland-Inseln, links das Felseneiland. Wir freuten uns
über den Erfolg, glücklich der Bewachung der Straße entgan-
gen zu sein.
Die weitere Fahrt führte uns, längs der Hebriden, in einem Ab-
stand von 150 Sm. von Land, also weit in See, mit südlichem
Rurs. — So ging es bis zum 1Mai, als vormittags Uhr,
bei Annäherung bis auf 50 Sm. an die irische Rüste, der Ruf
erschallte «Dampfer in Sicht». Befehl «auf Tauchstarion».
Dann «Alarm» und auf 12 m gegangen, langsam herange-
pirscht. Bei dem Dampfer befindet sich ein Zerstörer zur Siche-
rung. Leider ist er hinter dem Dampfer, also für uns etwas ge-
fährlich. Ein stattlicher Tankdampfer, schwer beladen, mir Rurs
nach England. Endlich ist der entscheidende Moment gekom-
men. Die Rohre klar zum Schuß. Der Zerstörer tut uns den
Gefallen und seyt sich vor den Dampfer. «Erstes Rohr, Fertig».
— «Erstes Rohr, Achtung» — «Erstes Rohr, los». 5—10—15
Sekunden ... zwei heftige Detonationen besagen uns, daß der
Torpedo sein Ziel nicht verfehlte. Hart Steuerbord das Ruder,
«auf451» gehen». Der Zerstörer hatte uns entdeckt. Eine dritte
Detonation! Die galt uns! Eine Wasserbombe. Doch dort, wo
er sie hinwarf, waren wir vorhin ... durch seine Schrauben-
geräusche konnten wir die Richtung feststellen, wo er sich de-
fand. Er fuhr wie verrückt, um uns noch mit einem «Bömb-
chen» zu beglücken. Doch er hatte kein Schwein damit. Eine
mächtige Rauchwolke zeigte uns den Ort unseres ersten Erfol-
ges. — In Z Booten die überlebenden und in ihrer Nähe der
Zerstörer zu ihrer Bergung. An diesem Tage sahen wir keinen
Dampfer mehr. Die Schiffahrt um England scheint lahm zu
liegen. Versuchen wir es weiter südlicher.
Am l?., 18.,I$>. Mai nichts in Sicht. «Entfernen wir uns von
diesem ungastlichen Gestade», sagt der Rommandant. Wir de-
absichtigen, auf unseren ersten Play zurückzukehren. Der Mensch
denkt — der Florrillenchef lenkt! Befehl durch F.T. «Vor Lastnet
358
reger Dampferverkehr». Ei, du Deisel. Ganz dicht unter Land.
Sonnrag den 20.Marschfahrt nach der irischen Südküste, die
Berge, der Leuchtturm, die Signalstarion, einige Häuser sind
gut zu erkennen, prächtiger Anblick. Und Dampfer, richtig-
gehende Dampfer, leider sehr klein. Mehr als einen Schuß wer-
den wir wohl in diesem Wespennest nicht los werden . . .
21.Mu I Uhr. «Zwei Segler in Sicht». Beide haben alle Segel
geseyt, herrliche Schiffe. Der eine ist die englische Viermast-Bark
«Lynton», eines der größten Segelschiffe der Welt, der andere
die Dreimast-Bark «Madura» aus Norwegen. Beide mit Artil-
lerie beschossen. Die Leute verlassen die Schiffe. Treffer in den
Schiffskörper «Lynton». Er sackt langsam. Weizen ist auf dem
Wasser zu sehen. Er hatte mindestens Tonnen davon an
Bord. Er legt sich auf die Seite und verschwindet. Wir müssen
uns beeilen, Madura wartet. «Los»! Ein Rrach — turmhohe
Wassersäule, und er verschwindet. Zerstörer, Zerstörer, «Alarm!»
Er kommt mit äußerster Rraft auf uns zu. 3000 m in 2 Minu-
ten. Die Mannschaften auf Deck müssen erst einer hinter dem
andern durchs Turmluk. Sie fallen mehr herunter als gehen.
Das Boot sackt. Der letzte Mann kommt gerade noch durchs
Luk. Gott sei gedankt, das Boot schneidet schnell unter, auf
Zorn. Wir sind in Sicherheit, können uns aber doch nicht ver-
kneifen nachzusehen, wo der Rerl steckt. Er nimmt die Uber-
lebenden auf. vor Lastner wird sicher alles in Aufregung sein,
deshalb halten wir es für ratsam, nicht mehr dorthin zu gehen.
Dienstag, den 22.Mai. — Sehr dickes Wetter. 4 Uhr werde ich
von dem Oberleutnant der neuen Wache abgelöst und befinde
mich in der Zentrale. «Alarm!» Grell schreien die Alarmglocken
durchs Boot. Zerstörer, keine 1000 m ab! Mannschaften reißen
die Tanks auf. Sie wissen, es kam kein Befehl «auf Tauch-
station», also handelt es sich um Sekunden. Ich stürze in den
Rommandoturm zum Rommandanten. Wir müssen in Rich-
tung der See runtergehen. In dieser Stellung zur See taucht
unser Boot schlecht, aber uns bleibt kein anderer Ausweg. Das
Boot ist rauchklar, schneidet aber nicht unter. Alle Blicke sind
aufs Manometer gerichtet. Noch bewegt sich der Zeiger nicht—
noch immer nicht. 2Minuten sind schon vergangen ... Jeden
Augenblick kann der Turm zertrümmert werden! Z Minuten —
er kommt! 7 — 8— 10 — 20 — 30 — «auf 5o m gehen». Wir
359
sind gerettet, alles atmet auf! Troydem jeder sich der großen
Gefahr bewußt war, haben alle ruhig und sicher gearbeitet.
Meldung «Reine Schraubengeräusche». «Auftauchen», Rurs
¥7ort>. Hurra, jetzt geht's zur Heimat!
28. Mai 1917abends.
Die Ems ist erreicht. Z Hurras erschallen dem heimkehrenden
15 £8 von der Besatzung des Führerbootes. Hurra, erscholl es
von uns zurück! Die Sonne ging unter, im "Westen über Eng-
land.
"Werner Nowak,
geb. 6.Dezember 1898 in Rattowitz,
gest. 23. April 1918 nach Verwundung im Feldlazarett Douai.
Refrontolo, November 1917.
Wir freuen uns immer, wenn die in der Heimat in ihren Brie-
fen an uns denken. Oft aber verfehlen solche Briefe ihren Zweck
vollständig. Sehen Sie, ich will Ihnen mal eine kleine Ge-
schichte erzählen, wie sie täglich vorkommt, und wie ich sie am
Tagliamento selbst erlebt habe. Unsere Rompanie liegt in einem
Hohlweg dicht hinter der vordersten -Linie in Reserve und war-
tet jeden Augenblick auf den Befehl zum Sturm. Schwerstes
Artilleriefeuer liegt auf den -Linien. Die Nerven sind bis zum
äußersten gespannt. Tagelang ist man vorher marschiert, vom
Regen völlig durchnäßt, die Nächte durchwacht. So hockt man
eng aneinandergeschmiegt im iLehm, Offizier wie Mann. Plötz-
lich kommt's, was man jede Minute erwartet. Eine Granate
schlägt mitten in die Rompanie rein. Steine und Splitter flie-
gen einem um den Ropf, die Verwundeten stöhnen, die Ster-
benden röcheln. Man betastet sich, ob's einen nicht auch erwischt
hat: der Rock mit Blut besudelt. Ist's eigenes oder das der Ra-
meraden? "was kümmert's mich, eben kommt der Befehl zum
Sturm. Man kann den Rameraden nicht verbinden. Man läuft
gegen den Feind, schießt, haut und sticht um sich--die Stel-
lung ist genommen — Sieg — aber schwer erkämpft.--Da
kommt einer von hinten angekeucht mir einem Sack auf dem
Zöo
Rücken. Post! Briefe aus der Heimat. Schnell wird verteilt,
ehe es weiter geht. — Ach, auch was für mich! Hastig werden
die Zeilen verschlungen, und was liest man? — Gestern war ich
bei meiner Freundin zur Geburtstagsfeier, es war sehr nett, es
gab Rüchen und Schlagsahne, usw. — Nicht wahr, Sie können
sich vorstellen, was das für Gedanken wachruft?
*
Johann iLilers,
geb. 12.Mai 1886 in Schaar bei Wilhelmshaven.
29. November 1917.
Ich hoffe, daß Du meinen letzten Brief erhalten. Von dem Ort,
wo er abgeschickt war, zogen wir weiter über zerschossene Ort-
schafren bis zur Brücke der Piave, welche natürlich gesprengt
war. Dreimal haben die Pioniere sie hergestellt, und dreimal ist
sie wieder zerschossen. Dann wurde das Vergebliche des Bemü-
hens eingesehen und weiter ins Gebirge hinein eine Notbrücke
geschlagen. Die zerschossene Brücke liegt am Ausgang des Eng-
passes, steil ragen die Höhen an jeder Seite des Flusses auf.
Nachts mußten wir diesen Paß passieren. großen Abstän-
den zogen wir mit unserm Tragtiertroß diese gefährliche Straße,
die direkt in die Felsen gesprengt ist, an der einen Seite die Fel-
senmauer hat und an der andern steil abstürzt, unten der rau-
schende Strom. Es war unheimlich, wie wir so Mann für
Mann dahin zogen, der Pfad vom Monde beschienen. Auf den
gegenüber liegenden Höhen lagen die Italiener, hoch über uns
pfiffen die Rugeln, Maschinengewehre knatterten, Granaten
sausten, Leuchtkugeln und Leuchtraketen stiegen auf, dazu das
hundertfache Echo von den Felsen. Endlich erweiterte sich aber
das enge Tal, und schöne Dörfer zeigten sich, die alle menschen-
leer waren. Immer weiter zogen wir bis auf die Notbrücke, wo
Biwak aufgeschlagen wurde, von dorr machten wir unsere Pa-
trouillen. — Durch verschiedene Orte ging es, wo kein Stein
mehr auf dem andern lag, und dann kam der Aufstieg. Steil
hinauf über Stock und Stein, ein leichter Regen kam unaus-
gesetzt von oben und machte den tveg glatt wie Eis. Als wir
oben waren, lief uns der Schweiß stromweise vom Rörper,
Zöl
verwundete lagen in langen Reihen an der geschützten Fels-
wand unter freiem Himmel und zitterten vor Rälte. TDir luden
den ersten auf und zogen wieder bergab. Was das für eine Ar-
beit ist, kann nur der begreifen, der es mitgemacht hat. Die
armen verwundeten! Was die aushalten müssen auf dem
Transport!
Heute ist es auffällig ruhig, in den nächsten Tagen wird wohl
wieder ein Sturmangriff gemacht werden. Ich habe Post er-
halten, darunter ein Paket von Dir, habe mich zu dem Tabak
riesig gefreut. — Jetzt ist bald wieder Weihnachten, der vierte
im Felde.
*
Gustav Breithaupr,
geb. 16.August 1877 in Goslar.
Ohne Datum.
. . . Wir waren also an die Isonzofront versetzt.... Es folg-
ten zwei Wochen heißer Arbeit für Stäbe und Truppen. Erst
herrschte noch das prachtvollste Sommerwetter, aber nach we-
nigen Tagen kam ein Wetterumschlag. Der Herbst hatte be-
gönnen, und die hohen Berge erstrahlten im Glänze des Neu-
schnees. Es war ein schöner Fleck Erde. Die Dörfer im Grün
der Obstgärten versteckt, dahinter die mit Edelkastanien, Eichen,
Buchen in buntem Herbstlaub prangenden Hänge und als Hin-
tergrund die herrlichen Alpen. Die (Quartiere waren nicht sehr
angenehm. Die Einwohner konnten oder wollten kein Deutsch
verstehen, aber wir freuten uns trotzdem der wundervollen
Landschaft....
Als Marschziel für meine Abteilung war St. -Lucia befohlen.
Von hier aus ritt ich mit meinem Stabe vor bis zum Fuß der
Höhe 588 bei St. Lucia. Hier sollte die Abteilung in offene
Feuerstellung gehen. Das Dorf St. Lucia liegt zwischen den
beiden schluchrartig sehr tief eingeschnittenen Flußbetten der
Iudrio und des Isonzo. Auf hoch darüber gespannten Brücken
überschritten wir beide Flüsse, namentlich der Blick auf den
wildschäumenden Jsonzo war wundervoll. Der Ort St. Lucia
muß einstmals stattlich gewesen sein, jetzt bewunderte man nur
noch seine schöne Lage, alles andere lag in Trümmern. Der
362
furchtbare Regen der letzten Tage war endlich gutem Wetter
gewichen, und am 22. Oktober lagen die gewaltigen Alpen-
gipfel in herrlichstem Sonnenschein vor uns.
Der Angriff konnte beginnen. *£r war für den 24. Oktober ly 17
befohlen. Großer Rampftag. Meine Abteilung mir der öfter-
reichischen Batterie 201, die auch unter meinem Rommando
sieht, hat in offener Leuerstellung die Geschüye nur durch
Zweige verdeckt, die in Ravernen eingebauten italienischen
Batterien und Maschinengewehre auf l loo m eingerichtet. Um
zwei Uhr vormittags begann das Gassprühen — Blaukreuz —
der gesamten Artillerie bis vier Uhr vormittags. Dann 6.30
vorm. Beginn des Arrilleriekampfes. Schlagartig 8 Uhr vorm.
treten die herrlichen Jägerregimenter zum Sturm an, das Ar-
tilleriefeuer wird nach rückwärts verlegt. Das Wetter hatte sich
über V?acht geändert. Bei Tagesanbruch lag Flebel im Tal,
und Wolken verhüllten die Berggipfel bis herunter auf 600 m.
Dieser Umstand war für mich sehr günstig, sonst wäre es meiner
Batterie bei der Nähe der feindlichen Batterien, die vollkom-
men eingedeckt standen, sehr schlecht ergangen. Bis nachmittags
4 Uhr dauerte der Arrilleriekampf. Das feindliche Artillerie-
feuer war zum Schweigen gebracht. Unsere Jäger gewannen
unaufhörlich Gelände. Ich erbat den Befehl zum Stellungs-
Wechsel vorwärts. Aber ich mußte noch bis zum nächsten Tage
in der Stellung bleiben, bis die glänzenden Erfolge unserer
Jäger ganz gesichert waren.
Am 25. Oktober kam Befehl zum Stellungswechsel und vor-
marsch aufTividale. — Herrlichster Sonnenschein begünstigte
den Marsch und zeigte im Süden das ersehnte Ziel, die italienische
Tiefebene. Die in allen Tälern aufflammenden Magazine kün-
deten die Flucht des Feindes. Jeder war sich bewußt, daß nur
durch rücksichtsloses Verfolgen der Durchbruch zum entscheiden-
den Siege ausgestaltet werden konnte. — Cividale war sehr
zerstört, von den Einwohnern verlassen. In Eilmärschen ging
es weiter nach Udine. In der von den Einwohnern fast völlig
verlassenen Stadt entstand bald wieder reges Unsere
ungeheure Beute ließ sich nun erst übersehen. Sie überschritt
die kühnsten Erwartungen.
Die Sonne schien wieder vom blauen Himmel Italiens. Die
Stimmung der Truppe war einzigartig, begeistert. — Neun
363
Uhr abends erreichten wir den Tagliamento. Die Vorhut über-
zeugte sich leider bald, daß der Fluß ohne Hilfsmittel nicht pas-
sierbar war. "wie alle Flüsse venetiens hat der Tagliamento
ein unverhältnismäßig breites Bett. Fast einen Rilometer an
dieser Stelle. Er ist im allgemeinen flach und einen großen Teil
des Jahres über leer oder nur von einer dünnen ^Wasserader
durchzogen. Jetzt aber war der Fluß infolge der letzten Gewit-
terregen stark angeschwollen, ein Teil des Flußbettes bildete
einen reißenden Strom von etwa m Breite und mehreren
Metern Tiefe, außerdem floß dieser Strom auf der feindlichen
Seite des Bettes. iLin Hinüberkommen ohne Boote oder Brük-
ken war vollständig ausgeschlossen. Rähne oder Ähnliches war
nicht vorhanden, zudem war das "westufer vom Feind besetzt.
Mrwa $ km oberhalb Odorico befand sich eine feste Holzbrücke.
Bonzicco war besetzt. Daher erging an die Jägerbataillone ö
und 5 Befehl, das Dorf anzugreifen und über die Brücke vor-
zustoßen. Meine Abteilung sollte den Angriff mit Artillerie-
fever unterstützen. Nach kurzem Feuergefecht mit voraufgegan-
gener Artillerievorbereitung wurde Bonzicco genommen. Die
Brücke konnten wir nicht überschreiten, da die letzten 50 m am
^Westrands gesprengt waren. £m Ubergang an dieser Stelle
war ohne Brückenmaterial zunächst ebenfalls unmöglich. Auf
jeden Fall mußte der Fluß überschritten werden. So wurde der
Übergang dicht westlich Codroipo vom Iägerbataillon l l ver-
sucht. Durch den hervorragenden Angriffsgeist dieser Jäger ge-
lang der Ubergang. Mit meiner Abteilung ging ich bei Codroipo
in Stellung. Die Rückmarschstraße Campoformio—Codroipo
sah furchtbar aus. Alles hatten die Italiener liegen lassen. Ge-
schütze bis zu den schwersten Ralibern, IVagen und tote Pferde.
Es war kaum zum Durchkommen. Ich kam mit meinem Stabe
nach Codroipo in's (Quartier. Die Batterien biwakierten. Unsere
Nachtruhe aber wurde durch schwere Fliegerangriffe gestört.
Am nächsten Tage marschierte unsere Division nach Norden.
A)ir kamen einige Tage in Gegend Marazzo in Ruhe. Nach
Schluß des Feldgottesdienstes am 5. November hielt der Divi-
sionskommandeur eine Ansprache, in der er meiner Abteilung
für die Unterstützung dankte.
*
Zö5
Ungenannt.
St. Nikolaustag
Blinkerstation der Art.-Beobachtung
Monte Tomba.
vier Tage sind es heute, daß wir hier oben auf dem luftigen
Monte Tomba in engem Unterstand und Wache beim Blink-
apparat uns aufhalten, "wie muß ich stets an lLuch in der lieben
Heimat denken, und heute am Nikolaustag doch besonders;
denn war es nicht dieser Tag immer, wo wir in Rindheirs-
jähren schon früh des Morgens aus den Betten stiegen und be-
hursam vor die Tür schlüpften, ob nicht der heilige Niklas die
ausgestellten Pantoffeln mir Pfefferkuchen und wohlschmecken-
dem Backwerk und Nüssen versorgt hatte?
Es ist der ehemalige italienische Graben, worin sich unser Un-
»erstand befindet; er muß sehr schnell vom Feinde verlassen wor-
den sein, noch liegen Tote unbestattet darin, und den engen
Graben machen die Haufen von zurückgelassenem Material oft
schwer passierbar. Außer den verschiedenen Artilleriebeobach-
tungen, worunter auch die unsrige, hält ein Jäger-Regiment
diesen Grabenabschnitt besetzt — wohlverstanden; es ist der 2.,
der Reservegraben; die eigentliche erste Stellung liegt weiter
vorn, zumeist aus Trichtern bestehend und den italienischen
Gräben, die sich am Fuße des jenseitigen Abhangs hinziehen,
gegenüber.
Zwei Rameraden sind es, mit denen ich hier auf dem Monte als
Blinkerposten abkommandiert bin; wir sind der Division unter-
stellt, haben mit unserem Apparat die Verbindung zwischen
Brigade und dem Tomba und verschiedenen anderen deutschen
und österreichischen Batterien und Beobachtungen zu unterhal-
ten, treten natürlich nur da in Tätigkeit, wo entweder wegen
Geländeschwierigkeiten eine telefonische Vermittlung nicht mög-
lich war oder eine solche unterbrochen worden ist. — Unsere
Verpflegung erhalten wir seit gestern von der nächstliegenden
Rompanie, in diesem Lall von der Z. der bayer. Jäger I. Um
8 Uhr treffen wir uns also mit Eßgeschirren bewaffnet bei
jenen Rameraden und kraxeln etwa eine Stunde den steilen
Berg hinab bis zu der Stelle, wo Tragtiere mit Verpflegung
uns entgegengekommen sind. Ralt ist das lassen natürlich in-
Z65
zwischen geworden, aber heute morgen haben wir uns ein klei-
nes Leuer gemacht und die Bohnensuppe und Raffee wieder
aufgewärmt. Heute abend soll es nun endlich auch das er-
sehnte Brot geben.
Wie lange wir hier in kalter Bergeshöh' aushalten sollen, wis-
sen wir noch nicht; ich hoffe aber, daß bald Ablösung kommt
und wir wieder unter die Fittiche unserer Batterien zurück-
kehren können. In wenigen Tagen (am 10.) soll nämlich der
große Angriff von unserer Seite einsetzen, mir dem wir endgül-
tig die Italiener aus den Bergen zu vertreiben hoffen. Welche
Aussichten! In die Ebene zu kommen, die man von hier oben
bereits in gar nicht großer Lerne sich erstrecken sieht. Und dann
geht's womöglich weiter und dem Frieden entgegen.
*
Wilhelm Marx,
geb. 8. Juni 1898 in Mainz.
£Jm Lazarett, 7. November 1917.
Habt Ihr meinen letzten Brief aus Stellung erhalten? Am
selben Tag bin ich noch durch eine französische Granate ver>
wundet, und am Sonntag bin ich schon operiert worden. Meine
Verwundung ist nach der heurigen Ärztekunst nicht so schlimm.
Ich habe ein paar Splitter ins Gesicht und in die Hand bekom-
men, und die beiden Beine bis an die Rnie abgenommen wor-
den. Sie sagen alle, ich hätte aber gut überstanden. In ein paar
Wochen komme ich schon nach Hause und bekomme meine neuen
Beine, dann ist alles wieder gut und kann wieder arbeiten. Es
sind ja so viele verwundet worden und sind trotz ihrer Ersatz-
teile wieder fröhlich.
*
Willy Rappler,
geb. I. Mai 1896 in Dinglingen,
gest. 23.Juni 1930 in New Z?ork.
<£h., den November 1917.
Gleichzeitig danke ich Euch allen für Eure herzliche Teilnahme
an meinem Unfall! Doch ist die Sache ja zum Glück nicht so
Z 6
schlimm, die Hauptsache ist, daß meine Rnochen troy Wunden
soweit noch ganz sind mit Ausnahme des linken Rnies, in wel-
chem im Rniegelenk noch ein Splitter siyt. Doch schieben die
Ärzte die Operation immer weiter hinaus, da ihnen die Sache
kompliziert erscheint. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Rnie
durch die Operation steif bleibt. Also vielleicht bleibt der Split-
ter auch darin. Der linke Arm, der zerschossen und gebrochen ist,
heilt so langsam wieder. Das rechte Auge scheint futsch zu sein,
vielleicht gelingt es später mal einem geschickten Augen-Spezia-
listen den Splitter, der hinter dem .Lid ins Auge drang, heraus-
zuholen. Ob dabei das Augenlicht wieder gewonnen wird, ist
jedoch fraglich. Sonst werde ich voraussichtlich keine weiteren
Folgen haben, abgesehen von einer Anzahl warben und Brand-
flecken im Gesicht. Am 22.sollte ich nach Deutschland kommen,
doch wurde ich an dem Tag nochmals zum zweitenmal operiert
und zwar am rechten Fuß, wo der Arzt gleich Z Splitter auf ein-
mal herausholte. Eisenhaltiges Blut soll ja sehr gesund sein, aber
allzuviel ist ungesund. So liege ich also einstweilen mal da, in
Wsen wie ein Verbrecher, denn linkes Bein und Arm sind in
Eifenschienen, die übrigen Glieder ebenfalls fest verwickelt. Du
mußt daher die Schrift entschuldigen, aber mit einer Hand und
einem Auge geht's nicht besser.
*
Heino Gäfgen,
geb. 8. Dezember I896 in Wiesbaden.
Westen, den 4. November 1917.
... <D, Ihr furchtbaren Leute des Mißtrauens. Gewiß, Ihr
sagt und führt Beispiele an, die da predigen: Seht, wie berech-
tigt ist unser Mißtrauen! Aber weit gefehlt: Ausnahmen sind
dies. Der Mensch hat anständige Menschen genug in seiner Ge-
sellschaft. Ja! Sehr viele! Und die Schufte sind in der Minder-
zahl. Darum ist eine ruheatmende Gesinnung ohne Hasten und
Mißtrauen schön. Frohe Mienen, offene Aussprache sind die
Früchte: die Verbindung von Herzen zu Herzen ist geschaffen.
Ich sehe in Deinem Fabrikbetrieb ähnliche Gesichtspunkte zu
Grunde gelegt. So freue ich mich, nicht allein mit meinen Ge-
Zö7
danken in der Welt zu stehen, mit diesen Gedanken, die so man-
chen Menschen fremd und überflüssig sind, mir aber als Rern-
punkte jedes ersprießlichen Betriebes erscheinen. Gewiß, arbei-
ten ist schön, aber gern arbeiten ist sehr schön. Und von wem
hängt letzteres ab? Der durchschnittliche Mensch sagt sicher:
vom Arbeiter. Ich sage: vom Arbeitgeber.
*
Hans v. Ruckteschell,
geb. 2s-. August 1892 in Hamburg,
gef. 29.April I9IS am Remmel.
21. Oktober l5>l7.
Zu merkwürdig ist diese Zeit, wo man todsicher weiß, daß es um
die "Wurst gehen wird wie noch nie! beider habe ich jetzt erst
einen großen Schub neuer Leute bekommen, sonst kenne ich
jeden ziemlich genau und habe eine unendliche Freude an ihnen.
Ich möchte nirgend wo anders sein als bei diesen -Leuten; mil
ihren Schwächen und Stärken haben sie bis auf wenige Aus-
nahmen soviel Rindliches, daß man sie lieb haben muß. Das
Zusammensein mit der Rompanie ist mir ein fortgesetztes reiches
Mrlebnis, das ich mit nichts vertauschen möchte. Die ständige
hochgespannte Aufgabe der militärischen Erziehung zu ver-
einen mit der Erfüllung ihrer menschlichen Ansprüche — ihrer
Bedürfnisse des Herzens — das bleibt ein unsagbar reizvolles,
unsäglich schweres Problem! Ich habe das Gefühl, als wenn
hier ein gewaltiges reiches Feld der Tätigkeit für den Frieden
liegt. Das Militär, die Dienstzeit muß so ausgestaltet werden,
daß sie unbedingt auf Charakter, Herz und Gemüt wirkt. Die
nicht einseitige militärische Erziehung ist doch sehr geeignet da-
für: der Soldat versteht am ehesten diese höhere Liebe, die ihr
Ziel in der Aufopferungsfähigkeit sieht. Das halte ich aber nur
für möglich, wenn der junge Mensch es erlebt, daß an ihn die
härtesten Forderungen gestellt, sie bei ihm mit den härtesten
Mitteln durchgesetzt werden durch eine Persönlichkeit, die es tut
aus selbstloser -Liebe — einer Liebe, die alles fordern darf. Die
militärische Schulung kann dazu erziehen, weil sie die Mittel
hat, die Selbstzucht und Überwindung im Hinblick aufs Ganze,
ZöS
Disziplin zu üben — doch muß das Persönliche, Freiwillige
hineinkommen — die Erkenntnis und das Erlebnis dessen, wo-
von all dieses nur ein Symbol ist. viel hat darin unser Militär
schon erreicht. — Ungeahntes könnte es erreichen, wenn die
Offiziere ihre Aufgabe tief genug und bewußter erfassen wür-
den. IVenn Schule und Militär diesen Geist, diese Liebe in
ihren Lehrern zu wecken verstehen, wird Ähnliches, vielleicht
mehr von dem erreicht, was das Christentum durch die Rirche
gewollt hat. Ich wollte, ich hätte Zeit, einen Plan zu entwer-
fen für die Organisation einer solchen Volkserziehung. Das
«IVort Gottes» brauchte, dürfte dabei nicht fehlen, würde aber
praktischer und deshalb eindringlicher, volkstümlicher werden.
Jetzt ist's wieder Abend geworden und Nacht. Draußen don-
nern die Ranonen hin und wieder und erinnern mich, daß
die letzte Nacht, wo eine Bettstatt da ist, ausgenutzt sein
will. Ich bin herzlich vergnügt und freue mich der Dinge, die
da kommen.
*
Carl Stascheit, unbekannt.
Bromberg, den November •
Erlaube mir, an Ihnen, mein lieber Herr Pfarrer, ein paar
Zeilen zu richten. Und teile mit, daß ich Carl Stascheit seit dem
15. September eingezogen bin, unzwar bei die Fliegers, was
immer meine größte Freude war.
Ls war mir immer eine Rränkung, wenn ich einen Flieger sah
und ich nicht drin konnte fein. Es ist mir eine freude gewesen,
wie ich konnte so die Lüfte durchkreisen, und über alles so hin-
weg zu fliegen, eine risig große freude, und am Z. Oktober miß-
glückte mir ein Flug und ich Stürzte mit mein Flugzeug runter,
aber der liebe Gott hat doch Hand vorgehalten, so daß mir und
meinen Leutinant wenig passierte, ich hatte mir ein bißchen die
Glieder verengt und mußte ins Lazaret und bin vom 5. bis jetzt
den 29.November im Lazaret und mir ist es jetzt schon wieder
lässtig denn ich möchte am liebsten wieder Fliegen.
*
24 D. d. S.
369
Paul Ahrend, unbekannt,
geb. IS92.
2. September 1917, Uhr früh.
Bis jetzt hat mich der Dienst festgehalten. Meldungen hin —
Meldungen her, Lernsprecher, Zeichnungen, Berechnungen, so
ging es den lieben langen Tag von 4 Uhr früh. Und geschlafen
habe ich die drei letzten Nächte, da wir in Ruhe — d. h. in Re-
gimenrs-Reserve sind — nicht. Denn vor Beschuß durch feind-
liche Artillerie können wir uns nicht bergen. So manchen hat's
schon weggerissen. Daß man uns Infanterie auch in eine Ecke
stecken mußte, da hinter jedem Busch ein Geschütz steht, und an
der scharf die große Heerstraße sich entlang zieht. Unsere Fleute,
die gewiß aus gutem Hol; sind, sind in diesen paar «Erholung?-
tagen» vollständig eingeschüchtert.
IVenn ich vom Tische fort durchs Fenster sah, fielen meine
Blicke auf ein eigenartig reizendes Dorf unten im IViesengrund.
Das heißt, es ist nicht mehr alles so, wie es früher war. Anstelle
der Uhr des Rirchturms eine gähnende Lücke. Eine Granate ist
hier eingeschlagen. Auch die Mehrzahl der übrigen Häuser sind
nur noch Ruinen. Auch heute suchten Granaten ständig das
idyllische Nest ab, Fontänen von Rauch und Geröll emporwer-
fend, Hausecken und IVandteile mit fortreißend. Und trotzdem
lag eine so rührende Schönheit über dem Ganzen, daß ich immer
wieder hinschauen mußte. Meine Gedanken aber waren in wei-
ter Ferne und waren doch so einfach, so ganz unkompliziert. Ich
dachte an Ihr Daheim, auch ein Stück Erde voller Heimatzau-
ber. Ich kenne es ja nicht vom Sehen. Und doch habe ich diesen
herben und wieder so feinen, sinnigen Hauch immer über solchen
Erdenwinkeln gespürt, und eine stille warme Freude nahm mich
gefangen, denn noch ist ja alles ganz dort und noch leben die
Menschen frei und unbedroht auf ihrer Scholle. Das wird Hof-
fentlich — nein, es muß so bleiben, mögen auch vom Toten
Mann und aus den Forts noch so wütend die Geschütze in allen
Ralibern eine Hölle herabspeien. Das ist ja die große Stärke des
deutschen Soldaten: wenn man in unseren eingeebneten Grä-
ben alles Lebende zerstampft, zermalmt, zerhackt wähnt in
wahnsinnigem Trommelfeuer — dann noch, wenn die ent-
scheidende Minute gekommen ist, wie ein Totenheer von den
Z7o
Gräbern aufzustehen und allen Sturmwellen standzuhalten.
Und zu glauben: es war weiter nichts als die Pflicht.
21. Oktober I9I7«
über die Maashöhen zieht der junge Sonntag in herber, be-
freiender Frische. Die weißen Nebel im Tal und die blasse Däm-
merung verhüllen vorläufig noch den Fernblick. Als ich eben
vor dem Stolleneingang ein wenig Jluft schöpfte und die vom
Carbidlicht schmerzenden müden Augen erfrischte, trug man
einen Toten vorbei, vorne auf Feldwache gefallen. Ein ganz
junges Blut war's noch. Gefallen zu einer Stunde, da viele,
viele daheim sich anschickten, den Sonntag zu feiern. Ja man
feiert ihn noch mit Spiel und Tanz, wie ich unlängst selber ge-
sehen habe. Und an dem starken bewegten "Mall, der Ungerechte
neben Gerechten, Rriegswucherer und Wegelagerer neben war-
wen Herzen schützt, fällt unter harten Streichen manch blühen-
der Stamm, in dem gewiß nicht weniger die Lebensfteude gärte
und nach Raum drängte.
Ein Toter wird vorbeigetragen. Das ist ein kurzes Schatten-
bild — sogar ein alltägliches. Aber irgend etwas schreit doch
immer wieder auf, wenn sich Vergleiche herandrängen. Man
muß einen starken Glauben mitbringen, soll nicht Stück für
Stück bei solchen Bildern in einem zusammenbrechen.
Möge Ihnen des Sonntags Gesicht weniger grau und trübe
sich geben. Wir sind im Unwetter widerstandsfähiger und härter
geworden und tragen alles gern für die Wenigen, die mit treuem
Herzen auch in der Ferne um uns sind. Denn diese Wenigen
haben auch an uns so oft das Herz warm und groß werden las-
sen. Und derer gedenken wir stets voller Dankbarkeit.
8. November 1917.
Als ich gestern Ihren Brief vom Z l. Oktober empfing, für den
ich bestens danke, standen wir wieder einmal vor der Abfahrt,
bezw. dem Abmarsch. Viermal haben wir in dieser kurzen Zeit
die (Quartiere gewechselt und sind von Ort zu Ort gezogen in-
nerhalb des Abschnittes Laon. Wir liegen noch immer als Ein-
greiftruppen bereit und sehnen uns voraus in die Tage, da wir
wieder unfern Play an der Front haben werden, denn dieses
Zigeunerleben ist wenig nach unserem Geschmack.
m
Es ist doch sonderbar, wie hartnäckig sich der Menschensinn sogar
an die traurigen Überreste der Rulcur klammert. Wir bewohnen
ein von der Zivilbevölkerung geräumtes, teils zerschossenes
Dorf, auf dem feindliches Feuer liegt. Trotzdem wir mensch-
licher Voraussicht nach in einer Höhle oder einem Waldlager
sicherer wären, hält sich noch alles an den Überresten mensch-
licher Wohnstätten, mag auch durch Fenster und Gebälk der
Wind sein -Lied singen und der Regen uns heimsuchen. Ich
nenne diesen Trieb — «Menschlichkeitssinn»—als ein fröhliches
Zeichen dafür, daß wir zukünftig der majestätischen Mutter Rul-
tur doch nicht ganz verloren sind.
