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Michael Pachers
Altar in St. Wotsgang
am Abersee
Von
Dr. Erich Strohmer
Verlag Cd. Lölzel, Wien
Michael Pacher und sein Kreis.
s ^^ie Ordensreformen des 15. Jahrhunderts in Österreich haben
/ nicht nur auf den Ordensgeist und seine Vertiefung mächtig
eingewirkt, sondern auch in den Stiften, in denen sie durchge-
führt wurden» auf Wissenschaft und Kunst einen großen Einfluß ausgeübt.
So können wir in dem Benediktinerkloster Mondsee diesen Aufschwung
wahrnehmen, an dem auch die von dort abhängige Pfarre St. Wolfgang
am Abersee teilnahm. Abt Simon Reichlin (1420—1463) begann den
Neubau der 1429 abgebrannten Kirche, den sein Nachfolger Benedikt
Eck (1463—1499) vollendete. Dieser mußte sich daher um einen Künstler
für den neuen Choraltar umsehen. Am 13. Dezember 1471 wurde die
derzeit im Landesarchiv in Linz a. d. D. befindliche Urkunde ausgestellt,
welche zwischen dem ehrwürdigen Abte und dem „maister Micheln maler
von Prawnegk" die Vertragspunkte für diesen Altar festlegte. Den
Namen Michael Pacher hatte schon 1820 Alois Primisser von der 21m--
brasersammlung aus der Inschrift, die der Altar selbst aufweist, heraus-
gelesen. Weiterer Forschung gelang es sodann, noch einige Daten aus
dem Leben dieses hervorragenden deutschen Meisters ausfindig zu machen.
Der Künstler wurde zwischen 1435 und 1440, wahrscheinlich in
Bruneck im Pustertale, geboren. Aus verschiedenen Urkunden erfahren
wir, daß er von 1467 bis 1496, mit Unterbrechungen, in Bruneck gelebt
hat. Zwischen dem 7. Juli und dem 24. August 1498 ist er gestorben.
Das früheste Werk, das mit Pachers Namen bezeichnet gewesen
sein soll und von dem wir Kenntnis besitzen, ist ein jetzt verschollenes
1465 datiertes Bild auf Schloß Nied bei Bozen gewesen. Ein Teil seiner
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Werke kann ihm aber nur, da der urkundliche Nachweis seiner Arheber-
schaft fehlt, durch Stilvergleichung zugewiesen werden. So dürften der
Frühzeit die Malereien an dem Bildstöckl in Welsberg im Pustertal, das
1882 dem Lochwaffer zum Opfer fiel und dessen Bilder nur in Zeich-
nungen Blachfellners mehr erhalten sind, zugezählt werden. Pacher erweist
sich auch hier schon, obwohl der Einfluß der oberitalienischen Malerei
deutlich hervortritt, als eigener Künstler. Dies zeigen gleichfalls die um
1467 in der Presbyterial-Sakristei neben der Stiftskirche zu Neustift bei
Brixen in Tirol in Fresko ausgeführten vier Kirchenväter. Ein hier be-
findliches Freskorundbild der Madonna mit dem Kinde wird durch eine
gleiche Darstellung auf dem Gewölbeschlußstein in der Erasmuskapelle
der Pfarrkirche zu Taisten im Pustertale durch die freundlichen, hellge-
tönten Farben un.d den Liebreiz des Ausdruckes noch übertroffen. Am
1470 dürfte ein Gemälde einer Krönung Marias, das sich in der älteren
Pinakothek zu München befindet und das wir Pacher zuweisen dürfen,
entstanden sein. Es läßt mit seinen plastisch gesehenen Figuren den Altar
der Pfarrkirche in Gries bei Bozen vorausahnen. Der Vertrag für dieses
Werk vom 27. Mai 1471 ist vorhanden. Erhalten hat sich der Schrein
mit der geschnitzten Mittelgruppe, einer Krönung Marias zwischen den
Leiligen Michael und Erasmus. Die trefflich geschnitzten Figuren
haben trotz ihres engen Zusammenhanges mit der vorhergehenden Tiroler
Schnitzerei ihr eigenpersönliches Leben. Die Flügelreliefs, Werkstatt-
arbeiten, fallen daneben ziemlich ab. Nach der Fertigstellung dieses Altares
wandte sich der Künstler der Arbeit an dem St. Wolfganger Altare zu,
der im Jahre 1481 vollendet wurde. Zu dem am 14. November 1481
angedingten St. Michaelsaltar der Pfarrkirche in Bozen, der nicht vor
1484 beendet wurde, dürften sich zwei Tafeln erhalten haben, die sich in
der österreichischen Staatsgalerie zu Wien befinden. Diese stehen den
Bildern am Altare von St. Wolsgang sehr nahe. Ein kleines Bruchstück
des für die ehemalige Frauen- jetzt Franziskanerkirche zu Salzburg ver-
fertigten Altares, eine Madonna mit einem im 19. Jahrhundert ergänzten
Kinde, ist noch in der Kirche vorhanden. 1484 wurde dieser Altar Michael
Pacher in Auftrag gegeben, der sogar wegen dieser Arbeit durch längere
Zeit in Salzburg wohnte, aber noch vor Vollendung des Werkes starb.
