AUSRUFUNG DER REPUBLIK behelligt Triest zu verlassen. Nach einer 24stündigen Fahrt, die schon im Zeichen der Auflösung der Monarchie stand, traf er in Wien ein, wo er von seinem treuen einstigen Flügeladju¬ tanten, Oberst Putz, am Bahnhof erwartet wurde. Von ihm erfuhr er, daß die Republik ausgerufen sei. Nur wer Conrads Wirken für den Staat und sein Herrscher¬ haus gekannt hat, kann sich eine Vorstellung von den Vorgängen in seiner Seele machen. An seinem Lebensabend mußte er es erleben, daß alle Ideale, die bis in seine früheste Jugend zu¬ rückreichten, vernichtet wurden. Dieses große, mächtige Reich, sein Vaterland, dem er mit jeder Faser seines Herzens ange¬ hörte, dem er mit treuester Hingabe während eines Menschen¬ alters gedient hatte — lag zerschmettert zu Boden. Im Ruhestand in Innsbruck Der Aufenthalt in Wien sagte Conrad nicht zu. Zu den immei aufdringlicheren Zeichen des Unterganges jeder Rechtsordnung gesellten sich materielle Sorgen. Die Ruhebezüge, die von der ans Ruder gekommenen Regierung festgesetzt wurden, gestatteten selbst einem verabschiedeten Feldmarschall nur eine höchst be¬ scheidene Lebensweise. Das nicht mehr kaiserliche Wien mahnte auf Schritt und Tritt an den Zerfall. Dieser dauernde Druck drängte nach Entspannung. So zog denn Conrad wieder in die Berge, wo der Anblick der Natur Vergessen bot. In einem Innsbrucker Hotel mietete er mit seiner Frau zwei bescheidene Zimmer. Die mißlichen Ernährungsverhältnisse be¬ gannen sich schon schädlich auf seine Gesundheit auszuwir¬ ken, aber die Berge übten einen befreienden Einfluß auf sein Gemüt Er lehrte seine Frau, die Natur zu bewundern, die Berge zu lieben. Bei den Wanderungen über Almen und durch Wälder, im Anblick der mächtigen Gipfel konnte er über eine Blume, einen Stein, einen Schmetterling, eine Eidechse in sin¬ nige Betrachtung verfallen; die Liebe zur Natur war in ihm so tief verwurzelt, daß er auch im Alter bei ihr den versöhnendsten Trost fand. 355