Von unserer jetzigen «Garnison» aus können wir einen mär-
chenhaften Überblick auf die Stadt genießen. Wie ein
Baukasten breitet es sich auf einem Bergkegel aus. Die Hänge
füllt der große Soldatenfriedhof. Und über allem ragen die
Türme der Rathedrale empor. Im Glänze des nebelfreien Mit-
tags spielt sich — durchs Glas gesehen, das Treiben in den
Straßen wie auf einer Filmleinwand ab — und das in einer
Stadt, die von Feinden nicht nur völlig übersehen, sondern
auch — allerdings mit Schonung — täglich beschossen wird.
Auch heute hat der Rrieg noch zuweilen ein buntes Gesicht.
Ja, eine Auffassung muß ich ganz besonders unterschreiben, ich
habe auch oft darüber nachgedacht. Das ist die Meinung über
die Aufnahme der Trauerkunden. Es ist ja möglich, daß meine
Meinung etwas kraß ist, weil wir das Schmerzvolle so vielfach
und unmittelbar erleben. Ich habe mich immer so entschieden
dagegen gewandt, wenn man sagte: dem ist wohl! — Aber die
armen Eltern!--Denn hier wurde ein junges, lebensfreu-
diges Herz zerbrochen und tausendfach betrogen um alles, was
ihm ^eben hieß. So ist das oft genannte fröhliche Sterben mit
dem Siegerlächeln auf jungen -Lippen eine poetische Phrase,
übrigens möchte ich für dieses — wie für vieles andere nicht
einmal ablehnen, daß man den Daheimgebliebenen einen Mär-
chenzauber vorspiegelt. Denn würde man mit hartem unerbitt-
lichem Stift all das 'Naturalistische der Ereignisse zeichnen,
dann müßte die Welt ihr letztes -Lächeln verlieren und auch in
der gesicherten Heimat das starre Gesicht zeigen, das der Rampf-
play trägt.
Heute abend in der Dämmerstunde saßen wir, ein Runstmaler
Z72
aus Röln und ich, am flackernden Raminfeuer. Diesmal ist es
ein richtiger französischer Ramin, echter alrwelscher Hausrat,
der uns in diesem Bauernhaus, von dem zwar die Granaren das
Dach wegfegten, umgibt. Dir unterhielten uns lange von der
zauberhaften Eigenschaft flackernder Scheite, die den Menschen-
sinn sobald ins .Land der Träume entführt. Wir plauderten
von daheim, und plötzlich war uns alten Rriegern so eigen weh
ums Herz, daß wir am liebsten schnurstracks heimgezogen wären
ins deutsche Vaterland. Aus dieser grauen Dämmerstunde wan-
derten meine Gedanken zu Ihnen. Und plötzlich zeigte die Welt
mir wieder ein freundliches -Lächeln. tvir sind in Rampf und
weltenbrand ein heimatloses Zigeunervolk geworden. — In
stillen Stunden schieben in andachtsvolle Stimmung hinein
sich freundliche, trauliche Heimarbilder. Aber sonst haben wir
alles hinter uns gelassen. Und doch müssen wir in heißem Ge-
fühl wieder eine lichte "Welt um uns sehen.
Ein eigenartiges Bild habe ich neulich gesehen. lLs war an
einem Sonntag. In der Rirche fehlen aus naheliegenden Grün-
den die Glocken. Um nun die Schar seiner Gläubigen in das
Gotteshaus zu rufen, eilte der Dorfpater barhäuptig und in
fliegendem Gewände durch die Straßen, auf einer (Querpfeife
eine krause Melodie blasend. Heute abend klang mir durch die
«Träumereien am Ramin» von ungefähr Wolfram von Eschen-
Vachs frohgemute "weise:
Das Laub fällt von den Bäumen,
Die Heimkehr steht bevor ...
Wir aber werden wohl noch einmal einen Herbst und einen
Winter uns hindurch hoffen müssen.
*
Hans Riffel
geb. lp. Februar 1897 in Mannheim.
Westfront, 26. November
Heute bekomme ich einen Briefvon Herbert vom IZ. November
mit «vermißt» zurück. "Was Herbert zugestoßen ist, weiß ich
nicht, auch nicht, wo er eingesetzt war. -Liebste Mutter und lieb-
ster Vater, seid nicht trostlos, verzweifelt nicht, gebt niemals die
373
Hoffnung auf. Seid hart und stark. Für mich wäre Eure Un-
tröstlichkeir das Härteste. — Gerade heute kam ich aus schwerem
Rampfe zurück; gestern wäre auch ich fast vermißt gewesen.
Von allen Seiten harren uns die Franzosen schon umzingelt,
wir schlugen uns durch. Wieviel Schreckliches und wieviel
Großes habe ich gerade gestern erlebt.
Wir hatten einen Rompanieführer, einen Grafen Haller. Er
hatte den rechten Arm, das linke Auge und vom linken Arm
? % Finger schon verloren. Troydem zog er nochmals hinaus
ins Feld für sein Vaterland und zeichnete sich aus. — Gestern
starb er durch Brustschuß. Mein Regimentskommandeur hat
nur noch einen Arm. Ein Ramerad nur noch ein Bein. Und
alle kämpfen sie noch freiwillig für ihre Heimat. Auch gestern
wieder haben sich unsere «Rerls» alle als Helden geschlagen.
Meine sieben, verzagt niemals, gebt nie die Hoffnung auf.
Alles kommt und geht, wie es kommen muß, wie Gott es be-
stimmt.
*
A. Iakobeit, unbekannt.
Rumänien, 26.November 1917.
... Mir geht's noch immer gut, das "werter ist hier noch Herr-
lich, der Feind hat sich augenblicklich auch etwas beruhigt, nur
nach all der langen Zeit der Schrecken und des Elends, das
schon jeden getroffen, wird alles von Tag zu Tag stumpfsinni-
ger. Wie Herr Pfarrer mir schreibt, weiß er schon, daß ich aus
dem verein austrete. Ich bin von jeher kein Freund von irgend-
welchen vereinen gewesen, und jeyt von all dem Jammer, den
man vor Augen gehabt, ist mir am liebsten, wenn ich nichts
sehe noch höre. Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich allein bin,
und wozu denn noch einem Verein angehören, wo man doch
nur ein totes Glied ist. Und sollte es noch einst auf dieser Welt
Frieden geben und mich der liebe Gott am .Heben erhalten, so
will ich weiter nichts als für die Meinen schaffen und den lieben
Gott finde ich auch in meiner kleinen Hütte.
Möge mir Herr Pfarrer wohl oder übel nehmen, ich kann nicht
anders als mit meiner Meinung frei heraus, es wäre ja auch
m
ein Vergehen, etwa schöne Zeilen schreiben und weit anders
denken.
*
Normann Rörber,
geb. II.November I89I in Berlin.
Feuerstellung, l. Dezember 1917.
Recht herzlichen Dank für Ihren Brief vom Oktober und
die freundlichen, wenn auch verspäteten Geburtstageglück-
wünsche! Für das Paket wird Mutter Ihnen schon gedankt
haben, es kam gerade wieder zur rechten Zeit; denn, als ich in
Lichrerfelde war, hat meine gute Mama mir aufgetischt, was
Rüche und 'Heller hergaben und mich dermaßen verwöhnt, daß
ich mich geradezu nudeldick gefuttert habe und für die anderen
gar nichts mehr übrigblieb. Nun siye ich wieder hier in meiner
Batterie im Flandernfchlick und nähre mich von dem angefut-
terten Fett und den schönen Erinnerungen. Es war eine ganz
köstliche Zeit, denn ich habe jeyr erst so eigentlich schätzen gelernt,
was Heimat heißt, und wie schön es überhaupt ist, unter lauter
Landsleuten in schmucken behaglichen Räumen zu hausen und
auf freundlichen, baumbestandenen Straßen wandeln zu kön-
nen, ohne gewärtigen zu brauchen, daß da irgendeine Bombe
oder Granate oder Schrapnell oder sonst so ein Lauseding aus
der -Luft auf einen herunterfällt. Und reizende deutsche Mädels
zu sehen, sich ordentlich waschen zu können, in den sauberen
Eisenbahnen zu fahren — und seinen Geist wieder etwas an-
ölen zu können! Ja, mein Lieber, Sie können sich gar nicht
vorstellen, wie wohl das alles tat, und wie man hernach noch
mal so froh wieder in all den Scheißdreck hinauszog!--
In Berlin hörte ich im Auswärtigen Amt, in der Reichsbank
und im Admiralstab viel Interessantes und mancherlei Erfreu-
liches. Man ist dort, was das Ende desRrieges anbelangt, sehr
optimistisch — troy Amerika, übrigens ebenso hier an der
Front. Und seien Sie versichert, wir erleben hier noch in diesem
Mnter große Dinge. Hochinteressante polirische Audienzen ge-
währte mir Exzellenz Havenstein, in denen ich meinen ganzen
innerpolitischen Jammer ausschüttete und bei Exzellenz Häven-
stein viel Verständnis, aber größeren Optimismus fand, als ich
Z75
ihn in dieser Beziehung aufzubringen vermag. Innerpolitisch
sind wir Deutsche doch die erbärmlichsten 'Wichte, und es war
mir tief bedrückend, die wachsende Macht der Sozialdemokratie
gegenüber der Regierung zu beobachten. Sie hat tatsächlich
diese Macht zweifellos nicht, aber sie hat es verstanden, der Re-
gierung den Glauben zu imputieren, als stände die Masse hinter
ihr. Aber am widerlichsten ist mir doch wieder das Gezeter der
Juden- und Demokratenbande, die so tun, als retteten sie unser
Vaterland mir ihrem lächerlichen Parlamentarismus, während
dies in Wirklichkeit allein Hindenburg besorgt und jenes Pack
ihm seine Arbeit nur ungeheuer erschwert. iL« gibt heute in
ganz Deutschland keinen anständigen Parlamentarier mehr, der
noch an die Mißgeburt der Reichstagsresolution vom 19. Juli
glaubt, aber trotz dieses mehr als mangelhaften Befähigung?-
Nachweises reißt die Gesellschaft nach wie vor die Rlappe auf,
als hätte sie alle politische ^Weisheit gefressen.
... Rreuzsakra, jetzt schießt die Bande plötzlich am späten Abend
hierher, daß der ganze Tisch wackelt und die Splitter an die
Eichenplanke meines Unterstandsfensters klingen. — Und jetzt
hat man weiter vorn gar einen Munitionsstapel in Brand ge-
schössen. Ich kann nicht unterscheiden, ob bei uns oder drüben. —
Ach, mein Lieber, das gibt mir die rechte Melodie zu meiner
IVut. Dreinhauen möchte ich, daß ihnen auch die Splitter um
die Ohren fliegen und ihnen ihr Phrasenstapel in die Luft geht.
Lassen Sie nur erst den asigen Rrieg vorbei sein! Lange kann's
ja nicht mehr dauern.
*
Friedrich Franz Blanck,
geb. II. Dezember 1892 in Hermannshagen/Meckl.-Schwerin,
gef. 27.August I9I8 bei Mory.
Schützengraben, 21.März 1917.
Der Zug saust davon, Ihr bleibt zurück. Da war ich wieder allein
zwischen gleichgültigen Menschen, "wie sollte ich leben, wenn ich
Dich und tLuch alle nicht hätte? Ich wäre ohne Heimat. Jetzt
weiß ich, wohin ich denken kann, da, wo man an mich denkt.
Dir, liebe Mutter, verdanke ich das Leben, aber auch, was mehr
376
ist, die tiefe Erfahrung von Liebe und Treue. Jeder Mensch
bleibr auf immer in seiner Mutter Schuld. Ich weiß es aus
ganzer Seele. Ich wollte, ich verdiente Deine Liebe. Schnell
ging der Urlaubstraum vorüber; aber von seinen Erinnerungen
lebt man noch lange. Es ist hier alles unverändert und ver-
traut, eine zweite Heimat, aber kühl und rauh. Morgen kommen
wir in Reserve.
5. Dezember 1917.
Der 'Wahnsinn nimmt wirklich kein Ende! Die Waffenruhe ist
abgesagt. Das noch blutige Schwert wird von neuem gezückt.
Ob an der ganzen Ostfront, ist hier noch nicht bekannt. Lasten-
der als vorher ist der erneute Rriegszustand. Soll man noch
reden oder lieber ganz schweigen? Noch klagen oder besser wie
ein Tier verstummen? Ich möchte Flügel haben, um einen
besseren Planeten aufzusuchen. Aber wir sind verwoben und
verwirkt mit dieser Erde; was wir sind und was wir haben, ge-
hört ihr, auf uns selbst mit Haut undRnochen hat sie Anspruch.
Sie erläßt ihren Schuldnern nichts, jetzt merken wir's.
Allem ist es ein Trost, daß uns kein Unrecht geschehen kann, weil
wir kein Recht besitzen?
Ein wenig fluchen, ein wenig wüten, ein wenig kratzen und
schnauben oder gar mit den Zähnen fletschen und wie ein Wolf
blecken — man hätte allerlei Luft dabei; wenn nur nicht in der
Ecke das giftige Teufelchen hockte und zu unseren Grimassen
lachte. Vielleicht erleichtert so ein Anfall die gekränkte Seele
doch; sie kommt wieder zu sich, und das eben noch Unerhörte ist
inzwischen Alltag geworden. Wir sind noch immer nicht kaputt;
mit Wurschtigkeit, zuweilen mit Stolz und Eigenwillen dem
Unabänderlichen entgegen. So leben wir.
II.Dezember 1917.
Heute bin ich 25 Jahre. Meine Gedanken kreisen vor allem um
das Ereignis, daß ich das erste Vierteljahrhundert überschreite.
Ich denke an meine Rinderzeit. Mit wie großer Wichtigkeit wur-
den unsere Geburtstage immer begangen. Jeder Erwachsene
fühlte sich verpflichtet, an solchen Tagen uns Rindern allerlei
Angenehmes zu sagen, uns mit Geschenken aufzuheitern, und
uns allen Verdruß, den es in unserer kleinen Welt schon reich-
Z77
lich gab, aus dem Wegs zu räumen. Auch heute, wo der Ge.
burtstag in der Reihe der Wochentage unbeachtet untertaucht,
lebt in mir noch jedes Jahr die strahlende Erinnerung an jene
Rindheitsfeiern auf. Ich freute mich, daß meine kleine Person
so wichtig genommen wurde und im Glanz, im Genuß der Ge-
schenke erlebte ich die Lust des Lebens. So wurde ich über alle
Fragen und Zweifel am Leben hinweg, noch ehe sie sich in mir
regten, zum großen Optimismus geleitet.
Manchem ist dieser Optimismus im Rriege zu einem schweren
Problem geworden. Dürfen wir noch froh unseres Lebens sein?
lLine furchtbare Ernte des Todes, die ganze Schar so früh ins
Grab gesunkener Rameraden schaut mit bleichem, ernstem Ant-
litz auf uns. Sie sind für uns gefallen und unser Leben ist hin-
fort von ihrem Todesschicksal auf immer verschlungen. Unsere
Aufgabe ist es, ihr angefangenes Lebenswerk weiter zu führen,
bis auch wir abgerufen werden.
Aber auf jenen unschuldigen Optimismus des Geburtstags-
kindes haben wir auch heute noch, die wir mitten im blutigen
Ernst des Weltgeschehens stehen, ein volles Anrecht. Richten
wir uns auf zu einem freudigen Dennoch, das unsere Herzen
über die irdische Schwere zum lichten Walhalla emporträgt. In
der Walhalla schauen wir die schließlich? Verklärung des Rrie-
ges, und sie hat auch im christlichen Zeitalter Geist und Rraft
bewahrt. Onsolchem Sinne wünsche ich meinen Geburtstag zu
feiern und um eine Gabe bitte ich, um die schönste, die einem
Soldaren zu Teil werden kann, daß ich meinen Brüdern hier an
der Front ein immer besserer nnd treuerer Ramerad werde.
*
Wilhelm Ja ckson,
geb. 12.Mai I 896in Rheine i. W.,
abgestürzt 16.Februar 1918 bei Gent.
Ghistelles (Flandern), 19. März 1917.
Abends spät nach 6 Uhr ein längerer Flug. Als wir über Vst-
ende waren, versank die Sonne über der See in dickem Dunst,
alles in eine rote, gelbliche Farbe tauchend. Aus dem Osten trieb
der Wind dann leichte Schleier, die sich allmählich und sanft auf
378
die Erde legten; Wolken kamen, weiche, verschwommene Ballen,
geheimnisvoll wuchsen sie immer mehr an, aufihren Schwingen
lag die flacht, dunkler und dunkler im Osten aufwachsend. Und
die Schleier wurden dicker und dicker, das Licht der Sonne ver-
schwand im Meer und im Vlebel. Da versuchte ich, Gott zu sehen
in dieser geheimnisvollen Symphonie des Alls um, über und
unter mir — aber war es wirklich Gott — das mir da ent-
gegentrat? Yltin,der Mensch kann es nicht fassen, und gerade,
wenn er vom Bewußtsein ablassen und tief ins Unbewußte
greifen will, verlassen ihn die Rräfte. Vlur fühlen, ahnen kön-
nen wir, aber nicht verstehen, erfassen, sehen.
Haus Baumens, 2p. Mai
Gestern war Hindenburg beim Geschwader, vor zwei Iahren
sah ich ihn zum erstenmal nach der Heye der Masurischen Win-
terschlacht bei einer Parade; damals ritt ich, die Lanze in der
Hand, an ihm vorbei. Heute standen wir uns Auge in Auge
gegenüber. Er ist alt geworden, silberweiß fast das Haar, grau
und dunkel die Züge des Gesichts, ohne von ihrer alten Energie
und Gespanntheit verloren zu haben. Langsam geht er an uns
vorbei, für Sekunden sieht er mich an, tief atmend sehe ich ihm
frei ins Gesicht. Wie mächtig sein Blick ist, aber auch wie milde,
nicht das Auge Goethes, aber das Bismarcks, wie wir es auf
Lenbachs Bildern sehen.
Mariakerke, den 28. Dezember .
Die Weihnachtstage sind vorüber, ich glaube, ich werde sie nie
vergessen. Schwer waren die vorhergehenden Tage und Wochen.
Am 22. Dezember flogen wir erneut nachts gegen England,
Trauer und Wut im Herzen. Wir erreichten es, indem wir trotz
dichter Wolken entschlossen weiterflogen, als einziges Flugzeug.
An diesem Abend kehrte wieder ein Flugzeug des Geschwaders
nicht zurück. — So nahten die Weihnachtsrage. Der Rreis der
Rameraden war eng und klein geworden, ganze sieben Mann,
so saßen wir soviel ruhiger wie sonst abends um den kleinen
Tisch herum. Aber wir haben es alle gefühlt; die Erlebnisse der
letzten Tage und Wochen hatten uns umso fester zusammenge-
schlössen, das Gefühl, wechselseitig miteinander auf Tod und
Leben verbunden zu sein, war elementar geworden ...
379
Im Dunkel des Lazarettgartens habe ich mir die Tränen aus
dem Auge gewischt. Abends am festlich gedeckten Tisch unterm
Weihnachtsbaum sagte keiner ein 'Wort, unsere Gedanken waren
zu Haus, mehr noch bei den Rameraden im Lazarett. Bei einem
Glase Punsch verbrachten wir den Rest des Abends bei der
Staffel l Z. "wir hatten gehofft, im größeren Rreise festtägliche
Stimmung zu finden, aber auch hier war es sehr still. Gestern
war ich mit den Brüdern von H. im Lazarett, aber keine Hoff-
nung mag mehr aufkommen. Ich habe schwer unter dieser
Sache gelitten. So still und einsam ist es auf meiner Stube ge-
worden, der Frohsinn, die goldene Heiterkeit des Raineraden ist
dahin. So schön hatte ich es mir gedacht, Weihnachten mit ihm
feiern zu können. Jetzt fand ich kaum Zeit, ein einfaches Tannen-
bäumchen aufbauen zu können, es mir wenig Watte und ein
paar Lichtern aufzuputzen und mich spät in der Nacht darunter
zu setzen und zu ttäumen von Heimat und Rameradschaft, von
Liebe, Treue und Tod.
*
Nikolaus pezold,
geb. 18. September I896 in Brackenheim/Württbg.,
gef. 2Z. August 1918 bei Peronne.
Waldlager, den 29. Dezember 1917.
Heute abend bekam ich Deinen Brief. — Als ich das vom «aus-
gebrannten Rrater» las, mußte ich laut lachen; ich fühle mich
wenigstens gar nicht ausgebrannt. Nein, ich glaube, das Gegen-
teil ist der Fall, ich habe noch gar nicht angefangen, zu brennen.
Gottseidank noch nicht! So habe ich alles Feuer für den von
mir erwählten Beruf übrig und, daß es sich da entfesseln wird,
das hoffe, spüre und weiß ich ganz bestimmt.
Ja, dieser Beruf!
Ich höre alle Tanten zetern und, was noch mehr ist und mir
von Herzen schmerzlich, ich weiß, daß ich dadurch meinen Altern
ernsthaften Rummer bereite. Aber gerade meinen Altern kann
ich'» nicht hoch genug anrechnen, daß sie meine Gründe dafür
anhörten und dann, daß sie sie gelten ließen. Ich will sie auch
Dir erklären, so schlecht es in einem Briefe geht, und so schlecht
ich es eben kann.
Z80
Onden letzten Schuljahren begeisterte ich mich, wie es allgemein
üblich ist, zum erstenmal für deutsche Literatur. Wir lasen in
verteilten Rollen Dramen und führten sehr oft einzelne oder
mehrere Szenen auf; dabei stellte sich — zu meiner Verwunde-
rung — heraus, daß ich diese Art dramatischer Darstellung besser
fertig brachte als andere. Weil nun mir das sehr leicht fiel, ich
schüttelte diese Runst gleichsam aus dem Handgelenk, so dachte
ich «Ah, das ist fein, ich werde einfach Schauspieler, das Zeug
dazu habe ich offenbar, anstrengend ist's auch nicht für mich;
also warum nicht».
Da kam der Rrieg. Im ersten Rausch faßte ich den Entschluß,
Offizier zu werden. Alles ging gut lange Zeit. Bei den aktiven
Offizieren meiner Batterie galt ich für einen feinen Rerl, denn
ich äffte diese, so gut es ging, nach. Da kam die Somme-Offen-
stve. "wir machten sie mir und wie! Das Leben: vier Tage Rrieg,
vier Tage feines Bürgerquartier hörte auf. Offiziere, Mann-
schafren, alles lag im Zelt, im Regen, beim Feuer zusammen.
Und da wurde ich Gottseidank gründlich kuriert. Endlich, end-
lich waren Menschen aller «Rreise» und «Stände» im gleichen
Wurschtkessel und dazu auf sich ganz allein angewiesen. tDie
manch anderem meinesgleichen war mir das zuerst höchst pein-
lich. Aber bald lernte ich die Augen aufmachen. Um von Bei-
spielen abzusehen: Das Ergebnis für mich war das, daß ich ge-
merkt und gelernt habe, daß nicht die sogenannte Bildung (die
ich sehr hoch schätze!) die «unsere Rreise» (wie Du schreibst) in-
folge ihrer Geldmittel sich erwerben können, daß diese nicht den
wert eines Menschen ausmacht, sondern sein persönliches Emp-
findung«- und Gefühlsleben, wenn ich mich so ausdrücken soll.
Rurz und gut: Die Hauptsache an einem Menschen war für mich
von da ab bis heute und hoffentlich in alle Zukunft nicht, was
dieser Mensch ist, sondern wer dieser Mensch ist. Ich habe Leute
aus den einfachsten, niedrigsten Rreisen kennen gelernt, die viel
wertvollere Menschen waren als Studenten u. a. «Gebildete».
Ich schreibe das alles, damit Du mich verstehst und das, was
nun kommt. Ich sagte schon, daß ich Offizier werden wollte.
Damals im Elsaß las ich auch die Bücher des Mannheimer The-
aterintendanten Hagemann. Dieser hochstehende Mann bespricht
u. a. auch den Schauspielerstand. Aus diesen Büchern lernte ich
erst alle Gefahren und Demütigungen und Entbehrungen ken-
3SI
nen, die dieser undankbare Beruf fordert. Außerdem merkte ich
auch, daß, um es in diesem Beruf zu einem Erfolg zu bringen,
dazu eine heillose Arbeit gehört, und daß es keineswegs ein
«Aus dem Ärmel schütteln» ist.
Daraufhin gab ich den Gedanken, Schauspieler zu werden, erst
recht auf. Da war's ja bald besser, man wurde Schlosser oder
sonst was, wobei man sogar noch mehr verdiente und wenig-
stens den «anständigen Leuten» angehörte. — So dachte ich also
vor der Sommeschlacht.
Die Veränderung, die diese in meiner Anschauung bewirkte, er-
zählte ich schon. — U?ir kamen raus aus der Somme, heraus an
eine ruhige Front in schöne Unterstände und hatten nun plöy-
lich wieder Zeit zum Lesen, zu Geselligkeit, und Offiziere, Un-
teroffiziere und Mannschaften waren wieder fein säuberlich ge-
trennt. Aber nun machte sich bei mir die Veränderung geltend.
Ich konnte keine Ullsteinschmieren mehr lesen.
Aber was nun? Ich lernte mühsam wieder gute Bücher lesen;
oft mußte ich eine Seite dreimal durchlesen, bis ich verstand,
was ich vor dem Rrieg beim Überfliegen kapiert hatte. Aber es
ging bald wieder besser. Ich las damals recht viel (nicht vieles)
und kam in den Ruf eines Einsiedlers, der von mir nicht ganz
gewichen ist. Allmählich machte ich mich auch an Poesie heran
und schließlich an die dramatische Poesie. Ich las Minna von
Barnhelm.
Da war's um mich geschehen. Alles, was die ganze Zeit an-
scheinend in mir geschlafen hatte, brach los. Ich konnte nachts
nicht mehr schlafen, so beschäftigte mich dieses IVerk. Ich ent-
deckte Schönheiten darin, die ich früher nie gesehen und nie ge-
ahnt hatte. Aber vor allem ließen mich Tag und Nacht die Ge-
danken nicht mehr fahren, wie muß das dargestellt werden, um
zur Geltung und Wirkung zu kommen? Ich dachte mir die
Szenen aus und sah darin die ganze Handlung vor meinen
Augen sich abspielen; ich studierte, was ich früher nie tat, wie
man die Personen darzustellen habe, damit sie echt und natür-
lich wirkten usw., kurz ich arbeitete das Werk durch so, wie etwa
ein Regisseur oder ein Schauspieler es tun muß. Und so nimmt
mich jedes gute Bühnenstück vollständig in Anspruch, seit da ab.
Und all die faulen Bedenken, die ich das erstemal beim Lesen
des Buches von Hagemann hatte, die sind jetzt gleich Null. Um
582
diesen Beruf, der mich wie kein anderes so völlig fesselt, will ich
gern «Deklassierung» und alle anderen Nöte tragen, die mir
ganz sicher nicht erspart bleiben: denn letzten Endes kommt es
nicht darauf an, daß ich einen Titel habe und einen Haufen
Geld verdiene, sondern daß ich nur sagen kann, ich habe mir
ehrliche Mühe gegeben, ein rechter Mensch zu werden. — Wenn
ich auch dabei unglücklich werden sollte, so kann mich doch nichts
mehr davon abbringen.
Nun noch rasch zu Deinem Einwurf, daß Leute meines Stan-
des vom Vaterland nötiger gebraucht werden, ganz besonders
in dieser «rein praktischen Zeit».
Ich fürchte mich keiner vaterlandslosen Gesinnung schuldig zu
machen, wenn ich erkläre, daß ich glaube, meiner vaterländi-
schen Pflicht vollauf genügt zu haben, indem ich jetzt im vierten
Jahre mein Lieben der einfachen Pflicht halber in die Schanze
schlage. Gin pures Vergnügen ist's nämlich seit zwei Jahren
nicht mehr. — Zweitens: Du nennst unsere Zeit «rein praktisch».
Ich nenne sie «rein materiell». "Wegen dieses reinen Materialis-
mus entbrannte dieser Rrieg, und deshalb verabscheue ich diesen
Materialismus auch wie die Pest. Meine vorhin entwickelten
Grundsätze sind ja auch alles andere als materiell oder prak-
tisch.
Drittens: unser Vaterland tut sich, und das mit Recht, was dar-
aufhin zugute im Gegensatz zu unseren Feinden nicht nur reale,
materielle, sondern auch ideale Grundsätze und Werte zum
Nutzen der ganzen Welt zu vertreten. Zu solchen idealen Werten
gehören aber auch die Rünste. Wozu würde es denn führen,
wenn nach dem Rrieg die Leute «unserer Rreise» sich nur auf
rein praktische Berufe werfen wollten infolge ihrer materiellen
Grundsätze? Verfluchenswert wäre das, denn die Leute «un-
serer Rreise» haben ihrer Mittel wegen dem «Volke» gegenüber
die Pflicht, auch ideale Grundsätze zu vertreten und zu ver-
wirklichen. Wenn sie dazu zu «hoch» sind, so haben die Sozial-
demokraten, die den Materialismus vertreten, recht.
Ich weiß wohl, daß Du zu alledem sagen wirst: Uberspannt l
Du schriebst mir einmal früher, daß Du nicht so optimistisch
seiest, zu glauben, daß die Pflicht die meisten Soldaten veran-
lasse auszuhalten, sondern das einfache Müssen.
Beispiel: Trommelfeuer von sieben Stunden auf dem Trichter-
Z8Z
feld. Eine Rompanie liegt ausgeschwärmt in den Trichtern,
seit zwei Tagen ohne warmes Essen, im Regen, plötzlich gehen
die Schüsse weiter; der Feind erscheint, um zu stürmen.
Die Rompanie ist durch das zurückverlegte feindliche Leuer voll-
ständig abgeschnitten von hinten und auf sich angewiesen. Der
Feind kommt heran und schreit «Ergebt Euch! Gutes Essen,
gute Behandlung!»
Die Musketiere liegen in ihren löchern, ohne Aufsicht, jeder auf
sich selbst angewiesen. A?as tun sie? Heraus aus dem Dreck und
den Rerls mit Handgranaten aufgewartet! Dabei wissen sie,
daß sie sich dadurch den Pardon verscherzen. — Ganz egal, ob
die Stellung verlorengeht oder nicht, ist das Pflichtbewußtsein
oder Müssen? Dies ist ein Beispiel, wie's in den Abwehrschlach-
ten dieses Jahres im Westen tausendfach vorkam. Deswegen
Achtung vor dem einfachen Mann!
4-
Paul Rrüger, unbekannt.
21.Dezember
IVir liegen hier etwa 10 km hinter unserer Artilleriestellung
nördlich verdun. Die ersten IVochen wurden wir zum Straßen-
bau im Anmarschgelände verwandt, während dieser Beschäfti-
gung lagen wir nicht im Leuerbereich der feindlichen Artillerie,
auch unsere Ortsquartiere nicht, aber 5 km weiter vor saust ab
und zu ein -Langrohr- oder Schiffsgeschütztreffer hin, auch evtl.
Lufttorpedos. Letztere sind reine Teufelserfindungen. Bei einem
Ritt vor etwa 15 Tagen konnte ich beobachten, wie ein deutscher
Lieger von den Franzosen beschossen wurde. IVohl 200—250
playende Granaten, welche gleich Schneeflocken anzusehen
waren, flogen um seinen Apparat; der Flieger kam glücklich
durch. Da ist dicke Luft in solcher Vlahe, und man zeigt den
Franzosen lieber den Pferdeschweif als den Pferdekopf. Zwischen-
durch führen wir öfters schwere Batterien in Stellung und
deren Bagage nach vorn, dann wieder Munition, alles des
Nachts, so daß man bei Tagesanbruch wieder aus der Schuß-
linie ist. Der Franzose hat seine Forts so angelegt, daß er alle
Schluchten und Zufahrtswege beherrscht und ein Befahren bei
38*
Tage rein unmöglich ist. Berge sind hier etwa bis Zoo in hoch.
Munition muß ran. Geht man manchmal auch mit etwas Angst
an solche Arbeit, so ist doch der Hinblick auf seine Rameraden,
die in der gleichen -Lage sind, eine kleine Beruhigung, und ein
bißchen Trotz gegen sein Schicksal hilft über vieles hinweg. Aus-
geführt wird der Befehl. "was sollte werden, wenn es vorn an
Munition und Material mangelte Die durchzufahrenden Strek-
ken liegen fast ganz im feindlichen Feuer, und, wie bekannt, hört
ja bei Verdun der Ranonendonner fast nie auf. Gewöhnlich
heißt es im Tagesbericht «Ostlich der Maas gesteigerte Leuer-
tätigkeit». Das ist der ganze Tagesbericht über andauerndes
Schießen, daß die Fenster klirren. Gewiß denkt man auch an
seine Lieben, aber das beste ist, man tut es nach Rückkehr ins
(Quartier und schreibt: «Mir geht es gut». Für Frauen und
Schwache am Gemüt ist so etwas freilich nicht. Ist derartig
schwere Tagesarbeit vorbei, so sagt man: «Gottseidank!» Und
wieder ist ein Tag vorbei, von dem man nicht wußte, ob es
Abend werden würde.
*
Fritz UNtschetzky,
geb. 21.Juni 1887 in Dresden.
Tagebuch.
S.M.S. "Wolf, Z0. März
Auf meiner Morgenwache kommt um 7,55 Uhr vormittags ein
Segelschiff in Sicht. Ms macht bei dem geringen 'wind kaum
Fahrt, es fährt beinahe denselben Rurs wie wir. N>ir halten
darauf los, vermehren die Fahrt, machen alles klar zur Prisen-
Untersuchung. Dann nähern wir uns ihm mit großer Fahrt und
denken immer, wenn's nur kein Neutraler ist; es ist sicher ein
Norweger oder Holländer, meinen unsere Seeleute. Alle unsere
Befürchtungen vernichtet nun der Segler selbst. Er setzt eine
schöne englische Flagge. «Alle Mann klar zur Prisenuntersu-
chung.» «Signal!» «Drehen Sie bei.» Der brave Segler will
aber mit uns eine kleine Signalunterhaltung machen, er hält
uns für einen Briten. «Ich bin» signalisiert er «das Segelschiff
25 D.d. s, 385
Dee aus Mauritius». IVir setzen Flagge und Wimpel. Da e»d-
lich merkt der Arme etwas. Man sieht den alten grauen Captain
selbst ans Ruder springen. Der Großmast wird back gebraßt.
Nun liegt er still. Unser Prisenboot pullt hinüber. Bald geht
die englische Flagge herunter, und wir sehen wieder einmal ein
Segelschiff unter der deutschen Rriegsflagge. IVinkspruch mel-
det: Bark «Dee» von Mauritius t in Ballast nach Bam-
buri.
Einige Boote mit kümmerlichem Proviant kommen herüber,
auch Rorallen, Albatrosköpfe, Muscheln sind in den Booten.
Dann die Gefangenen, farbige Engländer in allen Scharrie-
rungen. Eine schlimme Gesellschaft. Zwei sind total besoffen und
werden wie ein Päckchen Lumpen am pahlsteg an Bord ge-
heißt. Dann kommt der Captain Rugg mit den schönsten "Whisky-
äugen von der IVelt. lLr sieht aus wie eine alte versoffene
Robbe, viel Lumpen und Plunder bringt die armselige Gefell-
schaft mit. Der Steuermann ist ebenfalls farbig, und zwar hell-
braun. Capt. Rugg fährt feit 22 Jahren auf dem Schiff, das
selbst schon Z2 Jahre alt ist. Er ist ganz gebrochen von dem
schweren Schicksalsschlag; l000 £ seines Rapitals stecken drin.
