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Die Operation des Oberbefehlshabers Ost gegen Wilna.
<st6 25.su«. sich doch nicht entschließen, nunmehr auch den rechten Flügel des
XIX, Korps weiter zurückzunehmen, das nordwestlich von Schaulen noch
hielt; er befahl vielmehr für diesen Flügel den Gegenangriff. Die 1. kau¬
kasische Schützen-Brigade, die einzige inzwischen verfügbar gemachte Reserve,
führte ihn am 17. Juli durch und drückte den Nordflügel der deutschen 6. Re¬
serve-Division zurück1). Nach diesem Erfolge ließ General Plehwe die
Schaulener Front, trotz der weiteren raschen Fortschritte der Deutschen in
der Richtung auf Mitau, auch an den beiden folgenden Tagen noch stehen.
Als er sich schließlich am 19. Juli genötigt sah, den rechten Flügel, das
XIX. Korps, doch zurückzunehmen, befahl er die Ausführung dieser Be¬
wegung erst für die Nacht zum 21. Juli. Aber bereits am 20. Juli stand
die deutsche 78. Reserve-Division bei Meschkuze tief im Rücken des russi¬
schen XIX. Korps, während die deutsche Südgruppe über die Dubiffa vor¬
brach, Trotzdem wollte General Plehwe, der mit Nachrichten recht gut ver¬
sorgt war, auch an diesem Tage noch nicht an die drohende Gefahr glauben.
Er verlegte aber sein Hauptquartier jetzt von Riga nach Poniewiez hinter
den Südflügel. Erst auf dem Wege dorthin entschloß er sich am Mittag
des 21. Juli, die Räumung von Schaulen und den allgemeinen Rückzug zu
befehlen, um weiterhin in einer Stellung westlich von Poniewiez Wider¬
stand zu leisten, während nach Mitau anrollende Verstärkungen^) den Deut¬
schen von dort in die Flanke stoßen sollten. Aber auch dieses Vorhaben
stellte sich bald als unausführbar heraus. Westlich von Poniewiez wurde
der linke Flügel am 25. Juli vom deutschen Angriff derart getroffen, daß
das XXXVII. Korps in großer Anordnung zurückwich.
Alles in allem gehören die Juli-Operationen in Kurland und
Litauen zu den interessantesten des Jahres 1915. In einem Gebiete, das
für operative Bewegungen noch Raum bot, suchte tatkräftige und angriffs¬
freudige Führung auf deutscher wie auf russischer Seite dem Gegner das
Gesetz vorzuschreiben. Der deutsche General hatte im allgemeinen das
zutreffendere Arteil über Lage und Aussichten; zugleich aber war, wie
es in einer russischen Darstellung gelegentlich heißt, „auf der deutschen
Seite die größere Manövrierfähigkeit und die größere Munitionsmenge".
Auf russischer Seite war man über Stärke und Verteilung der deut¬
schen Kräfte andauernd gut unterrichtet, wie es scheint, vor allem durch
Agenten, die in den weiten, mit Truppen nur dünn besetzten Räumen des
eigenen Landes verhältnismäßig leichte Arbeit hatten. Das mag dazu bei¬
getragen haben, daß General Plehwe auch in schwierigster Lage den Glau-
1) S. 459.
2) 53. I. D. von der 10. Armee und 1. K. D.