374 Der Angriff des Oberbefehlshabers Ost gegen die russische Narew-Front. Die Aufgabe, einen in breiter geschloffener Front weichenden Gegner in die Rokitno-Sümpfe zu werfen oder, wie es General von Gallwitz ge- legentlich ausgedrückt hat, „umzurennen", war nicht lösbar, wenn der opera¬ tive Raumgewinn in 46 Tagen nur 200 Kilometer, im Tagesdurchschnitt also noch nicht fünf Kilometer betrug. Demgegenüber hatten die auf ver¬ hältnismäßig leistungsfähige Bahnverbindungen gestützten Russen immer die Möglichkeit, nicht nur ihre fechtenden Truppen, sondern auch noch recht vieles andere, was ihnen wertvoll war, in Sicherheit zu bringen. Gewiß konnte es verlockend erscheinen, die Teile, die vor der Heeresgruppe Mackensen zwischen den Rokitno-Sümpfen und den von Westen vorrückenden deutschen Armeen in Stärke von 13 bis 14 Korps nach Nordosten zu weichen schienen, gegen jenes doch recht ungangbare Gebiet zu werfen und damit entscheidend zu schädigen. Tatsächlich wurde aber die russische Rückzugsrichtung von der Vormarschrichtung der Armee Gallwitz keineswegs so getroffen, daß eine flankenstoßähnliche Wirkung erzielt werden konnte. Die nördlichen russischen Armeen (2., 1. und 12. Armee) sind bis zur Linie Brest— Vialystok in beinahe rein östlicher Richtung, also frontal, zurückgeführt worden und dehnten sich erst nach Aufgabe der Osowiec-Front dem wachsen¬ den Kräftebedarf des Nordflügels entsprechend allmählich nach Nordosten aus; die 4., 3. und 13. Armee zogen sich im Schrägmarsch von Süden an sie heran. Damit ging der Abtransport von Kräften mit der Bahn in der all¬ gemeinen Richtung Minsk—Wilna Hand in Hand. Eine solche großzügig und sachgemäß geleitete Rückzugsbewegung auch nur für Teile des Heeres in eine Katastrophe zu verwandeln, reichte — ganz abgesehen von der Stärke, die die Abwehr im Jahre 1915 bereits besaß — die Stoßkraft eines Ver¬ folgers nicht mehr aus, der in der ersten Augusthälfte vier Wochen fast un¬ unterbrochener Kämpfe hinter sich hatte und von den Endpunkten leistungs¬ fähiger Vollbahnen bereits weit über 100 Kilometer entfernt war. Und doch war Großes erreicht. Im Zusammenwirken mit der Heeres¬ gruppe Mackensen hatten die Siege der Armee Gallwitz und ihrer Nachbarn rechts und links den Gegner aus bedrohlicher Nähe der deutschen Grenze vertrieben. Auch die Einnahme von Warschau und die Beute, die bei der noch zu schildernden Eroberung der großen Festung Nowogeorgiewsk ge¬ macht wurde, müssen als unmittelbare Auswirkungen des Narew-Feldzuges angesehen werden.