Die Sprengladung ist dieses Mal drinnen angebracht; als sie
detoniert, fliegen Lukendeckel, Steine bis in die Höhe der Groß-
raa. Die Lukenpersenning fliegt bis auf die Großraa, wo sie
hängen bleibt, ganz langsam sinkt das Schiff tiefer, der rote
Streifen ist noch lange zu sehen. Endlich nach einer halben
Stunde verschwindet er, dann geht's schneller. Schon spritzen
die Seen über die Back, das Heck wird etwas gehoben, dann
— große Fahrt voraus — fährt es ab, Rurs: 45° nach unten.
Die Ballaststeine rollen donnernd nach vorne, Staubwolken
wirbeln hoch, schwupp schießen ein paar Stangen, ein Decks-
haus, ein Boot und Risten heraus und bezeichnen die Stelle,
wo die «Dee» sank.
S.M.S. Wolf, September 1917.
Im I%° Ranal. Herrliches blaues Wetter. Gegen ls Uhr
kommt eine Rauchwolke achteraus in Sicht. Endlich ...
langem IVarten.
Der Flieger steigt auf und meldet nach ziemlich langem Flug:
«Ein Handelsdampfer, kleiner als wir. Rurs SW, läuft etwa
Z8<5
J2— I*sm, noch etwa 35 sm ab.» Wir fahren erst noch zu un-
serem großen Ärger eine Weile weg, bis Feuer gereinigt sind,
alles gegessen hat. Dann um 12Uhr etwa wird der Flieger wie-
der ausgesetzt und verschwindet. Wir machen Rehrt zum An-
halten.
Nun kommt der Dampfer schnell näher: «Alle Mann auf, sich
klarhalten zum Gefecht» — «Prisenuntersuchungskommando
der Srb. Wache Musterung.» Masten, Schornsteine kommen in
Sicht. Wir fahren nun direkt auf den Dampfer los, ich taxiere,
ein Handelsdampfer von 4oos t, er ist unscheinbar schwarz an-
gemalt. Als er etwa 340° peilt, erhalte ich den Befehl: «Ein
Schuß vor den Bug». Signale, Flaggen wehen schon lange,
alle Rlappen haben wir fallen gelassen, denn deutlich ist sein
Geschütz erkennbar. Der Schuß fällt auf 25 km Entfernung
aus demBb. II. Geschüy. Wir drehen hart nach Backbord, um
mir ihm auf gleichen Rurs zu liegen zu kommen. Der Dampfer
stoppt nicht, sondern dreht mir höchster Fahrt nach Steuerbord,
uns sein bewaffnetes Heck zukehrend. «Noch ein Schuß vor den
Bug!» Dieser fällt aus dem Stb. II. Geschüy. Nun sehen wir
deutlich, daß das Geschüy klar gemacht wird. Der Bezug, der
sonnensegelartig das Geschüy verschleierte, ist weggenommen,
F^eute sind am Bodenstück beschäftigt. «Eine Salve auf das
Heckgeschüy» «8km, Schieber links 2!» Salve feuern— Bauy,
Bauy —, hoch schlägt die Flamme unter dem Geschüy empor,
deutlich sind die Treffer in seinem Heck zu erkennen. Nun folgen
fortwährend Befehle von der Brücke: Weiter feuern, Salven
feuern — Halt! — Feuern! — Halt — Feuern, Feuern! Es fällt
eine zweite Salve aufs Heck. Geschüy ebenfalls 8 km links 2,
Treffer sind deutlich zu sehen. Dann wieder durcheinander-
gehende Befehle: «Feuern, Eine Salve auf die Brücke!» Salve
— Feuern und schließlich noch eine Salve auf die F.-T.-Bude.
Hier wird Schornstein getroffen, wodurch dicker «Qualm und
Dampf entweicht. Ich erfahre später, daß der Dampfer mit
L.'T. S— Q>—S gegeben hat.
Nun endlich stoppt der Dampfer, am Geschütz zeigt sich nie-
mand mehr. .
Außer den beiden Warnungsschüssen sind in vier Salven vier-
Zehn Schuß auf den Dampfer geschossen worden.
Line Menge Menschen waren ins Wasser gesprungen und trie-
25' 387
den schreiend am Heck. Boote vom Dampfer waren zu Wasser
gelassen und fischten die Schwimmenden auf. Entsetzlich hall-
ten die lauten, kreischenden Hilferufe zu uns herüber. Wir
schickten unser Motorboot mit dem Prisenkommando und noch
zwei andere Rettungsboote hin. Bis auf einen, der tot im Was-
ser schwimmend gesehen wurde, sind alle gerettet.
Wir dampften den Booten entgegen, das Prisenkommando ging
drüben an Bord und holte die eben erst geheißte japanische
Flagge herunter und setzte unsere schöne deutsche. Ich war
I. <D., da Raptl. Schmehl in ein offenes -Luk gefallen war und
krank im Bette lag. vier vollgestopfte Boote kamen längsseit,
jetzt sehen wir erst, was für ein großes Schiff die Prise war.
Der japanische Postdampfer «Hitachi Maru» der Vlippon Jusen
Reisha von 6700t mit im ganzen etwa ISO Menschen, darun-
ter Frauen und Rindern. ?n schönster Ordnung kam alles an
Bord. Die Japaner sind eben ein militärisch erzogenes Volk.
3n jedem Boot lagen schwer Verwundete, leider kamen auch
noch zwei Tote mit. Die Passagiere saßen zunächst aufdem Ver-
deck, sie erhielten Tee und Limonade und konnten sich von ihren
dicken Schwimmwesten gar nicht trennen. Die übrigen erhiel-
ten auf dem Achterdeck Essen und Trinken. Ich richtete mit
Auerswald zusammen schnell den vorderen Minenraum zur
Aufnahme der Gefangenen her. Für die Passagiere wurde mit
Segeltuch ein leidlicher verschlag gebaut, Schinkenbrot, Tee,
Limonade aufgestellt.
Nun kommt, von Rose gezwungen — er wollte durchaus mit
seinem Schiff untergehen — der japanische Rapirän mit seinen
Offizieren an Bord. Er wurde sofort zum Rommandanten auf
die Brücke befohlen. Ich spiele den Dolmetscher. Der Romman-
dantistsehr erregt und schreit den Japsen aufenglisch an: «Z?our
ship is a merchant man, you are responsible ...» Der Japaner
sagte: <0 called them back» er meinte die ans Geschütz gesprun-
genen Leute.
Nachdem die Passagiere und dann alle übrigen leidlich unter-
gebracht waren, wurden die beiden Toten bestattet. Sie waren
unter dem Z. Geschütz aufgebahrt, dessen Treffer von Bord aus
gerade so deutlich zu beobachten gewesen waren. Der japanische
Rapitän hält eine japanische Leichenrede, alle Japaner sind
versammelt, ebenso unser Rommandant und die Offiziere.
Z88
Im ganzen sind vierzehn Menschen dabei umgekommen, meist
furchtbar durch die Granaten am Geschütz und an der F.-T.-
Bude zerfetzt.
flacht« dampfen wir nach Süden, zusammen mit unserer Prise,
die zu unserer großen Freude nicht ernstlich beschädigt ist. lLin
Treffer in der Wasserlinie läßt wenig IVasser ins Schiff.
Eine schöne Prise, nur zuviel Menschen, was machen wir mit
diesen? Das ist die Frage, die nun alles bewegt. Er führt eine
kostbare Fracht, Gummi, Tee, Rupfer, Felle, Antimon.
*
m
19\S
Sti$ Witscheyky,
geb. 21. Juni 1887 in Dresden.
8. Februar I5>18.
Ich erwache früh um 7 Uhr durch die heftigen Mrschütterun-
gen, die gegen das Schiff schlagende Eisblöcke verursachen.
8 Uhr vorm. im dicken Eis, Maschine stoppt. Heftiger Sturm
aus Osten.
8 Uhr 15 Minuten. IVir haben Rehrt gemacht. Rommandant
scheint sich entschlossen zu haben, südlich von Island herum;»-
gehen. Rurs WSW.Das Eis wird langsam schwächer, schwerer
Seegang.
von 9Uhr 30—II Uhr wieder zurück auf NO, aber bald mitten
in den dicksten Eisklumpen, dabei schwere See, seit Tagen kein
Besteck mehr, keine Deviationskontrolle — nichts. Die See
schleudert viele zentnerschwere Eisklumpen an Deck.
12 Uhr Zo nachm., ich komme aufmache mit hoher Fahrt vor
der See weg mit Süd-Rurs: Durchfahrt durchs Eis ist auf-
gegeben, schwere See, Barometer fällt, um Uhr steht es auf
724 mm. Seit 2 Uhr nachm. kein Eis mehr in Sicht.
Also durch die englischen Linien zwischen Schottland und
Ghetland-Jnseln und Islands Ost- und IVestspiye.
Glückliche Reise!
Gestern hat sich an Bord eine Tragödie vollendet:
Nach dem Abendbrot der gefangenen Offiziere teilte der japa-
nische Marine-Ing. unserm Vblt. Dietrich mit, d»ß Rapitän
Tominaga nicht zum Abendessen gekommen sei. Er sei von
einem der Gefangenenposten, der nicht gewußt hat, daß Rpt.
Tominaga seit gestern hier oben wohnt, in die Gefangenen-
räume geschickt worden und würde da scheinbar irrtümlicher
ZSI
Weife festgehalten. Dietrich sucht den japanischen Rapitän,
kann ihn aber nicht finden. Das ganze Schiff wird ausgesucht,
in alle Winkel wird geleuchtet, in alle Löcher, alles beteiligt sich
am Suchen, Rapitän Tominaga bleibt verschwunden. Ich ver-
mute sofort einen Gelbstmord, da ich schon mehrere Male damit
gerechnet hatte. Andere glauben, der Japaner versuche einen
Anschlag auf unser Schiff, Munitionskammern werden abrevi-
die«, der Rerl sitzt wahrscheinlich in der Ladung, in die er durch
einen Ventilator hineingestiegen ist, also werden die Ladungs-
räume berochen, nichts verdächtiges ist zu finden. Nachts wer-
den Ronden gegangen, ohne etwas Auffälliges zu bemerken.
Heute früh bestätigt sich der Verdacht: Rapitän Tominaga hat
Selbstmord verübt. In das eisige Wasser, in denen die Eisschol-
len tosend herumtanzen, ist er gesprungen. Seine Ehre ver-
langte es, japanische Auffassung, vornehm und edel. — An
seinen I. Offizier hat er einen Brief hinterlassen:
«Das Elend, was ich durch mein Manöver über einige meiner
Besatzung und Passagiere und deren Familien gebracht habe,
zwingt mich, meinem Leben ein Ende zu machen. Ich wollte
schon vor langer Zeit diesen Schritt tun, aber ich habe gewartet,
bis Passagiere und Besatzung in Sicherheit waren. Ich weiß,
daß ich hierdurch meine Schuld nicht gut machen kann, aber es
muß sein.» Es folgen einige testamentarische Bestimmungen.
Seine goldene Uhr bekommt sein Sohn, sein übriges Zeug alles
seine Besatzung, der I. Offizier soll es verteilen.
Wahrscheinlich hat den japanischen Rapitän seine durch die
englischen Zeitungen verhetzte Vorstellung von Deutschland zu
diesem Schritt mit veranlaßt. iLr sah sich da im Triumphzug
durch den schreienden, spuckenden und schimpfenden Barbaren-
Haufen getrieben. Solche Vorstellungen haben unsere Gefan-
genen von uns.
17.Februar 1918, Sonntag,
prachtvolles Wetter, früh im Samsö-Belt. Herrlich beleuchtet lie-
gen die Ufer da und sehen so heimatlich aus. Immer näher rücken
sie zusammen, Rirchen sind zu erkennen, nun kommen die Dörfer
deutlich heraus, ein Gutshof, ein Schloß, Wagen, Menschen.
Um II Uhr vorm. bei Samsö. Die Rriegswache geht ein.
Um $ Uhr nachm. laufen wir bei Fridericia in den kleinen Belt
Z92
ein, nachdem wir auch dem letzten vermeintlichen U-Boot vor
Lridericia glücklich entgangen sind. lLin Prachtwetter! Alles
lacht im hellen Sonnenscheine, die weißen Häuser unter ihren
roten Dächern, die Fabriken, die roten Danebrogs, die Soldaten
mir ihren Gewehren, die kleinen Mädchen aufder Straße, alles
lacht, selbst die blätterlosen Bäume und der deutsche Dampfer,
der vorFridericia zu Anker liegt, und die vielen deutschen Seg-
ler, die den kleinen Belt herunterkommen, alles lacht und freut
sich, wir vom «Wolf», der stolz seine schneeweiße Rriegsflagge
und seinen Wimpel gesetzt hat und selbst die Gefangenen, die
heute seit vier Tagen zum ersten Male wieder imSamsö-Beltan
Deck waren. Man sieht keine ernste Miene, jeder lacht einen an:
«Wir haben'? geschafft!» sagen mir ganz fernstehende Heizer.
«Nun kann unsIellicoe nicht mehr», meinen andere. Das ist eine
Freude, ein Jubel überall. Und nun erst, als ich die ersten deutschen
Rriegsschiffe am Ausgang des Rleinen Belt entdecke, da ist's uns
allen, als ob der Weihnachtsmann zur Bescherung klingelt.
Die Dunkelheit setzt ein, und 5 Uhr nachm. ist die Schein-
werferverbindung hergestellt. Unsere Chiffriermittel sind ver-
altet, wir müssen also offen signalisieren: «Nerger mit Hilfs-
kreuzer .Wolf', bitte um Sperrfeuer und Sperrlotsen». «Ganz
geheim», machen wir noch hinterher, aber das kleine dänische
Wachfahrzeug hat's doch abgelesen, und nicht nur der «Pan-
ther», für den das Signal bestimmt war, sondern auch der da-
nebenliegende «Nautilus» und die Menge der Sperrfahrzeuge.
Wir lesen auch schon ab, wie ein Schiff dem anderen zumorst:
«.Wolf kehrt nach einem Jahr in die Heimat zurück». Mit der
Geheimhaltung ist es also vorbei. Wir ankern vor der Sperre
und erwarten den Sperrlotsen, der läßt auch gar nicht lange
auf sich warten. Der Sperrlotsendampfer kommt längsseit und
ruft: «Drei Hurras für den heimkehrenden ,Wolf', hurra,hurra,
hurra», und wir erwidern freudig diesen Gruß. Dann kommt
derselbe kleine dicke Oblt. z. S. d. R. S., der uns damals hinaus-
gelotst hatte, an Bord. iLr wird von uns allen umringt, der erste
Deutsche seit 15 Monaten! »Rinder, igdet een vajnigen! »Hände-
schütteln undBegrüßen und dachen auf allen Gesichtern. Dann
geht's durch die Sperre, und bald fällt dicht hinter der Sperre
der Anker. —
*
393
Wilhelm Jackson,
geb. 12.Mai 1896 in Rheine i. w.,
abgestürzt 16.Februar 1918 bei Gent.
15. Januar I$>18.
Tage und 'Wochen hatten wir vergebens und mit Ungeduld ge-
wartet, aber kein Sonnenstrahl wollte die Wolken des ewig
grauen Himmels durchdringen. Einmal mußte das doch ein
Ende nehmen Z Und endlich wurde das Wetter hell und klar,
und eines Abends — die Dämmerung fing schon an, in Nacht
überzugehen — bekamen wir Starrbefehl: Hauptziel angrei-
fen! Rasch haben die Monteure das letzte an den Flugzeugen in
Ordnung gebracht, und wir stehen, Beobachter, Führer und
Maschinengewehrschüye, die Wetterlage und den befohlenen
Flug besprechend, vor unserer Maschine, die gespenstisch ihre
weitklafternden Schwingen vom nachtdunklen, von Mond und
allen Sternen festlich erstrahlenden Himmel abhebt. Sorgsam
legen wir unsere Fliegerkleidung an, eine mehrfache Schicht
von wolle, Pelz und Leder, zuletzt das elektrische Heizgerät für
Gesicht, Hände und Füße, denn bei langen Flügen in großer
Höhe ist die Rälre in dieser Jahreszeit selbst für abgehärtete Na-
turen fast unerträglich. Inzwischen starten nacheinander mit
bestimmten Zwischenräumen die ersten Flugzeuge mir mächtigem
Brummen, einen langen Schweif von sprühendem Feuer und
tanzenden Funken hinter sich, rasen sie über den mondbeschie-
nenen Play, heben sich schwerbeladen vom Boden und ver-
schwinden nach wenig Augenblicken im Dunkeln. Bei Tagflügen
startet das Geschwader fast gleichzeitig in wenig Minuten, um
möglichst große Geschlossenheit zu erreichen.
Inzwischen sind wir in unsere Sitze geklettert, noch einmal wird
alles überprüft, der Führer läßt die Motoren laufen: Alles in
Ordnung: wir rollen zum Startplatz; ein Lichrsignal des
Startoffiziers sagt uns: Alles frei vorn! Und mit entfesselter
Rraft holen die Motoren auf, ein kurzer Anlauf, die Maschine
hebt sich vom Boden und zieht brummend und murrend mir
tiefem Dröhnen ihre Bahn. Schnell gewinnen wir an Höhe
und Übersicht, der Beobachter sucht die auf der Erde aufgestell-
ten Richrungslichter, vergleicht mit dem Rompaß und winkt
den Führer ein; der nimmt sich einen Stern am Himmel als
Z95
Richtungsweiser, und immer gleichmäßig geht es voran. JlinH
wird die Front erkennbar; deutlich sieht man das Aufblitzen der
Geschütze und als schmutzig rote Flamme das Rrepieren der
Granaten, Leuchtkugeln tanzen in einem gleichmäßigen Takt auf
und nieder — Flandernschlacht 1 Wie weißes silbernes Band
erscheint bald darauf die Rüste, und dahinter, in pechschwarze
Tinte getaucht, das Meer. Bei W. gehen wir über See; deutlich
erkennen wir unter uns die Trümmer der verwüsteten Stadt,
das Überschwemmungsgebiet, die Ranäle und Schleusenanla-
gen, und wie dünne schwarze Striche die Stellungen der Infan-
terie; dort unten haust sie seit mehr denn drei Jahren schon in
diesem Gebier von Verwüstung und Zerstörung, in Schlamm
und Wasser und Lehm, selbst die klare Scheibe des Mondes
trübt sich in diesem Widerspiegel des Elends. Und froh sind wir,
daß wir denen da unten Unterstützung und Erleichterung brin-
gen können, froh sind die Feldgrauen in den Gräben, wenn sie
am nächtlichen Himmel westwärts, englandwärts das Brum-
men der schweren deutschen Motoren langsam schwächer und
schwächer werden hören. Westwärts, englandwärts, immer
dem Rompaß, den Sternen nach. Links von Dünkirchen und
Calais recken sich Scheinwerfer hoch und suchen auf See her-
aus, aber heute suchen sie umsonst; weit links lassen wir sie hin-
ter uns; langsam verblaßt ihr Licht und durchdringt nicht mehr
das Dunkel der Nacht, langsam verblaßt der Silberstreifen der
Rüste, verblaßt das Feuerband der Front; unter uns gähnt
tiefschwarz das Meer. Gleichmäßig brummen und rattern die
Motoren ihr eintöniges gewaltiges Lied im endlosen Räume;
nur der Mond und die Sterne sehen zu. So langsam, so träge
schleicht die Zeit; der Führer läßt nicht ab, feine Instrumente
zu beobachten, er ist ganz Auge und Ohr, ganz Gefühl für seine
Maschine geworden, die Nerven beginnen sich zu straffen und
zu spannen. Der Beobachter rechnet beim Schein einer elektri-
schen Lampe mit Rarte, Rompaß und Abdriftgerät und den
Windmessungen den Rurs nach; es stimmt alles; und mit der
Uhr in der Hand errechnet er den Zeitpunkt, wo die englische
Rüste in Sicht kommen muß. Da tauchen auch schon dünne
schwarze Lichrkugeln aus dem eintönigen Schwarzblau vor uns
auf, und hin und wieder zuckt und blitzt es kurz dazwischen: der
sicherste Beweis, daß die ersten Flugzeuge bereits Land erreicht
Z95
und die Abwehr auf ihren Posten gerufen haben. Allmählich
erscheint denn auch als dünner grauer Streifen die englische
Rüste, nach Süden zu im Mondlicht weiß und weißer erglän-
zend: die Rreidefelsen von Dover. Jetzt dünkt es uns viel
rascher vorwärts zu gehen. Schnell nähern wir uns dem Lande,
unter uns Kriegsschiffe lösen die ersten Schüsse, Scheinwerfer
recken sich uns gierig entgegen, wir passieren die Rüste; rechts
das südliche Themseufer hebt sich scharf ab, und wenn man
senkrecht nach unten sieht, steht man deutlich alle Einzelheiten
des Geländes: Straßen und Bahnen, Häuser, Dörfer und
Städte. Rein Lichtschein ist im ganzen Lande wahrzunehmen,
nur eine gute Anzahl Flugplätze sind an ihrer Landbeleuchtung
zu erkennen und mahnen den Maschinengewehrschützen daran,
unablässig suchend seine Augen ins nächtliche Dunkel des Luft-
raumes zu bohren, denn er weiß: der Gegner ist da, es fragt
sich nur: wo? Jeden Augenblick kann er sich in überraschender
Rurve auf unser Flugzeug stürzen, das mit seinen glühenden
Auspuffröpfen an beiden Motoren ein leichtes Ziel für den An-
greifer bietet. Aber noch läßt sich kein feindliches Flugzeug
finden. Umgaukelt von Brandgranaten, von einem Schein-
werfer zum andern weitergegeben, so passieren wir die Sperre,
mit der der Engländer bei Chatham verzweifelt den Weg nach
London verbieten will; hier steigert sich das Artilleriefeuer zu
mächtiger Stärke, unaufhörlich zuckt es unter uns, aus den
Forts, vom Themseufer, aus ungezählten Batteriestellungen.
Die Besatzung steht im Mondlicht Sprengwolken an Spreng-
wölken vor, hinter und unter ihrem Flugzeug; geisterhaft
schweben sie pechschwarz wie ein Bienenschwarm um sie herum
und verschwinden, von der Schnelligkeit der Maschinen über-
holt, schemenhaft segelnd weit rückwärts. Gravesend und IVool-
wich erkennen wir unter uns, und jetzt kamen wir ans Ziel.
Dünner, langsam sich verdickender Dunst über der lLrde kündigt
die ¥7ähe der Millionenstadt an, ein mehrfach vorgelagerter
Gürtel von Scheinwerfern und Geschützen ruft uns flammend
und blitzend entgegen: London! «Dorthin! Ich muß, ich muß!»
vorn der Beobachter steht von seinem Sitz auf und tastet die
Bomben Hebel ab, jetzt muß alles klar sein! A?ie eine aufgehetzte
Meute fassen uns die Scheinwerfer, und mit beißender schmerzen-
der Helligkeit hängen sie sich an unsere Fersen, bis wir ihnen,
Z9ö
nur für Augenblicke, durch waghalsige Rurven entgehen; durch
das schwere Brummen der Motoren, das sonst jeden Laut ver-
schlingt, dröhnt das Rrepieren naher Granaten, die Luft ist
durchwühlt von Explosionen und packt die schwere Maschine
und schüttelt sie in wütenden Geschoßböen; ein feindlicher Flie-
ger stürzt sich von hinten auf uns, doch eine wohlgezielte Garbe
flammender Geschosse rattert ihm entgegen und belehrt ihn,
daß mit Überraschung nichts zu machen ist, und in eleganter
Rurve verschwindet er wieder im Dunkeln. All das darf den
Beobachter vorne nicht stören; er sieht unter sich fahl und blaß
die Themse, deren kleinste Rrümmung und jede Brücke ihm ver-
traut ist. Und dann das Lichtmeer der City! Wohl sucht der
Gegner abzublenden, aber die ins riesenhafte gewachsenen Ver-
Hältnisse der Weltstadt verbieten es ihm, jegliches Licht zu
löschen; der Mond tut das übrige. Straßen und Bahnen, die
großen Plätze und Parks, alles sieht der Beobachter genau;
Bahnhöfe, Werften und Docks, Fabriken und Lager, die Ad-
miralirät mit ihrem ganzen drum und dran von Regierung?-
gebäuden, alles ist für uns und unsere Bomben; ein Druck am
Hebel und eine nach der andern verschwinden sie in dunkler
Tiefe, nach jeder einzelnen macht die Maschine, befreit von zent-
nerschwerer Last, einen Sprung nach oben. Die Millionenstadt
unten vernimmt jetzt das Rrachen der ungeheuren Detonatio-
nen unserer schweren Bomben, die an Gewicht und Spreng-
kraft alles übertreffen, was man vor einem Jahr noch kannte.
An zwei, jetzt drei Stellen flammt es schmuyigrot auf, immer
höher und breiter. In großer Rurve verlassen wir, von der
Abwehr wütend verfolgt, die Stadt. Erleichtert strebt das
Flugzeug mit vergrößerter Geschwindigkeit ostwärts, wieder
dem Meere zu; zum zweitenmal passieren wir die Sperre,
diesmal um so viel ruhiger, mit der festen Zuversicht: jetzt muß
auch das iLnde gut werden! Draußen, wie wir wieder über See
sind, von der ohnmächtigen Abwehr nicht mehr verfolgt, löst
sich die Spannung; befriedigt sitzt der Führer am Steuerrad,
die Motoren laufen einwandfreier möchte sie streicheln und lieb-
kosen, daß sie so gute Arbeit taten; nur jetzt noch aushalten,
übers Wasser herüber! Dann erscheinen wieder die Lichtsignale
der flandrischen Rüste und geradenwegs geht's auf den Heimat-
Hafen zu. Rein Lohn der Welt vermag jedeni einzelnen der Be-
Z97
sayung das Gefühl aufzuwiegen, wenn auch der letzte kritische
Punkt glücklich überwunden ist und das Flugzeug in glatter
Landung den Erdboden berührt und gemächlich dem Zelt zu-
rollt. Dort steht es dann, ruht sich aus, liebevoll gepflegt, bis
eine neue sternenhelle Vlacht es zu neuem Fluge ruft.
*
p. Fechtner, unbekannt.
Im Felde, Januar
Dieser Gruß aus der Heimat! Rehmen Sie noch einmal meinen
Dank. Dank auch für den Wunsch zur glücklichen Heimkehr! Ja,
wann erfolgt sie und wie? Ich möchte so gern dabei sein, das
große Wiedersehen erleben, denn das Leben ist ja trotz aller
Widerwärtigkeiten so schön, so wunderschön. Es lacht und blinkt
ja noch wie alter Wein im goldenen Pokale. Ist dieser Wunsch
zu leben, nicht vermessen, da ja der Rrieg noch lange nicht sein
Ende erreicht hat? Wollen wir diesen Rampfum unser Deutsch-
tum siegreich bestehen, müssen wir opfern; der eine sein Gut,
der andere sein Blut. Darf ich da klagen, wenn von mir mein
lebenshungriges Herz gefordert wird? Nein und wieder nein!
*
Hermann Claudius,
geb. 2£.Oktober 1878 in Langenfelde/Holstein.
Un nicks heww ick de Week lang leef
as wenn he kömmt — blots dienen Breef.
Dar is he! — Man ick lat mi Tid
Un mak em op, dat nüms dat süht.
Denn stah ick dar un ög un ög.
Dat sünd din Hand ehr lewen Tög.
Dat danzt vör't Og mi hen un her,
un langsam finn ick eerst de Wöör
398
UN les de IVöör UN les se nich
»n seh alleen din leef Gesicht.
Un hör din Stimm un föhl din Hand —
un dreih mt fachen na de "wand.
*
Erich Ohnesorge,
geb. *. Juli 1896 in Bauyen,
gest. 18. Juni 1918in JliUenach Verwundung.
JanuarI9I8.
während wir uns hier rüsten zum letzten Ringen, um dem ent-
murigten Leinde den Todesstoß zu geben, jetzt, da wir so nahe
vor dem siegreichen Ende stehen, fällt uns plötzlich ein grim-
miger Feind in den Rücken, den wir nicht mir "Waffen zwingen
können: der Streik und die Ungeduld unserer Fleute in der Hei-
mat. Unsere Leinde horchen auf, die Einwohner hier erzählen
uns glückstrahlend, in Deutschland sei Revolution und der Rrieg
müßte bald alle sein. Die gesamte Entente faßt wieder neue
Hoffnung, und so müssen wir schließlich erliegen, weil unsere
eigenen Brüder, für die wir gekämpft haben, uns von rück-
wärts die "Waffen aus der Hand reißen. Soviel Blut ist um-
sonst geflossen, Monat um Monat schwitzen wir Blut und
darben auch noch dazu, und die wollen schon verzagen, da sie
doch so sicher und geborgen sind. An die Front mit den beuten!
Bei Trommelfeuer und trocken Brot werden sie erst sehen, was
ein Mensch ertragen kann und muß, ohne zu murren,
lieber hundert solcher Maulhelden mit Maschinengewehren
über den Haufen schießen, als Tausende von Feldgrauen infolge
von Munitionsmangel dem Tode in die Hände liefern.
Unsere Einigkeit war ja unser Sieger im Rampf mit den
Dassen, sie muß erst recht im Wirtschaftskampf unerschütterlich
dastehen, wenn wir zu einem guten Ende kommen wollen.
Sonst wäre der deutsche Traum für immer au?.
Sieht der Feind die Uneinigkeit, so zieht er den Rrieg immer
länger hinaus, dann müßt Ihr wieder Monate länger darben
und wir länger leiden, und wer sagt uns, daß unsere Spannkraft
nicht auch einmal nachläßt?
399
Der äußere Feind ist für uns in absehbarer Zeit erledigt, aber
den inneren fürchten wir wie ein Gespenst, das man nicht packen
kann. Trotzdem hoffen wir, daß sich die Sache beruhigt, dann
ist auch das tLnde dieses Völkerringens erreicht. ätin glänzendes
Deutschland steht da, Achtung gebietend und bewundert, und
die Welt schafft wieder in friedlichem ^Wettstreit wie ehedem.
Gebe Gott es bald l
*
Richard Ziebell,
geb. Z. April 1878 in Schüttenburg,
gest. 6.Januar 192 9in Berlin.
Februar 8.
"wir lesen viel von großen Tumulten und Streiks in Berlin,
auch Du schreibst davon. Ja, wir im Felde denken ganz anders
darüber, das bin ich nicht allein. Denken denn die zu Hause, es
wird besser dadurch? Im Gegenteil, die stärken ja unsere Feinde.
Die glauben, in Deutschland gibt es Revolution, und nur allein
dadurch dauert der Rrieg noch viel länger; haben wir uns die
vier Jahre umsonst rumgeschlagen und haben ein Hundeleben
geführt? Die Großmäuler sollen sie alle einsperren, die Soldaten
werden schon dafür sorgen, daß sie nicht allzu üppig werden.
Du weißt, solange wir den Rock anhaben, müssen wir unsere
Pflicht tun, erstmal die strenge Strafe, und zweitens ist solcher
Tumult zwecklos, die Leute verdienen eine Menge Geld und
sollten ruhig ihrer Arbeit nachgehen. Jeyt arbeiten sie ja doch
wieder alle und haben gar nichts erreicht. Die Einigkeit fehlt
eben, und die sie dabei gefaßt haben, kommen vor ein Rriegs-
gericht und sind auf lange Jahre unglückliche Menschen.
*
Friy Hildebrand,
geb. lo. Juli 1895 in Osterode/Harz,
gest. Z. November 191$ nach Verwundung in Homburg v. d.
Höhe.
lLeghem, 18. Januar 1918.
Ich habe zwar seit dem 13.Januar nicht wieder geschrieben;
aber nun ist's vorbei, nun kann ich's ja schreiben, "wir sind die
*00
letzten Tage aufjLngländerjagd gewesen, eine etwas kitzlige Ge-
schichte. Also die Sache kam so: der Rompanieführer fragte in
der letzten Ruheperiode nach, wer sich an einer Patrouille be-
reiligen wollte. — 12 Uhr bei Rohlraben finsternis und Regen
brachen wir auf aus unserem (Quartier, wir hatten bei den
schlechten Wegen gut zwei Stunden zu laufen bis vorn. Zwar
kannte ich den UZeg wie meine Westentasche, doch er war kaum
zu erkennen vor Schlamm und 'Wasser, das den Fahrdamm ver-
schiedentlich total fortgeschwemmt hatte. Um 2.30Uhr konnten
wir, mir Mühe vorn angekommen, die vorderste Linie verlassen
und loskrabbeln, ich mir zehn Mann rechrs, der Leutnant mir
ebensoviel links der zerwühlten Straße. Ein Unteroffizier, sechs
Mann blieben nacheinander unterwegs als Verbindung und
Sicherung liegen, außerdem harren zwei schwere, in der vor-
dersten Jltnieaufgestellte M.-G. den Auftrag, die ganze eng-
lische Linie rechts von uns zu bestreichen, sowie der Feind etwa
von dort aus auf uns los wollte. Nach fünfzig Meter Rriechen
arbeitete ich mich nach links über die Straße, um zu sehen, ob
der Leutnant auch auf gleicher Höhe mir mir war; er war es.
IVeirer bei zwanzig Merersekundenwind durch Dreck und "Wasser,
nichr Schritt für Schritt, sondern Zentimeter um Zentimeter.
Zu hundert Meter Rriechen brauchten wir zwei Stunden. Daß
sie uns ja nichr bemerkten, sonst war alles vergebens! Ich hatte
dicke Fausthandschuhe über den Fingern, damit die Hände nach-
her für den Revolver sauber und vor allem warm blieben,
denn das erstemal ohne Handschuhe waren die Finger voll-
kommen schlamm-klamm geworden. iLtrva 30 m vor der eng-
lischen Linie nebme ich nochmals Verbindung auf mit meinem
Leutnant, das heißt, ich krabbele nochmals von rechrs nach links
hinter einem dicken Baumstamm über die Srraße, er war erwas
zurückgeblieben, und ich mußte fünf Minuten warten, ehe die
Scharren setner Patrouille sich hinter Baumstämmen geräusch-
los heranschoben. Der Sturm, der von den Engländern her«
überbrauste, nabm jedes Geräusch mit fort, dunkel war es da-
gegen nichr mebr so sehr. Die Leute waren wie wir alle gleich-
mäßig ausgerüstet, jeder nur Revolver, Dolch, zwei Hand-
granaren im Roppel. "Wie der Leutnant heran ist, und wir im
Rreise auf der Srraße liegend noch leise beratschlagen, wie nun
weiter, kommt 50 m links von uns erwas auf uns zu, drei
26 D. d. S.
40!
Schatten, natürlich Engländer. Unwillkürlich duckt sich alles,
zehn Meter kommen sie an uns heran, jetzt müssen sie uns enr»
decken, man hört sie troy des Sturmes deutlich sprechen. Sie
zaudern einen Augenblick, springen über den Chausseegraben auf
die Straße, kreuzen sie. Alles dies dicht vor uns, sie sehen uns
nicht. Es zuckt mir in allen Fingern, ich sehe mich um nach dem
Leutnant, ob er nicht hochspringen will, denn das ist doch eine
günstige Gelegenheit, wie sie sich nie wieder bietet, viel leichter
als etwa einen Posten im tiefen Granatloch anzuschleichen und
zu überfallen. Und wie die Gefangenen gemacht werden, ist
ganz gleich, Hauptsache, daß wir überhaupt einen bringen.
