62 Severins Heimat. Staatsideals bei Laktanz zuerst geregt und bei Basilius, Johannes Chrysostomos und Ambrosius voll entfaltet hatten, liegen ihm fern. Das was oben über die Einrichtung des Zehenten, die Severin ge troffen hat, ausgeführt worden ist, zeigte uns den Heiligen von Norikum in geistiger Abhängigkeit von den orientalischen wie von den afrika nischen Kirchenlehrern und zugleich von den Lehrmeinungen der römi schen Schule, die die Erbin der nordafrikanischen gewesen ist. In der Art und Weise, wie Severin seine Stellung auffaßte, wirkte jene charis matische Anschauung der alten Kirche, ja der apostolischen Zeiten nach. Severins Mönchtum, wie es sich in Anlage und Gestalt der Klöster und in der Benennung des Klostervorstehers kundgab, nahm eine Mittel stellung zwischen dem älteren orientalischen Anachoretentum und dem späteren abendländischen Klosterwesen ein, und die Beobachtung der Horen in seinem Kreise war uns gleichfalls ein Zeugnis für diese Mittel stellung. Es gibt aber noch andere Anhaltspunkte in der vita, vermöge deren wir schließen können: aus dem Anschauungskreis des orien talischen und vornehmlich des afrikanischen Christentums ist die Tätigkeit des heiligen Severin in Norikum hervor gegangen. Daß Severin im Orient war, sagt uns die vita und die epistola des Eugippius: „Es steht fest, daß er sich früher aus Sehnsucht nach einem vollkommeneren Leben in eine Wüste des Orients zurückgezogen hat. So nannte er selber oft in dunkler Rede einige Städte des Orients und deutete an, er sei den Gefahren einer unendlich langen Reise wunderbar entronnen“ 1 ). Die Annahme Mommsens, daß unter diesem Aufenthalt des Severin im Orient ein Aufenthalt in Ägypten gemeint sei 1 2 ), erscheint mir freilich nicht begründet. Ich stehe nicht an, auf Grund der oben im Versuch dargelegten Beziehungen Severins und seines Mönchtums 1 ) Epistola ad Paschasium io (p. 5, 2): quem constat prius ad quandam Orientis sölitudinem fervore perfectioris vitae fuisse profectum. — sicut ipse clauso sermone referre solitus erat, nonmillas Orientis urbes nominans et itineris immensi pericula se mirabiliter transisse signi- ficans (p. 5, 7). Vergl. vita cap. 1,1: de partibus Orientis adveniens (p. 11, 5). 2 ) Prooemium ad vitam p. V: postquam in Oriente, Aegypto fortasse, per aliquot annos vitam solitariam egit. Auch der Artikel „Bayern“ in Wetzers und Weltes Kirchenlexikon 1883 II 2 93 und Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 1885 I 45 nehmen an, Severin habe in der Einsamkeit der thebaischen Wüste geweilt.