KAMPF UM ERHÖHTE SELBSTÄNDIGKEIT Baron Beck hatte als Chef der Militärkanzlei des Kaisers und Königs im Jahre 1874 eine Präzisierung der Pflichten und Rechte des Chefs des Generalstabes versucht. Es war ihm gelungen, das unmittelbare Vortragsrecht desselben beim Allerhöchsten Kriegs¬ herrn durchzusetzen — allerdings gegen vorherige Verständi¬ gung des Kriegsministers. Als Baron Beck dann selbst an die Spitze des Generalstabes getreten war, hatte er die Unterstel¬ lung des Chefs unter den unmittelbaren Befehl des Kaisers er¬ wirkt. Conrad erreichte beim Kaiser die Berechtigung zu mündlichen Referaten anläßlich der „Kaiserrapporte“, auch gelang es ihm nach vielen Kämpfen, die Zustimmung des Kaisers zum unmit¬ telbaren amtlichen Verkehr mit dem Außenminister zu erlangen. Dieser systematische Kampf um Erweiterung der Selbständig¬ keit entsprang nicht dem Machtbedürfnis Conrads, sondern der Erkenntnis, daß nur die schon im Frieden dem Chef des Gene¬ ralstabes eingeräumte Selbständigkeit die Gewähr bot, die Wehr¬ macht verläßlich für den Krieg vorzubereiten. Der Kampf um den Ausbau der Wehrmacht Der Chef des Generalstabes hatte alle Bedürfnisse der Armee im Frieden wahrzunehmen, deren Befriedigung rechtzeitig an¬ zuregen und so die Schlagfertigkeit der Wehrmacht im Kriege zu sichern. Conrad bemühte sich, die Mängel und Rückständig¬ keiten zu beheben — getreu dem Grundsatz, daß man im Krieg nie stark genug sein könne. Je tieferen Einblick er gewann, um so deutlicher mußte er erkennen, welcher gewaltigen An¬ strengung es bedurfte, um angesichts der immer näher rücken¬ den Kriegsgefahr den angestrebten Grad der Schlagfertigkeit zu erreichen. Diese Erkenntnis führte zu dem zähen Kampf Con¬ rads mit jenen Staatsmännern, die sich dieser Gefahr verschlos¬ sen und seine Forderungen für übertrieben oder finanziell un¬ tragbar erklärten. Nach dem verlorenen Krieg suchte die öffentliche Meinung die Schuld in der militärischen Führung. Kein Wort des Vor¬ wurfs erhob sich gegen die wahrhaft Verantwortlichen, die der 8* 115