Denn wir müssen wissen, was für ein Regiment drüben liegt,
und damit was für eine Division. Alles das dient im höchsten
Grade der Aufklärung unserer obersten Heeresleitung. — Wie
die drei nun anfangen, sich wieder zu entfernen, halte ich es
nicht mehr aus. «Hoch» schreie ich und «Auf», ein sekunden-
langes Umsehen, ob auch die anderen mitkommen und drauf.
15 m Entfernung, zwei Sätze, eine Sekunde. «Hands up»
rufe ich, ein Pistolenschuß, ein Schreckensschrei, und alle drei
Tommies lagen buchstäblich auf dem Allerwertesten vor
Schreck. Im Vlu war ein Dutzend von unseren über sie, drei
Minuten wälzte sich alles im Dreck, es gab eine wüste Reilerei,
da die Engländer troy mehrfacher Ubermacht sich tapfer
wehrten. Der eine schoß sogar noch mit seinem Revolver un-
verschämten y mm Ralibers um sich, unsere Seitendeckungen
warfen unausgesetzt Handgranaten nach allen Richtungen, da-
mit kein englischer Posten zu Hilfe eilte. Endlich hatten wir einen
am Boden, die anderen beiden bekamen Rolbenschläge.
Der englische Offizier, ein junger dreiundzwanzigjähriger Rerl,
ziemlich schmal, konnte sich nicht genug wundern, nachdem er
einigermaßen wieder zur Besinnung gekommen war, was mit
ihm geschehen war, wie gut er behandelt wurde. Unterwegs
vom Bataillon zum Regiment, wo ich ihn führte, sagte er ein
ums andere Mal: «Z?our Gfficers are Gentlemen» — «Z?ou are
good with me». Bezeichnend ist, daß selbst er als Offizier fest der
Meinung war, er würde nun in einen Räfig eingesperrt. Da er
noch dreckiger war als wir, verlangte er bescheiden nach einem
«Bath»und «Vther clothes».
*
* 02
Lothar Heinrich,
geb. 2. April 1896 in Dresden.
18. Februar *918.
Für Ihren lieben Brief mit den Frühlingsboten recht herzlichen
Dank. Daß ich Ihnen schon längere Zeit daraufhin schreiben
wollte, möge Ihnen das bescheidene Blümlein erzählen, das ich
noch in T. bei einem Felddienst pflückte, als das erste, das ich
dieses Jahr gefunden. Auch ich suche jedes Jahr den Frühling,
besonders aber, seit ich im Felde bin. Denn was will das nicht
alles für einen Feldsoldaten heißen: der IVinter ist vorbei —
der Frühling kommt! Dazu muß man die Beschwerden des
Grabenlebens im 'Winter kennen, um zu wissen, wie sich ein
jeder freut auf die Zeit, da er sich nicht mehr vor der Rälte Tag
und flacht in den dumpfigen Unterstand mit der brütenden,
trockenen Hitze zu flüchten braucht, wo er zu jeder Tageszeit
schlafen möchte, um Lichtmangel und Langeweile zu verschla-
fen. Man wird zur Pflanze hier draußen und erhält gleich ihr
durch die Sonne neues Leben, Saft, Rraft und Mut.
Daß dabei die Rampfesruhe an der Front mehr und mehr
schwindet, überall das große Toben wieder auflebt, daran denkt
man schließlich erst in zweiter Linie. Und ist es nicht besser so?
Das Schicksal der Völker entscheidet sich in einem wilden
Rampfe doch eher, als es möglich wäre, wenn beide untätig ab-
wartend nebeneinander her leben.
Ganz ähnlich wie voriges Iahr, als ich aus dem Lazarett ging,
so geht mir's auch jetzt. Und mir scheint, es ist eine allgemeine
Stimmung im Heere. Lieber heute den Rampf beginnen, der
die Entscheidung bringen soll und hoffentlich bringen wird, als
noch weitere Monate dem unnützen Marren opfern. Es gibt
keinen Soldaten, Gemeinen oder Offizier, der nicht glaubt, daß
es uns gelingt.
*
Rarl Polack, unbekannt.
Aus dem Felde, den Z I.Mär; I9I8.
Zum vierten Male legt der Osterhase seine Eier in Granattrich-
ter. Zwischen den Geschützen blühen unschuldsvolle Schnee-
26*
*03
glöckchen und demütige Veilchen. Zum vierten Male wird das
Vorfeld gelb von üppig fetten Himmelsschlüsseln, an den
Sträuchern schießen die silbernen Räychen auf mit ihren
geschmeidigen Pelzen. Die ganze wonnige Frühlingspracht
steigt wieder empor zwischen Schutt und Moder hüben und
drüben, bei Freund und Feind. Ia, es muß doch noch etwas
geben, was in IVahrheit neutral ist, eine allumfassende Güte,
die Blut und Verwüstung mit weißer, milder Blütenpracht
väterlich bedeckt. Die schönste Zeit unseres Gebens bewegen
wir uns in Laufgräben durch Gottes große Schöpfung.
Jahrelang sind wir begraben in unseren nassen Erdhöhlen
und fragen verzagt: «"wer wälzt uns den Stein von des
Grabes Tür?»
Paul de viere,
geb. 15.September 1$93in Hamburg.
Zl.März l9l8.
Vorgestern wurde ich durch Deinen lieben Brief vom 25. Ja-
nuar erfreut, nimm meinen herzlichsten Dank. Deine Ge-
danken, warum sich die Völker auf Erden ihre kurze Le-
benszeit noch selbst erschweren und verbittern, gehen auch so
oft durch unsere Röpfe, ohne daß man sich eine Antwort
geben kann. Solange die Welt bestehr, gibt es Rriege, und
solange Menschen drin leben, werden diese auch nicht auf-
hören. Es gibt wohl viele hundert Fragen, die unseren ge«
sunden Menschenverstand vor den Ropf stoßen. IVir hier
in Gefangenschaft kommen leider viel zu viel zum Grübeln,
auch wir hoffen bestimmt, daß wir in diesem Jahr wieder
daheim sein werden. In diesem Sommer sind wir vier I<chr
aus unserem Beruf herausgerissen, man sehnt sich ordent»
lich wieder nach einer gewohnten Tätigkeit. Post erhalten
wir jeyr nur recht selten. Gesundheitlich geht es mir gottlob
gut.
*
405
Friy Hackemann,
geb. 8. Juni I898in Dortmund-Hörde,
gef. 9.April 1918 bei Fourdrain.
In Stellung, den 17.März 1918.
Sei auf das herzlichste zu Deinem 17. Geburtstag von mir be-
glückwünscht!
Nun bist Du bald kein Rnabe mehr, bist ein Iüngling, willst
ein Mann werden.
Deine Bahn geht aufwärts! Erweise Dich stark genug ihr
zu folgen. Alles Rleinliche und Gemeine stoße von Dir ab.
Bleibe im Rleinen treu! So tust Du auch Deine Pflicht am
vaterlande, und Dir selbst dienst Du so am besten. Glaube
nicht, daß dies Phrasen sind. Ich habe die Wahrheit oft er-
fahren.
*
Richard Zimmermann,
geb. l. Oktober 1895 in Niemegk, Rrs. Zauch-Belzig,
gef. 22.März 191Sim Gomme-Gebiet.
Sonntag, den l7. März l9l8.
Obgleich für uns schon acht Tage Briefsperre besteht, will ich
auf Deinen Brief noch antworten, da wir heute Abend unfern
Marsch antreten zu dem großen Ereignis. Was nächsten Sonn-
tag ist, das weiß nur Gott allein. Auf den psychologischen Teil
Deines Briefes kann ich leider nicht eingehen. Ich weiß ja nicht,
ob und wann Du diesen Brief bekommen wirft. Aber ich möchte
Dir doch noch einiges schreiben. Diese gemischten Gefühle, mit
denen Du der Offensive entgegen siehst, sind wohl dieselben, die
wir hatten, ehe wir Soldat wurden. Ich muß Dir sagen, daß
ich diesmal mir einem ziemlich frohen und freudigen Gefühl in
den Rampf ziehe. Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß die
Offensive glücken wird. Ich bin mir auch vollkommen klar dar-
über, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß ich nicht heil zu-
rückkomme. Du mußt nun nicht denken, mein lieber Junge, daß
ich etwa das Äebensatt habe und den Heldenrod zu meinem
Ideal gemacht habe, absolut nicht. Aber man muß eben in sol-
405
chem Lalle, das weißt Du ja selbst, den Tatsachen klar ins Auge
schauen können, in gewissem Maße Fatalist fein.
Wenn dieser Rrieg so für mich ausläuft, wie ich hoffe, dann
wird er mir das geben, was ich so lange gesucht und erkämpft
habe, einen Sieg über mich selbst, Selbstvertrauen und Selbst-
achtung. Es war mir ein lebhaftes Bedürfnis, Dir mein Lieber,
der Du der einzige Mensch bist, dem ich davon sprechen konnte,
das mitzuteilen. Ich hoffe, daß dieser Rampf uns den Frieden
bringen wird, und daß wir bald beide in treuer Freundschaft
uns in der Heimat zu gemeinsamer Berufsarbeit die Hand reichen
können.
*
Adolf 1Viegand,
geb. lZ. August 1885 in Osnabrück,
gef. Z l. August 191 8 bei Pöronne.
Im Westen, 20. März I9I8.
Das große «Frühjahrskonzert» wird jeyt bald losgehen. Ich
freue mich darauf, da es uns das gute Ende bringen wird und
«keinen weichen Frieden», wie Hindenburg sagte. Gottlob, daß
das Wort gesprochen ist; jeyt hat man doch auch etwas für seine
Mühen. Wie weit wir noch in diesem Strudel gezogen werden,
steht noch dahin. Einstweilen ist es hier noch zum Aushalten,
und ich fühle mich sehr wohl. Was uns die nächste Zukunft
bringen wird, ist uns genau so verschlossen wie Euch. Es ist
eine hervorragende Leistung schon an und für sich, die Pläne so
lange geheim halten zu können und doch alle Vorbereitungen
zu treffen. Die Sache muß gelingen.
*
Wilhelm Rind,
geb. lZ. Oktober 1886 in Probstheida bei Leipzig,
gef. 2p. März I9I8 bei Plessier in Frankreich.
2Z. März I9I8.
Ich habe die Freude, an einem Tage Dir schreiben zu können,
an dem ich dies für unmöglich hielt. Nun hat mein Feldleben
£C6
wieder eine andere Form. Ein Dach werde ich wohl nicht gleich
wieder über mir haben. Blicke von weiter Höhe, unabsehbar
marschierende Rolonnen, zerschossene Dörfer, verlassene eigene
und feindliche Gräben, Schlafen unter freiem Himmel, tags
oder nachts. In allem ein Gefühl, unsagbar mächtig: Du.
Dieses Gefühl hat eine große Distanz von allem. Es steht so
fern von diesem Treiben, diesem gewaltigen. Deshalb ist es auch
so herrlich beseligend.
Du weißt nun, daß die Offensive hier im Westen begonnen hat.
Und sie scheint bisher Erfolg gehabt zu haben. Nun ist alles
leicht zu ertragen, das, was ist und was noch kommt. Denn dies-
mal hoffen wir bei Erfolg auf Frieden, ein anderes scheint für
die Feinde nicht möglich.
Und dann kommt das freie Leben, das -Leben! Des wollen wir
dann aber froh sein! Und vielleicht segnen wir noch einmal
diese Iahre.
Ich weiß nicht, wann ich Dir wieder schreiben kann. Diese
Wochen halten wir noch aus. Und wenn ich auch nur ein Sol-
dat bin wie jeder andere, im ganzen werde ich unversehrt aus
diesem allen hervorgehen.
*
Reinhard Muth,
geb. 7.Dezember l8?5 in Einsiedel« (Schweiz),
gef. 22. März I9I8 in Urvillers.
21. März
Am Vorabend einer großen Zeitperiode, am Vorabend von
Stunden, die für die ganze Zukunft entscheidend sind. IVir sind
nicht bang, nein, wir sind voller Zuversicht, das Herz schlägt
höher. Ihr sollt Euch nicht grämen, wenn es kommen sollte,
wie wir nicht wünschen. Es gilt ja Euer aller Leben, das Leben
eines Volkes; was tut da ein einziges dagegen! Vielleicht bin
ich geboren, um in diesem Rampfe meine Lebensarbeit, meinen
Lebenszweck zu erfüllen. Das war dann auch des Erziehens
wert und der Tod ein stolzer ... Sterben ist nicht schwer, aber
die Stunden der Gefahr sind grausam bitter. Sie sind alle tap-
fer, meine Soldaren, die am meisten, denen das Herz am laute-
*07
sten hämmert, denn sie haben am meisten zu überwinden und in
sich niederzukämpfen. Mir ist es leicht ums Herz. Ich habe keine
Zeit, an mich zu denken. Mein Schicksal ist nur eines und nicht
drückend. Ich bin noch kaum fo ruhig in einen Rampf gegangen
wie in diesen bevorstehenden. Ich ginge am liebsten allein und
ließe alle meine Soldaten da hinten. Ich habe sie ja alle so gern,
die Menschen, wie auch immer sie sein mögen.
*
NikolausGchulenburg,
geb. 28. Mär; I890 in IVilhelmsburg, Rrs. Harburg.
Märzoffensive 2Z. März I9I8.
Ungefähr sieben Wochen wurden wir vorne herausgezogen und
kamen nach Thenelles bei Vrignv H km hinter St. (Quentin.
Diese Zeit wurde ausgenutzt durch große Gefechtsübungen.
Ging es in die Division, so dauerte oft die Übung von morgens
6 Uhr bis abends 6 Uhr ohne Essen. Es wurde zur großen
Offensive vorgeübt. Es hat manchen Tropfen Schweiß ge-
kostet, zumal es sehr warm war. Am l 5. März wurden wir mit
sechshundert Mann von jedem Regiment nach vorne komman-
diert zum Minenrragen, mittlere und schwere. Diese wurden per
Lore mir einem Pferd vor nach der dritten Linie gefahren, von
da nach der ersten Linie getragen. Es war eine schwere Arbeit,
da jeder eine Zentnermine dreiviertel Stunden weit tragen
mußte. Dieses dauerte vier Tage bis zum 18. März. Da wußten
wir schon Bescheid, daß es am 2l. März losgehen sollte. Am
19. Mär; sammelte sich das Regiment bei Marcy und ging in
Biwak über. Wir schliefen unter Zelten. Da wurden wir noch
einmal aufgefuttert, ;weimal warmes Essen, Rakao und Zucker
usw. Am 20. Mär; ging es abends mit vollem Gepäck seine
Decke wurde uns abgenommen) nach vorne. Vordem wurde uns
unser Auftrag noch einmal bekannt gegeben. IVir sind Eingreif-
division, mußten also den ersten Stoß machen. Es waren uns
12km vorgeschrieben, sollten vorstoßen bis Besancourt-le-
Grand. Dorr soll abends unsere Feldküche sein. Unser Regi-
menr war rechter Flügel der Division. Um 8 Uhr abends brachen
wir auf, um nach vorne ;u gehen. Unterwegs wurden wir noch
408
von feindlichen Fliegern mit Bomben beworfen, es war näm-
lich eine mondhelle VT<vcht. Sie richteten aber keinen Schaden
an. Es macht sich keiner ein Bild, wie die Chaussee überfüllt
war mit Truppen, Munitionskolonnen ufw. Unterwegs emp-
fing noch jeder zwei Nebelbomben. Diese dienen, um sich dem
Feinde unsichtbar zu machen. In der Stellung angekommen,
bezogen wir unsere Unterstände. Jeder konnte nur sitzen, denn
die Stellung war für diese Vlacht doppelt besetzt. Ms war die
Stellungsdivision und wir als Mingreifdivision vorne. An
Schlaf war nicht viel zu denken. Punkt 4.50 Uhr morgens fing
unsere Artillerie an zu trommeln. Es wurde die ersten drei
Stunden nur Gas geschossen. Unter dem Gas harren auch wir
viel zu leiden, denn es sammelte sich auch bei uns im Graben an.
Zeitweise mußten wir die Gasmaske aufsetzen. Um 8.4-0 Uhr
setzte alles ein, sämtliche Minenwerfer, Artillerie von jedem
Raliber bis zu 42 cm. Inzwischen war bei uns vorne der Draht
fortgeräumt, und das erste Bataillon legte sich vor den Graben.
Um 9 ASUbr war Vlullzeit und die Truppen gingen zum Srurm
vor. Das I. Bataillon fand noch Widerstand, und wir mußten
noch mit eingreifen. Dann ging das I. Bataillon weiter, und
wir mußten die Gräben nach den Seiten aufrollen, was unsere
eigentliche Arbeit war. Jede Rompanie barre vier Flammen-
werfer bei sich. Nun hieß es: Flammenwerfer vor, und die eng-
lischen Unterstände wurden ausgeräuchert, dabei machten wir
die ersten Gefangenen. Diese zitterten am ganzen Leibe. Ntrn
ging es unaufhaltsam vorwärts. Die nächsten Gräben wurden
aufgerollt, und wir kamen an die Eisenbahn. Dort Karren die
Engländer eine sogenannte Stollenkaserne in den Abhang ge-
trieben, davor waren 'wellblechhütten. Hier hatten sie ihre
Rüchen, Rantinen usw. Die Rüche wurde natürlich sofort ge»
stürmt. Da habe ich gestaunt, was der Engländer noch alles hat.
Der Ofen brannte noch, darauf schmorte noch Speck, davor lag
noch ein halber Ochse auf dem Tisch. In einer Riste waren noch
sogenannte deutsche Beefsteaks. Davon steckten wir uns den
Brotbeutel voll. Dann nahm sich noch jeder einige englische
eiserne Portionen, und es ging in die nächste Hütte, eine Ran-
tine. Hier fanden wir englische Zigaretten im Uberfluß. Jeder
zündete sich eine an, und mit Dampf ging es hinter dem Tommy
her. Die Gefangenen kamen uns nun schon zahlreicher mit er-
*09
hobenen Händen entgegengelaufen. wir waren in der Hiye
des Gefechts schon zu weit nach vorne gekommen, unsere Leuer-
welle der Artillerie war noch nicht weiter gesprungen, und wir
wären beinahe in unser Sperrfeuer gekommen. Y7wn schwenk-
ten wir rechts ab und stürmten das DorfGrugies. Am Ausgang
des Dorfes fanden wir noch ein Maschinengewehrnest. Wir
machten Anstalten, es zu nehmen, aber es war viel Drahrver-
hau davor, und es hätte viele Menschenleben gekoster. Es war
an dem Morgen sehr neblig, daher konnte die Artillerie uns
nicht helfen. Wir ließen es liegen und gingen weiter. Da kam
die dritte Hauprlinie der Engländer. Dieses war unsere letzte
Aufgabe für den Tag. Wir erledigten sie sehr schnell. Es hieß
weitere Befehle abwarten, wir lagen ein paar Stunden an
einem Abhang, neben uns ein kleines Lebensmirreldepor. Nun
wurde die Zeit wieder mit Futtern ausgefüllt. Zucker wurde eß-
löffelweise gegessen, dann der schöne Reke, Weißbrot, Corned-
beef usw. Inzwischen überholte unser III. Bataillon, welches so
lange hinten gewesen war, das I. Bataillon und ging in erster
Linie vor. Mit einem Mal bekamen wir Bescheid, dem III. Ba-
taillon zu Hilfe zu eilen, sie stießen auf zähen Widerstand, ja der
Engländer griff sogar an. Wir mußten nun durch das englische
Sperrfeuer durch, Flieger sauften in geringer Höhe über uns
weg und bewarfen uns mit Bomben und beschossen uns mit
Maschinengewehren. Am Nachmittag war nämlich die Sonne
durchgekommen. Wir kamen ganz gut durch und wollten die
Engländer einschließen, wie der Engländer uns sah, gab er ein
mörderisches Feuer auf uns ab, und mancher wurde getroffen.
Da bekam auch ich meinen Schuß, und ich mußte den Rückzug
antreten, wie ich nachher hörte, haben wir unseren Auftrag
voll und ganz erledigt.
*
Johannes Renk,
geb. 22.Januar 1894 in Hamburg.
Westen, 8. April lylS.
Am 16. März marschierten wir von unserem (Quartier in Bruay
ab. wegen der Flieger marschierten wir nur nachts. Am Morgen
*I<5
des 21.Mär; standen wir westlich von Cambrai vor der eng-
tischen Stellung zum Angriffbereit. Es herrschte dichter Hebel,
und es war kalt. Bereite seit 2Uhr morgens war unsere Ar-
tillerie in Tätigkeit. Morgens um 8.4-0 Uhr setzte unser Trommel-
feuer ein. Schuß auf Schuß krachte auf die englische Stellung
nieder. Wir schössen mit Gasgranaten. H«ch einer knappen
halben Stunde gingen wir im Sturmschritt vor und überrann-
ten die erste englische Stellung. Vvas noch Widerstand leistete,
wurde niedergemacht. Hier machten wir die ersten Gefangenen,
und es fielen uns eine Menge Lebensmittel in die Hände. Der
Engländer hatte alles im Stich gelassen bei seiner Flucht. IVir
haben da mal wieder richtig gelebt! A)ir hatten alles im über-
fluß und konnten nicht mal alles mitnehmen. Nun ging es
weiter, durch Hebel, Pulverdampfund Gasschwaden hindurch,
von der feindlichen Artillerie aufs heftigste beschossen. Hier
harren wir unsere ersten Verluste, einige Tote und Verwundete.
Doch immer geht es vorwärts, Verwundete kommen an uns
vorbei, zeitweise größere Trupps englischer Gefangener, alle
bleich, erzählen, daß unser Artilleriefeuer entsetzlich gewirkt hat.
Noch in den späten Abendstunden stürmten wir, von der Ar-
tillerie aufs kräftigste unterstützt, die englischen Widerstands-
Ihnen. Blutrot ist der Abendhimmel, überall unsere vorstürzen-
den Infanterielinien, gefolgt von Batterien, wohl ein er-
schreckender Anblick für den Feind.
Bereits am nächsten Tage überschritten wir den Somme-Ranal,
sind immer noch in vorderster Linie, es mehren sich unsere ver-
luste. Die englische Artillerie beschießt uns heftig und englische
Flieger bewerfen uns mit Bomben und schießen mir Maschinen-
gewehren. Zeitweise setzt sich der Feind fest, und dann muß wie-
der gestürmt werden, wobei wir viele Gefangene machen. Meh-
rere hundert Geschütze fielen uns in die Hände sowie eine große
Anzahl Tanks und Lebensmitteldepots. iLs geht rasch vor-
wärts, wir stürmen einige Dörfer wie Melancourt, Bray und
finden ungeheure Mengen von Bekleidungsstücken, Lebens-
mittel usw. vor. Am Vstersonntag kamen wir in zweite Linie,
das Gefecht war zum Stehen gekommen. Sitzen mit drei Mann
in einem Granattrichter, über uns spielen sich Luftkämpfe ab.
Alle paar Minuten stürzt ein Flugzeug brennend ab, meistens
feindliche. Die Flieger beschießen sich gegenseitig mit Maschinen-
m
gewehren, dazwischen playende Schrapnells, es ist ein unheim-
liches Getöse in der JLuft. Und hier unten um uns herum ein-
schlagende Granaten größten Ralibers. Solch ein Osterfest habe
ich noch nicht erlebt. Am Ostermontag liegen wir noch an der-
selben Stelle, es ist unmöglich, jetzt vorzugehen, ununterbrochen
rast das feindliche Artilleriefeuer. Und das schlimmste ist, es fing
noch an zu regnen, und in einem Augenblick sind wir naß bis
auf die Haut, so geht es einige Tage hindurch, immer im Regen,
"wir warten sehnsüchtig auf unsere Ablösung, wir sind total er-
schöpft vor Rälte, VWfje und Hunger und dabei immer im stärk-
sten Feuer. Endlich am Morgen des 7.April kam unsere Ab-
lösung, marschierten dann einige Rilometer zurück ins Dorf
Bruay, welches wir zuletzt gestürmt hatten. Hier haben wir
uns in einem früheren Gefangenenlager einquartiert, ein hüb-
sches Feuerchen gemacht und trocknen unsere Gumpen, denn
Rleidung kann man nicht sagen, alles klebt und starrt von gel-
bem Ü.ehm. — Donnerwetter, hier ist es besser wie draußen,
sitzen hier so schön unter Dach, seit drei Wochen haben wir kein
Dach mehr überm Ropf gehabt. IVenn man da jetzt so zurück-
denkt, dann wundert man sich, daß man alles so mitgemacht
hat, und daß man das alles so aushält.
27. April l?l8.
Erhielt gestern abend Eure beiden Briefe vom 17. und 20. und
Zeitung, gleichzeitig von Else einen Brief. Meinen herzlichen
Dank.
Der eine Brief trug den Vermerk: Zurück, verwundet, Laza-
rett. Das war ein versehen auf unserer Schreibstube, und ist
dies wieder gestrichen worden. Solltet Ihr Briefe zurückbekom-
men, so schickt sie ruhig wieder ab. In unserer Rompanie sind
so viele verwundet, gefallen und vermißt von den Rämpfen der
letzten Tage, daß hier noch keine Rlarheit herrscht. Eltern,
ich glaube, Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie ich mich
gefreut habe, als Eure Briefe kamen.
Inmitten des schwersten Artilleriefeuer« Post aus der Heimat,
es ist mir immer gerade so, als wenn Leiertag ist, und man wird
so ruhig. Jliebe Eltern, erstmal bin ich gesund und munter. Seit
fünf Tagen bin ich in Stellung in vorderster Linie, vor zwei
Tagen haben wir dem Franzmann seine Stellung gestürmt und
*12
sind zweihundert Meter vorgekommen. Nun sind wir in dem
Feind seiner früheren Stellung oder vielmehr Löcher. Mit zwei
bis vier Mann bewohnen wir nun ein Granarloch, sehen lassen
dürfen wir uns am Tage nicht, würden sonst schweres Artillerie-
feuer bekommen oder Maschinengewehrfeuer. lLrst spät abends
verlassen wir unseren Bau, um unser Essen, Post usw. zu holen.
Zur Feldküche müssen wir noch Iy2— Stunden gehen, und
von hier tragen wir die Verpflegung in Rubeln und sogenann-
ten Speiseträgern und Säcken in unsere Stellung.
An iLssen und Trinken haben wir reichlich, der Franzmann hat
uns genug zurückgelassen. Wir haben hier Weißbrot, Zwieback,
Fleischkonserven und Schokolade. Also hungern tun wir äugen-
blicklich nicht, außerdem bekommen wir täglich unsere ver-
pflegung: Mittagessen, aber bereits kalt, 750 g Brot, Dosen-
fleisch und Schmalz. Das iLssen können wir uns warm machen,
wir haben Hartspiritus in Dosen. In den leyten Tagen, Haupt-
sächlich gestern, haben wir den ganzen Tag schweres Artillerie-
feuer bekommen. Heute ist es ruhiger. Des Nachts schlafen wir
abwechselnd, zwei Mann wachen und zwei schlafen, 'wir hüllen
uns in unsere Zeltbahn und Decken, nun ist es nicht so kalt mehr,
es schläft sich herrlich draußen.
Nun, Ihr lieben Litern, will ich schließen. Morgen abend kom-
men wir in Ruhestellung.
*
L rw i n Trzebiatowsky,
geb. l4.I»li l8p5 in Dedeleben,
gest. 2£.Februar 1927 in Wellingsbüttel.
Rolberg, 23.März 8.
Schwester, — habe eine "Wut im Innern! Ich weiß mich kaum
mehr auszulassen vor schaumigem Ärger. Geahnt habe ich ja,
daß dieser Tag einmal kommen müßte, dieser Tag, der uns auf
den ersten Anhieb 40 000 Feinde und 4-00 Geschütze brachte,
was nur eitel Freude bedeuten kann; mir aber vor Augen führt,
daß ich zusehen muß, wenn andere an dem schönsten tLndstrauß
pflücken. Ja, wirklich schändlich, mein Pech! —
Meine Freude auf den kommenden Montag, den ich wie einen
m
Festtag herbeisehnte, weil an ihm mit der letzten Operation die
Heilung beschleunigt wird, ist ganz getrübt. Ich geb's aber
immer noch nicht auf, Anfang Juli Dich besuchen zu können,
mit andern Worten, wieder an die Front zu kommen, von
meiner Abteilung erhielt ich heute Nachricht. Zwei Beobachter
sind in den letzten Tagen im L.uftkampf gefallen. ¥7«ch mir
also vier des Todes — das läßt mich klar erkennen, daß auch ich
noch gebraucht werden kann.
Ich möchte Dir die Hand drücken und schweigen vor Freude
über das Buch. Wunderbare Gedanken! Und ich möchte sagen,
daß Vorleben Vorkämpfen bedeutet. Wie wenigen ist es heute
noch klar, daß sie kriegsfreiwillig sein müßten, heute wie ehe-
dem lpl£.
Fritz Perner,
geb. 25. Dezember 1893 in Plauen im vogtl.
gef. Z. Mai l$>l$ im Westen im Luftkampf.
30. März IS abends,
"wieder liegen zwei Feindflüge hinter mir; der eine am 28. März
forderte taktische V7ahaufklärung und Artillerie-Feuerüber-
wachung. Bei Dämmerung startete ich, die Auspufftöpfe des
Motors glühten noch feuerrot, als wir feindwärts stiegen.
Unser Artilleriefeuer lag gut; rot lagen die englischen Gräben
unter mir; nervös feuerte ein englischer Flak. Singend winkte
ich meinen Führer «tiefer» ein, flog zurück, warf Meldung ab
und stob wieder feindwärts. Tiefer, tiefer senkte sich unser ge-
wandter Vogel nieder; unsere Infanterie stellte sich zum Sturm
bereit. Noch sieben Minuten bis zum Sturm, £00 m zeigte der
Höhenmesser, — im Augenblick des Sturmes wollte ich zwischen
die Engländer fahren, Noch fünf Minuten. — Wie Hansens
weiße Zähne funkelten! Da, ein Stottern im Motor. Hansen
wendete sofort ostwärts, und dann eine rote Flamme und
(Qualm. Mein Führer war sofort Herr der Lage und des Bran-
des. Hoch dreimal versuchten wir, Gas zu geben. Immer wie-
der schlug die Zündung im Zylinder zum Vergaser durch. An der
Grenze zwischen Trichterfeld und grünem Land sprang die
W
Maschine noch über ein Hindernis und einen Graben hinweg,
dann schlug sie schief auf, bäumte sich hoch und brach zusammen.
Tor unser schöner, uns durch manchen Feindflug teuer geworde-
ner Vogel. — Das war mein erster Bruch. Heute vormittag
(30. März Ostersonnabend) startete ich mir der Maschine eines
andern und mit einem Schuyflugzeug zum Fotografieren.
Steifer West hob uns schnell hoch empor; auf einen verdäch-
tigen Engländer stieß unser Schuyflieger zu. Schnell ver-
schwand jener in den Wolfen. Weiß mit zerschlissenen Rändern
huschten Wolken unter uns. Wieder sang ich inmitten verbellen-
den, prasselnden Flakschüsse. Wunderbar ruhig machte mich das
Lied «Rüssel dir ein -Cüftelein ». Da sah ich viermal das Mün-
dungsfeuer der Zitadelle von Arras aufblitzen und zeichnete es
meiner Rarte ein — «Wangen oder Hände» — Wo! Wo!
Rrrach!! Bum! dröhnte es um mich. Ich winkte meinen Füh-
rer in die Fotorichtung — «Denke, daß es Seufzer sein» — erste
Aufnahme — «die ich» — Flak bellt dazwischen, plattenwechsel
— «zu dir sende » — zweite Aufnahme. — Vierundzwanzig Auf-
nahmen habe ich so gemacht, zwanzig jenseits der ersten feind-
lichen Stellung. Davon sind eine Platte zweimal, eine gar nicht
belichtet; also zweiundzwanzig gut. Dreimal mußte ich anflie-
gen, weil der Flak zu gut saß und wir ihm mir Rurven manchen
Haken schlagen mußten. Während all dem wird Himmel und
Erde und Maschine überwacht. Zwei Treffer harre ich im Rumpf
der Maschine am Moror. Früher war ich von allem so in An-
spruch genommen, daß ich nicht dazu kam, an Dich zu denken,
aber jetzt lache ich oft und denke «Gertrud». Glicht liebkosend,
sondern froh, als solltest Du Dich mit mir freuen. —
Soweit ich die Vorgänge hier beurteilen kann, ist nach dem
herrlichen Auftakt der letzten Schlachtentage eine Umgruppie-
rung im Gange. Ob auch wir wieder wandern, weiß ich noch
nicht. Post haben wir seit acht Tagen nicht mehr. Hoffentlich
kommt bald welche, auch von Dir.
Es osterr! vor ein paar Tagen war es warm und lind. Frühe
Rnospen sprangen auf, Amseln flöteten, Rotkehlchen jubelten,
Lerchen stiegen singend ins Blau. Da Hab' ich oft an Ostern
I916 gedacht, mit großer, tiefer Dankbarkeit und Freude. Auch
heute ist Ostern in mir, troydem es draußen regnet und stürmt.
Ich lese im Faust «vom Eise befreit sind Strom und Bäche».
«5
iütne tiefe, starke, schöne Zukunftshoffnung läßt mich im In«
nersten froh fein, so sehr sich auch öfters der Alltag dagegen
stemmt. Ich glaube an deutsche Ostern. Rommt sie bald oder
kommt sie später, ich glaube an sie.
3. April I9I8.
Ich weiß wirklich nicht, ob ich auf dem Fotoauftrag bestehen
soll, oder ob ich verzichte. Gestern ereignere sich folgendes: Ich
wollte, um mit den Bildern von Leutnant Müller gleiche Maße
zu haben, wie er in £200 m fotografieren, und schraubte mich
über den Hafen von Douai hoch. Einzelne dicke IVolken be-
hinderten stellen« und zeitweise die im übrigen klare Sicht. In
2500 m erkannte ich von D. aus viele Flakschüsse über und
dachte, da scheint heute Betrieb zu sein. Erwas weniger ange-
strengt als an der Front suchte ich zwischen L und D. den Him-
mel ab, erfolglos. 3000 m hoch über G. brachte mich ein Flak-
schuß doch sehr zum Staunen. Ich suchte und suchte, ohne feind-
liche Flieger zu sehen, seitlich, unter und hinter mir. Ale ich
3200 m hoch noch östlich B. nach oben sehe, setzten eben fünf
feindliche Einsiyer zum Niederstoßen auf mich an. Eine tolle
Schießerei begann, Hansen schoß vorn, ich hinten, und einmal
griffen zwei Engländer gleichzeitig an mir je 2 M.-G. Der eine
versuchte, mir von hinten unten zu kommen an unsere wehr-
lose Stelle. Während ich mein M.-G. auf ihn rasseln ließ, klappte
unser Seitensteuer um, sein Rabel war zerschossen. Mir schoß
der Gedanke durch den Ropf: «Hansen wird den Rahn schon
halten, und wenn ich abgehe, geht einer von Euch Engländern
mir». Ich zielte noch besser, beseitigte zwei Ladestörungen in
«fliegender Eile» und schoß weiter, mich mir allen gespannten
Muskeln in meinen Sitz festklammernd, damit ich bei dem Rur-
venwirbel, den Hansen losließ, nicht samr M.-G. herausflog.
Hansen landete troy des fehlenden Seitensteuers glatt dicht beim
Hafen, von wo aus unsere Leute den ganzen Rampf beobachtet
harren. IVir zogen ein neues Rabel ein und flogen nach Hause.
