610 Der Mehrfrontcnkrieg im Sommer 1915. fang Juni sowohl dem Reichskanzler wie dem Auswärtigen Amt eine von der Obersten Heeresleitung ausgearbeitete Denkschrift über „die wirtschaft¬ liche und militärische Lage Frankreichs" übersandte, die zu dem Schluß kam: „Frankreichs Opfer sind in diesem Kriege so riesenhaft, daß die Regierung weder vor dem Volke noch einst vor der Geschichte die Verant¬ wortung dafür wird tragen können und in Bälde vor die Frage gestellt sein wird, zu entscheiden, ob nicht die Aufgabe des Widerstandes der Zukunft der Nation dienlicher sein wird als die Fortsetzung des für Frankreich trotz aller auswärtigen Hilfen aussichtslosen Krieges." Trafen die Ge¬ dankengänge dieser Denkschrift zu, dann konnte es allerdings fraglich er¬ scheinen, ob der Feindbund einen neuen Kriegswinter auf sich zu nehmen gewillt war. In diesen Zusammenhängen liegt wohl auch die Erklärung begründet, daß General von Falkenhayn am 20. Juni dem General der Pioniere beim Armee-Oberkommando 10, Generalmajor von Mertens, mündlich den ge¬ heimen Auftrag erteilte, auf dem westlichen Kriegsschauplätze „militärische Stellungen" in der allgemeinen Linie Rieuport, Lille, Douai, Hirson, Stenay, Metz — also etwa gleichlaufend zur belgischen Grenze — zu er¬ kunden. Das war die kürzeste hinter der Westfront mögliche Linie, in der noch der Besitz Belgiens, der Zugang zur See und die Möglichkeit des Ansatzes einer neuen großen Offensive gegen die Westmächte gesichert blieben. Dabei handelte es sich nach einer Äußerung des Generalmajors von Mertens offenbar um eine „ Demarkationslinie "P die für den Fall einer Waffenruhe mit anschließenden Friedensverhandlungen eingenommen werden könnte. Z. Die Verlegung des Schwerpunktes der Kriegführung. Richt mit Anrecht hatte Reichskanzler von Bethmann Hollweg in seiner Antwort an General von Falkenhayn vom 30. Fuli auf die große Bedeutung hingewiesen, die der Gewinnung Bulgariens für die An- 0 Vgl. hierzu Kronprinz Rupprecht von Bayern „Mein Kriegstagebuch" S. 368. Unter dem 24. Juni 1915 ist dort vermerkt: „Mittags sprach ich den General des Ingenieurkorps Mertens, der im Aufträge der O. H. L. die Westfront bereiste, um zu erkunden, in welcher Weise eine Demarkationslinie für den Fall einer Waffenruhe gezogen werden müsst." — Im Gegensatz hierzu berichtet der frühere Bürooffizier der Operationsabteilung im deutschen Großen Hauptquartier, Major a. D. Dr. Mewes, daß General von Falkenhayn der Operationsabteilung gegenüber nichts davon habe verlauten kaffen, daß die erwähnte Stellung als etwaige Demarkations¬ linie in Aussicht genommen sei. (Schreiben an das Reichsarchiv vom 15. August 1931.)