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1486 hatte der Domprobst Wolfgang Neundlinger für die umgebaute
Allerheiligenkapelle am Brixener Dom drei Altäre gestiftet. Für zwei
dieser Altäre fanden sich in unserem Denkmälervorrat Arbeiten, die sich
als Werke Michael Pachers herausstellten. Die Flügel des Kirchenväter-
altai^es, deren Außenseiten Szenen aus der Legende des Namenspatrones
Neundlingers, St. Wolfgang, tragen — die Schnitzereien des Schreines
sind nicht erhalten — sind derzeit in München in der älteren Pinakothek
vereint. Die großangelegten Gestalten voll individuellen Lebens in ihrer
prächtigen Charakteristik haben nebeir den Arbeiten am St. Wolfganger
Altare die Größe und Bedeutung Pachers ganz besonders klargelegt.
Die Außenbilder dieser Flügel stehen in naher Verwandtschaft zu einigen
Bildtafeln aus der Geschichte des hl. Laurentius, die sich zum Teil eben-
falls in München befinden. Diese stammen von dem zweiten von Neund-
linger gestifteten Altar des hl. Laurentius, der der Werkstatt Michael
Pachers angehört. Für einen Altar in die St. Michaelskapelle am Aschhof
des St. Peterstiftes in Salzburg werden in den Jahren 1496 bis 1498
Zahlungen geleistet, doch hat sich nichts von dem Werke erhalten.
Wie stets bei großen Künstlerpersönlichkeiten wurden natürlich auch
mit dem Namen Pachers eine große Anzahl von Kunstwerken in Zusam-
menhang gebracht. Von den für ihn in Anspruch genommenen Schnitz-
werken sind die großangelegten tiefgefühlten Gestalten des Gekreuzigten
in Bruneck und Lienz, sowie die feindurchgeführte St. Michaelsstatue auf
Schloß Matzen in Tirol erwähnenswert, obwohl es vielleicht noch manches
Stück aus seiner Äand geben mag.
So große Aufträge konnte Michael Pacher doch wohl nicht allein erle-
digen. Er hatte in seiner Werkstatt auch Gesellen, die wir freilich nicht mit
Namen kennen. Wenn wir verschiedene Äände an den einzelnen Werken
bemerken, so stehen alle Gehilfen doch im Banne des großen Meisters
und verdeutlichen trotz ihrer Verschiedenheit das Bild dieses Einen.
Als solchen Gesellen haben wir mit ziemlicher Sicherheit einen Friedrich
Pacher zu betrachten, der wohl ein jüngerer Bruder Michaels gewesen
ist. Er machte sich später selbständig. Wir begegnen ihm — auch unter
dem Namen „Lebenpacher" — zwischen 1489 und 1508 in Urkunden
Brunecks, wo er von 1503 bis 1508 das Amt eines Stadtrichters be-
kleidete. Er ist um die Wende vom Jahre 1508 auf 1509 gestorben.
Bon ihm besitzen wir in der Sammlung des Klerikalseminars zu Freising
ein mit seinem Namen bezeichnetes Bild derTaufe Christi vom Jahre 1483.