Mehr als fünfzehn Treffer haben wir in der Maschine, einen
durch den Moror. Die Lehre wollen wir uns merken und auch
weit drinnen über eigenem Gebier keinen Augenblick aufhören,
wie Habichte zu äugen. Ich bin nicht bös, daß heure Flieger-
werter und kein Flugwetter ist. Hansen und mich wird dies Er-
*16
leben noch fester vereinen; er hat sein redlich Teil zu unserem
Heildavonkommen beigetragen, und ich glaube, er kann das-
selbe von mir auch sagen. Im Grunde bedeutet dieser Rampf
ein Festigen des beiderseitigen und gegenseitigen Vertrauens.
Reiner hat, auch nicht in den gefährlichsten Augenblicken, den
Ropf verloren, sondern alles getan, was nur getan werden
konnte. So denkt und spricht mein Verstand. Ich weiß Äber
troydem, daß ich mein Lieben nach diesem Rampfeiner höheren
Fügung verdanke.
Ich schwankte zuerst, ob ich von diesem vierzehnten Feindflug
berichten sollte oder nicht, denn ich weiß, er bringt Dir Sorge
und Unruhe. Ich habe mich dahin entschieden, Dich alles wissen
zu lassen, wie ich es seit jeher getan habe.
Der Gedanke an Dich wird mir nie ein Hemmschuh sein. Du be-
deutest für mein Leben und Tun eine Steigerung, eine unver-
gleichliche Trieb- und Siegkraft.
Durch -Leistungen will ich um Dich werben, Deine Liebe jeden
Tag erneut verdienen.
*
Gustav Röhn,
geb. 27.Oktober 1879 in Berlin,
gef. August 1918 in Frankreich.
Int Felde, 30. April I9I8.
Ob es in diesen Tagen noch zum Schluß kommt, das mögen die
Götter, wenn es welche gibt, wissen. Ich glaube nicht allzu fest
daran. Ich glaube überhaupt an nichts mehr, sondern döse
immer noch von einem Tag in den andern, mich manchmal fra-
gend, ob der Mist überhaupt noch mal ein Ende nehmen wird?
*
AugustVberer,
geb. 27. August 1893 in Vaihingerhof, G. A. Rottweil/Neckar,
gef. II. Juni IyI8 an der Somme.
15. April 1918.
Ununterbrochen tobt der Riesenkampf hin und her, Moreuil,
Avre. Ununterbrochen jede Sekunde, jede Minute, Tag und
27 D. d. es. 517
rfcwfrt gilt es, von neuem fein Leben einzusetzen. Mein Ba-
taillonskommandeur hat mir eine viertägige Ruhe gewährt, da
mein Zug aufgelöst ist, tot, verwundet und krank. Ich stand
heute morgen um lo Uhr an einem trüben, kühlen Sonntag-
morgen am Grabe von vier jungen Regimentskameraden.
Neben uns schaufeln sechs braunverbrannte Männer ein
Massengrab für fünfzehn Mann, die alle schon ausgerichtet
starr daneben liegen. Vorne donnern unaufhörlich Tausende
Geschütze, um dem neuangelegten Soldatenfriedhof neue Nah-
rung zu schaffen. lLs tönt wie Sterbegeläut. Das hier sind nur
solche Toten, die auf dem Verbandsplay infolge von schwerer
Verwundung gestorben sind. Die vielen Rameraden, die vorne
sterben, bleiben vorläufig liegen. Oder liegen sie an einem pläy-
chen, wo nur vorübergehend das Leuer lag, da werden sie rasch
auf derselben Stelle beerdigt. Min kleines aus zwei Holzstäbchen
verfertigtes Rreuzchen weist auf die Ruhestätte, "wenn man das
Grab genauer ansiehr, findet man in der lockeren lLrde eine um-
gekehrte Flasche stecken, in der sich ein vom Rompanieführer
geschriebenes Briefchen befindet, mit Namen und Personalien
des Verstorbenen. Ü?enn dann später der Rampf ruht oder
weiter vorgetragen ist, bekommt das Grab ein Areuz mit Na-
men oder der Betreffende wird ausgegraben und in einen Helden-
friedhof zu seinen Rameraden gelegt.
Ein kurzer Rundgang über das Schlachtfeld: Arft müssen wir
beim Dorf 23. das Avre-Llüßchen überschreiten. Hier sieht es
wohl am schlimmsten aus. Jede Minute heult eine schwere, fran-
zösische Granate daher und schlägt mit einem höllischen Rrachen
auf oder neben der Brücke ein. IVir können hier nur im schnell-
sten Marsch-marsch hinübergehen, aber es genügt, um die Ver-
heerungen eines schweren steten Leuers mit anzusehen. Vor
allem fallen uns rechts und links der Straße die unzähligen
Pferdeleichen auf, zu denen täglich neue kommen. Munitions-
wagen, Feldküchen, Geschütze, Proyen oft mit völligen Ge-
spannen liegen in wildem Durcheinander rechts und links der
Straße. Da und dort sehen wir aber auch einen Menschen liegen,
oft so tief im Schmuy, daß man ihn nur an den Umrissen als
Menschen erkennt. Da und dort liegt ein Arm oder ein Bein,
dessen Besitzer vielleicht schon geborgen im warmen Lazarett-
bett liegt. Wohl ihm, daß er noch so weggekommen ist. Glücklich
HS
haben wir die gefährliche Stelle überschritten, um nun in die
eigentliche Leuerzone einzutreten, in der wir kein Plätzchen fin-
den, wo nicht schon ein Granatloch ist. "wir sind nun auch keine
Sekunde mehr gewiß, ob nicht eine schwere oder leichte Granate
neben uns einschlägt. Für jeden Lall wollen wir von jetzt ab die
Straße meiden, denn sie liegt unter ständigem Leuer, und die
Splitterwirkung ist wahnsinnig auf einer harten Straße. IVir
kommen durch einzelnes schwaches Leuer hindurch auch glück-
lich an das Lager unseres Reservebataillons, ein Laubwald-
chen. Daß auch hier die feindlichen Granaten nicht ausbleiben,
sehen wir schon von Lerne an den zahlreich umgeknickten und
abgerissenen Bäumen und Ästen. Beim Mintritt in den Wald
stoßen wir auf metertiefe, längliche Löcher. In den meisten
sehen wir einen gut mit Zelttuch zugedeckten schlafenden Leld-
grauen. Da und dort sitzt einer auf einem abgeschossenen Baum-
stamm und schreibt auf den Rnien einen Brief oder einen
Rartengruß. In einem anderen etwas größeren Loch sitzen
zwei Offiziere und rauchen plauderndem Pfeifchen. Sehr zweck-
mäßig sind die kleinen Löcher zur Unterkunft; tiefe Unterstände
gibt es nicht, und in den kleinen Löchern ist jeder sicher vor
Splittern. Wen« mal eine Granate als Volltreffer in solches
Loch fällt, dann ist wenigstens nur ein Mann verloren. Etwa
800—looom vorn liegt das gleiche "Wäldchen, nun hören wir
ein stärkeres und rascheres Einschlagen der Granaten. Dorr
liegen die Bereitschaftstruppen. Bald zeigt es sich auch, daß wir
schon allmählich in ein dichtes konzentrisches Leuer geraten.
Aus allen Teilen des Wäldchens springen verzweifelte Soldaten
und flüchten nach allen Richtungen, teils kommen sie ohne Ge-
wehr, unumgeschnallt, manche ganz kopflos, sogar ohne Gas-
maske. Eben ertönt wieder ein donnerndes Geheul und ein
dröhnendes Rrachen im "Wäldchen. IVir hören Schreie: «Rran-
kenträger, Rrankenträger!» Im "Wäldchen sehen wir bereits
eine ganze Gruppe beieinander stehen. Größte Hochachtung vor
unseren Rrankenträgern, sie kümmern sich um keine Gefahr
mehr, wenn es gilt, anderen zu helfen. Vlun bleibt uns noch
der letzte und gefahrvollste Rest des "Weges, der "Weg durch die
sogenannte Sperrfeuerzone in die vordere Linie. Daß es der
gefahrvollste ist, zeigen die vielen herumliegenden Leichen. Der
ganze "weg, überhaupt die ganze Zone liegt stets in dichtem
27« £19
Pulverdampf. Wo man hinsieht, überall Einschläge, man kann
nicht ausweichen. Wenn man nach vorne will, heißt es, einfach
planlos und wahllos, auf gut Glück rechnend, hindurch;»-
laufen. Bis in die vordere -Linie sind wir nun glücklich gelangt.
Hier fällt einem die große Ruhe auf. Natürlich ist es nur nachts
möglich, in die vordere Linie zu gelangen. Granaten gehen hoch
über den Röpsen weg, nur manchmal pfeift einem eine tückische
feindliche Gewehrkugel am Ohr vorbei. Im übrigen können
wir im Dunkeln auch wieder einige Löcher feststellen, etwa alle
2 m. Wie ein Luchs steht der Soldat im Anschlag, sein Auge
durch die Dunkelheit hindurchbohrend, daß es keiner Raye ge-
lingen soll, sich heranzuschleichen. So wacht der Mann drei
Tage und drei Nächte lang, alle Nerven bis aufs äußerste ge-
spannt, bis der Feind zum Sturm losbricht. Dann löst sich die
Erstarrung und knatternd senden wir das tödliche Blei unfern»
Bedränger entgegen. Hoffentlich geht es auch bei uns bald wie-
der vorwärts.
*
Hans v. Ruckteschell,
geb. 25. August 1892 in Hamburg,
gef. 29. April lplS am Remmel.
28. April 1918.
Das «unbeschreiblich Große», das ich Dir angekündigt, ist am
25. in seiner ganzen Wucht eingetreten — über alles Verstehen
herrlich, und ich habe es überleben dürfen. Die p. Rompa-
nie, mal wieder in vorderster Linie, erntete in heißem Groß-
kämpf den durchschlagendsten Erfolg, kämpfte sich durch wüstes
Schlachtengewirr, brach als erste hindurch und hat Engländer
und Franzosen geschlagen, niedergemäht, vor sich hergetrieben,
zerrissen und zerfetzt. Die Leute übertrafen meine kühnsten Hoff-
nungen, daß ich mich geschämt, zu wenig an sie geglaubt zu
haben. — Fünf Stunden fortgesetzte Rämpfe und Angriffe und
dann nur deshalb Halt, weil's Befehl war. Ich sprach vorher
mit meinen Leuten, die ich zugweise versammelte am Abend
vor dem Sturm, und sagte ihnen, was unser wartet, in aller
Schärfe und suchte jede Furcht und Halbherzigkeit zu bannen —
den ganzen Inhalt meines Glaubens an den Gott der furcht-
520
losen und vertrauenden Rinder, der gerade dann am stärksten
in uns zu wirken pflegt, wenn wir äußerlich zertrümmern.
Und was glaubst Du? Ihre Augen leuchteten, als es tags dar-
auf losging nach einer V7acht voll iLnrseyen rundum. Die bei-
den ersten Züge gingen mir radikal durch und stürmten eine
Stellung nach der andern. lLine Stunde lang ohne jeden Be-
fehl von mir aus, bis hin zu dem berühmten Angriffsziel. Wenn
Hindenburg will, geht es weiter. Ich bin voll Stolz und Dank.
*
Hans Wolf, unbekannt.
8. April I9I8.
Diese Weihnachten sind wir schön beschenkt worden von der Ge-
fangenenfürsorge für deutsche Rriegsgefangene in France, heißt
«Pro Caprivis», Bern. Auch diese Sachen kamen spät an, aber
das tut nichts. Es war doch gekommen. Man sieht daraus, daß in
der Heimat immer noch an uns gedacht wird, und das tut einem
wohl, verlassen habe ich mich selten gefühlt, haben wir hier
doch denselben Himmel über uns, dieselben Sterne, denselben
Mond, so denke ich, das sehen doch deine sieben auch zu Hause.
*
Adolf Ohl,
geb. 27. August l8p2 in Vilbel,
gef. 4. Mai 19 J 8 am Remmel.
25. April I9I8.
Der Remmel ist unser Z Durften glücklich auch mit dabei sein.
— Geht gleich wieder hinter dem Tommy und Franzmann her,
die sich hier Gesellschaft leisten.
*. Mai I9I8.
«Und wenn der Flieder blüht, sehn wir uns wieder», sang man
früher. Aber es wird doch wohl etwas später werden. Gott
gebe, daß ich weiterhin so gesund und munter bleibe.
*
*21
Heinrich Heim,
geb. lZ. April 1885 in Frankfurt/M.
Am Remmel, 2. Mai I9IS.
Morgens 5 Uhr Ablösung: Rückwärts an brennenden Hau-
fern, stürzenden Bäumen, einschlagenden Granaten, feuern-
den Geschützen vorbei, über Menschen- und Pferdeleichen,
durch atemraubenden (Qualm und Gestank bis zum Hohl-
weg, wo wir gestern waren. Hier unser Gepäck auf und
nichts wie raus aus dieser ungesunden Gegend. Vir müs-
sen noch oft einschlagenden Granaten ausweichen, aber jeder
Schritt macht die Entfernung aus dieser Hölle größer. Ge-
gen 9 Uhr sind wir an der Ferme, die wir am 25. verließen.
Hier wird gegessen, die Füße verbunden, dann weiter nach
Armentieres. Es ist ein herrlicher Maimorgen, und trotz
Mord und Graus singen die Lerchen, und trotz Feuer und
Elend blühen die Blumen, aber es ist schwer, an sowas
zu denken, wenn wir auch langsam in Gegenden kommen,
in der für unser kostbares Fell keine Gefahr mehr ist.
Rechts und links der Straße sind frische Soldatengräber.
Alles ist verwüstet und verbrannt. Als wir in Armentieres
einmarschierten, ein Bataillon zu 55 Mann, ein Arzt, und
zwei Offiziere, läuteten die Glocken, aber nicht für uns, Flie-
geralarm.
*
Fritz Räding,
geb. 7.November 1893 in Brietzig.
17. April 1918-
Hier ist alle Tage Frühlingswetter, die vöglein singen so schön,
und die Bäume fangen an zu blühen, daß man singen kann:
«Die Bäume stehen voller Laub, das Erdreich decket seinen
Staub mit einem grünen Rleide.» Sonst ist ja hier nichts Neues
geschehen.
*
522
Fritz Brunzlow,
geb. 28. Juni 1897 in M.-Gladbach,
vermißt 20.Juli I9I8 bei Reims.
10. April 1918, II Uhr abends.
Endlich komme ich dazu, Euch etwas ausführlicher zu schreiben.
Ich hatte entsetzlich zu tun. Am ZI. März rückten wir in Stel-
lung, am 2. bezog ich einen feudalen Stollen. Am Z. war hinten
Gasschuyoffiziersbesprechung. Am *. hatte ich schon zu lange
meinen schönen Stollen bewohnt und mußte einige hundert
Meter östlich einen neuen miserablen Abschnitt übernehmen.
In meinem neuen Stollen wurde ich am 5. April zwei Stunden
lang mit etwa hundert Schuß 18 cm Granaten beschossen. Ich
schlief gerade und war sehr ärgerlich, daß meine wohlverdiente
Ruhe so gestört wurde, nach einer halben Stunde gab ich das
Schlafen auf. Aber da alle Sach mal ein iLnd hat, der Rrieg
auch, so hörte auch das Schießen auf. Die Verwüstung draußen
war fürchterlich und setzte beinahe einen alten Rrieger in
Staunen. Bis auf Materialschaden gab's keine Verluste. Die
größte Freude machte mir dabei, daß mehrere ungelesene Ba-
taillonsbefehle vernichtet wurden. Der Papierkrieg wird täglich
fürchterlicher. Am 8. ging's in Bereitschaft, eine vollkommen
unfertige, verdreckte und neu eingerichtete Stellung, überall
gab's wahnsinnige Arbeit. Urkunden in diesem zerklüfteten
Trichterfeld ist keine Rleinigkeit. Da muß man die ganze flacht
auf den Beinen sein. Am Tage gilt es dann, die vielen schrift-
lichen Arbeiten zu erledigen. Gasschutz, Rriegsanleihe ver-
Ursachen mir noch vermehrte Arbeit. Wenn wir doch nur
an der Offensive teilnehmen könnten, da gäb's doch wenig-
stens vernünftige Arbeit, was auch Spaß macht. So kann
man weiter nichts tun, als sich an den herrlichen Erfolgen
erfreuen und auf Zeiten hoffen, wo der Franzmann vor verdun
retiriert, dann aber feste hinter her, hoffentlich läßt er sich
in diesem Dreckhaufen nicht belagern, anglotzen kann man
das Nest täglich. Bei klarem Wetter liegt es zum Ergreifen
vor einem, man sieht die Züge ein- and ausfahren. Aber
ärgern tun wir den Bruder oft, davon spricht der Heeres-
bericht.
m
31. Mai I?18 abends.
Unaufhörlich geht es vorwärts. Es ist eine Lust, Soldat zu fein.
Ein ungeahnter Erfolg ist uns beschieden. Mir geht es vorzüg-
lich.
Wenn die Offensive so flott weitergeht, nähern wir uns rapide
dem Frieden. Es ist bereits l. Juni vormittags. Ich liege in
einem Erdloch, in nicht zu weiter Entfernung tobt die Schlacht.
Es geht vorwärts dem Siege zu.
*
Albert Sagewitz,
geb. 12. November 1876 in Wählitz bei Weißenfels.
S.Mai J9I8.
Die letzten Vorbereitungen waren schnell getroffen, und mit
Spannung und Erregung wartete ein jeder des Zeichens zum Be-
ginn des Schießens. Es war sehr still, nur vereinzelt hin und
wieder fiel in der Ferne ein Schuß und weckte ein dumpf grollen-
des Echo, als ob die Natur im Schlafe sich rege und dann und
wann einen Laut des brummenden Wohlbehagens von sich
gäbe. Das war die Stille vor dem Sturm. — Die Geschütze
waren geladen und auf ihr Ziel eingerichtet. Da mit einem Mal
das Rommando: «Alles fertig?»— «Alles fertig!», lautet die
Antwort. Ein Rrachen, ein Donnern, ein Blitzen und Leuchten,
daß man nicht mehr wußte, woher und wohin. Man war wie
geblendet und betäubt, so urplötzlich setzte die Ranonade ein, und
wir? Wir taten mir. Jetzt gab es keine Zeit mehr, sich um- und
aufzugucken. Immer laden und schießen. So mochte ungefähr
eine Stunde vergangen sein. Der Morgen dämmerte, es wurde
lichter ringsum, und die Arbeiten verrichteten sich nun schon
schneller und besser, denn bei Tage ist es doch besser hantieren
als im Dunkeln bei Nacht. —
Jetzt gewinnt man einen kleinen Überblick. Unsere Rohre sind
glühend heiß. «Etwas langsamer feuern», ist das nächste Rom-
mando. Man kann sich mal umsehen. Wir stehen vorn. Rechts
vorwärts l oo m vielleicht steht noch eine Batterie, am weitesten
vorn. Dann kommen wir. -Links neben uns Batterien, rechts
Batterien, und hinter uns blitzt es aus Hunderten von Rohren.
m
Die Erde im Rreise um uns rum speit Feuer und verderben.
Sprechen miteinander können wir nicht mehr, denn es hört
keiner. Alle Rommandos werden schriftlich auf Zetteln gegeben.
In den Ohren zischt es und braust es, man fühlt den Ropf gar
nicht. Die Erde zittert und dröhnt vom Abschuß und tAn-
schlag. —
Doch was ist das? Hebel. Der scheint aus dem Erdboden zu
kommen, es wird trüber und trüber, wir sehen einander fast nicht.
Die Augen fangen an zu schmerzen und zu tränen. iLs zwickt
einem in der Hase. Gas! — Miner brüllt es dem andern in die
Ohren. — Gas! Alles greift nach der Gasmaske. V, dieses hin-
terlistige Instrument! Alle Verrichtungen werden beschwerlicher
mit der Maske. Das Luftholen wird schlechter, man sieht nicht
mehr so gut, und dazu wird der Hebel immer dichter und dichter.
Raum ist der Richtpunkt noch zu sehen. Das feindliche Leuer
wird stärker. Herrgott, steh uns bei! Die Gasmaske ist mir im
Wege, ich reiße sie ab, aber o weh! Ohne Gasmaske ist nicht zu
arbeiten. Schnell habe ich sie wieder vors Gesicht gezogen.
«Schießen, weiter schießen.» Rumm, nimm, weiter heulen und
sausen die Granaten und Schrapnells, Tod und verderben
bringend, nach der feindlichen Seite. Mit der Zeit geht es auch
besser mit der Gasmaske. A?ohl geht das Atmen schwerer und
drückt auf die Brust, doch sie ist nicht mehr so hinderlich, auch
das Sehen geht besser und vor allen Dingen, sie gewährt Schutz
gegen die bösen Gase. Mit derZeit hat man sich daran gewöhnt,
und siehe da, es geht ganz gut.
Die Hebel lichten sich, es wird wieder Heller. — Bub, bub, bub,
was ist das? Einer sieht den andern an. Da geht es auch schon
neben uns rat, tat, tat. Ein feindlicher Flieger. Hoch ist der
Hebel zu dicht, der Flieger ist kaum zu sehen. Doch sein Maschi-
nengewehr mit dem bub, bub, bub tönt noch immer über uns.
Unser Maschinengewehr antwortet ihm. Bald fallen sämtliche
Maschinengewehre der übrigen Batterien mir ihrem tak, tak,
tak ein. Das Ronzerr klingt wie Trommelwirbel und Pauken-
schlag ohne Rhythmus und ohne jeden Takt.—Schießen, laden,
schießen, immer weiter schießen. Bald verstummen die Maschi-
nengewehre. Der Flieger ist verschwunden. Der Hebel weicht
immer mehr. Jetzt kommt die Sonne durch. Ringsum wird es
wieder licht und hell. Das Gas verzieht sich. Gasmaske runter
m
und voll und tief holen die Zungen -Luft, schöne frische Früh-
lingsluft. Da vorne geht jetzt die Infanterie vor, über Gräben,
über Höhen, immer vorwärts. Von rechts, von links, von hinten,
alles geht nach vorn, Artillerie folgt. Mein Gott, wo kommen
die vielen Menschen alle her? Die reinste Völkerwanderung, die
Berge und Täler sind voll, schwarz voll von Menschen, Pferden,
Ranonen und Wagen. Alles ergießt sich wie ein breiter Strom
nach vorne. Nur wir bleiben, und immer wieder heißt es:
«Schießen, laden, schießen.»
Überall regt es sich, alles zieht nach vorn. Aber nicht bloß
um uns, auch über uns. Da sind unsere Flieger, acht, zehn,
zwölf, nein fünfzehn und noch mehr, alles geht feindwärts.
Rein feindlicher Flieger ist mehr zu sehen. VZoch bis in die
Vlacht hinein fallen ab und zu schwere Granaten in unsere
Stellung. Da endlich kommt das langersehnte Rommando
«Feuerpause».
*
Wilhelm Böcher,
geb. 29.Januar 1898 in Ruppertsburg/Oberhessen.
9. Mai
Himmelfahrtstag ist heute! Sonnenschein lacht über die Fluren.
Ein herrlicher Maitag, wie man ihn sich nicht schöner wünschen
kann. Unaufhaltsam schreitet die Weltgeschichte voran, ohne zu
fragen nach dem Schicksal des einzelnen Erdenbürgers. Gar
manches Menschenglück wird geknickt und gebrochen. Wenn
man das so sieht, wie wir hier draußen es Tag für Tag erleben,
so könnte man verzweifeln; aber dazu sind wir nicht auf Erden,
daß wir, wenn es hart hergeht, gleich alles aufgeben. Mag
kommen, was will, einmal muß auch diese Zeit ein Ende
nehmen.
Wie mancher liebe Ramerad hat Abschied von uns genommen.
Jeden Tag gehen eine Anzahl Verwundete und Rranke zurück,
auch manche hat der Rampf mit hinübergenommen. Unsere
kleine Schar hält aber desto mehr zusammen. Ihr könnt es
glauben, hier verschwinden alle Unterschiede, die sonst die Men-
schen trennen; denn vor den Äugeln sind alle gleich, einerlei ob
526
Offizier oder Mannschaften. Da leben wir einträchtig bei-
sammen; jeder nimmt teil an dem Ergehen des anderen.
*
Eugen Carle,
geb. 25. November 1895 in Herrenberg/N>ürttemberg,
gef. 27.Mai 1918 am Chemin des Dames.
22. Mai 1918.
Ich habe lange geschwiegen und wohl noch länger wird es
dauern, bis Nachricht von mir wieder zu Euch kommen wird,
da die Post ja doch aufgehalten wird, "wir haben uns nun aus-
geruht und vorbereitet. Auf was 7 Der Tagesbericht wird längst
davon erzählt haben, wenn Ihr diesen Brief habt. Der End-
spurt im IVeltenkampf. Hoffentlich bringt er den Sieg und ein
endliches Wiedersehen.
IVie vor drei Jahren wird es auch diesmal ein frohes sieghaftes
Stürmen werden, wohl gegen die Franzosen. Nach Süden geht
unser Stoß. Daraus mögt Ihr dann ersehen, wo wir kämpften,
für den Lall, daß wir ausnahmsweise nicht erwähnt würden,
ich meine im Tagesbericht, da wir eine der wichtigsten Aufgaben
zu lösen haben und aller Augen mit den größten Erwartungen
auf uns ruhen. Unser alter IVaffenruhm ging uns voran. —
°wir wollen uns nicht lumpen lassen. — Post kam bis jetzt leider
keine mehr, und wir werden wohl noch länger warten müssen,
da wir morgen losmarschieren, unserem Bestimmungsort zu.
Mir geht's sehr gut, ich führe seit einigen Tagen den zweiten
Zug. Gepäck nehmen wir diesmal fast keines mit, alles wird zu-
rückgelassen, sodaß wir umso besser und rascher stürmen können.
*
Fritz Hoßfeld,
geb. 5. Oktober 1898 in Dresden,
gef. 18. Juni I9l8 bei Soissons.
Vor Soissons, Z l. Mai 1918.
Die lange und bis ins kleinste vorbereitete Offensive hat in der
Nacht vom 26. zum 27. Mai mit heftigstem Trommelfeuer zahl«
*27
loser Batterien begonnen. Früh 8 % Uhr war unsere Artillerie-
vorbreitung zu Ende, und bereits nach Mittag gingen unsere
Batterien als erste des Bataillons vor. Jetzt sind wir schon weit
über den Damenweg hinaus. Ich sitze jeyt auf Beobachtung
auf einem Berg mit herrlicher Rundsicht. Zu meinen Füßen in
wunderbarem Sonnenschein die Aisne-Landschaft und Sois-
sons, das der Franzmann seit % Stunde mit Brandgranaten
befunkt. Die halbe Stadt ist in <Qualm gehüllt. Der Feind scheint
seine Absicht, die Vorratsspeicher von Soissons zu vernichten,
gut zu erreichen. Eben muß er wieder einen Speicher getroffen
haben. Große Flammen leuchten weithin sichtbar auf, und
dicker (Qualm lagert über dem ganzen Stadtviertel. Jeyt scheint
der Franzmann auch aufzuhören. Er hat seinen Zweck erreicht
und das Magazin nach dreiviertel Stunden endlich in Brand
geschossen.
2. Juni 1918.
So ein Vormarsch hat mit seinem fortreißenden Schwung
seinen eigenen Reiz. IVir hoffen alle, daß unsere Heereslei-
tung jeyt wirklich den leyten entscheidenden Schlag führt,
der uns zu einem endgültigen Siege führt und den Frieden
erzwingt.
*
Heinrich Zellner,
geb. 21.Februar 1886 in Dt.Meinersdorf, Ars. Teltow.
pernant bei Soissons, Juni 19 J 8.
In der Durchbruchsschlacht am Chemin des Dames habe ich
kräftig mitgewirkt; die Organisation des Riesenapparates dort
ist das Größte, was ich je gesehen habe. Diese Masse von Men-
schen und Tieren von einem Millen geleitet, pünktlich zur Ge-
künde setzte sich diese Riesenmaschine in Bewegung, und da gab
es natürlich keinen Widerstand. Auf je eine feindliche Batterie
waren vier von den unsrigen eingesetzt, die sie mit einem furcht-
baren Gasfeuer niederhielten. Pünktlich auf die Sekunde be-
gann dann die Feuerwalze sämtlicher vereinigter Batterien vor-
zugehen, alles Leben unter sich zermalmend. Im Abstand von
*28
200 m folgte dem Leuer unsere Infanterie, Rerntruppen, und
wenn in tiefen Stollen oder Höhlen versteckte Franzosen in dem
Augenblick, wo das furchtbare Feuer weiter nach hinten ging,
an allen Gliedern zitternd herauskamen, um ihre Maschinen-
gewehre in Stellung zu bringen, fanden sie vor den Stollen-
eingängen schon unsere Infanterie vor. Der 26.(27. war eine
Glanzleistung deutscher Artillerie. Line halbe Stunde hinter
der stürmenden Infanterie gingen in musterhafter Ordnung
die bereitgestellten Stoßdivisionen vor, die den Angriff weiter
vortrugen. Besondere Bedeutung und Verdienst haben wohl
die Infanteriebegleirbatterien, die dicht hinter der Infanterie
jeden ^Widerstand im Reim erstickten.
Vierundzwanzig Stunden spater waren wir an anderer Stelle
eingesetzt, wo der Franzmann sich planmäßig zurückzog und
heldenhaft wehrte. Man kann ihm die Anerkennung nicht ver-
sagen. Leider ist an unserer Stelle der Angriff ins Stocken ge-
kommen, doch hoffen wir, daß es demnächst weiter geht. Ohne
Unterbrechung brüllt die Schlacht, und Du kannst Dir denken,
daß man nicht viel Zeit zum Schlafen hat. Rommt man aber
einmal dazu, schlaft man wie ein Tier.
Gestern abend bin ich zu unserer Bagage zurückgeritten, um
mich wieder einigermaßen menschlich herzurichten, über dem
ganzen Felde liegt ein furchtbarer Verwesungsgeruch. Jetzt sitze
ich nun hinten, frisch rasiert und gewaschen und fühle mich wie
neu geboren. Unsere Bagage liegt in einer riefen Schlucht, Herr-
lich bewachsen. Ganz eigen war mir zumute, als ich auf ein-
mal aus dem Getöse des Rampfes in dieses Idyll kam. IVir sind
schwarzgebrannt wie die Heger, auch der Aufenthalt bei Mutter
Grün bekommt uns vorzüglich. Da die Verpflegung etwas
knapp war, haben wir mit großem Appetit ein frischgefallenes
Pferd unserer Batterie verspeist, welches tadellos schmeckte.
Hättest Du mitgeholfen? IVir haben Gottseidank nur wenig
Verluste; andere Batterien unseres Regiments haben dagegen
ziemlich schwer gelitten. Die Infanteriebegleitbatterien sind völ-
lig abgekämpft, so werden wir also demnächst an die Reihe
kommen.
*
429
Nikolaus Michael Mögerlein,
geb. 5. November 1886 in Reichelsdorf/Mittelfranken.
5. Juni l9l8.
Die Nacht ist vorüber; es war wieder eine mit Hindernissen.
Unser Essen bekamen wir nach dem Maschinengewehr; es blieb
für uns mal wieder zu wenig. So verging eine kostbare Stunde,
bis wir es endlich erreicht hatten, daß die M.-Gs. uns aus ihren
Essenträgern Z Leiter abgeben mußten. Wir neun Mann hier
begnügten uns mit wenig; es war uns nur darum zu tun, daß
die vorne keinen Grund zum «Maulen» haben. Es gab auch
nach langer Zeit wieder Schnaps. Die Luft war uns zu «mul-
mig »; wir gingen daher den längeren Wiesenpfad. Ziemlich fünf-
zig Schritt war der nächste Einschlag entfernt. Während wir
vorn bei den anderen im Reller waren, wurde die Aracherei
draußen immer schlimmer. Schließlich beobachteten wir die
Schußrichtung und Einschläge. Der Rückweg auf der Straße
schien uns der ungefährlichste. Also los. Nach vielleicht fünf
Minuten — Rrach — vor uns auf der Straße. Schon waren
wir in einem Graben neben der Straße verschwunden. Eine
Minute warten, dann gingen wir rechts ab durchs Leid. Wie
machten aber nur einen kleinen Bogen; das Gelände war zu
schwierig. Wie auf Meereswellen ging es von Loch zu Loch.
Wir wandten uns wieder der Straße zu, wobei wir über zwei
leichte Drahtverhaue mußten. Im Dunkel der Nacht gab das
natürlich wieder zerrissene Hosen. Das letzte Stück legten wir
schließlich im Laufschritt zurück. Als wir kurz zu Hause waren,
setzten sie noch einige Brocken in die Nähe unserer Behausung.
Bei Nacht ist hier überall Leben — lautloses, schleichendes
Leben — Arbeit, Vorbereitung zu morgen oder übermorgen
oder wann? Artillerie fährt auf, Minenwerfer kommen usw.
und alles geht gedämpft und nahezu lautlos. Rein Fünkchen
Licht, kein Mensch raucht. Grausig-schön, dieser allnächtliche
Tan; mit dem Tode, herrlich jeder Tag neugeschenktes Leben.
Nie kann die Heimat das würdigen, was hier geleistet wurde.
Jeyt sieht ja jeder Feldgraue nur alle ihm verdrießlichen Rlei-
nigkeiten; später, wenn nur noch die große Sache allein lebt,
wird er auch anders denken über den Titanenkampf. So werden
auch die Hinterbliebenen sich damit trösten, ihr Bestes der großen
4Zo
Sache geopfert zu haben. So möchte auch ich nicht heraus, bis
nicht das Ende des Rrieges da ist — oder ein anderes, doch
daran wollen wir nicht denken. Den Feiglingen und Maul-
Helden daheim und in der Etappe wird man ja später noch oft
kräftige Worte sagen dürfen.
2. September I9I8.
Der Ranal geht hier etwa 2000m lang unter einer Anhöhe unter-
irdisch. An dieser Stelle kann der Franzose natürlich leicht nach-
rücken, weshalb der Gutshof am jenseitigen Ufer als Brücken-
köpf noch gehalten werden muß. Vlun ist es zwei Uhr nach-
«mittags. Seit 5 Uhr vormittags sitze ich fröstelnd hier. In dem
Tunnel ist gleichzeitig Verbandsplay, verwundete kommen na-
rürlich fortwährend. Der Franzose wird am Nachmittag bzw.
Abend wohl wiederkommen. tt>ir Alten sollen dann einen Ge-
genstoß mit einer anderen Rompanie machen. Wenn der Fran-
zose aber mit Gewalt überraschend kommt, hat er alle geschnappt,
die im Tunnel sind. Im Falle einer Gefangenschaft bedeutet:
«Meine liebe Rröte» — «Es geht mir schlecht.», «meine liebe
Grete» = «es geht mir erträglich», «mein liebes Gretchen» —
«es geht mir gut».
*
Generalfeld Marschall
August von Mackensen,
geb. 6.Dezember 1859 auf Haus -Leipniy, Rreis 'Wittenberg.
Hauptquartier Bukarest 12.März I9I8.
Sehr geehrte, gnädige Frau!
