WERT PHYSISCHER M A X I M A L L E I S T U N G E N Conrad legte auch als Regimentskommandant besonderen Wert auf hohe physische Leistungen. Er hielt daran fest, obzwar er nicht selten Kritiken von maßgebender Stelle begegnete. In seiner Anleitung zur Gefechtsausbildung der Infanterie stellt Conrad den „Unternehmungsmut“ als Grundbedingung für jede kriegerische Leistung hin und bezeichnet als dessen Quelle das aus der Erkenntnis des eigenen physischen Könnens sich ergebende „Kraftbewußtsein“, das aber nur an Maximalleistungen gemessen werden kann. „Im Kriege tritt die höchste Anforderung an den Menschen dadurch heran, daß er mit Unterdrückung des jedem Wesen innewohnenden Selbsterhaltungstriebes der Todesgefahr entgegensehen muß, was als das höchste Maß des Niederdämpfens der auf das eigene Wohlbefinden gerichteten menschlichen Seelentätigkeit angesehen werden muß. Im Frieden, wo die Todesgefahr entfällt, muß der Mann durch Strapazen und Ent¬ behrungen lernen, den auf das eigene Wohlbefinden abzielenden Trieb zu bekämpfen und zu bezwingen... Eine Truppe, die dies bei hohen Leistungen und Strapazen im Frieden vermag, läßt hoffen, daß sie auch den viel höheren Anforderungen des bis zum Exzeß geübt. Im Rahmen von Preiskonkurrenzen in der Ein¬ zelausbildung machte ich das Schnellschießen auf nahe Distanzen zum ersten Programmpunkt. Jeder Bewerber hatte gegen eine von hundert Schritten vorgehende Figur mit sechs Schüssen möglichst viele Treffer zu erzielen. Bei diesen Bewerben, zu denen jede Kom¬ panie der Division zwei Mann zu stellen hatte, erreichten einzelne Leute sechs Treffer binnen 14 Sekunden. Wie sich diese Ausbildung bewährte, konnte ich an den Auszeichnungsanträgen wahrnehmen. Es handelte sich nach zusammengebrochenen russischen Massen¬ angriffen zumeist um Leute, die im vollen Vertrauen auf die Lei¬ stungsfähigkeit ihres Gewehres ruhig von der Brustwehr aus in die Anstürmenden bis auf nächste Distanzen schossen. Sie gaben ihren Kameraden ein gutes Beispiel, überzeugt, daß auch der dichteste Angriff im Feuer unseres schnellschießenden Gewehres zusammen¬ brechen müsse. Die schweren Verluste zu Beginn des Krieges, na¬ mentlich die Feuertaufe über dem Artillerieschießplatz von Krasnik, hatten mich veranlaßt, die Einzelausbildung der Infanterie zu re¬ vidieren; getreu der Mahnung Conrads, daß jede Armee als Rekrut in einen neuen Krieg zieht und derjenige sich den Erfolg sichert, der rascher Mängel erfaßt und sie zu beheben versteht. Es war deutlich wahrzunehmen, wie nach den blutigen Erfahrungen der ersten Kriegsmonate durch systematische Hebung der Einzelausbil¬ dung die Verluste geringer wurden, das Vertrauen in die eigene Kraft wuchs. 82