Darin offenbart sich keine besonders schöpferische Persönlichkeit. Er weist
nahe Beziehungen zur Brixener Malerschule der vorausgehenden Zeit auf,
ist aber auch stark von seinem Bruder Michael abhängig. Daß er ein gutes
Kunsturteil besessen hat, läßt sich daraus erschließen, weil er 1504 vonKaiser
Maximilian zur Beurteilung der stark beschädigten Fresken des Schlosses
Runkelstein bei Bozen berufen wurde. Außer dem angeführten Bilde in
Freising können wir seiner Frühzeit ein Altarbild mit der Darstellung der
heiligen drei Könige zu Mitter-Olang im Pustertale zuweisen. Weiters
offenbaren die auf Schloß Tratzberg im Jnntale und die in die Peters-
kirche inTiberias am See Genezareth verschlagenen Tafeln des ehemaligen
Peter- und Paulsaltares im Jöchlthurm zu Sterzing aus dem Jahre 1475
seine Kunstweise. Bon ihm könnte auch das Fresko über der Seitenpforte
der Kirche St. Peter und Paul in Sterzing stammen. Alle diese Werke
geben ein abgerundetes klares Bild seiner Persönlichkeit, das wohl seine
Mitarbeit am Äochaltare von St. Wolfgang ausschließt. Damals scheint
er sich schon von Michael Pacher getrennt zu haben.
JnBruneck ist in den Jahren 1487 bis 1507 noch ein Maler gleichenFa-
miliennamens, Lans Pacher, nachweisbar, der vielleicht der jüngste Bruder
des großen Künstlers gewesen ist. Er tritt selbständig nirgends hervor, so
daß er leicht als Geselle in der WerkstattMichaels tätig gewesen sein kann.
Der Altar von St. Wolfgang.
Benedictus abbas in mansee hoc opus fieri fecit ac complevit
per magistrum Michaelem pacher de prawnegk Anno dm.
MCCCCLXXXI. (Abt Benedikt von Mondsee ließ dieses Werk
machen und vollenden durch Meister Michael Pacher aus Bruneck im
Jahre des Äerrn 1481.) Diese Inschrift, welche an den unteren Rahmen-
leisten der Außenseiten der Bordersiügel am St. Wolsganger Altare an-
gebracht ist, gibt den Besteller, den Künstler und das Jahr der Errichtung,
also alle wichtigen'Daten, an. Dennoch bot der in altbayrischer Mundart
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abgefaßte Vertrag, der die Schriftzüge der Mondseer Kanzlei aufweist,
gar manche wichtige Ergänzung. Der Altar wurde demnach schon 1471 in
'-Auftrag gegeben. Damals war Michael Pachers Ruf noch nicht so groß,
daß das Kloster Mondsee von ihm hätte Kenntnis haben können. Der Abt
inußte wohl durch Vermittlung salzburgischer oder bayrischer Klöster —
die Reformstiste standen sowohl untereinander als auch mit den Klöstern
Tirols in enger Verbindung — auf den Meister aus Bruneck aufmerk-
sam gemacht worden sein. Freilich gab es auch zwischen der bayrisch-salz-
burgischen Kunst und dem Schaffen in Südtirol so manche Wechsel-
beziehungen. Daß Pacher bei Abschluß des Vertrages in Mondsee ge-
wesen, ersehen wir auch aus diesem. Denn der Künstler hat die Risse oder
Visierungen für das Altarwerk vorgelegt, worauf sich der Vertrag beruft.
Darin werden daher nur mehr die verlangten Schnitzarbeiten aufgezählt.
Der Sarg, auch Predella genannt, sollte die Äuldigung der heiligen drei
Könige enthalten. In dem Schreine ist die Krönung Marias so kostbar und
gut, als es nur möglich, darzustellen. St. Wolfgang und St. Benedikt mit
ihren Attributen mögen daneben ihren Platz einnehmen. Außen amSchrein
aber sollten St. Florian und St. Georg angebracht sein. Bei den Gemälden,
deren gute und haltbare Ausführung gefordert wird, ist nur bezüglich der
Außenbilder das Thema aus der Geschichte des heiligen Wolfgang vor-
geschrieben. Selbstverständlich regelt der Vertrag genau Löhe und Art der
Bezahlung. 1200 ungrische Gulden — das wären, die erhöhte Kaufkraft
des Geldes nicht gerechnet, in Friedenswährung ungefähr 13.700Kronen
— erhält derKünstler für dieses Werk. Es fehlt auch im Falle von Streitig-
keiten nicht der nötige Vertragspunkt. Ja selbst der Transport ist genau
festgelegt. Über den Brenner bis Lall in Tirol und von hier Inn abwärts
bis Braunau geht der Weg. Bis dahin muß der Meister auf seine Kosten
und Gefahr den Altar, der wohl bis auf weniges in Bruneck fertiggestellt
worden war, bringen. Von hier durch das Mattigtal über Straßwalchen,
Irrsdorf, Mondsee nach St. Wolfgang hat das Kloster das Nötige zu ver-
anlassen. Doch mußte für etwaige Schäden der Meister aufkommen. So-
weit schrieb der Vertrag alles vor.