IVie tief einst die schwere Verletzung Ihres Gatten mich er-
schütterte, wie sehr jetzt sein Tod mich bewegt hat, bedarfIhnen
gegenüber keiner besonderen Versicherung. Ich muß mir alles,
jedes Wort ersparen, das den Versuch machen möchte, Ihnen
Trost zuzusprechen. Aber ich muß Ihnen doch sagen, wie auf-
richtig ich mit Ihnen um den teuren Toten traure, dem Sie Ihr
-Lebensglück anvertraut hatten, und welchen warmen Anteil
ich nehme an der Ihnen widerfahrenen Heimsuchung, die ja
*31
umso tiefer ans Herz gegriffen hat, je inniger Ihr Eheglück sich
gestaltet hatte. Hu« haben Sie den Träger des Letzteren in
Zoppot zur letzten Ruhe gebettet, in der "Nähe Ihres Eltern-
Hauses, Ihrer Heimstätte und zugleich in der Nähe meiner
Soldatenwiege, des Standorts der Leibhusaren, denen sein Gol-
datenherz in Treue zugeneigt geblieben war. "wenn ich einmal
aus diesem Rriege heimkehren sollte, so wird einer meiner ersten
Gänge dem allzu frühen Grabe Ihres Günther gelten, und
ich werde meinem lieben «Napoleon », von dessen Zukunft so viel
zu erwarten war, einen Lorbeerzweig auf den Hügel legen.
Machen Sie sich bitte, gnädige Frau, zum Dolmetsch meiner
Teilnahme bei Ihren Eltern. Ihrem Schwiegervater schrieb ich
schon auf die erste Zeitungsnachricht hin nach Torgau. Er be-
gräbt sein Bestes.
In treuer Mittrauer Ihr sehr ergebener
Mackensen.
*
Eduard Rursch,
geb. 19.August 1878 in Bornitt.
8. Juli l?l8.
Acht 'Wochen sind wir schon hier, und noch immer kehren die
Flüchtlinge zurück, die der Russe forttrieb von ihrer heimatlichen
Scholle, sei es aus Ostpreußen oder aus dem eigenen Lande,
weil sie Deutsche waren. Täglich kommen die Züge mit den
armen Rückwanderern hier durch, und überall waren Flücht-
lingslager, wo sie untergebracht, gesundheitlich untersucht, zu
Transporten zusammengestellt und dann der Heimat zugeführt
wurden. Aus Ostpreußen, aus Polen, Ofterreich, Galizien,
"wolhynien waren sie, Zivil und Militär, alles durcheinander.
Ich wunderte mich kaum mehr, wenn ein Soldat in russischer
Uniform, mit großer Pudelmütze mich anredete, Herr Unter-
offizier, dürfte ich um eine Zigarette bitten? Ein deutscher Sol-
dar war's, und dann ging das Erzählen los und das Fragen,
und Freude leuchtete aus ihren Augen. Es ging ja zur Heimat,
zum Elternhaus. Manche sahen elend und zerlumpt aus, andere
*32
jedoch leidlich wohl. Zusammengekauert saßen die Familien in
den "wagen oder oben drauf auf ihrem Hausrat, den sie mitge-
führt, wenn sie es noch retten konnten. Und der Grimm ballte
ihre Lauft, daß Rußland sie so elend gemacht. Der Urheber
ihres Unglücks sei Nikolajewitsch. Doch nun waren sie froh, in
geordnete Verhältnisse zu kommen. Das leyte Geld fei ihnen
abgepreßt worden auf der Fahrt. Durch unerschwingliche Preise
und Hunger haben sie leiden müssen, bis sie deutsche Laute ver-
nahmen und Deutschland sich ihrer erbarmte. Und wieviele
haben ihre Augen geschlossen und kehren nie zurück. Ich schrieb
Euch wohl schon, daß in Baranowitschi ein Airchhofist, dessen
Pforte die Worte trägt: «Flüchtlin gsgräber». Wieviel Weh
deckt da die schwarze Erde! Auch ich war eines Tages Zeuge,
wie eine arme Frau ihr Leben im Eisenbahnwagen aushauchte.
Herzzerreißend war das Schreien der Rinder, als unsere Sol-
daten die Leiche fortbrachten, um sie zu beerdigen.
*
Malter Simons, unbekannt.
2l.I»li I9J8.
Ihr lieber Brief, über den ich mich sehr freute, hat mich in
Einem merkwürdig getroffen. Sie schreiben von der Zufrieden-
heit mit sich selbst. Ich weiß nicht — irre ich mich, wenn ich an
nehme, daß Sie im tiefsten Innern empfinden, wie uneins ich
mit mir bin? Oder besser, war, denn hier draußen tritt ja das
alles in den Hintergrund vor dem Erleben und den Aufgaben
des Rrieges. Das sind Dinge, die man allein ausfechten muß.
Warum nur fallen immer die besten Menschen? Und wenn man
nur dann wenigstens sagen könnte, «weil sie vollendet haben».
Ich glaube, sie fallen, um uns besser zu machen. Ich habe kürz-
lich einen Freund verloren, der mir erst jetzt Vorbild und Helfer
wird. Das ist wohl der Sinn des Sterbens so vieler der Besten.
Denn ich glaube, wenn wir nur wollten, wieviel mehr Segen
können wir aus allem Leid und aus unserem Schicksal gewin-
nen, der wie das Gold im Staube nur daraufwartet, ans helle
Tageslicht gezogen zu werden. Ich bilde mir jedenfalls keines-
wegs ein, daß mein Glaube an Gott und mein Verhältnis zu
28 D. d. e. 4)?
ihm eine Lebensversicherung ist. Ich finde die Menschen, die in
der Todesangst zu beten anfangen, um nur diesmal noch «leben-
dig» zu bleiben, erbärmlich feige, und die, welche sagen, daß sie
wegen dieses Rrieges nicht an Gott glauben können, tun mir
sehr leid. Ich meine, die 'Wahrheit liegt in der Mitte: es fällt
kein Haar von meinem Haupte ohne den "willen des himmlischen
Vaters. Und wenn wir feste Gemeinschaft mit ihm haben, dann
erlebt er gewissermaßen alles mit uns und wandelt es uns zum
unbedingten Segen.
Ich mußte mich mal etwas aussprechen, und Sie werden ver-
stehen, daß es manchmal bis zu diesen Erkenntnissen und gar
bis zu dem entsprechenden Handeln ein schwerer, weiter Weg ist.
*
O. Rlimusch, unbekannt.
22. Juli I?I8.
In unserem jetzigen Ruhequartier haben wir auch jede Vlachr
Fliegerbesuch, die uns mit Bomben bewerfen. Bis km hinter
der Front liegen die Dörfer unter schwerem Artilleriefeuer, trotz-
dem Zivil drin wohnt, es vergeht kein Tag, wo nicht Beerdi-
gung ist. Ein großes Dorf wurde an einem Tage mir 2£ cm«
Granaten beschossen. Dabei waren einige Zivilleute kaputt ge-
gangen, nach einigen Tagen sollten die beerdigt werden. Als
nun der Leichenzug auf dem Friedhof ankam, setzte wieder die
Beschießung ein. Eine schwere Granare schlug auch auf dem
Friedhof ein, die Träger ließen den Sarg stehen und suchten
Deckung. Als es ruhiger geworden war, wollten sie den Sarg
zur Gruft schaffen. Als sie kaum lorn gegangen waren, fiel
wieder eine Granate auf den Friedhof und wühlte eine Fa-
miliengruft auf. nun ließ alles den Sarg stehen und ging nach
Hause; abends wurde die Leiche von Soldaten bestattet. Es ist
doch gut, daß der Rrieg nicht in unserem eigenen -Lande wütet.
Hier ist wieder schlechtes "Wetter, ziemlich starke Gewitter und
beinahe jeden Tag Regen, die Ernte leidet schwer darunter.
Roggen und Gerste ist schon vierzehn Tage abgemäht und kann
nicht eingefahren werden.
*
555
Reinhold Legler,
geb. ö. März 1893 in Pirna,
gef. in der flacht vom 12.—13. Juli I9J8 südlich Propart.
wir starten heute Nacht nicht, und ich weiß nichts Besseres,
als meiner Anneliese rasch einen nächtlichen Gruß zu senden.
Die Robolde der Luft hüpfen mir heute Nacht wieder im
Herzen und wollen mir durchgehen. Die Donner der Somme-
schlacht rollen über den Brief, und die Hand schreibt ihn, die
sonst nächtlicherweise Brücken, Bahnhöfe und Tommies zum
Teufel befördert und mit dem Maschinengewehr Frankreich
übergießt.
iLin Gewitter ist vorhin vom Westen her über unser Lager hin-
weggeregnet, und nun atmet die lLrde so duftig und lebhaft,
wie die Wälder in meinen Elbbergen, wenn wir sie als Schüler
durchwanderten und von einem Hochsommergewitter überrascht
unter einem Felsen- oder Laubdach lagen und die Farben und
Töne der aufgeregten Natur belauschten.
In den östlichen Nachrhimmel hinein zuckt noch dann und
wann ein Bliy. Unsere nächtlichen Streifzüge! — wenn
die beiden Propeller rechts und links von mir durch den
Himmel heulen und tief, hundertmal tief unter mir die
Frontgeschüye aufblitzen und die Leuchtraketen steigen, ist
mir wohl, ist mir so, daß ich nichts mehr wünsche. Und dann
trägt mein gewaltiges Insekt außer meinen beiden Be-
gleitern hinter mir ein paar Duyend kostbarer Gnomen und
Riesen am Unterleib, die auf den Augenblick warten, wo ich
sie loslasse. Das ist ein Leben, und das lohnt noch zu leben.
Mir ist wohl, wenn ich über den Feind und unter dem Tod
schwebe.
vor ein paar Tagen bin ich durch die Sommeschlachtfelder
von I9I6und I9I8 gefahren, durch die «Dörfer», von denen
auch nicht ein Stein mehr zwischen dem Gestrüpp und
den Grabkreuzen liegt, zwischen den zerschmetterten Tanks
hindurch und über die Somme-Gewässer hinweg, in denen
die Leiber der Gefallenen modern. Das sind Bilder, die auf
Sinne und Seele drücken. Ls ist auch recht töricht, daß ich
davon schreibe.
Ieyt zittert die Sommefront wieder zu uns herüber, als ob drei
£35
Gewitter gleichzeitig im lLlbrale hingen. Ach, es ist doch
schön.
Schlafe Du wohl in dem stillen deutschen Land.
Rarl Rlaus,
geb. 22. Iuni 1898 in Gelsenkirchen,
gef. 12.September I$»I8 bei Gouzeaucourt
(südwestlich Cambrai).
9. Juli
... Bei der Feldtruppe ist's doch ganz anders wie in der Garni-
son. Mehr Zusammenhalten und Rameradschaft. Auch gemüt-
licher bei den Vorgesetzten.
10. August I9I8.
Den Rückzug hatten wir zu decken und den Feind zu täuschen.
Mittags wurde unsere letzte Brücke gesprengt, da war von uns
alles in Sicherheit, bis auf einige Patrouillen, die wir noch
drüben hatten. Der Feind hat nicht viel von uns behalten. Alles
ging so geräuschlos. lLs machte förmlich Spaß, wie die Regi-
menter zurückkamen. Abends 5 Uhr war der Feind aufmerksam
geworden. Er sandte uns schon einige Grüße herüber, die aber
für uns nicht gefährlich wurden. Ich mußte des Abends noch
ein paarmal mit einem Floß herüber, unsere Melder vom an-
deren Ufer abholen. Um 9Uhr waren unsere letzten Patrouillen
auf unserer Seite. iLs ging ziemlich schwer. Erst war das Holz
der Brücken angeschwemmt, das mußte fort. Dann war das
Floß an und für sich schon schwer. Außerdem hatten wir die
ganze Nacht und den ganzen Morgen Maschinengewehrstände
gebaut, drei Stück nacheinander, die wir aber nur zum vor-
täuschen eines starken "Widerstands gebrauchten, indem wir uns
immer wo anders einbauten. Doppelposten standen wir gar
nicht im Stand selbst, sondern einfach am Ufer hinter einem
Pfahl, der stehengeblieben war, oder wir lagen auf dem Bauch
auf der iLrde, Gewehr in der Hand, Handgranaten fertig zum
werfen, Leuchtpistole in der linken Hand. Fünfzig Meter hinter
uns das Maschinengewehr. Er hätte nur Überseyen sollen!
Aber der Franzmann stand genau so auf Posten wie wir. Wir
beobachteten ihn und er uns. Getan haben wir uns als Posten
nichts. Hier und da wurde mal eine Patrouille abgeknallt. Sonst
war nichts los.
I*. August 1918.
In Stellung die ersten zwei Tage habe ich mehr gearbeitet, wie
damals in der Grube, und ich habe mir manchmal gewünscht,
dort wieder anzufangen, und wenn ich dort Schlamm schöpfen
müßte. Aber auch das wird man alles gewohnt. Man bekommt
schließlich überall seine Ruhe wieder, im Granatfeuer, oder wo
es sonst sein mag.
27. August lpl8.
Bin heute heil und gesund aus dem Graben zurück. Mir ist's
nur noch so dusselig zumute. Dankt nur unserm Herrgott mit
mir, daß er mich behütet hat. Bin nämlich einer von den leyten
sieben, die alles mitgemacht haben und noch gesund sind von
unserer Rompanie. Min Angriff folgte auf den andern, immer
mir vorangehendem drei- bis vierstündigem Trommelfeuer,
wie's der IVesten nicht so oft gesehen hat. Da haben wir acht
Tage ausgehalten und den Feind immer wieder abgewehrt.
Am 2Z. August hatten wir den schlimmsten Tag. Erst vier
Stunden Trommelfeuer auf unsere Gräben. Die Brocken flogen
mir öfter um die Ohren, vor lauter pulverqualm konnte man
nichts mehr sehen. Die Erde wackelte an allen Ecken. Die ganzen
vier Swnden war nur ein Schlag zu hören. Dann ging das
Feuer etwas zurück. Man konnte den Feind ankommen sehen,
und nun draufgeschossen wie wild. Er mußte weichen. IVae
von uns noch da war, mußte auf Deckung antreten, zum Sturm
zwanzig Meter vorschwärmen und weiter vorgehen, vielleicht
zweihundert Meter. Dann ging's los mit Hurra und Hörner-
klang. Sturmsignal! Einer schrie lauter als der andere. Fünfzig
Meter vor dem Franzmann «Halt» und stehend freihändig rein-
geknallt in die flüchtenden Rolonnen. Aber eine rechts neben
uns stürmende Rompanie mußte zurückgehen. Dadurch bekamen
wir Flankenfeuer und hatten so viele Verluste und mußten auch
wieder zurück. Beim Zurückgehen nahm ich und noch einer einen
verwunderen Rameraden mit. Der rechts neben mir gehende
*37
Ramerad mußte auch dran glauben. Er hatte einen Rücken-
und Bauchschuß. Dann folgte ein Angriff auf den andern von
Seiten der Franzosen. Sie hatten mehr Verluste als wir. Wie
ich aus den Gefahren herausgekommen bin, weiß ich mir selber
nicht zu erklären. Die ganze Luft war voll von Geschossen. Zu
meinen Füßen, neben mir schlugen sie ein.
2. September I9I8.
Macht Euch keine allzugroße Sorge um mich und denkt an den
oben. Er wird's wohl schon machen, wie er's für gut befindet.
*
Hermann Raniysch,
geb. 5. Mai 1898 in Azul/Argentinien,
gest. 25. November 1918 in Laval bei le Mans in Gefangen-
schaft.
28. April I9I8.
Heute Nacht werde ich abgelöst, dann muß ich meine Fleute
wieder über einen zwanzig Minuten langen Weg führen, der
unter feindlichem Artilleriefeuer steht. Da heißt es, durch eigene
Ruhe und frische Worte die Fleute sicher hindurchzubringen;
man watet dort durch Granatlöcher hindurch, an zerschossenen
Wagen und zerfleischten Pferden vorbei, deren -Lenker vielleicht
auch ins Gras bissen. Im Gänsemarsch schleicht die Menschen-
schlänge daher, die Granaten fauchen, vor uns ein Einschlag;
regungslos bleibt alles stehen und bückt sich. Ich schaue den
Leuten in ihre schweißbedeckten Gesichter. Die Gefahr scheint
vorbei zu sein. Los! Und rastlos geht es weiter.
Z0. April 19*8.
Hier suche ich meine Stärkung zum Werke. Pflicht, Stolz, Wille
und verstand recken mir die Brust, stählen mir die Muskeln zu
freudigem Gruße an mein Schicksal.
am £. Mai I9I8.
von einem steilen Hange aus schweift mein Blick über ein lang-
gestrecktes Sumpfgebiet. Da ist das Sommetal mit seinen Ried-
wiesen, den Silberbändern und dem grünen Gebüsch, über die
*38
Höhen am jenseitigen Ufer dieses Tales ragen die Rirchtürme
französischer Dörfer. Im Sonnenschein glänzen die weißen und
die schwarzen Granatwolken, und stumpf schauen die unzähligen
pechschwarzen Augen im Sumpfgebiete, die Granarrrichter.
£in Zwitschern und Jubilieren der Vögel; ein Brummen und
Summen der deutschen und feindlichen Flieger, ein dumpfes
langgezogenes Hallen der Mordwaffen in vorderster Linie. Ich
liege in Bereirschafrsstellung. Meine Sommervilla, ein fein aus-
gepolstertes Erdloch am Hang, kann von den Granaten nicht
getroffen werden, die vergeblich dem Hange parallel in die Tiefe
sausen. Meine Leute habe ich alle glücklich untergebracht, sie
tummeln sich im beschränkten Räume ein wenig herum, um sich
zu schwerer Arbeit zu stärken, die allnächtlich ihrer in vorderster
-Linie harrt. Es ist halt nicht leicht, im Eilschritt zu laufen, zu
graben, zu bauen, um dann, gejagt von feindlichen Geschossen,
endlich zerschlagen aufs Ruhelager zu fallen. Nachts eiserne
Pflicht, tags Frühling und Sonne. Dabei fällt mir erst ein, daß
ich heute schon zwanzig Lenze meines Lebens zähle. Und Ihr
zu Hause habt sicherlich irgendwo ein Sträußchen stehen. Ich
denke an Much alle. Und in Gedanken singe ich zu Hause ausge-
lassen feiernd: «Freut Euch des Lebens, weil noch das Lämp-
chen glüht.» —
am I. August 191$, II,*5 Uhr.
Meine Mutter! TDir treten zum Sturm an! Es lebe die Frei-
heit, der Sieg! Die Sache ist einfach. Ich schreibe nächstens. Sei
ruhig! Mir passiert nichts.
am 17. August I9I8.
Gestern bin ich in eine aufgeschossene Gruft auf einem fran-
zösischen Rirchplay gestiegen. Die Särge waren zertrümmert.
Ich faßte die vermoderten Menschenreste an; sie rochen gesund,
nach frischer IVald- und Pilzerde. Ich nahm den Schädel, die
Rnochen; sie zerfielen alle zu Mehlstaub, so ist alles vergänglich,
nur nicht die Seele.
Es ist nichts Grausiges an toten Rörpern, wenn sie zerfallen
sind; nur dann scheinen sie furchtbar zu sein, wenn sie noch die
letzte entstellte Ähnlichkeit mit der einst lebenden Seele haben.
... Die Erkenntnis muß fester wurzeln: die Seele lebt.
3. August 1918.
Alle Probleme eines strategischen Rückzuges der Armee wurden
glänzend gelöst. IViderstandslinien wurden in Form von Schür-
zenlöchern und Drahtverhauen gegen die Franzosen errichtet und
zäh gegen ihren Angriff verteidigt. waren schwere Pflichten,
die man uns auferlegte. Gestern Abend wehrten wir den Einsatz
verschiedener französischer Divisionen ab. Nachts zogen wir uns
zurück. Mutterseelenallein blieb ich zur Deckung des Rückzuges
mit acht Mann zwei Stunden vorm Leinde und hatte meine Not,
mich zu verteidigen. Ravallerie sprengte heran. Artillerie fuhr
auf. Fünfzig Meter vor mir lagen die französischen Schleich-
posten. Ich ließ wie wild feuern. U>ir markierten starke Rräfte.
Ich sah nach der Uhr. Punkt ein viertel vor 5 Uhr morgens
rückte ich in Reihe ab. «Er »hatte das sofort bemerkt und drückte
nach, "wir waren erschöpft. Gleichgültig setzten wir uns in den
"wegedreck. Die Rugeln pfiffen. Wir mußten damit rechnen, ge-
fangen genommen zu werden. Ich Photographie«? noch ein
brennendes Haus, das mir ein Wegweiser nach hinten war. Als
wir durch die Verteidigungsstellung der Z ler kamen, waren diese
schon längst im Feuerkampf. Man war erstaunt, uns aus den
Reihen des Feindes kommen zusehen. iLs war köstlich. Die waren
um ihr Leben besorgt, wir waren abgestumpft und gleichgültig.
In den rauchenden Trümmern eines abgebrannten Dorfes wurde
gemütlich eine Zigarette am glimmenden Holze angezündet. Durch
auffliegende Dörfer, die von den IZ. Pionieren gesprengt wurden,
schlugen wir uns durch zur Rompanie. Helle Freude überall. Man
hatte uns schon verloren geglaubt.
22. September lpl8.
In Namur verbringst Du sicher schöne, wenn auch nicht arbeirs-
lose Tage. Unterdes hageln noch immer die Granaten ihren
alten Rlang. Zwei Monate unausgesetzt im gleichmäßigen Zu-
rückgehen vor dem heftig nachstoßenden Feinde machen sich in
den Rnochen bemerkbar. Ropf hoch! Ich will ausharren. Ich
gehöre zu anderen Menschen, den Todgeweihten, also in Gott
tteu bis zum letzten Blute.
26.September l9l8.
Heute morgen um 5 Uhr bezog ich mit einer Stoßgruppe meine
Sturmausgangsstelle. Gas von eigener Artillerie machte mich
»nd meine eigenen Leute fast kampfunfähig. tLine leichte Brise
vertrieb den Giftqualm, sodaß ich mich einigermaßen wieder
besinnen konnte. Ich kannte nach dem Rompasse die ungefähre
Richtung. Zu dieser Zeit seyte schweres deutsches Artilleriefeuer
ein, fünf Minuten lang, fast in die eigenen Leute hinein.
7.30 Uhr ist es. Ich rufe: Achtung! — Los! Wahnsinniges
Leuer empfängt mich, Marsch, Marsch, voran! Ich stoße auf
die zu nehmende Ferme. Hinter mir schlägt ein eigener Ar-
tillerieschuß zu kurz ein; er vernichtet die folgende M.-G.-
Gruppe, einer lebt noch, schwer verwundet. Ich allein mit
acht Mann, Nahkampf. Die erste Handgranate schmeiße ich.
Die Ferme umstellt, eingedrungen. Fünfzehn Franzosen ge-
nommen, drei davon tot. Ich stehe mutterseelenallein in der
umnebelten Ferme und verteidige sie gegen prasselndes Feuer.
Den Franzleuten klopfe ich auf die Schultern und sage ihnen:
«Les Allemands sont vos camarades, n'ayez pas peur!»
Sie drücken mir die Hand, alle, wie sie da waren, "wein
geben sie mir. Der Rampf tobt. Einem Verwundeten streichle
ich die Backe. «Mon ami» ist die jammernde Antwort. Das
zwischendurch. Der Rampf tobt. Rechts und links von uns
gehen Stoßtruppen vor. Parole: Hummel. Verbindung, hur-
ra! Die Linie wird schleunigst hergestellt. Ich erhalte wahn-
sinnige Verluste. iAn nachgeschobenes zweites M.-G. wird
vollständig aufgerieben. Gott befohlen. Da bricht die Sonne
durch. Ich melde stolz durch Ordonnanz: Stoßgruppe Leut-
nant Raniysch Schlachthof Ferme genommen, zwölf Gefan-
gene...
Sei unbesorgt, nächstens komme ich in Ruhe. Ich bedarf dessen
auch in Trauer um meine geopferten Rameraden.
6. Oktober
Ich bin zur Zeit Grabenoffizier, das heißt nichts weiter als:
Arbeitstier. Urlaub gibt es nicht, so erklärte mir mein Haupt-
mann. wenn ich ersetzt werden kann, ja. Da siehst Du, wieviel
die Pflichterfüllung fordert ... Bei meiner Rückkehr werde ich
das Regiment in gänzlicher Ruhe antreffen. Wir können uns
hier nicht mehr mit den wenigen Leuten halten. Sie sind in
zweieinhalb Monaten dauernder Arbeit im Feindesfeuer zer-
knirscht worden, wir haben aber keine ablösenden Truppen.
m
Die gewaltige Schlacht frißt unseren besten Menschenbestand
hinweg. Wie sollen wir da siegen? jLs komme ein Frieden in
Ohren! Wir haben jedenfalls ehrlich gestritten gegen eine ganze
Welt von Feinden. Mehr als unsere Pflicht und unser Leben
können wir nicht opfern.
*
Louis Mangold,
geb. 19. Oktober 1887 in jLschwege a. 1V.
17.August 1^18.
Hu« sind wir schon einige Tage im fünften Rriegsjahr. Wo soll
es noch hin, und wie lange wird es noch dauern, bis wir unsere
Feinde zum Frieden bewegen können? Hoffentlich nimmt die
Sache doch bald ein Ende. Jedoch heißt es wie bei allen Sachen,
Geduld haben, und dieses ist auch für den Rrieg die Parole, "wir
können nichts anderes machen, als die ganze Sache unfern
Staatsmännern und unserer obersten Heeresleitung überlassen.
Das ist meine Ansicht.
*
Hermann v. Rohden,
geb. lc>. November 1887 in Hagenau/Elsaß,
gef. Z. September 191 8 in Bussy.
23. März 1918.
Ia, staune nur: in diesen denkwürdigen Tagen, wo da vorn
entscheidend um unsere Zukunft gekämpft wird, da muß ich un-
tätig hier hinten meine Tage zubringen. Während man es mirin
Flandern freistellte oder vielmehr anbot, hat man hier kurzerhand
trotz meines Sträubens befohlen, als Führer-Reserve zurückzu-
bleiben. Aber ich denke, daß sie mich bald brauchen werden.
15. April 1918.
Grüßt mir den deutschen Frühling, hier herrscht nur Grauen,
Gde und Tod. Aber die Flamme der Begeisterung glüht weiter;
heute Torila, morgen Teja!
26. August 1918.
Es wird Euch daheim wohl nicht immer leicht werden, die
Mies- und Flaumacher zu belehren, daß sie durch ihre Tätigkeit
uns hier draußen doppelt Mühe und Arbeit machen und den
Feind, wenn er bei Gefangenen Briefe voll Schwarzseherei und
Rlageliedern findet, nur mutiger und zuversichtlicher werden
lassen. Od)sage die volle Wahrheit, wenn ich Euch versichere,
daß die Stimmung der Mannschaften troy der Rückwärts-
bewegung fest und entschlossen ist. Troy der Strapazen und
Schwierigkeiten, troy mancherlei Rätsel, vor die uns unsere
Führung stellt! Das Vertrauen in unsere Stärke und moralische
Widerstandskraft ist unerschüttert.
*
Heinrich Riechers,
geb. unbekannt,
gef. 5. September 1918 in Frankreich.
1Z. August 1918.
Gestern erhielt ich von Euch Mutters Brief. Habe daraus er-
sehn, daß Ihr noch alle gesund und munter seid. Ich bin auch
wieder bei der Rompanie. Ihr wundert Euch, daß wir an ein-
zelnen Stellen zurückgehen; die paarRilometer machen nichts
aus, auf der andern Stelle jagen wir sie wieder zurück. Ich
möchte sehen denjenigen, der nicht ausreißt, wenn der Tommy
so ein Trommelfeuer ansetzt. Es wird von Tag zu Tag schlimmer
mit diesem Rrieg. Alle Tage neue Mordwaffen. Jede Granare
und Rugel trifft nicht; das meiste ist die moralische Wirkung,
wenn solch Rohlenkästen einHaut. Es ist nur das verfluchte
Artilleriefeuer und das Gas. Am Donnerstag gehen wir wie-
der in Stellung. Wir hoffen immer, daß wir in Ruhe kommen,
vielleicht diese Tage oder aus der Stellung. An Urlaub ist dies
Jahr nicht zu denken, vielleicht nächstes Frühjahr, eher nicht.
Nun will ich schließen, bleibt gesund und munter, bis der Friede
kommt und ich wieder bei Euch bin.
*
55Z
Friedrich Franz Blanck,
geb. N.Dezember l $92 in Hermannshagen /Meckl.-Schwerin
gef. 27.August 1918 bei Mory.
Schützengraben, 9. Juli 1918.
Du beklagst Dich über meine kurzen Briefe. Du wirst Dir aber
vielleicht vorstellen können, daß ich in meiner augenblicklichen
Lage nicht immer und vielmehr selten in der geistigen Ver-
fassung bin, mich ausführlich mitzuteilen. Das rauhe Handwerk
macht schweigsam! Als ich gestern die Paketpost auf ihren er-
laubten und unerlaubten Inhalt prüfte, erklärte mir ein ein-
facher Mann, er würde sehr gern auf den Speck und die bessere
Verpflegung hier im Feld verzichten und in der Heimat sich mir
weniger begnügen. Der Mann war dreiundzwanzig Jahre. Die
Sehnsucht sprach aus ihm, aus dieser öden fühllosen A)elr her-
auszukommen. «Die schönsten jungen Jahre» — so geht es
durch unsere Generation wie ein weher Ruck. Ob wir wohl,
was uns angeht, dafür entschädigt sind? Greise Häupter, die
das tröstend behaupten, finden keinen Glauben. Schicksalistuns
der Rrieg, und es ist wenig männlich, sich gegen das Unabänder-
liche zu sträuben. Allen vertrauten und geliebten Lebensformen
zu entsagen, wenn es das höhere Gut gilt, wir erfüllen diese
Forderung. —
über Nacht war heftige, andauernde Beschießung, schwere Ra-
liber warfen dröhnend ganze Häuser nieder. Weithin schwankte
die iLrde wie bei leichten Erdbeben. Morgens gegen Z Uhr schoß
der Gegner mit Gas. Jetzt am Tage herrscht fast Ruhe, die ge-
knickten Lebensgeister atmen wieder auf. So geht es uns, wir
tragen unfern Ropf hoch, und unser Blick ist geradeaus. Der
Mensch kann nur stark werden in dieser Zeil, oder er muß unter-
gehen. Liebe Mutter, begreifen wir, daß es Höheres gibt als
Liebe zu den einzelnen Menschen I
18. August I9I8.
?ch bin zurück. Meine Rückfahrt verlief ohne Störung; das
Herz, das bis Berlin in weicher Stimmung schlug und mit der
Wehmut des Abschieds auf unbestimmtes Los und unbestimmte
Zeit zu tun hatte, schlug mit wachsender Entfernung wieder
fester. ££s geht doch nicht ohne leibliche und gemütliche Abhär-
ttMg. Dabei bleibt die Gewißheit einer liebevoll entgegenfüh-
lenden Heimat immer ein stützender Trost, den wir hier draußen
nicht entbehren können. Ich bin zurück! — Das Neueste und
zugleich Traurigste! Meine Division existiert nicht mehr. — Die
einzelnen Regimenter sind auf aktive Divisionen aufgeteilt. Ich
gehöre jeyt der Z 6.Division an.iLs geht mir sonst gut, nur meine
alte Umgebung vermisse ich sehr.
2). August l9lS.
Ich bin wenig zufrieden mit mir. scheint, daß die tLrholungs-
zeit schon wieder verbraucht ist. Mehr als vier Jahre Arieg sind
der Seele zu viel.
*
Hanns Steg er,
geb. 26.Mal l8?<5 in München,
gef. 18. September 1918 im Westen.
2. März 8.
Äs ist seltsam, daß Ihr sagt, es ist möglich, daß wir noch unter-
liegen können. Wer spricht denn jeyt von unterliegen? Rönntet
Ihr doch, nur bei einer Übung vielleicht, unsere Divisionen
sehen, die stürmende Infanterie, die Artillerie, die donnernd
hinter der ersten üitife auffährt, die Rainpfflieger, die darüber
herbrausen wie böse Riesenvögel, und alles Feuer und alle Be-
geisterung, die bei Angriffskämpfen den Soldaten beseelt. Rönn-
tet Ihr den Geist fühlen, der jeyt noch nach fast vier Jahren
Rrieges in dem deutschen Soldaten lebt! Man muß das in der
Nähe sehen. Aus der Lerne sieht alles starr, müde und ver-
träumt aus, wie ein blaues Gebirg am Horizont. Engländer
und Franzosen wissen wohl, warmn sie jeyt von Todesangst
erfaßt werden. Wenn der Sturm über sie hereinbricht, sind sie
verloren, sie werden von einem ungeheuren Schlag getroffen,
der unseren Sieg und den Frieden bedeuten wird. Wie haben
wir unter Hindenburg das Rämpfen gelernt! Es ist uns eine
Lust, unser Rönnen mit schärfster Waffe am Feind zu erproben.
Und noch eins haben wir gründlich und ehrlich erlernt, die Be-
reitschaft zum Sterben, das stolze Uberwinden des Gebens, das
HS
so unsäglich schön ist, für den großen Zweck. Einem solchen
Heer widersteht kein Feind, und wenn er auch von tausend Teu-
feln getrieben ist....
22. Juli
... Der gestrige Tagesbericht klingt wieder recht zuversichtlich.
Allem nach, was ich weiß, steht es für uns glänzend. Die nächste
Zeit wird wieder Großes bringen. Der Rrieg nimmt immer
weitere Ausmaße an. In immer fernere -Länder dringen unsere
Truppen. Ich vertraue fest auf einen stegreichen Ausgang, "wer
die jetzige Zeit miterlebt, wer die Gnade hat, sie im rechten,
tüchtigen Sinn miterleben zu können, der hat so Großes erlebt
wie nur je ein Mensch. Arme, alte Männer im Reichstag, und
weiß der Teufel, wo in der Heimat, die mit der Zeit nicht mehr
mitkommen und anfangen zu greinen, weil's ihnen bei diesem
Sturm und IVogendrang unheimlich wird. Das ist Leben und
Sterben, wie es schöner und männlicher nicht gedacht werden
kann.
September 1918.
... Nach mehr als einem Monat habe ich wieder ein Dach
überm Ropf, habe mich gebadet, ausgezogen, geschlafen, ge-
bratenes Fleisch und Gemüse gegessen und für einen halben Tag
ausgespannt. iteist 8 Uhr abends. Eine Rerze spendet sanftes
Licht, ein Ofen Wärme. Die Freuden des Lebens, unendlich
einfache Freuden, sind übergroß, und ich genieße sie dankbar,
fast überwältigt. Morgen früh reite ich wieder in die Stellung.
Der heutige Abend gehört Euch Lieben, Dir, meiner Mutter,
den Eltern und Geschwistern. Ich will versuchen, in ganz flüch-
tigen Umrissen ein Bild von dem zu geben, was sich kaum schil-
dern läßt, von meinen letzten Erlebnissen, Rückzugsgefechten,
Not und Begeisterung des Soldatenlebens.
Am 27. August früh 2 Uhr feuert die Batterie aus ihrer Stel-
lung östlich L. das giftige Gelbkreuzgas gegen die feindlichen
Anmarschwege. Um 5 Uhr kommen Proyen und Staffeln. Die
Geschütze sind verrußt, die Leute schwarz wie die Raminfeger.
