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Die Lage der Mittelmächte im Mai 1915.
17. Mai.
Am 16. Mai machte er folgenden Gegenvorschlag: In Galizien sollten außer
der deutschen 11. Armee 17 bis 18 ö.-u. und sieben deutsche Divisionen — im
ganzen etwa 35 Divisionen — für die Operationen gegen Serbien und
Italien freigemacht werden. Der Angriff gegen Serbien sei sofort vor¬
zubereiten. Gegen Italien solle Österreich-Ungarn mit etwa 16 Divisionen
die Deckung in Kärnten, Krain und dem Küstenlande übernehmen. In
Tirol war General von Falkenhayn bereit, dieselbe Aufgabe deutschen
Truppen zu übertragen. Die jetzt dort befindlichen ö.-u. Verbände und
Befestigungen wären dazu deutschem Befehl zu unterstellen. Wieviel deutsche
Kräfte in Tirol einzusetzen wären, darüber könne jetzt eine Entscheidung
noch nicht gefällt werden; jedenfalls würden sie so bemessen werden, daß sie
ein Vordringen der Italiener in das Tiroler Land sicher verhinderten.
In seiner Antwort vom nächsten Tage blieb General von Conrad
dabei, daß im ganzen nur 20 Divisionen aus der galizischen Front heraus¬
gezogen werden könnten; diese beabsichtigte er, geschlossen gegen die
Italiener einzusehen, um ihre voraussichtlich in der allgemeinenRichtung
über Villach und Laibach gegen die Donau-Strecke Wien—Budapest vor¬
bringenden 30 Divisionen zu schlagen. Die Verteidigung Tirols aber wolle
er nicht aus der Hand geben; sie siele den dortigen ö.-u. und etwa verfüg¬
baren deutschen Kräften unter ö.-u. Oberbefehl zu. Die Sicherung gegen
Serbien und nötigenfalls gegen Rumänien sei Sache der ö.-u. Valkan-
Streitkräfte.
Diesen Ausführungen gegenüber wiederholte General vonFalken-
h a y n seinen Operationsvorschlag, bemaß jedoch die in Galizien frei¬
zumachenden Kräfte nur noch auf 29 Divisionen. Unter Hinzurechnung der
ö.-u. Balkan-Armee mit 20 Divisionen*) glaubte er also, 49 Divisionen
gegen Serbien und Italien verwenden zu können. „Auf die Frage, wie
sie einzusehen sind", — so schrieb er noch am 17. Mai — „möchte ich
nicht eingehen, bevor ich nicht die Antwort Bulgariens erhalten habe2),
1) Die Auffassung, daß Österreich-Ungarn an der serbischen Grenze über 20 Divi-
fionen verfüge, erklärte sich dadurch, daß General von Falkenhayn durch eine Äußerung
des Generals von Conrad erfahren hatte, daß die ö.-u. Balkan-Armee rund 240 000
Mann stark sei. Diese Kräfte rechnete er in 20 Divisionen um. General von Conrad
stellte aber dieser Annahme gegenüber fest, daß die Mehrzahl der an der serbischen
Grenze stehenden Verbände aus Landsturmformationen bestände. Die vollwertige
Kampftruppe sei nur 80 000 Gewehre stark. Immerhin erwähnt auch das österreichische
amtliche Kriegswerk (Band II, S. 277 und 348), daß den Valkan-Streitkrästen zu An-
fang des Jahres 1915 die Rolle zugefallen sei, als „große Kraftreserve" für das ö.-u.
Nordheer und später als „Reservearmee für die Errichtung einer Front gegen Italien"
zu dienen.
2) S. 5.