In St. Wolfgang gab es, wenn auch Vieles fertig geliefert wurde, noch
große Arbeit. Zuerst wurde das Gehäuse des Schreines auf die Altarmensa
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versetzt. Lernach wurden, wenn die Konsolen und Baldachine, sowie das
Sprengwerk versetzt waren, die Figuren an ihren Plätzen festgemacht. Auch
die Flügel mußten mit Eisen und Bändern befestigt werden. Noch galt es
alle Schäden, die bei der Arbeit entstanden, gutzumachen, vielleicht auch
Anstimmigkeiten in der Farbe auszubessern. Nach all dieser Mühe stand
dann endlich das Werk da, so wie es der Künstler gewollt; so wie wir es heute
noch unversehrt vor uns sehen. Von den Werken Pachers ist einzig und allein
der St. Wolfganger Altar als Gesamtkunstwerk uns erhalten geblieben.
Als er im Zahre 1675 dem neuen Choraltare Thomas Schwanthalers hätte
weichen sollen, hat wohl seine Bedeutung den Künstler bewogen, für dieses
besondereStück gotischer Altarbaukunst einWort zur Erhaltung einzulegen.
Aus dem weiten Chor des in dämmeriges Lalbdunkel getauchten
Kirchenraumes leuchtet in Gold und Farben das Wunderwerk Michael
Pachers entgegen. Groß und mächtig füllt die „Tafel" die Kirche bis zur
Decke hinan. Die Altarhöhe beträgt ja über 11 Meter, die Breite über
3 Meter und, wenn die Flügel geöffnet sind, gar 6'5 Meter. And trotz dieser
Mächtigkeit ist der Altar doch ein zart aufstrebendes Werk von wundervollen
Amrißlinien. Die feine Silhouette der beiden Heiligen Georg und Florian
gibt mit den ruhig zarten Konturen der Türme und Fialen des Aufsatzes
ein Spiel von Leben und Linie.
Bei geschloffenem Schreine sehen wir auf den Außenseiten der Flügel vier
Szenen aus dem Leben des Stifters der Kirche, St. Wolfgang, dargestellt.
Eine von Othlo um 1050 verfaßte Biographie hilft bei der Deutung der
Bilder. Auf der ersten Tafel, rechts oben, steht der Heilige in vornehm
lässiger Haltung vor seiner Pfalz und überwacht die Almosenspende
an das Volk während einer Hungersnot. Das Bild ist kein eigenhändiges
Werk Pachers, es zeigt aber alle Eigenschaften Pacherscher Kunstweise.
Die perspektivische Konstruktion der Gebäude, die Tiefengestaltung des
Raumes, die den Mittelgrund des Bildes freiläßt und durch entsprechend
große zur Seite stehende Figuren betont, vor allem aber die Lichtgebung,
die erst die Körperlichkeit derDarstellung verdeutlicht, erklären uns Pachers
Wollen undKönnen. Auch die liebevolleWiedergabe der unbelebten Dinge
charakterisiert den Künstler. Eine reizvolle Kleinmalerei bietet der Blick in
das sonnige Bergsträßchen, das uns ganz in die Heimat des Meisters ver--
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seht. Das Bild rechts unten zeigt die Leitung einer Besessenen. Die
Gruppe in der Kirchentüre der im Bau begriffenen St. Paulskirche zu
Regensburg erweist, daß der Leilige den Bösen ausgetrieben. Links oben
schildert der Künstler in origineller lebensvoller Weise eine Kirchen-
predigt des Kirchenfürsten, die der Teufel zu stören sucht. Die diese Bilder
umgebenden gemalten Steinrahmen, die aber in die Darstellung einbezogen
sind, werden wir noch öfters antreffen. Links unten ist St. Wolfgang aus
der Einsamkeit des Falkensteins an den See herniedergestiegen, um an dem
durch den Beilwurf — das altgermanische Zeichen der Besitzergreifung
— bezeichneten Platz den ersten Kirchenbau am Abersee zu errichten.
Die Örtlichkeit ist kenntlich wiedergegeben: Der untere Teil des Abersees
mit der Prerau, den Läufern von Strobl, und dahinter der Sparber und
Prügelstein. Diese vier Bilder sind von Alltäglichkeit, die des Anekdoten-
haften nicht entbehrt, erfüllt. Die Malereien der Außenseiten derPredella-
flügel zeigen die vier Kirchenväter. Links ist der hl. Gregor dargestellt;
neben ihm der gerechte Leide Kaiser Trajan, den der Leilige aus dem
Fegefeuer errettete, um dafür selbst lebenslängliches Kranksein einzutauschen.
