Auffassung des Generals von Falkenhayn. 273 General von Falkenhayn, der am 1. Juli eine Aussprache mit r. zu«. Generalfeldmarschall von Mackensen in Rawa Ruska gehabt und dabei den Eindruck gewonnen hatte, daß dort alles gut vorwärtsgehe*), traf über Pleß am 2.Juli morgens in Posen ein. Seine Auffassung war folgende^): Die Lage im Westen schien nach dem Scheitern der französisch-englischen Angriffe entspannt, doch mußte man auf Wiederholung ähnlicher Durch¬ bruchsversuche gefaßt sein. Sie konnten dazu zwingen, das Schwergewicht der Kriegführung schleunigst wieder an die Westfront zu verlegen. Daneben heischte die bedrängte Lage der Türkei immer gebieterischer aktives Ein¬ greifen gegen Serbien. Wie lange die österreichisch-ungarische Heeres¬ leitung an der italienischen Front mit den dort eingesetzten Kräften aus¬ kommen werde, stand dahin, wenn auch bisher alle Angriffe abgeschlagen waren. Trotz der großen Erfolge in Galizien und der zur Zeit günstigen Aussichten der Heeresgruppe Mackensen schien es daher erforderlich, die Offensive gegen Rußland weiterhin mit räumlich und zeitlich begrenztem Ziele zu führen, damit die Oberste Heeresleitung jederzeit in der Lage blieb, nötigenfalls schnell wieder starke Kräfte an eine andere Front zu verlegen. Möglichst baldiger Abschluß der jetzt bereits zwei Monate währenden Ost¬ operation war also dringend erwünscht. Der dazu notwendige große Waffen¬ erfolg schien durch unmittelbares Zusammenwirken der Heeresgruppen Mackensen und Hindenburg im Raunte zwischen Bug, Weichsel und Rarew am sichersten und schnellsten erreichbar. Auf Grund dieser Erwägungen lehnte General von Falkenhayn eine Offensive über Kowno und nördlich, wie sie der Oberbefehlshaber Ost offen¬ bar vorschlagen wollte, entschieden ab; er hatte auch Zweifel, ob auf diesem Wege „überhaupt eine Wirkung würde erzielt werden können, die der Haupt¬ operation zugute käme". Die erst im Frühjahr (Februar/März) bei ähn¬ lichem Versuche gemachten Erfahrungen schienen dagegen zu sprechen. Auch damals hatte der Oberbefehlshaber Ost sehr weitgehende Hoffnungen ge¬ hegt), die sich dann aber nicht erfüllten. Ein örtlicher taktischer Sieg genügte nicht, „insbesondere nicht, wenn er, wie im vorliegenden Falle, *) Tagebuchaufzeichnung des Generalobersten von Plessen vom 2. Juli 1915. 2) Belege für die nachstehend wiedergegeben« Auffassung des Generals von Fal¬ kenhayn sind in den Akten nicht enthalten. Sie ist nur nachträglichen Niederschriften zu entnehmen, vor allem dem späteren Schriftwechsel mit dem Oberbefehlshaber Ost und dem nach dem Kriege verfaßten Werke des Generals (S. 97 ff.). Daß allerdings das dort Zusammengefaßte in vollem Umfange und in allen Einzelheiten auch am 2. Juli zur Sprache gekommen sei, ist nicht sehr wahrscheinlich. s) Bericht des Oberbefehlshabers Ost an den Kaiser vom 9. Januar 1915, Band VII, S. 11. t Weltkrieg. VIII. Band. 18