Aufproyen, mühsames Überwinden des Trichterfeldes, glück-
lich geht's durch feindliches Feuer durch, und der erste Sprung
ist gelungen. In der Nacht habe ich etwa eine Stunde geschla-
H6
fen. Auf dem Wege muß ich die Batterie verlassen, vorausrei-
ten zum Regimentskommandeur, um den Befehl für die Ott-
kundung der neuen Stellungen, schon östlich der Somme, in
Empfang zu nehmen. Bis 12 Uhr mittags faß ich auf dem Gaul
und fand Stellungen bei M. südlich P. Um 5 Uhr hatte ich die
Vorkommandos der Batterien eingewiesen. Um Uhr kam ich
halbrot vor Hunger und Müdigkeit wieder vor zu meiner Bat-
terie, die inzwischen schon den Feind scharf unter Feuer genom-
men hatte.
Um 9Uhr ging's wieder weg aus dieser Stellung. Uberall wird
gesprengt, M. — der Ort, vor dem wir gestanden waren, steht
in himmelhohen Flammen. Bevor ich das Aufsitzen befehle,
zünden wir noch eine Baracke an und im blutigen Feuerschein
geht's zurück; der Gegner schießt mir «Schweren» in den Ort.
Die Somme! Wenn ich die Batterie erst drüber hätte! Wir kom-
men näher hin. Immer stärkeres feindliches Feuer, die Rolon-
nen drängen sich auf den Straßen. Immer wieder ertönt das
leidige «Halt», Stauungen, dann geht's wieder weiter, vor der
Sommebrücke bei B. biege ich nach worden ab, um die Pionier-
brücke bei iL. zu erreichen. Durchs Feuer kommen wir heil durch
und, hurra, der letzte Munitionswagen rumpelt und trappelt
über die Brücke. Ein erleichtertes Gefühl!
Der 28. ein Ruhetag.
Der 2?. August war ein Tag ohnegleichen. Ich komme auf die
Beobachtungsstelle, sehe den Tommy anrennen und schieße den
ganzen Tag. Der Feind hat Verluste über Verluste. Wir haben
auch Verluste, doch wer denkt in solchen Augenblicken an sich?
niemand kann das Gefühl der Begeisterung, der Hingabe und
Erlebenslust beschreiben, das der Soldat im glücklichen Rampf
empfindet. Vloch in der Abenddämmerung schoß ich Gas in die
vom Gegner befetzte Ortschaft B., und als das letzte Licht er-
losch, ging es zurück. Die feindlichen Batterien sandten wütend
ihre Grüße herüber. Wir gingen durch und merkten es kaum.
In der Stellung spreche ich mit jedem Mann noch ein tüchtiges
Wort. Die Rerls sind schwarz, schwitzend, zerrissen, todmüd und
sehen einer kalten Nacht im feindlichen Feuer entgegen, das
immer mehr zunimmt. — Doch ihre Antworten klangen frisch:
«Heut ham mir halt wieder g'schossen!»
Von Schlafen noch keine Rede. Ich weiß, daß ich in dieser
Stellung nicht mehr bleiben kann, "wir wurden erkannt und
sollten den Schaden büßen, den wir dem Feind angetan. Die
Nacht war scheußlich. Niemand war gedeckt. — Stellungs-
wechsel. — Bis 6Uhr früh hatte ich die Proyen bestellt, von
2 bis 5 Uhr schlafe ich unruhig. Schwerstes Feuer würgt in die
Batterie. Es gibt Verwundete, zwei Geschütze werden mir zu-
sammengeschossen, außerdem quält mich Ungeziefer zum ver-
rücktwerden. Um 5 Uhr früh gehe ich mit den Geschützführern
in die neue Stellung, die ich schon beim Erkunden mir gemerkt
hatte, wies sie ein und entließ sie. Ich bleib allein einen Augen-
blick oben, überlegte einiges: Aufstellung der Maschinengewehre
Munitionslagerung, Sanitätsunterstand usw. und ging dann
nach. Bringe ich die Batterie heil heraus? Ein schwerer Ge-
danke! "wieviel einfacher ist's zu gehorchen als zu führen! Doch
bin ich immer fester Zuversicht.
6 Uhr. Ich bin noch etwa Z Minuten von der Stellung weg.
Jetzt müssen gerade die Staffeln und die Proyen einfahren. Es
ist ziemlich ruhig. «Ha, es geht so glatt wie immer», denk ich
mit Genugtuung. Im selben Augenblick bricht mit einem
Schlag eine solche unglaubliche Feuerhölle los, wie ich sie noch
nie erlebt habe. Duyende von schweren Schüssen sausen zu-
gleich unter gehirnerschütterndem, wahnsinnigem Rrachen in
die Ortschaft, in die Stellung, um mich herum. Ich dachte ganz
ruhig, sonderbar ruhig: «Jetzt ist alles hin», und ging weiter.
Es war mir plötzlich alles gleich. Ich dachte, «jetzt geh ich
weiter, bis ich auch umfalle». Ich sah genau, daß, wenn ich
noch hundert Meter weiter ging, ich hin sein mußte. Da dachte
ich, — nein, ich dachte nicht, es kam mir das Bild von Dir, von
Mutter, von allen sieben vor die Augen, von meinem Bruder,
dem ich im iLebeit auch noch etwas sein muß — wieder ein
Schuß, der mich fast hinschmiß — es heulte, johlte, krachte,
bellte, donnerte um mich herum: da lag ich in einem Geschoß-
loch. Ich dachte: «Jetzt ist alles hin, alles, alles. Wenn ich
hinunterkomme, finde ich tote Pferde, tote Soldaten». — Ich
lag ganz rundgerollt im nassen Gras, den behelmten Ropf auf
den Boden gedrückt. Ich erwartete immer den vernichtenden
Schuß — nicht etwa mit Aufregung, Spannung, Todesangst
— nein, mit vollkommener Ruhe.
In diesem £»ch lag ich eine Stunde. Eine volle Stunde dauerte
HS
diese Teufelei: Als es ein klein wenig nachließ, sprang ich her-
aus und lief zum linken Geschüy, Schrapnells bellten mir um
den Schädel. «Weber, was ist los?» brüllte ich in ein verfallenes
Rellerloch. — Ries hatte den Ropf weiß eingebunden und
suchte vor mir aufzustehen und stramme Haltung einzunehmen.
Ich erfahre, daß die Proyen zufällig noch nicht da waren. IVel-
ches Glück! ££s war hell geworden, überall krochen die Leute
aus kleinen Gruben und Rellern. H. kam lachend herbei. —
Alles war in Ordnung, der Vorfall, wie die wilde Jagd, die
über den einsamen Wanderer wegzieht, vergessen.—Ich brachte
die Batterie in die neue Stellung, kein leerer Geschoßkorb blieb
in der alten liegen.
In der neuen Stellung bleiben wir bis Z. September unter er-
träglichen Verhältnissen. Eine Zeit des "Wirkens ohne vergleich,
solange ich im Felde bin. Ich kann auf Einzelheiten nicht ein-
gehen: Batterien außer Gefecht gesetzt, den Feind im Vorgehen
auf p. in der Flanke gefaßt, Lager zerstört, Rolonnen verwirrt
und zersprengt. So ging's tagelang. Daneben litten wir unter
Hunger, unter Frost und nässe, hatten Verluste und erlebten
Einzelheiten, die grausig waren, und an die man nicht mehr gern
zurückdenkt. Doch die Röpfe waren hoch. Rein IVort der Rlage
fiel in der Batterie, deren -Leistungen bewundernswert waren.
Respekt vor jedem Ranonier, der den Tag über schoß und die
n<xd>t über Munition schleifte! Ich denke mit Rührung und
Bewunderung an meine Ranoniere und Fahrer. Am Abend
des Z. September. «Die Herren Batterieführer sofort zur Ab-
teilung!»Dort Rückzugsbefehl. Um 2Uhr nachts kommen wir
ungeschoren heraus, ohne Verluste, während andere Batterien
schwer bluten mußten. Bei einem unvergleichlich schönen Gon-
nenaufgang fahren wir in die neue Stellung südwestlich von
R., trinken heißen Raffee von der Feldküche und liegen im
Gras, "wieder ein Tag der Ruhe, da der Tommy nur langsam
nachkommt. wir schlafen alle in der Sonne.
Am 5. September laure ich den ganzen Tag, bis der Tommy
nachkommt. Er kommt aber nicht. Am Abend ungeheure
Brände vor uns, neben uns, hinter uns. Die golden sinkende
Sonne wird von gigantischen schwarzen Rauchsäulen verdun-
feit; die Nacht wird blutig erhellt von tausend brennenden
Baracken, -Lagern, Dörfern, Magazinen usw. "wir marschieren
29 D. d. S.
wieder zurück, schwierige Wege. Gegen i Uhr früh kommen wir
nah an die Stellung, die im trostlosen Trichterfelde liegt, "wir
warten auf das Morgenlicht und schlafen im nassen Gras....
Was wird die Zukunft bringen? Jetzt heißt's, die Ohren steif
halten! In mir ist jetzt jenes vollbewußte Deutschtum erwacht,
das man sich erarbeiten muß, das tiefstes Erlebnis und tiefster
Lebensinhalt sein muß. Jeyt will ich und werde ich meinen
Mann stellen, und wenn die Hölle alle Teufel auf uns losläßt.
Und selbst wenn ich das Rriegsende nicht mehr erleben sollte, so
war mein Leben doch schön und so, gerade so, möchte ich es
immer wieder leben. Jeyt ist's viertel nach zehn Uhr geworden
und eine Menge Blätter liegen neben mir. Ein paar Züge sind
festgehalten, unzählige habe ich selbst wieder vergessen, unzäh-
lige sind nicht auszudrücken, und vieles will ich Dir erzählen,
wenn es uns vergönnt sein wird, wieder einmal beisammen zu
sein. V, dieses wiedersehen, Heimat, Mutter und Braut!
Ja, nun zu Ende! Morgen früh reite ich wieder in die Stellung
vor, um H. abzulösen. wie lang ich vorn bleibe, weiß ich noch
nicht. — wie schön ist's hier unten! Der kleine tvfen brennt
noch, ich lehne in einem Rorbstuhl, werde jeyt noch eine Ge-
schichte lesen und dann ins Bett gehen — weiß überzogen!
Morgen früh heizt mein Bursche vor dem Aufstehen ein und
wärmt Wasser zum "waschen! Unvergleichliche Genüsse! Und
doch freu ich mich, morgen wieder zu meinen Leuten vorzu-
kommen in Dreck und Rälte.
*
Adolf proplesch, unbekannt.
Westen, I.April I9I8.
In Schwerer Stunde gedenke Ich heute am Ostermontag der
Lieben Heimat. Ich stehe jetzt hir im Westen, es ist Furchtbar.
Ich habe den Rrieg doch schon von Anfang an mitgemacht,
aber eine solche zeit noch nicht. In jedem Augenblick kann der
Tot eintreten, da mus man bereit sein. Der Liebe Gott wird
uns nicht verlassen, weil wir doch alle, hir im Felde, wie auch in
der Heimat Ihn darum bitten. Einen recht schönen Gruß aus
der Ferne.
*50
Frankfurt a. M., den 20.September I9I8.
... ich bin am 15.Juli an der Marne durch einen Ropfschuß
schwär verwundet wurde, es ist mier dabei das linke Auge ver-
lohren gegangen. Aber man mus sich im Schicksal fügen, den
was Gott ruht ist wohlgetahen. Am 2). August wurde Ich
Operiert, und lag acht Tage in schwährem Lieber. In diesem
Lieber sah Ich nachts eine Schaurige Gestalt zu mier kommen.
Da fing Ich im Traum an vatter unser zu betten, und die Ge-
stalt floh von mier. Seit der Zeit wahr es mier immer, ob einer
bei mier wahr, der mier behütet, und ich mier dabei sehr gut
fühlte.
Jetzt die Besten Grüße.
Hubert Scheuren,
geb. 21. August I89Z in Hohenbudberg, Rrs. Moers.
lo. September I9I8.
Da jetzt endlich das unsichere Hin und Her ein Ende gefunden
hat, kann ich mal wieder einige Zeilen schreiben. Hier wird viel
davon gesprochen, daß zu Hause alles die Röpfe hängen läßt, ob
unserer strategischen Rückzüge. Na, ich kann Euch nur ver-
sichern, wenn's auch kein Spaß war, tadellos geordnet haben
sich unsere befohlenen systematischen Rückmärsche entwickelt.
AZenn man natürlich letzte Nachhut ist, hat die Geschichte ein
wesentlich anderes Gesicht: Also von einem geschlagenen Heer
kann nicht im entferntesten die Rede sein. Ich hoffe nach wie
vor auf günstigere Entscheidungen.
*
Hermann Ge 0 rgi,
geb. 18. August 1870 in Elterlein/Erzgebirge,
gest. 23. September 1922 inElterlein/Erzgebirge.
Geschrieben am September I9I8.
Teile Ihnen mit, daß wir seit dem d. M. in schwere Groß-
kämpfe an der Michelstellung mit Amerikanern verwickelt sind.
29*
551
Der schwerste Tag bis jetzt war der 12.September. Da mußten
wir dem Druck des Gegners nachgeben, da unsere Reserven
nicht gleich zur Stelle waren. Deshalb hatten sie einen An-
fangserfolg und drückten uns sieben bis acht Kilometer zurück.
Aber am Nachmittag, da wurde die Höhe von unfern Truppen
im Gegenstoß wieder zurückerobert. Die Verluste waren groß,
aber die des Gegners enorm stark. Ich hoffe auf Gott und sehe
unserer gerechten Sache mit Vertrauen entgegen. Durch kommt
der Feind nicht, unser Vaterland wird von den Greueln des
Rrieges doch verschont bleiben.
*
Harry Freiherr von "w o l ff,
geb. 2. April 1900in Riga,
gef. 8. Oktober I9I8 bei Beaurevoir.
17. September I9I8.
Gegen drei Uhr wache ich auf. iLs wird ein Tankangriff erwar-
tet, die Posten werden verstärkt. Unsere Artillerie haut wie toll
los, aber siehe — die letzten Nachtstunden vergehen ruhig.
y29Uhr wache ich auf und krieche nach oben, es hatte gewittert.
Jetzt ist es herrlich warm und klar, vor mir die graue U)üfte
des Schlachtfeldes, ein paar einzelne astlose Bäume dazwischen.
Links und rechts zerschossene Dörfer. Rechts lLpöhy. M-G.-
Geknatter und englische Flieger stören uns die Ruhe. Um den
20. sollen wir das erste Bataillon vorne ablösen. A?ie wird's
werden? So ruhig wie bisher bleibt's wohl kaum, aber selbst
muß der Soldat ruhig bleiben, das ist der beste Schutz. Im
übrigen auf Gott vertraut. Ich sage mir immer — was macht
die einzelne Mxistenz aus? IVenn's nur ein schneller Tod ist, so
ist es leicht. Wenn ich fallen sollte, so kommt es, wo es auch sei,
ob hinten oder vorne. Und wenn ich an Heinz denke, so ist es
mir, als fess'le mich ein Band weniger an die iLrde. Aber nur
fallen nach erfüllter Pflicht, soll meine Parole sein. Der Rrieg
ist der große Gleichmacher und damit der Vater unserer neuen
Zeit und IVelrordnung. Hier merke ich es erst in seinem ganzen
Umfang. Vb Leutnant, ob Unteroffizier, ob Grenadier, hier
gibt's nur nackte Menschenleben, um die gerungen wird. Ich
452
lerne vieles verstehen vom Zeitgeist, hier wurde er geboren, ist
darum am reinsten hier zu finden. Abends Parole, ich bekomme
eine Infanteriegruppe im 2. Zuge. Von 2— Uhr habe ich
Aufsicht beim Exerzieren, es regnet, der Lehm klebt; froh bin
ich, als die Zeit um ist.
2l. September 191$.
iLs beginnt eine Reihe fabelhaft interessanter Tage für mich.
Ich sehe die leitende Arbeit hinten im Stab, sehe wie sich die
Lage entwickelt mit ihren spannenden und kritischen Momen-
ten; außerdem interessant, weil ich famose Menschen kennen
lerne. — Ich sitze am Telefon und notiere die einlaufenden Mel-
düngen. Meine Reihe beginnt meist £ Uhr morgens. Ist drau-
ßen Schweinerei, so gibt es viel Arbeit, und einer der Herren ist
mit dabei. Dann gibt es schon früh Raffee — nach 9 Uhr lege
ich mich.
Gefangene werden gebracht. Junge Rerls, Jahrgang I900,
nette, rote Gesichter, einer erzählt, er sei sechs Monate Soldat,
zwei Monate im Felde, «Much to long» fügt er hinzu.
IVir arbeiten bei Rerzenlicht, dumpfe Beleuchtung, die Lerme
wird beschossen, da eine Batterie bei uns aufgefahren ist. Der
2l. ist ein Glanztag. Ein großer englischer Tankangriff abge-
schlagen. Schröder macht mir der 7. Gegenstoß. Tadellos gelun-
gen. Iammer, daß ich nicht dabei war.
22. September.
Ruhig.
23.September.
Früh große Schweinerei. Schon nachts türmen die Leute, da
rechts Anschluß an Bayern verloren. Mühevoll wird die Lage
wieder hergestellt.
2*. September.
Abends endlich Ablösung. 9 Uhr gehe ich allein voraus, um
Platz zu machen....
*
*53
Horst Potoniö,
geb. Z. Mai 189? in Berlin.
Borges bei 2. Oktober 1918.
"Waeman hier über den Frieden denkt?
Ja, der Frieden wird wohl bald kommen, aber für uns ein sehr
schlechter Frieden. Wir werden uns bei den Verhandlungen
ordentlich bücken müssen. — jLs hat eben schon sehr lange der
nötige Weitblick in unserer Politik gefehlt. Die Amerikaner
sind von vornherein unterschätzt worden. Infolgedessen ist eine
ganz verkehrte Politik getrieben worden, das zeigt sich jeyt. —
<£« sind doch ganz handgreiflich die Amerikaner mit ihrem
unerschöpflichen Material, was der Entente jeyt den Vor-
rang gibt und uns immer tiefer in die Tinte setzt. Ohne die
Amerikaner hätte die Entente schon längst eines unserer
Friedensangebote angenommen. — Der Frieden kommt
höchstwahrscheinlich bald — oder der Rrieg dauert noch sehr
lange. Wenn der Frieden bald kommt, haben wir den Rrieg
verloren.
Das ist etwa die (Quintessenz dessen, was man hier draußen von
Rrieg und Frieden denkt. — Was nützt ein Ludendorff, wenn
unsere Politiker alles vermasseln!
-i-
Theodor Ieuk,
geb. lo. Dezember 1897 in Berlin.
Im Felde, den Zl. Oktober 1918.
Ich und Tausende haben den Beruf und die Existenz dem Vater-
land geopfert. Hunderttausende haben ihr Leben fürs Vater-
land gelassen. Und alles, alles umsonst? "Wir stehen heute von
den Freunden in der Stunde der höchsten Gefahr verlassen da.
An ein Weiterkämpfen mit Erfolg, daran ist nicht mehr zu den-
ken. Deswegen hört man jeyt auch überall die Worte: «Frieden
um jeden preis». Einen demütigen Frieden darf sich Deutsch-
land nicht aufzwingen lassen. Hoffentlich wird sich jeder deutsche
Mann und jede deutsche Frau klar, was ein solcher Frieden für
Deutschlands Zukunft birgt. Einmütig müßte jeyt dem Feinde
*5*
aus allen deutschen Rehlen entgegenschallen: «Entweder einen
Frieden, der mit der Ehre und der Tradition des Deutschen
Volkes vereinbar ist, oder wir wollen ehrenvoll untergehen.»
Hoffentlich wird uns dann ein zweiter Herrmann als Befreier
Deutschlands beschert. Die alte Dynastie der Hohenzollern scheint
in Raiser Wilhelm II. ihren letzten Vertreter zu haben. Tritt
dieser Lall ein, so hält als erste Folge die Revolution ihren Ein-
zug. Gott bewahre uns davor. Hoffentlich vergißt der liebe
Gott nicht ganz unser liebes Vaterland und läßt einen Frieden
zustande kommen, der in sich den Reim zu zwar neuer, aber
desto erfolgreicherer Arbeit und zu neuem Blühen und Ge-
deihen birgt....
Ernst Wilhelm Rrämer,
geb. 18. Januar ISpö in Holzen bei Schwerte/Weftf.
Im Felde, Z. Oktober 1918.
... In der Natur bereitet sich wieder ein großes Sterben vor.
Gerade diese Zeit liebe ich wohl von allen Jahreszeiten am
meisten, wenn der deutsche Laubwald sich bunt färbt und die
Sonne doppelt warm scheint, um die Menschen zu versöhnen,
dafür daß sie nicht mehr so lange die Erde erwärmen kann.
Gerade jetzt werde ich stark erinnert an die schöne Jugendzeit,
da ich seit drei Wochen nach den Tagen der großen Abwehr-
schlacht in einer wundervollen Waldgegend wohne, die mit
Buchen- und Eichenhochwald bewachsen ist, wie man es im all-
gemeinen in ganz Frankreich nicht findet. Schaurig klingt es,
wenn nun dieser lebendige Wald unter den Hieben des über ihn
ergehenden Trommelfeuers ächzt und stöhnt. Die rohe Rraft
der Granaten fällt diese hundertjährigen Baumriesen und wirft
sie durcheinander, als ob sie Schuld an diesem entsetzlichen Rriege
wären. So wird nun das arme Frankreich von Grund auf
ruiniert. Denn wenn unsere Gegner fortfahren, so das von uns
besetzte Frankreich zurückzuerobern, dann wehe Dir, armes
Land, was sagst Du nun zu unseren Mißerfolgen an allen
Rriegeschauplätzen 7Dazu kommt nun noch neuerdings die
heikle Rrisis im Innern. Unsere Lage ist sicherlich ernst, jedoch
*55
unter keinen Umständen hoffnungslos, wie viele allzu Rlein-
mutige glauben. Ich möchte annehmen, daß dieser für uns un-
günstige Zustand dazu in kurzer Zeit führen wird, daß sich das
Deutsche Volk noch mal zusammenballt und dem Gegner zeigt,
daß Deutschland nicht geschlagen werden kann, wenn es sich
einig ist. Hoffentlich kommt jeyt ein energischer Diktator in
Deutschland ans Ruder, der das Staatsschiff durch alle Ge-
fahren mit sicherer Hand hindurchsteuert....
*
Georg Breithaupt,
geb. 5. Juli l88p in -Luckenwalde in der Mark,
gest. 13.November 191$in Loorce/Belgien.
16. Oktober I9I8.
Der Regen rauscht, als heulte er über unser moralisches und
politisches Elend, und die Erde scheint unter uns hinwegzu-
schwimmen, um uns die Räumung des besetzten Gebietes zu
ersparen. Seit acht Tagen sitzen wir infolge der Rückwärts-
bewegung in einem Dorfe mitten in den Ardennen. Unser Flug-
platz ist eine anmutige Gebirgslandschaft, aber nimmermehr
ein Flugplatz. IVir sind nicht weit entfernt von dem Orte, der
1870 unsere höchsten Triumphe sah, um das zu erleben, daß
unsere Regierung unser Volk und unser stolzes Heer verkauft!
Im wörtlichsten Sinne. Es ist zum Heulen! "Wut, Scham, ver-
zweiflung streiten sich in uns. Heute kommt ein Aufruf von
Hindenburg an die Armee, in dem er um Vertrauen zu sich
bittet. Er habe die Pflicht, die vom Raiser berufene Regierung
zu unterstützen. Er stimme dem Friedensschritt zu. Rein IVort
mehr. Der deutlichste Beweis, daß er nichts gegen die Verräter
machen kann. Es ist erschütternd zu sehen, daß dieser Mann
jeyt seine Überzeugung opfern zu müssen glaubt, damit wenig-
stens ein Mann an der Spitze bleibt, zu dem Volk und Heer Ver-
trauen haben. Dieser Erlaß ist die größte -Leistung des Man-
nes. Selbstüberwindung im höchsten Grade! Auf Rosten seines
Namens. Denn schon schreibt die ganze Judenpresse, die oberste
Heeresleitung sei ja verantwortlich für die Räumung, die ihr
von den Mehrheitsparteien in "Wahrheit aufgedrängt ist. Um
*56
das zu erleben, stehen wir nach vier Jahren voller Opfer mitten
in Leindesland. Näheres wissen wir nicht. Es scheint, als soll-
ten die Zeitungen aus der Heimat von uns ferngehalten wer-
den. Jetzt wäre ein Z?ork nötig, der auch gegen den IVillen des
Raisers das Heer anführte zur Rettung des Vaterlandes. Er
würde Erfolg haben, sobald rechtzeitig alle Friedensschreier
um jeden Preis festgesetzt und erschossen würden. Aber das wird
bei uns Deutschen erst möglich sein, wenn wir eine Zeit wie
1807—13 noch einmal durchkostet haben. Es ist furchtbar. IVir
würden am liebsten mit unseren Staffeln einen Gchlachtflug
nach Frankfurt und Berlin unternehmen.»--
(Am 13. November, an dem Tage, wo er mit seiner Staffel die
Rückfahrt nach Deutschland antreten sollte, hat G. 1V. Breit-
Haupt seinem Leben durch Schuß in den Ropf ein Ende ge-
macht.)
*
Max Böhme,
geb. 31.Dezember 1885 in Delitzsch.
Im Felde, den 28. Oktober I9I8.
Euern lieben Brief vom 2s-. heute dankend erhalten. Hoffent-
lich ist noch alles gesund. Ich bin es auch. Mit Riesenschritten
scheint es jetzt dem Frieden und Deutschlands Untergang zuzu-
gehen. Unsere zehn Scheidemänner werden uns bald vollstän-
dig ruiniert haben. Sieh Dir mal die neuen Staatsmänner an.
Rein feiner Zug ist darunter, alles gewöhnliche Gesichter. Und
die wollen uns eine gute Zukunft bringen? Nimmermehr. Es
wird eine Zeit kommen, da wird man die rote Regierung ver-
wünschen und verfluchen. Der Deutsche läßt sich nicht für
die Dauer unterdrücken, jetzt ebensowenig wie vor hundert
Jahren.
Der Tag der Befreiung aus schmachvoller Rnechtschaft muß
kommen. Und ich gehe dann freiwillig, wenn es heißt «entwe-
der Sklave fein — oder sterben». Bin also immer noch der blöd-
sinnige Schwärmer von ftüher. Hoffentlich sehe ich zu schwarz.
Aber unsere Regierung ist schlimmer wie unsere Feinde, und der
«vorwärts», den ich jetzt täglich lese, der malt unsere militärische
*57
Lage so schlecht aus, wie es noch nie eine feindliche Zeitung ge-
tan hat. Also unfern Feinden alles recht auf die Nase binden,
damit sie die Forderungen immer höher stellen! Unfern Unter-
gang wollen sie, damit alles verarmt und nur arme Leute
Sozialdemokraten sind. Deshalb hat der «Vorwärts» pp. schon
jahrelang die Stimmung im Lande vergiftet, damit wir ver-
lieren sollen. Die Sozialdemokraten waren die größten Helfer
unserer Feinde.
*
Paul Piper,
geb. 29.Juni 1885 in Stettin.
p. Oktober I9I8.
Dch schrieb Dir gestern. Mir geht es noch immer gut. Heute
morgen wieder Sturmschießen und Gegenstoß von uns, der
teilweise glückte. So leicht lassen wir die Bande nicht vor. Ich
schieße Sperrfeuer zwischen St. Clement—St. Pierre, 4-000 m,
da kannst Du Dir ausrechnen, wo wir rumkrebsen.
U)ir leben schlechter wie die Hunde, und doch sind wir verstört
über die Nachrichten von Hause. So schlecht steht es doch nicht
mit uns. IVir scheinen den Ropf verloren zu haben.
Gerade jeyt dieses Friedensangebot, wo der Gegner halb toll ist
vor Siegesübermut, es ist zum Heulen! Dafür vier Jahre Rrieg
und all das Blut....
Feuerstellung, 22. Oktober 1918.
Die Gefangenen, die hier gemacht worden sind, sind sehr zuver-
sichtlich und glauben an unseren baldigen Zusammenbruch. Da-
her auch der Elan, mit dem sie angreifen, während unseren Sol-
daten die innere Politik den Boden unter den Füßen wegzieht.
Niemand will jeyt zum Schluß fallen und den Offizieren wird
jede Begeisterung genommen.
Man könnte fast alle die beneiden, die gefallen sind.
St. Laurent, den II. November 1918.
Das waren schlimme Tage, die wir seit meinem letzten Brief
durchgemacht haben, und nun, nachdem wir alles glücklich über-
458
standen, diese Nachrichten. Der Raiser geflohen! Liebknecht
stellt eine Gegenregierung auf!
"wir waren auf unserem vorbereiteten Rückzug von der Aisne
zur Maas Nachhutbatterie. IVir mußten den Rückmarsch decken
und marschierten immer 24 Stunden hinterher. Dabei regnete
es die ganze Zeit. An Unterkunft war kaum zu denken, sodaß
wir in diesen kalten Novemberragen fast ständig durchnäßt
waren.
Gesundheitlich ging es mir gut, der Malariaanfall hat sich vor-
läufig nicht wiederholt.
Bei dem Rückmarsch gab es oft heikle Situationen, vor uns
als Schutz eine dünne Infanterielinie. Raum waren wir über
die Brücken, so wurden sie gesprengt.
Aus der letzten Stellung entwischten wir mit knapper Not. Der
Meldereiter von der Gruppe, der uns den Abmarschbefehl brin-
gen sollte, kam nicht mehr durch. wir rückten auf eigene Laust
ab, nachdem wir zwei Angriffe abgeschlagen hatten. Telefon
mußte alles liegen bleiben.
Jetzt stehen wir Charleville gegenüber. IVir wollten die Stadt
schonen, aber der Franzose greift weiter an, so heißt es, weiter
kämpfen.
IVir halten Tag und Nacht die gesprengten Bahnbrücken unter
Leuer.
IVir wohnen in einem kleinen Dorf ganz gemütlich, allerdings
wird viel hineingeschossen. Die Häuser sind noch alle voll lLin-
richtung, in den Gärren stehen Gemüse und Rartoffel, sodaß es
uns in der Beziehung nicht schlecht geht.
Um so mehr fühlt man sich moralisch niedergedrückt. Die Diszi-
plin bei unseren Leuten ist gut, jeder sieht ein, daß wir vor-
läufig weiter die Front halten müssen.
*
MaxRupkalwis,
geb. 2. Februar 1885 in Likertischken,
gest. 26.Dezember 1926 in Hamburg.
Wilhelmshaven, den lZ. November I9I8.
Geduldig, wenn auch schmerzhaft, haben wir alle -Leiden des
bösen Rrieges getragen, aber noch schmerzhafter ist das Unge-
459
wisse der Zukunft! Seit Sonnabend sind wir hier im Hafen,
nachdem wir uns beinahe heimatlos mehrere Tage in der Nord-
see herumgetrieben hatten. Wir wagten es nicht eher, in den
Hafen zu fahren, weil wir nicht genügend über diese ganze
Umsturzbewegung unterrichtet waren. Aber der Mangel an
Proviant zwang uns, hierher zu kommen und uns der neuen
Sache anzuschließen. Dieses alles wäre ja leicht zu ertragen,
wenn nicht in den nächsten Tagen das Schmachvollste, was ich
mir als Deutscher denken kann, geschehen muß, nämlich: Unser
schönes «Schiff», auf dem ich fünf Jahre hindurch allen Ge-
fahren getrotzt und als meine eigene Heimat betrachtet, nach
einem feindlichen Hafen bringen muß und mich dort dem Spotte
und Hohn der Engländer aussetzen lassen. jLine Hoffnung be-
steht noch, um die Sache zu mildern, und diese ist die: daß unser
Schiff nicht in einen feindlichen, sondern neutralen Hafen ge-
bracht werden muß. Vtach Holland oder Dänemark. Wenn die
Friedensbedingungen ebenso hart sind wie diese IVaffenstill-
standsbedingung, so möchte ich kaum weiterleben und hätte ich
lieber früher den Tod finden sollen. Aber was hilft es nun alles,
es ist also geschehen, und wir müssen nun alle sehen, wie wir es
zum Besten abändern. Bevor ich abfahre, gebe ich noch Vlach-
richt, bis Montag früh 5 Uhr müssen wir hier fort sein. Tröstet
Euch mit mir, ich werde wiederkommen und gemeinsam mit
tLuch weiterarbeiten. Ich hörte eben, daß wir bis zum Is. De-
zember zurück sein sollen. Mir ist zumute, als träumte ich, so
unbegreiflich ist die Sache für meinen deutschen Sinn. —
*
TD iII i Gundlach,
geb. Z. November 1895 in Spandau,
gest. 10. Februar 1920 in Berlin.
Rußland, den 7. November J9I8.
Habt herzlichen Dank für jLure lieben Glückwünsche und Ga-
ben. Den Tag habe ich diesmal nicht gefeiert, da ich erst kurz
vorher in meinem neuen Standort eingetroffen bin. Außerdem
ist man gar nicht in der Stimmung, Feste zu feiern. Die Umwäl-
Zungen in unserem Staatsleben hinterlassen einen zu starken
*60
Eindruck. Meines Trachtens werden die Verhältnisse in Deutsch-
land noch radikaler werden. Die jetzige Regierung kann doch
keine Garantie geben. Es wäre eine Lösung noch möglich,
wenn man eine starke Polizeitruppe zur Aufrechter Haltung der
Ordnung gründete und sich nicht so willenlos wie in (Österreich
treiben läßt. Aber unsere hohen Herrschaften verlieren gleich
den ganzen Ropf und erwarten dann himmlische Heerscharen.
Es ist unser großer Fehler gewesen, daß wir uns um Politik nie
gekümmert haben und die Masse durch Fanatiker aufreizen lie-
ßen. Sollte es nun noch in unserem vaterlande zu einer Em-
pörung kommen, dann muß jeder rechtdenkende Bürgersmann
ungesäumt dagegen Stellung nehmen und sich nicht hinter den
Bierkrug verschanzen. Nicht um sein Leben bangen oder an
sein Hab und Gut klammern. Der Rrieger hat fünf Jahre lang
diese Rücksichten nicht gekannt. Die Rriegsgewinnler und Porte-
monnaiepatrioten haben Bange um ihren Besitz. Die sollten
jetzt ihren Gewinn freiwillig zur Verfügung stellen und aus
eigenem Antriebe die Pflicht des Entsagens üben, wie es Mil-
lionen Menschen im Rriege getan haben. Arbeit und Fleiß kön-
nen später vieles nachbringen. Haben wir aber den Bolschewis-
mus im Lande, dann kommt ein anständiger Mensch nicht mehr
hoch. Den Bolschewismus aber müssen wir fern halten, jede
andere Gefahr dagegen ist klein. Hoffentlich bewahrt uns Gott
vor diesem Übel. —
*
Philipp Markert,
geb. II. November 1888 in Auerbach/Hessen.
Burtscheid (Eifel), 24. November I9I8.
Am 22.November I9I8 haben wir endlich die deutsche Grenze
überschritten, waren also IITage bis dahin unterwegs. Das
Wetter war bisher recht gut und die Verpflegung ausreichend.
Troydem fühlt man sich durch die täglichen Märsche recht abge-
spannt, und wer weiß, wie lange wir noch marschieren müssen,
bis wir ans Endziel gelangen. Dazu kommt die Sorge jedes
einzelnen um seine Lieben in der Heimat. Auch ich bin seit
29. Oktober 1918 ohne Nachrichten von Dir. Überhaupt scheint
man uns über die Vorgänge in der Heimat absichtlich im Un-
klaren zu lassen. Am liebsten würde man es wohl sehen, wenn
wir nicht zurückgekehrt wären; damit diese Umstürzler Lieb-
knechrscher Sorte noch leichtere Arbeit hätten. Wie hieß es doch
die Jahre her immer in allen Zeitungen: unsere braven Feld-
grauen, unser tapferes Heer, des Vaterlandes Dank ist euch ge-
wiß! Und wie sieht dieser Dank nun aus nach über vierjährigem
Rampf mit all seiner Vlot, Entbehrungen und Wunden. Heim
und Herd, Weib und Rind, alles möchten diese Schufte uns noch
vernichten.