Das Gewand Gregors ist mit Perlenstickereien geschmückt, die Schließe
mit feiner Treibarbeit verziert. Daneben der hl. Lieronymus, der
einem Löwen einen Dorn aus der Pranke entfernt. Rechts sehen wir den
hl. Augustin, welcher einem Knaben zusieht, der das Meer mit einer
Muschel ausschöpfen will. Der Leilige soll daraus erkennen, das dies
ebenso unmöglich ist, wie die Dreieinigkeit mit menschlichem Grübeln zu
ergründen. Auch hier ist das Gewand schön geschmückt und das Pedum
reich verziert. Der hl. Ambrosius wurde, wiewohl noch ungetauft,
durch den Zuruf eines in der Wiege liegenden Kindes zum Bischof von
Mailand erwählt. Auch hier finden wir wiederum ein prächtig geschmücktes
Pedum. Die Gestalten mit ihren stark individualisierten gut durchstudierten
Köpfen können nur eigenhändige Arbeiten Pachers sein, der darin viel-
leicht die vier Temperamente schildern wollte.
Wenn die äußeren Flügel geöffnet werden, bietet sich in einem Zyklus
von acht Bildern eine Art „gemalte Evangelienharmonie" dar, beider zwei
Gruppen von je vier Gemälden zu unterscheiden sind. Der Arheber der
Außenbilder der inneren Flügel ist ein anderer als der Maler der Znnen-
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bilder der Außenflügel, der mit dem Künstler der Wolfgangbilder identisch
ist. In ihm Friedrich Pacher zu sehen verbietet der Vergleich des von
diesem bezeichneten Freisinger Tausbildes mit der Taufe Christi oben am
linken Außensiügel des Wolsganger Altares. Wirkungsvoll wird der
Gegensatz zwischen der lichten Gestalt des Erlösers und dem realistisch
charakterisierten Einsiedler Johannes herausgearbeitet. Der Engelreigen
bietet die in Pachers Schule beliebten kühnen Verkürzungen. Die weite
lichtdurchtränkte Landschaft, die mit dem Vordergründe nicht organisch
verbunden ist, erinnert an des Künstlers Äeimat. In die gleiche Gegend
führt uns das Bild des rechten Außenflügels oben: Die Brotver-
mehrung. Äier wird jedoch in der rechts lagernden Gruppe der Versuch
gemacht, zwischen Vorder-- und Hintergrund zu vermitteln. Das äußerste
Bild rechts unten beansprucht durch seine Beziehungen zur Kunst
Mantegnas unser Interesse. In der Auferweckung des Lazarus ver-
folgt der Maler durch die fast gewaltsam freigelassene Bildmitte, sowie
durch die nicht gänzlich geglückte Verkürzung des vom Tode Erweckten und
die nicht stimmende Perspektive des Baldachins über dem Grabe die
gleichen Tendenzen. Der Durchblick in die Landschaft läßt uns fast an
das Kloster Säben bei Klausen in Tirol denken. Realistisch wirkt der
Ausdruck des Abscheues vor dem Leichengeruche, den wir bei dem Hohen-
priester wahrnehmen. Die ornamentale Schriftverzierung seines Gewandes
gab zu der abenteuerlichen Zuweisung der Bilder an Veit Stoß Anlaß.
Aus dem unteren Teile des linken»Außensiügels bietet die versuchte Stei-
nigung des Äeilandes, dessen Stunde nach dem Johannes-Evangelium
Kapitel 8 noch nicht gekommen ist, ein in den Figuren und der Lichtführung
gut disponiertes Raumbild dar. Der Typus des länglichen, schmalen
Christusgesichtes aus diesen vier Gemälden ist gänzlich verschieden von
dem breiten der folgenden vier Bilder. Die Gebärden der mit oft fast
mißförmigen Gesichtern gekennzeichneten Personenstimmen in ihrer Gewalt
wenig zu der Bewegungslosigkeit der Gestalten. Die Gewänder weisen
stark verkrüppelte Falten auf. Die Farben erinnern in dem grellen Gegen-
satz öfters an Liberale da Verona. Alle acht Bilder sind Werke Michael
Pachers. Er hat aber ihre Ausführung Gesellenhänden anvertraut, deren
Zusammenhang mit der älteren Brixener Malerschule deutlich hervortritt.
