58 Jedenfalls ist die Getreideproduktion der Provinz Norikum nicht in dem Maße stetig und gleichmäßig, daß sie den Nahrungsbedarf aller Bewohner zu allen Zeiten zu decken vermag. In Favianis herrscht eine schreckliche Hungersnot, weil die Schiffe, die aus Rätien Lebens mittelzufuhr bringen sollten, während der grimmigen Winterkälte im Eise des Inn festgelegen hatten 1 ). Außer dem Getreide gibt es in Norikum noch einen zweiten Artikel der Einfuhr: das Öl. „Dieser Stoff war sehr selten in jener Gegend (bei Lorch) und wurde nur durch Kauf leute eingeführt * 2 )“, so sagt die vita in Kapitel 28. Eugippius erzählt uns dort weiterhin, daß die Flüssigkeit sehr kostbar und gerade für die Bedürftigen von hohem Werte war. Wir wissen auch sonst, daß dieses vegetabilische Fett dem ganzen Altertum als unentbehrliches Mittel für die Zubereitung der Speisen gegolten hat. Aber jene Verbreitung des Ölbaues weiter nach Norden, von der ein römischer Landwirt des 1. Jahr hunderts v. Chr. zu reden wußte 3 ), scheint, vielleicht gerade infolge des wiederholt ausgesprochenen Verbotes der transalpinischen Ölproduktion 4 ), nicht vorangegangen zu sein. So hat Italiens Ölzufuhr auch noch im 5. Jahrhundert n. Chr. offenbar geblüht, wenigstens hier nach Norikum hin, das ja gewissermaßen stets ein Vorland Italiens geblieben ist 5 * ). Welche Werte, die in Norikum selber erzeugt wurden, als Tausch mittel bei dieser Getreide- und Öl zu fuhr funktioniert haben, ent zieht sich unserer genaueren Kenntnis: möglich immerhin, daß der Obst- und Weinbau und die Bienenzucht, vielleicht auch die Erzeug nisse der barbarischen Schmiedekunst die nötigen Exportartikel ge liefert haben. *) Cap. 3, 1: saeva fames (p. 13, 14). Cap. 3, 3: rates plurimae de partibus Raetiarum mercibus onustae, quae multis diebus crassa Aeni fluminis glacie fuerant colligatae: quae dei imperio mox soluta ciborum copias fame laborantibus detulerunt (p. 14, 1). 2 ) Cap. 28, 2: quam speciein in illis locis difficillimam negotiatorum tantum deferebat evectio (p. 36, 15). Mommsen gibt zwar im Text ,, difficillima“, aber handschriftlich sehr verbreitet ist das m. E. zur Satzkonstruktion wie zum Sinne besser passende „difficillimam“. 3 ) Bei Columella, De re rustica I 1, 5. 4 ) S. Mommsen, Römische Geschichte II 7 (1881) S. 160. 392. 394. 5 ) Mommsen, Römische Geschichte V 4 (1894) S. 181. Über Beziehungen Norikums zu Italien vergl. vita Severini cap. 5, 1 (p. 16, 32); cap. 6, 6 (p. 18, 24); cap. 7, 1 (p. 19, 1); cap. 20, I (p. 31, 7); cap. 44, 4. 5 (p. 52, 21. 28); epistola ad Paschasium 7 (p. 3, 23). Cassius Dio 49, 36 sagt auch, in Pannonien sei nur wenig Öl vorhanden, und der Gebrauch ordentlichen Öles machte neben dem Weintrinken erst die Leute zu Römern.