Ansichten über Stimmung und Zustände im französischen Heer. 561 Fremde Heere der Obersten Heeresleitung vom 26. Juni. Nach ihr waren von Meutereien vor allem die Truppen betroffen, die am Chemin des Dames vergeblich angegriffen hatten. Es lagen Nachrichten über Vorkommnisse bei zwölf von insgesamt 109 Divisionen vor. Das Schlußurteil ging dahin, daß die Bewegung „wohl für bedenklich, jedoch noch keineswegs für kritisch" gehalten werde, „insbesondere da bei dem Temperament der Franzosen durch einen geschickten Zug der Regierung oder der Regierungspartei jederzeit ein plötzlicher Amschwung der Stimmung eintreten kann". Diesen Bericht ver- sah General Ludendorff wie frühere mit dem Vermerk: „Für Haesten sehr geeignet", wollte ihn also für die Propaganda verwertet wisien. Daß jedes Zurücknehmen der deutschen Front dem Gegner die Handhabe geboten hätte, die verlorene Frühjahrsschlacht doch noch zu einem großen Erfolge zu stempeln, war klar; die gesunkene Moral des französischen Heeres und Volkes konnte einen mächtigen Auftrieb erfahren. So kam freiwilliges Aufgeben heiß umkämpften Bodens jetzt keinesfalls in Frage. Gerade zu dieser Zeit stellte sich aber auch heraus, daß die bisherige feindliche Angriffs- front sich zu lockern begann; die Zahl der eingesetzten Divisionen war von 27 bestimmt auf 24, wahrscheinlich auf 23 gesunken. Die Oberste Heeresleitung entschied, daß die jetzigen Stellungen durch örtliche Angriffe so zu verbessern seien, daß sie als Dauerstellungen gehalten werden könnten. 4. Möglichkeit und Aussichten eines deutschen Gegenangriffs. General Ludendorff schrieb nach dem Kriege über die französischen Verluste in den Frühjahrskämpfen'): „Sie waren so groß gewesen, daß die Moral der Armee zu leiden begann und Meutereien vorkamen, von denen allerdings nur spärliche Nachrichten nach und nach zu unserer Kenntnis ge- langten. Erst spät sahen wir klar." Daraus und vollends aus späteren fran- zösischen Veröffentlichungen ist der Schluß gezogen worden, daß hier eine Gelegenheit versäumt worden sei, weil der Nachrichtendienst nicht gut ge- arbeitet und die Führung bis zur vollständigen Klärung der Lage gewartet habe; hätte sie die Lage rechtzeitig durchschaut und danach gehandelt, so wäre ihr ein großer Erfolg möglich gewesen. Tatsächlich war aber die Lage erheb- lich anders, als bei solchem Arteil angenommen wird. Die Meutereien im französischen Heere begannen etwa Anfang Mai und erreichten ihren Höhepunkt gegen Mitte Iuni^). Kriegsminister Painleve schrieb nach dem Kriege, daß am 4. Juni zwischen Soissons und Paris, also *) „Kriegserinnerungen", 6.338. 2) S. 422 ff. Weltkrieg. XII. Band. 36