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Während der Maler der besprochenen Bilder mehr unter dem Einflüsse
Friedrich Pachers steht, folgt der Geselle, welcher die folgenden vier
Gemälde ausführte, genauer den Weisungen Michaels. Gleich das erste
Bild mit der Versuchung Christi — links oben an den Innenflügeln
— läßt in der dämonisch-großartigen Charakteristik des Bösen Michael
Pachers Kunst erkennen. Die drei Szenen der Versuchung sind im Hellen
Abendscheine vereint. Im Vordergründe soll der Äerr Steine in Brot
verwandeln, vom Altan des Tempels — hier ein gotischer Kirchenbau —
soll er sich herabstürzen, um seine Göttlichkeit zu beweisen, oder gar am
Felsen rechts oben Satan selbst anbeten. Rechts daneben folgt das Wein-
wunder bei der L o ch z e i t z u K an a. Eine packende, lebensvolle Schilderung
insbesondere in der Apostelgruppe. Einige Typen erinnern an Köpfe auf
den Bildern des Marienlebens im Innern des Schreines. Das Zurück-
treten der Personen in den Raum wird durch die Krüge venezianischer
Form wirkungsvoll unterstützt. An Merkmale in der Raumgestaltung und
Gruppenbildung, die wir schon bei den früheren Bildern besprochen, er-
innert die Ehebrecherin vorChri st us an dem Innenflügel links unten.
Äier ist, wie der Satan im Bilde der Versuchung, die Ehebrecherin recht
eindringlich in ihrem Wesen erfaßt; ausgeprägte Charaktere finden sich
in ihrer Umgebung. Außer der gutgelungenen Raumwiedergabe erwecken
bei der Austreibung der Wechsler aus dem Tempel die glänzend
erfaßten Beleuchtungswerte des Innenraumes, besonders das Helle Licht
des Kreuzganges mit seiner lustigen genreartigen Szene unser lebhaftes
Interesse. Diese vier Gemälde, die an vielen Stellen die eigenhändige
Mitarbeit des Altarmeisters z. B. beim Weinwunder erkennen lassen,
haben in der Charakteristik der Personen und in der Raumgestaltung nahe
Verwandtschaft mit den Bildern des Marienlebens, die sich uns bei ganz
geöffnetem Schreine darbieten. Äier stehen wir vor Michael Pachers
eigenhändigen Arbeiten. Die Darstellung von Mensch und Raum und
Licht ist keine andere, und doch werden wir sofort den Unterschied gewahr.
Welche Größe und Tiefe liegt trotz aller Einfachheit in dem oberen linken
Bilde, der Geburt Christi! Die wenigen Gestalten — selbst der heilige
Joseph fehlt — sind wundervoll im Raume verteilt. Die tiefe satte Farben-
gebung mit dem Goldhintergrunde ist prachtvoll zu dem Goldglanze des
Schreines abgestimmt. Das darunter befindliche Bild, dieBeschneidung
Christi, ist das Wirkungsvollste und Tiefste, was Pacher in den Bildern
am Wolfganger Altare geleistet hat, sein abgewogen im Rhythmus der
Empfindungen und in der Verteilung aller Beteiligten im Raume. Reben
dem lieblichen, rührenden Antlitz der Gottesmutter hebt sich ausdrucksvoll
die weibliche Charakterfigur der Knieenden ab. And über Allem der .Hohe-
priester, eine echt Pacherisch erfaßte wuchtige Persönlichkeit, die das Ganze
beherrscht! Das obere Bild am rechten Flügel — die Darstellung im
Tempel — gewinnt durch die gewählte Gegenüberstellung der Menschen-
gruppe rechts und der leblosen Gegenstände links, die mit besonderer Liebe
durchgeführt sind. Die stark betonten Vertikalen werden durch die Be-
wegtheit der Gestalten rhythmisch gelöst. Der Tod Marias, das letzte
der vier Bilder, fesselt durch die scharfe Charakteristik der großgesehenen
und mächtig erfaßten Apostelfiguren, die gleiche Größe wie Dürers Apostel
atmen. Der Steinrahmen mit den Prophetenfigürchen, sowie die Pimmel-
sahrt Marias im gleichen Bilde, lassen an flandrische Kunst denken. Die
inneren Flügelbilder der Predella sind voll lebendiger Anmut. Das zart
durchgeführte Bildchen der Heimsuchung gewinnt in seiner Alltäglichkeit
durch die derbe humorvoll gegebene Magd besonderen Reiz. Die Flucht
nach Ägypten gemahnt durch das schmerzlich-liebliche Gesichtchen und
