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gegen den Kapitalismus gerichteten Sozialismus, der die Produktions
mittel vergesellschaften will, unterscheidet und mit ihm nur jene eine
Tendenz teilt, im Wirtschaftsleben möglichst den Grundsatz der Gleich
heit aller zur Geltung zu bringen. Zum Teil hat ja Severin lediglich
erstrebt, durch die Institutionen, die er ins Leben rief, Norikum die
Selbständigkeit des Wirtschaftsgebietes, die Unabhängigkeit von der
Nahrungsmittelzufuhr aus fremdem Produktionsgebiet zu sichern 1 ). Aber
dieses Ziel stand für ihn eigentlich doch in zweiter Linie. Die wirtschaft
lichen Verhältnisse von Norikum stellten ihm eindringlich das Problem:
Wie lassen sich die Gegensätze von Reichtum und Armut versöhnen ?
Gerade zu Beginn seiner Tätigkeit in der Provinz hatte sich ihm dieses
Problem mit ganzer Gewalt auf gedrängt. Dort die Armen in Favianis,
die jene schreckliche Hungersnot bedrängte, und hier die reiche Pro-
cula, die einen großen Vorrat an Feldfrüchten besitzt, aber den Armen
nicht herausgibt, „eine Magd ihrer Begierden“ und „eine Sklavin der
Habsucht“ (cupiditatis ancilla et avaritiae mancipium cap. 3, 2), die Ver
treterin der Willkür einer Klasse, die zur wirtschaftlichen Unterjochung
einer anderen führen muß.
Zunächst scheint Severin nur allgemein Almosen, „heilige“ oder „gute
Werke“ für jeden Einzelfall der Not gefordert zu haben. Allmählich
aber ersteht bei ihm der Gedanke, dem jammervollen Zustand für immer
ein Ende zu machen und dauernd zu verhindern, daß die Reichen den
Armen die Humanität versagen (humanitatem hominibus denegare
cap. 3, 2). Zu diesem Zweck organisiert er den kirchlichen Zehenten:
aus Gaben aller Bevölkerungsklassen, die in Kleidern und Feldfrüchten
bestehen, werden kirchliche Magazine gebildet, und deren Vorrat soll
die wirtschaftlich Schwachen mit dem notwendigen Unterhalt versorgen.
Das Ziel dieser Organisation ist es, in Norikum die ganze Gesellschaft
mit dem Geist barmherzigen Christentums zu durchdringen und mit
Hilfe dieses Geistes eine gerechte Verteilung aller notwendigen
Lebensgüter herbeizuführen.
Severin ist ein praktischer Organisator und kein Theoretiker ge
wesen. Aber er ist von den Wirtschaftstheorien ausgegangen, die
sich in der alten Kirche entwickelt und geformt hatten. Freilich, die
kommunistischen Tendenzen, die sich auf Grund des platonischen
*) Sommerlad, Die wirtschaftliche Tätigkeit der Kirche in Deutschland I 163.