Es ist nicht auszudenken, wie man uns die Heimkehr erschweren
will. Gebe Gott, daß ich Euch, meine Lieben, in unserm Heim
gesund und wohlbehalten antreffen darf.
*
Hans Diefenbacher,
geb. II. Dezember I89Iin Furtwangen,
gest. 25. Dezember 1930in Rönigsbach.
Flandern, am 12. Januar I9I8.
Sie liegen mir noch in der Erinnerung, die Worte: den vierten
Winter will ich noch mitmachen, einen fünften nicht mehr. Ich
könnte lachen! Als ob's mich fern der Front litt, wenn draußen
die Würfel fallen um Sein oder Nichtsein des Vaterlandes!
Vb ich dann noch atmen könnte, ins Licht der Sonne sehen,
mich über irgend etwas freuen, froh sein, wenn das Gewissen
mir zuflüsterte: Leben und Gesundheit galten dir mehr als
Ehre und Freiheit. Aufeinandergeprallt sind Welten: über
tausend Männer sterben täglich, und es gäbe einen, dem die Last
zu schwer würde, und der sie abwürfe? Wohl dem, der es kann,
den kein Gewissen mahnt; aber ein Recht auf das Große un-
serer Zeit hat er nicht. Wir anderen mitdem beschränkten Gewis-
sen werden aushalten bis zum Endsieg. Mag dann das Leben
bringen, was es will, in einem wird es für uns voller Licht sein:
umsonst haben wir nicht gelebt, es war ein Leben voller Werte.
Flandern, den 22. Februar I9I8.
l?ch glaub, nun haben wir den Winter hinter uns; zwar stürmt
und regnet es draußen gerade; aber troydem, ist erst einmal
Ende Februar da und der März im Anzüge, dann setzt man sich
darüber leichter hinweg, man weiß, nun muß es Frühling wer-
den und ersehnt es aus ganzem Herzen, vergißt dabei, daß damit
der Tod wieder zu seinem Recht kommt und seine reiche Ernte
halten wird, bis wieder ein neuer Linter ihm in den Arm fällt.
Leben und Sterben und dazwischen Rampf und ¥7ot, Pole des
Seins, zwischen denen unser Zeitliches verrinnt. Gottseidank
bin ich wieder ganz im alten Geleise; es war ein starkes Auf-
mucken in mir gewesen, ein gewaltiges, das mit dem Geschick
haderte; es war so kleinlich angegangen, und ich war so begei-
stert, nachdem Rußland amBoden lag und unsere ganze Rampf-
kraft sich nach dem Westen wenden konnte, da kam der große
Streik, und wie Jähzorn kam es über mich. Bei uns starben sie
tausendweise um deren Ruhe und Sicherheit, und dieses £um=
penvolk benutzte die Notlage seines -Landes, ging von Amboß
und Schraubstock um habgieriger Vorteile willen. Und wir
waren die, die letzten Endes darunter zu leiden hatten. Man
warf seine Jugend hin, seine schönsten -Lebensjahre. war ein
Volk wert, daß man für es alles darbrachte? TPir lernen wohl
im Leben nie aus. Und aller Gleichmut, alle Ruhe, sie scheitert
im Angesicht dessen, was wir in unserer Seele als Größtes
empfinden, wenn wir in seinem Glauben getäuscht werden.
Wer immer nur an der Oberfläche der Dinge klebt, wer nie tief
in sie eindringen kann, der lebt ein beschauliches Dasein fern
aller Rämpfe.
Flandern, den ly. September I9I8.
Selten hat wohl ein Mensch dem großen Völkerringen mehr
entgegengebangt wie ich. Als damals im Hochsommer 14 dunkle
Wolfen am polirischen Himmel Europas heraufzogen, da hat
meine Seele gefleht, daß uns Herbstes erspart bleiben möchte,
was Menschen treffen könne. Er kam dennoch, der Rrieg. Aber
als er da war, als sich um unsere Grenzen Millionen scharten,
da war in uns allen ja nur ein "Wille: zu siegen oder zu sterben.
Vier Jahre des Rampfes sind herum; vier Jahre, in denen
Deutschland seine Jugend auf den Schlachtfeldern opferte, in
denen seine Männer Unerhörtes duldeten und leisteten. Rönnen
denn Worte wiedergeben, was unser Los war? Und nun kom-
men die Stimmen und reden von Frieden, wo drüben immer
*63
noch der Feind sitzt, ungeworfen, in Eitelkeit und wahnsinnigen
Phantasien aufgeblasen. Wir werden sie morgen, übermorgen
wieder hören: Deutschland ist uneins, nur noch kurze Zeit Ge-
duld, dann haben wir sie am Boden. Ich mag das alles noch
gar nicht ausdenken. Haben wir darum geblutet und gekämpft,
haben wir darum gehungert und gelitten, haben wir darum
unsere Jugend, unsere Rrafr dem Vaterlands freudig geschenkt,
um im fünften Jahre zu sagen: «tt>ir können nicht über Much
siegen». <2>, es war eben doch zu viel feiges, habgieriges Gesindel
unter uns. IVäre jeder Deutsche bereit gewesen, sich und alles zu
geben, dann ständen wir heute anders.
Heut Hab ich ausgespannt, fuhr mir dem Zuge nach der nächsten
großen Stadt und wollt mich vergessen und könnt es doch nicht.
Immer mußt ich an uns, an unsere Schicksalsstunde denken und
hatte nur ein heißes Flehen in mir, daß diese Prüfung bestan-
den werden möchte.
Flandern, den 9. Oktober I9IS.
Unheilvoll drohend hat des Reiches Schicksalsstunde geschlagen
und beengend schwer liegt es mir auf der Seele und quält und
martert mich und weicht nimmer von mir, das ist das Ziel un-
serer Rämpfe! Ich kann das Bild nicht los werden, es steht den
Tag über neben mir, und ich kann es nicht bannen, es umgau-
kelt die träumenden Sinne bei Vlacht und höhnisch gellt es mir
in den Ohren: die IVilsonpunkte verrat an uns, verrat an
jenen, die in schwerer Stunde uns zur Seite standen. Ich kann
den Gedanken nicht zu lLnde denken! Ist denn mein Begriff von
lLhre so ein anderer? Rann man denn so noch leben? Ist es da
nicht tausendmal besser, irgendwo verscharrt in flandrischer
lLrde zu liegen? Ich Hab nur noch einen Wunsch: nicht so nach
Hause kommen, 0 tausendmal besser, man bekommt eine letzte
Rugel. Ich denk der Jahre, die ich in fremden IVelten verbracht.
Dort Hab ich amerikanischen, englischen Geist kennengelernt und
habe mein Vaterland lieben gelernt mir jeder Faser meiner
Seele. IVie hoch stand es über allem andern. Dann kam der
Neid der IVelt, kam der verrat an eigenem Blut. Wir haben
Schlachten geschlagen, haben die IVelt unter die Füße getreten
und brachten willig alle Opfer. Aber drinnen in der Heimat, da
war der Geist bald faul, da streikten sie schon vor Jahren, zu
einer Zeit, als die Flandernschlacht tobte, als wir in unseren
löchern lagen und uns schlugen, da brachten sie es fertig, die
Herstellung von Rriegsmaterial zu verweigern — um eines
Ranten Brotes willen. Dann kamen die Flaumacher: die zähl-
ten uns an den Fingern auf, daß wir gegen die Welt nimmer
gewinnen können. Sie brachen den deutschen Geist. Wie man-
chen wackeren Soldaten haben wir auf Urlaub geschickt, und er
kam gebrochen wieder und glaubte nimmer an den deutschen
Sieg. Es kamen die Unruhen auf der Flotte. Im Reichstag
enthüllte der Ranzler Michaelis den verrat der Revolutionäre,
und es geschah nichts darauf. Der Ranzler fiel darüber, aber die
Verbrecher blieben. Deutschlands Schicksalsstunde hat geschla-
gen. Was wir in vier Jahren litten und erkämpften, war um-
sonst. Ich kann, mag nimmer denken, ich brüte von einem Tage
in den anderen und kann es nicht fassen, daß ein Friede um
jeden Preis geschlossen werden soll.
Flandern, <5. November lyls.
Hartnäckig hält sich seit Stunden bei uns das Gerücht, die En-
tente habe geantwortet, daß die Waffenstillstandsverhandlun-
gen bei General Foch zu erfragen wären. Es ist mir wie ein
häßlicher Traum, ich kann es nicht fassen. Gerade die letzten
Tage stürmten sie mit den Truppen der Welt wieder und wieder
gegen unsere Linie, und wurden wieder und wieder geschlagen.
Wir sollten zurück in Winterstellung gehen, und da und dort
standen wir dann Tage und ließen sie anrennen auf freiem Feld
und schickten sie heim mit blutigen Röpfen. Ungebrochen ist
unsere Front. Ich denk an die fünfzig Monate unseres beispiel-
losen Rrieges, denk an den Mann, der nimmer ganze Stiefel-
sohlen, nimmer ganze Strümpfe hatte, und seh uns nun heim-
kehren: in langen unübersehbaren Rolonnen, mit hängenden
Röpfen werden wir über den Rhein ziehen, ungeschlagen und
todmüde bis in die Rnochen. DerRrieg hatte uns nicht so weit
gebracht, aber der faule Frieden. Und das ist der Trost von uns
allen, die wir die Jahre überstehen konnten: Einst wird auch
unser Tag kommen.
*
30 D. d. S.
465
Armin plock,
geb. 18. September I900 in Berlin.
Sonntag. — An der Front (hinter Seloignes,
Belgien), Anfang November I9I8.
Die letzten Tage brachten Rampf und Rückmarsch. Wir hatten
keine Ruhestunde. 3n der Vornacht sind wir über die belgische
Grenze zurückgegangen und liegen in Stellung hinter Seloig-
nes. Der graue Novemberhimmel, der uns viel Regen bescherte,
der stete Rückzug und das Wissen, daß in der Heimat Unruhe
herrscht, sind die häßlichsten Bedingungen zum Rümpfen und
harte Proben für die Moral. Da bin auch ich in gedrückter
Stimmung gewesen, bin nun aber wieder unverzagt.
ImBauernhause dort hinter den-Linien habe ich dieBewohner
den Rosenkranz beten gesehen. Da erinnerte ich mich, daß ja
Sonntag sei. Am Vormittag konnte ich endlich ein paar Stun-
den schlafen; Schlaf war das heißersehnteste aller Güter, schlie-
fen wir doch während des Marschierens.
Nun liege ich auf Vorposten am Waldrand versteckt. In den
Häusern des Dorfes vor mir nisten die Leinde. Hinüber und her-
über pfeifen die Rugeln und Granaten. Die feindlichen Flieger
kommen trotz unseres Leuers mit großer Raltblütigkeit rief
herunter und werfen gebündelte Handgranaten ab. Eben habe
ich einen Rameraden der Nachbarkompanie der HHv, der wie
ich einsam im Walde lag, verbunden. Dem war's ins Bein
gegangen. lLs sind harte Augenblicke, wenn man die Armen
stöhnen hört; die Rameradschaft verklärt indessen selbst diese
Minuten. Nun kommt schon die Abendkühle des Novembers
hernieder. jLs wird eine schwere Nacht werden. Gott schütze
mein deutsches Land!
Sonntag. — Auf dem Rückzug der deutschen Armeen. —
3mWesterwald am 18. Dezember I9I8.
In den Dörfern ringsherum läuten die Glocken: es ist Sonn-
tag heute! Und derweil ziehen die grauen Rolonnen des deut-
schen Heeres daran vorüber. Für sie gibt es keine Sonntags-
ruhe, gibt es nur ein Losungswort und das heißt: «Marschie-
ren und immer wieder Marschieren!» Der Feind, der nun doch
den deutschen Rhein haben will, drängt scharf hinterher, und
*66
so ist unser Regiment heute den siebenten Tag hintereinander
beim Marschieren. Morgen ist uns ein Ruhetag verheißen, wir
erwarten ihn sehnsüchtig. iLinmal wieder sich erholen und sich
gründlich reinigen, ist allgemeines Bedürfnis. Der heutige
Marschrag bringt wieder schwere Anstrengungen. Die Straße,
die durch die unendlichen Auro- und Bagagekolonnen und die
Stiefel der Tausende sowieso arg mitgenommen ist, macht mäch-
tige Windungen, und das Regiment hat sie verlassen, um auf
Feldwegen einige Rilometer abzukürzen, Nach ewigem Regen
sind die Wege grundlos; es geht bergauf und bergab. Im
Schlamm der Wege kommen wir nicht mehr vorwärts, und
stampfen nun über die Äcker und Wiesen. So reihen sich Meile
um Meile, Stunde auf Stunde aneinander, und aus Morgen
wird Abend. Die Zeit ist schneller als die keuchenden Männer.
Wieviele Dörfer haben wir schon durchzogen, französische, bel-
gische und deutsche in der iLifel, am Rhein und nun hier im
Westerwald. Das harte Muß, geboren aus dem Diktat des Fein-
des, aber auch die Sehnsucht nach der Heimat, haben uns große
Marschleistungen vollbringen lassen. Und Heimat ist es ja auch
hier schon im Westerwald, dem schönen Fleckchen unserer deut-
schen iLrde. So geben seine Sonntagsglocken doch ein wenig
Frieden ins wunde Herz. —
*
Willi Langner, unbekannt.
£. Dezember Ipl8.
Den Rhein hätten wir nun glücklich hinter uns! Wir liegen bis
6. in Ruhe in dem kleinen Dorfe Gehlinghoven, zehn Rilo-
meter südöstlich Bonn.
über meine Erlebnisse bis etwa 26. habe ich Euch in meinem
Briefe geschrieben, den ich einem nach Marburg reisenden Rom-
mando mitgab. Hoffentlich habt Ihr ihn erhalten? Dieses
Rommando fuhr schwerbewaffnet zum Ersatzbataillon Jäger II
nach Marburg, um die Bataillonsfahne zu holen, mit der die
Gegend durchzogen werden sollte. Das Rommando kam auch
gut an nach mehreren Sträußen mit Soldatenräten, die ihm
die Fahne klauen wollten.
-o. *67
Wir sind in kurzen und langen Märschen, meist bei Regenwetter
und schlechten (Quartieren, über Münstereifel und Euskirchen
bis zum Rhein marschiert. Gestern abend kamen wir dicht vor
Bonn ins (Quartier, wo auch die Lahne sich zu uns gesellte. Sie
hat noch einmal alles, was die -Leute an soldatischem Gefühl
besaßen, hochgerissen. So zogen wir um Mitternacht gegen
Bonn los als letztes deutsches Regiment, das noch auf dem
linken Rheinufer stand. Tags zuvor hatten die Zeitungen
schon gemeldet, daß als letzte Division die 200.und als letztes
Regiment das 4. Jägerregiment übergingen, und so war ganz
Bonn auf den Beinen, um den Letzten den Abschied zu bieten.
Die Stadt war hell erleuchtet und geflaggt, alle Straßen
standen voll Menschen, es war wie Anno I9l£! Mir klin-
gendem Spiele zogen wir hindurch, des Hurra- und Wieder-
sehen-Rufens wurde kein lLnde. Tausende von Händen streckten
sich uns entgegen. Soviel Händedrücke habe ich kaum im gan-
zen Leben bekommen, wie gestern nacht! Obst, IVein, Schnaps,
Zigarren gab man uns, gerade als ob Deutschland davon über-
fluß hätte. Auf einer der Hauptstraßen stand unser General
von Below, umgeben von einer riesigen Menschenmenge. An
ihm vorbei ging es in einem Parademarsch, der glänzend war.
Als die Lahne vorbeizog, flogen alle Hüte von den Röpsen, und
das Hurrarufen nahm kein Ende! Doch dem Aufmerksamen
entging nicht, daß über allem eine gewisse Bedrücktheit lag. In
vielen Augen standen Tränen. Um 2% Uhr nachts überschrit-
ten wir die große Brücke in Bonn und marschierten dann über
Rönigswinter durchs Sieben gebirge hierher, wo wir heute
um 8 Uhr früh ankamen.
So haben wir den Bewohnern des linksrheinischen Gebietes
noch den Rücken gestärkt durch ein Bild soldatischer Ordnung
und Straffheit nach all den unerfreulichen Eindrücken, die sie
beim Durchzug der Etappe und ersten Divisionen empfangen
hatten. Die Leute hatten ein geschlagenes Heer zu sehen erwar-
tet und überzeugten sich selbst, daß mit jedem Durchmarschrage
die Divisionen immer straffer waren. Ich bin überzeugt, den
Parademarsch des letzten deutschen Regiments in Bonn ver-
gißt keiner von denen, die ihn mitgemacht, und keiner, der ihn
gesehen hat.
*
m
Rurt Plenio,
geb. 21.Mai I89Itw Elbing,
gest. 28. August 1919 in Reinickendorf bei Berlin.
Berlin-Tegel, den Dezember I9I8.
Hoffentlich habt Ihr das Lest gesund verlebt: zur reinen Freude
fehlt ja jeyt leider die rechte Stimmung. Ich hatte einen sehr
stimmungsreichen Heiligabend bei Hindenburg (von wo ich
Euch eine Rarte sandte), für mich eine würdige Erinnerung
fürs ganze Dasein. Eine Lazarerrschwester trug ein Gedicht
vor mit dem Schluß «Verzaget nicht», daraufder Leldmarschall:
«Ylem, wir verzagen nicht; denn wir haben ja Religion im
Herzen». Gemeinsame Leier aller Offiziere und Mannschaften
des II. Cduart. Zum Schluß noch ein paar Worte des «Vaters»:
«Rameraden, wenn wir nun hier bald auseinandergehen, so
denkt Euer ganzes Leben dran: Deutsch sein heißt treu
sein. Behaltet im Herzen, was Euch "Weihnachten I9IS Euer
alter Leldmarschall sagte». — Auf jedem Play eine Tüte
mit Liebesgaben, für Mannschaften und Offiziere gleich.
Z. B. Zigarren, Hosenträger, Mundharmonika. So auch für
mich. Und das Bild werde ich nie vergessen, wie der alte Hin-
denburg hinter seinem Play stand und in der Rechten einen
Hosenträger schwenkte! Die Stimmung war gedrückt durch
die blutigen Nachrichten aus Berlin. Nach Tisch fuhr der
Leldmarschall per Auto nach Rassel runter zu seiner Frau,
Tochter und Schwiegersohn: da ich auch ins Hotel wollte
und für mich kein Wagen zur Hand war, nahm er mich im
Auto mit. —
*
Aus französischer Gefangenschaft.
Rurt Wunderlich,
geb. 18. Juni 1895 in Merseburg.
Chateau-Gontier, den 7. Dezember I9I9.
Ich glaube, daß doch dieser Brief, nicht der vorige, zu Weih-
nachten eintreffen wird; denn Euern vom Totensonntag habe
*69
ich bereits erhalten, und mein letzter war auch an diesem Tage
geschrieben. Daß diese Zeit jetzt recht schwer auf uns allen
lastet, das könnt Ihr Euch wohl denken. Weihnachten, das
sechste für so viele fern von daheim, dazu die Lage des Vater-
landes, dann die Alarmnachrichren über Abtransport, die sich
bisher stets als falsch erwiesen haben und schließlich die Ant-
wort auf die deutsche Note bezüglich der Gefangenen. Glicht,
daß wir gegen unser Schicksal abgestumpft wären — das
kann man nie, so lange man jung ist — ist der Grund für
das Folgende, sondern innere Gründe, die jeder, der mit deut-
schem Wesen vertraut ist, nachfühlen kann. JEe scheint, als
würde die Rücksicht auf uns Gefangene die Handlungsfrei-
heit der Regierung gegenüber gewissen Forderungen der Feinde
stark beeinträchtigen, so daß das Wohl und die Zukunft der
Nation dadurch in Frage gestellt werden. Ich weiß mich mit
vielen Rameraden einig, daß wir die Leiden der Gefangen-
schaft weiter ertragen werden, falls es zum Aufbau der Hei-
mat notwendig ist. — Dieser Satz liest sich leichter, als er
niedergeschrieben ist. Er ließe auch die Deutung zu, daß es
uns sehr wohl gehe. Aber derartige Auslegungen können
solche machen, die sich dazu berufen fühlen. — Jedenfalls
müßte der Grundsatz auch im neuen Deutschland gelten:
Wenige für viele. —
*
Prisoners of War.
Arthur Schön, Nr. Z185. Western P.O.O. Park
Hall-Gsirestry Salop England,
geb. Zo.Juni 1893 in Dowiaten,Rrs. Angerburg, Ostpreußen.
2Z. Oktober I
Dies soll an Dich mein letzter Brief sein. In nächster Woche soll
unsere Heimreise endgültig erfolgen. Ein Jahr seit Waffenstill-
stand; bald lege ich den liebgewonnenen feldgrauen Rock bei-
feite; nicht wie einen verhaßten Lumpen! Er bleibt mir Er-
innerung an Siege, Verkörperung des Militarismus, den die
Welt in seiner wahren Bedeutung, nämlich: Deutschlands
*70
Macht und Größe, so glühend haßte. Die "Waffen sind vor-
läufig fortgelegt, doch Rämpfer der Idee müssen wir bleiben
und auf Vorposten stehen für unser Deutschtum!
Dies ist die Gesinnung und Erkenntnis, die ich in fünf
Jahren als Feldgrauer gewonnen habe, und der ich treu bleiben
will.
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Henning, Peter.......... 331
Hering, Rudolf....... 97,151
Herold, Ernst........ 74, 225
Hildebrand, Fritz.........400
Hinrichs, Rarl .......... 344
Hohls, Hermann.........244
Hoßfeld, Friy....... 322, 427
Hoyel, Herbert .......... 229
Iackson, Wilhelm .... 378, 394
Jahnke, Otto ... 2*3,245, 3*6
Jakobeit, A......... 118,374
Jensen, Nicolai......... 249
Jeuk, Theodor..........454
Rachler................ 250
Rading, Friy ........... 422
Rappler, willp.......... 366
Rausch, Franz .......... 243
Rirchhausen, Emil......283
Rirchmapr, Hans---- 119, 287
Rirsch, Peter ........... 34
Rirschnereit............. 187
Riffel, Hans............ 373
Rlasen, Wilhelm ........ 242
Rlaus, Rarl............ 436
Rlimusch, 0............434
Rnauer, Heinrich---- 136,253
Rnuy, Hermann ---- 167,259
Roch, Rarl............. 241
Röhler, August ......... 300
Röpf, Hans ............ 54
Rörber, Normann....... 375
Rraft, Franz............ 158
Rramer, Ernst Wilhelm .. 455
Rrause, August ......... 211
Rreher, Otto ........... 79
Rrüger, Paul........... 384
Ruhlmann, Theo........ 156
Rühn, Gustav.......... 417
Rursch, Eduard......... 432
^akotta, Franz.......... 117
Bammel, Xilattin........ 107
l^angner, Willi..........467
Bassen-Hansen, Christian 78, 145
Regler, Reinhold........ 435
Kersch, Heinrich ......... 219
S.eske, Franz............ 355
^equis, Arnold ......... 37
Kinke, Paul............ 315
474
L,oose, Oskar........... 10 5
^.üdicke, Hugo .......... Jol
von Mackensen, August ... 43 l
Mangold, ^ouis ........ 442
Marwiy, Ewald ........ 337
Maper, Albert .......... 10
Markert, Philipp........461
Marx, Wilhelm ......... 366
Mattern ............... 186
Messerschmidt, Wilhelm 59,266
Meyger, Rarl ........... 53
Mögerlein, Nik. Michael . 430
von Möller, Rarl . 92,258, 329
Moschny, p............. 190
Müller, Rarl ........... 177
Müller, Ronrad......... III
Muth, Reinhard ........ 407
Naud6 ................ 112
Nerkorn, Emil ......... 226
Neripck, Albert ......... 284
Nowak, Werner...... 36, 360
Oberer, August . 297, 348,417
Ohl, Adolf............. 421
Ohler, Gustav .......... 142
Ohnesorge, Erich........ 399
Olde, Hans............. 71
Olde, Otto ............. 65
Palmus, Heinrich........ 193
pankoke, Ludwig ....... 50
peil, willp............. 273
perner, Friy........ 318,414
Petras, Hans........... J83
peukert, Horst .......... 20
pezold, Nikolaus........ 380
Piper, Paul ............ 458
plenio, Rurt ........ 61, 469
plock, Armin........... 466
polack, Rarl............ 403
potoniö, Horst .......... 454
priese, Erich............ 131
Proplesch, Adolf......... 450
prüy, Viktor 84, 126,281,349
Puyig................. 23
(Quietmeyer, Otto ....... 43
R.,I.................. 221
Raniysch, Hermann .. 344,438
Renk, Johannes ........ 410
Renk, Otto............. 157
Respondek, Johann...... 28
Richter, Heinz........... 2*0
Riechers, Heinrich ....... **3
Rind, Wilhelm....... 95, *06
v. Rohden, Hermann 5 l, 27s-,
3*0, **2
Rosemann, willp........ 357
Rottsieper, Walther......271
v. Ruckteschell, Hans . 368, *20
Rupkalwis, Max........ *59
Sachs, Hans............ 302
Sagewiy, Albert........ *2*
Galzbrenner, Rarl....... 215
Sauer, Alfred...........268
Schafer, Ludwig........ 110
Scharpf, Walter......... 30
Scheuren, Hubert 265, 330, *51
Schleicher, Alfred .... 588, 266
Schlief, Max............ 30
Schlosser, August........ 61
Schmidt, Alex........... 132
Schmidt, August ........ 78
Schmidt, Hans.......... 207
Schön, Arthur.......... *70
Schröder, Hermann...... 1*7
Schulenbury, Nikolaus ... *08
Schulze, Wilhelm........ I**
Schütze, Albert......... 27
Schwarzenberg, Paul---- l*
Sewaldt, Rurt.......... 86
Semmler, Peter......... 99
Sennewald, Rar!........ 85
Sieber, Georg .......... 25*
Siebert, Friedrich........ 29
Siebolts, Reinhold .....9, l59
Simons, Walter.........*33
Sölla, Hans............ 326
Sommer, Gustav .... 139, 220
Sonke................. 158
Sp., G................. 222
Stascheit, Carl .......... 369
Steffens, Narl Heinrich ll, l38
2*8
Steger, Hanns.......... **5
Stemmler, Rudolf....... 257
Story, August.......... 312
Theuermeister, Max...... 286
Thies, Friy............. 335
Toyke, Günther Ulrich ... 33*
Traburg, Max.......... 1*0
Tröller, Friedrich........ 60
Trzebiatowski?, Erwin 22*, 3*3
*13
de Viere, Paul.......... *0*
Vocke, Richard Ernst..... 55
Walter, Ewald.......... 2*6
wedler, Otto ...........238
wend, Narl ............ 83
wenner, Peter.......... 3*7
wiegand, Adolf..... 102, *06
wiegand, Felix.......... 25
von Wietersheim, Eugen . 106
Willamowski, Johann .... 28*
wintter, Dietrich ........ 20
witschet, Friy..... 385, 391
wolbold, Willi.......... 103
Wolf, Hans......... 185, *21
von wolff, Harrp Freiherr. *52
wolff, Rurt............ 305
wöltje, Friedrich ........ 128
wunderlich, Rurt........*69
Zellner, Heinrich . ll5, 338,*28
Ziebell, Richard ......... *00
Ziemer, Friy............ 2*
Zimmermann, Richard ... *05
Unbekannt 20*, 278, 302, 339
Ungenannt............. 365
Rriegserleben in Brief und Di ct) tu n g
Ariegsbriefe gefallener Studenten
Herausgegeben von ph. witkop
Volksausgabe. Tausend. In deinen 3.60 Ntk.
Originalausgabe Hldr. 9.— Mk.
Die Rriegsbriefe gefallener Studenten, unmittelbar aus dem Erleben
einer ganzen Generation deutscher Jugend entstanden, werden immer
von neuem zur jungen Mannschaft unseres Volkes sprechen als Vor-
bild und Mahnung.
„Es darf gesagt werden, daß diese Dokumente zu dem Erschütternd-
sten gehören, was in den letzten Jahren veröffentlicht wurde."
Hamburger Fremdenblatt
„Die Sammlung ist das lebendige Denkmal einer Jugend, die ihr
Heben hingab für eine Idee, der wir als heiliges Erbe nachleben
sollten." Deutsche Allgemeine Zeitung
„Ich kann mich keines Buches erinnern, das mich tiefer erschüttert
hatte als diese Sammlung von Rriegsbriefen gefallener Studenten.
Es wird wenig Bücher der Weltliteratur geben, die erhebender
waren. Reinstes Empfinden, innigstes Erleben in jeder Zeile und
eine Sprache von seltenem Adel! VTicht eine Phrase, nichts von
nationalem Kitsch, aber Heldentum einer Nation. — wer meint,
daß unser Volk geschlagen und überwunden sei, der höre diese
Toten." m. G. Rolbenheyer
ALBERT LANGEN/GEORG MÜLLER/MÜNCHEN
Rriegsdichtung
Paul Alverdes
Reinhold im Dienst
Novelle. 15. "Tausend. Biegsam gebunden 2.20 Mk.
In Ganzleder 4.50 Mk.
„Es ist unvergeßlich, wie man in dieser echten Dichtung das Er-
wachen des Kriegsfreiwilligen Reinhold aus der stillen versonnenen
Welt der Jugend zum Bewußtsein des Krieges, des Dienstes am
Vaterland und der tiefen Nameradschaft erlebt." Vottroper Volkszeitung
Gerhard Gesemann
Die Flucht
Aus einem serbischen Tagebuch J9l5 und l9l6. In deinen 4.Sc> Mk.
„Gesemann, der in Belgrad vom Rrieg überrascht worden war, mußte
alle die furchtbaren Strapazen und Entbehrungen durchmachen, von
denen das fliehende serbische Volk betroffen wurde." Hannoverscher Kurier
„Ein herrliches Buch eines echten Erzählers, spannend, bunt reich und
abenteuerlich." Berliner Volkszeitung
Joachim von der Goltz
Der Baum von Clery
Roman. 15. "Tausend. In deinen 5.5S Mk.
„Es klingt in diesem Buch kein falscher Ton. Es zeigt die kleinen
und die großen Menschen, es zeigt die ganze erbarmungslose Furchtbar-
keit derMaterialschlacht, aber es zeigt sie aus dem Geist des Mannes."
Deutsche Allgemeine Zeitung
Hans Grimm
Der Hlsucher von Duala
lein afrikanisches Tagebuch. 55. Tausend. In deinen 4.80 Mk.
„Ein dichterisches Kunstwerk, ein Hohes Cied auf die Rraft, Ehre
und den Stolz des deutschen Mannes; ein Hohes ^ied auf die stille
heldische Größe der deutschen Frau, die aus der unendlichen Ferne
die Vlot des Gequälten zu lindern versucht ..." Völkischer Beobachter
ALBERT LANGEN/GEORG MÜLLER/MÜNCHEN
Rriegsdichtung
Alexander Langsdorfs
Flucht aus Frankreich
NriegSerlebnisse eines jungen Soldaten
Mit 27 Abbildungen von Heinz Raebiger. In deinen Z.50 Mk.
Abenteuerliche Fluchten aus französischer Gefangenschaft, immer
wieber auf's neue unternommen und mit Mut durchgeführt, zwingen
uns zu nachdenklicher Bewunderung. Aber noch etwas erkennen wir:
Heldentaten und Abenteuer deutscher Soldaten abseits der Fronten,
von denen wir bisher keine Berichte hatten oder nur wenig hörten.
So wird ^angsdorff's Tatsachenbericht hinfort neben die wesentlichen
Zeugnisse des deutschen Schrifttums vom Rriege zu stellen sein. Dieses
Buch sollte auch vor allem unsere heranwachsende Jugend besitzen.
Rarl Benno von Mechow
Das Abenteuer
f&in Reiterroman aus dem großen R-rieg
Zc>. Tausend. In -L-einen 4.80 lM.
„Dies ist mehr als ein Bericht aus dem großen Rriege, es ist das
Epos des Reiters im Kriege schlechthin, umwittert von dem lockenden
Ruf der Ferne und der bangen Ungewißheit des Morgen, gebändigt
durch das harte Muß jedweder Stunde. Das Ganze der schlichte Be-
richt eines Reiters, gegeben mit der Sprache des Dichters."
Generalanzeiger, Bonn
Josef Magnus wehner
Sieben vor Verdun
Roman. 120. Lausend. Volksausgabe. In deinen Z.60 ML.
„Vichts von der grauenhaften Wirklichkeit des Krieges ist übersehen,
aber nirgends ist das Große, das Heldische verkleinert, alles erscheint
in menschlicher Reinheit und Größe. So ist das Buch weit mehr
als ein Kriegsbuch, es ist ein Dokument, erfüllt von einer ethischen
Nraft, die nicht hoch genug geachtet werden kann."
Duisburger General-Anzeiger
JErnst tDiechert
Jedermann
Geschichte eines Namenlosen. Roman. 16. Tausend. In deinen 5.50 Mk.
„Ernst wiecherts jedermann' ist die schöpferische Tat unter den deut-
schen Kriegsdarstellungen. Ein Buch, in welchem die Dichtung vor der
Wirklichkeit besteht, aber auch die Wirklichkeit von der Dichtung über.
WUNdeN wird." Neue Literatur
ALBERT LANGEN/GEORG MÜLLER/MÜNCHEN
Rriegsdichtung
in der Meinen Bücherei
Jedes Bändchen in mehrfarbigem Einband gebunden 80 pfg.
Paul Alverdes
Die Freiwilligen
Eine Gzenenfolge mit 6 Holzschnitten
von Barl Rössing.
25. tausend. Band 35
Langemarck
Ein Vermächtnis.
Gedenkworte I. M. U)ehnerS und eine
2luSrvahl aus den „AriegSbriefen
gefallener Studenten."
40. "Tausend. Band 62
Hans Grimm
Der Zug
des Hauptmanns
von Erckert
Aus „Volk ohne Raum".
Ho. tausend. Band 2
Joachim von der Goly
Einst
auf der ^Corettohöhe
Aufzeichnungen des Leutnants Bruckner.
Io. Tausend. Band 76
★
Henry von Heiseler
IVawas Ende
Tagebuchaufzeichnungen.
20. Tausend. Band J9
Rarl Benno von Mechow
Sorgenfrei
Erzählung. Zo. Tausend. Band 36
*
Ernst wiechert
Der Todeskandidat
Drei Erzählungen.
80. Tausend. Band 37
★
Erwin wittstock
Station Onefreit
Zwei Erzählungen,
lo. Tausend. Band 72
★
Heinrich Zillich
Der Urlaub
Novelle. 25. Tausend. Band 24
Kilian Roll
Urlaub
auf Ehrenwort
Geschichten um den Rrieg.
Band 81
Heinrich Stilich
Der baltische Graf
Erzählung. Mit lo Federzeichnungen von
Friy 2Umm.
20. Tausend. Band 75
Gesamtprospekt der „Rleinen Bücherei" kostenlos von
ALBERT LANGEN / GEORG MÜLLER / MÜNCHEN
Druck von Julius Bely in -Langensalza
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