die Packung der Muttergottes an das Schlußsteinbild der Welsberger
Kapelle zu Taisten. Die Bilder zeigen alle die volle Meisterleistung
Michael Pachers. Charakteristisch sind die länglichen und doch vollen
Gesichter der Frauen mit den schmalgezogenen halbmondförmigen Augen-
brauen, während die breiten Gesichtstypen der Männer starkbetonte Rasen
und volle runde Lippen zeigen. Gut gegeben ist die stoffliche Eigenschaft
der Gewänder, deren Behandlung genau den Bau der Körper erkennen
läßt. Die Raumwirkung wird durch eine geschickte Perspektive und
seines Raumempfinden gestützt. Die Lichtwirkung vervollkommnet dieses
Können. Alles aber gewinnt an Geschlossenheit durch den einheitlichen
Farbton, der trotz der Buntheit mit voller satter Leuchtkraft und glän-
zender Pracht das Ganze eint. An der Rückseite des Altares nehmen den
Mittelplatz der hl. Christoph und das Jesukind ein, deren Gesichter auf
Pacher hinweisen. Auch die untere Reihe der gemalten Standfiguren, der
porträthaste hl. Erasmus ganz links, daneben der weniger persönliche
hl. Alrich, wie auch die in Weltschmerz versunkene hl. Klara und neben
ihr rechts die hausbackene hl. Elisabeth sind Pacher selbst zuzuschreiben.
Das Bild der hl. Elisabeth trägt als Datum der Fertigstellung dieser
Bilder die Jahreszahl 1479. Alle diese Malereien sind flott hingestrichen.
Viel ängstlicher in der Durchführung zeigt sich die obere Reihe, welche
— von links nach rechts — die Heiligen Othmar, Franziskus, Hubert
und A gyd ius aufweist. Zwei lebensvolle Genrebildchen sind die Predellen-
bilder. Das linke mit den Evangelisten Markus und Lukas läßt gleich-
artige niederländische Bilder des 16. Jahrhunderts vorausahnen, während
das rechte Bild in beschaulicher Ruhe Jo Hannes undMatthäus vereint.
Mannigfaltige Bilder umhüllen den Altar, auch um hinzuleiten zu
dem Innern des Schreines, zur K r ö n u n g M a r i a s. Die reiche Archi-
tektonik der Türmchen, Baldachine und Säulchen belebt den Raum, ver-
leiht aber auch den festen, sicheren Halt. In der Mitte des dreigeteilten
Schreines segnet Christus erhaben, in edler königlicher Hoheit thronend,
die vor ihm kniende gekrönte Himmelsmutter. Eine bezaubernde Gestalt,
voll tiefsten, innigsten Liebreizes, sanft und demutsvoll ihr Haupt geneigt,
bittet sie für die Menschen auf Erden um Gnade. Die himmlischen Heer-
scharen haben sich zu diesem Feste fröhlich versammelt. Im Hintergründe
halten feierlich vier Engel einen Teppich, zwei niedliche Bläser verkünden
laut das erhabene Ereignis. Je zwei Sänger unterstützen sie. Diensteifrig
haben unten vier entzückende Englein einen Teppich ausgebreitet. In der
linken Nische steht die mächtige Gestalt des hl. Wolfgang, des Gründers
der Kirche, die richtige Verkörperung des Volksglaubens, machtvoll, all-
vermögend, doch voll Milde und Güte. Dieses Idealporträt wird durch
Lebenswahrheit übertroffen von dem rechts stehenden hl. Benedikt,
dessen markiges, strenges Gesicht, von heiligein Glaubenseifer durchglüht,
dem Leben nachgebildet ist. Diesen echt deutschen Gestalten gesellen sich,
nicht weniger deutsch, aber die südliche Heimat des Künstlers verratend,
die zwei Schreinwächter zu. Rechts löscht in edler, feingeschwungener
Haltung der hl.Florian eine brennende Burg, während links sein jüngerer
feurigerer Genosse, der h l. G e o r g, in schwungvoller Drohung zum tödlichen
Schlage gegen den Drachen ausholt.
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Diesen großartigen Schnitzereien von Michael Pachers Äand kann
in der ganzen deutschen Plastik nicht viel Gleichwertiges an die Seite
gesetzt werden. Mit virtuoserTechnik sind die weitgeschwungenen Gewänder
mit großen breiten Falten, die folgerichtig den Bau der Glieder erkennen
lassen, durchgeführt. Aber vor allem das innere Erfassen des Seelischen und
Stofflichen verleiht, durch Gold und Farben verklärt, tiefinnerstes Leben.
