346 Der Angriff des Oberbefehlshabers Ost gegen die russische Narew-FronL. 6. August. „unter Sicherung gegen die in den Weichsel-Festungen etwa noch befind¬ lichen Kräfte mit allen Mitteln gegen und über die Linie Lukow—Siedlce durchstoßen"*). Daß die Oberste Heeresleitung solche Pläne erwog, war dem Ober¬ befehlshaber Ost schon seit einiger Zeit bekannt, und doch kam der Befehl gerade jetzt völlig überraschend. Nach einer Reihe unvergleichlicher Siege und fast einjähriger erfolgreicher Tätigkeit als alleiniger Befehlshaber über den reichsdeutschen Teil der Ostfront empfand Generalfeldmarschall v o n Hin- denburgdie gerade am Tage der Einnahme der polnischen Hauptstadt ver¬ fügte Einschränkung seines Befehlsbereiches als eine Kränkung. Ebenso wie er selbst empfanden seine Mitarbeiter. Das verschärfte im Zusammen¬ wirken mit den sachlichen Meinungsverschiedenheiten den Gegensatz zur Obersten Heeresleitung bis aufs äußerste und führte zu gereiztem Telegrammwechsel mit ihr. Daß General von Falkenhayn dabei die Bildung der neuen Heeresgruppe nochmals ausdrücklich als eine nur vorübergehende, durch die Kriegslage und die Vefehlsregelung gegenüber dem österreichisch-ungarischen Heere gebotene rein operative Maßnahme bezeichnete, die das Verwaltungsgebiet des Oberbefehlshabers Ost nicht beschränke, vermochte die Empfindung nicht auszulöschen, daß neben sach¬ lichen Gründen zum mindesten doch auch die Absicht eine Rolle gespielt habe, den Machtbereich des Oberbefehlshabers Ost zu beschränken und ihm dadurch die Möglichkeit zur Verstärkung der 10. Armee und somit zu dem geplanten Stoße über den Rjemen zu nehmen. Trotz der Neuordnung der Verhältniße hielt der Oberbefehls¬ haber O st an dem Vorhaben fest, die bereits gegen Kowno bestimmten Teile der 9. Armee (84. Infanterie-Division und schwere Batterien) dort¬ hin abzubefördern, stieß dabei aber auf entschiedene Ablehnung der O b er¬ st en Heeresleitung. General von Falkenhayn gab am 6.August nochmals seiner Überzeugung Ausdruck, „daß bei gegenwärtiger Lage alles darauf ankommt, den in Polen befindlichen Feind durch Angriff von allen Seiten zu zerschlagen, und daß ein schnelles Vorkommen der Flügel nur möglich ist, wenn ein kräftiger Druck von der Weichsel her erfolgt". Zur Verwendung gegen Kowno stellte er als Ersatz für die angeforderten Teile der 9. Armee die 115. Infanterie-Division aus dem Westen in Aussicht, die allerdings erst am 12. August eintreffen konnte. Die schweren Batterien soll¬ ten gar erst freigegeben werden, nachdem die 9. Armeei den Weichsel-Über¬ gang erzwungen habe, also zu einem durchaus unsicheren Zeitpunkte. Von den Truppen dieser Armee blieb dem Oberbefehlshaber Ost nur die auf eine *) Operationen der Heeresgruppe Prinz Leopold s. S. 410 u. 414 ff.