438 Die Ostfront. — Russische Märzoffensive. Mai. oder 19. Mai. Jedenfalls seien die Russen so gruppiert, daß sie jederzeit mit starken Kräften zum Angriff schreiten könnten. Auch ein Angriff mit schwächeren Kräften beiderseits des Rarocz-Sees, aus dem Brückenkopf Iakobstadt heraus oder südlich von Riga sei möglich. Die Meldung schloß: „Die Heeresgruppe sieht jedem russischen Angriff mit Vertrauen entgegen. Ein Wegziehen von Reserven oder ein Übergang zu diesseitiger Offensive ist bei der jetzigen russischen Kräfteverteilung ausgeschlossen". General von Falkenhayn antwortete, daß ein Fortziehen von Kräften nicht beab- sichtigt sei, „es sei denn, daß dringender Bedarf an der galizischen Front entstehen sollte"; in diesem Falle werde aber auch mit Verminderung der russischen Kräfte vor der Front des Oberbefehlshabers Ost zu rechnen sein. Als Ende Mai der Kaiser mit General von Falkenhayn die Ostfront besichtigte und Generalfeldmarschall von Hindenburg ihm am 29.Mai in Wilna Vortrag hielt'), schätzte man die Russen vor der Front der Heeresgruppe auf 76% Divisionen mit 1224 Bataillonen, denen nur 36% deutsche Divisionen mit sogar nur 437 Bataillonen, darunter 64 vom Landsturm, gegenüberständen. Allerdings schienen die Russen seit Beginn der öfterreichifch-ungarifchen Offensive gegen Italien (15. Mai) von Dünaburg und Riga Truppen abzufahren. Als Ziel habe man zunächst die galizifche Front angesehen. Es sei aber ebenso möglich, daß es sich um Verstärkung der Angriffsgruppe gegenüber den inneren Flügeln der 12. und 10. Armee handele^). Einem russischen Angriff sähe man „mit absoluter Zuversicht" entgegen. Werde er abgeschlagen, bliebe er aus oder bestätige sich die Vermutung, daß Kräfte an die österreichisch- ungarische Front gefahren würden, so sei zu erwägen, wie die Reserven der Heeresgruppe zu verwenden seien. Ob zwei bis drei Divisionen im Westen von entscheidender Bedeutung seien, erscheine zweifelhaft; auch sei es bedenklich, sie dem Osten wegzunehmen, da sie bei der Heeresgruppe Prinz Leopold oder an der öfterreichifch-ungarifchen Front nötig sein könnten. Daher sei zu erwägen, ob man nicht trotz der feindlichen Überzahl zum Angriff schreiten solle. Ein Durchstoß durch die russische Front erscheine überall möglich, da die Stellungen schlecht ausgebaut und die Moral der russischen Truppen nicht mehr die alte sei. In Anlehnung an die bereits früher erörterten Pläne") wurde ein Angriff über die Düna oberhalb von Riga *) Der Wortlaut ist nicht bekannt. Die Darstellung stützt sich auf einen vom Ersten Generalstabsosfizier geschriebenen „Entwurf" zum Vortrage. 2) Tatsächlich wurden zu dieser Zeit die russischen Garden aus der Gegend von Dünaburg in den Raum östlich vom Narocz-See verlegt. Bewegungen zur galizischen Front fanden nicht statt. 8) S. 426.