ITALIEN BLEIBT NEUTRAL Cadorna lehnte die Teilnahme an einer von Conrad erbetenen Konferenz über das Zusammenwirken der verbündeten Ar¬ meen jedoch ab. Der italienische Botschafter in Wien hatte schon am 25. Juli „Kompensationen“ für den Fall angekündigt, als die Donau¬ monarchie auf dem Balkan auch nur vorläufige Besetzungen durchführen sollte. Trotz der feierlich versprochenen „herzlich freundschaftlichen Haltung“ leitete Italien am 4. August ver¬ trauliche Verhandlungen mit Paris, London und Petersburg ein, wobei es als Preis für eine gemeinsame Aktion Trient, Triest, Valona und eine Vormachtstellung in der Adria beanspruchte. Die Nichterfüllung der Verpflichtungen Italiens für den Kriegs¬ fall des Dreibundes hatte schwerwiegende Folgen. Deutschland mußte Mitte August fünf Ersatzdivisionen, auf die Conrad im Osten sicher gerechnet hatte, auf den Südflügel seiner Westfront werfen, während Frankreich seine südöstlichen Grenztruppen gegen Deutschland heranziehen konnte. Graf Cadorna begann sofort nach der Neutralitätserklärung mit den Rüstungen gegen Österreich-Ungarn. Er entschloß sich für eine Offensive über den Isonzo, wobei ihm Triest als wertvolles Objekt und die Möglichkeit eines Zusammenwirkens mit dem serbischen Heere winkte. Bei der Verwirklichung seiner opera¬ tiven Absichten mußte er sich Zurückhaltung auferlegen, denn ein Bericht vom 24. September 1914 über die mangelhafte Aus¬ rüstung des Heeres als Folge des Libyschen Feldzuges, über den Mangel an schweren Geschützen, an Maschinengewehren, an Lastkraftwagen mahnte zur Vorsicht, die Armee bei herannahen¬ dem Winter ins Feld zu führen. Im Einvernehmen mit dem Kriegsminister wurde ein Ausbauprogramm von fünfeinhalb Monaten festgesetzt, dem sich die ungeduldigen Diplomaten und extremen Nationalisten fügen mußten. Um die Jahreswende 1914/15 wurde die Außenpolitik Italiens trotz Cadornas Warnungen immer aktiver. Es erfolgte die Be¬ setzung von Valona am Weihnachtstage 1914, und am 4. Jänner 1915 wurden bei Besprechungen mit dem deutschen Botschafter Fürsten Bülow zum erstenmal die Forderungen nach dem öster¬ reichischen Trento erhoben. Conrad widersetzte sich dieser Zu¬ mutung mit aller Entschiedenheit. 210