Auch in den Schnitzereien zeigt sich, wie zum Beispiel in dem Pedum
des hl. Wolfgang, das Interesse des Künstlers für das Leblose. Reich-
gestaltet ist der Nahmen des Schreines durch das Astwerk, in dem der
Stammbaum Christi dargestellt ist. Dieser sowie die Amrahmung
der Predella mit den Königen vonTharsis stammen von derberen
Äänden, die auch an der Gruppe der h l. D r e i K ö n i g e in der Predella
beteiligt sind. Links vom Schreine ist die h l. K a t h a r i n a, rechts die
h l. M a r g a r e t e angebracht. In dem architektonisch reichverzierten Auf-
sätze nimmt die Mitte der Gekreuzigte zwischen Maria und dem
Jünger Johannes ein. Links sehen wir den hl. Michael, darüber
eine weiblicheÄeilige, rechts Johannes denTäufer und über
ihm die hl. Ottilie. Löher folgen der Engel der Verkündigung mit
Maria. Zu oberst im Giebel thront Gott Vater. Auch diese Figuren
sind alle Gesellenarbeit, die aber in der Ausführung nicht an des Meisters
Vorstellung heranreichen; auch dem glänzend dekorativen Schreinwerk liegt
Michael Pachers Erfindung zugrunde. Er selbst vermochte freilich erst die
einzelnen Teile durch die Fassung zu untrennbarer Einheit zu verbinden.
Die Kunst Michael Pachers.
,ie Bilder und Schnitzereien am Wolsganger Altare zeigen der-
artige Gleichheit, daß nur ein Künstler, der sich aus beide Künste
verstand, diese ausgeführt haben kann, und dieser ist Michael
Pacher. Cr hat vieles Gesellenhänden anvertrauen müssen. Überall aber
ist seine persönliche Betätigung zu erkennen. Aus ihn haben das perspek-
tivische Können der mantegnesken Schule Italiens, die Feinmalerei Flan-
derns sowie die Ansätze zur Raummalerei Oberdeutschlands und Tirols
eingewirkt. Alle Einflüsse aber dienten nur dazu, seine eigene Kunst zu solch
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selbständiger Größe zu entwickeln, daß er zu den hervorragendsten deutschen
Künstlern zählt. Er verstand es als ausgesprochener Raumkünstler, die
Figuren organisch mit der Umgebung zu verbinden, wobei er nicht nur
Perspektive und Verkürzungen, sondern insbesondere die raumvertiefende
Wirkung des Lichtes ausnützte. Voll Temperament verbindet er Formen-
adel mit Naturwahrheit und innerer Belebung.
Pachers Einfluß in der Malerei drang nicht weit über die Alpen-
lande hinaus. Wohl aber machte sein Schnitzstil in den großartigen Altar-
bauten noch lange und überallhin großen Eindruck. Ans offenbart noch
heute der einzige unversehrt erhaltene Lochaltar in St. Wolfgang in
künstlerischer Steigerung des Meisters Größe. Die geschloffenen Flügel
schildern bescheiden die Legende des Ortsheiligen. Die Flügel öffnen sich
zum erstenmal: In mächtigerer Erscheinung tritt uns der Erlöser entgegen.
And noch einmal öffnen sich die Flügel, da braust, wie wenn die Orgel
mit vollem Werke einsetzt, uns die Pracht und die Herrlichkeit des über-
wältigenden Kunstwerkes entgegen, ein Jubeln und Jauchzen im Spiel der
Lichter auf Gold und Farben. Liber auch eindringlicher Ernst und stilles
Jnsichversenken erfüllt das Mysterium der Limmelsmutter. Deutsche
Innigkeit, deutsche Tiefe, deutsches Gefühl strömt uns entgegen aus diesen
Bildern und Statuen, überstrahlt von der immerwährenden Äeitre eines
südlichen Himmels.
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Verzeichnis der Bildtafeln.
Tafel 1: Der Hochaltar in St. Wolfgang bei geschlossenen
Flügeln.
„ 2: Der Altar mit geöffneten äußeren Flügeln.
„ 3: Der Schrein des Hochaltares.
4: Predella mit den hl. Drei Königen.
„ 5: Die Muttergottes aus dem Schreine.
„ 6: Kopf des hl. Benedikt im Schreine.
,, 7: Der hl. Florian.
„ 8: Der Kirchenbau des hl. Wolfgang.
,7 9: Die Auferweckung des Lazarus.
„ 10: Die Beschneidung Christi.
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