3 1 erkannt, daß Severin weniger in den Ausgang des Altertums, als in den Anfang des kirchlich-germanischen Mittelalters gehöre: „Er kommt wie der Vorläufer einer neuen Zeit. Zum ersten Male in seiner Person werden dieser Periode die großen lebendigen und erhaltenden Potenzen der Kirche gegenwärtig.“ Meines Erachtens dürfte die Auffassung, die Severins Persönlichkeit mehr in den Anfang des Mittelalters, als in den Ausgang des Alter tums einreiht, in einer Betrachtung dessen, was seine vita hinsichtlich des kulturgeschichtlichen Verständnisses seiner Zeit vermittelt, eine wesentliche Stärkung erfahren. Es soll auf den folgenden Blättern der Versuch unternommen werden, aus der vita Severini nicht das, was sie für die politische Geschichte, sondern das, was sie für die Kulturgeschichte des fünften nachchristlichen Jahrhunderts ausgibt 1 ), zu entnehmen. Auf den Streit über den Begriff der Kulturgeschichte hier einzugehen, liegt nicht in meiner Absicht, und ich bemerke, ganz im allgemeinen, ohne mich auf weitere Definitionen einzulassen, daß der Zweck meiner Untersuchungen der ist, einmal den Wert der vita für die Erkenntnis von Ereignissen und Zuständen, die aus nichtpolitischer menschlicher Betätigung herauswachsen, ins Licht zu setzen. Dabei beabsichtige ich nicht etwa nach dem Rezept jener Biographen zu verfahren, die aus einer Zusammenstellung von allerhand Quellennachrichten, welche zumeist nur zum Teil der betreffenden Zeit, über die sie Auskunft geben sollen, angehören, ein sogenanntes Milieu zurecht konstruieren, von dem sich dann die Persönlichkeit des Helden abheben soll. Die Untersuchung soll die vita Severini selber zu Wort kommen lassen und die für die Tätigkeit des Heiligen maßgebende kirchliche und wirtschaftliche Situation, insofern sie sich eben in der vita offenbart, aufzuhellen trachten. Hier, in dem zuständlichen Gehalt der vita, liegt der feste Kern, von dem aus wir einerseits zur Erkenntnis 3 ) Reinhold Pallmann, Die Geschichte der Völkerwanderung 1864 II 394, meint, die vita sei nicht ohne weiteres für eine Quelle zur Kulturgeschichte Norikums in jenen Zeiten zu halten, sie sei ein Bild ohne gleichmäßige Verteilung von Licht und Schatten und daher ein schlechtes Bild. Julius Jung, Römer und Romanen in den Donauländern 2. Aufl. 1887 S. 158 —162, 243f., 249, hat bereits einzelne kulturgeschichtliche Züge der vita, ohne sie im Zusammenhang darzustellen und ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, ins Licht gestellt. Ich habe diese Arbeit erst nach Vollendung der meinigen eingesehen, wie der Kundige leicht erkennen wird.